RAUS!

Die Zogajs werden also abgeschoben. Mutter, Arigona, zwei kleine Kinder. Manche Poster freuen sich ganz besonders: der schönste Tag seit fünfzehn Jahren! Endlich! So ein Tag, so wunderschön wie heute! Das lese ich vor mich hin. Viele freuen sich, als dürften sie nach Disneyland oder ins Schweizerhaus auf eine Stelze oder an die Alte Donau zum Baden. Nichts steht der Ausweisung mehr im Wege, der Weg ist endlich vorgezeichnet, er weist in die einzig mögliche Richtung: hinaus. Niemand weist über sich hinaus, solang er noch jemand andren ausweisen kann. Das ist weit genug. Nur weg. Der Verfassungsgerichtshof sagt, die Familie sei gut integriert, aber das sei nur unzulässigerweise so, eigentlich dürfte sie es gar nicht sein, denn diese Leute haben sich der Verpflichtung zur Ausreise so lang widersetzt, jetzt setzts was!, hier werden sie sich nicht mehr oft niedersetzen können. Raus. Aussi. Sie waren rechtswidrig hier, deswegen wird ihr bisheriger Aufenthalt durchgestrichen, die Integration zählt nicht, das Leben zählt auch nicht, die Vergangenheit war unrechtmäßig, aber jetzt wird endlich Recht gesprochen, das Recht hat immer recht, das Recht ist immer richtig, und es ist schon gar nicht menschenrechtswidrig, was richtig ist, kann nicht wider die Menschen sein, aber dieses Recht, daß die einfach hiergeblieben sind, war rechtswidrig, die Zogajs waren ja wider das Recht hier, und sowas deckt sich nicht mit dem Menschenrecht. Die Menschen haben Rechte, gewiß, aber richtig ist das nicht. Die kann man sich nicht so einfach nehmen, wenn man sie nicht bekommt. Was bleibt? Jedenfalls die bleiben nicht! Psychische Instabilität? Im Kosovo gibt es gute Psychiater, man muß nur zu ihnen gehen; das wird jetzt sicher bald gehen, denn dorthin kommen sie sicher, die Zogajs, sie werden sich dort in Ruhe den besten Psychiater aussuchen können. Bald kommt der Ausweisungsbescheid, warte nur, balde kommt er, das Innenministerium freut sich schon so darauf, ihn endlich endlich ausstellen zu dürfen, den Bescheid, so lange warten sie schon drauf, ja, dort wissen sie seit langem Bescheid, die Poster wußten es auch immer schon: raus, der schönste Tag seit fünfzehn Jahren! Endlich! So ein Tag, so wunderschön! Jetzt müssen die endlich raus, so bald wie möglich, gemma gemma. Das Land verlassen, das müssen sie endlich. Gehen sie nicht freiwillig, so brauchen wir Gewalt, die brauchen wir sowieso, denn ohne daß Gewalt gebraucht wird, tun die Menschen garnichts, die brauchen das. Es wurde korrekt gearbeitet, das haben wir jetzt schwarz auf weiß, und wer nicht selbständig ausreist, der wird von der Fremdenpolizei abgeschoben, am besten um fünf Uhr früh, damit es nicht allzuviele Menschen merken, daß jemand fehlt. Sie fehlen ja auch nicht wirklich jemandem, die Zogajs. Also uns fehlen sie nicht, wir sind schon genug unter unsren schönen Gebirgen oder in der ehemaligen Kulturhauptstadt Linz, die auch in Oberösterreich liegt und dort auch liegen darf. Was sagt der österreichische Verfassungsgerichtshof? Er sagt: die Ausweisung einer 18-Jährigen, des Mädchens Arigona, die uns so oft zum besten gehalten hat, bis wir zu ihrem eigenen Schlechtesten entscheiden mußten, die hat uns ein paarmal zu oft gepflanzt in unseren Baumschulen, wo wir bestimmen, wer oder was gepflanzt wird. Die Ausweisung des Mädchens Arigona, seiner Mutter und ihrer Geschwister ist also rechtmäßig, sie ist absolut rechtens, eine höhere Instanz gibt es nicht mehr, sie ist sogar dringend geboten, schnell schnell, sie sollte schon längst draußen sein, die Arigona, wieso ist die immer noch da? Heute wäre schon zu spät! Diese Abschiebung ist dringend geboten, und die Gebote bestimmen wir, dringend geboten, „nicht zuletzt auch auf Grund der außergewöhnlichen Publizitätswirkung“ des Falls Zogaj. Also: aussi und darauf noch ein Bier oder ein resches Weinderl und eine Stelze oder ein Hendlhaxerl. Und dann reden wir nicht mehr drüber, dann wird es auch keine Publizität mehr haben.

Keine Gnade. Keine Gnade vor Recht. Eine Gnade kennen wir nicht, und wenn wir sie kennen würden, wer soll das sein, der eine Gnade kennt? Wir nicht. Wen könnte ich zu einer Gnade zwingen? Keinen. Die Art der Gnade weiß  von keinem Zwang, also kann von Gnade schon mal nicht die Rede sein, denn hier läßt sich ja niemand zur Gnade zwingen. Nicht der Herr im grauen Anzug, der der Herr Bundspräsident ist, nicht der andre Herr in dem andren grauen Anzug, der der Herr Bundskanzler ist, nicht die Frau im feschen Kostüm, die die Innenministerin ist, und so fort, ja, die dürfen natürlich fortfahren, wann immer sie wollen. Der Herr Bundspräsident hat kein verfassungsmäßiges Recht auf Gnadenzusprechung. Keine Gnade, die kennt er nicht, das kann er nicht, das darf er nicht, der Herr Bundespräsident, und die Verfassung ist gut, sie ist in guter Verfassung, die Verfassung, und sie hat gesprochen: Raus! Die Gnade? Träufelt wie des Himmels milder Regen? Also Regen haben wir jetzt genug gehabt, widmen wir uns lieber unsren notleidenden Bauern, die soviel Pech mit dem Wetter gehabt haben, wenn zuviel träufelt, dann kann das ganz sicher keine Gnade sein, da verfault ja schon alles!, manchmal ist der Segen vom Regen auch zuviel für uns. Träufelt zur Erde unter ihr, träufelt sinnlos in den Boden, denn Gnade kennen wir nicht, wir kennen das Recht, aber die Gnade, die angeblich davor kommt, die kennen wir eben nicht, und was da in den Boden träufelt, das muß was andres sein, des Himmels milder Regen für uns, kein Sturm , kein Hagel, fragen Sie die Versicherung Ihrer Wahl!, nein, nichts davon, nur milder Segen, alles für uns, zur Erde unter ihr die Gnade, die von keinem Zwang weiß, und daher kann auch niemand zu ihr gezwungen werden. Was? Wir uns zur Gnade zwingen lassen? Das wäre ja noch schöner! Wir lassen uns zu nichts zwingen, wir zwingen lieber andre. Gnade? Wer soll das sein? Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt? Am mächtigsten in Mächtgen, zieret sie den Fürsten auf dem Thron mehr als die Krone? Mehr als der graue Anzug den gewählten Herrscher? Was? Noch mehr ziert sie den Herrn Herrscher in der Hofburg oder am Regierungsplatzerl? Super, daß der von der Gnade ganz besonders geziert wird, das Zepter, nein, soweit wollen wir nun doch nicht gehen, wir gehen wählen, aber keine Herrscher, wir doch nicht, wir herrschen selber! Das Zepter zeigt die weltliche Gewalt, das Attribut der Würde und Majestät, worin die Furcht und Scheu der Könige sitzt? Nur keine Scheu, die Herren Staatslenker, die Frau Ministerin, nur keine Scheu nicht!, ganz ungeniert!, vor wem auch, die Leute freuen sich doch so, bitte, diesen Gefallen können wir ihnen immer erweisen, nur die Gnade, die erweisen wir nicht, sie ist das Attribut der Gottheit selbst, aber zu der gehen wir selbst beten, zu der beten nur wir ganz allein, die sitzt in der Kirche, dort gehen wir hin, am Sonntag, wir sind eine christliche Volkspartei, und wir sind auch noch andre Parteien, die Attribute sehen wir dort, zu Fronleichnam, unterm Baldachin, da ist das Attribut der Gnade, der Nächstenliebe, was weiß ich, was alles dort ist, ich hab es schon länger nicht mehr gesehen, nein, die Gnade auch nicht. Ich sehe sie nicht. Ich sehe hier keine Gnade. Wo auch? Woher auch? Und irdischer Macht kommt göttlicher am nächsten, wenn Gnade das Recht bereichert? Shakespeare? Kaufmann von Venedig. Das ist doch das Stück mit diesem Juden. Na, den haben wir noch gebraucht!

14.6.2010

siehe auch:
Die Ausweisung
Arigona Zogaj

Foto: Kleine Zeitung


RAUS! © 2010 Elfriede Jelinek

 

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