Die Ausweisung

 

Der Tag beginnt, die Tat beginnt. Niemand lädt mich dazu ein, an ihnen teilzunehmen. Ich führe in einem fort Krieg gegen mein Land, den das Land gar nicht merkt, was aber dazu geführt hat, daß der Krieg auch gegen mich geht, was ich selbst vielleicht nur manchmal merke, wenn mir auffällt, daß ich ja auch nur gegen mich selbst recht habe. Ein Brief soll unterwegs sein, sagt die Kronenzeitung, er ist bereits abgeschickt, und in ihm steht, daß Arigona Zogaj, die seit sieben Jahren mit ihrer von ihrem Lebensumständen psychisch kranken Mutter und, nach vielem Hin und Her, seit kurzem auch zweien ihrer kleinen Brüder (die beiden großen sind, nach einem anderen Hin und Her schon wieder abgeschoben worden) im Land lebt, die Sprache beherrscht, sogar die regionale, und sich Oberösterreich als eine nette junge Frau darbietet, die gern einen Beruf erlernen und arbeiten würde, daß also diese Arigona Zogaj jetzt doch abgeschoben wird. Einmal muß Schluß sein. Endlich!, sagen die Postings. Einmal war sie untergetaucht und hat mit Selbstmord gedroht, mit etwas, das hier (außer von ihrer Familie und ihren Freundinnen und Freunden aus der Schule und der Nachbarschaft) beifällig aufgenommen worden wäre, eine weniger, was glaubt die denn? Daß sie eine mehr ist als eine, die nichts ist? Glaubt etwa Gott, daß er an so einer etwas verloren hätte? Nur unser Gott hat hier was verloren, und gewiß nicht so ein dahergelaufenes siebzehnjähriges Mädchen. Er verliert uns nicht aus den Augen, unser Gott, auch wenn wir ihn verloren haben, das ist aber egal, er ist da, er gehört uns, und wir gehören ihm, was wir gar nicht spüren und uns nicht stört. Wir sind seine Kinder. Er ist im Tabernakel eingeschlossen, uns übereignet in der Verborgenheit des Schreins (aber nur, wenn vorher geweiht wurde, die Hostie, sein wahres, hygienisches, nie wieder verletzliches Fleisch), was für ein Glück ist seine Verschließung vor uns!, so können wir nicht in die Irre gehen und werden doch von ihm und dieser blöden Nächstenliebe nicht belästigt, unsere Welt entsteht ja, indem Gott sich uns verschließt und auch brav verschlossen bleibt. So können wir alle Schweinereien begehen, die wir wollen. Er sieht ja alles, muß dazu aber nicht eigens raus. Nein. Anders. Er sieht ja nichts. Er kann gar nichts sehen. Wir berufen uns auf ihn, inständig übereignen wir uns ihm und entziehen ihm andere, die wir alleine bestimmen. Wir treffen für den Herrn Gott eine Vorauswahl, damit er nicht soviel Arbeit hat. Er kann ja auch gar nichts bestimmen, er ist ja dort im Schrank versperrt, so nehmen wir ihm die Arbeit eben ab, wir wissen ja, was er gewollt hätte; na gut, manchmal essen wir ihn, aber das hat nichts zu bedeuten, es wäre eine Faser Fleisch zwischen den Zähnen, etwas Wein dazu, mit dem wir die Wahrheit verschütten, sein Blut, macht ja nichts. Wir lieben ihn, wir lieben unseren Nächsten nicht, ihn aber schon. Weil wir müssen. Macht ja nichts. Unser Gott bewirkt, daß wir leben oder nicht, daß wir leben, wo wir wollen, und was andre wollen, das geht uns nichts an. Verlassen sind wir alle, wir allein, die wir nie allein sind, aber wenigstens nicht von Gott. Was wir an Gütern erworben haben, können wir, als Gegenstände, mühelos an Stelle unseres Seins setzen, über das Gott wacht, also über uns selbst. Über andres Eigentum, das sich nicht so leicht erwerben läßt, wacht er nicht. Gott ist unser Haus- und Hofhund, aber wirklich nur unserer. Bellend vertreibt er die anderen, zumindest stellen wir uns das so vor und handeln danach und sind beruhigt. Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten, es schlafen die Menschen in ihren Betten; was wir erbeutet haben, verrechnen wir mit dem, was wir noch nicht haben, aber bekommen wollen, denn es steht uns zu. Das fremde Sein bleibt uns verborgen, und niemand verbietet uns, und niemand verbietet es uns. Es ist eine Glaubenssache, ob jemand hier leben soll, aber was wir sicher wissen, ist, daß Gott hier wohnt, am Kreuze hängt er, zum Kreuze drängt, zu Kreuze kriecht doch alles, bevor es wieder ans Fressen, Saufen und Ficken geht. Das Kreuz ist ein Symbol, deswegen darf es hängen, denn es ist unsere Heim- und Hauskultur, die es verkörpert, und darum darf der geschundene Körper auch drauf hängen, wie sollte sonst etwas verkörpert werden? Und was machen die übrigen Körper, die nicht hängen, nicht liegen, nicht stehen dürfen, jedenfalls nicht bei uns? Die lassen wir auch hängen.

Da sind sie alle: Frauen mit Echsenblicken unter schweren Lidern, hier ist eine Unterschrift, bittesehr, liebe Bevölkerung, sie weist aus. Ein gültiger Ausweis dieses Landes wird nicht ausgestellt, denn wir weisen aus, damit niemand sich mit uns ausweisen kann (nur vor uns, und das wird er sowieso nicht können), niemand sich mit unserem Ausweisen ausweisen kann, und wir schmeißen ihnen auch noch unsere Verachtung nach, die Verachtung von „Rehaugen“, wie die Frau Minister gesagt hat, denn in Sachen Verachtung sind wir sowieso Weltmeister, da macht uns keiner vor, was uns keiner nachmachen könnte; und die pfiffigen Journalisten können gar nicht schnell genug dort sein, wo sie immer schon waren, und wenn sie einmal zurückfinden, dann nur, wie immer, zu sich selbst, als dem Maß aller Dinge. Allerdings, das Maß, das sind hier sie. Ihre Sprache ist nicht einmal ein modernes Verkehrsmittel, diesen Status hat sie noch nicht erreicht, sondern man hört in ihr noch die Peitsche, mit der die erschöpften Tiere vor dem Karren, vor den sie gespannt wurden, auf der letzten, allerdings mühelos erreichten Steigerung noch in den Dreck getrieben werden. Es ist eine Sprache, die es knallen läßt und die nur der Einpeitschung dessen dient, was je schon gewußt und für gut befunden wird.  Wer hält dieses Einpeitschen von Meinungen, die angeblich ständig wechseln, damit die Zeitung weiterhin gekauft wird, die aber immer dieselben sind, immer wieder dieselben, wer hält das aus? Wie sagt der Philosoph? „Die Sprache hat nichts mehr vom Wesen des Wortes, sogar das Unwesen hat sie verloren“. In diesem Fall hat sie verloren, bevor noch ein Wort gesagt worden ist, und was haben wir noch?, wir schauen auf die Auswahl vor uns, da wir nun mal ein Wahlvolk sind, da sehen wir ein zu alldem passendes Set mehr oder weniger blauäugiger Demagogen, die niemals stillstehen können, weil sie ja ihre eigene Sprache, die gar keine ist und nie eine war (deswegen wissen sie wohl selber nicht, was sie da sagen. Sie verstehen sich selbst nicht, weil sie das Koordinatensystem der Zivilisation verlassen haben und sich in der Wildnis jetzt erst recht zurechtfinden, erst jetzt haben sie wieder zurückgefunden dorthin, wohin?, keine Ahnung, aber wir müssen schon einmal dort gewesen sein, denn einen solchen Ort hätten wir nicht erfinden können), einholen müssen, schnell schnell, da vorn rennt sie, die Sprache, die wir im Munde führen und ausspucken, wenn wir den Mund zu voll genommen haben, ausspucken, gerade weil solche Leute, Einpeitscherlbuben, hier wohnhaft und wahnhaft, sie schon einmal im Mund gehabt haben. Aber die Maulhelden und ihre Gläubigen (dabei sind wir alle ihre Gläubiger, die wir ihnen einen Vertrauensvorschuß gezahlt haben, doch diese Schuld werden sie nie anerkennen) sind ja sich selber vorausgeworfen und müssen sich jetzt ständig einholen; Zeitungen, die alles, was ist, sofort für sich vernutzen und dann den Lesern ins Gesicht zurückschmeißen, Lesern, die an nichts interessiert sind als dem schnellen Wechsel dessen, was sowieso nicht Bestand hat, denn was Bestand haben soll, wissen sie ja schon im vorhinein, und zwar auch aus sich selbst heraus, aus dieser einheimischsten aller Zeitungen, die sagt, was Gott sagt: Ich bin, die ich bin, und ich bin die, die ich sein werde, und ich zeige, was aus euch wird; und was sich vor uns, versehen mit einem glänzenden Schein (Models, Filmstars, erfolgreiche Politiker und Großgewerbe-Treiber, welche von dieser Zeitung bestimmt, ja: bestimmt, nicht ausgewählt! und benannt werden), der zwar nur ein Scheinen ist, aber dennoch alles verdeckt, und was sich vor uns aus dem Verborgenen wagt, in das es sich geflüchtet hat, um bleiben zu können, und wäre es mit einer Selbstmorddrohung, der Drohung, sich auszulöschen um bleiben zu dürfen, das treiben wir vor uns her, zurück dorthin, von wo es hergekommen ist. Und die Zeit, etwas in Frage zu stellen, ist vorbei, weil alles nur noch fragwürdig ist. Wir wollen natürlich alle weiterkommen, das ist ja klar, das gehört sich so, aber es gehört sich, daß die, die nicht zu uns gehören, von uns ab sofort, zumindest nach Eintreffen eines Bescheids, eines Ausweisungsbescheids, nicht mehr gekannt werden und weiterwandern müssen. Da wir uns selbst nicht kennen, brauchen wir auch keine anderen zu kennen. Schau an! Dort lugt er noch ein wenig hervor, wo er nicht hingehört, der arme kleine Schein, der ordentlich ausgefüllt, aber nutzlos ist, es ist entschieden besser, Scheine wechseln den Besitzer, ja, das haben wir lieber. Das ist unsere Entscheidung. Aber wenn wir keine Scheine haben, nehmen wir den Ausgestoßenen ihr Scheinen, das brauchen sie jetzt nicht mehr. Das ist es, was da in der Krone gezeigt wird, und manchmal wird es schon vorher angezeigt, der Ausweisungsbeschluß ist unterwegs, aber er ist noch nicht angekommen, vielleicht kommt er grade in diesem Moment an, wir aber haben es schon vorher gewußt, wie diese Zeitung (es wird uns ja auch immer gezeigt, was wir nicht sein können, aber gerne wären, so fesch wie diese Schauspielerin oder diese Nackerte wären wir auch gern und so gut im Haar stehen wie dieser ehemalige Minister, das täten wir auch gern, wenn wir noch ein Haar auf unseren Häuptern hätten, das angeblich nicht verlorengehen kann, ohne daß ER es weiß), und der arme kleine Schein, der Anschein eines Menschen, der schon fast verschwunden ist, geht in seine Verborgenheit wieder zurück, weil er unerwünscht ist wie das dazugehörige Sein selbst.

Die Ausweisung ist also beschlossen, und einmal, einmal (plus ein paar hunderttausend Leser der Krone) weiß ich etwas vorher, bevor es noch bei derjenigen ankommt, die da nun ausgewiesen wird. Das habe ich vorher nicht gewußt, aber die Krone hat es mir heute früh im Radio gesagt, es wurde mir durch die Krone gesagt, denn die Krone persönlich habe ich nicht, meine Sprache habe ich auch verloren. Sie fehlt mir irgendwie schon, aber ich bin sprachlos (naja, dafür rede ich ganz schön viel!), ihr Ursprung, der Umgang von Menschen mit andren Menschen, ist verloren, die Worte sind verschüttet, was aus dem Glas geronnen ist, kann man nicht mehr einfangen, aber diejenigen, die sprechen können, Menschen, die kann man dafür schon einfangen. Und wegschaffen. Die Tage haben keine Täglichkeiten mehr, die Worte zerstören können, sie haben nur noch Tätlichkeiten übrig. Und Arigona Zogaj wird verschwinden müssen. Sie wird weg sein wie Wasser, das ausgeschüttet wurde. So wie sie ist, wird sie nicht mehr zurück können. So wie es ausschaut, wird sie nicht mehr zurückkommen. 

12.11.2009

 

 


Die Ausweisung © 2009 Elfriede Jelinek

 

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