Mini-Hugenberg

Die kartellisierte Mediensituation in Österreich ist inzwischen vielleicht über die Grenzen dieses Landes hinaus bekannt. Noch einmal hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang auf das Monopol der “Kronenzeitung”, die, gemessen an der Bevölkerungszahl des Landes, die auflagenstärkste Zeitung der Welt ist (beinahe die Hälfte der Bevölkerung liest sie). Wahrscheinlich haben Sie auch beobachtet, wie der Herausgeber dieser Zeitung, Hans Dichand, in den letzten Wochen seine marktbeherrschende Situation permanent mißbraucht und, seiner angeblichen "Überparteilichkeit" spottend,  anläßlich des von der rechtspopulistischen FPÖ initiierten sogenannten "Temelin-Volksbegehrens" die Macht seines Mopols dafür eingesetzt hat, eine rechtsextreme politische Partei im eigenen Land zu stärken (auch: sie vor möglichen Abspaltungstendenzen zu einigen, damit sie wieder geschlossen hinter ihrem "Führer" Jörg Haider steht) und eine beispiellose Hetze gegen das Nachbarland (den EU-Beitrittswerber) Tschechien anzufangen. Diese "Zeitung" (ich setze das unter Anführungszeichen, denn sie ist keine, sie ist bestenfalls eine Agentur zur Pflege des gesunden Volksempfindens, aber inzwischen ist sie eben mehr als das, sie ist ein politisches Instrument in der Hand der Rechtsextremen) brüstet sich inzwischen auch ganz ungeniert, ohne ihre Initiative wäre dieses Volksbegehren, das die Angst der BürgerInnen vor Atomkraft ausgenützt hat, in Wahrheit aber dem Revanchismus gegenüber der tschechischen Republik Raum und Plattform geben sollte (und damit auch erfolgreich war), wohl nicht annährend so erfolgreich geworden. Mehr als 500 000 Unterstützer hätte es wohl nicht gehabt. Etliche der prominenten (und, wie sich gezeigt hat,  nicht so ganz willigen) Unterstützerinnen und Unterstützer gehen jetzt wohl vor den Presserat, weil sie, unter Verletzung ihrer Personenschutzrechte, als Werber für diese Kampagne mißbraucht wurden, manche sogar ohne überhaupt berechtigt zu sein, an dem Volksbegehren teilzunehmen.  Hier macht sich, wie gesagt, eine angeblich unabhängige und überparteiliche Zeitung zum Werkzeug der Entdemokratisierung, der Volksverhetzung und der Hetze gegenüber einem Nachbarland. Diese Zeitung hat eine für die Demokratie ungesunde Macht, das steht nicht nur für mich fest. Sie kann Regierungen schwächen und in die Defensive treiben, sie kann in demagogischer Weise dazu beitragen, die EU-Erweiterung zu torpedieren, kurz,  "die Grenze zwischen publizistischer und politischer Macht ist in österreich definitiv überschritten" (der österr. Politikforscher Fritz Plasser)

Hälfteeigner dieser Kronenzeitung ist bekanntlich die deutsche WAZ.  Diese für viele Österreicherinnen und Österreicher unerträgliche Situation wird also zur Hälfte von einem deutschen Hälfteeigner (Erich Schumann) mitgetragen. Indirekt wird das ganze also auch von deutschem Geld mitfinanziert. Für mich persönlich, und natürlich nicht nur für mich, ist diese Situation inzwischen unhaltbar und unerträglich geworden. Da jahrelanges Anschreiben gegen diese Zustände, da die Arbeit vieler kritischer KünstlerInnen und JournalistInnen nichts geholfen hat, wende ich mich an Sie mit der Frage, ob es nicht möglich wäre, dieses Thema in Deutschland, das demkratiepolitisch sensibler ist als Österreich (was historische Ursachen hat, Österreich wurde von den Alliierten ja nie gezwungen, eine vielfältige Presse- und Medienlandschaft aufzubauen), in irgendeiner Form zur Sprache und zur Diskussion zu bringen, vielleicht indem man Erich Schumann als Mitschuldigen an dieser demokratiebeschädigenden Situation in Österreich vor den deutschen Presserat bringt.  Da ich die deutsche Situation nicht kenne, fallen mir dazu leider nur wenige Möglichkeiten ein.  Es läge mir sehr viel daran, Sie für dieses Anliegen in irgendeiner Form zu gewinnen. Die Mediensituation in unserem Land wird wirklich langsam unerträglich, und es geht nicht an, daß ein mächtiger, wenn auch schon greiser Zeitungsherausgeber sich (mithilfe deutschen Kapitals) zu einem Mini-Hugenberg aufschwingt und die Politik des Landes (und auch noch die Außenpolitik mit dazu) in großen Teilen mitbestimmt.

 

Alfred Hugenberg (1865-1951)

 

Aus einen Brief an Bündnis 90/Die Grünen, Berlin, Anfang 2002

Siehe auch "Dem Faß die Krone aufsetzen"


Mini-Hugenberg © 2002 Elfriede Jelinek

 

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