KEIN LICHT

 

A: He, ich hör deine Stimme kaum, kannst du da nicht was machen? Kannst du sie nicht lauter tönen lassen? Ich möchte mich selbst nicht hören, du mußt mich irgendwie übertönen. Dabei glaube ich schon längere Zeit, daß ich auch mich nicht hören kann, obwohl ich das Ohr direkt am Schaltpult habe, wo ich versuche, sie zu greifen, die Töne. Diese freundschaftliche Wohltat wirst du mir doch erweisen können! Stärker streichen, das kann doch nicht so schwer sein. Da ist nur dieses Gebrüll, ich weiß nicht, von einer Tierfabrik? Ausfall einer Anlage? Wenn die Anlage ausgefallen ist, wieso schreien die dann so? Bei voller Kraft abgewürgt? Automatisch abgeschaltet? Aber das heißt ja nicht, daß alles still ist. Die Kräfte, die nicht verschwinden können, weil nie etwas verschwindet, schreien noch im Magen des Ungeheuers wie Zikaden, noch lang nachdem sie schon gefressen sind, in den Mägen von Katzen.

B: Kein Wunder, wenn du so atemlos bist, daß schon dein Schnaufen den Ton übertönt, den du erjagen willst. Dieses Tier treibst du in die Flucht! Da rennst du hinter deinen Tönen her, aber es sind meine. Du rennst den falschen Weg! Wie sollte ein Ausstieg je möglich sein? Das ist ein Hohlweg, aus dem nichts herausführt, die Wände sind meterhoch, steil und glatt, und unten leuchten die Lachen in ihrem eigenen schönen Licht, das aber wir, wir allein, auf sie geworfen haben. Wir hoffen wohl, daß das ein gutes Licht auch auf uns wirft. Aber Licht, Strahlen, Wärme kann man nicht hören. Was ist das für ein Fauchen? Energie wird uns geraubt! Die Toten strahlen, sie sind nicht ansprechend und nicht ansprechbar. Ich verleihe dir meine Töne, damit du deine nicht hören mußt. Das ist es doch, was du willst. Daß jemand im letzten Moment eingreift und deine Töne von dir wegzerrt. Deine Töne verlaufen nicht so, wie du möchtest? Glaubst du, daß meine es schaffen durchzudringen? Ich spiele doch nur die zweite Geige, ich begleite dich, sehe aber noch nicht, wohin, dafür gehe ich umso fleißiger und schneller. Dahin. Aber ich bin nicht dein Treiber, also ich meine nicht die Hardware, den Bustreiber, ich meine so einen eher weichherzigen Treiber, wie nicht jagbare Tiere ihn haben. Den sie für ihren Hirten halten. Ist er aber nicht. Der geht in die Häuser und macht ihnen Feuer unterm Hintern. Das nenne ich Energie! Und die anderen nennen es auch so.

A: Ich hätte auch gern eine Vertreibungsmaschine. Meine Stimme hab ich noch kaum gehört, schon will ich nur noch deine hören, damit sie mich von meiner fernhält. Jetzt schreien alle, und niemand hört mehr irgendwas. Vielleicht kann sich deine irgendwie dazwischenschieben? Bei meiner hab ich immer das Gefühl, daß mir ein Fremdkörper hineingeraten ist. Das ist wie mit den Tränen, ja, genau! Man weint über traurige Dinge, zum Beispiel wenn jemand gestorben ist. Noch mehr weint man, wenn einem ein Staubkorn ins Auge geraten ist. Das ist dann aber ein unwillkürliches Weinen, ohne Trauer, ohne Verzweiflung. Ein Weinen, das etwas aus dem Auge vertreibt, das dort nicht hingehört. Könnte man das nicht auch mit meinen Tönen machen? Ich tue ja gar nichts, ich höre mich nicht einmal selbst, doch im Publikum weinen sie jetzt ebenfalls alle, weil ich ihnen Sand in die Augen, aber auch in die Ohren!, gestreut habe. Dabei sind sie unter schmetternder Sonne im Sand gelegen und haben das Meer beobachtet, das golden schimmernde, aber vom Abendrot schimmert das nicht! Etwas ist anders. Nicht viele solche Tage sind bisher auf die Welt gebracht worden, doch dieser Tag schreit besonders laut, kommt mir vor. Jedenfalls lauter als wir, die man gar nicht hört.

B: Alle, die auf ihren Ohren sitzen, mögen jetzt aufstehen bitte, für eine Überschlagsrechnung! Jetzt ist der Zeitpunkt, die Töne auch aus dem Kopf zu vertreiben. Das wäre gut. Die Töne mögen jetzt ihre Häuser verlassen, weil wir sonst für ihre Nahrung und Sicherheit nicht mehr garantieren können. Niemand wollte hören, jetzt müssen sie. Das Fremde in der Wiege, das da zu fauchen begonnen hat wie das Höllenfeuer, noch so klein, aber es wird alles haben wollen, was wiederum wir nicht behalten wollen, obwohl wir es hätten wissen können: Dieses neu entstehende Fremde muß vertrieben werden, doch unser Vertrieb zeigt deutliche Schwächen. Wie kriegen wir das ins Meer und dann aus dem Meer wieder heraus? Rein, raus, rein, raus. Klänge sind ja unsichtbar. Aber auch was man sieht und hört, sind die Werte, die neuerdings immer erhöht sind, und sie steigen noch, wie sollen wir da je raufkommen? Wenn die Werte so steigen, werden wir sie noch verlieren. Es sind nicht unsere, aber sie werden zwangsweise unsere sein. Na ja, das Fremde war schon immer unter uns, es hat uns gewärmt: Krieg, dafür mußte keine Frau eigens geraubt werden. Nein, gebären muß sie auch nicht. Ohne Glied dahinschwanken, mehr wird nicht verlangt.

A: Ja, genau, wenn man natürlich auf den Ohren sitzt, dann kann man die Töne nur schwer daraus vertreiben. Dann stören einen diese Fremdkörper in den Ohren ganz entsetzlich. Aus dem Aug stürzt die Flut, aus den Ohren die Überschwemmung mit ihren ganz eigenen Klängen, alles prallt dann ungehindert aufs Festland, das ja kein Hindernis ist. Für nichts und niemanden. Es ist, als gäbe es nichts Festes mehr. Da treiben tausende Menschen, die sich in Gefahr gebracht haben, oder nein, ich glaube, die Gefahr hat sie vollkommen zum Verschwinden gebracht. Das bringt doch nichts! Ich höre nichts. Es ist zu laut. Ich will nicht, daß meine Ohren auch noch mit dabei sind! Bei diesem Lärm! Das ist eine entsetzliche Überreizung. Dabei würde dieses Strahlen, diese beinahe unwillkürlich erzeugte Wärme, nichts als eine Nebenwirkung, wir beachten sie gar nicht!, schon genügen. Die Ohren sind jetzt böse, sie sind selbst verstimmt, die wollen die Töne nicht. Rührung? Von wegen. Eine Reizung ist es wie die vom Staubkorn im Auge. Da heult man mehr, als wenn einem die Mutter gestorben ist. Und wie ist das dann mit dem Lachen, dem umgekehrten Vorgang? Wenn seine Attacken nicht neutralisiert werden, dann schüttelt es uns unwillkürlich, wie vor Ekel, grausam! Wir würden nicht lachen, hätten wir nicht innerlich das Gefühl, das, was uns lachen macht, jederzeit wieder verjagen zu können, diese Bedrohung in einen Scherz verwandelt haben zu können. Manche Schauspieler lachen ja, wenn sie weinen sollen. Das ist für sie kein Unterschied. Sie können es nicht auseinanderhalten, wenn sie es beruflich machen müssen, so wie das Meer sein Bett und das Land manchmal nicht mehr auseinanderhalten kann.

B: Die Natur müßte auch nicht immer so übertrieben reagieren, finde ich, also die ist schon auch selber schuld, das kann ich ihr nicht abnehmen. Mir hat sie die zweite Geige zugewiesen, auch die ist allerdings nicht laut genug, daß man sie durch dieses Wasser wenigstens gedämpft noch hören könnte. Dabei sollte das Wasser ursprünglich nur kühlen und uns damit eine kleine Freude machen. Sonst hat es keine Aufgabe. Den Rest der Zeit kann es sich dem Vergnügen widmen. Es soll bereits Aufgegebenes kühlen, doch wie lang das gedauert hat, bis es seine Aufgabe aufgegeben hat! Sollte noch arbeiten, da sollte noch was in Betrieb gehen. Jetzt nicht mehr. Auch mein Instrument steht seit längerem still, obwohl ich spiele wie verrückt, aber irgendwo spiegeln sich die Töne noch. Das müssen sie, die Natur verliert ja nichts. Irgendwo müssen sie einfach sein, obwohl diese Melodie, die du spielst, nicht einfach ist. Ich schmiege mich an dich, doch du merkst es gar nicht. Wasser, durch das Worte geführt werden, von einem Wort-Fremdenführer, hingeführt zum Lebendigen, dem man danach nicht mehr ansieht, was passiert ist. Lebendiges, geh deinen Weg! Klänge. Klagen. Ich höre sie. Hörst du deine nicht? Wieso?

A: Nur meine Meinung. Etwas Unhörbares begleitet mich. Nicht zu verwechseln mit dem Unerhörten! Es sollte lauter sein. Ich höre also auf einmal etwas Unhörbares: Das bin ich ja selber! Ich bin die erste Stimme, die von dir begleitet wird. Alle weiteren Stimmen außer meiner, da können sie so laut schreien, wie sie wollen, wären nur Begleitung. Ja, auch du! Alle begleiten etwas, das sich selbst nicht hört, aber auch sonst keiner. Das geht alles so lautlos vor sich, gerade weil es so laut ist. Schon die zweite Stimme höre ich nicht, ich höre nur mich, ich bin mir selbst ein Stück nähergerückt. Ich will aber nicht. Oder bist es du, den ich nicht höre? Was klingt da, das ich nicht hören kann? Ich kann es nicht sein? Ich höre nur die Begleitung nicht, ich höre nur dich nicht.

B: Aber plötzlich kannst du sie hören, wenn auch bloß in der Sprache der Schreckensmeldungen. Für die brauchen wir einen Dolmetsch. Hast du Töne! Hast du noch mehr Töne? Die würden auch nichts mehr ändern. Das ist alles so grauenhaft. Ich spiele da meine Stimme, höre sie aber nicht, ich höre nur deine. Was sagt sie? Und was sagst du? Du hörst dafür meine nicht? Was sagt dieser Hirt, meine Stimme, der ich folge, als wär ich mein eigenes Weidetier? Au, wieso schlägt sie mich? Was ruft sie mir in meinen Wald hinein? Was kommt mir zurück? Wieso höre ich nur dich mit deinen kurzlebigen Spaltprodukten, Halbwertszeit unter der Hörigkeitsgrenze? Was ich höre, ist schon die nächste Stimme, weil die erste bereits zerfallen ist. Du sagst mir nicht, wer sie gespalten hat. Niemand sagt mir was. Ich höre mich nicht mehr, ich höre nichts mehr, Hilfe! Wer sagt etwas?

A: Soll ich leiser spielen? Soll ich mich vielleicht etwas zurücknehmen? Mir ist das egal, ich höre es sowieso nicht. Also wenn ich nur dich hörte und du nur mich, wer, wenn ich schriee, hörte mich sonst?, das habe ich schon oft gesagt, und vor mir hat es ein anderer gesagt, also, wer hört überhaupt etwas, das nicht bloß diffuser Lärm ist? Du bist es nicht, ich bin es auch nicht. Dann spielen wir beide vielleicht gar nicht. Kann sein. Wozu arbeiten wir dann überhaupt? Was ist es, das wir nicht als Töne hören, sondern als etwas anderes? Sind es Nothelfer? Kommen da etwa Helfer gegen das Meer? Gegen das Land? Gegen das Geschrei, das auf einen Lockruf folgte, den wir aber auch nicht gehört haben? Rufen wir beide in den Wald hinein, weil uns nichts zurückkommt? Wer erforscht unseren unsichtbar-kunstreichen Klang? Wer kommt, wenn wir schreien? Wer kommt überhaupt, egal, was wir tun?

B: Die Physiker, nein, die Physiologen sagen, daß die Tränen die Augen irgendwie so schmieren. Oder nicht? Die Tränen als Schmiergelder für die Augen, damit die funktionieren? Ob es sowas für unsere Ohren auch gibt? Ich meine ja nur ... In den Ohren ist doch auch sowas, das unser Sprechen, unser Spielen und unser Schreien verschlingt. Da muß etwas sein! Zog es hier lang? Ja, es zog hier lang, aber es zog irrtümlich an mir, was auch immer. Was geschieht dort? Ich höre nichts.

A: Also. Also. Also. Da bin ich nun die erste Geige, und was bringt es mir? Was bringt mir das Schatzhaus in mir? Ein Schutzhaus wär mir jetzt lieber. Keine Beherrschung, von gar nichts. Es schwappt alles über. Diese Zahlen glaube ich nicht. Das muß ein Tippfehler sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Mein Ton vorhin hatte eine Halbwertszeit von etwa 50 Minuten, also müßte ich ihn ja noch hören, sogar in einer halben Stunde müßte ich ihn immer noch hören. Es müßte immer noch anhalten, daß ich meinen Ton gespielt habe. Aber was ist mit den andren Tönen? Zerfallen die auch schon nach, nein, vor, nein, nach 50 Minuten? Heißt das 50 Minuten, bevor sie überhaupt gespielt wurden? Läuft der Schall rückwärts? Also meine Töne kannst du nur finden, solang mein Tonerzeugungs-Reaktor noch läuft, solang meine Turbinen noch laufen auf ihren Schleichwegen, wo sie keiner sieht und mit denen das Unhörbare hörbar wird und endlich kommt, aber die Schöpfer, die Reaktoren, also die Reagierer, denn Schöpfer gibts keine, nur Reagierer auf etwas, das man nicht sieht, Reaktoren, die ja nicht Schöpfer sind, sondern eben auf etwas reagieren, das sagt schon der Name, egal, die habe ich bereits vor Tagen abgeschaltet. Nein, die müssen sich von selbst abgeschaltet haben. Wieso ist dann nicht endlich Ruhe? Oder ist das schon Teil der Ruhe, daß wir uns und einander nicht hören? Wieso hörst du dann noch was? Ach so, nein, du hörst ja gar nichts. Wieso wieso wieso? Hat man uns dabehalten, aber wieso? Ich verstehe nichts. Du hörst nichts, ich verstehe nichts. Danke.

B: Ich bin ja nur die zweite Geige, aber die kann gar nichts machen, wenn sie den Heroldsruf der ersten nicht vernimmt, der sie aufweckt: Fünf Takte nach Ziffer C, mit Auftakt, die Streicher allein bitte. Ich bin die Begleitung, aber von welchem Ereignis? Denn ein Ereignis bist du nicht! Du bist das Ergebnis von einem Ereignis, das eine hohle Wölbung erzeugt hat, die den Klang speichert, aber aus den Ritzen dringt nichts. Die Ereignisse kommen immer von außerhalb und decken uns zu. Willst du mir nicht doch endlich die Wohltat deiner Töne erweisen?

A: Ich spiele ja schon die ganze Zeit, die man Endlichkeit nennt, nur kommt endlich gar nichts! Wieso spiele ich, und keiner hört mich? Wieso höre ich dich nicht? Immer nur dieses Schreien. Was haben die Schönes gesehen, daß sie so schreien, oder Schreckliches? Wer schreit da überhaupt? Ich kenne mich nicht mehr aus. Wenigstens du, meine Begleitung, solltest mich doch eigentlich hören! Du solltest dich nach mir richten müssen. Auf daß du nicht gerichtet werdest! Und wäre es auf Schleichwegen, auf denen ich mein Körperhaus in Sicherheit bringe. Ja, ich bin der, der auf dem Balkon steht und winkt. Ich bin der Hund auf dem Hausdach, der nach fünf Tagen gerettet wird. Ich bin nicht das Pferd, das, abgemagert bis zu den Rippen, auf der Weide, wo es immer so schön war, verhungert. Deine Stimme könnte sich zum Beispiel jetzt ungehindert in mich einschleichen, ohne daß es jemand merkt. Alles ist schon voll mit deiner Stimme, und keiner merkt es. Alles ist schon voll mit meiner Stimme, und das merkt auch keiner. Als würde ein Geist unsere Wagen lenken. Als würde ein Geist unsere Heizungen antreiben. Als würde ein Geist unsere Geräte einschalten. Als würde ein Geist Befehle geben, aber niemand mehr da, sie zu befolgen. Als wären wir selber Geister.

B: Na ja, man kann so oder so weinen. Und wenn nur ein Fremdkörper, klein wie das Korn für die Kimme, die auf uns zielt, ins Auge geriete, die Tränen würden herausstürzen, in Sturzbächen, reißender als alles, was auf ein schreckliches Ereignis herausgegeben würde, in immer kleinerer Münze, nachdem das Große verlorengegangen wäre. Bis das Ereignis fort ist, zu oft gewechselt, niemand macht sich mehr die Mühe zu zählen. Die Tränen haben die Aufgabe, den Fremdling, den man gar nicht sieht, zu verjagen. Dieses Geheul! Und alles nur, um jemand zu vertreiben! Der ohnedies unsichtbar ist. Warum sich die Mühe überhaupt machen? Jemand zu vertreiben, der auf heimlichen Sohlen gekommen und wieder fortgeschlichen ist. Aber irgendwas bleibt von ihm übrig. Da ist was, merkst du das nicht?

A: Ja, da ist was, jetzt merke ich es auch. Aber nicht das, was du spielst. Denn das höre ich nicht. Ich muß unbegleitet spielen. Dafür hörst auch du mich nicht. Ich wittere mit der Nase in der Luft. Nichts zu riechen, nichts zu hören, nichts. Aber da ist etwas. Da muß etwas sein. Die Flüchtenden verrecken, die Lebenden verrechnen sich und werden dann verrückt. Der Pfleger ist dann mit Windeln beschäftigt, weil wir alles unter uns lassen, wir lassen alles, nur sein lassen können wir es nicht. Wir können es nicht hindern, woran auch immer.

B: Da muß etwas in großer Menge austreten gehen, aber wir merken nicht, wohin es sein Wasser abschlägt. Das Wasser ist allerdings da, kein Zweifel. Oder was das halt ist, das da gekommen ist. Was tritt da aus, um Gottes willen? Es ist etwas, das erst bei sehr hohen Temperaturen verdampft, wie man sagt, es geht aber vorher noch durch uns hindurch und in die Erde und in das Wasser und in die Luft. Was was was? Fußstapfen von unsichtbaren Tieren, von Herden, die über uns hinweggerannt sind? Wie benehmen wir uns denn? Wieso beugen wir uns zu Boden nieder, wenn wir jagen, bleiben gleich liegen? Nicht einmal den Luftzug spürt man, aber man wird ihn noch spüren, da können wir Verlassenen uns drauf verlassen. Will alles dorthin, wohin unsere Töne uns vorausgespurt haben, doch wir treten aus der Spur immer wieder heraus, wozu dann die Spur vor uns überhaupt, wenn wir doch immer wieder seitlich ins Gebüsch plumpsen? Dann müssen wir wieder einsteigen und ihnen nach, ihnen nachspüren, sie zur Melodie notfalls zwingen. Bis wir nichts mehr spüren. Irgendwo müssen die doch sein, die guten Töne! Wenn wir uns nicht hören, hört sie vielleicht jemand andrer, nein, es muß sie jemand andrer hören! Unbedingt! Zweibeinig hockend die Menschen hinter Bäumen, am Abschlag, beim Abschlagen, ihre Nasen wittern in die Luft, schnüffeln nach einander, ob da was ist, was noch genießbar wäre. Doch geruchlos, geschmacklos und wasserdicht wie unsere Kleidung sind wir. Davor und danach. Man merkt keinen Unterschied. Können nicht einmal Rauch von Dampf unterscheiden, das eine schwarz, das andre weiß, doch es macht keinen Unterschied mehr. Sie hören nicht, sie sehen nichts, sie säen nicht, sie sägen nicht, doch sie wissen, da ist was. Da ist was. Dort, wo unsere Töne hingeflohen sind, dort muß etwas sein. Was schweigen wir? Haben wir nicht recht gehabt? Und was hat es uns genützt? Nichts. Wir haben nichts zu bestimmen, denn wir bleiben ja nicht. Es ist etwas anderes, das bleibt. Das ist was anderes! Wenn wir hätten bestimmen können, dann hätten wir nicht, was wir jetzt haben. Wir hätten nichts, aber das Nichts hätten wir dann auch nicht. Auf Zuruf hin haben wir uns etwas angeschafft, das uns jetzt alle fortschafft. Wie könnten wir über die, die nach uns kommen, bestimmen? Aber vielleicht kommen jetzt nach uns gar keine mehr? Dabei hatten wir soviel Zeit! Ich könnte weinen, wenn ich mir überlege, wieviel Zeit wir einmal hatten, leider jedesmal nur ein Mal. Und dann ab sofort keine mehr. Jetzt würden wir unser Haus dreingeben, könnten wir die Zeit zurückholen, das Trampeln von fern, die giftige Luft, das Geschrei von Ertrinkenden, den Gestank von Angebranntem, all das würden wir hergeben, nur um es noch einmal erleben zu können, denn dann wären wir auch noch am Leben, für den Bruchteil einer Sekunde, den die Zeit rückwärts liefe. Doch man läßt uns nicht, man nimmt uns auch das aus der Hand. Wir würden alles hergeben, dabei ist es uns schon genommen, wie die Zeit es so macht. Vor Angst Verrückte irren herum, schrecklich krank im Verstand, aber wir spielen. Wir spielen. Was geschehen ist, wird man uns schon sagen, aber wir werden auch das nicht hören. Wir werden selber die Begründung sein, denn wir werden nicht hören, was wir begründet haben. Leider hören wir eben auch unser Spiel nicht, vielleicht ist das gar kein Spiel? Sonst hätten wir doch noch Spielraum, wenn es eins wäre. Den hätte man uns doch gegeben, oder? Dort würde man uns garantiert hören, oder?

A: Als erste Geige nehme ich die Suche auf, das ist wohl meine Aufgabe. Da muß man gut aufpassen, sonst verpaßt man es, die Abzweigung, das Solo, die Kadenz, die letzte Wiederholung am Schluß, was auch immer, das erzeugt und sofort nach innen gelockt wurde. Damit wir es dann für uns behalten können? Wozu hat das Geräusch sich dann die Zeit genommen, uns zu erschrecken? Aber wir haben ja Zeit. Halt! Man sagt mir gerade, wir hätten keine Zeit mehr, höchstens ein paar Millisekunden. Das kann nicht stimmen. Ich spiele ja noch, und vorher habe ich gestimmt, wie immer. Es muß also stimmen! Dein zweiter Ton hat viel lauter geklungen als der erste, wenn man nachsichtig ist, hat auch er noch gestimmt, aber danach hab ich nichts mehr gehört, gar nichts mehr. Nur die beiden. Haben sie sich verschränkt, oder wurden sie gar verschlungen? Wurden sie in einen Überlagerungszustand gebracht, wenn auch nur einige Dutzend Millisekunden lang? Steht der Zustand meines Tons in der Luft schon fest? Schon so fest, daß du ihn aufgreifen kannst? Können wir unsere Töne (oder hat das ein andrer bereits getan?) in einen schönen Überlagerungszustand bringen, daß man ihre Überlagerung, ihre wurmartigen Wassertriebe, ihr Auswachsen, ihr Faulen gar nicht merkt? Wäre doch schön, wenn sie sich endlich wieder anmutig ineinander verschränkten wie die Arme von Unbeschäftigten, nein, unmutig wie die von Beschäftigungslosen, die sowieso nichts andres zu tun haben als fernzusehen oder Musik zu hören. Solche Menschen reagieren jedoch, wie alles, was sie an Flüssigem wie Überflüssigem hervorgebracht haben, besonders, sogar ganz besonders empfindlich auf Störungen. Ich fühle, die Verschränkungen werden sofort wieder zerstört werden, unsere Musik, unser Zusammenklingen, das immer unweigerlich als ein Abklingen im Abklingbecken, äh, im Abkühlbecken zu enden scheint. Ein Klingen, das immer gleichzeitig ein Verklingen ist. Genau, so muß es sein: Je mehr Töne, umso größer die Sensibilität für Störungen. Und inzwischen scheinen wir beide eine einzige Störung geworden zu sein, wieso?, sogar die Sonne scheint jetzt auch wieder! Der ist es egal. In der Zwischenzeit hat jemand, was geschehen ist, uns kundgetan. Wieso sollte das beim Spielen einen Unterschied machen, wenn wir wissen, wer, warum und wohin? Egal, ich höre dich nicht mehr. Vielleicht hat die Erde uns übertönt mit ihrem gotterfüllten Klangspiel? Nicht einmal ein Wort rührt uns an. Vielleicht ist die Zeit über uns hinweggeeilt? Ich kann dieses Wort nicht finden, das uns hätte rühren sollen und das jetzt die Erde berührt, doch die Berührung reicht ihr nicht, sie will küssen, sie will eindringen, ich könnte das Wort nicht richtig schreiben, was sie will, nicht einmal, wenn es mir einfiele. Ich kann es nicht sagen. Und wenn ich es ausspreche, hört mich keiner, weil die Zeit mich mir selbst aus dem Mund genommen hat. Sie hat mir das Wort aus dem Mund genommen, weil sie sagen wollte, was ich noch gar nicht gewußt haben konnte. Musik ist Zeit, und die haben wir nicht mehr. Vielleicht ist es das? Vielleicht läßt jemand unter der Erde, die schwingt wie eine Glocke, dieses prachtvolle Klangspiel ertönen? Nur der Gott wäre längst weg. Die Erde schweigt sich aus und schwingt aus, als wollte sie sich selbst ohne Grund in ihre eigenen Furchen säen, die sie zuvor mühevoll aufgerissen hat. Diese Furchen haben keinen Grund mehr und liefern auch keinen. Ein Lockruf ertönt irgendwo, der den Tierlaut nachmacht. Irgendein Vieh sollte jetzt eigentlich auftreten. Wir hören nichts, wir haben nichts davon. Wir können uns davon keine Scheibe abschneiden. Nicht einmal die Tiere lauschen noch auf irgendwas, ob Freund oder Freßfeind. Wahrscheinlich, völlig neue Theorie: hören wir einander und wissen es bloß nicht und glauben daher, daß wir deshalb auch uns selbst nicht mehr hören? Die Musik ist abgelaufen, jetzt laufen wir selbst, doch wohin? Unsere Töne haben nicht uns begleitet, wen dann? Obwohl wir sie erzeugt hatten, wollten sie nur von uns fort. Aber irgendwo staunen sie, nein, stauen sie sich jetzt, mit ihren Hufen andre Furchen ziehend, die auch für nichts gut sind, ja, irgendwo müssen sie ihre sehr lange biologische Halbwertszeit ja ausleben. So ein Tierfell wäre jetzt fein. Könnte Bedrohung und Gewalt vielleicht besser abfedern, nein, Federn wäre noch besser, ein Vogel vielleicht, der könnte einfach darüber hinfliegen. Schaut beim Vogel alles ganz einfach aus, doch wir könntens nicht. Wo und wer auch immer, wir werden es nicht gewesen, nicht dort und nicht dabei sein.

B: Da wir nichts hören, auch die Schreienden, auch die Schutzflehenden nicht, können die noch nicht darangegangen sein, sie können es noch nicht in Angriff genommen haben, diese Halbwertszeit, entweder von vorne nach hinten, oder von hinten nach vorn, zu erreichen. Wenn Musik Zeit ist, dann ist jetzt Halbzeit, nur sagt sie uns keiner an, sie steht auf keiner Tafel, und keiner schickt uns vom Feld, nein, die Halbwertszeit steht da nicht angeschrieben, doch wir hören ja nicht einmal die halben Töne, nicht zu verwechseln mit den Halbtönen!, die wir erzeugen. Und unsere Viertel-, unsere Achtelnoten: Was sollen die denn dann machen? Die kommen nicht mehr zurecht, wohin auch immer. Im Vergleich zur Halbwertszeit ist unsere Zeit überhaupt nichts wert. Ja, vielleicht hören wir deshalb nichts mehr, weil die Halbwertszeit uns halben Portionen schon weit in die Zukunft vorausgeeilt ist? Und weiter? Vielleicht ist unsere Zukunft irgendwohin versetzt worden, weil sie aufgrund törichter Worte, wahrscheinlich sogar nur eines Wortes zuviel, nicht versetzt worden ist. So hat man sie vielleicht zurückgestuft, im Rang zurückgestuft zu einer schlichten Auskunft: Bitte fahren da heute noch Züge? Fährt da heute überhaupt noch was? Ich steh hier seit vier Stunden wie angenagelt, aber da fährt nichts. Wieso verfährt man so mit uns? Na, der Zug kann sich ja nicht verfahren, der läuft auf seinen Schienen, also müssen wir das tun, ein neues Verfahren finden, und bevor wir uns noch einmal verfahren können, verfährt man in dieser Weise mit uns, die wir doch nicht mehr spielen, das heißt, spielen tun wir, aber wir hören einander nicht, bitte, vielleicht hören uns ja andere, hallo!, soll das etwa eine Züchtigung sein, die da verhängt wurde? Also dafür hätten Sie nicht gleich das ganze Meer schicken müssen, wer immer Sie sind. Das war zuviel des Guten. Hör mal: Wie lang hast du die halbe Note vorhin ausgehalten? Das hältst du ja nie aus, wie lang du diese Note aushalten mußt, und das ist nur eine halbe Note! Eine ganze Note läge (irgendwann ist der Bogen halt zu Ende!) außerhalb unserer Reichweite, deiner wie meiner. Und genau das ist passiert! Eine ganze schlechte Note, eine ganz schlechte Note. Unser Leben erreicht schon seine Halbwertszeit nicht. Das ist alles weit in der Ferne, alle Zeichen weisen darauf hin, daß man unsere Töne, die uns weit vorausgeeilt sind, bevor wir noch unsere besseren Saiten berühren konnten, diese Darmstränge, Darmschlingen, na, die besten Seiten des Schafs halt, daß man die also nirgends hören kann. Und bevor man die irgendwo hören muß, springen sie freiwillig von der Klippe, in Schande, weil sie für nichts gut sind, diese mutlosen Töne, die sich selbst im Weg gestanden sind, bevor sie überhaupt abreisen konnten. Oder sie lassen sich freiwillig ersäufen, nein, reiselustig sind sie nicht. Kann man nicht von ihnen behaupten. Und sie selbst können sich gegen nichts und niemand behaupten. Wir haben auch keine Rückmeldung aus einem anderen Reich der anderen Zeichen erhalten, wo man diese anderen Zeichen auch nicht erkannt hat, die besagen, daß man unsere Töne vielleicht dort einvernehmen kann, aber nur kurzfristig, und wäre es in einem transportablen Gerät, in diesem transportablen Verhörzimmer da, nein, dort, in das die Töne transportiert worden wären, weil man sie dort benötigt, aber nur kurzfristig, dort könnte man sie hören, wäre man selbst transportabler, denn der MP3-Player ist logischerweise immer dort, wo auch wir sind. Der geht von allein nicht weg. Doch vielleicht sind es dann zuviele Zeichen für den einen kleinen Ort, oder die Töne haben schon die Wegweiser mit den Zeichen nicht gefunden, die sie ohnedies nicht selbständig lesen könnten, unsere Töne, die müßten sich ja selber lesen, Früchte von einem unsichtbaren Stock, nein, ich bin sicher: Nicht nur wir hören sie nicht. Und wir können Noten lesen, wir können Töne kontrollieren, durch unsere Endabnahme müssen sie durch! Niemand hört uns. Wir haben den Bogen angesetzt, wir haben gestrichen, wir haben auf- und abgestrichen, aber die Natur hat uns ausgestrichen, bevor irgend jemand noch was gehört hat. Unerhört! Wir haben sie erzeugt, die Töne, doch wir hören sie nicht. Wir glauben, aus allen Anzeichen herauslesen zu können, daß sie auch sonst niemand hört. Die Natur hat uns vom Feld genommen, die hat sich gedacht, diese wilde Brut nähre ich nicht mehr! Darauf läufts offenbar hinaus.

A: Auf irgendwas läuft es immer hinaus, findet aber den Ausgang nicht mehr. Irgendwo läuft es aus. Es läuft sich aus, es stockt, es verstummt, obwohl wir gespielt haben, obwohl wir uns so lang gespielt haben, hören wir einander nicht. Du mich nicht, ich dich nicht. Schau doch nur! Hör doch! Der Körper kann unsere Töne mit etwas anderem verwechseln und dann sogar in die Knochen einbauen, so sagt man. Wir werden dann irgendwann unsere Töne geworden sein! Unsere Körper haben das, was wir als Töne erzeugt haben, vielleicht schon in ihr Skelett eingelagert, und wir haben davon nichts gemerkt. Wir haben es aufgenommen, ohne es zu merken. Daß sich da wild etwas ergossen hat, das haben wir schon gemerkt, das Wasser wurde vorübergehend total fest, eine Mauer, aber dann war es wieder weg. Diese Mauer macht uns jetzt keiner mehr. Das Wasser war hart wie Beton, das Wasser hat sich vielleicht geirrt, denn da war eine Staumauer, gegen die es angebrandet ist, das Wasser war es selbst, denn da mußte es sich faktisch selbst eine bauen, aus sich selbst. Genau. Wer könnte sich sonst so wild ergießen wie das Wasser, bevor es einen erschlägt? Ich habe vor dem Wasser die größte Angst, mehr als vor dem Feuer, aber das Feuer kann schon auch recht unangenehm werden, sein Sinnen ist auf Verzehr gerichtet, und der Verzehr ist immer inbegriffen auf dieser Billig-Busreise unseres Lebens, das stand ausdrücklich im Prospekt: Ein Tag zur freien Verfügung am Strand inbegriffen. Nur wir haben es nicht begriffen. Da stand nämlich nicht, daß eine Mauer auf uns zueilen würde, wenn wir den Rastplatz erreicht hätten. Kaum haben wir Wursthäute, Papierln, Käserinden, Styropor-Behältnisse zusammengeschoben oder in die Tonne geschmissen, brav wie immer, schon kommt da diese Mauer und steckt dafür uns ein. Auch unsere Töne sind dort womöglich längst eingebaut, unsere Töne kommen nachträglich wie eine Mauer auf uns zu und zerquetschen uns. Wir merken es gar nicht mehr, und zwar weil wir schon zuvor gestorben sind und das Meer aus der Zukunft zu uns zurückgeeilt ist, immer wieder, denn die Zeit ist aufgehoben, ich sehe nur noch nicht, wo. Musik ist also Zeit, aber wo ist sie hin?, wir hören sie beide nicht, irgendwo ist sie eingebaut worden, bevor sie noch einen Mucks machen konnte, glaube ich, diese Meinung verdichtet sich in mir, und wir selbst haben auch Betonköpfe, haben wir im Angebot, selbstverständlich, weil wir glauben, wir müßten die Musik damit aufnehmen können. Tonköpfe, hart wie Betonknöpfe, führen von unseren Playern, die an uns hängen, als wären sie selbst schon Körperteile, direkt, ohne Umweg, in die Ohren. Doch hörbar ist auch hier: nichts. Was aus dem Gehör wieder austritt, was in andere austreten geht, ist so leise, als wäre es nie abgespielt worden. Und wir haben ja auch gar kein Anrecht auf diese Töne, wenn wir sie nur erst hätten!, dann müßten wir sie wieder gehen lassen, das würden wir ja auch tun, bloß, wo sind sie hin? Das wüßten wir schon gern. Vielleicht mangelhafte Qualität?, dann reklamieren Sie beim Verkäufer, der aber nicht reagieren wird. Eher reagieren andre Sachen miteinander, die uns nicht guttun werden. Die uns vielleicht krank machen. Wir erzeugen Töne, aber wir haben nicht das Recht, sie auch zu hören. Ich komme schon noch dahinter, aber alles ist jetzt ein Dahinter, und wir kommen nicht hin, und wir müssen dort vorne bleiben, als Vorhut von etwas, das wir nicht verstehen.

B: Sie sind nicht hörbar, weil sie woanders sind, als etwas anderes. In uns eingebaut wurden wie Ziegelsteine oder Beton-Fertigguß, kaum daß sie erklungen sind. Vielleicht sind auch wir schon woanders? Wer weiß? Vielleicht erklingen wir dort, wo wir vorhin noch waren. Der Platz ist jetzt weg, verwaist. Wir hätten ihn halten sollen, stattdessen wollte er uns behalten. Was wir da gerannt sind! Sollen wir vielleicht diesen weichen Betastrahler einschalten, der dort nutzlos in der Ecke lehnt, damit wir es beim Spielen mit unseren von der Flut erstarrten Händen nicht so kalt haben? Da muß jetzt etwas zerfallen sein, glaube ich, in sich und mit uns hoffnungslos zerfallen, geflohen ein flinkes Elektron vom Kern, das vorher aber gar nicht da war, erst im Zerfall entstanden. Nicht wie wir. Wir: vorher vorhanden, jetzt weg. Unsere Musik? Hat auch, zusammen mit etwas Unmeßbarem, uns verlassen. Alles verläßt den Kern! Keiner verläßt den Raum! Daß wir unter diesen Umständen überhaupt spielen können? So ganz ohne Unterstand? Ich sehe, daß sich unsere Finger bewegen, auch die Hände, die das Instrument halten und den Bogen führen, jede blöde Hand macht was andres!, und die eine tut so, als wüßte sie nicht, was die andre tut. Hauptsache, sie tun überhaupt was, die dummen Werkzeuge des Körpers. Ich sehe sogar die Noten, ich: zweite Geige, du: erste, aber vielleicht spielen wir ja gar nicht? Es ist ja alles unsichtbar, weil ich auch nichts sehe. Es ist alles schon weg.

A: Lieber nicht den weichen Strahler einschalten!, der tut uns zwar nichts, hoffe ich, aber wir haben hier keinen Kaminschirm, und so treffen die Strahlen uns unvorbereitet. Vielleicht sind auch wir das Ergebnis einer Paarerzeugung, schwach, wie wir sind, wie die Dreifaltigkeit, drei aus einem, drei in einem, und doch bleibt die Teilchenzahl erhalten, na, wenn das so ist, müssen wir unseren Dritten beim Drittabschlagen glatt verloren haben! Oder haben wir den im Abschlagen überhaupt erst erzeugt? Wo ist er dann? Vielleicht hätte man den hören können? Das werden wir nie erfahren. Vielleicht hätte man unseren Antiteil, den negativen, auch negativ gezählt, zwei und einer, der gegen uns ist, aber vorhanden, damit unsere Dreieinigkeit erhalten geblieben wäre? Na egal, aber einer ist jetzt verschwunden, oder siehst du ihn irgendwo? Wir zwei Leptiden, nein, Leptonen, wir halten umso fester zusammen, wir zwei, und hoffen auf einen glücklichen Aufwind! Also laß bitte den Strahler in Ruh! Nicht dauernd rumfummeln! Ist nur so ein Gefühl, wer weiß, was sich dann noch alles erweichen läßt? Lieber frieren, oder? Denn wenn wir den einschalten, zerfallen seine Strahlen womöglich, er war ja lang nicht eingeschaltet, wir sind womöglich fort, wenn das geschieht, und dann entstehen harte Stahlen, Strahlen, für uns zu hart, womöglich, und dann schwere Schäden, womöglich. Lieber nicht den weichen Strahler einschalten, bin mir jetzt ganz sicher: lieber selber strahlen, zu zweit, damit es mehr Spaß bringt in unsere kleine Ton-Unartgesellschaft. Das macht gute Laune, das formt unsere spätere Größe erst so richtig aus, damit wir werden, wie wir gedacht waren, womöglich. Strahlende Geschöpfe, die in der Natur holdem Arm ruhen. Aber auch die Natur ist nicht das, was man uns vorhergesagt hat, bevor wir sie dermaßen verzogen haben; das ist wie mit unseren Tönen, die wir gezeugt haben, die uns aber nicht nachrennen wollen, und wenn, dann holen sie uns offenbar nicht ein. Wahrscheinlich hat jemand vergessen, sie zu gebären, denn gezeugt sind sie, das steht fest wie diese Mauer. Das steht hier in unserer Stimme, in meiner ersten, in deiner zweiten. Oder nicht? Nichts steht fest. Die Natur gibt es. Doch wo ist sie jetzt wieder hin?

B: Wenn wir unsere Töne bisher nicht gehört haben, was spricht dann überhaupt für sie? Warum spielen wir eigentlich weiter? Hast du eine Ahnung? Spricht etwas dafür, daß wir noch ganz dicht sind? Daß unsere äußere Hülle noch hält? Was spricht dafür, was dagegen? Sind wir noch ganz dicht oder nicht?

A: Also das ist schon meine große Hoffnung, daß die Hülle hält. Ohne Hülle bewegen sich die Finger nicht, ohne Hülle, die wir selber sind, ja, auch die Hülle müssen wir noch sein!, würden wir bis zum letzten Rest auseinanderrinnen. Da horcht keiner mehr, ob er jemandes Stimme hört. Man muß uns einfach glauben, daß da eine Stimme ist, nein, daß da zwei Stimmen sind, du und ich, die gehört werden könnten. Aber bei der Jagd nach unseren Stimmen läßt man uns jetzt aber wirklich total im Stich.

B: Tränen, meine Tränen, was seid ihr gar so laut! Was schreit ihr so? Seid doch endlich ruhig! Seid wenigstens etwas leiser! Es hat ja keinen Sinn, wir hören euch so und so nicht! Das Strahlende wird von euch nur beschmutzt, euer Schatten fällt drauf, der Strahler wird naß und versagt im Funkenregen. Warum wird da geweint? Es gibt keinen Grund. Der Grund ist weg. Wenn du sie aufnimmst, du Land, um dich mit ihnen zu düngen, dann wird es irgendwann recht voll werden, und Körper werden zu Tausenden ins Wasser geschwemmt, das strahlend mit ihnen davonschwimmt. Bis wieder neues nachkommt. Das Meer hat wieder mal fette Beute gemacht. Tränen, was ist euer Gewinn? Wasser zu Wasser. Steigen und Fallen. Was ist der Gewinn? Steigen und Fallen, wie die Kurse, die den Menschen gegeben werden, damit sie wissen, wie viele sie sind, wieviel sie haben und wieviel sie noch lernen müssen. Wo ist das Leck, aus dem ihr fließt, ihr Tränen, wo ist die Quelle dessen, das man nicht hört? Irgendwo muß es doch herkommen!

A: Schlamm. Dreck. Winseln. Heulen. Wir hören in uns nicht, was draußen war, und draußen hört man nicht mehr, was in uns abgeht. Überall Fetzen. Menschliche Gewebeteile, vom Umkommen mitten in einer Tätigkeit herrührend. Mit denen werden sie die Lachen nicht aufsaugen können. Dies hier, und zwar alles!, handelt ab sofort von unserem überschüssigen Leben, weggerissen von Flüssigkeiten, vom Leben im Dreck, im Schlamm, im ausgelaufenen Benzin, Diesel, Trinkwasser, wenigstens die konnten alle rechtzeitig weglaufen, allerdings nicht weit. Ja, von irgendwo muß es aber auch wieder herkommen, was auch immer, nein, Wasser, abgefüllt in uns Flaschen, haben wir heute nicht hereinbekommen, Wasser ist aus, Wasser ist woanders, und nein, auch das Leben kommt nie zurück, wenn es mal gegangen ist, aber wir sind es nicht, die noch leben, also können wir nicht erzählen, was wir immer waren, stets beschäftigt, voll Schreck und Staunen, jetzt voll Dreck und nein, nicht Daunen, was Härteres, jetzt brauchen wir was Härteres, fällt mir jetzt nicht ein, gerade noch trinkbar? Wasser normalerweise schon, dieses aber nicht, auch wenn es so aussieht oder Wasser irgendwie recht ähnlich sieht. Ja, das schaut dem Wasser ähnlich, daß es sich verbirgt, wie unsere Töne, ja, genau, das Wasser ist für uns verloren, im Grund verlorengegangen, obwohl es überall ist, es hat sich überall verteilt, aber wir haben nichts davon. Dafür erzeugen wir ständig etwas, ohne Ergebnis, wir spielen doch jetzt schon seit Stunden!, aber wir haben nichts davon. Mit Recht nennen wir uns Arme, doch es gibt Ärmere. Irgendwo wird uns was abgezapft, wir sehen aber nicht, wo das neue Becken entsteht, in dem man es kochen kann, damit wir zumindest für uns genießbarer werden; man hat schon begonnen, an diesem Bassin zu bauen, die Erde wird schon gelenkig gemacht fürs eigene Wasser, das mit Fruchtsaft geschmackiger wird, das hat es sich so gewünscht, das Wasser, aber was will die Erde? Der Erde kann man kein Wasser abschlagen, kein Gift, kein garnichts. Aber bei der Jagd nach unseren Tönen unterstützt man uns nicht. Eigentlich sollten wir viel mehr sein als zwei, oder? Unsere Töne sind jetzt die große Leere. Unsere Töne sind das Leck. Wo ist es? Und wohin ist es gekommen? Wie weit? Das ist die Frage. Ein Loch kann nicht wandern, so wie ein Toter nicht wandeln kann. Was sagen Sie da? Es kann doch wandern? Das nennen Sie nun Tatsachen, unumstößliche, wenn Sie dauernd alles umstoßen! Also was jetzt? Wandern oder nicht? Es kann wandern. Okay. Von mir aus. Wenn es unbedingt will. Ein Loch, das eine Elementarladung transportiert? Eine ganze Löcherleitung zu unserer alleinigen Verfügung? Und wo was fehlt, wo ein Loch entstanden ist, wird das Fehlende, das Elektron, durch ein anderes ersetzt, das man dann Elektro nennt? Na toll! Alles hinterläßt schmerzhafte Lücken, aber dieses Loch, das uns hinterlassen wurde, weil das Elektron gegangen ist, erzeugt sofort das Elektro. Das ist doch positiv! Nein, negativ! Nein, positiv! Diese Ladungen springen herum, als hätten sie sonst nichts zu tun, nachdem man sie eingeladen hat. Als hätten sie keine Aufgabe. Das ist eine Löcherwanderung. Und wir sind eine Völkerwanderung. So. Überall, wo so ein Loch ist, entsteht ein positiver Überschuß an Ladung, und wenn das liebe Loch wandert, nennt man das: Unter-Strom-Stehen. Das ist dann das berühmte Elektro, das die Musik aus den Boxen brüllen läßt wie bei einem Formel 1-Start, ja, genau das Elektro, das auch Sie bei sich zu Hause haben, um die Musik schreien zu lassen wie den Gesang böser Geister über dem Wasser, während Sie in Ruhe verreisen können. Das Elektro ist alles, was Sie brauchen, damit etwas daheim auf Sie wartet, während Sie fort sind. Wenn ein Loch wandert, dann kommt der Strom, doch wenn das Meer wandert, kommt niemand mehr, dann rennen alle fort, obwohl sie das Meer immer gut brauchen konnten. Sie haben es gut genützt. So viele kommen, so und so viele kommen um. Und wenn wir selber wandern, weiß man nicht, wo wir sind, und wenn wir uns selbst nicht mehr hören, ist alles möglich, auch daß der Strom wieder ausfällt und die Turbine deshalb vor Schreck ohnmächtig wird. Man weiß, wo die Dinge sind, trotz wandernder Löcher hat alles seine Ordnung: das Leck hier, die Toten dort, wir inmitten, aber nicht des Erdkreises, der ist kein Kreis mehr, es gehören zu wenige dazu, die können keinen Kreis mehr bilden. Das ist nicht Musik, was kommt, bitte, wenn es von jemand anderem, von etwas anderem kommt, dann sind wir nicht verantwortlich: Das ist eher ein Heulen, kommt möglicherweise von uns, wir wissen es nicht, wir hören etwas anderes, wir wissen nicht, was, nein, wir hören nichts, die Verdunkelung hat uns überrannt, wir wissen nichts mehr. Wo sind unsere Töne? Was schreien wir da einander gegenseitig ins Ohr? Dies Heulen soll wirklich von uns kommen? Ist das überprüft worden? Das kann nicht sein, von uns kämen nur die Töne, für was andres sind wir nicht verantwortlich. Gekrümmt tasten unsere Finger auf dem Griffbrett herum, dort müssen sie sein, die Töne, so haben wir es gelernt, aber alles, was man hört, ist Geheul, Gebrüll, Stöhnen, Weinen, Schluchzen von Menschen, die um sich und um vieles andere besorgt sind. Die sind nur noch besorgt – keine gute Voraussetzung, der Musik zu lauschen, aber die ist ohnedies weg und scheint nicht zurückzukommen. Vielleicht hat auch sie sich zu sehr aufgeregt, daß sie keinen Ton mehr herausbringt? Also von uns kommt jedenfalls keine. Wir hätten sie selber gern, aber da kann man nichts machen. Dieses Geschrei kann niemand Musik nennen, für die wir so geschätzt wurden. Musik ist kontrollierte Autonomie ihrer Erzeuger, doch schon ist sie dabei, uns zu entgleiten, sich unserer zu entkleiden, sie wird unkontrollierbar, obwohl wir doch gelernt und geübt haben, sie zu kontrollieren. Das ist wie mit dem Gelächter oder den Tränen von vorhin, man kann beides nicht unterdrücken, nicht das Weinen oder Wandern durch Sand, nicht das Lachen, das uns zu Überlegenen stempeln kann: Wer lacht, hat ab sofort recht. Es ist nicht so, daß sie uns übertönen, diejenigen, die da schreien, es ist so, daß wir zwar spielen, aber nichts hören. Diese Unhörbarkeit, die wir so eifrig erzeugen, immer noch, beginnt schon beim Greifen nach dem Klang, beim Streichen der Saiten. Töne, wo seid ihr hin? Irgendwo da drunter, ja, unter dem Geheul, unter dem Lärm, da müssen sie sein, schätze ich mal. Hast du deine schon? Hast du wenigstens einen von ihnen?

B: Ja, das ist die große Frage. Hat man den Ort immer noch nicht gefunden, wo unsere Töne jetzt sind?, hat es niemand interessiert, wo unsere schöne Musik hingekommen ist, oder hat man nicht danach gesucht? Gewiß sind nicht nur wir es, die daran interessiert sind, unsere Töne wiederzufinden. Aber du spielst die erste Geige. Sag du! Laß es mich wissen, wann du bereit bist, an meine Größe heranzureichen, obwohl ich doch nur Nummer zwei bin! Ich kenne meinen Platz. Aber der Größte bleibt nicht der Größte, während das Kleine klein bleibt wie ein Stein im Fluß.

A: Niemand sucht ausgerechnet nach unseren Erzeugnissen. Vielleicht ist das der Grund, daß sie gegangen sind? Einen anderen möglichen Grund sehe ich derzeit nicht. Also jetzt komm mal her, Muse, nein, Windsbraut, komm mal, Luft-, nein, doch eher Erdgeborene, nein, jetzt weiß ichs: Wassergeborene! Du Schaumschlägerin! Was hast du mit unserem Boden gemacht? Wo stehen wir heute? Ist der durch gespensterhafte Fernwirkung woandershin versetzt worden? Das ist ja bodenlos! Du hast alles umgewühlt, Muse, mach das Saitenspiel, das kannst du doch so gut, hast sogar zwei Bogen zur Auswahl, wir leihen sie dir gern, fang an, fang endlich an, fang wieder an deine melodische Klage! Ihr kommt, Winde, fern herüber ach, von des Knaben ... was red ich da! Kommt, woher ihr wollt, Winde, aber übertönt uns nicht dauernd, oder wer immer kommen mag, möge jetzt kommen und das Gespinst von uns nehmen, das Gespenst, das unsere Töne erstickt, treib empor, Erde, treibt herbei, Winde, ach so, die Erde hat es schon aufgetrieben? So von unten, oder? Schiebung! Schiedsrichter, zum Telefon! Wir wissen, wo du dein Auto geparkt hast! Na ja, einmal darf die schon auch arbeiten, aber was geschah, daß uns Schreck und Staunen packten?, allein weil die gute Erde so groß ist, was wir sonst nicht gemerkt hätten. Winde, wie süß bedrängt ihr dies Herz, nein, das tut ihr nicht! Nicht soweit der Mensch reicht, er kann nicht einmal ausreichen, er wird schon vorher bedrängt, wenn er noch im Entstehen begriffen ist. Aber vielleicht gibt es auch den Menschen gar nicht? Viele theoretisch postulierte Objekte haben sich früher oder später als nichtexistent herausgestellt, wie etwa der elektromagnetische Äther oder die Vorstellung von Wärme als einer Art Materie. Vielleicht gibt es auch uns nicht? Und zwar, nehme ich an, weil unsere Werte so widersprüchlich sind. Sowas wie uns kanns gar nicht geben. Wenn beliebig wirkende Parameter auch noch unwahrscheinliche Werte aufweisen, das ist dann ein Verstoß, ein Verstoß gegen die Werte, die uns erschaffen haben, auch ein Verstoß gegen das ästhetische Empfinden unserer Schöpfer und auch noch ein Verstoß gegen unsere Interpreten, die uns endlich sagen wollen, wer wir sind und was wir getan haben, damit man unsere Produkte neu bewerten und einordnen kann. Unwahrscheinlich, daß es etwas wie uns überhaupt geben darf! Zu dumm! Wir haben uns so auf uns gefreut! Es ist doch nie ausreichend, was man sich wünscht, wohingegen die Erde bereits mehr als ausreichend ist, die reicht für alle, und dann reicht sie für noch mehr, die ist schon unverschämt, so weit reicht die, breitet sich aus, stößt mit ihren Ellbogen alles auf ihrem Weg weg, hat wahrscheinlich unsere Töne auch noch verschluckt, die wir in die Saiten säuselten, eigentlich wollten wir ja von Anfang an leise spielen. Aber unhörbar – das geht zu weit! Frage mich nur, wie weit das ist. Aber egal, auch wenn wir den Bogen aufdrücken, daß es kracht, hört man uns nicht. Die Leute haben anderes zu suchen und anderes zu finden als unsere Musik. Irgendwo in einem Körperteil, in dieser komplexbeladenen Seele und diesem zerfallenden, sicher bereits infizierten Körper muß sich dieses Vertreibungsorgan befinden, von dem von seiten der Erde kurz, ein paar Minuten lang, nicht länger, die Rede war. Es passiert etwas Schreckliches, und jemand weint, ohne daß ein Stück Staub in sein Auge vorgedrungen ist. Es muß ein Bedürfnis bestehen, etwas aus uns zu vertreiben, Tränen, Töne? Schlamm, Schlamm! Schlimm! Dreck. Scheiße. Blöde Vermischung mit Wasser. Für unsere Tränen hätte ein Bruchteil davon schon genügt.

B: Ich glaube, der Körper mobilisiert seine Organe, die zwar, längst ebenfalls zu Schlamm geworden, völlig ungeeignet sind, noch mehr aufzunehmen von dem, was man nicht sehen kann, genau!, ganz genau von dem, was man nicht sieht, was ihnen aber wie mit Löffeln mütterlich reingeschoppt wird, obwohl wir Kinder nicht mehr sein wollen und uns der Schlamm schon vom Kinn ins Lätzchen tropft. Aber es wird ihm trotzdem aufgezwungen zu essen, dem armen Kind. Obwohl Kinder heute zu nichts mehr gezwungen werden. Die zwingen ihre Eltern zu reagieren. Die Gier zwingt alle zum Reagieren. Aber die Erde haben wir zu nichts gezwungen, und schau, was sie von alleine gemacht hat! Unerhört, wie wir! Ungehört, auch wie wir. Alles muß rein, alles muß raus, nein, nicht umgekehrt. Oder doch? Erstaunlich, wie viele Organe der Körper aufbringen kann, wenn er sie benötigt, aber die sind für alles völlig ungeeignet, jedenfalls für das, was von ihnen verlangt wird, und trotzdem versuchen sie brav, ihren Beitrag, ihren Betrug zu leisten. Die Natur reagiert entschieden übertrieben auf alles, auf uns reagiert sie dafür gar nicht, das ist doch seltsam, eigentlich müßte von uns was zu hören sein, findest du nicht?

A: Ich finde nicht und finde nichts. Aber auf einmal wie der Wind heftiger herstößt, wie die Erde auch heftiger stößt, wie wir ins Horn, äh, in die Saiten stoßen, egal, ein holder Schrei wird von irgend etwas ausgelöst, bis auf die Knochen, wie soll man den vernehmen, wenn alle hier einvernehmlich losschreien?, wie, wie wie?, wiederholt mit zu süßem Erschrecken, meiner Seele plötzliche Regung? Ach was! Nein, nicht meiner Seele. Irgendwas, das man auch nicht sieht. Ich habe das schon öfter erwähnt. Die Erde regt sich unter mir. Ich wars nicht, Ehrenwort, ich wars nicht, der sich geregt hat! Jemand hat falsch geregelt, aber geregt hat sich nichts. Oder das Falsche. Ich habe nur gestrichen. Wir sind beide Streicher. Nicht Saitengreifer, aber Streicher. Was haben wir gemacht? Wir sind die unhörbaren, die unerhörten Spieler, aber auch die Solisten hören wir nicht. Wir sind Begleiter von nichts. Der Solist ist wohl gar nicht erst gekommen. Oder er hat sein Werk schon irgendwie, irgendwo früher hinterlassen, ein Werk, das seine Halbwerkszeit, nein, die Halbwertszeit ab Werk auch noch nicht erreicht hat. Das ist wie in diesem Schlamm schwimmen wollen! Warum nicht, es schwimmen dort ja auch noch tausende fabrikneue Autos, auch aus eigener Produktion, wenn auch nicht unserer! In zehntausend Jahren wird man vielleicht den halben Ton des Solisten hören und die halben Töne aus uns halben Portionen, dem Orchester, als Begleitung, und nur als die sind wir zugelassen, bitte beachten Sie unsere Nummernschilder! Ja, die Notenwerte, die uns ununterbrochen beschäftigt gehalten haben, als gäbe es nichts Wichtigeres – ihre Veröffentlichung ist den Menschen nicht zuzumuten, damit sie nicht schon wieder beunruhigt werden. Auf unsere Notenwerte hin würden die Menschen bloß überreagieren. Die Kernreaktion auf unsere Notenwerte war im Kern ganz in Ordnung, aber eine Überreaktion können wir uns derzeit nicht leisen. In 24.000 Jahren wird man vielleicht die ganzen Töne hören, von Pluto erzeugt, von unten, mit den Füßen widerwillig hinaufgetrampelt, Fußstapfen einer riesigen Umsiedlerhorde: Alles, was von unten kommt, ist schlecht. Die Erde hat sich da was geleistet, das ist nicht zum Sagen! Unaussprechlich. Die Erde wird den Gebäuden ihren Boden entziehen, und dann wird wahnsinnig viel Wasser ausströmen, nachdem die Erde so geleckt worden sein wird, daß sie nie wieder wie geleckt aussehen wird können. Diese übertriebene, leidenschaftliche Reaktion der Natur offenbart uns erst das Bedürfnis, das wir einmal hatten, aber nicht benennen können. Wir haben das gebraucht, was wir bekommen haben. Wir haben bekommen, was wir gebraucht haben. Wir haben es nur noch mit Gebrauchtem und Gebrauchtum zu tun. Aber es ist vielleicht schon vor zehntausend Jahren gebraucht worden, nur sehen wir es erst jetzt. Unsere Töne wurden vielleicht schon vor 24.000, vor 40.000 Jahren Halbwert – was weiß denn ich, ich bin kurzsichtig, nicht weitsichtig – von Pluto erzeugt, jetzt müßten sie eigentlich schon langsam aus uns kommen können, das müßten sie inzwischen gelernt haben, unsere Tonis, unsere Antöne, nicht aus Tirol, nein, von dort sind sie nicht. Jedenfalls kommt, soviel wir auch streichen, genau: nichts. Wir sind die Folge der Folge der Folge. Fortsetzung folgt uns auch nicht. Nichts wird uns mehr folgen, und auf uns wird auch nichts mehr folgen.

B: Meinst du, wir hätten das im vorhinein bedenken können, daß man uns vielleicht nicht hören wird? Vielleicht nie? Also wenn man uns jetzt schon nicht hört, wie sollte man uns dann in der Zukunft hören? Warum sollen wir über uns hinausreichen, und wer sagt, daß wir das sollen? Da gibt es andre Sachen, die wir auch nicht können, dafür aber kann es der Wind, der kann über uns hinausstreichen, alles streichen, und wir merken erst zwanzig Jahre später, daß wir herausgestrichen, nein, hervorgehoben, nein, doch eher durchgestrichen worden sind, weil wir einer Fährte folgten, welche Beute versprach, in Wahrheit aber die Fährte von Dieben war. Die haben uns alles gestohlen! Ihnen nach! Wirds bald! Der Wind: erhebt sich mühevoll, aber wenn er einmal dran ist, dann gibt es kein Halten mehr im Über-Uns-Hinstreichen und Hinausstreichen. Der streicht uns aus, über uns hinaus. Nichts soll mehr vorkommen, damit nur ja nichts mehr vorkommen kann. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Und die Erde? Hat die Erde etwas gemacht, das uns die Beherrschung unserer Instrumente hat verlieren, verlernen lassen? Gut oder schlecht? Unsere Autonomie und unsere Meisterschaft wachsen vielmehr, nein, viel mehr wachsen sie nicht, nur keine Sorge!, aber in dem Maß, in dem andere, nicht wir, andere, wie es beim Lachen oder beim Weinen geschieht, die Herrschaft über sich verlieren, wächst sie, unsere Leidenschaft, etwas zu tun, was wir nicht können, nein, nicht wir, andere, immer andere! Die anderen können nichts, wir können bloß nichts dafür, und wo sind sie überhaupt, diese anderen? Siehst du hier andere? Ihre Tritte sind, wie unsere Klänge vielleicht, irgendwie umgedreht worden, sie sind vielleicht dorthin gegangen, woher sie gekommen sind, aber zurückgehen tun sie auch wieder nicht, sie gehen rückwärts, in ihren eigenen Spuren, das heißt, sie brechen einfach ab, schauen nach hinten, und dann gehen sie dorthin, sich selber nach, nur umgekehrt. Das geht uns doch nahe. Was vorwärts ging, ist rückwärts nun geführt. Verrücktheit, heillos, hält uns gepackt. Haben wir selbst unsere Töne gestohlen? Das müßten wir doch wissen, wenn wir es waren! Jedenfalls wächst sie, unsere herrische Beherrschung, wir üben ja auch genug. Wer hat etwas davon? Daß unsere Elemente, mit denen wir für die Kunst brennen, im folgenden kurz Brennelemente genannt, soweit beschädigt sein könnten, daß unsere Töne sich nicht halten können vor Lachen, weil einer sie kitzelt, und dieses Kitzeln ist immer eine Bedrohung! Die Töne lachen sich kaputt, weil Angriffe gegen sie geführt werden, von allen Seiten, wie bei einem Krieg, mit großer Geschwindigkeit und unvorhersehbar. Kein Wunder, daß unsre Töne mit Ducken und In-Deckung-Gehen beschäftigt sind! Was auch immer, sie sind jetzt weg, aus unserem Kreislauf ausgeschieden. Mit heißer Nadel waren sie genäht, das haben sie rasch gemerkt; von heißem Brennstoff wurden sie genährt, und wenn nicht bald einer sie kühlt, werden sie und wir mit ihnen verderben. Nein. Sie werden uns verderben. Sie werden es sich mit uns verderben. Da ist ein Feuer, wahrscheinlich ist es das, mit dem wir für die Kunst brennen, na ja, also es brennt alles, es brennt jetzt einfach alles. Vorhin war es noch kalt, weil wir so kaputt waren, daß unsere Elemente wahrscheinlich mit uns kaputtgegangen sind. Das hätten wir uns nie träumen lassen, daß wir für die Kunst brennen würden, und dann kommt nichts dabei heraus! Das war früher anders. Wo wir uns so darauf gefreut haben zu ertönen! Wo unsere Körper doch so unter entsetzlicher Spannung stehen, als wären wir selbst die schlampig gestimmten Saiten, die vom eigenen Bogen ausgestrichen werden. Die Feinabstimmknöpfe sind uns abgefallen. Eine Spannung herrscht, die bis in die Erdkruste geht, bis in die Haarspitzen der Erde, ins Gras, ins Gemüse, in die Pilze, ins Fleisch von Wildtieren, was weiß ich, jedenfalls gilt: nur nichts mehr essen!, keinesfalls!, sie zerrt nicht nur an unseren guten Saiten, diese Spannung, die mit Selbstbeherrschung und Können nicht mehr einzubremsen ist. Sie erzeugt nichts. Sie ist ja keine Stromspannung! Umgekehrt: Spannung wird in den Strom geleitet, der hier vorbeifließt, ja, ins Meer auch. Doch dann, bevor man sie endlich hinausläßt, erhitzt sie sich und mit sich alles andere auch. Ist das übrigens bei dir auch so? Horchst andauernd, ob jemand kommt, den du dir vom Leibe halten mußt? Aber der kommt immer, ob du zuhörst oder nicht. Die Leute lagern gerade ihre kostbaren Kinder ins Ausland aus, bitte stehen Sie ihnen nicht im Weg, die trampeln glatt über Sie drüber, da muß nämlich gerettet werden! Nein, nicht alles, nur sie müssen geborgen werden, bevor die Bergung überhaupt beginnen kann! Recht haben sie! Sie tun genau das Richtige! Das einzig Richtige! Diejenigen müssen sterben, die das Richtige nicht rechtzeitig getan haben. Schnell rücken sie vor, Flug gebucht, Hotelzimmer bestellt, schnell, schnell, alles am Weg niedermähen! Wittern kann man die Strahlen an der Haut ja nicht, twittern kann man über sie schon noch, aber besser, am allerbesten ist, wir bringen uns in Sicherheit. Sicherheit: der einzige Ausweg dieser Zeit. Sicherheit ist das Allererste. Nur Sicherheit hilft auf Dauer. Sicherheit soll dann unbedingt bleiben, wenn sie endlich da ist. Da hilft nur noch Flucht in die Sicherheit, samt der ganzen Schar an Söhnen. Diejenigen, die schon daliegen, werden ihnen zur Last, weil die so belastet sind. Diejenigen, die bleiben aber, die nicht stiften gehen, müssen sich wieder an ihre Kernproduktion, ich meine, an ihr Kernwerk machen, der Produktion neuer Menschen. Auf Schleichwegen, damit es die nicht auch noch erwischt, nur weil sie so neu sind. Die will natürlich jeder, das Neueste!

A: Als erste Geige ist es bei mir schon von vornherein so, daß ich der Weg bin, den sich die Melodie bahnt, doch bleibt sie nur einen Lidschlag lang bei mir, mit dem jedoch Wasser erzeugt und über die Turbine meiner Wimpern in den Kreislauf des Auges geleitet wird, um die Fremdkörper zu vertreiben. Auch sie wird weggeschwemmt, die Melodie. Derzeit hört keiner was, nicht einmal wir hören einander. Niemand hört etwas von einem anderen. Alle hören nichts. Geräte hören voneinander, wir nicht. Was wollte ich sagen. Ja, bei mir ist es genauso, aber dann kehren wir alle zur Theorie der Emotion zurück, deren Quelle nicht der Körper ist, dessen Töne man schon lang nicht mehr hört, wie soll man da auf Emotionen schließen können?, nein, unsere Körper sind nicht die Quellen zweier Emotionen, der ersten und der zweiten Geigenstimme, die wir spielen, sondern sie sind die Begleitung. Nein, auch nicht die Begleitung von uns, mit uns müssen sie ja immer mitgehen, sondern im musikalischen Sinn Begleiter von etwas Unhörbarem. Ist aber egal, uns hört man ja nicht, und den unhörbaren Unsichtbaren hört man auch nicht. Der Körper ist der Begleiter auf dem Klavier, dafür muß er schon mehr können als einfach nur mit uns mitkommen. So begleiten wir also Gefühle mit Tränen, mit unseren heißen Tränen, die aus der Kälte kommen, aus dem Kühlkreislauf, und dann werden sie heiß. Weil dieser Kreislauf nicht mehr funktioniert.

B: Wenn unsere Tränen auslaufen, müßte dieses Element eigentlich zu finden sein, das Elementare, ja, das müßte dort ebenfalls aufhältig sein. Das hält ja immer die Hand auf. Alles auf einem Haufen. Wir sind ja unser eigener und einziger Vorrat. Entweder sind unsere Töne noch im Vorratsspeicher, oder sie sind auf etwas weit vor uns hinausgerichtet oder: hin ausgerichtet?, irgendwas muß ja schuld sein. Das ist wie mit dem jungen Mann, dem Söldner, dem universellen, mehrfach, vielfach verwertbaren Söldner, der tausend Stück Viagra bei sich hatte. Das hat man ihm mitgegeben, daß er im eroberten Land die Frauen und sonstigen Weiblichkeiten der Besiegten vergewaltigen konnte, wehe. Nein, nicht: weh ihm! Denke dran, schaff Vorrat an! So ist es mit unseren Produkten auch. Wir haben einen uferlosen Vorrat, und jenseits unseres Vorrats gibt es noch viel mehr, es ist unendlich, wie viele Töne es gibt, und es kommen ständig neue dazu, nach denen wir tasten, wie ein Blinder nach seinem Hund. Viele von ihnen verweigern sich uns, unendlich viele kennen wir gar nicht, die paar, die wir spielen können, schon ein übersehbarer Haufen, aber immer nacheinander, hintereinander, bitte anstellen, kommen auch noch dran, jeder dieser geduldigen, nicht nur geduldeten, sondern erwünschten Töne wird jetzt drangenommen. Die werden ordentlich hergenommen. Wir treffen sie nicht immer richtig, aber sie fallen trotzdem hinter uns zusammen, was wir auch spielen, ob gut oder schlecht: Das Gespielte trennt sich hinter uns sofort wieder auf, und da stellen sich schon die nächsten an, wir sehen sie auf den Notenblättern, deutlicher könnten wir sie gar nicht sehen, schwarz auf weiß stehn sie da und warten. Sie drängeln, sie stoßen einander, bei einem Doppelgriff oder einem Akkord kommen sie sich manchmal in die Quere, aber ihre Richtung ist unaufhaltsam: vorwärts, dann erklingen sie, und dann haben wir sie hinter uns und können uns die nächsten vornehmen. Sie sind teilweise mit Schlamm bedeckt, trotzdem können wir sie noch gut ausmachen, bevor sie uns ausknipsen können; sie werden jetzt aber immer undeutlicher, kein Vergleich mit dem Sandkorn im Auge, der Wimper, dem Fremdkörper dort, die Töne gleiten aus unseren Körpern heraus wie Wasser, und wir beherrschen auch sie, besser als uns selbst. Doch was nützt es uns? Töne, meine Töne, wo seid ihr jetzt?, hast du sie, ich weiß nicht, wir spielen sie, aber wo sind sie, sie müßten doch da sein, wenn wir sie spielen! Bitte, ich bin ja nur die zweite Stimme, trotzdem, sind das Töne? Das können keine Töne sein, denn wir können sie nicht kontaktieren und nicht einvernehmen. Wir streichen, und doch streifen wir an nichts an. Keine Fingerspuren in keiner Datenbank. Wir erzeugen nichts, obwohl wir soviel investieren. Sie werden vielleicht nicht, wie sonst, hinter uns aufgetrennt, sondern schon vorher, wenn sie uns unter die Finger kommen. Könnte aber auch sein, daß sie die Auswirkung von etwas sind, das wir mit der Hand aufzogen, eine Wirkung, die wir nicht mehr sehen und nicht mehr sehen wollen. Weg ist weg. Weg ist nicht der Weg.

A: Meine sind sicher noch da, ich weiß nicht, wo, es nützt mir ohnedies nichts. Was wäre ich ohne Begleitung? Ein hohes Fisteln, ein fast unhörbares Luftgekreisch, mehr nicht, und du ohne die erste Stimme, nämlich meine, wärst noch viel weniger! Sind die Töne tot, sind sie gestorben? Sind sie verseucht, sind sie krank, liegen sie in ihrem eigenen Dreck, in ihrer eigenen Gallerte? Können sie geborgen werden? Aus diesem riesigen Vorrat, können sie herausgefischt werden? Schwierige Bergung. Wer hilft uns? Hilfe! Hilfe! Die springen ja wie Karpfen! Töne sind zu bergen, aber sie scheinen nicht geborgen werden zu können, sonst wäre doch schon jemand mit Werkzeug gekommen, oder? In dieser Sperrzone ist sogar die Suche nach ihnen verboten, habe ich gehört. Was sollen wir machen? Wir wissen gar nicht, wir sehen es nur an den Auswirkungen – Unhörbarkeit –, daß unsere Töne entweder nicht gekommen oder nicht gegangen sind, denn nur im Fortgehen hätte man sie vielleicht gehört, und außerdem: Wie hätten wir Bleibenden sie hören können? Und diejenigen, die sie hätten hören können, wären dann nicht die Bleibenden gewesen. Was wir gemacht haben, geht von uns fort und wirkt sich erst danach aus, so daß wir nichts davon haben, oder? Oder meinst du, daß nur wir sie nicht hören, andre aber schon? Wir haben derzeit jedoch keine Anzeichen für nichts. Wir machen gute Miene zu unseren Tönen, aber vielleicht paßt die gar nicht? Und wir sollten sie erst gar nicht aus-, nein, anbauen? Da, glaubst du, das ist einer von ihnen, war das einer, war das jetzt einer?, unhörbar versinkend, oder vielleicht nur für uns unhörbar, am Steuer seines Kleinlasters, mit dem er Dünger holen wollte, der arme gute Ton, kann doch nichts dafür, daß er nur ein Ton ist, vergänglich, verschwindend, aber ziemlich geladen, wenn du mich fragst, der kann doch nichts dafür, aber wir wissen auch nicht, was ausgerechnet wir dafür können sollten. Der Ton saß also, wie jeden Tag, am Steuer seines Mini Vans oder seines Toyota-Pickups, eines Instruments, bewährt in sämtlichen Kriegen, deswegen hat unser verwandter, von uns zuvor schon oft verwendeter Ton ihn ja gebraucht gekauft, seinen Gefährten, den freundlichen Kleinlaster, auf dem er Gartenerde geladen hatte, ja, hören Sie zu!, und dann wurde der Ton selbst, mitsamt seinem vollbeladenen Gefährt, weggerissen, bevor ich nach ihm tasten, ihn zum Leben bringen konnte unter meinen Fingern, keine Wiederbelebung möglich, nicht einmal ein Suchen möglich. Ist er wirklich da gewesen? Wieso ist er jetzt fort? Vor oder nach uns fort? Wo ist diese Kette unterbrochen worden? Wo ist jetzt der Tonleichnam? Wer bringt ihn weg? Wer sucht ihn überhaupt? Wir können das nicht auch noch übernehmen, wir fischen im Trüben, nein, im Trübsinn, und der ist so trüb, daß wir längst keinen Sinn mehr sehen, wir spielen unbeirrbar, aber wir hören nicht, ob da was gekommen und wieder gegangen oder gegangen ist, bevor es kam. Wir hören nichts, aber wir arbeiten daran, wir arbeiten noch an unserem Hören, am Spielen haben wir schon genug gearbeitet, bitte einen Augenblick Geduld, kann aber auch länger dauern. Hört uns jemand? Hört uns einer zu? Es wäre eine große Hilfe für uns, wenn wir das wüßten! Vielleicht hört man uns absichtlich nicht, damit wir niemanden durch unsere musikalische Anwesenheit heranlocken können, damit dann nicht womöglich noch mehr zu bergen sind, Tausende, Zehntausende? Auch wenn sich unsere Töne bereits in Notunterkünften befinden, vorübergehend gelagert, vielleicht schon verseucht mit uns; haben wir sie nun verseucht oder sie uns?, nein, wir sie, denn sie mußten ja durch uns hindurch, nicht wir durch sie!, so sind sie doch einmal da gewesen, sind einmal voll und rein aufgestanden, ihren Kulturbeutel in der Hand. Ja, damals hatten sie es noch in der Hand! Mit Klängen, die kein Mensch je vernahm, ist dieser Mensch verschwunden. Unsere Töne sind ihm als Proviant für den Tag mitgegeben worden, aus seinem kleinen Kassettendeck, dem CD-Player, aus seinem MP3-Player, dem iPod, aus einem Tonträger, so winzig, daß er fast unsichtbar ist, und trotzdem erschallt Musik, notfalls auch sehr laut, aus diesem fast Unsichtbaren hervor. Der Mensch ist weg, der Tonträger trägt noch immer seine Töne vor, oder er trägt sie dem Menschen nach. Und diese Töne verschwinden gewiß nicht. Aber wissen können wir es nicht, nicht mit unserem schwachen Gewissen und unseren schwachen Gewißheiten. Wieso unsere? Wieso unsere Produkte? Wieso ausgerechnet unsere Töne und andre nicht? Fort? Futsch? Und wissen können wir auch nicht, ob es irgendwo noch andere gibt, Versprengte, Vereinzelte. Was fürchten wir uns vor einem Geräusch, da wir doch unsere eigenen Hervorbringungen, die wir doch verursacht haben, nicht hören können? Welches Geräusch? Wir feiges Vieh! Fürchten uns dennoch vor nichts. Fürchten uns nur vor dem Unhörbaren und Unsichtbaren! Erzeugen immer noch was, aber das bringt nichts, sagen Sie? Das Geringste macht uns schon scheu, doch wohin sollen wir gehen? Vielleicht dorthin, wo man was hört? Keine Ahnung, wo das ist. Man hat uns nur gesagt, daß einer von denen gefunden wurde, zur Unkenntlichkeit entstellt, man hat nicht mehr gesehen, ob das ein Ton war, nicht die Höhe, nicht den Wert, nicht die Dauer, nicht die Lautstärke, man hat überhaupt nichts gesehen. Sie haben ihn angeblich in ein leerstehendes Gebäude in der Nachbarschaft gebracht, dort soll er nun erst mal bleiben, der Arme, allerdings darf kein Kontakt mit ihm stattfinden. Aber das habe ich nur gehört. Es ist ein Gerücht. Jeder Kontakt mit ihm könnte unabsehbare Auswirkungen haben. Nur wir sehen unsere Auswirkungen nicht. Andre schon. Vielleicht.

B: In uns werden erhöhte Werte gemessen, fürchte ich.

A: Was fürchtest du dich? Du wirst bald ohne Schwung und ohne Art und ohne Ehrgefühl spielen, nur weil du dich selbst nicht mehr hörst. Das solltest du fürchten! Nicht nachlassen! Denn was schon verloren ist, kann man nicht mehr verlieren. Du solltest, im Gegenteil, erhöhten Eifer zeigen, erhöhtes Strahlen, ja, du solltest an deiner Ausstrahlung arbeiten! Es lohnt sich! Mit mehr Ausstrahlung wirst du auch mehr wirken, vielleicht sogar einmal die erste Geige spielen können! Sonst wird man uns noch als Bäuche sehen, als Zungen und Schwänze. Man wird von uns sagen, beim Spielen seien wir eifrig, doch die Taten meiden wir. Du willst doch nicht, daß man von uns sagt, daß wir Taten meiden?

B: Welche Taten? Es ist doch alles längst getan! Jemand andrer hat das für uns erledigt. Wir haben längst alles aufgegeben, Empfänger zahlt nicht, und können jetzt schlafen. Oder? Schlafen in der feuchten, kalten Tonmassen-Unterkunft neben unseren Erzeugnissen, ich als zweite Geige bin sowieso nur ein Nebenton, aber nötig, neben dir nötig. Meine Autonomie wächst jedoch in dem Maße, wie andere die Herrschaft über sich verlieren. Legen wir uns jetzt hin? Was ist denn noch zu tun? Da liegen schon so viele. Legen wir uns zu unseren Tönen?

A: Dazu müßten wir sie aber erst finden! Hast du eine Ahnung? Und wenn wir sie finden – in welchem Zustand werden sie sein? Auch das wissen wir nicht. Doch da sie uns zu scheuen scheinen, sollten wir vielleicht auch sie scheuen? Wer weiß, wie sie jetzt aussehen, nachdem sie durch unsere Finger und unsere flinken Flitzebogen gegangen sind, erschossen wie Wild, bevor sie sich noch erheben konnten, ja, auch gegen uns? Man könnte sie entgiften, wenn man sie findet, aber welche Töne es sind, das wird sich nicht mehr feststellen lassen. Sie werden kein Gesicht mehr haben, jedenfalls keins, das am Notenblatt gestanden ist. Sie werden keine Werte mehr haben, keinen Platz auf den fünf Linien, ja, die, mit dem praktischerweise gleich dazugelegten Schlüssel, und die Töne erhalten, was ihnen zusteht, geduldig wartend mit ihren Eßschalen, für jeden zwei Erdbeeren, aber vielleicht könnte ich für meine eine Tochter und für die andre Tochter und die Schwiegermutter im Rollstuhl und dann noch die Schwiegertochter und dann noch die andre Schwiegertochter bitte auch noch je zwei bekommen?, wenn die Töne schon ihre Werte zugeteilt bekommen, warum bin ich da nicht auch dabei? Alles haben wir getan, bloß abgesperrt haben wir nicht mit diesem Schlüssel, nein, beliebte Scherzfrage für Kinder: Welcher Schlüssel sperrt kein Schloß? Welcher Bogen erschießt kein Tier? Die heutigen Kinder werden sowas nicht mehr gefragt, dafür sind jetzt sie mehr gefragt denn je. Ihre Eltern unternehmen oft Übermenschliches, bloß um an sie ranzukommen. Wir aber sind schon groß oder streben Größe zumindest an. Wir sind es nicht, die verschlossen sind, und gegen unsre Töne schon gar nicht, im Gegenteil, wir tun alles!, trotzdem muß da jemand dran gesperrt oder zumindest gerüttelt haben, denn, wir sagen es ja ständig, bitte, glauben Sie uns: Wir hören nichts, sie werden sich also womöglich selbst nicht mehr finden, die blöden Töne. Wir fürchten um sie, obwohl wir nicht mehr wissen, ob es sie überhaupt noch gibt. Eine Rückgabe an uns, vielleicht um sie noch einmal zu spielen?, die würde weitere Gefahren bergen, die wir auch noch nicht kennen. Sie sollen vielleicht besser dort bleiben, wo sie jetzt sind, meinst du nicht? Andererseits muß man Noten, die wir uns angesteckt und am Ständer festgeklippt haben, damit der Wind sie uns nicht wegreißt, und die wir dafür haben verbrennen lassen, obwohl wir sonst nichts anbrennen lassen, ja, auch wenn ein Teil von ihnen noch verwertbar wäre, trotzdem muß man die Noten dann hinter sich verbrennen, wenn man nach vorne durch verbrannte Erde stapft, total vernichten, sonst verpesten sie die Welt. Sie können ihr Gift weiterhin verteilen, strahlende Partikel ihre strahlenden Artikel. Können sich spalten, eine Viertelnote in zwei Achtelnoten in vier Sechzehntel? Ist so nicht vorgesehen. Nein. Sie sind wahrscheinlich überall, nur hier, wo wir sie erzeugen, sehe ich keine. Wenn man sie mal braucht, sind sie nicht da. Aber sie sind sicher überall, wenn auch nicht überall sicher, in Autos, in Reisezügen, in Flüssen, unter Geröll, auf den Straßen. Überall sind sie. Vielleicht hören sie andere, vielleicht hören andere sie, nur wir nicht, nur wir nicht. Und wenn wir sie fänden, die wir sie erzeugten, wenn wir sie fänden, wären keine Identifizierungsmerkmale mehr vorhanden. Wir wüßten nicht einmal, aus welchem Stück sie gekommen wären, sie kommen ja in vielen, in allen vor, mehrfach, vielfach, wie hier zum Beispiel, und oft sind auch sie, die kleinsten Teile einer Melodie, nicht mehr spaltbar, und doch sind sie verstümmelt! Oft nicht einmal mehr vorhanden. Nicht einmal mehr. Nicht noch ein einziges Mal. Aber wissen können wir es nicht. Wir wissen ja nicht, was wir nicht wissen. Wollen wir uns aufmachen und im Schauhaus suchen, vielleicht erkennen wir welche, die von uns sind? Aber dann wird man uns möglicherweise sagen, daß man nicht nach ihnen suchen kann, weil die Gefahr, die von ihnen ausgeht, zu groß wäre. Na ja, aber wie kann etwas zu groß werden, das doch nur wir erzeugt haben? Das verstehe ich nicht. Wie es so viel größer als wir werden kann, wo wir es doch gemacht haben! Ich möchte, daß wir das in den Griff bekommen. Aber wo ist der Griff? Diese Töne haben keinen Griff, an dem wir sie packen und wieder in unsere Instrumente zurückstopfen könnten! Und unsere Griffe bringen offenbar gar nichts. Die bringen es nicht. Unsere Töne sind nicht faßbar. Nachher oder vorher? Wo sind sie unfaßbar geworden? Wo unterwegs? Unfaßbar? Wo? Ich möchte, daß man nach ihnen sucht. Aber das geht nicht. Das geht nicht hier in diesem Proberaum, in dem man nichts hört, vielleicht eine Frage der Akustik, vielleicht hört man uns woanders ja doch!, aber wir haben schon so oft hier probiert, und nie ist etwas passiert. Na ja, aber nicht auf dem Meer, wo wir nicht suchen dürfen, denn auch dort werden stark erhöhte Werte gemessen, und wir erreichen doch nicht mal unsere eigenen Werte, die wir uns selbst gesetzt haben, so wie die Noten die Werte nicht mehr erreichen, die ihnen gesetzt wurden, ja, und auch nicht die Notenwerte, die uns gesetzt wurden! Die wurden eigens für uns gesetzt! Nein, eigens für uns gesetzt wurden sie nicht, das stimmt nicht. Die jedenfalls wir von unseren Stimmen auf dem Pult abgespielt haben, korrekt, wie immer. Note für Note. Doch auch die Noten erreichen ihre Werte nicht mehr, und das geben sie an die Töne weiter, aber: nichts! Nichts. Wir hätten uns niedrigere Werte zum Ziel setzen sollen! Sonst werden wir diese Werte früher oder später in uns einbauen müssen, damit sie nicht mehr verlorengehen, aber dadurch werden wir auch nicht erklingen, wetten?

So. Ab hier, die lange Passage, bis die Stimmen wieder aufgeteilt sind, sollten beide gemeinsam schreien – oder sich ihre Texte selber aufteilen. Sie können sich auch überschneiden, so daß man passagenweise nichts mehr versteht.

A/B: Na ja, wenn wir unsere Werte eingebaut haben werden, kann uns niemand mehr was anhaben. Dann werden wir unter dieses Niveau in zehntausend, nein, in vierzigtausend Jahren nicht mehr zurückfallen. Wir werden nur noch strahlen, das ist mehr, als die meisten anderen können! Unsere Gräten und Knochen sind alle ganz ähnlich aufgebaut, also können wir auch bei den Tieren, die wir essen, unsere Werte erwarten. Die Tiere werden sich, wie die Töne, die wir spielen und die sich uns vielleicht so angeglichen haben, daß sie wir geworden sind, daß sie ihre eigenen Tonerzeuger geworden sind, friedlich auf die Teller und in die Schalen legen, aber es wird sein, als wären sie gar nicht da, und es gibt ja welche unter diesen Erzeugern, die klein sind wie unsere Fingernägel, wir sind ja verhältnismäßig groß, dafür aber verderblich wie alles Fleisch, wie Gras, wie Spinat aus einer vollkommen tonlos, ohne einen einzigen Schrei, versenkten und verseuchten Scholle, wie Blattgemüse, das die Ärmchen emporwirft vor Verzweiflung, zum Verzehr gedacht, für den Verzehr nicht geeignet, verderblich vielleicht nicht, aber schon verdorben, noch während der Frischezeit. Während der Frische-Hochzeit. Und das alles wird sein, als ob es nichts wäre. Kann man alles nur noch wegschmeißen. Wir werden doch nicht unsere eigenen Töne weggeschmissen haben? Das wäre auch noch eine Möglichkeit, aber davor hätten wir sie doch vernehmen, verwerfen und entsorgen müssen! So ist nur die Sorge da, ob sie sich uns angeglichen haben und wir uns ihnen. Alles nichts, oder? Ja, nur keine Sorge: alles nichts. Und ob wir beide und alle unsere Töne verschwinden müssen, ob wir dorthin müssen, wo unsere Töne schon sind, ob wir weg müssen, wohin, wo man dann endlich etwas hört. Oder ob wir selbst unsere Töne geworden sind und daher unhörbar, denn uns hört keiner, vielleicht gibt es uns gar nicht, wenn wir selbst unsere eigenen Töne sind? Töne, die immer noch in den Kinderschuhen stecken, aber noch nicht gehen können. Hast du etwas gehört? Ich nicht. Aber ich bin ja nur die Begleitung von nichts, denn auch von dir kommt ja nichts. Nichts, nichts, nichts. Die Kombination von dir und mir, von uns beiden miteinander, ergibt noch lang kein System. Erste und zweite Geige, eine Rangfolge, eindeutig, immer schon, und das hat sich jetzt alles aufgelöst, nicht nur der Rang, sondern auch das Folgen, und auch der Geigenzähler wird uns da nicht helfen können, fürchte ich, wir wissen ja, daß wir nur zwei sind, allein. Wir Arschgeigen haben jetzt unseren Sinn, unseren Zweck und unseren Lebenszweck verloren. Aber vielleicht hat das Leben ja gar keinen Zweck? Dann wären wir richtig, genau hier. Dann wären wir richtig. So. Und das wird jetzt alles, alles, was man nicht hört, also wirklich alles, lautlos, ohne Hämmern, Sägen, Bohren, Kernverschmelzen, in unser Blut eingearbeitet werden. Das wird uns dann bis auf die Knochen gehen. So daß wir uns bis aufs Blut auf die Nerven gehen. Was noch nicht der Fall ist, weil wir uns ja nicht hören. Wir nehmen alle alles gemeinsam auf, was da ist. Wir nehmen auch die Autogrammsammler auf, die gekommen sind, in der irrigen Meinung, wir wären die Stars. Es war aber nur zufällig derselbe Raum, und wir waren, wenn überhaupt, höchstens die angehenden Stars, im Werden begriffen, eigentlich unbegriffen. Sie haben zwar nichts von uns gehört, haben uns jedoch immerhin gesehen, wir waren sogar alles, was sie gesehen haben, na ja, besser derzeit Autogramme als Pilze oder Wildbeeren sammeln! Das hat ihnen schon genügt, den Sammlern, es hat ihnen genügt, daß da überhaupt jemand war. Wo Stars sind, kommen die Sammler, nicht die Leichensammler, nicht die Tönesammler, einfach nur: die Sammler. Nicht die Fresser, die Sammler. Sie suchen den Superstar, und wenn wir Pech haben, glauben sie, ihn in uns gefunden zu haben. Autogrammstunde. Genau jetzt! Nur wir zwei sind als einzige noch übrig von all den anderen, und so glauben sie, weil sie sonst niemand und nichts sehen, wir wären die Stars, von denen aber nur zufällig noch niemand je gehört hat. Sie glauben, wir würden gewinnen, weil ja kein andrer da ist, von dem man – diesmal nicht zufällig – auch noch nie gehört hätte. Genau. Ist ja sonst keiner mehr da. Man hört keinen Ton von uns, und dennoch glauben sie, wir, ausgerechnet wir, wären die Stars! Und der Andrang nach uns wäre so groß, auf uns einzig Verbliebene, er wäre überwältigend, doch leider wären wir die ersten, die überwältigt würden, ich frage mich nur: Wo kommen die dann alle her, wenn es nur noch uns beide gibt?, das können wir nicht wissen, wir haben es schon gesagt, jedenfalls wäre der Andrang, falls es uns noch gäbe, als einzige, so groß, daß Panik ausbrechen würde. Panik wegen nichts. Wegen absolut nichts. Wegen uns. Wegen nichts. Trotzdem Panik. Massenpanik wegen Musikern, die nichts von sich geben und auch nichts hören können! Nein, sie haben andere Musiker gemeint, sie müssen andere gemeint haben, solche, die mit so Sängern auftreten. Mit krähenden Kindern, mit andren, schreienden, Kindern, Abkömmlingen gebildeter Eltern oder ungebildeter Eliten, die ein unglaubliches Volumen aus ihren kleinen Brut-, nein, Brustkästen hervorzerren. Unglaubliche, so noch nie gehörte Töne, die ihre Kinderschuhe von sich schleudern, das Kind in ihnen bleibt allerdings, ein grober Gehlehrling, ein Geh-Azubi, der einem entgegentorkelt, kaum streckt man eine Hand nach ihm aus, um ihn bei seinem Ausflug in die Weite ein wenig zu stützen. Sie haben lang vor dem Spiegel geübt, und jetzt reißt man sich um sie und ihre recht ungeschickt gespielten Leidenschaftlichkeiten, von denen sie noch gar nichts wissen können. Sie werfen die Ärmchen in die Luft, als könnten sie dort Häuser bauen. Als hätten sie die Macht, etwas Interessantes zu tun. Von wo die alle nur herkommen? Man sieht sie doch sonst nicht, denn rein aus Neugierde kommen die nicht aus ihren Kinderzimmern! Na, von irgendwoher müssen die doch sein. Lächerlich! Und doch: Panik auslösend, wenigstens in Maßen. Eine kleine Panik, gemessen an der Maßpanik, ich meine der Massenpanik. Wer sind wir? Wer sind wir denn schon? Niemande. Wozu haben wir so lang geübt, wenn uns diese fuchteligen Erscheinungen da komplett verdecken, als stünden wir hinter Bäumen? Doch ein Nichts kann schon Panik auslösen, wenn noch genügend Teilnehmer dafür übrig sind. Knochenbrüche bei mindestens drei Menschen! Wer zählt schon nach! Wegen uns! Nein, nicht wegen uns, wir zählen ja nicht, aber wegen Musik und diesen brüllenden Verhätschelten, diesen kindlichen Wollustmäusen, die vorhin noch schnell eine Ruhmcola runtergestürzt haben, damit sie wenigstens irgendwas in die richtige Kehle kriegen, und von denen uns die ganze große Musik dauerhaft trennt, beide Ozeane aneinandergenäht, mindestens, bevor wir diesen Auftrittssüchtigen wenigstens irgendwie verbunden sein könnten. Oje, die Klangmassen kommen! Sie kommen, sie kommen! Quetschungen von vielen unserer jungen Fans, nur unsretwegen! Nein, das nicht. Die Türen könnten verschlossen werden, weil der Andrang so groß wäre, und zwar bereits unmittelbar vor Beginn unserer Darbietung, unserer Vorstellung, bitte, dürfen wir uns vorstellen, doch soweit kämen wir gar nicht, der Privatsender, für den wir spielen, hätte maximal 5000 Personen erwartet, aber es wären viel mehr, es wären unübersehbar viele! Hier wird die Musik abgeschickt, Moment!, noch steht ja keine Adresse drauf! Viele der überwiegend weiblichen Fans, die sind ja die hemmungslosesten, schmeißen sich mit ihrem matschigen Brötchen (jede hat ihr eigenes, ein Auto hat jede aber noch nicht!), das sie einem armen kleinen Würstchen entzogen, dafür aber zusätzlich mit Verstärkern ausgestattet zu haben scheinen, sofort, beim ersten Blickkontakt, wenn grad erst der Strom zu fließen angefangen hat, auf diese Tonlosen, Harmlosen, Machtlosen, die wir, derzeit noch namenlos, aber bald mit Fotos und Videos, sent from my iPhone (das Rationale ist auch nur ein System von vielen, dieser Provider ist auch nur einer von vielen, die alle immer günstiger sind als meiner), zum Antreten aufgetreten, nein, zum Auftritt angetreten sind. Ja, genau, wir beide! Oder sehen Sie hier sonst wen? Es ist entsetzlich, immer diese Augen, Münder, Stimmen, Haare! Immer dieselben, nur anders! Aber nein, auch wir sind ja gar nicht gemeint! Waren die wirklich so gemein, daß sie nicht uns gemeint haben? Oder doch uns? Wir könnens nicht glauben! Die müssen uns meinen! Wen denn sonst? Da ist doch sonst niemand. Und damit Wirklichkeit beherrschbar wird, muß da jemand sein, sonst gibt es nichts, denn ohne ein System, und wäre es noch so unlogisch (und nichts könnte unlogischer sein, als daß jemand ausgerechnet von uns ein Autogramm will!), kompliziert oder merkwürdig uneins in sich und uneinsichtig mit uns, müßten wir improvisieren, etwas schaffen, in dem nur wir uns noch auskennen, niemand sonst, ein Chaos aus Tönen, egal welchen, wir hören sie ja nicht, wir machen sie auch nicht, und diese Mischung aus Chaos und Sinnlosigkeit wäre verknüpft mit allen Möglichkeiten der grenzenlosen technischen Reproduzierbarkeit, jedes Nichts kann ja beliebig wiederholt und wiederholt hervorgeholt werden, es bliebe ein Nichts, aber es könnte mit technischen Geräten immer wieder wiederholt werden, das wiederholbare Chaos, und man wüßte nicht mehr, ob es noch andauert oder schon ein anderes Chaos wäre, gelungene Improvisationen sind oft äußerst haltbar, ja, also dann müßten wir halt improvisieren, und die Technik müßte das auch wieder reproduzieren, und dann würden wir wieder neu produzieren, die Technik wartet schon, die reißt es uns aus der Hand, die nimmt ja alles und schaut es sich vorher nicht an, der ist es egal, die wiederholt das, was wir ihr hinschmeißen, was wir ihr vorlegen, und dann wiederholt sie etwas anderes, das aber dasselbe wäre wie das vorhin, der Technik ist das egal, was sie wiederholt, bis alles gleich ist, vollkommen gleich, dasselbe, ein und dasselbe. Und so werfen sie sich also alle zugleich kreischend auf uns, die wir gar nichts dafürkönnen, wir haben nichts gemacht, wir wollten was machen, aber es ist nichts dabei herausgekommen, kein Ton, vielleicht ist ja einer gekommen, kann sein, aber in der allgemeinen Panik hat ihn niemand erkannt, hat ihn niemand bemerkt, sonst hätten sie vielleicht ihn um ein Autogramm gebeten, ihn, den einzigen vernehmbaren (und identifizierbaren, denn die andren Töne waren leider alle falsch!) Ton, einer kam durch, sie hätten vielleicht den einzigen, der uns entschlüpft wäre, ich glaube, ein zweigestrichenes Gis, obwohl wir es nur einmal gestrichen haben, den hätten sie vielleicht um ein Autogramm umringt, und eher wäre dieser eine Ton eingegangen als die paar tausend Fans mit ihren Wünschen, glaub mir! Nein, glaub lieber du mir! Nein, du mir! Glaub du mir wie ich dir! Das wärs dann gewesen. Wir müssen abbrechen, weil mehr gekommen sind, als wir gedacht haben. Kurze Versorgungen in Behandlungszelten, Bagatellverletzungen, Verbände, Feuerwehr, Polizei, Rettung, aber unsere Töne, wegen denen sie herbeigeeilt wären, um die würde sich natürlich niemand kümmern.

A: Daß es so gekommen ist, tut uns furchtbar leid, aber wir können nichts dafür. Wir werden uns überlegen, wie wir die Verletzten, die einander um Autogramme niedergetrampelt haben, versöhnen können, mit sich selbst und mit uns. Wie wir sie trösten können. Derzeit läuft die erfolgreiche Serie Staffel um Staffel, ist bereits in der 8. Staffel, nur uns läuft sie hinterher, uns läuft sie nach, um uns einzufangen, uns, derentwegen die sich geprügelt haben, die letzten Musiker auf dieser Erde, nein, wahrscheinlich nicht die Letzten, man ist nie der Letzte, bloß weil man sonst niemanden sieht, woanders werden schon noch welche übrig sein, vielleicht wird man die sogar hören!, also die Staffel läuft, die Staffel übergibt, die Staffel übergibt sich, sie läuft schon in der achten Staffel, was? egal! was? egal! Was soll das sein?, ein gemeinsames Abendmahl, ebenfalls eine Art Weißbrot, aber eine andre Sorte, wie in der christlichen Kommunion, wir nehmen alle alles ganz genauso auf, gierig, ohne je zu ruhen, alles, was die Stars tun, ist ja egal, sind nicht wir es, sind es andere, es ist egal, und es ist vielleicht sogar ein blutender tropfender Leib, der Leib Gottes?, ja, könnte er gut sein, nur sieht man den genausowenig, wie man unsere Töne hört.

B: Ich habe es schon öfter gesagt, aber vielleicht stimmt es ja? Vielleicht hört man uns woanders, wo man sich weigert zu sehen, sich dem Hören aber nicht verweigert? Ich weiß, diese Überlegung habe ich schon öfter angestellt, trotzdem ist sie nicht ohne Reiz. An den Auswirkungen dieser Castingshow, an der auch wir extra teilgenommen zu haben scheinen, obwohl wir nichts davon wissen, nichts mehr beweisen müssen und es gar keine Mitbewerber gibt, und auch wir sind ja schon fertiggemacht worden, an dieser Show sehen wir, daß jemand etwas von uns gehört haben muß. Zuvor. Sind unsere Töne ohne unser Wissen woanders aufgetreten und sind dort auf Liebhaber gestoßen? Oder sind das alles Fans von jemand anderem, dessen Töne man vielleicht noch hören konnte? Keine Ahnung. Jedenfalls müssen 14 junge Musikfreunde ins Spital gebracht werden. Dort fallen sie aber gar nicht auf, es ist ja faktisch die ganze Bevölkerung schon dort. Drängen sich auf Feldbetten mit Matratzen ohne Überzug, haben nur noch Fetzen als Decken, Papierwaren zum Anziehen. Und viele erkennt man gar nicht mehr. Vielleicht unsere Töne mitten unter ihnen? Verbergen sich unter den Zuhörern? Nicht in ihnen, sondern mitten unter ihnen? So viele! Unendlich viele! Wahrscheinlich haben unsere Töne diesen Ort aufgesucht, wo man die Lebenden und die Toten, die Tonträger, die die Menschen um den Hals tragen, wie die Töne selbst nicht mehr auseinanderhalten kann.

A: Ist da jemand? Hören Sie was? Für uns könnte das problematisch werden, wenn auch Sie nichts hören! Hören Sie denn nicht einmal, was sich bereits, ohne daß Sie es gemerkt haben, in Ihrem Fleisch abgelagert hat? Sie hören gar nichts? Sie können eine Strahlung, ich meine ein Strahlen messen, aber nicht sehen? Sie können Töne messen, aber nicht hören? Da stimmt etwas nicht. Schauen Sie bei sich nach, ob es Feigheit ist! Haben Sie nachgeschaut, warum so viele grundlos schmähen, was uns doch erst so richtig strahlen läßt? Haben Sie etwas gefunden? Ist es das, was Sie gefunden haben?

B: War das ein Pfiff, den ich eben gehört habe? Also den Pfiff kann ich nicht gehört haben, wenn ich nicht einmal mein eigenes Dahingreifen nach Schall, mein Tappen nach Klang höre. Das kann nicht sein. Irgend jemand verschluckt hier alles. Das Resetten eines Gefühls kann nicht in Gang gesetzt worden sein, nein, das hätte man uns mitgeteilt. Neu booten? Auge, Träne, raus damit, wirds bald, Fremdkörper oder Gefühl, ganz egal, die Tränen fließen! Wir haben dieses Bedürfnis nach den Reinigungsvorgängen, die ja eigentlich auch Eliminationsvorgänge sind, nicht wahr. Wir wollen, daß etwas weg ist, was da ist. Und schon ist das mit unserer Musik passiert.

A: Ja, was da ist, soll weg, genau das nennt man ja Reinigung! Träne, reinige, marsch! Wir wollen alle gereinigt werden, ja, auch von unserem Strahlen. Sauberkeit: höchste Zeit! Wo ist der Wasserstrahl, der uns dekomponiert, determiniert, dekontaminiert, dekompostiert? Na, fertigmacht halt ...

B: Wenn wir bekleidet sind, werden wir nachher schwer zu finden sein. Tatsache. Kein Arm, der uns birgt, der uns in unsrer Wiege hütet, treu bei Tag und Nacht. Schreck und Staunen wird die ergreifen, die uns finden werden. Wenn wir bekleidet sind, beschäftigen wir uns mal mit dieser grundlegenden Frage, die uns allerdings sofort auf den Grund sinken läßt, wenn wir bekleidet sind, so geben wir an, daß folgendes passiert: Die Chance, uns im Wasser treibend zu finden, dürfte nicht sehr groß sein. In der Regel sinken Körper im Wasser auf den Grund, das ist eine eherne Regel. Sie stimmt zuverlässig, so wie wir unsere Instrumente stimmen müssen, sogar noch präziser, denn das ist alles Natur! Die Regel sagt: Noch werden wir dabehalten auf irgendeines Vaters Wunsch, der unseren unsichtbar-kunstreichen Klang stets erforscht und bewundert hat. Noch werden wir behalten, aber etwas hat sich schon eingeschlichen, die Wölbung unseres Inneren hat sie angelockt, die Bestie. Wie tote Tiere angefüllt mit Lust sind wir, Gefäße zum Gebrauch von Unsichtbarem, also, was ich sagen wollte: Das Unsichtbare braucht und gebraucht uns, nicht umgekehrt.

A: Wir sind, was einem Tier am ähnlichsten ist, wenn wir nackt sind, nur: Was ist dann das Tönende an uns, es ist ja wirklich nichts mehr an uns dran? Wir sind jetzt dran! Egal. Ist das Wasser besonders kalt oder liegen wir in großer Tiefe, also mehr als 20 Meter würde ich mal sagen, mindestens, entstehen wegen der Kälte keine Faulgase mehr, also treiben unsere Körper nicht nach oben.

B: Ich habe gehört, daß in wärmerem beziehungsweise flacherem Wasser unsere Körper nach wenigen Tagen wieder auftauchen könnten, dann bleiben wir zwei, drei Tage oben und stinken und sinken dann für immer ab. So hab ich es gehört. Ich wiederhole: Was ist das Tönende an uns? War da was? Das Innen oder das Außen? Oder kommt es von außen in unser Inneres? Woher kommt die Gefahr? Vom Fahren in diesem Fall schon mal nicht. Vom Gehen auch nicht. Aber sicher von außen, das steht fest. Von uns kann sie nicht kommen. Wir sitzen hier und spielen, sonst nichts, und man hört auch nichts. Das ist wie beim Computergame: Auf der Straße würden wir nie so herumschleudern wie beim Spiel. Nur wenn die realen Risiken auf ein Minimum reduziert sind, während sie doch beträchtlich gefährlich scheinen, empfinden wir, da es ja nur auf dem Bildschirm geschieht (schweifen Sie mit Ihren Augen nicht ab!, die Hand am Joystick hat nichts damit zu tun, gar nichts, die weiß schon von allein, was sie tut!, ihr fast schlafwandlerisches Greifen ist ein anderes, während wir doch bei unserem auch noch die Risiken minimieren müssen, damit sonst nichts geschieht, nichts Ernstes jedenfalls, mehr soll es nicht mehr werden, also muß es weniger werden, was auch immer), also wenn die blöden Risiken endlich auf ein Minimum reduziert worden sind, weil ein Mehr nicht mehr möglich ist, empfinden wir das größte Vergnügen, als wär das ein Spiel, wenn wir spielen, herumgeschleudert zu werden und andre herumzuschleudern, bis wir Tränen lachen, denn es war nichts Ernstes, nein, was wollte ich über das Lachen sagen, einen unwillkürlichen Vorgang, den man nicht steuern kann? Ich habs vergessen.

B: Und was wolltest du darüber sagen, wohin wir steuern? Als bekleidete Körper steuern wir ins Nirgendwo, denn dann werden wir ganz besonders schwer zu finden sein, da die nassen Kleider unsere Körper zu Boden drücken werden. Dort werden wir inmitten von Sedimenten, Pflanzen und andren unliebenswürdigen Objekten selbst mit Echolot und Unterwasserkameras schwer zu finden sein.

A: Aber das Wasser wird heiß sein!

B: Schon möglich, doch dem Wasser wird man äußerlich nichts anmerken, uns aber schon.

A: Also im Radius von 30 Kilometern wird überhaupt nicht nach uns gesucht werden können, nicht einmal, wenn man starke Nägel in uns treibt und dann Magneten aussendet, uns zu finden. Was man nicht sucht, wird man auch nicht finden. Unsere Musik ist schon weg, und bald sind auch wir weg. Was an uns könnte noch klingen, da es die Geigen nicht tun? Die Wirbelknochen von Rindern, die niemand mehr essen darf? Die Krötenschalen, die man wird meiden müssen? Die gedrehten Därme unserer Saiten, neben denen unsere Eingeweide bald nichts als Schlamm sein werden? Eine Höhlung voll Müll? Die Wirbel, mit denen wir stimmen, obwohl nichts mehr stimmt? Der Knoten, den uns jemand geknüpft hat? Was?

B: Ob wir es noch einmal erleben werden, daß vollen Klangs sich emporhebt der Schall hier vom Platz? Daß strahlend nun aus dem Ton blühen erdgeborene Gesichter? Daß sie wiederkommen, diejenigen, die man nicht mehr sieht und nicht mehr birgt? Die Tat jedoch, die uns geführt diesen Weg, die wir aber nicht ausgeführt, die andre ausgeführt, nicht wir, nicht wir, wers immer war, der hat den Trug hier verübt, wer, wer?, diese Tat ist jetzt eine Tatsache, gezeugt vor langer Zeit in einer Höhle, die inzwischen zum gemütlichen Zimmer geworden ist, in dem das Licht brennt. Also kann es nicht leer sein. Doch niemand da, der es eingeschaltet hat. Nie ist einer da. Keiner sonst ist der Menschendieb außer denen! Wer auch immer! Die! Die! Ja, genau: die!

A: Doch seien wir deshalb nicht ergrimmt oder ungehalten. Auch wenn nach uns nicht gesucht werden wird. Man wird uns ja nicht vermissen, denn unsere Töne werden schon lang nicht mehr aufgenommen, nicht in diesem Turnsaal, nicht in diesem Volksheim, nicht in diesem Theater. Und wozu wären wir sonst gut gewesen? Ich meine, wozu wären wir sonst nützlich gewesen? Doch wir waren ja weder gut noch nützlich. Wir sind überflüssig. Etwas hat uns überstrahlt, aber diesmal sind keine Autogrammsammler gekommen, zu den Strahlenden, zu denen kommt keiner. Im Gegenteil.

B: Es wäre unverantwortlich, nach uns zu suchen, und noch unverantwortlicher, unsere strahlenden Körper an Land zu bringen. Wir sind nur zwei in dieser Zone, wo man noch mindestens 1000 andere vermutet. Zwei Spieler von vielen, von unsichtbaren Händen bewegt, Spieler, die eigentlich Gespielte sind und noch dazu unhörbar.

A: Aber was hört man sonst noch? Wir haben früher doch gespielt!, jetzt sind wir auf den Status von Zuhörern und Zuschauern reduziert, was wir nie sein wollten. Ich höre Arbeiter, die irgendwas versuchen, seit Tagen, aber irgendwas funktioniert nicht. Ah, jetzt hat es funktioniert! Ich sehe, jetzt hat es endlich funktioniert. Unsere Stimmritzen sind dicht. Unsere Dichter stimmen.

B: Denkst du, irgend jemand hat verhindert, daß unsere Töne unkontrolliert in die Umwelt gelangen, und dann hat er verhindert, daß wir selbst in die Umwelt gelangen? Sind wir die Letzten? Dann dreh mal das Licht ab!

A: Was glaubst du denn, woher das Licht kommen sollte? Glaubst du, das entsteht von selber, glaubst du, es kommt aus dem Haus seiner Mutter und wurde durch Diebstahl der Natur entwendet? Glaubst du, das Licht wird einfach geboren, aufgezogen und lebt dann halt irgendwie bei uns in der leeren Birne?

B: Keine Ahnung vom Licht. Aber ich sehe es nicht. Keins da. Kann nicht nach mehr Licht verlangen, wenn überhaupt keins da ist. Das Licht ist vielleicht Kind geblieben, zu schwach, kann nicht aufstehen, kann sich nicht anziehen, wenn es zu Boden sinkt, wird es dann immerhin leichter zu finden sein, das arme, kleine, nackte Licht.

A: Ich sehe es nicht, das Licht. Ich sehe auch keinen Tunnel, an dessen Ende es auftauchen könnte. Vielleicht sollten wir uns einen Tunnel graben, damit wir das Licht am Ende sehen können?

B: Wir werden doch selber strahlen! Stell dir vor! Ich hab es dir doch vorausgesagt! Man wird uns dann zwar auch nicht hören, wir werden noch weniger als unhörbar sein, wenn das überhaupt möglich ist. Ja, aber strahlen werden wir. Wir werden Licht geben können! Wir werden bläulich strahlendes Licht absondern! Ist das nicht toll! Ist vielleicht besser als sich sinnlos aufzuspielen. Keiner da, dem wir sonst noch aufspielen könnten.

A: Wir werden platzen vor Stolz und strahlen, mit glühenden Wangen. Wenn du es sagst! Wir werden echt strahlen! Wir werden nicht anders können als strahlen, es wird nicht einmal in unserer Macht liegen zu strahlen, wir strahlen dann einfach, weil wir nichts anderes können, denn wir haben es, wir werden es in uns haben, das ist wie der Krieg des Kitzelns; wenn man gekitzelt wird, kann man nicht widerstehen, man bricht, wie Krieg, den ein andrer in uns getragen hat, in unstillbares Gelächter aus.

B: Nichts kann gestillt werden. Überhaupt nichts kann noch gestillt werden, es sei denn durch Diebstahl an der Mutter. Und ist was gestohlen worden, die Milch der Mutter zum Beispiel, dann schau unter den armen Schluckern nach, ob die sie geschluckt haben, die leuchtende Milch der Undenkbarkeitsart! Schau nach, dann findest du sie! Dreh alles um, ja, dich selbst ebenfalls, auch als erste Geige solltest du dir nicht zu gut dafür sein! Such nach der Herkunft dessen, der dich bestiehlt! Der Reiche wird nicht stehlen. Er wird dich vergiften, verseuchen, verstrahlen, aber bestehlen wird er dich nicht, im Gegenteil, er wird dir was geben. Er wird dir Licht geben. Aber bald wirst du von ihm unabhängig sein, genau!, du wirst strahlen! Du wirst selber Licht geben wie die Mutter die Milch!

A: Ja, wir werden Kinder und gleichzeitig Eltern des Lichts sein. Strahlende Matschbirnen. Gut. Das Kind ein Dieb? Nie wieder. Wir werden Kinder und Mütter zugleich sein. Wir werden Licht geben und Licht verwerten gleichzeitig. Wir sind die Kinder, die drinnen eingeschlossen sind und etwas durch den leuchtenden Türspalt hindurch reichen und dabei merken: Von uns kommt das Leuchten!, die draußen werden das schon noch merken.

B: Wir sind das Licht. Treibt uns doch heraus, wenn ihr könnt! Tief drin. Licht? Wir! Hallo! Hallo! Was waren wir und sagten?

A: Also wir helfen denen, die etwas geben, und wir geben es selbst. Die Milch des Morgenlichts. Das Irgendwasgetränk des Abendlichts: überall willkommen! Und wir sind es selbst, das Licht, wir machen es und sind es! Und wir helfen den Kühen mit der Milch und mit dem Licht, wir leuchten ihnen in den Stall, wir sind der strahlende Riß, wir sind der Spalt in der Tür, wir haben etwas gespalten, und jetzt leuchten wir durch diese Spalte, ja, ich erfülle ... Ich erfülle ... was?

B: Ich begleite, egal wen. Ich begleite den, der erfüllt ist, und ich erfülle selbst, ich erfülle meinen Part des Begleiters, ich begleite das Licht nach draußen. Den Lohn? Dann sollten wir in der Zukunft freie Leute sein, oder?

A: Einschrumpfen. Gekrümmt werden. Was?

B: Ein Urteil bitte. Ihr Urteil bitte!

 

 

 

siehe auch: Fukushima - Epilog

u. a. Sophokles: Die Satyrn als Spürhunde
René Girard: Die verkannte Stimme des Realen


21.12.2011

Aufführungsrechte: Rowohlt Theaterverlag


KEIN LICHT © 2011 Elfriede Jelinek

 

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