Epilog?

Eine Trauernde. Sie kann machen, was sie will:


Kein Wort der Wahrheit haben sie ungesagt gelassen, sagen die, die es nicht gesehen haben können. Als Augenzeugin sage ich: Jedes Wort der Wahrheit ungesagt geblieben. Das Wasser im Becken: nicht genügend, setzen! Unser Schicksal gehört keinem anderen als uns, aber dieses Wasser im Becken, ja, das mit den klingenden Stäben, die abgebrannt sind wie viele Menschen, aber noch hochaktiv, nach schrecklicher Erhitzung brennend, nahe der Stadt mit uns als  dem scheinbar unversehrten Schlachtgut, das Wasser wird für unser Schicksal sorgen. Wir werden es nicht in der Hand haben. Obwohl es rings um uns nur Wasser gibt, aber ein anderes. So viele Sorten Wasser! Miteinander kamen sie des Wegs, doch das eine Wasser wurde mißbraucht, das andre mißbrauchte uns, das dritte liegt nur so da. Was kommt? Dies kommt. Wir wissen jetzt, was und wieviel es war. Was aber tun in dem, was da ist? In allem, was da ist? Denn solches lag uns vor, wie gedruckt, aber wahr, ist uns auferlegt, solches, das uns angeht. Doch wir haben es nicht in der Hand. Wer kann Wasser in der Hand haben? Nicht für lange! Wer kann das Wasser im Becken handhaben? Wie Blinde gehen wir Wegweisern, die wir nicht lesen können, aus dem Weg. Wir waren ausgeliefert, ohne Anschrift. Niemand hat das gewünscht, das ist leicht gesagt. Vom zuvorgesetzten Verhängnis, dem Beben, dem Sturm, der Zertrümmerung, so weit ist es gegangen, so weit, so hoch gestiegen, so tief gesunken, bis furchtbare Stoffe, die mit Stoff rein gar nichts zu tun haben, ein Nessusgewand aus bösen Stoffen, austreten konnten, Material, das auch in der Zukunft noch töten wird können, oder, wenn Sie wollen, sofort. Sie können sich von uns noch heiß aus der Hand fressen lassen. Von diesen Stoffen und dem, was sie aus uns machen, keine Rede, obwohl Kleider Leute machen. Von diesem Verhängnis hatte keiner Befreiung. Wir unterliegen ihm alle. Der Angst unterliegen alle. Was geschehen ist -- keiner hat es gewünscht. Natürlich nicht. Was aber gesagt wird, das war erwünscht. Jeder kann es sagen, auch wenn er nie mehr zu Hause anwesend sein wird. Die Menschen, sie sollten besänftigt werden, nicht getröstet: besänftigt. Man wird nichts wissen. Nicht einmal wenn man eine Leiche findet, wird man etwas wissen können, denn keiner wird blutige Hände haben, es wird vollkommen still sein, allerdings erst danach, und man wird auch nicht wissen können, ob es eine Rolle spielt oder nicht, daß das Schreien aufgehört hat. Die Menschen reagieren, die Stoffe reagieren miteinander, das Meer reagiert und regiert allein, das Land hat damit angefangen, es bebt, aber nicht vor Angst. Wir werden alle fünf Jahre zum Test müssen, nein, nicht wir alle fünf Jahre lang, sondern je einer, und zwar jeweils im Abstand von fünf Jahren, bitte jetzt schon hinten anstellen!, wir sind immer noch zu viele Menschen, das bedeutet, daß wir uns vorgreifen werden, wir werden immer nur im Hinblick auf diesen Test leben müssen. Es wird geschehen sein, weil es geschehen ist, aber es wird nicht nachweisbar sein. Sie glauben, dieses Etwas beweisen zu können, das wir Existenz nennen, es ist aber unser Leben!, und wir sind, unabhängig vom Beweis, daß wir leben, davon überzeugt, daß wir es tun. Leben. Wir werden in Zukunft immer wieder beweisen müssen, daß wir existieren und gesund sind, das heißt, man wird uns unsere Existenz und deren Fortdauer erst beweisen müssen, und dann glauben wir es vielleicht der Maschine nicht. Genügen wir nicht? Genügen wir nicht als Beweis für uns? Wir haben keinen Begriff der Existenz unabhängig von unserem Begriff des Existenzbeweises, und der ist bei uns ab jetzt immer in die Zukunft geworfen, wenn wir zum Arzt und seinen Geräten gehen müssen. Es ist geschehen. Es kann sich wiederholen, weil es geschehen ist, denn ernährt werden die bösen Werke immer noch, die dann, als wären sie nicht als Wohltäter gedacht gewesen, mit ihrem eigenen Werkstoff nach uns werfen. Irgendwann sind sie dann aufgelöst, weil sie ihre eigene, ihre innerste Substanz weggeworfen haben, und jetzt sind sie entkernt. Was sollen sie tun, wenn der Stoff, aus dem das Licht gemacht ist, vergeudet wurde, an uns? Verschwendet? Statt Gutes zu tun? Jetzt sehe ich schon klarer, aber diese Klarheit ist nicht hell. Und eigentlich sehe ich gar nichts. Hell? Es darf nie wieder das Wort Helligkeit ausgesprochen werden, denn es hat den künstlichen Beigeschmack, der dem Tod zugesetzt wird, damit wir uns ihm nicht nähern, das Wort Helligkeit ist uns also dauerhaft vergällt. Was sagt der Tod zu alledem? Rufen Sie nicht mich an, ich rufe Sie an!, was sagt man umgekehrt dem Tod, der uns allen dermaßen maßlos zusetzt? Der Zudringliche. Wir wissen inzwischen, daß der überall hineinkommt, wo er nichts zu suchen, nur zu finden hat. Was beweist, daß das einmal ein Mensch war? Man muß ihn konservieren, irgendwann weiß man es dann. Diese Menschen könnten alle einbalsamiert werden, wenn wir sie nur erst hätten! Sie sind dann, wie sie immer waren, nur eben tot. Eisige Winde wehen durch verlassene Zentren. Da läuft ein Vogel Strauß frei herum, ich habe es selbst gesehen, wenn auch nur im Fernsehn! Dort eine Kuh, dort drüben drei Hunde, die sich zusammengeschlossen haben. Ja, gern auch Katzen. Was die wohl früher in ihrer Freizeit gemacht haben?

Die Wahrheit ist grade heraus, ich meine, sie ist grade raus, vor einem Moment, hätten Sie gewartet, hätten Sie sie noch abgepaßt, aber das heißt, sie wird auch wieder hereinkommen. Sie ist nur kurz weg. Wir sehen sie später. Wir werden dafür bereit sein, wenn sie ausgesprochen sein wird. Bis jetzt ist sie noch so ausgesprochen, ich meine so ausgesprochen unglaubwürdig, als ob sie keine Folgen hätte, als ob ihr keiner je folgen würde. Wir sind die einzigen, die ihr folgen. Was bleibt uns übrig? Unsere Leiden weinen, aber man sieht es nicht. Ich zum Beispiel. Ich muß jeden Tag fahren und meine Hunde füttern. Wer kümmert sich sonst um sie? Ich lasse mich nicht gehen, ich versuche, schick auszusehen, trage meine engen Jeans und die spitzen Lackschuhe, manchmal sogar Stilettos. Man muß auf sich schauen, es ist keiner mehr da, der auf einen schauen würde. Dabei macht man sich grade dafür zurecht. Sogar der Friseur ist geflohen. Das war ein super Laden, hätte auch in der Hauptstadt stehen können. Und er steht immer noch, wenn auch leer. Wem würde es nützen, trüge ich etwas anderes, andre Schuhe, billige, bequeme, ein anderes Schicksal, ein bequemes? Etwas anderes als ungeschnittenes Haar auf meinem Kopf? Sie müssen dort bleiben, die Hunde, wo nichts mehr ist. Aber schon vorher war für uns etwas das wichtigste, das man nicht sehen konnte. Jetzt wissen wir es, aber damals hätten sie es uns sagen müssen, denn gesehen haben wir es ja nicht. Um so vieles ist das Denken mehr als einfach nur Glücklichsein. O kommt, o kommt! Hier ist niemand mehr, das wollt ihr doch gewiß sehen! Ihr wollt alle das Nichts und den freundlichen, aber innerlich hohlen Niemand sehen, der alles verschleudert hat, was er hatte, aber auch dafür brauchen wir Licht. Wir haben viel über das Licht gehört, doch wo kommt es her? Tagsüber kostet es nichts, folgt es uns unsichtbar als Gefährte, überallhin. Doch wenn wir bügeln oder fernsehn wollen, dann quält es sich furchtbar, man kann gar nicht hinsehen, es ist plötzlich so wenig davon da, ächzend gespannt in die Geräte zieht es, legt sich ins Gestell, es zieht, es zieht, es kann kaum atmen, doch es versucht uns zu folgen, treu wie meine Hunde früher. Es hängt an uns, weil wir es sind, die es geholt haben. Es hat nicht damit gerechnet, daß es einmal uns würde ziehen müssen, das arme Licht, so mühsam für das Licht! Wie meine Hunde, die früher manchmal Schlitten zogen, nur so zum Spaß. Sie folgen mir nicht mehr, aber sie versuchen es zumindest. Sie kennen mich noch, aber sie legen sich nicht mehr so ins Zeug. Keiner sonst füttert sie. Keinem Gerät ist dieser Schmerz zumutbar, daß es zwar bellen, aber nicht mehr beißen kann, ich meine, daß es einfach nicht mehr funktioniert. Uns ist jeder Schmerz zumutbar gewesen. Das sehen wir jetzt. Wir können nichts dafür. Überflüssig, das zu erwähnen. Da liegen die armen Leichname, Tausende, Zehntausende, ich kannte persönlich etliche von ihnen. Das Wasser hat uns in vielen Fällen das Begraben abgenommen, es ruht jetzt tonnenschwer auf seiner Beute, ernährt sich von den Toten, lachend wirft es die Bande der Fischer ab, die ihm etwas anderes als Totes entnehmen wollen. Niemand würde das kaufen. Jetzt ist das Wasser alleiniger Herr und fängt uns in unsrer Furcht. Ich blicke über eine Einöde, die keine zwei Öden mehr übriggelassen hat. Nichts mehr da. Und die Gefahr ist wie eine Stimme, die ruft, aber man versteht sie nicht. Darüber wurde gesprochen. Überall, auf der ganzen Erde, wo man halt sprechen kann, dort wurde gesprochen. Es wurden verschiedene Varianten des Schicksals besprochen, nur nicht, welche uns erwartet. Oder zu viele Schicksale, die uns erwarten könnten. Man hört sie nicht immer, die Stimme, man kann sie eher sehen als hören, aber man weiß, sie ruft. Diese Stimme merke ich mir sicherheitshalber, ihre Stimmlage, ihre Stimmungslage, falls ich sie je wieder höre, doch es gibt keine Sicherheit. Nicht einmal Zweige da, die Toten abzudecken oder einzuwickeln, aber uns wickelt man ein mit Gerüchten, Lügen, Beschwichtigungen. Wir haben gelernt, alles zu glauben, weil wir immer allen alles geglaubt haben, sogar der Uhr. Ein-, zweimal am Tag stimmt jede. Wir verabschieden uns jetzt von der Energie, die das Unsichtbarste ist, was es gibt, doch sie kann alles, sie kann Gebühren von uns erheben, sie gebührt uns auch selbst, aber sie ist schon so in uns hineingezogen, hineingesickert, daß wir sie nicht mehr rauskriegen werden. Die Gewohnheit ist eine furchtbare Macht, und wir sind nun mal an sie gewöhnt. Es ist alles in dieser riesigen Menge an Toten untergegangen, alles, was gesagt werden sollte, und es geht noch viel mehr unter in einer noch größeren Menge, die nicht mehr steht, nicht mehr sitzt, nicht mehr schwimmt und die man auch nicht mehr sieht. Alles ist weggeräumt worden, und wir räumen immer noch!, Erde drüber, über die Glücklicheren, die an Land geblieben, am besten auf einem hohen Posten, und daher noch da waren und dageblieben sind, auf jeden Fall glücklicher, weil man sie noch sah und immer noch sieht. Die anderen sind verschwunden. So ein Theater wegen dem bißchen Erde! Was soll die schon groß bewirken? Die Erde ein Ungeheuer. Aber ungeheuer ist viel. Ich ändere den Rest um, damit hier das richtige steht: Doch nichts ist ungeheurer als die Natur. Der Mensch ist zwar ein Ungeheuer, aber er ist ein Dreck, ein Nichts gegen die Natur. Sogar ein Blatt ist mehr, es ist genügsamer. Es wird ja nur noch von dieser Natur gesprochen, das Beben, über die Nacht des Meeres kommt es daher, das Ungeheuer Natur, diese Furie, man sieht sie jeden Tag, wenn man uns läßt, wenn man uns hinläßt, wenn man uns nur hinlassen würde!, wenn man uns sie sehen ließe, daherschwankend wie ein Mensch es nie könnte, über die Bretter des Meeres. Da kommt es daher, das Untier, wenn gegen den Winter weht irgendein Wind, aber das ist egal, woher der kommt, er soll jedoch nicht in Richtung Hauptstadt gehen, dort soll er nicht hin, vorher schlagen wir ihm die Krücken und reißen ihm die Motorhaube weg und den Motor raus!, nein, auf keinen Fall, dorthin nicht!, dort sind nämlich auch Menschen, mehr, als Sie sich vorstellen können, Wind, wehe nicht dorthin!, das unsere einzige Bedingung, nicht in die Hauptstadt! Du kannst dich auch hier mit uns amüsieren. Dort würde er ausfahren, der Wind, in geflügelt sausende Häuser, die rennen dann selber, diese hohen, diese sehr hohen Häuser alle, diese Herde von Häusern, als hätte sie das Schicksal gehäutet, dabei sind sie nur innen entkernt, die rennen dann vor sich selbst davon, und die Erde hat nichts Erhabenes mehr, denn jede Erhebung wäre ausradiert. Ist dann verschwunden, wenn auch im Unsichtbaren, das auf uns zukommt und das ich fürchte: Auch in uns einstrahlt das Unsichtbare wie eine Sonne, die grade ihr Haupt erhebt und es wieder, beschämt von sich selbst, senkt, weil das Unsichtbare noch heller ist als sie. Paradox. Die Sonne hat etwas Helleres gesehen als sich selbst! Doch jetzt ist es dunkel, sonst könnten wir ja nie einschlafen. Im Turnsaal der Schule, im Vereinsheim der Gemüsezüchter, im Versammlungsraum der Sonstigen soll massenhaft geschlafen werden, aber das geht nicht. Die Welt leichtträumender Vögel ist ausgeträumt. Wilder Tiere Züge rennen in die verkehrte Richtung. Sie haben nichts vorhergesagt, diese Tiere. Auch sie haben es nicht gewußt. Was man den Tieren zuschreibt, stimmt meist nicht. Sie lassen sich sogar von einer Sonnenfinsternis täuschen. Nur wir wissen, was die Zukunft bringt, indem wir es nicht wissen. Wir leben aber in die Zukunft hinein, und die Vergangenheit steuert uns als ihr Chauffeur.

Es hören viele meine Stimme, sie steht sogar in den Zeitungen, heute steht jeder in der Zeitung, der sich nur ein bißchen darum bemüht. Ich schreie auf, ich klage, doch das Unsichtbare ist stärker. Das Unhörbare am stärksten. Eine unsichtbare Gefahr, geschrien von einer Unhörbaren. Unhörbares, geschrien von einer Gefahr, die sich nicht zu erkennen gibt. Alles ist nichts. Am Ufer sind die Flutlichttürme von unserem Sportplatz verschwunden. Sie sind sinnlos, wie der Sportplatz sinnlos geworden ist, und sie sind doppelt sinnlos, weil keine Sonne sie mehr erhellt, kein Licht sie von innen erwärmt. Es bebte die Erde, aber nicht davon, daß jemand begraben wurde, auch nicht davon, daß so viele begraben wurden. Eingelegt wie Früchte, aber nicht, damit sie sich länger halten. Davon daß so viele begraben wurden, bebt gar nichts. Keine Ahnung, warum sie bebt, das tut sie ständig, die gute Erde. Nicht einmal von der Erschütterung, daß sie ständig bebt, bebt sie heute. Ich weiß nicht, woher das kommt, aber man kann es erklären. So. Das Beben ist vorbei. Die Erde, das Wasser, die nehmen alles auf. Man sieht nichts. Ich klage über das, was durch das Unsichtbare noch alles verlorengehen wird, neben dem, was schon verloren ist, aber ich kann es nicht beweisen. Wie soll ich beweisen, daß das alles hier nichts ist, daß das Nichts alles ist? Laut schreie ich in eine Kammer, die ein ganzes Land ist. So groß, daß es kein Echo geben kann. Die Welt horcht auf, dann horcht sie wieder ab, dann horcht sie an einer andren Tür, einem andren Menschen: In dieser Lunge keine Luft oder  bloß noch vergiftete. Hier hören Sie nichts, dafür garantieren wir! Nur keine Sorge! Das ist nicht bei uns, sagen sie. Woanders. Suchen Sie woanders! Alles tot, nein, nein, das ist schon hier, hier sind Sie richtig. Die Welt setzt auf das Unsichtbare, weil sie hofft, daß sie es einmal wird sehen können. Durch es sehen kann sie schon. Nein, ich meine nicht, durch das Unsichtbare hindurch, ich meine folgendes: Durch das Unsichtbare kann man erst wirklich sehen! Bloß ist es gar nicht durchsichtig, das wäre ja seltsam, wenn das Unsichtbare auch noch durchsichtig wäre! Etwas muß man schon haben von ihm! Irgendeinen Genuß oder so. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Ein Rätsel, aber es gibt schwierigere. Die Welt sieht durch das Licht, aber sie sieht nicht durch das Licht hindurch, woher es kommt. Das ist Natur, ja, genau das muß sie sein. Den Geängstigten, die vor ihr geflohen sind, weil sie wieder so gebebt hat, forschen wir nach, wo sind sie hin? Alle fort! Alle fort. Unser Verhältnis zum Tod wird nie wieder ein so aufrichtiges sein wie zuvor, bevor dieses Unsichtbare über uns gekommen ist und sichtbare Schrecken hinterlassen hat. Etwas, das man nur an seinen Auswirkungen erkennen kann: Das ist alles, was uns bleibt. Das macht den Tod so unnatürlich, es ist ja auch kein natürlicher Tod, auch wenn wir ihn totschweigen, das Schweigen ist toter als der Tod selbst, er ist da, er ist da! Er ist angekommen, auch wenn unser Auto im Meer verschwunden ist. Der eigene Tod ist unvorstellbar, wenn wir merken, daß wir nur als Zuschauer dabeisein können. Was den Tod der anderen betrifft, so wird sorgfältig vermieden, von dieser Möglichkeit zu sprechen, wenn die zum Tode Verurteilten es hören können. Aber was tun, wenn die überall sind? Nur schweigen? Kein Licht und immer nur schweigen. Noch mehr schweigen? Sich anstrengen, noch besser zu schweigen? Die Seitenzahl unserer Toten ist abgedeckt worden, damit niemand etwas von ihnen weiß. Die Leute sterben, sie wissen es schon vorher, aber sie können es sich nicht vorstellen. Oder erst nachher. Und dann ist die Vorstellung keine Kunst mehr, während die Schuldigen schon üben, sich zu verstellen. Sie verstellen alles mit sich. Sie sind so groß, ich weiß nicht, sie sind mir vorher nie so groß erschienen, aber statt des Lichts haben sie ein unsichtbares Gitter, einen Raster, in dem sich keiner ausrasten kann, über uns geworfen. Eingeteilt in Planquadrate unsere Lebensgrundlagen. Unser Grund. Der, der, die, die, der und die und aus. Sie wurden über die Beschränkung ihres Lebens hinweggehoben wie Kinder über einen Bach. Die Schuldigen werden über alles hinweggetragen. Kinder sehen über den Tod hinaus, sie sind die einzigen, die das können, aber auch nur, weil sie sich auf das freuen, was passiert, wenn die Eltern tot sind. Dann wird es erst richtig schön. Hier sterben aber alle. Ohne Ansehen der Person, ja, die Ansehnlichen auch.

Unser Leben ist jetzt verarmt, es hat sogar das Interesse an uns verloren. Nur diese Männer, irgendwer segne sie, denn ihre Firma tut es ja nicht, die haben den höheren Einsatz des Lebens gewagt, sie haben eine ernste Konsequenz aus sich selber gezogen. Das wilde Ringen des Unsichtbaren ist in ihnen, vielleicht nicht ganz freiwillig, aber doch zu einer Entscheidung gekommen, die muß jetzt nur noch ausgeführt werden. Aber das ist nicht so leicht, wie meine Hunde auszuführen. Außerdem führen die sich längst selber aus. Und diese Männer haben nicht einmal die Sicherheit, in die Sicherheit zurückkehren zu können. Denn dort ist nichts mehr. Kein städtebeherrschender Stolz mehr. Zu nichts kommt man mehr. Keine Freizeit. Die Jungfrauen haben keine Zeit, ein Grab auszuheben, eins wäre auch sinnlos bei dieser Menge an Toten. Der Fund dieses Grabes beweist gar nichts, wo es Tausende gibt, und das ist erst der Anfang, noch viele mehr unbestattet im Meer. Begraben sah ich da eine die Toten, aber jetzt sehe ich nichts mehr. Ich sehe keine sich bücken, ich sehe keine Vögel trauern, ich sehe von keinem warmen Sturm den Wirbel, ich sehe keine Himmlischen, die unsretwegen betrübt wären. Ich sehe Gemüse, das ich nicht essen darf. Ich sehe Obst, vor dem ich die Augen verschließen muß. Ich sehe Fleisch, das ich wegschmeißen muß, obwohl ich nicht recht einsehe, warum, denn man sieht ihm nichts an. Ich glaube, man sieht aber auch das Gute nicht mehr. Dort trauere ich, allein. Muß später noch die Hunde füttern, auf Schleichwegen, ich darf ja gar nicht hier sein. Ich mache mich schick für sie. Für wen sonst? Die Lackschuhe sind unbequem, die Jeans sind zu eng, aber für wen soll ich mich noch schön machen, wenn nicht für sie? Sie erkennen mich noch, doch sie verwildern zusehends, ich habe ihnen freigegeben, hinter den eisernen Gittern, jetzt geöffnet, laufen sie im Kreis, brauchen keine Geduld, es wartet nichts mehr auf sie. Nur noch ihr Fressen. Vorher waren wir Fressen für ich weiß nicht wen, wir waren ein Fressen für die! Für die Firmen! Unwissend. Wer hat sich diese Tode alle gewünscht? Niemand hätte so viele Wünsche frei gehabt, sich den Tod all dieser Menschen zu wünschen, selbst wenn es Feinde gewesen wären, Todfeinde! Es waren aber nur wir. Wir waren das. Immer nur wir. Wir liegen hier. Das bißchen Erde, was ist das schon, aber man darf es nicht anfassen. Nicht persönlich jedenfalls. Nein, das ist nichts Persönliches! Man darf nicht damit werfen, man darf nichts anbauen, man muß es abtragen, nicht so schlimm, darunter ist ja auch Erde! Unsere Schuld an die tragen wir immer noch ab. Aber so wie es jetzt ist, darf man es nicht betreten, dieses Stück Erde, mit dem einst Biobauern gerungen haben, oft hat die Erde gewonnen, nicht sie. Bitte nicht anfassen, sonst müssen Sie sich mit diesem Gerät sofort auf Ihren Gehalt hin vermessen lassen! Als könnte man unsere Vermessenheit messen! Man darf gar nichts mit dieser Erde machen, mit einer anderen schon, mit dieser hier nichts. Man darf nicht einmal den Tieren geben, was darauf wächst. Und man darf die Tiere nicht essen, die gefressen haben, was darauf gewachsen ist. Ich bin nicht einmal eine armselige Wahrsagerin, es ist ja alles schon geschehen. Als ich zu sprechen anfing, war alles schon vorbei. Ich bin eine Nachsagerin, eine Nachträgerin, ich trage den Opfern ihr Leben nach, aber sie schaffen es nicht, wieder hineinzuschlüpfen. Diesen Schuh ziehen sie sich nicht mehr an. Meine spitzigen Lackschuhe drücken so. Macht nichts. Ängstlich forsche ich irgendwelchen Worten nach, die aber keine auszusprechen gewagt hat. Manche haben sie auch absichtlich nicht gesagt. Sie hatten keine bösen Absichten in ihren scharfen Stimmen, die alle der Firma gehörten. Diese Firma sprach immer mit einer Stimme. Mit einer einzigen Stimme, obwohl nichts davon gestimmt hat und obwohl es viele Stimmen sind in dieser Firma. Doch alle sagen das gleiche. Wofür dann die vielen Stimmen, wenn es ohnedies nicht stimmt, was sie sagen? Eine würde genügen. Was war da los? Ich forsche dem Nichts nach, das aber schon da war und wieder gegangen ist, und da es eben das Nichts ist, merkt keiner, ob es überhaupt noch da ist. Man würde es nicht sehen, es wäre nichts zu sehen. Aber die Firma, die vielstimmige Hydra, hören wir immer noch. Lieber wäre sie, glaub ich, ein Hydrant, damit es mehr Wasser gäbe. Zum Kühlen und für den Kreislauf und für den Kühlkreislauf.

Gehen Sie weiter, hier gibts nichts zu sehen! Die da waren, die sind alle weg. Ich hüte den leeren Platz, wo vorher Hütten waren, nein, sogar schöne Häuser, große! Geängstigt forschen wir den Worten unserer Herren nach, aber die sagen nichts. Oder nein, hören Sie die Herren sprechen: Warum hat uns nicht einer vorher erschlagen? Warum hat sich uns nicht einer entgegengestellt? Wir Feigen, ach! Ach! In feiger Not sagen wir gar nichts, aber von Mord wollen wir nichts hören, vom Mord lassen wir uns entbinden, als Firma sind wir entbunden jedem Verbrechen, sagen sie, da ist es ja!, es wurde von uns entbunden, und dafür wurden wir selbst entbunden von jeder Rechtfertigung, o je, wir tragen jetzt die Schuld von allem und jedem, das ist ungerecht, man kann uns nicht an allem die Schuld geben, wir wollten das nicht, aber einen Befehl bezüglich der Verstorbenen, für die wir nicht verantwortlich sind, geben wir nicht. Wir geben Befehle nur Lebenden. Und auch die nehmen Befehle nur von uns entgegen. Westinghouse? Areva? Der Elektrische General auf seinem bockenden Übungspferd, das ihnen bei der Apokalypse dann fehlen wird? Wenn sie die vier Pferde durchzählen, was ja schnell erledigt ist? Kein Befehl von den Firmen und an die Firmen! Wieso Befehl? Kennen wir nicht! Wir haben von Anfang an nichts gehört, wir haben nichts von ihnen gehört, und wir haben jetzt noch viel weniger von ihnen gehört. Und von uns hört auch niemand was. Nichts, das heißt immer lügen. Achten Sie darauf, daß es Gerüchte gibt! Beachten Sie diese Gerüchte nicht! Der Norden wird nicht, wie von manchen behauptet, unbewohnbar sein. Es wird nicht ein Gürtel durch das Land führen beziehungsweise um das Land herumgeschnürt werden, so daß man von der einen Hälfte nie mehr in die andere gelangen kann! Das wäre sowieso unvorstellbar. Und es stellt sich auch keiner davor. Andere stellen sich bei einer Firma jetzt vor, ja, meine beiden Cousins auch, sie müssen ja essen. Alle anderen sind weggezogen. Die Welt als Wille und Verstellung und Verteilung und Verurteilung. Dieselben, die die Totenspeicher erbaut haben, bauen jetzt auch die neuen Häuser, die, und das ist auch neu, ganz sauber sind. So sollen wir sie auch erhalten. Sauber. Trotzdem: Haus ist schließlich Haus, es sieht nur öfter anders aus. Sie sind nicht infiziert, diese neuen Häuser. So werden sie gebaut: nicht angesteckt. Der Brandschutz und der Infektionsschutz sind schon inbegriffen, ja, Sie können ruhig hineingreifen! Das hätten sie auch gleich so machen können, noch vor der Infektion, vor dem Brand und bevor alles zusammengestürzt ist! Diese Firmen haben wie immer vorgesprochen und dann den Auftrag an Land gezogen, an das Land, das sich an ihnen so schrecklich infiziert hat, das tut ihnen allen so leid, aber gebaut muß werden, sonst wären sie keine Baufirmen, auf die man bauen kann, und wir müssen die Firmen nehmen, die wir zur Verfügung haben. Wir können nur hoffen, daß sie nicht über uns verfügen werden. Die Welt beim endlosen Vorstellungsgespräch mit sich selbst. Mit der würde sonst niemand reden. Nein, mit dieser Firma auch nicht, und mit der dort auch nicht. Was haben sie getan! Doch es muß etwas getan werden, das steht fest. Was ich eben gesagt habe, das habe ich mir nicht gewünscht. Was ich gesagt, eben, das hab ich gewünscht. Sie müssen sich gar nichts wünschen, nur keine Sorge. Von diesem zuvorgesetzten Verhängnis kann kein einziger Mensch befreit werden, kein Sterblicher, denn der stirbt halt einfach und aus. Wie schon sein Name sagt. Ich schreie auf, ich schreibe auf, ich bin ganz nah dran an dieser Lüge, aber es ist ihre Art, die Art der Herren, sich immer wieder zu entziehen, immer einer dem anderen, und sie haben niemals Entzugserscheinungen, die Herren, die nur sich und keinem anderen gehören und nur auf sich und keinen andren hören. Das alles entzieht sich dem Wort, aber nicht meinem. Doch was ist schon eine Klage! Frauensache. Unsinn. Große Blicke, große böse Streiche vergelten? Nicht die Sache der Frauen. So wie sich uns alles entzogen hat, ja, auch den Männern, und auch das, was nicht spricht, was stumm ist oder Stimme, egal, Natur, einmal gebrüllt, gut gebrüllt, Löwe!, dann Stille, es entzieht sich uns alles, was keinen Herren kennt und in uns den Herren schon gar nicht erkennt. Wir wissen nichts. Ich höre keine Stimmen. Wir sind vielleicht Frauen von irgendwem, doch wir sind nicht Herren von irgendwas. Wir bluten, aber wir sind es nicht. Es stimmt nicht, was ich sage. Und diejenigen, die eingestimmt haben, mir zugestimmt haben, hören einander auch nicht. Watte die Welt. Gedämpft. Bin ich Wahrsagerin, doch nur für mich selbst? Für die anderen Nachträgerin, weil ich so nachtragend bin, ja, das gebe ich zu, für mich aber Wahrsagerin? Will hier denn niemand etwas hören, das heißt glauben? Wo alle Falsches sagen, soll niemand mehr gehört werden. Nie wieder gehört werden. Nie Gehör finden. Wer etwas gehört hat, ist schuldig. Wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen? Besser, Sie sagen jetzt nichts mehr. Haha, wie die sich freuen da unten! Aber ich rede weiter, nichts und niemand kann mich noch hindern.

Das Schloß hinter uns verriegeln, so daß niemand mehr reinkommt, damit nach uns niemand mehr kommen kann, das kann nur der Tod, aber auch der kann sich irren, und so kommen immer wieder Neue nach. Kein Riegel sperrt sich mehr, gegen niemand, doch wir sind ohnedies weg, mehr können wir nicht tun. Wir sind einfach gegangen und Schluß. Es donnert noch das Echo, das ist etwas, das immer von etwas anderem herkommt. Es kommt herein. Der Tod braucht kein Loch und keinen Schlüssel. Der braucht nichts, was er erst irgendwo hineinstecken muß. Ich sperre das Haus ab. Die Hunde füttern, das muß noch sein. Das ist alles, was bleibt. Dort sind noch mehr Lebewesen, aber leben tun die meisten von ihnen nicht mehr. Streunende Hunde, auch fremde, einst uns so lieb, auch andren lieb, die meisten jetzt auch schon tot. Kein Nachschub mehr. Wo alles weg ist und der Rest vollkommen unsichtbar, schiebt keiner mehr was rüber. Hier wird nicht mehr investiert. Lohnt sich nicht. Wo gebaut wird, das ist dort drüben. Voll gewaltiger Krankheit die Gegend. Nur die Konzerne gesund. Danke vielmals. Auch wenn sie schrumpfen, dann schrumpfen sie sich gesund. Wenn sie wachsen, dann haben sie gesundes Wachstum. Hinter unseren eigenen Gräbern stehen wir, wie Geschirr auf Wachstuch, diszipliniert wie immer, in Schutzkleidung, das Werkzeug in der Hand, den Dosimeter, der knattert so nett. Jedes Kind bekommt einen ausgefolgt, und unsere Kinder sind es gewöhnt, zu folgen. Sie werden durchleuchtet bis auf den letzten Knochen. Sie stehen still in diesem Gerät. Was bleibt ihnen übrig, was bleibt uns übrig. Wir sind alle Kinder. Wir verstehen nichts, und es kann uns nichts erklärt werden. Daher wird uns natürlich auch nichts erklärt. Man kann uns nicht nachsagen, daß uns was erklärt wurde. Was sollen wir da noch machen? Die Gräber sind ja bereits geschaufelt. Für uns? Unsere eigenen? Ich hoffe nicht! Die Belastung fällt in die Kategorie: niedrig, wird uns berichtet. Das Problem: Über niedrige Belastung weiß keiner was, weil wir alle so hoch davon belastet sind, allein davon, wo wir jetzt wohnen sollen, was mit unseren Sachen geschieht, was mit unseren Eltern geschieht, was mit unseren Eliten nicht geschieht, was mit unseren Tieren geschieht, was mit unserer teuren Wohnungseinrichtung geschieht. Das sind doch Belastungen! Und zwar im meßbaren Bereich, was nicht viele Belastungen von sich sagen können. Viele zahlen noch ab, haben aber nichts mehr davon. Sie sind nicht niedrig, die Belastungen, und sie strahlen nicht wie Lampions beim Fest. Uns geht es gut, danke. Unsere Lage ist nicht schlecht, nur sind wir jetzt, angeleitet von Fremden, ja, auch von unserem Herrn Bürgermeister, danke vielmals, woanders als dort, wo wir gern sein wollen und wo wir auch hingehören. Ein geringer Preis. Nur den Tod gibts ganz umsonst. Den Tod gibts im Norden, wer dort ist, sollte besser von dannen ziehen. Aber anordnen können wir das nicht. Das Gebiet ist zu groß und zu gebieterisch. Dieses unglückliche Lager, das doch auch zu uns gehört, muß wenigstens nicht bezahlt werden, ich hoffe doch, nicht!, ein Lager, in das kein Licht mehr scheinen wird, das Lager unter der Erde wurde ebenfalls bereitet, danke, gut, vielleicht noch etwas Meersalz gefällig? Von der Kühlung haben wir noch Tonnen davon übrig, noch findet sich kein Konsument dafür, der es essen würde, aber das kommt vielleicht noch. Vielleicht wird es sogar eine Delikatesse sein! Wir aber, wir sind um die Gesundheit unserer Kinder besorgt. Wir sind um unsere eigene Gesundheit besorgt. Wir sind überhaupt besorgt. Was erwartet uns für ein Schicksal? Es werden uns keine bedenklichen Werte angezeigt. Was uns gezeigt wird, ist unbedenklich, weil keiner drüber nachdenkt und uns sonst nichts gezeigt wird. Allerdings haben wir auch kein Licht mehr. Oder zuwenig. Wir sehen zuwenig. Wir hatten so viel davon, jetzt haben wir nichts mehr davon. Wir haben nichts mehr davon, daß wir soviel Licht hatten. Auch keine Sprache mehr. Kein Klang. Sonne für wenige Stunden, braucht keine Energie, das ist praktisch, aber den Abgrund unter uns leuchtet sie nicht aus. O wir Armen, was haben wir getan, was haben wir der Sonne bloß angetan? Warum haben wir sie durch Wettbewerb so zornig gemacht? Wir haben ihr nicht vertraut, wir wollten was Besseres als sie. All die Geräte, die Apparate, alles, und nun die Sonne auch noch dazu? Wir sind wirklich unersättlich, und dabei wollen wir immer nur satt werden, wir sind ja bescheiden, wir haben nur gekocht und Geräte gespeist. Doch schnell wird man ein Nimmersatt. Opferrauch steigt hoch, das kommt nicht von einer Kochstelle, o nein!, Hilfe!, das kommt womöglich von einer Kettenreaktion! Das kommt nicht vom Wasserstoff, das kommt vielleicht von einer Kette von Reaktionen, deren Glieder wir nicht kennen. Wir wissen nicht, was uns krank macht. Wir bescheiden uns mit dem, was man uns gibt. Die Sonne war früher für uns bestenfalls Beilage. Das, was zu unserem Essen hinzukommt. Das wäre nicht gegangen, daß wir mit der Sonne allein zufrieden gewesen wären. Das Obst war schon zufrieden, wir warens nicht. Sonne, du Arme, du Fleißige! Jetzt voller Krankheit die Stadt! Wir haben dir Konkurrenz gemacht, und du hast es erduldet! Sonne, halt! Gib uns nichts mehr gratis, wir wollen lieber etwas, mit dem sich etwas verdienen läßt, das wir aber nie verdient haben! Mit wilden Augen gegen das Licht, solang es noch geht. Unter der Erde gibts ja keins. Früher waren da diese kleinen Kühlschränke, so nett, überall, in den Zügen, auf Bahnhöfen, sogar mitten in der Wildnis, eiskalte Getränke darin, überall leicht verfügbar, auch dort, wo man es sich gar nicht vorstellen würde, auch dort, wo man sich gar nicht vorstellen würde, daß man sich aufhält und ein eiskaltes Getränk braucht. Jetzt nicht mehr. Jetzt keine Kühlung mehr, keine Hitze, kein garnichts. Und diese Männer arbeiten immer noch, sie wissen nicht, wohin mit sich und wohin nachher, sie wissen nicht, für wen, ihre Vorgesetzten sind vor ihnen, aber sie haben immer andere Vorgesetzte, wie Platzdecken, die man übereinander türmt, immer einer dem anderen vorgesetzt, bis keiner mehr weiß, wer er ist und für wen er arbeitet, die Arbeiter werden gestapelt, gewaschen, getrocknet, und wenn man sie braucht, holt man sie. Mehr als vier Stunden hält das sowieso keiner aus, und wenn sie mit sich fertiggeworden sind und wenn man mit ihnen fertig ist, dann holt man neue. Es gibt immer welche, die essen wollen. Man sagt es ihnen, was sie tun und wo sie sich ihr Essen abholen sollen. Man sagt ihnen jeden Schritt an, denn es muß schnell gehen, daß man sich dem Unsichtbaren wieder entzieht. Gerade weil es unsichtbar ist. Sie haben kein Dorthin, diese Männer. Über ihnen turmhoch irgendwelche anderen Firmen, die sie sich leihen und dann an andre ausleihen und die wieder an andre, bis nur noch geliehene Menschen übrig sind, für die keiner mehr die Leihgebühr bezahlt. An wen denn? Man sieht ja längst nicht mehr, wem diese Männer gehören! Die gehen ohnedies bald kaputt. Sogar Leihwagenfirmen nehmen normalerweise immer die neuesten Modelle. Mit diesen Menschen geht es nicht, daß man an neue Modelle auch nur denkt. Sie wurden von keinem geschickt, sie sind nicht geschickt, und ihre schweißfeuchten müden Arme rutschen ab vom Hügel, ja, dem mit dem geraden Haupt, den das Wasser buchstäblich rasiert hat. Jene Müden sind ja selbst wie dieser Hügel mit diesem seltsam gesenkten, wie abgefallenen Haupt, das sie nicht mehr aufrechthalten können. Viel wird ihnen das nicht bringen, daß sie einst stolze Menschen waren. Das, was sie hier tun, wird ihnen den Rest auch noch nehmen. Oder wird es ihnen den Rest geben? Ich weiß es nicht. Nein, Rast gibt es jetzt keine. Es muß alles koordiniert ablaufen, und stellen Sie sich vor, was passiert, wenn ein Geliehener plötzlich seinen wahren Besitzer sucht! Da kann er lange suchen! Es wäre die Hölle los, was uns aber nicht schreckt, denn wir kennen sie schon. Wäre es nicht besser, ich sagte jetzt: Überlassen Sie diese Ruine doch bitte sich selbst und gehen Sie weg, so sprach, mit genau denselben Worten, einer, der es wissen mußte, aber man hat ihn dann doch nicht gelassen. Man hat ihm nicht gestattet, uns diese Ruine zu überlassen, zur freien Verfügung. Dieses Becken ist höchst gefährdet. Die Nerven liegen blank, diese Stäbe hier liegen blank, und, was viel gefährlicher ist, dieser Kern hier liegt blank, von dem nur wenige gewußt haben, daß er überhaupt da ist. Danke für die Info, aber das wissen wir, ich weiß nur nicht, was. Sie, ich meine Sie, mein Herr, Sie, meine Dame, sind alle höchst gefährdet. Wenn Sie sich im Norden aufhalten, verlassen Sie ihn lieber, nein, vielleicht nicht lieber, aber verlassen Sie ihn, solange Sie noch können! Danke für die Info, aber das wissen wir, weil Sie es uns vorhin schon gesagt haben. Wir bleiben dennoch im Norden, weil wir nicht wissen, wohin sonst. Dort hängen unsere Trauben. Zum Glück nicht zu hoch. Hoffentlich vergiften sie uns schnell. Das Leben war davor, es war, bevor etwas gesagt worden ist. Deshalb hört man den Schall nicht. Weil er hinter der Quelle hockt und seine Notdurft verrichtet, ja, das darf er, wenn auch vielleicht nicht grade dort. Es spielt keine Rolle, es ist ohnedies alles vergiftet. Ich habe vorhin ein Schreien gehört, oder war das vor einer Woche? Sonst hört man aber nichts. Der Schall kommt nicht rechtzeitig aus seiner Hocke hoch. Er ächzt lautlos, muß sich am Boden abstützen. Sie wollten diese Ruine aufgeben, das heißt aber nicht, daß die Ruine untätig geblieben wäre. Im Gegenteil, die arbeitet mehr als wir! Nur ein kräftiger Schwall Wasser, zuerst aus dem Meer, dann süß wie Zucker, damit das Gift weggeschwemmt wird, am liebsten in unsere Nahrung, dort kann es sich dann ausruhen, später in uns selbst, nur dieser Schwall Wasser also steht zwischen uns und unserer Reinigung, nein, zwischen uns und der Regierung, zwischen uns und der Hölle. Zwischen uns und dem Feuer, das kein gewöhnliches Feuer ist, es ist eine ganze Feuerkette. Fliegt ab und zu in die Luft. Macht nichts, dort ist genug Platz. Diese Ruine, eine von mehreren, die sind ja alle hin, hätte sich genauso hingehockt wie der Schall, vielleicht anders, aber jedenfalls hockt sie hier, wie die anderen, Teile fliegen aus ihr heraus, werden emporgeschleudert, einen Kilometer, vielleicht höher!, viele von ihnen liegen auch schon da wie unsere Toten, wie diejenigen, die gleich gestorben sind, die andren werden später sterben, es kann Jahre dauern, bitte gedulden Sie sich, jeder kommt dran, und wenn Sie sich bücken müssen, dann bücken Sie sich eben, und wenn Sie etwas andres machen wollen, dann wird es Ihnen geschehen, es wird mit Ihnen gemacht werden, es wird Ihnen passieren, daß das Gift Ihren Körper passiert, ohne eigenes Zutun, schauen Sie nur: Dieser Ruine, diesen Reaktoren, die schließlich auch nur reagiert haben, das ist schließlich ihre Aufgabe, denen ist das schon passiert! Aber es macht der Ruine nicht viel aus, denn praktischerweise lag sie ja bereits am Boden, und sie hätte aus Not gedurft, was sie getan hätte, was? Ich weiß es nicht. Man wollte sie, dieses Überbleibsel, das früher so energiegeladen gewesen ist, sich selbst überlassen. Das war nicht gestattet. Das wurde im letzten Moment verhindert. Also nichts wie Wasser drauf, volle Pulle, was wir haben. Rein damit! Nur zu! Was haben wir davon? Dieses Begräbnis von uns allen wurde verhindert. Es wurde auf später verlegt. Es wurde verschoben wie diese Arbeiter. Ich Armer, der ich das alles angeordnet habe, sagt ein Herr, den ich nicht kenne, niemand kennt ihn, er muß seinen Hut nehmen, findet ihn aber nicht, was sagt er, was sagt der nächste, nach ihm? Wer ist das überhaupt? Ich Armer, sagt er, ein Angestellter, sehe vor mir hier nur die Toten und wollte doch soviel Leben, ich wollte mehr Leben als geplant war, ich wollte ihnen das Licht bringen, diese Firma gehört mir nicht, nein, wer das behauptet, der lügt, wie alle, alle lügen, diese Firma gehört einem anderen. Sie gehört Menschen, die kein Gesicht haben, inzwischen wissen Sie ja, wie sowas aussieht. Entsetzlich. Ihr Gesicht verlieren die Menschen zuerst. Das ist für uns das Schlimmste. Trotzdem. Mein ist die Schuld an diesem Unglück, gut, nehme ich sie halt, man hat mich bestimmt, sie mir zu nehmen, spricht die Erde, die gebebt hat, spricht das Wasser, das gekommen ist, spricht das Becken, das geborsten ist, bis alles ausgelaufen ist, wir konnten gar nicht so schnell weglaufen, wie dieses Kühlwasser ausgelaufen ist. Wer. Spricht. Da. Sie lag da einfach so herum, die Schuld, also hat man mich bestimmt, sie zu nehmen. Ich stehe hier und trauere, also bin ich schuld wie jeder. Nein, nicht durch die Trauer. Dadurch, daß ich da stehe? Die Reaktoren sind auch hier gestanden und haben brav reagiert. Ich muß gestehen, daß sie mir abgehen. Sie waren irgendwie, wie soll ich sagen: nützlich. Wir hatten es warm und gemütlich. Ich bin schuld wie jeder andere auch. Ich verbeuge mich tief. Das kann ich gar nicht oft genug tun. Ich bin verantwortlich, weiß aber nicht, wofür. Oder jeder ist verantwortlich, der am Abend im Bett noch lesen wollte, ein Spiel mit seinem Gerät spielen oder einen schönen Film im Fernsehen anschauen. Ich wollte, was alle wollten, wieso soll dann ich schuld sein?, daß diese Leute hier gut leben in ihren Häusern, mit so Geräten, mit allem, und jetzt sind sie tot. Jedenfalls die meisten von ihnen. Der Rest krank. Der Rest krank für später, der hebt sich sein Kranksein für später auf, das wird vielleicht erst nach Jahren herauskommen, Überraschung!, eine Überraschung, die immer schrecklich sein wird, auch wenn sie einen dann gar nicht mehr überraschen wird, welche Krankheit er haben wird, wer auch immer. An welcher Krankheit werden Sie leiden? Wir haben ein breites Spektrum zur Auswahl, und alles Krebs! Vielleicht hätte man die alle unterpflügen sollen? Aber nein, sage ich. Soviel Erde hätte es gar nicht gegeben, uns alle miteinander sofort, noch warm, zu begraben! Mit scharfer Stimme würden Vögel nur um uns trauern, unser Nest wäre leer, verwaist. Die Vögel würden aber auch bald verstummen. Wir würden es nicht mehr hören, wir hören das Verstummen ja nicht einmal jetzt, da noch alles durcheinanderredet, -schreit, -weint. Erblicket die Toten und jammert laut! Jemand hat uns unsere Welt versaut! Unsere Gesundheit wurde nicht geschützt. Sonst wurde alles geschützt, aber offenbar nicht genug. Es gab nicht genug Schutz für alles. Für alle vielleicht, aber nicht für alles. Dafür wurde etwas angeleitet und dann Wasser eingeleitet, von überallher, aus der Erde, vom Meer, aus der Luft, aus den Hubschraubern, Wasser, immer nur Wasser, pfeilgerade ins Ziel, in unser Herz, einer muß es ja tun, einer muß Ordnung schaffen, das Ganze umordnen, man nennt das dann Unordnung, und jetzt hangeln sich die Menschen an dieser Leitlinie entlang. Keiner weiß, wo sie endet. Denn wir sind ja hinten, wir sind unhörbar, weil unsere Quelle, unsere Stromquelle, unsere Schallquelle, unsere Quelle im allgemeinen und im besonderen, ja, die, aus der wir tranken, solang es Wasser gab, das nun Wichtigeres vorhat, es geht aus und kühlt, es geht von uns aus und kühlt das Unaussprechliche, welches vor uns ist, welches wir noch vor uns haben, eine Quelle, ja, genau, auch das eine Quelle, aber eine des Todes, ich meine: sich vor uns befindet, nicht hinter uns, wie es sich gehören würde. Zuerst Quelle, dann Fluß. Nicht umgekehrt. Das ist die Lösung des Rätsels, weshalb alles immer bergab geht. Dazwischen, aus den Tanks mit dem Gift, so Leitungen aus Plastik, die sich aber auch rasch auflösen werden.  Und dann kann das schlimme Wasser nicht mehr eingefangen, angeleint und nicht mehr angeleitet werden.

Wir ziehen uns voran, wie am Strick, mit wilden Augen, die Zerstörung entlang, in der sich irgendwo auch unsere eigene befindet, unser altes Haus, der kleine Garten, das Auto, das Kinderspielzeug im Garten, die Schaukel, das Turngerät, der Teddy von meiner Tochter, wir ziehen uns voran, aber die Quelle wird immer vor uns sein, von ihr wird immer alles ausgehen, so wie wir früher ausgegangen sind, wenigstens ab und zu; komisch, da stimmt was nicht, das liegt sicher an mir, ich kann es nicht erklären, nein, ich habe es doch erklärt, aber vielleicht nicht richtig, daß die Wahrheit nicht stimmt!, wir werden sie nicht sehen, wir werden nichts sehen, wir werden nicht einmal sehen, wohin wir wollen, aber wir müssen diese Leine hier ganz, ganz festhalten. Es wird uns keiner erklären, wohin es geht. Und den Arbeitern sagt keiner, wem sie gehören. Schweigen. Man hört nichts. Man sieht nichts, außer die Sonne gibt freiwillig was her, kann man von ihr eigentlich nicht verlangen, könnte man ihr nicht verdenken, wenn nicht, und doch, wir sind das Land der aufgehenden Sonne, das hat uns schon sehr weit geführt, oft den falschen Weg, aber bitte, von mir aus, bloß woher die Sonne kommt, das wissen wir nicht. Wir wissen jetzt, woher der Strom kommt, das haben wir uns gemerkt, der Strom kommt aus der Steckdose, das haben wir gelernt, und auf diesem Gerät steht auch, natürlich in leuchtender Schrift, daß man es endlich aufladen soll. Die Toten liegen auf den Toten. Die einen sind die anderen, aber anders als die anderen. Das Ereignis hat sich ereignet. Ratlos zeigt man uns Wesen, die wahrscheinlich bald sterben werden, oder auch nicht, nein, eher doch, aber später, jeder weiß, wieso, keiner weiß, wieso nicht, genau: oder sie werden eben nicht sterben, was rege ich mich auf! Unklar ist auch, was mit dem aktiven Jod 131 passiert ist: Hat es sich etwa in der Umwelt verteilt? Wo denn sonst? Ist ja nichts andres da, und die Umwelt ist eigens dafür gebaut worden, alles aufzunehmen, was hineinwill! Und das Plutonium, ja, das von der Kettenreaktion, über die keiner spricht? Vielleicht hat es sie ja gar nicht gegeben? Überall fein verteilt, es gibt hier ja nur überall, was sonst. Wo sonst? Es gibt hier doch nichts als Umwelt! Da hat eine atomare Kettenreaktion schön Platz, sich zu entfalten wie ein Schmetterling aus der Raupe, und die Luft ist ja auch noch da, ja, die gute, das Meer ebenfalls, die sind alle unendlich, unendlich groß. Haben wir ein Glück, daß das Atom, das ja so klein ist, soviel Platz hat, sich zu verwirklichen! Wir können ihm das bieten! Welchen Effekt wird das möglicherweise haben, daß es hier eine Umwelt gibt, daß es hier nichts als Umwelt gibt, daß es hier nichts als diese eine Umwelt gibt, die  wir aber immer schon hatten? Keiner wagt es noch, sie Umwelt zu nennen. Eine Sensation ist es nicht, daß es sie gibt. Ohne sie müßten wir uns alle die Kante geben, ich meine von der Erdkante stürzen. Er wird effektvoll sein, vielleicht, unser Freizeitpark, der kleine Zoo, alles nicht schlecht, aber man wird nichts mehr davon sehen und nichts mehr davon haben. Das Gift hat sie geschluckt, und wir haben dann das Gift geschluckt. Man sieht auch nicht, warum man nichts sieht. Ich gehe wieder weg, nachdem ich diese Worte gesagt habe, die nicht gehört wurden. Keine Worte wurden gehört, wer sollte sie auch hören? Ich weiß nichts. Ich höre nichts. Doch gerade dieses allzugroße Schweigen scheint mir bei  alldem Schreien, das vergebens ist, doch irgendwie auch wichtig. Es ist zumindest nicht unwichtig. Wir müssen uns verhalten, und wir müssen verhalten sein, nein, wir könnten auch schreien, wir könnten auch brüllen, es wäre egal, weil man uns ja nicht hörte in der Firmen Ordnung. Wir können genausogut sprechen, man würde uns nicht hören. Ich gehe in mein altes Haus hinein, um zu reden, doch das allzugroße Schweigen ist stärker. Sogar die Hunde bellen nicht mehr. Sie haben keinen Grund. Es kommt keiner mehr zu ihnen. Und auch auf mich reagieren sie kaum noch. Dieses Unglück zu sehen, kommt niemand. Niemand wagt es. Besser, alle würden gehen. Niemand wagt es. Niemand traut sich her. Niemand wagt es zu gehen. Bald werden sie kommen, aber gleich wieder gehen. Sie werden Eintritt zahlen, damit sie bald wieder weg dürfen. Man hört ja so viel über dieses Unglück, doch das Unglück selbst hört man nicht. Außer man ist hier und hält seine Hand, daß es sich wieder beruhigt. Warum mußten wir erst so spät sehen das Rechte? Es war doch immer da! Nein, es war nicht da. Das Kraftwerk war da und gab Kraft, deshalb nennt man es so. Es gab Kraft durch die Kernkraft. Warum wird jetzt, ausgerechnet jetzt, da wir alle wegen diesem Unglück, wegen dieser Katastrophe so im Stress sind, auf einmal das Rechte getan, bloß weil irgendwo etwas gesehen wurde? Irgendwo ist immer irgend etwas. Es wurde nie gesehen, doch viele haben es kommen sehen. Bitte, ich habe es nicht gesehen, aber irgend jemand hat es sicher gesehen, jetzt sagen viele, sie hätten es vorhergesehen, aber warum haben sie das nicht vorher gesagt? Warum, ich meine warum tun wir jetzt, was wir schon früher hätten tun können? Das ist doch immer so. Man schiebt die Dinge auf, bis sie begraben werden müssen, bis wir sie begraben müssen wie unsere Wünsche, die wir früher hatten, aber Wünsche zählen nur, wenn man sie jetzt hat. Das lassen bestimmt nicht gelten die Entschlafenen, die nichts dafür konnten. Aber die haben nichts mehr zu sagen. Solch Gesetz hat die Totenwelt gern, dann herrscht wenigstens Ruhe dort. Warum nicht früher? Keine Ahnung. Das war vorher. Wir sind jetzt nachher. Und nachher passiert auch wieder nichts. Es wird nichts passieren, außer es passiert wieder was. Man ehrt doch wohl die Menschen seines Fleisches, seiner Familie, das tut man doch, oder? Aber man kann sie nicht vorher ehren, man kann sie doch nicht begraben, bevor sie tot sind! Wer weiß? Niemand weiß es, sie streiten sich noch. Gelernt haben wir aus Furcht, was? Na irgendwas werden wir wohl gelernt haben! Ja, wir bringen unseren eigenen Staub mit, den bringen wir mit, der könnte die Welt mit uns belasten, wir bringen also diesen Staub, der unsere Verwandten sind, ich meine, aus denen er besteht, Staub von unserem Staub, den bringen wir mit, mit beiden Händen, schnell, und dreimal gießen wir unsere zu Staub, wie wir alle früher oder später dieses Stück Dreck sein werden, das man freundlich Staub nennt, bloß Wasser darf nicht drauf kommen, da wären wir selber nicht draufgekommen, Schluß jetzt!, Satz fertigmachen!, schon gut, schon gut!, ich machs ja, ich machs ja fertig!, so gießen wir also unsere zu Staub gewordenen Verwandten aus, dreimal ergießen wir unseren Staub über die Toten, und dann unterpflügen wir sie, damit sie ganz von der Erde verschwinden und damit die Erde selbst ganz verschwindet, die total vergiftet ist. Doch, hören Sie, noch viel öfter und viel mehr wird das Wasser über das siedende Becken ergossen, das Wasser ist wichtiger als die Erde, und das Becken braucht es nötiger als wir, daß etwas kommt, daß das Wasser kommt, dieses formlose Etwas aus dem Schlauch, ja, dort wurde es hineingezwungen, es macht ja sonst, was es will, es kommt und geht, wie es ihm paßt. Das Becken ist gefährlich, weil leer, einem normalen Becken macht das nichts, wenn es kein Kind trägt oder sonstwas, aber dieses Becken trägt gefährliche Last, da muß Wasser drauf, unbedingt und sofort! Wasser her! Wirds bald! Wasser marschiert! Und daß wir selbst entfliehn den Übeln, dafür haben wir keine Zeit, erst muß Wasser her, dann Erde, dreimal verstreut für uns, die Toten, dann untergepflügt, abgetragen und untergepflügt, dann Wasser, nein, zuerst das Wasser, viel früher das Wasser, das ist dringender, eilig das Wasser her fürs Becken, dort drinnen siedet was, der Kern der Menschheit, der sofort gekühlt werden muß, weil die ihren guten Kern sonst nicht mehr erkennt, wenn sie ihn sieht, er wäre geschmolzen, zur Unkenntlichkeit zusammengeschmolzen, die Menschheit würde vor ihm fliehen!, und dann würde er uns alle umbringen, dieser gute Kern, der kein Guter ist, doch das wüßten wir erst später, aber sterben würden wir, und zwar sofort, sterben würden wir gleich, den Kern können wir später auch noch ausspucken, herauswürgen, er würde uns alle sofort umbringen, der Kern, wir anderen, das ist es, was er will, aber auch der wird wohl noch warten können! Etliche von uns haben sich zusammengeschlossen und wollen noch nicht. Ich gehöre auch dazu. Ich will nicht, aber ich muß. Das hat schon meine Mutter über das Sterben gesagt. Wir können dann alle, die noch übrig sind, in Ruhe sterben, später, wenn wir es geschafft haben, die Zeit etwas zu dehnen wie zu kleine Schuhe, aber sterben müssen wir, soviel Zeit muß sein, Geduld bitte! Sie werden gleich verbunden, das heißt, falls wir Verbände überhaupt noch haben, wir müssen ja noch dreimal die Erde, die Asche der Unsrigen ausgießen, das nennt sich Begräbnis! Ich fasse es nicht! Das soll ein ordentliches Begräbnis sein?, keine Zeit! Wasser her, noch mehr Wasser, ja, gern auch Meerwasser, nein, nicht gern, da ist Salz drin, und das wird dann wieder, so giftig wie es ist, ohne Behandlung einfach weggespült, das müssen wir dann auch noch fressen, ja, aber erst mal her damit, her mit dem Wasser!, jedes Wasser willkommen, her mit dem Wasser! Das ist alles wie nicht getan, das ist alles wie nichts tun, denn sterben werden wir alle, und wer wird dann die Erde über uns hinwerfen? Ach was, die wirft sich schon selbst, die hat sich ja auf uns geworfen, auf die paar Handvoll unserer Verwandten kommt es da nicht mehr an, ja, genauso wars: Die Erde ist zuerst gekommen, sie hat gezuckt wie ein verendendes Tier, das Wasser ist ihr gleich nachgekommen, das muß auch allen immer hinterherrennen!, es hat ja keine wirkliche Form, nur die, die wir ihm geben. Blödes Wasser, kann nicht bleiben, wo es ist, will vielleicht eine andre Form annehmen, wie unsere Zierteiche, Wasser in unendlich vielen Formen, die meisten sehr klein, aber oho!, du bist nicht nur zum Spielen da, Wasser, und zum Spaß auch nicht! Wir kümmern uns schon um dich, warte nur!, du umgibst uns ja. Aber nein, es will nicht warten. Das Wasser ist unsere Umgebung. Wir kommen schon zu ihm, was bleibt uns übrig, da es ja überall ist, aber es will nicht warten und kommt uns zuvor und kommt zu uns. Hekatomben von Wasser, unendlich viel Wasser, das ganze Meer, die ganze Wasserwelle, da hätten wir es aufhalten sollen, es uns aufheben für später, wenn wir es brauchen würden, das Wasser. Und jetzt, da wir es brauchen, haben wir keins. Es ist beim ersten Mal leider nicht lang genug geblieben, um zu kühlen, was es mit sich verursacht hat, durch seine bloße Existenz, durch seine Macht, durch seine schreckliche Macht, also eine solche Macht würde ich nicht haben wollen!,  ja, jetzt kommt es daher, zu kühlen, woran es schuld ist, und jetzt kommt es zu langsam, zuwenig, mühsam heranschleppen müssen wir es! Dabei war so viel davon da, nur zur Unzeit! Zur falschen Zeit! Hat ihm denn niemand gesagt, wann wir es brauchen würden? Nicht jetzt! Später! Das ist verrückt, oder? Haltet das Wasser! Haltet den Dieb! Das Wasser soll gefälligst wieder ausbügeln, was es verbrochen hat, aber auch zum Bügeln braucht man ja den Strom, na ja, ein bißchen Dampf schon auch, das Ausbügeln sollten wir uns vielleicht alle abgewöhnen, da brauchen wir dann schon etwas weniger Energie, die wir dann ins Aufräumen stecken können. Es ist ja keiner schuld, da gibts nichts auszubügeln, ja, auch du, Wasser, und du, Wasserkraft, hierorts nur zur Kühlung, woanders, wie lustig, da erledigst du selbst das Bügeln im Gerät, in das du eingespeist wurdest, ohne gefährlich zu sein. Wir verzichten auf dich. So. Du kannst in deiner Freizeit etwas anderes machen, sei vorsichtig, du siehst ja, was du anrichten kannst! Du bist die allergrößte Gefahr! Das hättest du dir nicht gedacht, oder? Aber was ist nicht gefährlich?! Am besten, man tut nichts. Am besten, man entflieht den Übeln, aber was tun, wenn man die nicht sieht? Am besten, man tut nichts und leugnet es auch gar nicht ab, aber vielleicht ist es zu spät, nichts mehr zu tun? Wir tun ja ohnedies nichts mehr. Dieses Stück ist hiermit beendet. Endlich ganz beendet. Denn schlimmer als etwas, das schlimmer ist als schlimm, das geht nicht. Das kann man nicht sprechen. Davon schon, vielleicht. Aber man kann es nicht sprechen. Man kann es vielleicht sagen, aber nicht sprechen. Und wie üblich spreche ich viel zuviel, kann es aber nicht. Der letzte Tag soll jetzt kommen, von mir aus. Ach so, der war schon und liegt hinter mir! Das habe ich doch gewußt! Zu spät, wie üblich. Ich werde mir noch mal zuvorkommen, weil ich so langsam bin. Das, was einmal uns gehört hat, das gehört jetzt keinem mehr. Wir sind nicht weniger und nicht mehr als niemand. Als Niemande sind wir nichts. Wir sind nichts mehr als Niemande. Wir sind. Wir sind nicht nichts, sogar die Erde hat doch vorhin das Haupt vor uns geneigt, das ist doch nicht nichts! Irgendwo ist nicht heute und nicht gestern, dort leben die dann immer, die niemand sind, die niemand sieht, die dazwischen, und niemand weiß, woher sie gekommen sind. Wenn sie aber vor der Zeit sterben, dann wird irgend jemand Gewinn mit ihnen machen. Es wird immer Gewinn gemacht. Verrückt. Und sind wir tot, dann haben die, die das wollten, alles. Dann haben sie alles.

12.3.2012

siehe auch: Kein Licht

Viele, viele Berichte studiert.
Sophokles: "Antigone" auch.

Bilder: Fukushima 3/2011


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