DAS KOMMEN

Der Sprecher, welcher? Einer, der neueste:

Die Zuversicht vertreiben wir aus dem Land, denn wir sind stark! Entschuldigung, nein, wir bringen sie, die Zuversicht, mit federleichtem Leib. Wenn wir uns selber anschaun, ist die Angst auf einmal klein. Verläßlich sind wir wie der Tod, jetzt sind wir da. Noch nicht recht wissen wir, wann und wo, egal, wir sind nicht willkommen, überall, doch bei den Guten, die nicht geschändet werden wollen, von Fremden in ihren Betten, auf dem Bahnhof, vor der Kirche, bei denen schon. Das Gift der Schreiberlinge nutzlos tropft zu Boden. Sie verbreiten Lügen, die Frucht und Feld verseuchen. Wir tanzen Polka, Ländler, Plattler, Reigen, und unbekümmert fallen dazu Schnee und Sonne. Uns um den Hals. Auf unsrer Seite. Nicht fliehn wir, wir hörn auf die Heimat, die Eltern, vor allem den lieben Vater. Das Land gehört uns, nach langer glücklicher Reise, da wir pflügten durch das, was da nutzlos gebrüllt vor unserem Bug. Der Zorn der Schreiber, ihr Gift hielt uns nicht auf, niemand hielt uns auf, wir kamen immer wieder, da die Bürger beieinander warn und das Gericht über uns in Freuden endet, im Gericht über andre. Jetzt sind wir da. Wir kamen wie gerufen, wir wurden auch gerufen schließlich! Nichts, was tun wir werden, wird ganz falsch sein und nichts ganz richtig, und nichts wird bringen Gefahr. Es wird sein wie immer, nur von uns wirds nun kommen, die Opferkessel rot von Blut. Nicht nur der Krieger unterm Speer, alle müssen bluten, vielleicht so um die fünfzehn Prozent?, nein, doch nicht so viel!, so viel kann das nicht sein, was wir bluten müssen!, die Bank steht ja noch, aus der das Unheil kroch. Bloß fruchtbar ist sie nicht mehr. Vielleicht wirds gar etwas weniger?, oder darfs ein bisserl mehr sein? Unsere Blutspende wollen wir jetzt ganz neu errechnen, au fein! Manche werden wohl nochmal zur Kasse gebeten werden und draufzahlen müssen. Man sagt mir grade, es sind fünfunddreißig Prozent, die draufgelegt werden, frisch gepreßt aus echtem Menschenfleisch!, mehr Blut geht wirklich nicht, mehr ist nicht drin, obwohl jeder von uns ganz sicher noch mehr zu geben und nichts mehr zu verlieren hätte. Verteidigen werden wir uns nicht müssen. Immer verteidigen werden wir uns müssen, doch wen kümmerts. Egal. Vorwürfe werden uns nicht mehr treffen. Wir werden einander treffen, das genügt uns dann schon. Wir werden beisammensitzen und uns genügen.

Ihr Bürger, hört nicht auf eure Geistesfürsten, hört auf eure Geisterfürsten! Schaut, daß ihr nicht tot seid selber, schaut, daß immer andre tot sind, und hört nicht auf die Beller, die nur ans Bellen glauben, die Empörer, ihr kindisch Gekeife! Freut euch des Lebens! Ihr Schutzbefohlenen! Ihr kriegt noch mehr Schutz und noch mehr Befehle! Seid aufgeweckt und ausgeschlafen! Ist das nicht schön? Wir spritzen mit Blut, doch das ist künstlich, es ist kein echtes Blut. Fürchtet euch nicht, wir tun ja gar nichts. Was wir tun, ist gar nichts. Früher waren wir der Tod, heute sind das ewige Leben wir und werden es auch bleiben, denn Ewigkeit bleibt für immer, das ist ihre wesentlichste Eigenschaft, sonst würden wir sie nicht brauchen. Wir können nichts dafür. Sie schreien, wir aber verlangen Gerechtigkeit für uns. Nein, wir verlangen nichts mehr, wir bekommen es, wir bekommen es, wir haben es bekommen. Alles für uns! Jetzt in die Zukunft schauen, das ist nicht weit, sie hat ja schon angefangen. Das Heil sind wir, das, was nach dem Tod uns erwartet, uns Anständige, die zur Erde zurückströmen, der wir so viele schon gegeben haben. Ein paar gehen sich immer noch aus. Wir wagten, die Tat, die wir ersannen, auch auszuführen. Die Erde wird uns schon nehmen, da wir so viel doch ihr gaben. Sie soll uns auszahlen. Und es soll sich für uns auszahlen. Ihr Schutzbefohlenen! Ihr bleibt jetzt einmal draußen. Ihr kommt von draußen und bleibt es auch, mitsamt eurem Schutz. Hier bleibt keiner mehr von euch. Wir sind die Gewinner, wir warens von Anfang an. Das ist das Schönste, auch wenn man keinen Preis dafür kriegt. Das muß einem auch egal sein, ob man belohnt wird, aber wir werden doch belohnt!, wir stehen dicht davor, und jetzt vertreibt keiner mehr uns. Wenn wir uns anschaun, ist die Angst auf einmal klein. Den Winkel kennen wir nicht mehr, das Eck, in dem wir standen, während die Zelte sich mit uns bereits füllten. Wir sind da und bleiben, niemand muß mehr leiden! Wir sind ganz besonders für alle, die nicht leiden wollen. Nie wieder. Nie wieder Einsamkeit. Nie wieder fremd sein. Nie wieder eigentümlich sein. Sich nie wieder absondern. Wir sind gegen viele. Wer zählt uns? Es sind ja die Wählerstimmen, die zählen. Die anderen waren immer mehr, jetzt sind sies nicht mehr, sie sind nicht mehr mehr, und bald sind sie nicht mehr. Denn alle sind mehr doch als viele! Wir sind alle, und wer noch fehlt, den verrechnen wir nachher miteinander. Mit dem rechnen wir ab. Wir rechnen ihn gegen die anderen auf, und der Verlierer muß zahlen. Es wird keinen geben, denn wir alle sind jetzt die Gewinner. Offen muß jeder sein, nicht mehr für den Schein. Für das Wahre, das wir sagen, für das Scheinen unsres Lichts, dem manche noch ausweichen. Aber nicht mehr lang. Wir werden Nachsicht walten lassen, aber nicht mehr lang. Wir werden einmal mit ihnen reden, aber nicht mehr lang, wir werden zweimal mit ihnen reden, wir werden dreimal mit ihnen reden, aber nicht mehr lang, kein Hahn wird danach krähen, und dann sind wir da und bleiben da, wo wir jetzt schon sind.

War da nicht einer, der nun wiederkommt? Mal schauen, Jesus ist es nicht, der würde mehr Lärm machen, vielleicht ein Unsichtbarer, ein Zwilling, ein Erdbeben? Ja, das wäre ihm zuzutrauen. Was sage ich als er, was hat er uns zu sagen, er als ich, nicht als Gott, als Wiedergänger, doch zu Fuß gehen würde ich wieder nicht, kann ich gar nicht, lange Strecken ermüden mich zu sehr, ich war krank und wurde wieder auferweckt. So, er ist jetzt ich, aber, keine Sorge, ich bin es nicht. Oder bin ich es doch? Er spricht. Er spricht hier und sagt ich, das ist ein großes Ich, mal schauen, ob ich es überblicken kann, ich, ich, ich, nicht ich, sondern wirklich ganz ich, also übersehen kann man vielleicht mich, ihn nicht, überblicken vielleicht, das schon. Ich sehe nicht sehr weit, und doch bin ich es, der spricht, auch wenn Sie mir vor Augen gekommen sind, ich nehme Ihnen die Binde ab, das Klebezeugs über dem Mund aber nicht. Ich weiß, Sie wollen auch was sagen, aber das geht nicht, Sie sind nicht dran, und Sie kommen auch nicht mehr dran. Ich spreche, nur ich spreche ab jetzt:

Ich gehe Hand in Hand, mit allen, bin absolut zufrieden, diesen Minister ausgewählt zu haben und diesen auch, nur mit dem und dem bin noch nicht ganz zufrieden: ach, da hab einen Fehlgriff getan nach dem Falschen: ich. Macht nichts, wo die herkommen, gibts noch mehr. Auch wenn die Hauptlast tragen muß: ich, und die haßerfüllte Linke weltweit zum Dämon gemacht hat: mich, rückblickend würde wieder es so machen: ich. So und nicht anders. Nicht weiter zeugen, nicht weiter Sohn sein, nicht weiter Sonne sein, nicht weiter Ingenieur sein, nicht weiter im zweiten Glied sein, Schuld - ebenfalls: genug! Kinderkram wird bleiben, die Schuld: sie. Kinderlos wird ab sofort Frau bleiben: keine. Du aber du aber, großer Mund: ich selbst, bewache bald das Land und dieses Tor, bald bewache ich sie, das Tor jetzt schon bewacht, durch das eh mehr darf: keiner, den Zaun, unter dem durchschlüpfen kann: keiner. Ich sind: alle. Mit dem klaren Blick des von den Vätern niemals Entwöhnten sehs jetzt: ich. Die Freiheit vertreib: ich, das Dunkel seh gar nicht: ich. An die Stürme gebunden fühl mich: ich. Mit der Zeit wieder heiter sein will: ich. Jetzt schon heiter bin: ich. Was verborgen ist, sichtbar machen will: ich. Der Schatten sein will auch: ich, falls mal passiert: was. Mache das alles ich für: euch. Von euren Sorgen befrein kann euch: ich. In den Spiegel schauen können will: ich auch mich. Zögern will nicht auch: ich. Mein Vater sein will auch: ich. Sag nicht Mutter! Sag Vater! Sag nicht Mutter! Sag Vater! Und zieh dein Schwert! Die Toten sein will auch: ich. Die Toten machen will auch: ich. Mutiger Helfer der Unsrigen sein will auch: ich. Das Tuch vor Augen, um die Toten nicht zu sehen, brauche nicht: ich. Alle, die noch kommen, niedermachen will auch: ich. Alle sein will auch: ich. Kein Stein auf dem andern sein will auch: ich. Die Freiheit sein will auch: ich. Keines Fremden Kind will sein: ich. Fremd will nicht sein. ich. Selbst nicht fremd sein will: ich. Sags Mutter, sags Vater, sags Mutter, sags Vater. Sag ich. Sag doch: ich! Die ganze: Zeit! Die ganze Zeit: meine. Angebrochen und schon gegessen die Zeit: meine.

26.4.2016 / 18.10.2016

Aus: DAS LEBEWOHL

(gekürzt und leicht geändert, heißt jetzt):

DAS KOMMEN

Dank an: Aischylos ("Die Orestie"), Übers. Walter Jens

Wikipedia (Auszug)


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