"Leserbrief" der Bundesregierung

Zum offenen Brief österreichischer Schriftsteller und Künstler an die österreichische Bundesregierung, der von verschiedenen Medien publiziert wurde, dürfen wir Folgendes festhalten:

Die österreichische Bundesregierung hat auf Antrag von Frau Bundesministerin Elisabeth Gehrer im 12. Ministerrat am 3. Juni 2003 einen Bericht zur Überbrückungshilfe für die israelitische Kultusgemeinde Wien zur Kenntnis genommen. In diesem Bericht wurde ein Angebot an die Kultusgemeinde beschlossen. Dieser Antrag wurde anschließend dem Parlament zugeleitet. Der Nationalrat hat dieses Angebot im Rahmen des Budgetbegleitgesetzes beschlossen. Nachfolgend dürfen wir dieses Angebot der Bundesregierung im Wortlaut wiedergeben:

"In mehreren Schreiben an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Presseaussendungen und Interviews hat der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Dr. Ariel Muzicant, in den letzten Wochen verstärkt auf ein beträchtliches Defizit im Haushalt der IKG Wien hingewiesen. Österreich ist sich seiner Verantwortung für die jüdischen Gemeinden bewusst und erbringt dem Interesse an einem gut funktionierenden Gemeindeleben entsprechend seit Jahrzehnten beträchtliche Leistungen für die IKG"

Wiedergutmachung in Verantwortung für unsere Vergangenheit

Das Bundesgesetz über die finanziellen Leistungen an die Israelitische Religionsgesellschaft BGBl. Nr. 222/1960 idF BGBl. Nr. 317/1996 sieht eine einmalige Zahlung in Höhe von 10,1 Mio. € (heutiger Geldwert) als Entschädigung für zerstörte Synagogen, Bethäuser, Friedhöfe und Kultgegenstände im Eigentum der jüdischen Gemeinde und eine unbefristete jährliche Zuwendung in Höhe von 772.177,27 € (heutiger Geldwert) ab dem Jahr 1958 vor. Die Bemessung dieser jährlichen Zuwendung basiert auf der Mitgliederzahl der Israelitischen Kultusgemeinde vor dem Jahr 1938.

Anfang 2001 wurde von Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel gemeinsam mit Botschafter Dr. Ernst Sucharipa und dem damaligen US-Staatssekretär Stuart Eizenstat mit der "Washingtoner Vereinbarung" die Grundlage für die Schließung der noch vorhandenen Lücken in der Entschädigungsgesetzgebung für NS-Opfer geschaffen. Kernstück ist der allgemeine Entschädigungsfond ("General Settlement Fund") der mit österreichischen Geldern in der Höhe von 210 Mio. US-Dollar (254 Mio. €) dotiert ist. Das Wichtigste ist nun, dass die beiden in den USA anhängigen Sammelklagen rechtskräftig abgewiesen werden, sodass der Rechtsfrieden hergestellt ist und die Auszahlung unverzüglich beginnen kann. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Dr. Ariel Muzicant, hat die "Washingtoner Vereinbarung" mitverhandelt und unterfertigt. Es wurden am 28. Mai 2003 von der Israelitischen Kultusgemeinde 777 Anträge beim Allgemeinen Entschädigungsfonds eingereicht.

Am 12. Juni 2002 haben die Bundesländer mit der Israelitischen Kultusgemeinde eine Vereinbarung über die Abgeltung von Vermögensverlusten während der NS-Zeit in Höhe von 18,168 Mio. € abgeschlossen. Diese Vereinbarung steht außerhalb der "Washingtoner  Vereinbarung". Die Fälligkeit der Zahlungen hängt auch von der Herstellung des Rechtsfriedens in den USA ab.

Auf Basis des Bundesgesetzes über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Museen und Sammlungen, BGBl. I Nr. 181/1988, konnten durch Unterstützung der Anlaufstelle der Israelitischen Kultusgemeinde bis zum Stichtag 3. Dezember 2002 insgesamt 1.544 Inventarnummern restitutiert werden.

Laufende Unterstützung der jüdischen Gemeinde in Österreich aufgrund ihrer besonderen Bedeutung in der Gegenwart

In Österreich haben die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften aufgrund des Privatschulgesetzes einen Rechtsanspruch auf Ersatz des gesamten Lehrerpersonalaufwands für die von ihnen geführten Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht. Die Israelitische Kultusgemeinde erhält jährlich rund 80 Lehrerdienstposten für welche ein Aufwand in Höhe von rund 4,2 Mio. € anfällt. Darüber hinaus wird auch wie allen anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, der Aufwand für den Religionsunterricht getragen.

Überdies leistet der Bund zur Entfaltung des jüdischen Lebens zahlreiche Subventionen. Dazu zählen unter anderem die Unterstützung bei der Errichtung des Kulturzentrums in der Seitenstettengasse und die Förderung der jüdischen Museen in Wien, Eisenstadt und Hohenems in Höhe von insgesamt 6,27 Mio €.

Das BMI hat seit 1979 nahezu die IKG im Bereich der technischen Ausstattung der Sicherheitseinrichtungen bei gefährdeten Objekten gefördert; das bisherige Gesamtfördervolumen beläuft sich auf rund 815.000.- €.

Zur Gewährleistung der Sicherheit für jüdische Einrichtungen in Österreich werden besondere Objektschutzmaßnahmen entweder stationär oder im Rahmen des Rayons- und Streifendienstes gesetzt. Es werden zahlreiche jüdische Objekte durchgehend bzw. situationsangepasst von uniformierten Exekutivkräften überwacht.

Allein dadurch entstehen dem BMI jährliche Kosten in der Höhe von rund 3 Mio €. Darüber hinaus werden für Sicherheitsleistungen aus besonderem Anlass zusätzlich rund 50.000 € jährlich aufgewendet.

Aus Mitteln des dem Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz zur Verfügung stehenden Hilfsfonds wurden der Israelitischen Kultusgemeinde im Rahmen eines Sonderprogramms (Förderung des Elternheimes) Leistungen im Umfang von insgesamt € 2,543.549,- erbracht.

Darüber hinaus werden aus dem Hilfsfonds seit dem Jahre 1993 laufend jährliche Subventionen für die psychosoziale Betreuung von Holocaust Opfern gewährt (Verein "ESRA"). Zuletzt gelangte für das Jahr 2002 eine Subvention in Höhe von € 83.574,- zur Auszahlung. Ab dem Jahre 2003 beträgt die jährliche Subvention € 90.000,-. Die Gesamtzahlungen aus diesem Titel belaufen sich auf € 577.740,-

Weiters werden aus Mitteln des Ausgleichstaxfonds- Opferfürsorge jährlich Förderungen für die Herausgabe der Zeitschrift "Die Gemeinde" (Information des anspruchsberechtigten Personenkreises) im Betrag von € 7.267 bis € 13.081,11 gewährt. Ab dem Jahre 2003 wurde der jährliche Betrag auf € 16.500,- angehoben.

In den letzten Jahren wurden auch bedeutende finanzielle Maßnahmen für Holocaust-Opfer und deren Hinterbliebene, die teilweise auch der IKG angehören, gesetzt. So wurden aus dem Hilfsfonds seit über zehn Jahre internationale Projekte der Altenbetreuung ehemaliger jüdischer NS Opfer und deren Angehörigen über das Committee for Jewish Claims on Austria mit einem Betrag von insgesamt € 21,8 Mio. finanziert.

Nach dem Opferfürsorgesetz (OFG) wurden an die Opfer der NS-Verfolgung im Jahr 2002 Jahr Renten- und Entschädigungsleistungen im Ausmaß von € 12,8 Mio. ausgezahlt. Erst März letzten Jahres sind im OFG wesentliche Verbesserungen im Bereich der Rentenfürsorge und der Pflegevorsorge in Kraft getreten.

Die IKG kann aus der Vereinbarung mit den Bundesländern 18,168 Mio. € und eine unbekannte Summe aus dem Allgemeinen Entschädigungsfonds erwarten. Angesichts der Fristenläufe und der noch nicht hergestellten Rechtssicherheit in den USA erscheint es jedoch angezeigt, der IKG eine Überbrückungsfinanzierung ohne zusätzliche Zinsenlast zu ermöglichen, damit das Gemeindeleben ohne schwerwiegende Einschnitte aufrechterhalten werden kann.

Österreich erbringt seit Jahrzehnten vielfältige Förderungen und ist auch weiterhin bereit, über diese bestehenden Förderungen hinaus die Israelitische Kultusgemeinde zu unterstützen.

Dazu erscheinen folgende Schritte geeignet:

1. Kontaktaufnahme mit den Bundesländern mit dem Ziel, dass diese Akontozahlungen auf ihre in der Vereinbarung vom 12. Juni 2002 zugesagten Leistungen schon vor der Herstellung der Rechtssicherheit erbringen.

2. Als direkte Überbrückungshilfe seitens des Bundes wird der Israelitischen Kultusgemeinde ein zinsloses Darlehen in Höhe von 772.000 € jährlich für die Jahre 2003 bis höchstens 2005 als Akontozahlung auf die vom Allgemeinen Entschädigungsfonds nach Entscheidung über die von der IKG eingebrachten Anträge zugesprochenen und nach Herstellung der Rechtssicherheit ausgezahlten Gesamtsumme gewährt.

3. Zukunftsprojekte der IKG in den Bereichen Bildung, Sicherheit und Soziales werden - wie auch in den vergangenen Jahren - durch das BMBWK, das BMI und das BMSG unterstützt.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die IKG alles dazu beitragen wird, um rasch einen Rechtsfrieden im Interesse der Opfer zu finden.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Mayr

Bundespressedienst

 

zitiert aus "Die Presse" (Wien)

 

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