Ucicky
Gefilme

Jetzt soll also das filmische Werk Gustav Ucickys präsentiert und erforscht werden, mit Geldern der Klimt-Foundation seiner Witwe, hier wird etwas dazu gesagt und hier, und sicher ist noch mehr dazu zu sagen, aber nicht von mir. Ich war schon dran, und da war ich dann aber wirklich dran! Ich war schon dran, ich muß nicht mehr.

Obwohl 1985 kaum jemand mein Stück "Burgtheater" gekannt hat (es wurde nur in Bonn aufgeführt und in den "manuskripten" abgedruckt), wenige kennen also das Stück, jeder kennt die Namen, habe ich meinen guten Namen in Österreich verloren. Ich habe Namen genannt, die jeder kennt, bloß ich sollte sie nicht kennen oder für immer schweigen oder mich für die wunderbare Schauspielkunst Paula Wesselys und Attila Hörbigers in Ucickys Film "Heimkehr" erkenntlich zeigen oder was weiß ich, was ich erkennen sollte, jedenfalls was andres. Die Mitwirkung Paula Wesselys in diesem Film wird allgemein bedauert, und sie hat es auch selbst bedauert. Wir bedauern alle etwas, vieles ist bedauerlich, die Sprache spricht sich aus, sie kann ja alles sagen, es steht ihr alles zu Gebot, doch es ist nicht mein Gebot, ich habe nicht mehr viel, was ich noch auf den Tisch des Hauses legen könnte, die Gedecke sind abgetragen worden, die fleckige Tischdecke wurde heruntergerissen, aber erst, nachdem das gute Porzellan weg war. Für geraubte Kunst werden Gebote abgegeben, nachdem ihre Besitzer ihr Leben abgeben mußten, es ist alles eins, die einen zahlen, die andren auch, die einen haben es ja, die andren haben es nicht mehr, ihr Leben, was solls, es ist egal, wir dürfen die Filme Gustav Ucickys sehen und darüber reden, ja, reden wir darüber, daß wir zur Vorsorge gehen müssen, um uns untersuchen zu lassen, und untersuchen wir auch selbst: Filme eines Propagandafilmregisseurs.

Poster zu dem Thema bedauern zum Teil, daß sie diesen schönen Film nicht sehen dürfen (sie werden es gedurft haben, er wird gezeigt, für wissenschaftliche Zwecke, ich bin gespannt, ob diese Zwecke in diesem Fall auch wirklich Wissen schaffen. Nach allem, was ich höre, bezweifle ich es), sie wollen "sich selbst eine Meinung bilden", die Leser, ja, selbst ist die Meinung, auch meine, ich meine nicht: Das ist auch meine Meinung. Meine kann selbst stehen, aber nur gerade so eben, sie ist schon so viele Male umgeschmissen worden, daß sie irgendwann mal liegenbleiben wird, und was liegenbleibt, ist eben unverkäuflich. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Für das Stück "Burgtheater" werden keine Aufführungsrechte mehr vergeben, ich spreche hier also nicht, um etwas damit zu verdienen, denn alles, was ich verdient habe, habe ich schon bekommen, manches sogar mehrfach.

Der Film wird als Rede den Zuschauern mitgeteilt, es sprechen Menschen von der Leinwand herunter, sie werden verstanden oder auch nicht, es kommt auf die Zeit an, in der sie sprechen. Die Sprache von "Heimkehr" wird aber noch verstanden, ist ja auch nicht schwer, es gibt Vertriebene genug, und es gibt solche, die vertreiben. Man kann hören, man kann sogar verstehen, man kann wissen, wovon die Rede ist, worüber, worunter sie abläuft, welche Zeit gleichzeitig abläuft (im Film gleichzeitig mit der Rede, sie sind aneinander gefesselt): Eine Frau, die zu jüdischen Händlern in Polen sagt, "Sie wissen doch, wir kaufen nicht bei Juden!", die sagt das halt, man sieht es, man hört es, ohne, wie Heidegger sagt "daß sich der Hörende in ein ursprünglich verstehendes Sein zum Worüber der Rede bringt". Das, was da zur Sprache kommt, gebracht wird, beredt und beredet, beredt beredet, dem wird zugehört, zugeschaut, doch es bleibt ein Geredetes. Man versteht, was man hört und sieht, das Worüber, von dem Heidegger spricht, versteht man nur ungefähr, denn in den Zeiten, in denen "Heimkehr" spielt und seine Premiere in Wien feierte (und die Vernichtung der Juden, den deutschen Überfall auf Polen, aber auch den Anschluß Österreichs rechtfertigt), meinten diejenigen, die den Film sahen, dasselbe, alle meinten dasselbe, wenn sie ihn sagten, wenn sie diesen Film sahen und gleichzeitig sagten, sich sagten, was ihnen gesagt wurde; sie waren synchronisiert in einem Gemeinsam, und sie verstanden das alles in ein- und derselben Durchschnittlichkeit. Und das Gehörte und Gesehene hat sich an das Geredete, an das Allgemeine, an das, was Sache des Volkes war, damals natürlich, heute hat das Volk eher Sachen, möglichst viele, geklammert, und sie scheinen sich immer noch aneinander zu klammern und ihren Tanz zu tanzen, das Gehörte mit dem Gesehenen, auch wenn das heute so fern (und streckenweise, wie die Monologe der Wessely, sogar lächerlich) erscheint. Das war damals Echtheit der Rede, es war Sachgemäßheit der Rede, gemäßigt war es nicht, es waren ja keine gemäßigten Zeiten, das Maß wurde allen vorgegeben, und sie haben es sich in ihre Teller geschöpft, die Rede war für alle, jede Rede war für alle. Und man sagt mal dies, mal das, aber dieses Film-Gerede (in diesem Fall), denn es ist nicht Filmkunst, ich nenne es, Heidegger folgend (der ja ein eigenes Kapitel ist, aber jetzt nicht meins), Filmgerede, das seine ästhetische Qualität (die es nicht hat, aber wie soll ich es sonst nennen) nicht aus Kunst bezieht, sondern aus einem allgemeinen Einverständnis des Redens, des einverständlichen und schön verständlichen Redens, das jeder versteht, und es ist vielleicht gar kein Reden, es ist ein Fortfahren und Weiterreden und Herumreden und Nachreden, aber es ist nicht Kunst. Es ist nicht Kunst. Gustav Ucicky ist kein Künstler, ja, ich sage das, Sie können ja was andres sagen, nicht weil in diesem Weiterreden und Nachreden das Fehlen der Bodenständigkeit (um den Boden gehts ja, es ist deutscher Boden, und endlich wird dort Deutsch auch gesprochen werden, überall. Wird es immer noch. Wer es nicht kann, soll es gefälligst lernen) sich zur völligen Bodenlosigkeit steigert (wie Heidegger sagt), indem sich das Gerede konstituiert, als das Gerede aller, als das Gefilme aller, als das Meinungsmachen für alle, die aber schon ihre Meinung haben, die sie sich nicht selber gebildet haben, ob gebildet oder nicht, doch immerhin, es ist die eigene! Heute wollen sie das schon wieder, eine eigene Meinung haben, darauf pochen sie, darauf haben sie ein Recht, sie haben auf alles ein Recht, jawohl, und wer nicht mitreden kann, ist draußen, gehört nicht zum gesunden Volksganzen, gehört nicht mehr zu uns. Das Nachreden zu "Heimkehr" ist noch ein Hörensagen, bald aber wird es uns hineingesagt werden, daß uns Hören und Sehen vergehen und wir in ihnen, in der eigenen Bodenlosigkeit, während die Werke Ucickys (er hat die meisten Propagandafilme von allen Regisseuren des Dritten Reichs gedreht, macht ja nichts) auf dem Boden der Tatsachen stehen, die grade wieder und immer wieder, weil sie sich ja bewährt haben, geschaffen werden.

So. Ich erspare es mir, jetzt auch noch über "Cordula" zu reden, die Verfilmung von Wildgans' Epos "Kirbisch". Das Wetterhäuschen hat gekreißt, das kriegerische Männchen ist drinnen verschwunden, das friedliche pazifistische Weibchen ist aus dem Bauernhäuschen heraus erschienen (Max Mell hat das Drehbuch verfaßt) und hat die Röcke gehoben, bloß damit man grade nicht sieht, was drunter ist, nein, es ist keine Blöße, es hat seinen Tanz getanzt, das Wessely-Weibchen als die verlassene Magd, die uneheliche Mutter und der gütige Pfarrer, alles da, was die Filme der Nachkriegszeit so entsetzlich gemacht hat, weil sich das allgemeine Einverständnis in allgemeine Verständnislosigkeit verwandelt hat. Es ist doch gut, so schöne Friedensfilme zu drehen! Wir haben unsere entsetzlichen Erfahrungen gemacht, andre vielleicht auch. Wir wissen, was wir getan haben, deshalb müssen wir es nicht eigens sagen. Wir müssen wieder friedlich sein, auch wenns schwerfällt, so knapp nach diesem schrecklichen Krieg, in dem wir so viel verloren haben, andre aber alles. Und weiter so, es ist ja alles eins, Kriegshetze wie Friedenspropaganda, es ist alles Propaganda, indem nichts gesagt, aber alles niedergeredet wird, ja, gern auch in Bildern, da haftet es besser. Und ein Gefühl sollte schon auch wieder erlaubt sein, auch ein patriotisches, unsretwegen soll das nicht verschwinden, wir warens ja nicht, die andren warens. Das wurde uns oft, gerade an Nationalfeiertagen habe ich "Cordula" an Samstagen nachmittags öfter gesehen, vorgeführt. In einem kleinen Kästchen, zu klein, um selber hineinzusteigen, aber groß genug für das Gefilme Ucickys, das sich nicht den Eingang in die Öffentlichkeit versperrt, wo käme es denn da hin?, es käme nirgends hin!, sondern sich diesen Eingang immer wieder bahnt. Nie hat jemand am Nationalfeiertag auf die Geschichte dieses Regisseurs hingewiesen (und sie haben im ORF lange und gern auch andre Nazifilme gespielt, ohne irgendeine Erklärung, z.B. "Familie Buchholz", und als ich mich einmal beschwert habe, da hat mir die Filmbeauftragte des ORF zurückgeschrieben, was ich denn wolle, ich Querulantin, "Familie Buchholz" mit dem Pudel namens Rabbi und einem verlorenen, von einer Jüdin gekaperten und ruinierten Sohn, da sei doch ausdrücklich die Rede davon, daß diese Jüdin eine "Emigrantin" sei, natürlich nicht als Jüdin, sondern halt einfach so, ist so, sie kam aus dem Ausland, und dorthin ging sie auch wieder), und so hat sich was herausgebildet, ich kann es nicht fassen, aber ich muß es auch nicht, wir haben es ja, wir haben es sowieso, und das, was jeder denken und sagen könnte, während er sich noch selbst eine Meinung bilden darf, spricht die Zuschauer los vom Verstehen, endlich Lossprechung, diesmal sogar ohne Beichte!, obwohl in diesen Filmen genug Pfarrer vorgekommen sind, endlich los vom Verstehen, hin zur Verständlichkeit, die wir doch alle wollen. Wir wollen, daß etwas auf der Leinwand erscheint, das niemandem mehr verschlossen ist. Gut, das will ich auch. Und los!

20.11.2014


Ucicky © 2014 Elfriede Jelinek

 

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