Musik. Schweigen.

(zu den Hörspielmusiken Peter Zwetkoffs)

Musik ist auch: das Schweigen füllen, vielleicht ist sie aber viel mehr, und Peter Zwetkoff hat ja auch viel mehr als Hörspielmusiken komponiert. In seiner Hörspielmusik jedoch hat er als Komponist eine Selbstlosigkeit erreicht, die für diesen Komponisten typisch ist: Er schaut nicht immer nur sich selbst an und bringt sich zur Geltung, möglichst staunenswert, denn er weiß, was er kann und daher weiß er, daß mit diesem Sich-Selbst-Anschauen gleichzeitig auch ein Verlorengehen in sich selbst einhergehen könnte. Da möchte er seine Kunst, eben sein Können in der Musik, dem Sprechen widmen. Und nicht nur, damit er sich selbst dabei behalten, sondern auch, damit das Gesprochene nicht verlorengehen kann. Da reden verschiedene Personen in Mikrophone hinein und dann, später, aus dem Radio heraus, in eine diffuse Öffentlichkeit wieder hinein (Hörspielkonsumenten sind eine Art verschworene Gemeinde, sie hören immer,  die andren nie. Ich habe mein Schreiben mit Lesen und dem Hören von Hörspielen begonnen, nicht begonnen, sondern davon wurde es sozusagen ausgelöst, als würde man einen Knochen auslösen, und gerade das Fleisch wäre das, was man nicht brauchen kann. Man muß auf einen Kern kommen, eine Essenz, und dabei hat die Musik ihre eigene Bedeutung, die sie sonst nicht in diesem Ausmaß hat: Sie nimmt einen an die Hand und bei der Hand, die jederzeit wieder herausschlüpfen könnte, aber meist doch freiwillig bleibt).

Durch das Sprechen im Hörspiel, das eine Zusammenkunft von Stimmen und Personen suggeriert, die ja einmal wirklich, im Studio, zusammengekommen sind, aber jetzt längst weg, verschwunden und woanders sind, während ihre Stimmen hiergeblieben! (so schreien wir) sind, wird das Schweigen gebannt, indem es dableibt, unsichtbar, als eine Art Bindemittel. Keiner verläßt den Raum, was ja auch gar nicht ginge, denn der Raum, in dem gesprochen worden ist, ist ja schon längst verlassen, dient jetzt etwas und jemand anderem, nicht eigentlich der Raum, sondern die Versammlung der Sprechenden: Die hat lange davor stattgefunden und kann später dann nicht mehr verlassen werden. Jetzt reden sie, aber sie sind nicht mehr da, sie sind auf einem Tonträger gespeichert. Mit der Musik des Komponisten Peter Zwetkoff, der sie schon komponiert hat, bevor die Sprechenden zusammengekommen sind, lang davor. Die Musik war schon da, bevor die Menschen da waren und sich an sie geschmiegt haben. Aber die Schauspielerinnen und Schauspieler haben sie nicht gehört, sie wußten in jedem Augenblick des Sprechens, diese Musik würde später dazukommen, wenn sie längst wieder weg wären, sie ist unhörbar dabei, die Musik, und dann würde sie dazugemischt, um einen neuen Raum zu schaffen, einen anderen als den der Aufnahme, einen Raum, der die Sprache zwar noch braucht, nicht aber die Sprechenden. Und am Ende steht dann unser Aufnehmen. Das, was wir von der Aufnahme aufnehmen.

Die Hörspielmusik Peter Zwetkoffs weiß, was Schweigen ist (das kann man nicht von jeder Musik sagen, aber die Hörspielmusik ist eine Musik, die zum Sprechen dazukommt, daher weiß sie mehr vom Schweigen als jede andere Musik), es ist ein Schweigen, in dem sich jeden Augenblick die Personen des Spiels versammeln werden, damit man sie hört und damit man sie am Ende mit der Musik hört, die sie trägt, die Stimmen. Die brauchen die Musik als Trägerelement, das den Raum schafft, denn ein Raum ist ja nicht mehr da, wenn das Hörspiel gehört wird. Da sitzt jeder, der es hört, als Monade in seinem eigenen Raum und hört einem anderen Raum zu, der für ihn geschaffen wurde und den ein Komponist mitgeschaffen hat. Wie soll ich es sagen: Der Raum, der durch die Aufnahme der Stimmen entstanden ist (gern auch ein abstrakter Raum, wir nehmen jeden, den man uns gibt, es bleibt uns ja nichts andres übrig), braucht etwas, das ihn umgrenzt, sonst würden die Stimmen ins Nichts fallen, und da ist dann die Musik, die ihn davor bewahrt, die letzte Membran vor dem Absturz von Stimmen, die manchmal vorgeben, für Menschen zu stehen, manchmal einfach nur Stimmen sind, die ihre Menschen erst erzeugen. Und die Musik erzeugt sie dann alle gemeinsam, das geht in einem Aufwaschen, das leer macht und bereit für Neues, die Bereitschaft für etwas anderes ist in der Kunst immer da, das ist das Irritierende an ihr. Die Stille hält derzeit noch an sich, doch sie wartet schon, daß jemand andrer sie sich selbst wieder abnimmt. Der Stille zittern die Hände vor Anstrengung, lange wird sie das nicht mehr durchhalten können, die Stimmen hochzustemmen. Aber da kommt sie schon, die Musik, und die Hörspielmusik Peter Zwetkoffs hat ja die Fähigkeiten, ganz besonders differenzierte Umgebungen (ich sage einmal nicht: Räume) zu schaffen. Sie IST Umgebung, aber nicht im Sinn von etwas, das halt da ist und etwas anderes sein könnte und etwas anderes, den Kern der Sache, umgibt, sondern sie ist Umgebung, die den Raum für das alles erst schafft. Das Schweigen, aus dem Stimmen und Musik kommen, macht die Hörenden erst bereit für das, was da daherkommt und jeden Augenblick daherkommen wird. Es bereitet die Hörenden vor, und dann bereitet es die Hörenden auf. Vielleicht könnte man paradoxerweise sagen: Diese Musik ist Schweigen, aber ein Schweigen, in dem jeden Moment etwas kommen wird, ein Vorbereitendes Schweigen, das dann gefüllt wird, aber auch in den lautesten Momenten das Schweigen noch mit sich trägt, wie ein Raubvogel seine Greifer, während wir als Hörende nur warten können, was für uns dabei abfällt, halb Aasgeier, halb Einbrecher, die ihr ganzes Diebsgut noch mit sich schleppen, wenn sie das hören, die manchmal zerstreut sind, mit nur einem Ohr zuhören und mit dem anderen Ohr woanders sind. Aber die Fänge halten die zappelnde Beute der Worte und der Musik zusammen. Da fällt nichts unabsichtlich runter, danke, die Absicht ist allein beim Halter dieses Hörens, nicht beim Fallen. So wird das Schweigen, das keines ist, sondern sein eigenes Gegenteil, das aber das Schweigen immer mitdenkt, zum Gegenteil von Verschwiegenheit: Dieses Schweigen sagt mir jetzt nichts. Dieses Schweigen sagt mir was. Es sagt mir viel. Und die Stimmung, auch wieder in mehren Varianten denkbar, auch die Stimmung der Instrumente natürlich, sperrt die Menschen auf, die da zuhören, es bricht über sie herein, das Sprechen, die Musik, die Geräusche brechen herein wie Wasser aus einem geborstenen Rohr, und das alles bricht wiederum das Schweigen, ohne daß es, als Grundelement des ganzen, je wieder verschwinden würde. Daß es verschwindet, das kann man sich nicht vorstellen. Diese Laute verlautbaren nichts, aber sie sind da, und ohne sie würde wiederum alles durchbrechen in ein andres Schweigen, das dann wirklich durchdringender wäre als das Schweigen vor und hinter dieser Musik, dieser Worte, ein durchdringendes Schweigen, in das dann aber keiner mehr einbrechen könnte, egal mit welchem Werkzeug. Mit Peter Zwetkoffs Musik verfängt sich das Sprechen, es kann nicht mehr raus, weil diese Musik ja da ist und es hält, und es verfängt sich so sehr, wie ein Insekt im Haar, daß nichts mehr herauskann aus diesem Schweigen, das Musik ist, und  es gibt dann kein Davonkommen mehr. Bis wir nicht zu Ende gehört haben.


Peter Zwetkoff

 

 


Musik. Schweigen. © 2011 Elfriede Jelinek

 

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