Zeppel-Sperls verblendete
Welt
in memoriam Robert
Zeppel-Sperl, gestorben am 25.2.2005

Bei
Robert Zeppel-Sperl ist mir immer, als trügen die Menschen Verblendungen.
Nein, ich meine nicht, daß sie verblendet wären, denn das Sehen
aus diesen riesigen suggestiven Augen auf den meisten Bildern zeigt ja,
daß sie nichts vorm Kopf haben, das sie an irgendetwas hindern könnte.
Sie haben nicht einmal etwas, das sie vor dem, was sie da sehen, schützen
könnte, sie haben oft nicht einmal Augenlider! Aber es kommt mir
so vor, als wären das nicht die wirklichen Figuren, als umgäbe
sie etwas, das sie vergrößert und dabei aber das Eigentliche
(the real thing) ist. Diese Figuren, Menschen, Tiere, Meere, Gegenstände
behaupten sich nicht, aber sie behaupten auch nichts anderes, über
sich hinaus. Sie sind da, eine armselige Liebkosung für Leinwand,
die hat das kaum gespürt, aber plötzlich ist sie vollgeschmiert.
Und trotzdem haben sie diese starke Konturierung, die Gestalten, dieses
blinde, nein, eben nicht: blinde Starren, als ob sie sich selbst zur Geltung
bringen wollten, weil es kein andrer tut, nein, im Gegenteil, als ob sie
ihre Geltung, indem sie da ins Nichts starren, jeden Augenblick, den sie
starren, also wirklich: jeden, verleugnen würden. Diese Bilder behaupten
sich natürlich doch, weil man an ihnen nicht vorbeisehen kann. Da
sie einen ansehen, muß man sie auch ansehen, man kann gar nicht
anders. Aber: Sie sind deshalb noch lange keine Behauptung. Sie zeigen
sich, indem sie in sich hinein (und gleichzeitig aus sich heraus, genau
das ist der springende Punkt, der hier aber still hält) schauen.
Sie halten einander in den Händen, sofern es mehrere Figuren sind,
die dargestellt werden, aber dieses, wie soll ich es nennen? reziproke
Darstellen ist, was mich interessiert. Wie kann etwas dargestellt, zur
Schau gestellt werden und dabei selber noch viel mehr schauen als man
es selbst je könnte, nicht einmal beim Anschauen von etwas, das einen
buchstäblich fesselt, an dem man nicht - wie eben an den Bildern
Zeppel-Sperls - vorbeikommt und nicht einmal vorbeischauen kann. Man kann
mal so vorbeischauen, man kann auch vorkommen, aber man kann nicht vorbeikommen.
Zeppel hat immer als Schlimmstes von einem Kunstwerk behauptet: es sei
sentimental. Ich habe mir immer, sehr oberflächlich, gedacht, daß
er vielleicht selber sentimental sei und das in sich bekämpfen wolle.
Aber das stimmt nicht. Im Gegenteil. Er ist letzten Endes unbarmherzig:
Jede Sentimentalität, zu der der Künstler sich verführt
sehen könnte, würde ohnedies durch die Bescheidenheit aufgehoben,
in der dieser Maler, er, eben etwas zeigen muß, das durch das eigene
Schauen, Glotzen, Starren (ja, es starren eben sogar die Gegenstände,
das Meer, alles starrt aus den Bildern heraus) einen leeren Raum dahinter
behauptet, aber niemals sich selbst. Sich selbst wirft er in diese Bilder
hinein, die dann selber mit sich werfen, die sich selber sich hinter sich
werfen, dort ist ja Platz, wie für zerknüllte Packungen, Pappteller
mit Senfschmierern und abgenagte Hühnerknochen, die man achtlos wegschmeißt.
Aber nein, der Platz ist zwar da, doch die Abfälle müssen immer
weitergereicht werden, nach hinten, irgendwohin, denn auch dieser leere
Raum, dieses Dahinter, das weiß man, auch wenn man ihn nicht sieht,
weil der Zeppel ja alles immer so vollmalt bis ins letzte Eck, bis zur
letzten Faser, es darf keine leere Stelle geben, weil es keine geben kann,
also dieser leere Raum, den man nicht sehen kann, weil die Oberfläche
oberflächlich vollkommen voll ist, dieser leere Raum, diese Leere,
die man hinter allem und jedem ahnt, die ist bei ihm auch noch voll. Voller
als voll. Das suggerieren seine Bilder: endlose leere Räume, die
aber eben paradoxerweise nicht leer sind, sondern voll. Man sieht das
nicht, aber man weiß es, und zwar ausschließlich vom Anschauen
der Oberfläche her, die nichts ausschließt, sondern weiterreicht
an Malgründe, die, völlig unbegründet, auch noch zugemalt
sind. Diese Malgründe sind keine Gründe, warum das so ist. Es
ist einfach so. Es kann nicht anders sein. Da sind keine denkenden oder
nachdenkenden Figuren, in die man etwas hineinprojizieren könnte
und die kleinlaut dasitzen, bis man ihnen sagt, was sie denken (es ist
ihnen natürlich egal, jeder denkt etwas anderes, vielleicht denkt
auch überhaupt keiner irgendwas), das sind Gestalten, Dinge, Tiere,
Landschaften, die sich öffnen, nein, nicht um einen zu fressen oder
zu verschlingen, das können sie ja nicht, denn in den Landschaften
hinter ihnen, da ist auch kein Platz mehr! Die Abfälle haben das
leider auch schon erfahren müssen. Wohin jetzt also mit der tropfenden
Leiche, mit dem blutenden Stück Betrachter, der in ihren erbarmungslos
glierenden (keine Sorge, das Wort gibt es nicht, Sie brauchen es nicht
nachzuschlagen!) Echsenmägen verschwinden würde? Es gibt kein
Wohin, das sagen mir Zeppels Bilder am lautesten, neben dem, was sie sonst
noch sagen, und das ist auch wieder soviel, und dem, was sie nicht sagen,
und das ist überhaupt das meiste, daß ich die Hintergründe
meines Bildschirms auch noch mühelos damit füllen könnte.
Ich will aber nichts kaputtmachen und bin technisch nicht begabt. Ich
mache mir halt eine Mühe, aber, egal wieviel Mühe ich mir gebe:
Ich bleibe an der Oberfläche, die aber, immerhin, das hab ich kapiert,
keine Oberfläche ist. Ob Damenhandtasche oder Damenlächeln,
ob Ungeheuer mit Meerjungfrau mit Meer und gut geschnittener Landschaftsfrisur
obendrauf, ja, alles ausgemalt, alles klar, alles unklar, aber niemand
wird je erfahren, und schon gar nicht an diesen Wesen, die sich gleichgültig
weggeworfen haben und sofort weitergereicht wurden und am Ende gleichzeitig
verschwunden wie anwesend sind und halt zufällig auf, aber gleichzeitig
auch hinter den Leinwänden vom Zeppel gelandet sind (es ist in Wirklichkeit
eine Punktlandung, der Fallschirmspringer wirft sich ins Nichts, aber
wenn er sein Metier beherrscht, landet er trotzdem punktgenau, ich weiß
nicht, an welchen Leinen er ziehen und mit welchen Teilen seines Körpers
er ruckeln muß, um das zu schaffen), niemand wird also erfahren,
was im buchstäblichen Sinn des Wortes: dahintersteckt. Aber jeder
wird immerhin wissen, daß etwas dahintersteckt, das, obwohl es unendlich
viele Schichten hat, in dieser Oberfläche punktgenau, aber in sehr
sehr vielen Punkten aus Farbe, heruntergekommen und angekommen ist. Nein,
nicht bei uns angekommen. Und ganz gewiß nicht heruntergekommen,
denn alles, was Zeppel malt, schaut ja wie neu aus. So wunderschön
und farbig! So schön! Wir Betrachtende sind diesen Gestalten und
Gestaltungsweisen und weisen Gestalten, die sich an unerwarteten Stellen
öffnen, nur um sich an den erwarteten wieder zu schließen und
umgekehrt, wir sind ihnen vollkommen gleichgültig. Dieses partielle
Öffnen könnte einen versucht sein lassen, an Fenster in die
Hinterzimmer zu denken: allein der freundlich grüßende Gnom,
dieser Geist, dieser Meergeist oder was er ist, er öffnet sein Körperfenster,
und darin taucht eine Landschaft auf, und die ist wieder nur ein Fenster
und so weiter und so fort, und dabei zeigt die rosafarbige Nackte wiederum,
daß der dargestellte Wassergeist selber ein Fenster ist, und daß
auch sie ihrerseits aus einem Fenster geklettert sein muß, um uns
das alles zu zeigen. Genau das meine ich mit dem Verleugnen jeder Sentimentalität,
anders kann ich es nicht sagen, ich persönlich habe ja leider keine
Hintergründe, auf denen ich es besser sagen könnte. Diesem Maler
ist es wirklich egal, was wir denken, weil er uns alles zeigt, was wir
sehen könnten (nicht können: könnten!), indem das, was
er zeigt, uns ansieht, aber nicht nur von der Oberfläche her, sondern
aus der Tiefe herauf. Und wenn diese Wesen hinter den Wesen hinter den
Wesen die Schärfe ziehen, die Tiefe also noch weiter schärfen,
(die „gaffer tapes", mit denen auch die Filmdosen verschlossen werden,
kleben am Rand des Objektivs, damit der Schärfenzieher weiß,
wann und wo er nachziehen muß, das fällt mir so ein, weil Zeppel-Sperls
Bilder in ihrer Statik im Grunde Filmbilder sind, aber endlos hintereinander
projiziert, nicht mit dem Ablauf der Zeit mitlaufend) eigentlich zu einer,
der einzig richtigen Tiefe erst zuspitzen, um damit ein Loch in die Leinwand
zu bohren und zur Abwechslung mal uns bis ins Mark zu sehen, dann werden
wir aber wirklich alle furchtbar erschrecken. Wir davor und die dahinter.
Weil wir uns gegenseitig ansehen müssen. Ich fürchte mich jetzt
schon. Mein Gott, Bilder schauen mich an! Und ich kann nicht anders, als
sie anzuschauen. Aber schließlich bin ich doch nur gekommen, um
sie anzuschauen! Mir wäre in diesem Fall lieber, Raubtiere sähen
mich an und kein Zaun dazwischen. So gefährlich sind diese Bilder,
indem sie scheinbar harmlos sind. Ich weiß aus eigener Erfahrung,
daß solche Bilder nicht harmlos sein KÖNNEN, obwohl der Künstler
nichts von meinen Erfahrungen weiß (und sie ihm genauso egal sind
wie seinen Gestalten alles egal ist), der Zeppel hat diese Landschaftlichkeiten,
diese sprechenden Gehirne (na, zu mir spricht es, das Hirn, natürlich
verstehe ich kein Wort, aber die schrecklichen Denkorgane weiter hinten,
im Dunkel hinter diesem, nein, Dunkel ist es ja keins, denn es ist dort
auch alles vollkommen und total vollgemalt, Hilfe! Es frißt mich
sicher gleich auf!, das will ich gar nicht verstehen, was das Hirn mir
sagt. Was sie mir sagen könnten, diese Dinge im Dunkel, das wäre
zu grauenhaft, und dabei ist es doch lieb, dieses Gehirn, oder? So sorgfältig
ausgearbeitet, schauen Sie, jede Windung, und auch noch räumlich
- das ist es ja! Na, zu mir ist es das nicht: lieb. Und zu Ihnen auch
nicht, das wage ich zu behaupten!), diese monströs-ornamentalen Frauenkörper,
die jederzeit loslegen können, aber sich dazu nicht hinlegen müssen,
nur wenn sie es wollen, keinen Moment früher, keinen später,
die hat er oft mit einem rätselhaften Lächeln gemalt. Aber dieses
Lächeln, ja, auch das der Landschaften, dieses Lächeln ist wie
ein rasendes Pferd, auf das man aufspringen möchte, um sich zu retten,
aber man kommt nicht rauf. Man kommt bei diesen Bildern nirgends drauf.
Also, wie soll ich es ausdrücken: Es scheint auf Zeppel-Sperls Bildern
alles ganz einfach zu sein, so wie er es gemalt hat, alles scheint da
zu sein, in Gedankenlosigkeit oder voller Gedanken entweder zusammengesetzt,
es kann auch sein, daß durch unaufhörlich laute Musik in irgendwelchen
unsichtbaren Kopfhörern (nicht durch Denken jedenfalls! Das hat er
gleich weggeschmissen) oder durch Schlaf der Zeiger wie das Gezeigte wachgehalten
werden, obwohl ohnedies keinerlei Gefahr des Einschlafens besteht. Aber
da kommt noch etwas Rasendes hinzu, am Rande des Blickfelds, aber überall
dazwischen auch, gerade in der scheinbar byzantinistischen Statik, mit
der einen alles anschaut und, indem es aus dem Bild herausschaut, mehr
ins Bild zurückschaut, als man sich das je hätte vorstellen
können, gerade in dieser Statik rast da nun dieses Tier da vorbei,
ja, ich weiß, auch das Ungeheuer schaut aus, als ob es sich nie
im Leben bewegt hätte oder bewegen könnte, aber trotzdem, gerade
indem es sich nicht bewegen kann, rast es an mir vorbei, ich will raufspringen
(das Pferd ist ja weg), um mich vor diesen Bildern, diesen Augen, diesen
schönen Ornamenten in Sicherheit zu bringen, die alles so beharrlich
und geduldig aufgefüllt haben (es sieht aus, als hätten sie
sich selbst gemalt, um mehr zu werden, aber gegen den Hintergrund, der
noch viel voller ist, kommen sie eh nicht an), wie ein Strickwerk, wie
ein Wirkwerk, ja, vielleicht ist es das, fällt mir grad ein: es ist
ein gewirktes Werk, was Zeppel da vollbracht hat, er hat ein Werk gewirkt,
das nach hinten wie nach vorne weiterwirkt, nein, nicht eins, das nach
hinten und vorn losgeht, es geht eben überhaupt nicht, aber es wirkt,
es wirkt in mich hinein und aus mir wieder heraus, und jetzt ist das galoppierende
Tier halt endgültig weg, auf dem ich mich retten wollte. Ich sehe
nichts mehr von ihm, indem ich alles von ihm sehe. Ich habe einen Moment
zu lang in diese Bilder hineingeschaut, und jetzt rettet mich nichts mehr.
Das letzte Pferd ist an meiner Haltestelle vorbeigekommen, es hat nicht
angehalten. Wieso denn auch ausgerechnet für mich? Und jetzt wird
sich gleich etwas öffnen, fürchte ich und kann es gleichzeitig
nicht erwarten, das Verleugnete und Weggeworfene, das im Ornament gebannt
ist, wird jetzt aus dem Hintergrund auftauchen, weil es im Vordergrund
keinen Platz mehr gefunden hat, so wie ich auf dem letzten Tier nicht
Platz nehmen konnte. Außerdem sind da schon etliche apokalyptische
Reiter drauf gesessen und abgeworfen worden, aber zu denen hätte
ich mich eh nicht dazusetzen wollen, es wäre ohnedies kein Platz
mehr frei gewesen. Und wir rasen also allein mit unserer Augenkraft, mit
unserem Augenlicht als Scheinwerfer und mit schneidenden Luftzügen,
die die Leinwand zerfetzen (deshalb muß die Leinwand ja gerahmt
werden: damit sie einen Halt bekommt!) ins Nichts.

Aber
in diesem Fall ist der Rahmen etwas, das zum Bild dazugehört und
oft selber ein Teil des Bilds geworden ist. Nein, eigentlich müßte
man sagen: Wir würden ins Nichts rasen, doch da ist noch etwas: Diese
Bilder haben - und das ist eine einmalige Zusammenarbeit zwischen Maler
und Rahmenkünstler, Einrahmungskünstler - ich will sagen: derjenige,
der diese Rahmen gemacht hat, ist selbst ein Künstler, aber nicht
einer, der sich mit dem Maler um Lebensraum streiten würde, denn
er stellt einen eigenen Lebensraum für den Auslauf des Schispringers,
den Abschwingraum des Schifahrers zur Verfügung, also diese Bilder
haben Macht, aber sie machen einem nichts, sie haben Macht dadurch, daß
sie in einem Rahmen verwahrt sind und sich daher gegen nichts mehr verwahren
müssen, denn dieses Verwahren ist in Wirklichkeit ein Sich Hergeben.
Dort, in diesem Abschwingraum, der selber in Schwingungen gerät,
aber nicht durch die Bewegung des Sportlers, sondern durch Bilder, dort
also können die Bilder dann weitersausen, über den ihnen zugedachten
Ruheraum wieder hinaus (und der Ruheraum ist ja auch wieder einer, in
dem Bewegung zur Ruhe kommen soll, er selbst bewegt sich nicht, er bewegt
sich nur durch die stockende, abbrechende Bewegung, die in ihm stattfindet,
er dient dem zur Ruhe Kommen), obwohl sie, gebannt durch diese Rahmen,
irgendwann mal endlich stehenbleiben müssen. Sie stehen allerdings
nur, damit sie jederzeit gehen können. Eine Kunst geht in die andre
über. H. Szusich, der Rahmenkünstler für Zeppel, der macht
etwas, das ich so noch nie gesehen habe: Er schafft den Raum für
den Raum, ohne daß er eben ein Mehr an Raum fordern würde.
Er ist ja kein Usurpator, er ist auch kein Ermöglicher, denn diese
Bilder sind natürlich auch ohne ihn möglich, die sind ja schon
da. Er jagt nicht, der Rahmer (nein, er entrahmt nichts, im Gegenteil,
er gibt etwas dazu, völlig selbstlos und auch wieder nicht), indem
er Materialien, Linien, Borde, Simse nebeneinander aufschichtet und so
die Bilder weiterführt, indem er sie, ein guter Vater, fest an der
Hand hält auf ihrem Spielplatz da. Nicht, damit ihnen nichts passiert,
sondern damit sie noch mehr Platz für sich bekommen, den er zur Verfügung
stellt, damit sie darüber auch noch verfügen können, diese
Bilder. Das ist das scheinbare Paradoxon: Daß man etwas mehr Raum
gibt, gerade indem man es begrenzt. Damit diese Bilder Fort-Schritte machen
können, indem man sie, während man ihnen die beruhigende Gewißtheit
gibt, daß ein Leben für sie jenseits ihres Mal-Playgrounds
möglich ist, gleichzeitig festhält und ihnen den Raum eröffnet,
einen Raum, in dem die Bilder sich wiedererkennen können, denn in
diesen Raum werden die Bilder ja fortgeführt, damit sie bleiben können.
Damit sie freiwillig bleiben. Es ist alles freiwillig. Sie haben die Möglichkeit,
diese Bilder, (ja, ist es denn die Möglichkeit!) daß, ohne
daß die Kunst totalisiert würde, denn daß diese Bilder
SIND bedeutet, daß sie immer im Ganzen sind, aber nicht in der Totalität,
die alles andre ausschließen würde (im Gegenteil, ich glaube,
sie werden umso menschlicher und einzigartiger, umso mehr die Totalität
aus ihnen ausgeschlossen wird, durch Rahmung, durch diese Art von Rahmung
jedenfalls, die das Bild an die Hand nimmt, nein, das wäre zu paternalistisch,
nicht an die Hand nimmt - zur Hand geht? Nein, auch nicht. Ich weiß
es nicht), diese Bilder haben also offenbar die Möglichkeit, ständig
in einzigartig Neues einzudringen, gerade indem man sie sehr bewußt
begrenzt. Begrenzung durch Weiterführung. Aber auch Weiterführung
durch Begrenzung. Und diese Weiterführung ist dann eigentlich eine
Erwirkung - das ist mehr als Ermöglichung - von Neuem, das nicht
erobert werden muß, das nichts Aggressives bedeutet, auch nicht
Erfolg, Erfahrung, Errungenschaft, sondern ein, wie soll ich sagen: Erlauben.
Gewährenlassen. Erobern, indem man gewähren läßt.
Aktivität, gezwungen in sanftmütige Passivität, ohne daß
es wirklich Zwang wäre. Der Rahmen nicht als Fessel, sondern als
Weg in etwas Neues. Begrenzung als Ziel, aber ohne irgendwo ankommen zu
müssen, also eigentlich Begrenzung als Ziellosigkeit. In diesen Rahmen
ist sehr viel, auch sehr edles Metall, aber je schwerer sie zu sein scheinen,
umso besser kann man die Bilder, die in ihnen immer schwereloser zu werden
scheinen, zur Neugier reizen, und es ist immer ihre eigene Neugier (nicht
die des Betrachters), hinaus zu wollen und gleichzeitig aufgehoben zu
sein, denn die Rahmen sind ja wie sie, sie setzen die Bilder fort, und
die Bilder brauchen nicht den Satz über die Rahmen hinaus zu machen,
um hinaus zu können.

Wir,
die Betrachter, rasen also, denn uns hält ja kein Rahmen, es ist
noch nichts erfunden, das uns halten könnte, ins Nichts. Wir haben
nämlich keine Begrenzungen, das ist ja das Schreckliche. Bald aber
werden wir aber wieder vorbeikommen, das wissen wir jetzt schon, auf dem
Weg in dieses Nichts, weil Blicke uns gebannt und gleichzeitig fortgeschickt
haben. Blicke, die mit uns dasselbe tun wie die Rahmen Szusichs es mit
Zeppels Bildern tun. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Ein Hin
und Her. Die Macht macht nichts. Keine Macht macht etwas. Aber alles bewegt
sich. Sogar der Rahmen, das Schwerste, Statischste von allem, bewegt sich,
weil das Bild es von ihm verlangt hat. Unglaublich für etwas so Statisches
wie ein Bild. Das verlangt sogar von einem metallenen Rahmen noch etwas!
Das Bild verlangt Schärfe, und es verlangt, schärfer herausgestellt
zu werden, damit man diese Kunst als etwas Gemachtes erkennen kann. Ich
schließe jetzt, wo ist das Vorhängschloß, aber es gibt
ja keins, das diese Bilder abschließen könnte, und dort, überall
hinter mir kommt noch viel mehr, falls es Sie interessiert: Ich schließe,
aber ich kann mich gegen diese Bilder nicht abschließen. So viele
Schlüssel gibt es gar nicht wie es Falltüren in diesen Bildern
gibt. Man fällt zwar weich, denn das Nichts ist ja bei Zeppel auch
ausgemalt, aber, so wie wir uns den Tod nicht ausmalen können, so
sind diese Bilder artig ausgemalt, artig deshalb, damit die Ungeheuer
hinter ihnen bleiben und aufgebracht sind wie Farbe, aber aufgebracht
diesmal gegen uns. Es rettet uns nur das Wachbleiben, nein, das rettet
uns auch nicht, es ist wie das alte Kinderspiel: Man starrt sich gegenseitig
an, bis einer die Nerven verliert (oder wegschmeißt) und als erster
zu Boden schaut. Das geht mit Zeppels Bildern nicht, dieses Spiel, denn
Sie werden immer als erstes die Nerven wegschmeissen. Gut. Die wollen
eh die ganze Zeit schon hinter das Bild, dort gibt es noch viel mehr zu
sehen. Nur weil Dinge gemalt sind, sind sie noch lang nicht gelassen,
und sie sind auch nicht im Stich gelassen. Sie stechen selber. Indem sie
scheinbar: nichts tun. Sie tun uns etwas Entsetzliches an, indem sie gar
nichts tun.

25. Februar
2005
Quellen:
Bilder Zeppel, Rahmen Szusich, Innsbruck-Bozen-Wien 2004, Wandbild (Ausschnitt)
Prof. Rossiwall, Innsbruck
Zeppel-Sperls verblendete Welt © 2005 Elfriede Jelinek

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