Und vergib uns unsere Schuld, aber dabei würden wir uns doch was vergeben! Warum nicht. Es gibt uns doch auch sonst keiner was. Hä?


Es ist eine Katastrophe: Wir bekommen nichts mehr für uns, und dazu müssen wir nicht einmal Griechen sein! Wir sind es gewohnt, daß Abmachungen über unsere Köpfe hinweg getroffen werden, doch die sind, wie die Körper, die dranhängen, nichts mehr wert. Mit uns kann nichts besichert werden. Schulden werden beglichen, aber niemand kommt mehr auf gleich, und er wüßte auch nicht, womit oder mit wem. Wir stehen gern für uns als Zeugen zur Verfügung, damit wir uns durch uns selbst vertreten lassen können, aber was wir bezeugen, ist nichts. Wir wissen nichts. Wer interessiert sich für uns und unsere Kredite und Schulden? Wir sind unser eigenes Echo, doch zurückkommen tut es nicht, vielleicht schon, aber zu wem? Wen würde auch nur unser Abglanz interessieren, wenn wir die Raten nicht mehr abstottern können?

Es wird uns nichts geschenkt, nicht einmal Vertrauen, Sicherheiten wären besser, Garantien für einen Kredit auch gut, aber was sind die Körper wert? Nicht viel mehr als ihre Nieren, Stücke ihrer Lebern, was sie halt entbehren können, die Körper, das ist wie mit den Autos. Auch bei ihnen sind ihre Teile einzeln mehr wert, als wenn man das ganze Vehikel verkaufen würde. Unsere Schuld ist es, daß wir leben. Es ist unsere Schuld, daß wir leben! Besser wäre, das nicht zu tun, sondern es zu unterlassen. Die Preise stehen jetzt auf festen Füßen, doch sie sind fast immer zu hoch. Auch wenn wir der Rede eines anderen zuhören, ist das meist schon zuviel, denn der andre will ja nichts dafür haben, er will nur etwas sagen. Oft verstehen wir die Sprache gar nicht. Denken dürfen wir aber schon, bloß: Wer will es wissen? Wer kann es wissen, wenn nichts gesagt wird? Und wenn miteinander geredet wird, wenn ein Austausch stattfindet (was ja überhaupt allgemein vorgesehen ist, Handel und Wandel, sonst: Stillstand), dann wird etwas geteilt, das niemand bezahlt, das Dasein selbst ist Sprache, aber nein, da alle immer etwas haben müssen, muß man sagen: Das Dasein hat Sprache, und die teilt es aus, manche teilen besonders gern aus. Manche schenken anderen auch ein, ohne daß denen dabei was geschenkt würde. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? Das heißt, Schweigen ist mehr wert, oder? Denn ohne daß etwas etwas und jemandem etwas wert ist, funktioniert gar nichts. Aber, wie sagt der Denker? Wer nie etwas sagt, vermag im gegebenen Augenblick auch nicht zu schweigen. Man würde den Unterschied nicht merken, daß er etwas gibt, wenn er nie etwas gegeben hat. Es kommt kein Austausch zustande. Kein Tausch.

Keine Rede, keine Gegenrede, und daher steht auch keiner als Zeuge zur Verfügung, er müßte als Zeuge über sich verfügen können, um etwas zu bezeugen, und man würde sich verpflichten. Es gab Zeiten, da war sowas in der Nachbarschaft Pflicht, sich zu verpflichten, denn was passiert, wenn die zwei sich streiten, die sich einander verpflichtet haben? Freut sich dann der Dritte? Wer ist das, der sich hier freut? Bei den Griechen ist die ganze Welt, zumindest ihr europäischer Teil, beredter Zeuge, daß Pflichten nicht erfüllt werden. So viele Zeugen hätten wir gar nicht gebraucht. Wir hätten nur ein paar Häuser in unserem europäischen Haus, wie man es nennt, weitergehen müssen, und noch immer hätten alle von den Schulden gewußt. Der Grund dafür ist: Wir sind nicht mehr klein. Wir sind unüberschaubar, so viele, daß nichts aufgeteilt werden kann, weil alle immer alles wollen. Die Griechen wollen alles geschenkt haben, sie wollen nicht zurückzahlen, was wir ihnen geliehen haben, na ja, dann hätten wir ihnen Vertrauen halt nicht schenken dürfen, irgendwas ist immer geschenkt, und gibt man ihnen auch nur den kleinen Finger, wollen sie die ganze Hand, das ist eine Gabe, die aber keine sein kann, das Vertrauen ist eine Schenkung. Gehen wir zurück, nein, sicher nicht!, wir gehen nur vorwärts! Nichts stimmt überein, schon gar nicht Aussagen. Wer die Gabe empfängt, muß sich, bevor er was kriegt, anstrengen, ihrer würdig zu scheinen. Spielt sich das in einem engen Bereich ab, unter Bekannten, so wird die Beredsamkeit wichtig werden, mit der man dem andren etwas "herauslockt". Aber wir sind nicht mehr im kleinen Kreis. Sprechen ist für das Versprechen (der Rückzahlung) maßgeblich, aber das Maß geben andere, die Schuldner geben kein Maß, es wird ihnen eins gegeben, in das sie ihre Rückzahlungen hineinschütten sollen. Man hat das Versprochene geglaubt, der Herr der Schulden hat dem Schuldner geglaubt, und jetzt merkt er, daß da keine Wahrheit war, keine Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand. Also muß der Gegenstand ein andrer sein, als er war, zum Zeitpunkt des Versprechens. Vielleicht sollten die Griechen sich jetzt Danaer nennen, die Geschenke gekriegt haben, anstatt welche zu machen. Diese Erkenntnis ist falsch, jede Erkenntnis, wenn sie mit dem, worauf sie sich bezieht, nicht übereinstimmt, auch wenn sie etwas enthält, das auch für andre gelten könnte, ist erst mal falsch. Es ist nicht von Wahrheit und Schein (und Täuschung) die Rede, sondern nur die Urteile darüber zählen. Auf die Anschauung kann sich niemand verlassen, denn niemand sieht dasselbe, alle sehen etwas anderes. Es ist dasselbe Europa, es ist ein ganz andres Europa, man kennt zwar einiges davon, aber es ist es nicht. Griechenland zahlt nicht zurück, Sie, mein Lieber, Sie müssen aber die Rate für den Kredit weiter abstottern, denn flüssig reden mit Geld, wo doch Schweigen das Gold wäre, können Sie nicht, da Sie ja überhaupt nicht flüssig sind. Ich will nicht sagen, Sie seien überflüssig, aber flüssig sind Sie nicht. Sie sitzen auf dem Trockenen. Sie haben aber ein Versprechen gegeben, das müssen Sie jetzt einlösen, außer es löst Sie jemand ab, am besten löst er gleich Ihr ganzes Leben ab. Doch wer erlöst Griechenland, von dem kein Erlös und kein Erlöser mehr zu erwarten ist, und der Erlöser müßte sowieso von woandersher kommen? So steht es geschrieben. Womöglich war er ja schon da, wollte sich aber nicht abkassieren lassen.

Die Natur muß gebrochen werden, und dann sind wir geknickt, weil sie danach mit uns gebrochen hat. So, jetzt ist der Boden aufgeteilt, es gibt kaum noch welchen zu kaufen, aber er gibt nichts mehr her. Ein Ferienhäuschen können Sie immer drauf stellen, soviel muß da sein. Das ist seine Schuld. Der Boden ist schuld. Warum ist er überhaupt da? Ach ja, damit wir auf ihn stehen können, wenn wir einen schönen Ausflug mit Ausblick machen. Oder für dieses Fertighäuschen, das vollkommen fertig ist, noch bevor es ganz gebaut ist. Wer Ausflügler wird, kann nicht wegfliegen, um seinen Schulden zu entfliehen. Wer nach Griechenland auf Urlaub fährt, kann auch nichts machen, außer einen Retsina trinken und einen Schafkäse essen. Schon daß wir da sind, macht uns zu Schuldnern und Schuldigern, nein, nicht gern, erlöse uns von der Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern, oder so ähnlich, es ist lang her, daß ich das gebetet habe. Es ist nicht wahr, was ich sage, aber tun Sie was dagegen! Sie können es nicht. Da können Sie noch leichter gegen Ihre Schulden auftreten als gegen das Wort, das an Gott gerichtet wird, aber der nimmt es nicht, dafür habe ich Beweise. Er tut überhaupt nie, was man ihm sagt, auch wenn wir vor ihm im Dreck herumkriechen und Erde essen, die nicht uns gehört. Es ist oft mühsam herauszufinden, wem sie gehört. In Griechenland scheint es besonders schwer zu sein, niemand gibt etwas davon her, etliche nehmen etwas damit ein, aber wer zahlt, dem gehört es noch lange nicht.

Schauen Sie, Sie Griechen, wir leben in einer so schönen Gemeinschaft, dort stören Sie nur! Sie verstehen gar nicht, was Gemeinschaft überhaupt ist, sonst wären Sie ja wie wir und täten, was wir tun. Sie haben den Blödsinn mit der Gemeinschaft zwar einst begonnen, aber jetzt wollen Sie sie nicht mehr, Sie haben sie uns gegeben, und wir können jetzt auch nichts mehr damit anfangen. Sie Griechen Sie, jetzt mahnen Sie die Schuld der Deutschen ein, die nehmen aber die Mahnung nicht an, obwohl schon etliche, sogar eingeschrieben, damit die Schrift nie mehr rausgeht, verschickt wurden, Annahme verweigert. Sie haben schon damals den Tausch ihr Leben gegen die Verhinderung des Mordes an anderen Leben verweigert, die Deutschen, die Droher und Mahner, ein verweigerter Tausch. Zu einem Tausch kann einen niemand zwingen, und es fällt auch gar nicht auf, wenn eine von vielen Tauschhandlungen nicht vorgenommen wird, es gibt andre Geschäfte, Buch-, Lebensmittelhandlungen, was weiß ich, es ist uferlos, überall wird ja was eingesetzt, damit man was andres dafür bekommt. Diese Schuld wurde von Deutschland ehrlich erworben, aber es ist doch am besten, Schuldscheine sofort weiterzureichen, das geht problemlos, wenn man gar kein Schuldbewußtsein hat. Die Natur hat uns nach keinem Ebenbild geformt. Das sieht uns wieder ähnlich! Und niemandem sonst. Die Griechen, die sollen jetzt zahlen und aus. Es gibt eine enge Beziehung zwischen Schuld und Sollen? Nein, die Verpflichtung besteht aus Soll und Nichthaben, das ist eine klarere Verpflichtung, denn Sollen ist eine Verpflichtung oder ein Zwang, der auf fremdem Willen beruht, so steht es im Wörterbuch der Gebrüder Grimm. Im Wörterbuch unserer Gebrüder Grimmig wird das Soll, nicht zu verwechseln mit dem lieben Sollen, als Geldschuld angegeben, eine bessere Schuld können wir uns nicht leisten. Etwas Schlechteres aber noch weniger. Noch weniger als Schuld ist: Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es das, daß immer Jetzt ist, aber das wäre ja der Tod! Das Ende aller Geschäfte! Dann gelten Fristen nicht mehr, es muß nichts mehr eingelöst werden, wir sind das einzige Zahlungsmittel, das sich kennt, aber ich kenne nicht viele Leute, und unter der Erde nur ein paar Verwandte. Immerhin weiß ich (noch), was gestern war und daß es ein Morgen geben wird, wenn auch vielleicht nicht mehr für mich. Gezahlt wird nicht, denn ich zweifle hier offiziell das Morgen an, und heute ist nichts fällig, heute bin ich auch noch nicht fällig. Bin ich jetzt erschlossen oder entschlossen? Ich weiß es nicht.


Danke, wie immer, Wolfgang Pircher!

Und Heidegger kommt natürlich auch noch daher, ohne den gehts ja nicht.

20.3.2015 / 28.6.2015



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