Da
gehen wir in einer Drehpause der „Malina“-Verfilmung durch ein Wäldchen,
er zieht seinen Schwanz heraus und pinkelt mächtig vor sich hin,
ohne ihn dabei zu halten oder den Strahl irgendwohin zu richten.
Der geht ungebremst in den Boden. Werner sagt, er habe einmal einem
meiner Kollegen beim Pinkeln zugeschaut, das habe nur getröpfelt,
lange, aber dafür eher dünn, ein Rinnsal, er habe ihm gesagt: So
pinkelt kein Mann. So muß man es machen: daß es mächtig herausrinnt,
ungehemmt, daß einem kein Zweifel kommt, daß man ein anderer, ein
schwächerer, sein könnte als der, der man ist. Das Ganze auf einer
kleinen Wanderung durch einen Wald. In diesem Akt des heftigen Aus-Sich-Heraus-Rinnenlassens
ist die Verschwendung zur einzigen Möglichkeit geworden. Am Set
des Films würde das bedeuten, daß der Regisseur die Personen und
Einrichtungen, die zum Entstehen dieses Films, den er grade dreht,
nötig waren, auch die Unstimmigkeiten oder Pannen, in jedem Moment
ernsthaft ermahnt, ihm zu Willen zu sein. Sonst setzt es was. Und
das waren sie dann ja auch, ihm zu Willen, selbst die Sachen, die
nicht gleich geklappt haben. Hier hat ein Mann gearbeitet, da gab
es keinen Zweifel. Einer der großen Verursacher und Her-Steller,
kein Dahergelaufener, der halt irgend etwas macht, damit ihm nicht
langweilig wird oder weil das sein Auftrag ist. Ein Gott langweilt
sich nie, denn auch sein Nichtstun ist Arbeit. Diese Schöpferkraft
spürt man bei Werner sofort, und man sieht sie auch, man sieht sie
sogar in einem Ablaufen (das Ablaufdatum bestimmt er selbst), im
Ausrinnen, das den Schöpfer gleichzeitig auch schon wieder auflädt.
Sogar das Abfließen lädt ihn noch auf. Das Herstellen eines Films
oder einer Bühnen-Inszenierung ist ja in jeder Sekunde ein Entscheiden,
entsteht aus der Wirkung divergierender oder konvergierender Ursachen
heraus. Es ist ein kompliziertes Geschehen, und der Regisseur muß
Partei ergreifen, für diesen Zusammenhang oder jenen. Und die Zusammenhänge
stellt er auch noch her. Aber die Sicherheit, mit der Werner Schroeter
das tut, die hat für mich eben etwas Schöpfergotthaftes (und dieser
Schöpfer/Gott ist nicht nur Schöpfer/Geist, ganz im Gegenteil, er
ist Schöpfer/Her- und Hinsteller, was nicht alles dasselbe ist.
Sein Körper muß hergeben, was jeder Körper hergeben muß, aber in
diesem Vorgang ist er überzeugt, etwas zu TUN. Auch wenn es sein
muß, ist das also ein Schöpfungsakt und nicht das Gegenteil davon),
und seine Schöpfung hat Raum für alles, was ihm einfällt, und sie
schafft gleichzeitig auch noch Raum für alles, was noch dazukommen
wird. Auch wenn es einfach nur aus ihm herausrinnt, weil es muß,
ist es doch ER, der muß, und das ist nicht unangenehm, weil man
manchmal eben zum falschen Zeitpunkt „muß“ (passiert mir zum Beispiel
oft), sondern dieses Müssen ist die schöpferische Willkür eines
Gottes, der es die anderen spüren läßt, daß er einer ist, ein Herr
Gott. Was sollte er sonst sein, da er ja alles gemacht hat? Es ist
(wie Freud meint) nicht jeder ein „Großer“, der ein außerordentlicher
Könner auf einem bestimmten Gebiet ist (das ist Werner Schroeter
ja zweifellos); sondern, indem man einen als einen Großen erkennt
und benennt, bewegt einen dabei etwas anderes, die Persönlichkeit
und die Idee, für die er sich einsetzt – gut und schön, aber da
kommt bei dem Regisseur ein Mehr dazu (ähnlich dem Inschinör, dem
nichts zu schwör ist), das nicht unbedingt ein Mehrwert sein muß,
aber es muß da sein, und es muß heraus, und man muß dabei zuschauen
können. Auf das Zuschauen kommt es sogar ganz besonders an. Freud
bringt das mit der Sehnsucht nach einem Vater in Verbindung, den
überwunden zu haben Helden sich zwar rühmen dürfen (wer anders als
der Vater soll denn in der Kindheit der „große Mann“ gewesen sein,
meint Freud), die ein Held/Regisseur wie Werner Schroeter aber wirklich
vollzogen hat, indem er sich selbst zum Vater seiner Schöpfungen
gemacht hat: ein Vater, der nicht ein Kind, sondern immer sich selbst
als sein (und seinen!) Vater gezeugt hat. In einer Unbekümmertheit,
die bis zur Rücksichtslosigkeit gehen kann. Wie er da so mächtig
vor sich hingepißt hat, hat er das Schöpfungsinstrument des Vaters
für sich genommen und eben nicht: sich angemaßt oder es für sich
reklamiert, sondern es sich eben einfach genommen und etwas geschöpft,
indem er abgegeben hat. Wie ein Spieler den Ball.
Das
Rinnenlassen, das sein muß, geschieht ganz in seiner Gewalt und
unter seiner Herrschaft. Weil aber der Große Regisseur W. S. sich
nicht auch noch selbst auslegen kann, weil er in seiner Inszenierung
immer etwas anderes als sich selbst auslegen muß (was dann aber
wiederum zu ihm selbst wird, kaum daß er es angefaßt hat, er kann
nichts andres machen, als er ist. Er ist ja nicht einfach ein Interpret
von etwas), muß er auch die Gewißheit haben, daß dieses andere nur
so, wie er es will, ausgelegt werden kann. So bleibt er sich selbst
als Schöpfer (und sich selbst als der Person, die der Schöpfer ist)
immer erhalten. Und in dieser Schöpfer/Gewißheit ist die letzte
Auslegung dann der Tod. Dieser Mann kann nur schöpfen, indem er
weiß, daß alles Schöpfen ein Ende haben und man davon muß. Er legt
etwas aus, und der Boden unter dieser Auslegware gibt nicht nach,
doch er wird einmal ganz weg sein. So wie das Wasser den Körper
verlassen muß, muß man selbst den Boden, auf dem man steht und etwas
schöpft (das immer wieder raus muß), verlassen. Dieses Wissen schafft
den sicheren Boden, von dem nichts mehr abgezogen werden muß, keine
Auslegware jedenfalls. Das Wissen, sterben zu müssen, schafft in
manchen eine vollkommen unverständliche Furcht davor, obwohl wir
doch alle sterben müssen. Trotzdem, es bedarf des größten Muts,
auch wenn Furcht davor sinnlos ist, sich auf diesen so sicheren
Boden zu stellen, selbst dann, wenn man weiß, daß man den selber
gemacht hat.
Beitrag
zum 24. TEDDY AWARD 2010
Bild:
Werner Schroeter (24. TEDDY AWARD, Programme Guide)
13.4.2010
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