Darf ich mich vorstellen?
Ich
mache das mit meiner Vorstellungskraft.
Mehr
brauche ich nicht.
In
Vorarlberg hat die äußerste Rechte, die FPÖ, unter Einschaltung des bewährten
Antisemitismus-Turbo rasant ein Viertel aller Stimmen abgeräumt und ist
zweitstärkste Partei geworden.
Ich
weiß nicht, was ich dazu sagen könnte, und hohe Frauenstimmen über mir
singen bereits ergreifend: Dann sag halt nichts! Wenn du es nicht weißt,
dann sei ruhig!
Franz
Schuh, der große Essayist, sagt mir heute ohnedies, daß Leute, die nicht
„buddhistisch in sich ruhen“, vorsichtig sein sollten mit dem Wort „Kampf“,
denn es wecke „heroische Assoziationen, die in manchen Lebenssituationen
nur übertrieben sind. Ideal für Wichtigmacher.“ Er hat, wie meistens,
vollkommen recht. Und natürlich sind Kämpfe noch lächerlicher, wenn sie
sinnlos sind (wie meine, die meisten davon zumindest). Ich möchte mich
nicht wichtigmachen (hab das vielleicht auch zu oft getan), und Kämpfernatur
bin ich schon gar keine mehr. Die meiste Zeit sitze ich unterm Tisch und
scheppere mit meinen kleinen Knochen, die größeren von ihnen sind zu fest
eingewachsen, die können sich nicht so gut bewegen. Die sind so schwer,
daß sie mich am Boden halten und am Sport hindern.
Vorarlberg
ist nicht viel größer als ein Wohnklo, das aber immerhin noch Türen hat,
damit man sich im Klo einsperren kann, solange man noch die Macht hat,
auch andre einzusperren (das wird uns ständig vermittelt, um zu erklären,
weshalb die Wahlergebnisse dort im Grunde atypisch und irrelevant sind
und sowieso eher der Schweiz als uns gehören): Viele sind überhaupt weggezogen,
weil sie dort zuwenig Platz hatten oder einen besseren wollten. Woanders
ist natürlich mehr Platz, mehr Bedarf an ihnen, und man sieht sie als
Bereicherung (und nicht als Leute, die sich an uns nur bereichern wollen).
Die Gastarbeiter in Vorarlberg sind wiederum von woanders angefordert
worden und machen auch gute Arbeit, aber man will sie dort nicht haben.
Na, vielleicht will man sie haben, aber sehen will man sie nicht und hören
auch nicht. Und man will natürlich die Juden noch weniger. Der Jude ist
immer der, den man zu allerletzt haben will; wenn nämlich schon alle da
sind, dann kommen diese Überflüssigen, drängen sich rein, na, die haben
wir noch gebraucht! Warum haben wir nicht alle umgebracht, als noch Zeit
dazu war? Die Verdoppelung der Stimmen der FPÖ folgte unmittelbar auf
das fröhliche Sagen und das fröhliche Jagen (zu dem man viele gar nicht
erst tragen mußte, sie waren schon anwesend, dort, wohin sie gehören,
als einzige, als Unsrige, und brauchten nur noch zu warten, bis er in
ihre kleine hohle Gasse und ihre Hirnwindungen kam): Hanno Loewy, der
Direktor des jüdischen Museums von Hohenems, wurde als „Exiljude aus Amerika“
(er ist aus Frankfurt am Main) bezeichnet, was schon das Schlimmste ist,
was man sein kann. Denn wenn man von der Ostküste dorten kommt, dann weiß
man, was es geschlagen hat, jeder der Ohren hat, hört es, jeder, der Stimme
hat, gibt sie gleich bei der FPÖ ab, und man weiß auch, wen es zu schlagen
gilt: Es ist der Finanzjude, der unser Geld verspielt, das wir haben,
und uns das nicht gibt, was uns zusteht, der uns das verweigert, was wir
haben sollten, denn nur wegen den Juden haben wir es nicht. Die Juden
haben es nämlich. Wer sonst? Sehen Sie sonst jemanden, der unser Geld
haben könnte? Nein, sehen Sie nicht. Die Banken, das sind sowieso auch
alles Juden. So denken über 25% der Vorarlberger Wähler, was ich nicht
beweisen kann. Ich meine, ich kann nicht beweisen, daß die alle so denken.
Damit, daß ich sage, was ich nicht beweisen kann, habe ich schon viel
Geld verdient, und nicht der Staat hat es mir gegeben, obwohl man mich
sicher eine „Systemkünstlerin“ nennen würde, das Wort ist der neueste
Schlager der Rechten. Kämpfen kann ich nicht für andre, ich kann überhaupt
nicht kämpfen, auch nicht für die Gastarbeiter dort, nein, kämpfen, das
kann ich nicht, und Seinen Kampf beschrieben hat auch schon ein soviel
Größerer als ich. Für mich (für keinen) bleibt da noch ein Kampf offen.
Der Ausgang ist klar, und es ist nicht der Ausgang eines Kampfes. Dem
Sieger wird kampflos folgende Plakette, gekrönt mit Eichenlaub und Schwertern,
überlassen: Mit Antisemitismus kann man in Österreich seine Stimmen verdoppeln,
bis einmal ein ganzer Chor draus wird, der dann auch wieder Preise gewinnen
kann. Und warum soll man schlichten Normalsozialismus wählen, wenn man
gleich Nationalsozialismus wählen kann? Das ist doch entschieden mehr
als Sozialismus, das ist gegen eine Mischung, nein, gegen eine Einmischung
aus dem Ausland, welchem auch immer, den Teig rühren wir uns selber an,
und bald sind wir schön braun gebacken, im Hexenofen, wir kleinen Hänseln,
die wir uns nicht mehr hänseln lassen, und Greteln, die sich auch irgendwas
nicht mehr gefallen lassen, weil sie nur noch gefallen wollen, so kommen
wir aus dem Backofen, appetitlich nach Scheiße duftend. Im Vorarlberger
Wohnklo war nicht genug Platz, da tragen wir den Duft auch noch woandershin,
bald werden wir es sehen! Bald werden es alle sehen!
Ich
weiß nicht, was ich sagen soll. Und kämpfen mag ich auch nicht mehr. Ich
bin eine arme alte Frau, die nicht kämpfen kann und auch nicht kämpfen
soll, was mich schon irgendwie erleichtert und losspricht von dem blöden
Um-mich-Herumschlagen, ich könnte ja jemanden treffen (habe aber schon
seit vielen Jahren niemanden mehr getroffen). Ich weiß es nicht. Frauenchor:
Wenn Sie es nicht wissen, was schreiben Sie dann blöd herum? Sie wissen
doch gar nicht, was Sie überhaupt sagen wollen! Stimmt. Aber wenigstens
bin ich auf der sicheren Seite, denn Unwissenheit ist noch kein Kampf
nicht. Da ruhe ich lieber unter dem Tisch. Ich möchte zwar den neuen nationalen
Sozialisten nachstellen, ich möchte sie stellen, aber die Worte Fremdenfeindlichkeit,
Ausgrenzung, Sprachkurse für Ausländer, Lernhilfen, Integrationsarbeit
etc. schwirren um mich herum wie Mücken, es sind gute Worte, ich mag sie
auf Anhieb, ich schlage nach ihnen, ich greife auch nach ihnen, aber ich
kann meinen Kopf nicht heben, sonst stechen die mir noch allzu sehr ins
Auge. Bis mir Hören und Sehen einmal vergangen sein werden. Ich habe sie
auch schon zu oft und zu lange gehört, diese Wortschwärme, und es ist
gut und wichtig, sie zu hören. Aber da haben nationale Sozialisten (anstatt
der Normalo-Sozialos) ihre Stimmenzahl verdoppelt, mit Hilfe von Antisemitismus,
der sich nicht mehr versteckt hat, der sein Haupt von unter dem Tisch
hervorstreckt, unter dem er die ganze Zeit schon gehockt ist, einem anderen
als meinem natürlich, die haben nämlich ihre eigene Abstammung von ihrem
eigenen Stammtisch; denn in meinem Hochmut da unten, wo ich mich ducke,
dulde ich natürlich keinen anderen, der sich dort auch verstecken dürfte
(bei mir verstecken würde sich aber eh keiner), doch verstecken muß der
Antisemitismus sich hier endgültig nicht mehr. Der kann aufstehen, dem
Auferstandenen (den er zur Not noch neben sich duldet, Abendland in Christenhand,
aber einen Mohammed schon nicht mehr, wo kommen wir denn da hin, wenn
wir alles dulden, was es außer uns noch gibt?) nachwinken und den aufrechten
Gang üben, den früher die Kämpfer gekonnt haben, aber nun nicht mehr gehen
sollen. Kämpfernaturen haben, laut Franz Schuh, beide Seiten, die der
Schwäche und die der Stärke (ideal für Wichtigmacher, die kämpferische
Stärke! Nein, nix, führen wir nicht, da wollen wir lieber einen Führer,
der an unserer statt führt), wieso habe ich dann aber nur die der Schwäche?
Wo bleibt meine kämpferische Stärke? Das ist gemein und ungerecht, daß
ich die nicht auch habe, und außerdem weiß ich nicht, was ich sagen soll,
sage es dafür aber ununterbrochen (die hohen Frauenstimmen brüllen mich
jetzt nieder).
Ich
will etwas dazu sagen, daß die Vorarlberger FPÖ ihre Stimmenzahl mit Hilfe
von Antisemitismus verdoppeln konnte. Ich möchte mir vorstellen können,
wie weit es mit uns gekommen ist, ich kann mir vorstellen, was war (nein,
kann ich eigentlich nicht. Es ist unvorstellbar), aber dieses Sich-Nicht-Vorstellen-Können,
das bei mir immer öfter in ein Nicht-Darüber-Sprechen-Können mündet (der
Frauenchor legt die Hände erschrocken über seine Münder), kann ich Ihnen
nicht mehr zustellen, ich kann Ihnen nicht mehr übergeben, was Sache ist.
Was ist, kann ich nicht mehr sagen. Man tröstet mich damit, daß wenigstens
andre es sagen können, und noch dazu viel besser als ich, was eindeutig
wahr ist. Ich bin aber auch nur eine kleine Nebenerwerbs-Postbotin, die
noch nicht im Polizeidienst gelandet ist, wie viele von den neuerdings
freigestellten Postlern, so viele Postboten oder Botinnen brauchen wir
nicht, wir stellen Sie frei, Sie dumme Botin Sie, die Sie nicht einmal
wissen, was Sie überbringen sollen! Wenn Sie nicht wissen, was Sie überliefern
sollen, wer soll es dann wissen? Viele, und sie wissen es alle besser.
Und die vielen, die nicht viel haben und nicht viel sind, die wollen ja
auch wenigstens einen ordentlichen Nationalsozialismus (mit einer ordentlichen
Beschäftigungspolitik natürlich) und nicht einen so simplen Sozialismus,
den wir schon kennen und nicht mehr wollen, weil er so farblos und trostlos
ist und überhaupt, die Sozis, das sind die, die immer so viele Fehler
machen!, nein, wir wollen mehr. Warum sollen wir das Normale nehmen, wenn
wir eine Portion extra kriegen könnten, einen nationalen Sozialismus,
aber einen ganz ohne Antlitz, nein, menschlich ist das nicht, das fehlende
Antlitz, aber genau sehen tun wir das nicht, denn er wendet, wie der Engel
der Geschichte, sich zurück, nach hinten, schamhaft, weil dieses Gesicht
noch so farblos ist, so konturlos, wir sehen ihn nicht genau, aber eins
wissen wir immerhin: Wir wollen ihn, bei uns ist er willkommen. Er wird
uns sein Gesicht schon noch zeigen! Und irgendwann wird er nicht mehr
rückwärtsgewandt sein, sondern er wird ein ganz neues Gewand tragen, und
er wird mit uns nach vorn gehen, kämpferisch, wie es sein soll und wie
wir ihn auch haben wollen. Die Boten und Botinnen werden ordentlich gehaut
werden wie die Bären, und irgendwann sind sie dann geschlagen, wie ich,
wie es auch Hanno Loewy von sich sagt, der verloren hat, was er ebenfalls
sagt. Mit ihm ist wieder mal ein Exiljude, ob er nun einer ist oder nicht
(er ist nicht), mundtot gemacht worden. Schweigen ist eine elegantere
Haltung als Kämpfen, kein Zweifel, beim Kämpfen verrutscht einem das Gewand,
und man hört unschöne Töne. Wunden klaffen auf. Die mögen Jesus im christlichen
Abendland gut stehen, andren aber weniger. Und ich bin sehr für Eleganz.
Ich stelle botenmäßig zu, was ich nicht sagen kann, ich weiß nicht einmal,
was ich da liefere, das ist auch richtig so, schließlich haben wir das
Briefgeheimnis, der Bote muß nicht kennen, was er da abliefert. Er soll
keinem nachstellen, er soll nicht rachsüchtig sein, der Bote, er soll
einfach nur zustellen, was da ist und ihm aufgetragen wurde. Der Tisch
ist gedeckt, es wird aufgetragen, es ist erreicht, daß wir etwas haben,
das wir fressen können. Was ist die Bestimmung dessen, was ich da zustellen
soll?, das geht mich nichts an, das Briefgeheimnis bestimmt, wen es was
angeht, und es ist unbotmäßig, es sich auch nur vorzustellen, denn es
ist unvorstellbar, aber nicht unzustellbar: zurück an Absender!, der nimmt
das aber nicht zurück. Und nein: Nachstellen darf ich auch niemandem,
das wäre vielleicht schon Kampf. Das wäre, meine Vorstellungskraft aus
dem, was war und was ich weiß, was nicht mehr ist und schon wieder (und
wenn ich sage: was wieder sein könnte, dann ist das schon Kampf, Schwarzmalerei,
Hysterie, lächerliches Schattenboxen, das in meiner Lebenssituation, als
alte Frau vorm Fernseher oder unterm Tisch, nur übertrieben wäre, wie
Franz Schuh richtigerweise sagt), das wäre also, meine Vorstellungskraft,
die genährt wird aus dem, was ich weiß, was aber vorüber ist, aufzugeben,
auszuschalten, abzudrehen, noch bevor mich selber jemand abdreht (was
aber längst geschehen ist), immerhin, soviel Autonomie, meinen eigenen
Lichtschalter zu betätigen, nehme ich mir noch. Gegen das, was jetzt ist,
kann meine Vorstellungskraft, erprobt an vielen Theatervorstellungen,
nichts mehr ausrichten. Das wollte ich Ihnen noch ausrichten.
23.9.2009
Plakate: FPÖ (1,2,3), Vorarlberger Neonazi-Seite (4)
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