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        vom Raum eine Spalte abschneidenZu den Video-Installationen
        Valie ExportsVieles
        wird gesagt, manches nicht, aber auch wenn nicht davon gesprochen wird,
        ist es doch da, sozusagen als unterirdisch fließender Strom, der
        ganz andere Dinge mit sich führt als alles auf der Oberfläche.
        So ähnlich ist es mit der Arbeit von Frauen. Es gibt sie, aber man
        soll sie nicht sehen, sie findet sozusagen unterirdisch statt. Sie ist
        auch schon das Obszöne schlechthin genannt worden, weil sie gerade
        dadurch wirkt, daß sie verborgen ist und daher auch verborgen werden
        muß, denn sie taucht nirgendwo auf. Und Freud sagt, die einzigen
        Kulturtechniken, die Frauen erfunden haben, seien das Flechten und Weben,
        eben herrührend vom Verborgenen ihrer Geschlechtsorgane, die nicht
        repräsentationsfähig sind, im Gegensatz zum Phallischen, das
        man heutzutage einfach überall sieht.
 Heute haben wir es mit der Arbeit einer Künstlerin zu tun, die etwas
        darstellt und, zufälligerweise, auch in der Öffentlichkeit inzwischen
        "etwas darstellt", das ist nicht selbstverständlich. Es
        ist, was sie tut, zwar in der Öffentlichkeit immer vorhanden gewesen,
        manchmal sogar als Sensation oder Überschreitung oder Schock abqualifiziert,
        damit man es umso schneller wieder vergessen und zum nächsten Schock,
        vielleicht einem netten Brückeneinsturz oder einer Massenkarambolage,
        weitergehen konnte, aber eigentlich gehörte dieses Werk, wie überhaupt
        die Werke von Frauen, die nicht mit Schmutzentfernung, Pflege oder Reproduktion
        zu tun haben, in eine Art Untergrund, eben diesen klandestinen Strom,
        der sich, träge meist, unter der herkömmlichen Geschichtsschreibung
        dahinwälzt. Historiker wie Fernand Braudel haben sich mit dieser
        unterirdischen, langsameren Geschichte beschäftigt, der Geschichte
        der unbewußten Formen des Sozialen. Es existieren also neben der
        Welt der klassischen Geschichtsschreibung, auch: Kunstgeschichtsschreibung,
        zusätzlich noch die materiellen wie symbolischen Strukturen, die
        uns viel stärker beeinflussen als wir wahrhaben wollen. Die klassische
        Geschichtsschreibung hat sich den Raum genommen neben den Darstellungen
        der Dinge, und sie hat sich die Dinge und ihre Darstellungen dann auch
        noch genommen, aber das ist auf Kosten mancher anderer Darstellungen gegangen,
        sehr oft derer von Frauen. Diesem Halbbunkel, in dem sich das Werk von
        Frauen auf der Ebene des Symbolischen aufhält, bis es, selten, für
        eine kurze Zeit an die Oberfläche treten darf, bevor es wieder zu
        verschwinden hat, werden wir dennoch immer mehr Raum widmen müssen.
        Und so ist in diesem Land zwar sehr viel Kraft und Anstrengung darauf
        verwendet worden, Valie Export nicht allzu oft zu zeigen, ihr keine Professur
        zu geben (die hat sie seit langem im Ausland), sie vordergründig
        zu skandalisieren, aber sie ist mit diesem unterirdischen Fluß halt
        trotzdem weiter mitgeschwommen, und jetzt ist sie wieder einmal an die
        Oberfläche gekommen, nur um zu zeigen, daß sie je schon da
        war. Und was sie zeigt und gezeigt hat ist uns die ganze Zeit stärker
        bewußt gewesen als es uns gestattet worden ist von den offiziellen
        Stellen und als wir wahrhaben wollten.
 
 Dazu muß man hier einer Darstellung, verschiedenen Darstellungsformen,
        Raum geben, und zwar neben den vielen anderen Darstellungen, die uns vertraut
        sind, nur damit klar wird, wie sehr das von Valie Export Dargestellte
        immer schon mehr unsere Realität gewesen ist, als zugelassen worden
        ist. Und zwar nicht als ein bloßer Gegensatz zum offiziell Verlautbarten,
        sondern, gerade indem diese Kunst mit scheinbaren Oberflächenphänomenen
        arbeitet, als eine Auslotung der symbolischen Tiefenstrukturen und der
        unbewußten Formen unserer Sozialisation, und dabei diese gleichzeitig
        verändernd wie auf Veränderungen von ihr auch wieder reagierend.
        Manchmal kann es sogar zu Übereinstimmungen zwischen dem Dargestellten
        und der Wirklichkeit kommen, das ist dann eine symbolische Revolution:
        Wenn man nicht länger unterdrücken kann, daß das, was
        eine Frau in ihrer symbolischen Produktion sagt, auch noch wahr ist, wenn
        also dieser unterirdische Fluß wie ein Geysir an die Oberfläche
        schießt und sich dort seinen Raum schafft und einen (beweglichen)
        Gegenstand dazu. Indem dieses Klandestine maßgeblich wird, weil
        es das Eigenste hervorbringt, das auf einmal etwas gilt, weil es nicht
        länger mehr unten bleiben kann. Damit aber diesem unterirdischen
        Fließen Raum gegeben werden kann, muß ihm hier an der Oberfläche
        also eine Art Hülle zur Verfügung gestellt werden, damit das
        Fließende nicht naß wird. Hier haben wir es schon, das Museum.
        Eigentlich hätte es, nach dem Willen der Künstlerin, für
        diese Ausstellung aufgebrochen, zerfetzt, zertrümmert werden sollen.
        Aber da man nicht einmal Nägel in den Fuß boden einschlagen
        darf (vielleicht weil irgendjemand inzwischen ahnt, daß man sogar
        dabei ins Bodenlose abstürzen könnte, wo eben dieser Strom fließt,
        in den man hineinfallen könnte), hat die Künstlerin eine Art
        riesigen Nagel sozusagen quer in den Raum hineingestoßen, um diesen
        Raum an anderer Stelle zu öffnen. Vielleicht um zu zeigen, wieviel
        Kraft im Kampf mit einer Kultur, die das Weibliche nicht zulassen will,
        schon abgeflossen ist und den Fluß hat noch mehr anschwellen lassen.
        Die offizielle Politik ist keineswegs indifferent gegenüber den Fragen
        der symbolischen Ordnung, denn die Politik ist nicht neutral, sie weiß
        genau, wo ihre Interessen liegen und wo die Verstöße dagegen,
        die sozusagen ans Eingemachte gehen. So darf also auch manches Gemachte
        nicht gezeigt werden, wenn es von einer der Machtlosen, der Frauen, gemacht
        ist.
 
 Ich denke also, daß im Fall der Kunst Valie Exports sehr schön
        nachzuweisen ist, wie jemand, der im ständigen Widerspruch zum offiziellen
        Vermittlungssystem gearbeitet hat, also einer Gegenwärtigkeit, die
        sich selbst sagt und auch die Macht dazu hat, diesem oberirdischen System
        des Herkömmlichen die eigene Erfahrung aufzwingt, die eine ganz andere
        Sprache spricht. Und so muß jetzt plötzlich doch zugelassen
        werden, daß gezeigt wird, wie eine Frau etwas ausspricht, das unserer
        kollektiven Erfahrung besser entspricht als das meiste, das wir sonst
        zu hören bekommen. Hier werden Werke gezeigt, und plötzlich
        merken wir, daß sie etwas sagen, das wir schon lange gewußt
        haben. Allerdings nicht in dem Sinn, in dem wir manchmal sagen: Das habe
        ich immer schon gewußt, ich hatte nur nicht die Fähigkeit es
        auszudrücken! Da Frauen nur selten die Macht gehabt haben, die Produktion
        anderer Frauen ins offizielle Zeichensystem einzutragen, das heißt:
        da also Kritik immer nur Inhalte, die Oberfläche der Werke, betraf,
        nicht aber das System der Vermittlung, die Sprache der Kunstwerke wie
        die der Kritik selbst, ist das eigentlich Revolutionäre an Valie
        Exports Kunst, daß sie nicht nur Werke für Betrachter schafft,
        sondern daß sie, indem sie hier Werke ausstellt, das ganze Zeichen-
        und Vermittlungssystem aus seiner Verankerung reißt, auch wenn sie
        den Raum nur seitlich sozusagen ein wenig anbohren durfte. Doch dort,
        an der Stelle der Fenster, ist etwas hereingekommen, das sich wahrscheinlich
        nicht mehr zurückdrängen lassen wird. In den Videoinstallationen
        wird niemals vorgegaukelt, es gäbe etwas wie eine Ganzheit, ein Werk,
        das man einfach nur anschauen kann. Das Werk ist zwar da, aber es ist
        gleichzeitig zerstückelt, fragmentiert, es oszilliert zwischen dem
        Betrachter und dem Betrachteten, ja beide werden sogar ausgetauscht wie
        in der Installation "Zeit Sprung - Raum Lücken", in der
        der Betrachter selbst der Gegenstand ist, aber so, daß er sich nie
        selber anschauen kann, denn wie immer er auch versucht, sich zu sehen,
        es kann ihm nicht gelingen, weil er immer schon ganz wo anders zu sein
        scheint als dort wo er die ganze Realzeit über ist, beim Betrachten
        des Kunstwerks. Es durchdringen einander Räume in einem vorgegebenen
        Kunstraum, und es dringen sogar Räume in diesen Raum ein, die ganz
        wo anders sind, wie "Zeitlücke, Raumspalten" Autos, die
        auf dem Gürtel von zwei Videokameras beobachtet werden und hier ein-
        und ausfahren, oder die Installation, die der Ausstellung ihren Namen
        gegeben hat, "split reality", ein Fernsehgerät, vor dem
        eine Schallplatte abgespielt wird, deren Ton abgedreht ist, während
        die Künstlerin, die im TV-Gerät zu sehen ist, den Ton über
        Kopfhörer hört und die unhörbare Platte mitsingt.
 
 
   
 
        SPLIT REALITY, Video Poem, Valie Export 1970/73 Sind in den üblichen plastischen Werken Raum und Kunstwerk zwei Ebenen,
        die einander schneiden, in dem Sinn, daß der Raum das Werk sozusagen
        einläßt, das Werk aber sofort wieder einen neuen Raum öffnet,
        zum Dank dafür, daß ihm ein Bleiberecht im Museum gewährt
        ist, während rund ums Werk herum eine Art Achtungsabstand, auch:
        Respektabstand gewahrt wird, damit das Werk sein Verweilendürfen
        sozusagen in jeder Sekunde behauptet und damit jedem anderen Gegenstand,
        jeder anderen Person seinen Platz, sein Wohnen entschlossen zuweist, also
        jeden und jedes "an seinen Platz verweist" und die Räume
        so gegeneinander abgrenzt, das Innen gegen das Außen, den Betrachter
        gegen das Betrachtete, so besteht die Subversion in Valie Exports Werk
        gerade darin, daß das Innen ins Außen fällt, man könnte
        sagen: mit der Tür ins Haus, und umgekehrt, daß das Ganze immer
        aus dem Fragmentierten entsteht, das stets Gefahr läuft, sich in
        die Umgebung hinein vollkommen aufzulösen oder, umgekehrt, aus der
        Auflösung ins Konkrete hinein zu materialisieren. Das Innen umwindet
        das Außen anstatt umgekehrt. Und das Außen wird eingeladen
        einzudringen, vielleicht aus der Erfahrung heraus, daß der weibliche
        Körper nie beides haben darf: den Körper und den Kopf. Hat das
        Weibliche endlich den Körper, den es sich wünscht und der ihm
        von Film, Bild und Fernsehen vorgeschrieben ist, dann wird ihm der Kopf
        abgeschlagen, hat es den Kopf, dann ist sein Körper an die Öffentlichkeit
        verfallen, er steht jederzeit zur Disposition wie der Kopf der Prinzessin
        von Lamballe auf der Lanze der französischen Revolutionäre.
 
 Hier, dieser an einer unüblichen Stelle geöffnete Ort (ein fast
        religiöser Akt, so wie die Soldaten die Seite Christi am Kreuz, zufällig
        auch mit einer Lanze, geöffnet haben) versammelt die Kunstwerke nicht
        in sich, um sie schützend zu bergen und gleichzeitig den Blicken
        freizugeben. Dieser Raum ist dazu da, die Kunstwerke in ihrer Ungeborgenheit
        vor uns sozusagen hinzuspucken und, da sie nicht "sein dürfen",
        da es schon eine Überschreitung ist, daß es sie überhaupt
        gibt - und es gibt sie ja nur in ihrer eigenen Zerstückelung und
        in der Aufhebung von Betrachter und Betrachtetem - entzieht er paradoxerweise
        diese Werke unseren Blicken, gerade indem er sie zeigt, denn diese Werke
        gehen nicht auf in dem Sinn, daß sie sich "nie ausgehen",
        weil sie ja nicht auf sich beruhen dürfen. Das Volumen dieser plastischen
        Werke ist Licht, Flüssigkeit, Projektion, alles Dinge, die man "nicht
        angreifen kann" und die daher: die Werke erst recht angreifbar machen.
        Dort, wo diese Arbeiten, selbstgewiß, auf sich beruhen könnten,
        werden sie von der Künstlerin, die keine Ruhe geben will, sofort
        wieder auseinandergerissen, es sind ja "nur" Bildschirme mit
        nichts dahinter, Flüssigkeiten mit etwas Licht drin, Streifen in
        der Ebene, die erst, unter den unbewegten Augen von Kameras, plastisch
        werden, "der Körper der Umwelt und die Umwelt des Körpers
        verschmelzen zu einem totalen Bild", nur durch die Bewegung der Kamera
        und die Übertragung auf Monitore entstehen neue Bilder, und aus diesen
        Bildern entsteht wieder die Großraumplastik, ohne daß die
        Künstlerin je in Gefahr geriete, eine echte Großraumplastikerin
        zu werden. Denn die Bindungen der Menschen an den Raum, wo sie sich wohlfühlen
        oder nicht, sind hier in jedem Fall nicht mehr sicher, wie nichts mehr
        sicher ist, weil die Raumbeziehung zwischen Subjekt, Objekt und Umgebung
        eben dauernd schwankt, weil eins das andre bedingt, und alles zusammen
        aus: nichts besteht, ein paar Streifen, die sich gegen den Betrachter
        erheben und etwas ergeben, das nicht materiell zu definieren ist. Das
        ist eine Art von Subversion, die metaphorisch die Weiblichkeit selbst
        unterläuft, weil hier nichts zu niemandem gehört, (und die Frauen
        existieren ja nicht allein, sie brauchen jemand, der zu ihnen gehört,
        bzw. was wirklich dahintersteckt ist: jeder will, daß eine Frau
        ihm allein gehört) aber damit auch wirklich nichts zu niemandem gehört,
        im Gegensatz zu dem, was sich gehören würde, darf hier keins
        vom andren Besitz ergreifen, der Raum nicht vom Werk, das Werk nicht vom
        Raum, der Raum nicht von der Gegend. Das ist die größte Bedrohung:
        daß die Frau zu keinem mehr gehören möchte und trotzdem
        etwas schafft, das kein Gegenstand zum Anfassen ist, sondern viel mehr.
        Und dann wird man sehen, daß das immer schon da war, wie Leben und
        Tod. "Das gibts ja nicht!", sagt man oft von etwas, das es eigentlich
        nicht geben darf. Aber manchmal gibt es etwas, das nicht möglich
        ist, und es schafft sich Raum, auch wenn ursprünglich niemand einen
        hergeben wollte. Bis einmal bei sowas kein Platzverweis mehr erfolgen
        wird können.
 
 
 
       Sich
        vom Raum eine Spalte abschneiden © 1997 Elfriede Jelinek
 
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