Unglaublich, aber unwahr.

Herrschaft ist der Menge enthoben, manchmal tritt sie als "die Herrschaften", also ihre eigene Parodie auf, aber ihr Wesen wandelt sich. Bis sie aus dem Schatten derer, die man nicht sieht, wieder hervorkommt und ganz neu ausschaut, aber nicht neu ist, als Maß für alles, wieder parodiert in den "Maßgeblichen". Aber Parodie kann man das auch wieder nicht nennen, denn sie geben ja wirklich das Maß vor, nur sind sie es nicht, und das Maß ist auch immer das falsche. Was sich für maßgeblich hält, ist es nicht, was maßgeblich ist, das kennt kein Maß und kann es auch nicht sein. Es gibt sehr viel, es ist sehr viel vorhanden, aber nur wenige maßgebliche Meßbecher für Reichtum, der da ist, aber gleichzeitig fort, denn man sieht ihn nur selten. Aus dem Meßbecher wird die Unterscheidung geschöpft zwischen der nachgemachten Vuitton-Tasche, dem nachgeschneiderten Jil Sander-Jäckchen (und das Nachgemachte ist meist nicht simpler, schlichter als das Original, sondern im Gegenteil, es wird noch zusätzlich geschmückt, um der Armen, die sich das Echte nicht leisten kann, noch mehr aufzubürden, was dann aber auch bitte wenigstens nach Mehr ausschauen soll!), oder den Billigpumps, deren Sohlen man mit im Baumarkt gekaufter roter Farbe (das Zeichen Rot muß inzwischen für alles herhalten, weil es für nichts mehr steht, sondern weil man drauf steht) zu garantiert falschen Louboutin-Schuhen veredelt, und Veredelung ist das natürlich keine, sie ist nur eine für die Augen, die den Code nicht kennen, den Schlüssel nicht haben, mit dem man reinkommt. Und dieser Schlüssel ist fälschungssicher. Das, was wir als Macht (Staatsmacht, welche auch immer) kennen, ist nichts, denn es wird über die Macht geherrscht. Daher wirkt Macht, so wie sie daherkommt, oft armselig, weil sie es eben nicht ist, sie ist gefälscht wie die am Strand gekaufte Billig-Rolex oder, ein paar Touren heruntergeschraubt (obwohl man es nur daran sieht, daß es draufsteht, die echte Firma übernimmt die Verantwortung), das Volksporsche-Cabrio. Was sich ereignet, sehen wir nicht, und was wir sehen, ist kein Ereignis. Oder nur eins für uns, eines, das andere uns vorgeben; doch das sind nur diejenigen, die den Takt vorgeben, etwas veranstalten, bloß die dazugehörige Anstalt, in der man dazugehört, die sieht man nicht. Die Musik spielt immer woanders, auch wenn sie hier ununterbrochen alles beschallt, sogar die Lifte im Kaufhaus. Was aus der Geschichte als Wahrheit herausdestilliert wird, ist nicht wahr, weil nichts wahr ist, wenn nur wenige die Wahrheit kennen, und man kennt sie nicht, und zwar nicht deshalb nicht, weil die etwas wissen, das wir nicht wissen können, sondern weil sie sie gemacht haben. Den Reichtum, welcher, strahlend von Sonne übergossen, auf irgendwelchen Bergspitzen zu ruhen scheint, bis wir im Alter dort die Lawinen hoher Pensionen erlösen (auslösen?) dürfen, den werden wir später genießen dürfen, später, irgendwann, denn der Genuß-Schein hat es für die meisten an sich, daß er immer erst später eingelöst werden kann. Später als man je zu spät kommen kann. Man nennt das dann Sozialvermögen, doch das Soziale vermag nichts, es vermag nichts für uns zu tun, es mag einfach nicht!, während andre jetzt schon genießen, solche, die überhaupt nichts tun müssen, denn ihr Vermögen vermag alles allein. Es arbeitet für sie. Einer muß es ja tun. Geld muß arbeiten, der Mensch auch. Sollen wir etwas glauben, sollen wir auf etwas hoffen können, obwohl es nie eintreten wird, so wie wir glauben sollen, daß Karl Lagerfeld dieses schamblasse Jäckchen mit den Fransen selber entworfen hat? Es ist unglaublich, aber unwahr.

Es ist alles eins, man erkennt nichts, die Machenschaften der Herrschenden sind nicht einmal Macht, denn es ist ihnen egal, ob sie diese Macht überhaupt haben, Hauptsache, sie haben sie. Und nur deswegen haben sie sie auch. Eine Tautologie, vielleicht die einzige überhaupt. Der Herr hat nicht, er herrscht vielmehr über die Macht, die er uns hinschmeißt wie Talmi in den kleinen Läden, meist in U-Bahn-Stationen, wo Schülerinnen und Azubis sich etwas Glitzerndes anstecken können. Der Herr hat nicht die Macht, er ist über ihr, weil er sie nicht nötig hat und nicht braucht. Es ist nicht einmal Diktatur, nicht einmal Meinungsdiktatur, es geht auch nicht um das Diktat der Mode, die etwas nachschreibt, das sie selbst nicht versteht (sie kennt es ja meist nur aus zweiter Hand) und uns fast immer nur als Imitation zur Verfügung steht, die ihr eigenes Original eben nicht kennt. So wie der Mensch, der in einer Illustrierten oder im Netz als Original beschrieben wird, keiner ist, denn ein Original braucht man nicht zu beschreiben, man wird ihm ja eh nie begegnen, nicht einmal, wenn es volksnah auftritt. Das Mißempfinden derer im Abseits, derer, die immer zu spät kommen, weil sie gar nicht kommen müssen, nichts und niemand wartet ja auf sie, nein, auch kein Job, die Eitelkeit derer, die gar nicht wissen, daß es ein Dreck ist, worauf sie so stolz sind, der Lärm der um jeden Preis (den sie auch nicht kennen) Dazugehörigen, gefälschte Kleidung, gefälschte Accessoires, gefälschte Menschen, die alle etwas imitieren, das sie nie kennengelernt haben, das sie nie gesehen haben, das ihnen für immer entzogen ist, das alles ist ein einziger Engelssturz Unschuldiger, die nicht wissen, warum sie gestürzt werden, bevor sie auferstehen, oder auch nur aufstehen durften (diejenigen, die einst Aufstände gemacht haben, sind jetzt fast alle tot), die keine Ahnung haben, was sie erwartet, weil sie von niemandem erwartet werden und aus dem Nichts kommen und nichts tun als fallen. Wie soll man da stürzen, aus dem Nichts ins Unbekannte, es hält einen ja auch nichts?, während die Jachten auslaufen (wie sagte Heidi Horten, die Kaufhausmilliardärs-Witwe, so schön, als sie die Mühen des Auslaufens ihrer Jacht beschrieben hatte, die Mühen der Ebene also, denn das Wasser ist immer eben, ich meine waagrecht, auch wenn es noch so große Wellen macht, und dazu ein kurzer Seitenblick auf das, was die Sonne sonst ab-, nicht aufblendet, man soll es ja nicht sehen, sie sprach: Ich muß vorher hier das Fleisch einkaufen. Ich kann doch in Griechenland kein Fleisch kaufen!), während andre herumlaufen, während alles rennt, ja, während alles rennt, bleibe ich stehen und habe Lust, mich hinzusetzen, auf einen Treppenabsatz. Der hat genausoviel Platz wie ich brauche. Ich brauche dafür keinen Absatz, der Absatz ist mir egal, vielleicht ist er abgebrochen?, ich brauche die Treppe, aber für niemanden, auch für mich nicht, ist die der Anfang von etwas, das vielleicht noch kommt, von etwas, über das man wohin kommt. Es ist immer schon vorbei. Bevor es aufwärts geht, wird man schon wieder hingeschmissen, geworfen, schon als erster Entwurf verworfen, an irgendwelche Machenschaften gefesselt, und man darf seiner Freiheit (nicht nur der, zu wählen) die Schuhbänder binden. Falls man nicht einfach so hineinrutscht, was einfacher und bequemer ist. Bestenfalls.

 


Die 3. Reichtumskonferenz: Wer das Gold hat, macht die Regeln!

20.11.2013


Unglaublich, aber unwahr. © 2013 Elfriede Jelinek

 

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com