Wenn man mit dem 71er fährt

Aus "Die Kinder der Toten"

Wenn man mit dem 71er fährt, vom Zentral Friedhof seinen ixbeliebigen jahrtausendalten Glauben zurückrettend (wo es so viele Tote gibt, muß es Einen geben, der sie, von allen guten ewigen (brennen bis zu sieben Tagen!) Lichtern verlassen, erzeugt hat), kommt man vollkommen durchgerüttelt - und wer hat an Uropa Isidors und Uroma Bettys Grabstein gerüttelt, bis er umgefallen ist? Und warum hat ihn dieser neue Verein "Schalom" nicht wieder aufgestellt? Mir ist er zu schwer, ich bin ja selber der Käfer unter einem anderen, - irgendwann wieder beim Russendenkmal samt Hochstrahlbrunnenumrahmung an. Der Brunnen ist im Sommer bunt angestrahlt, damit man sich in der Top-Totenhöhle der Roten Armee auch auskennt. Damals ja damals, nicht war es gut, und doch sind wir mit unseren blauen Augen noch einmal davongekommen. Der Individualverkehr umschäumt das Denkmal wie ein Meer: Astra, Vectra, Wegda! Mit Opel-Gestirnen wird der Ostwind gegrüßt, der sich niemals mehr bis hierher trauen wird. Nie wieder Krieg! Da wallt die Weiße Frau, weiß deshalb, weil man nicht weiß, wer sie ist, möglicherweise ist sie die Mannequinschülerin Gudrun Bichler, sich rasch verflüchtigend wie Rauch, aus dem halbrunden Denkmalstopf hervor. Aber so ganz weiß ist sie auch wieder nicht. Sie trägt nämlich einen langen blauen Mantel und ein rosa Nylonschirmchen. Von fern das Gebell verwöhnter Hunde aus dem dritten und vierten Bezirk. Ein vielstimmiges Heulen von Tieren, die sich hier auskennen und ihre Nachbarn noch kennen, fegt durch die Straßenschluchten; seit es Tiere gibt, machen sie zur Unzeit Lärm, weil sie sich zum Liebesakt vereinigen oder miteinander raufen wollen. Nacht. Die Macht der Vorstellung vom Kino vis a vis läßt nach, die anwesende Menge, hauptsächlich Burschen in Lederjacken, in denen sie sich wild zu machen belieben, junge Elvis-Fans, denen vorn an den Haarklippen ein Leuchtturmlämpc hen aus Öl angesteckt wurde, der jetzt von all der Musik, die an ihn angebrandet ist, zum Schifferlversenken hellauf lodert (der junge Mensch ist höchst gefährdet, aber auch gefährlich für andre, weil er plötzlich zu singen und mit dem ganzen Körper zu gicksen anheben könnte!), nachdem ihnen Gold aus heißer Kehle serviert und gleich wieder weggenommen worden ist, strömt aus dem Kino. Die jungen Halbstarken, die sich eben noch nach der flachen, kalten Decke einer Leinwand gestreckt haben, zerstreuen sich rasch, fröstelnd die Kragen hebend: das Signal, daß sie aufgeben und sich dem Leben und den Ausblicken aus dem Bullenauge des Meisters unterwerfen werden. Die junge Mannequinstudentin hat sich, kaum daß die Vorstellung, sie sei der weibl. Star des Films, geendet hat, hastig durch die vollbesetzten Reihen gedrängt, das Schirmchen ist ihr dabei zuboden gefallen und von einem Gefälligen wieder aufgehoben und überreicht worden. Wieso hat sie es nur so eilig? Keiner sieht sie mehr und was mit ihr geschehen wird. Der Wirbel, den sie mit ihren spitzen Metallabsätzen gleich auf dem Pflaster trommeln wird, bleibt ungehört, wir schreiben eine andere Zeit, und was wir schreiben ist, kaum geschrieben, auch schon Vergangenheit. Das schöne junge Stück Fleisch! Fast zu schade ist es zum Wegwerfen, gesund und mit Voll-Milch aufgeheizt, prall und mit einem Gürtel eingeschnürt, damit es oben und unten umso prahlender herausschauen und beim Abbiegen sorgsam blinken kann, damit mans nicht aus den Augen verliert. Die anderen sollen alle stehenbleiben. In den Mannequinschulen tragen die Mädeln immer diese spitzen glatten Pumps, das ist Bekleidungsvorschrift, und dazu ein Trumm Buch auf dem Kopf, das zu groß gewesen ist, als daß es in den Kopf hineingegangen wäre. So hat man es den Mädeln beigebracht, wie sie groß werden können, wenn ihnen ein paar Zentimeter fehlen. Da&sz lig; die nur ja nicht wo anders auftauchen, wo sie nicht hingehören! Gudrun hat eine Frisur zum Zeigen, auftoupiert und blond, ein Gebirge türmt sich da auf über einem Verteilerkopf aus Gummiband, der das Haar am Hinterkopf zusammenhält. Jede Menge Spangerln geben Halt und Hoffnung, daß es dort auch bleibt, das Haar, und, wie wunderschön! Das Gesicht bedrängt das Haar von unten, die Brauen mit schwarzem Stift hinaufgehoben, ja, was sagen die Herren? Daß das Denken bei der Frau bis an die Grenze des Haaransatzes geht, den mit Ponyfransen zu verschleiern manchmal angestrebt wird. Ich habe diesen Ausspruch schon oft selbst gehört. ER, jener Herr, der das gesagt hat, hebt mit leichter Hand den Haarvorhang an der Stirn und streicht drüber, wer erfaßt schon das Licht? Das Leben? Die Grenze zwischen beiden, vor ein paar Jahren war sie noch aus Eisen, aber ebenfalls bloß ein Vorhang, der inzwischen als Bettvorleger vor unserer ewigen Ruhestätte gelandet ist. Die Grenze zu den Leiden und zur Leidenschaft: Wir müssen leider draußenbleiben. Wir werden sogar angeleint und harren der grauen Norm, die bald wieder als blutige Fleischtrümmer auf unsre Teller fallen könnte. Erst bei der biochemischen Differenzierung können wir es als Campylobakter-negativ erkennen, dann aber wird es mit Sicherheit irgendwie anders kaputt sein.

aus "Gassner, Gufler & Co, Kriminalfälle der Zweiten Republik" von Wolfgang Kudrnofsky

Zurückblicken aus der Ferne und nicht mehr abschweifen: ein heller Lichtfleck der Kinoeingang, durch den noch immer die Vergnügenshungrigen strömen. Was aber macht Gott mit diesem fliehenden Kinn, mit dieser zu kurzen Oberlippe, welche die zu großen und etwas schief gewachsenen Schneidezähne freilegt? Hat er dies alles so gemacht, damit dieses Mädchen vielleicht später einmal der Mund eines Burschen besser beackern kann? Da muß ER sich noch etwas einfallen lassen. Lieber vorher ein paar Hefte mit Schönheitstips studieren, bevor man den Bausatz anfordert! Vielleicht zögert ER, noch ein zweites Mal herunterzusteigen und sendet an seiner statt eine Kosmetikberaterin aus dem Lande, ich meine dem Laden Avon. Die zieht dann den Schleier vor dem seifigen Totengesicht weg, die Decke, die über dies kalte Angesicht gelegt worden ist, und dann, als die Visagistin die Tote in ihrer ganzen Furchtbarkeit gesehen hat, beschließt sie, das nächste Mal das ganze Gesicht von Anfang an selber zu machen. Ein neues Makeup macht auch aus Ihnen einen neuen Menschen, nur die Kraft der Vergänglichkeit kann ihn wieder zerstören. Wenn dies aber eine Frau auch vergißt, Gott wird euch nicht vergessen: Mein Kind bist du, Israel, fürchte dich nicht! Durch Massage und Mitesserdrücken wird aus unkörperlicher Leidenschaft wieder ein Körper geschaffen, und wenn wir ihn uns aus unseren bloßen Händen herausgraben müßten. Aber ach, diese junge Frau wird niemals mehr Mannequin werden können. Engel rudern bereits, docken an, fragen nach einem für sie hinterlegten Paket. Von Belanglosigkeiten förmlich aufgeladen, das Singen von Elvis noch im Ohr, heiße Rhythmen der Band wie ein geflecktes Band, eine Boa Constructor um den Hals gewunden (das Tier schaut zischend zu den Ohren heraus, und Musik bewirkt auch, daß die Gesichter so prall aussehen, weil sie davon von innen her ausgestopft sind, und Tiere kribbeln ihnen im Schritt, der alles Lebendige zertritt), so klappern die Pumps über das Pflaster. Bald wird der Boden erschöpft sein, unter dem die Toten unerhörte Warnungen brüllen, hebt euch, ewige Tore, schließlich sind wir beinahe Nachbarn! Aber die Türen bleiben zu. Die Reise dauert ja noch ein paar Stationen.

Krieg entsteht im Körper. Das junge weiße Fleisch wird entkorkt, der Verschluß fliegt aus der Flasche, das Enthüllte taucht aus Bluse und Plisseerock empor, der Mensch ist nichts als eine Erscheinungsform von Wasser, den Rest kann man vergessen; doch man hängt irgendwie an seiner Erscheinung, mit der man sich abgeplagt hat, manchmal schwimmen auf dem Wasser schillernde Ölschlieren, Lidschattenpuder, Lippenstift, die dem Ganzen einen Anschein von Aussehen verliehen haben, das aber beim Tod, an der Kasse, die einem Eintritt in die Stars und das Lernen an ihnen gewährt hat, wieder zurückgegeben werden muß. Manche haben sogar eine Nummer in den Oberarm tätowiert bekommen, damit die Garderobe nicht vertauscht wird, wenns ans Eigentliche geht, die Aufenthaltsbewilligung für die profundi, die Verschiedenen, die wir unter den Sohlen der profunden Heimischen einst förmlich herausbaggern mußten; das ganze ist eine bürokratische Wüste, in der man sich auskennen muß, wenn der Körper-Tiefgabelstapler mit dem Lieferschein für den höchsten Anspruch daherkommt. Dieses Mädel, diese Schülerin, die heute zum letzten Mal ihren Mannequinkurs geschwänzt haben wird, hat sich auch noch filigrane Ringerln aus vergoldetem Blech an ihre Ohren gehängt, die von ihrem unvollkommenen Mund ablenken sollen, aber die Ohren werden es noch zu bedauern haben. Dieses Töchterl des Ministerialrats im Handelsministerium kennt sich aus: durch Flüchtigkeit Beständigkeit zu erlangen, und wäre es nur auf einem Hochglanzfoto, das ist der Beruf, den die Tochter anstrebt, Gott soll sie an ihrem Gewand erkennen, wenn sie kommt. Sie will nicht, daß man von ihr sagt: ihre Stimme haben wir gehört, ihre Erscheinung aber haben wir nicht gesehen. Den zweiten Ohrring wird man morgen auf dem Naschmarkt finden, noch ein paar Kreuzwegstationen mit der Tramway, man stelle sich vor, wie der Ohrring so ganz allein dorthin gekommen ist. Ich stelle mir vor, der Mörder, den keine liebet, hat ihn weggeschmissen. Die erkaltete nackte junge Frau liegt in ihrem flachen Erdgrab, ein richtiges Tiefgrab hätte zuviel Mühe gemacht, ach Gudrun. Man hätte doch wirklich eins von den tausenden Gräbern nehmen können, die es bei uns schon gibt. Was macht dieses Volk ein derartiges Höheres Wesen aus einer einzelnen Toten, nur weil es meint, ausgerechnet diesen einen Tod nach all den unzähligen nicht mehr aushalten zu können? Ein attraktives junges Mädel, das ist zuviel des Toten. Das muß ganz einfach in die Zeitung, in den Lokalteil und auf die Titelseiten, wochenlang, es muß einmal Ordnung gemacht werden in dem gigantischen Zirkus der Verblichenen, ein jeder springt Ihnen nicht durch den Reifen und schlägt sich dann den Schädel an dem Sonnenrad ein, nur weil Sie das so wollen! Deshalb haben wir ja Gudrun Bichler ausgewählt, damit sie jetzt, den spitzigen rosa Schirm ängstlich unter den Ärmel geklemmt, das Täschchen zur unbrauchbaren Waffe geschmiedet und gehoben, aus dem letzten Licht des Kinos in die Dunkelheit eilen und dem Wolf ins Maul schauen kann. Der Trick funktioniert nicht, der Wolf ist ziemlich ungeschickt, aber er kann diese Einfrauen-Liga trotzdem aufmischen. Der Körper ist ein Grab, viele von uns sind getünchte Gräber, Auslegware des Seins, dessen Sinn auslegen mag wer will. Ich möchte einfach nur demonstrieren, wie sehr hierzulande die Toten geschätzt würden, hätte man sie nur erst wieder zurück. Dann würden wir sie so lang schätzen, bis sie uns wieder reinhupfen in die Erd. In unbeweglicher Bewegung. Wie gut, daß wir sie rechtzeitig fortgebracht haben, in ein fernes Land im Osten, wo sie keiner je kennenlernen wird, da die Leute dort lieber in ihren warmen Stuben sitzenbleiben . Angesichts der jungen Toten Gudrun, deren Dasein gepflückt worden ist, wird man monatelang über nichts andres mehr gesprochen haben. Als gäbe es keine Millionen Toten, die viel interessantere Dinge erzählen könnten: das Höchste, was geht, liegt im Bereich des Sinnlichen, ein Köder, nach dem auch dieser junge Mörder jeden Tag aufs neue gehupft ist. Und heut hängt der Christbaumschmuck plötzlich niedrig genug, daß er sieht: der Körper ist kein unaussprechliches Geheimnis, was da glitzert ist nichts wert; der Körper spricht heute einmal mit dem Gesicht von Linda Evangelista (eine berühmte Schönheit unsrer Zeit, die damals noch nicht geboren war), ja, ich kenne mich aus, auch auf mein Gesicht wird oft feuchter Gatsch geworfen, der sofort erstarrt: so, jetzt kann ich in Ruhe Eindruck schinden, nach einer schönen Fremden Bild. Sie, meine lieben MitbürgerInnen, müssen sich was anderes zum Schinden suchen. Nun sind die Gaben verliehen, aber nicht gleichmäßig. Neue Körperköder werden auch heute wieder in eine Wursthaut aus Acryl gesteckt, oder wie heißt diese Elaste, aus der seit Jahren die neuesten Hosen gemacht werden, oh sprich, was hältst du von dieser Erfindung?, so künstl. Moleküle, die das menschl. Bein beinahe vollkommen umgeben und selbst genau wie Bein ausschauen? Egal, diese zweite Haut ist aus Kunstfaser, und dort hinein wird die heiße Wurstmasse, blutig noch, gestopft und an die Decke gehängt. Manche sind groß genug, andre wieder können keine großen Sprünge machen und müssen ins Kino gehn, um andre Menschen solche Sachen erleben zu sehn.

aus "Gassner, Gufler & Co, Kriminalfälle der Zweiten Republik" von Wolfgang Kudrnofsky

Dunkel ragen die Säulen empor, die das Denkmal von hinten umarmen, um das Gedenken an all die sowjetischen Toten endlich zu Fall zu bringen. Unsere Bevölkerung fühlt sich nämlich eingeschnürt von dieser Niederlage, an die das Mahnmal sie ständig erinnert. Lassen Sie sich einmal von hinten von einem Denkmal anspringen! Totenwächter erscheinen und werfen mit Händen voll verbrannter Erde. Dann halten sie noch mehr Hände fürs Trinkgeld auf, das sie aber an uns weitergeben müssen. Jetzt gibt es das Land gar nicht mehr, an das erinnert werden soll. Millionen Leichen, von der Geschichte einfach weggeworfen, eine Handvoll über die linke Schulter, abergläubisch, damit sie nicht wieder zurückkommen. Wie irrtümlich verschüttetes Salz. Zuviel Pfeffer haben diese Toten zu ihren Lebzeiten im Hintern gehabt, deswegen sind sie nicht zuhause geblieben. Andere wieder sind nach Polen gefahren mit ihren Pappkoffern. Und dort wurde ihnen von den Unsrigen tüchtig eingeheizt. Schauen Sie, dort rennt einer aus einem Waggon der Ersten Wagenklasse dem anfahrenden Zug nach, er hat sich am Bahnsteig was gekauft. Und dann, dann kamen ungefähr aus dieser Richtung immer noch mehr Leute, die man lieber nur vom Hörensagen gekannt hätte oder wenistens in Wechselbezügen zu uns (einmal waschen wir die Überzüge, nachdem wir die Umzüge für diese Menschen arrangiert haben, noch selber, dann wieder:) sie, DIE SIEGER, die waschen uns bald rein, damit wir ein paar Jahre später bereits ihr Gewand anziehen und selber Sieger werden können. Nur wir Unerschütterten bringen Großes zustande. Oder eher Kleines? Wir haben gewollt, daß eine Amsel auf diesem Zweig sitzt und singt. Also Kleines. Hinein in den Wesensgrund! Heraus aus dem Wiesengrund! Starr wie Böcke, die man von den Schafen wegreißen muß, hart wie Wurzeln, die Körper. Wie sie vom Boden gepflückt wurden, so kommen sie auch wieder hinein, bis sie im Kern faul werden und endlich wieder ein bißchen was tun wollen. Einer muß das Gemüt ja tragen, und die Deutschen tragen es am liebsten, die geben es nicht an den Nachbarn ab, wenn sie müde werden. Weltschmerz. Dieser Brunnen ist zur Nacht abgedreht worden, Wasser, das knurrend nach den Verstorbenen springt wie ein lebendes Geschöpf, mal etwas höher, dann wieder tiefer; die bunten Farben, mit denen man diesen Springbrunnen anstrahlt, sind naturgemäß auch von der Natur abgeschaut, und zwar von den strahlenden Gesichtern der Wienerinnen und Wiener. Als wollte das Wasser Organisches nachahmen, das von den Lebenden Abgeschaute und Abgehörte, auf Wiederhören. Diese zuckenden Peitschen, die sonst immer vor der halbgerundeten Säulenmauer herumspringen, sind jetzt abgestellt, denn es ist Nacht, unsre Ziele sind noch ungeprägt. Die Mannequinstudentin läßt sich in ihren scharf geschliffenen Pumps vernehmen, die einen kurzen Wortwechsel mit dem Pflaster haben. Junges Fleisch ist begehrt. Es wird gern in die Zeitungen getrieben und dort in Ruhe geöffnet und angeschaut. Ein dunkelblauer Mantelsaum spielt noch übermütig mit den Beinen. Rasche Schritte klappern, enden jäh, und dann wird das Fleisch aufgeklappt, wie frech das aussieht, wenn man bis dato immer nur Fotos davon gesehen hat! Mantel und Plisseerock hochgekippt, damit der Laster seine Ladenhüter hastig abladen kann. Wo Härte auf uns zukommt, müssen wir sie tragen. Der Mörder ist vom Glauben nicht abzuhalten, daß all dies Fleisch nur für ihn gestaltet wurde. Achtlos fällt er diese Figur, die beinahe aus Glas ist, so dünn, er kniet sich hin und stopft ihr seinen Unerschütterlichen in die Fut. Er denkt einfach nicht nach. Eine weiße Fleischpflanze blüht auf ihrem Weg durchs Denkmal empor, ein junger Mann (ca. Ende zwanzig) springt, fast absichtslos, gegen ihre Schüchternheit, die nicht länger standhält als ein Ständer mit Zeitungen, den dieser Mann mit seinem Wolfssprung umtritt, ja, er springt dieses Turbofleisch seitlich an, das von einer sorgsamen Familie, gefüttert und gestriegelt worden ist, zu Schönheit erzogen, für die es nie ganz langt, denn die Oberlippe erlangt, wie gesagt, die Unterlippe nicht recht, dieses Stück Bio, von dem man den Züchter persönlich kennt und dem man so liebevoll sorgsam das Flascherl vors milchschäumende Kalbsmaul gehalten hat, dieses Stück Wiener Scherzl verfällt im Verlauf eines einzigen Schrittes, der sich gerade noch ausgeht, bevor dies beinahe noch neue Leben als veralteter Artikel in die Wühlkiste mit den Schnäppchen für die kleineren Tiere wandert. Arme Gudrun Bichler, sie muß als Gemütlichkeitstüte für diesen Lümmel herhalten, was der ihr alles hineinstopft! Was er ihr immer wieder zugesagt hat, kann er jetzt sogar noch übertreffen. Sein stammelnder Schwanz, der sich ruckend, in Fortsetzungen entlädt, ist größer als ich gedacht hätte. Die mit Bedacht ausgewählten Kleider aus Blüschen und Faltenrock und auch der unmündige Mantel, der nichts zu sagen hat, sind dem Mädel vorher abgezogen worden wie eine Bananenschale. Ein weißer Fleischfetzen streckt sich auf dem Boden aus, er teilt sich, es wird vierfach gestrampelt und Gudrun B. in eine Brust gebissen, dreimal insgesamt, der Täter kämpft, um aus dieser Nacht herauszukommen und die zwölf Schilling fünfzig aus dem Plastikbörsel herauszuklauben. Die Frau muß ihr Großes hergeben und ihr Kleines dann auch noch, denn der Täter hat beide Öffnungen benutzt. Es darf ihm nichts verschlossen bleiben, auch wenn es nach ihm dann offen bleibt für jeden, weil er die Tür kaputtgemacht hat. Da kann ja jeder kommen, er aber geht dann wieder fort. Halt! Das Geschirr kann man abwaschen, man schmeißt es doch nicht einfach weg, nachdem man gegessen hat! Dann bändigen sie sich, die Stürme, ein Glied stellt sich unter, es schüttelt die Tropfen ab; unterm blonden Buschen zappeln, zucken und trommeln die Keulen, die auch gleich auf den Tisch kommen werden, jetzt legt der Mann sich je eine über die Schulter, links und rechts vom Kopf, bis sie, weiß überschwemmt, aber nicht wirklich gut gespült, auf den geduldigen Teller der Erde niedersinken. Nein, wie Gras ist Fleisch nicht, Gras wird zu duftendem Heu. Fleisch wird zu Abfall, in dem Fliegen es sich gutgehen (sich gehen) lassen, mehrerlei Sorten plus Garnierung, die aus der eigenen Nachkommenschaft gezogen wird. Das Fleisch hat außerdem auf folgendes zu achten: Schlachthygiene, Toxiinfektionen, Vorratsschädlinge, Nager, Insekten, Vögel, Wild, nicht zuletzt Heimtiere. Die spitzigen Schuhe trommeln mit den hinteren Enden dem Mann, der gleich wieder aufstehen wird, kräftig auf den Rücken, als wollten sie ihn loben für das, was er da mit seinem rüpelhaften Winker angerichtet hat. Den hat er jetzt in den Verkehr gebracht, weil er vom graden Weg abbiegen möchte. Wütend heben irgendwelche dahergelaufenen Hände das Oberteil mit den rosigen Knöpfen an, es wird an diesen Knöpfen geschraubt, etwas wird sich damit schon in Gang setzen lassen, nur Musik kommt nicht heraus, und ein Gebiß mit einem etwas vorstehenden Vorderzahn versenkt sich noch ein letztes Mal in Haut und Untergewebe, im hellen Fleisch, das eine prachtvolle Mutter lang als Gelegenheitskleidungsstück benutzt hat. So weich nahm das Fleisch auf, was die Mutter sagte, um es dann lächelnd, ungeprägt wegzulegen. (O je! Die Tochter hat heute schon wieder die Schule geschwänzt, die sie sich doch selber ausgesucht hat, um ins Kino zu gehen, in einen Musikfilm!). Kurzum: der Zahnabdruck wird morgen eindeutig einem weniger gepflegten Gebiß zuzuordnen sein, das von keiner Uferverbauung je reguliert wurde, deswegen konnte ja der Geifer so leicht herausspritzen.

Noch unentschuldbarer jedoch ist, daß gleichzeitig schlimme Finger um den Hals herumlaufen, überall herumschnüffeln, und sich dann in den Kehlkopf vergraben, dessen zarte und gleichzeitig mobile Geringfügigkeit die Behandlung durch den Würgengelsgriff nicht überdauern kann. Die Klammer legt sich um den Hals, Schauer laufen über die Haut, die Rippen und bis weit hinunter, wo hastiges, feuchtes Geflüster sich im lauschigen Körperohr verliert, wo die Ex- und Hoppspalte klafft und vom Täter auch erheblich zerbissen wird. Dann kommen die zwischen die Beckenknochen des Täters mitten hinein strampelnden Knie zur Ruh, ein Schuh ist durch die Wucht gar davongeflogen. So, ein Damenschuh hat sich also retten können, aber wenn die Toten aus den Gräbern aufspringen dürfen, wird er dann fehlen. Den nächsten Versuch, der das unaussprechliche Geheimnis, wie man das Himmelstor des eigenen Leibes öffnet, sich aber vom Sog nicht hinausreißen läßt, aber auch nicht wird lösen können, wird nächste Woche dann der Pfarrer starten. Aber da sind es nicht mehr der blech-, der bärenstarke Faltenrock und der duftige, geschlagene Obers des Nylonblüschens, die nach Achtung! schreien, da ist es schon die hölzerne Bescheidenheit einer besseren Holzkiste mit Griffen; solch schwankende Beständigkeit erlangen sie letztlich doch, die Toten, nur ist streckenweise ihr Weg recht mühsam, sie müssen durch den eigenen Schlamm waten. Manchmal wird ihnen allerdings ein steinernes Säulendenkmal errichtet, pro fünf Millionen Tote gibts dann schon eine eigene Säule! Manche Vorzugsschüler dürfen ganz allein sterben und wochenlang in der Zeitung stehen. Dann aber sind auch sie verschwunden, das geschlossene Fenster zum Boden möge sie behalten.

aus "Gassner, Gufler & Co, Kriminalfälle der Zweiten Republik" von Wolfgang Kudrnofsky

Die junge Tote wird also ihrer Kleidung entnommen, der Kleidermüll kriegt daneben sogar ein richtiges eigenes Grab. Ihr Körper wird gewohnheitsmäßig beschaut, denn solche Gewohnheiten lernt man in den Heimen, wo die schlimmen Kinder völlig nackt von den neuesten pädag./akadem.- Erkenntnissen getroffen werden wie das arme Sterntalermädchen, das seinerzeit ja auch, ob es wollte oder nicht, sein Schürzchen heben mußte. Es hilft nichts. Das Fleisch ist an solchen Orten eine seltene Speise und schmeckt daher ein Leben lang besonders gut. Der Täter macht eigens zwei flache Gruben, das Werkzeug hat er in seiner Aktentasche, sogar der Dietrich, mit dem er ins Haus des Lebens eingebrochen ist, ist ein gestohlener. Zuerst aber muß bei den Löchern der Toten nachgeforscht werden, wenn auch nicht lang genug, daß der Blick sich eingewöhnen und beruhigen könnte, wieviele Fleischzapfen, Angsttriebe, mit denen der Körper für die Zukunft des Todes vorzusorgen sucht, da herausgewachsen sind (ich glaube, das weibl. Geschlechtsorgan ist deshalb so kompliziert gebaut, weil die Natur in ihm alles was sie hat in die Schlacht geworfen hat, da dieses Geschlecht doch laufend dezimiert und vom Aussterben bedroht wird. Deswegen treibt es auch dermaßen viele kleine Zapfen an seinen Enden aus). Ein Licht geht herum, denn es will ebenfalls ausgehen. Verwöhntes weißes Fleisch: Auf den kalten Boden geworfen, verliert es rasch seinen rosigen Charakter, in dem die Mickymaus noch Herrscherin gewesen sind, allerdings dicht gefolgt von Elvis P. Der schaukelt sich so sinnlich zwischen den Hüften, von uns oft und vergeblich imitiert. Doch dieses bereits auf der Flucht befindliche Leben kann seinen Leib nicht mehr als Eßbesteck benutzen, um Elvis vielleicht einmal aus seinem Schneckenhaus zu holen und zu vernaschen. Ja, ich meine diesen Leib hier, der beinahe gestern erst (vor Gott ists nicht mal ein Bruchteil einer Sekunde, es ist eine zu vernachlässigende Größe) den aufrechten Gang in der Mannequinschule gelernt hat.



1995 bei Rowohlt; 1997 als rororo 22161



Aus "Die Kinder der Toten" © 1995 Elfriede Jelinek

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