Tod-krank.Doc

 

1) Im Wald

Es mangelt an vielem, es fehlt vielleicht an allem, aber nicht an Aufmerksamkeit. Wir betonen sie sogar. Wir schauen in den Wald hinein, und es hallt etwas zurück, das wir nicht sind, das wir aber als uns hätten erkennen können. In großer Bedürftigkeit verbergen sich die Körper hinter den Bäumen, doch diese Körper sind irgendwie anders, sie sind anders als die vorherigen, die man aber auch nicht wirklich hatte. Sind das Tiere? Vielleicht kranke Tiere? Nein, das sind wire, aber mit Einsprengsel von Tiere. Tiere ohne Machtphantasien, welche nur Menschen haben. Tiere fressen einfach, auch ihre Gegner, wenn nötig. Tiere ermessen ihre Größe nicht, wenn sie sich durchs Unterholz zwängen, ob ohne Zwang oder mit Zwang, etwa weil jemand hinter ihnen herrennt und sie jagt, um sie danach zu besitzen und über sie zu entscheiden, wenn sie nicht mehr rennen können. Sie entscheiden sich daher oft zur Flucht, wozu sollten sie sich sonst entscheiden?, ja, auch zum Angriff, weil sie Hunger haben oder ihres Nächsten Weib begehren, eine nette Hirschkuh zum Beispiel. Die Entscheidung über ihre Befugnisse treffen sie selbst, sie sind ihre eigenen Herren, machtlos allerdings aus menschlicher Befugnis, mächtig aus eigener, mächtig über kleinere und schwächere Tiere, ohnmächtig als Tiere an sich, was haben sie nur an sich? Sie streben jedenfalls nicht nach dem Ballbesitz, nach anderem Besitz vielleicht schon, und auch das ist leider falsch, mein Hund zum Beispiel hat, wie andre Hunde auch, ununterbrochen nach Ballbesitz gestrebt; die Tiere des Waldes, die wir auch sein können, wenn wir nicht ganz bei uns sind, wenn wir krank sind, wissen nicht, was der Ball überhaupt ist, daß der Ball rund ist. Die Tiere wissen es nicht, die aber keine sind, wissen es nicht besser. Deshalb streben sie eben stets danach, uns zu überwältigen. Das tun wir aber auch. Sind es deshalb Menschen, das da, was hier ist, ein Stück Mensch? Auch nicht. Sind sie, die Tiere, der Meinung, daß ihr Meinen etwas bedeutet, das etwas meint? Das ist ihnen egal. Aber es sind ja gar keine Tiere! Ja, schauen Sie nur hin! Es sind Tierteile, Teiltiere, die aber nicht teilen wollen: Der Mensch hat ja schon seinen Körper mit ihnen geteilt. Was will man mehr? Was will das Tier mehr, das der Mensch nicht wollen kann, denn sonst könnte man ihn als Menschen schon gar nicht mehr erkennen, und er hätte nur Macht über sich, anstatt Macht über alles andere auch? Was will er uns damit mitteilen, der Mensch, der Tier werden möchte, es aber nicht ganz bis dorthin geschafft hat? Daß er er selbst ist, nur anders? Daß ihm die Entscheidung über sich selbst endlich abgenommen worden ist, die eine Chimäre ist, halb Tier, halb Mensch, zur Entscheidung befugt, zum Betreten des Waldes nicht befugt. Schon der Wald ist mehr als jede Entscheidung, man müßte nur erst hineinkommen. So, jetzt sind wir schon drin, geht doch!, war gar nicht so schwer!, und was hat sich dadurch geändert, was hat sich ergeben? Sachen kann man hier nicht einkaufen, also muß man es selbst sein, was das Sein eingekauft hat. Öffnen Sie jetzt Ihr Einkaufsnetz!, wir wollen sehen, ob Sie etwas gestohlen haben! Obwohl wir das auch von außen hätten sehen können. Haben Sie da ein Tier gestohlen, oder sind Sie es gar selbst? Teils – teils. Das kann man nicht einfach so sagen. Das bestimmt seine Spielregeln selber, das Spiel haben wir sehr wohl gestohlen, es ist jedoch nicht im Netz, es geht nie ins Netz, wir haben es in die Tasche gesteckt, so wie wir jeden in die Tasche stecken könnten, wären wir denn richtige Menschen. Ja, was wären wir denn dann? Wir wären teilweise, und den andren Teil würde die Öffentlichkeit brauchen. Da gehen wir lieber in den Wald und kommen zurück, aber nur halb. Die andre Hälfte hat die Absicht, Sie zu verwirren, bis Sie nicht mehr wissen, wer Sie sind, bis Sie gegen andre völlig gleichgültig geworden sein werden, weil die andren anders aussehen. Sie aber sehen jetzt schon ganz anders aus! Gewöhnen Sie sich an den Gedanken!, obwohl Sie sich ja an Gedanken besonders schwer gewöhnen können.

 

2) In der Maschine

So, mit einer Maschine kann man auch teilen, man kann sich mit einer Maschine die Arbeit teilen, die man selber ist. Das ist einfacher, denn der Maschine wird gesagt, was sie tun soll. Der Betreiber der Maschine sagt es ihr. Es ist nicht so gedacht, daß man in sie hineinkriecht, weil man schon vorher weiß, daß man nie ganz reingehen wird. Man könnte davon krank werden. Die Maschine ist uns ein Rätsel, sich selbst ist sie nichts, weil ihr ja, wie schon gesagt, wiederum immer gesagt wird, was sie machen soll. Einer sagt es dem andern, er sagt es weiter. Die Maschine sagt nichts weiter, sie ist ein ausführendes Organ, dem manchmal Menschenorgane irgendwo herausstehen, weil der Mensch nicht mehr ganz hineingegangen ist in das Gerät und die Organe nicht ganz in ihn, er ist teilweise draußen geblieben. Er mußte zum Teil draußen bleiben. Um wenigstens vor der Tür seine Menschlichkeit zu retten? Die Gesundheit seiner ausführenden, ausufernden Organe? Nur damit die selber gehen können? Da gibt es nichts zu retten. Dieser Mensch ist der Sekretär seiner Maschine, und doch tut die Maschine, was ihr gesagt wird. Er degradiert sich zum ausführenden Organ eines Organs, so, das hätten wir, der Orkan strömt hindurch, der Tsunami, Wassermassen, denen unschuldiges Geschirr und hilflose Wäsche ausgeliefert sind. Werden sie den Anprall der Naturgewalten überstehen, oder müssen wir selber in die Maschine steigen, um sie an der Vernichtung von Gütern und eventuell sogar Körperteilen zu hindern? Respekt ist der Zoll, und Respekt zu zollen ist der Maschine zuwenig, dann geht sie kaputt, und der Mensch muß hinein und Ordnung schaffen, und dann muß er in sich Ordnung machen. Er muß sich kehren, wovon auch immer, er muß in sich auskehren. Das Sein ist ein Nichts dagegen, oder ist etwa das Sein das Nichts? Das haben schon manche Ausgewählte gesagt, nachdem ihre Wäsche in Weiß und Bunt und die Organe in funktionierende und nicht funktionstüchtige getrennt worden sind. Aber diese Maschine wehrt sich dagegen, sie wehrt sich gegen die Ordnung, die man ihr zumuten möchte. Die Maschine will von uns, als ihrem Handlangervolk, trotzdem irgendeine Art von Respekt, sonst frißt sie uns auf! Sie zerstört Teller, Gläser, Schalen, Menschen, sie zerstört mutwillig alles, was in sie gefallen ist und der Fall wird, dazu braucht sie keinen Mut und keinen eigenen Willen. Der Fall ist, daß jemand in seiner eigenen Maschine verschwunden ist, seine Nichtung aber verweigert auf dieser Lichtung, welche die Maschine in seinem Haushalt darstellt, ein Lichtblick, denn wenn die Maschine da ist, eine Kehre, wenn man umkehren möchte, obwohl man noch nicht sauber und noch dazu ganz naß ist, muß man es nicht selber machen, was auch immer. Stimmen ertönen, sie kommen von einem Motor, sie wiegen die Wäsche, das Geschirr in Sicherheit, und dann wiegen sie plötzlich jemand Lebendigen? Das kann nicht ihr Ernst sein! Das verwirrt die Maschine enorm, sie stutzt zuerst ein wenig, denn das bewegt sich ja, was man ihr zum Reinigen gegeben hat, da ist eine Verschmutzung eingetreten, nein, nicht eingetreten, diese Verschmutzung hat sich im letzten Moment noch mit hineingezwängt, dabei wäre sie ohnedies schon drinnen gewesen. Das war ihr aber nicht bewußt. Kein Mensch würde saubere Wäsche, sauberes Geschirr, gesunde Menschen-Ersatzteile in die Maschine hineintun. Es soll ja etwas entfernt werden, das ist die Aufgabe dieser Geräte. Und anstatt, daß etwas entfernt wird, kommt da etwas hinein. Hereinspaziert! Wir geben Sie schon wieder her, wenn Sie wollen, aber ohne daß Sie verletzt sind, wird das nicht abgehen. Sie sind verletzt, weil Sie im Rang nicht über Ihrer eigenen Wäsche, Ihrem eigenen Geschirr stehen. Das verstehen wir, wir stehen ja selber da und können als Maschine nicht weg, sonst wären wir keine Maschine, sonst wären wir ja wir! Sie sind nicht wir. Sie sind anders. Sie sind das Gegenteil einer Maschine, wie aber kommen Sie denn da her, wie kommen Sie denn daher? Wie kommen Sie mir da? Wollen Sie mir vielleicht komisch kommen? Ich habe eine Ahnung, daß Sie gerne gehen, aber hier gehen Sie nicht hinein, hier gehen Sie nie ganz hinein. Wie auch, Sie sind ja auch nie ganz! Ich kann Ihr Entsetzen, daß Sie das nicht sind, aber sein wollen: ganz, das kann ich ganz gut verstehen. Aber Sie müssen weg! Da hilft nichts.

 

3) In der Krankheit

Und jetzt ist das alles also kaputt, was ich mir so mühsam ausgedacht habe. Der Blutkuchen ist gebacken, die Brust ist leer, aber irgendwie schief, weil da was fehlt, weil ihrem Besitzer was fehlt, die schaffende Hand will etwas gefragt werden, aber sie gibt nichts mehr her. Sie hat einen Vertrag mit dem Körper geschlossen, doch der Vertrag wackelt bedrohlich, ein Vertrag kann natürlich kein Sockel sein für das arme Körperlein. Das Atmen beschwert sich bei mir, das Blut beschwert sich bei mir, die Höhle in meiner Brust kann nichts mehr sagen, nur Blutkuchen kaufen, von sich selbst kaufen, ab Bauernhof sozusagen, aber nicht essen, sie beschwert sich natürlich bei wem?, bei mir, bei wem sonst?! Das ist kein Kauf, das ist Eigenbedarf, Eigenerlag, da erliegt man sich selbst, indem man aus sich selbst heraus jetzt ausgerechnet einen Kuchen züchtet. Ich gebe die Beschwerde, daß ich nicht gut atmen kann, weiter an niemand, an das Niemand, das dankbar lächelt, weil es Beschwerden gewöhnt ist. Es ist auch ans Nichtstun gewöhnt. Ich muß arbeiten, sagt mir mein Körper, und gleichzeitig streicht er sich mit seiner Arbeit wieder durch, denn durch die Arbeit ist er ja erst so krank geworden. Vielleicht ist nun dieses Durchstreichen seiner selbst die eigentliche Arbeit? Schluß mit dem Umherschweifen, nach Afrika, Südamerika, zu den Oberhausener Filmtagen, oh, das ist zu nahe, das kann man Schweifen nicht mehr nennen, dem kann man keinen Schweif mehr anhängen wie einem Drachen. Das ist öffentlich, das ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Man zieht keinen Blutkuchen als Schleppe hinter sich her, das wäre zu anstrengend. Entweder man ißt den Kuchen selber, oder man verteilt ihn, oder man verteilt die Leere in der Brust, oder man gibt sich auf, hat aber die Adresse vergessen, wohin. Wohin mit mir? Ich morde mich nicht, und Kinder, die ich morden könnte, habe ich nicht. Wen soll ich ermorden? Soll ich etwa die Krankheit in mir ermorden? Nein. Sonst muß ich vielleicht mit ihr mitgehen! Sonst muß ich womöglich ihr Jausenpaket werden, das sie sich mitnimmt. Ich muß mit der Krankheit ohnedies mitgehen, ich kann sie nicht kränken, ich kann sie nicht wegstoßen, sie hängt so an mir. Ich kann sie nicht enttäuschen, na, komm halt mit, Krankheit! Sonst müßte ich töten mein Teuerstes: mich. Ach, ich hab mich so gern, und Sie können mich auch gernhaben! So, ich geh, von Fremdlingen, unfreundlichen Fremdlingen, Schutz zu erbitten, Herr Doktor, bitte, gewähren Sie mir Schutz, sonst haben Sie ja nichts zu gewähren als Ihr Messer, und das Messer habe ich bereits genossen und auch bereits wieder ausgekotzt. Das Messer hat mir nicht geschmeckt, der Strahl eines Gottes hat mir nicht geschmeckt, der Cocktail, den ich dazu getrunken habe, trinken mußte, man hat mich gezwungen, man hat ihn mir aufgezwungen, der hat mir aber auch nicht geschmeckt, der war total geschmacklos zusammengebaut, zusammengebraut. Es hat sich etwas auch in mir zusammengebraut. Ein Ungewitter, etwas Ungewisses. Nichts schmeckt mir mehr, nichts könnte mir weniger schmecken. Aber ich flehe um Schutz, Herr Doktor, ich habe durchaus Sympathie für Sie, ich zeige Ihnen meine Sympathie gern, schauen Sie, hier ist sie, sie hat zufällig die Form eines Blutkuchens, welchen Sie indirekt gebacken haben, indem Sie Raum im Ofen schufen, im Ofen, wo sonst die Laibe gebacken werden, ein Guglhupf ist das nicht geworden!, aber immerhin, Sie haben den Raum für diesen guten Blutkuchen bereitet, Sie haben den Raum leergeräumt, eine Lichtung geschaffen wie im Wald, damit der Kuchen gedeihen kann und genügend Platz dafür hat. So, der Kuchen geht, der Teig geht, alles geht, nur ich nicht, alle gehen, sogar diese Tiere, nur ich gehe nicht. Es kränkt manche, daß ich so wenig esse, aber ich kann nicht mehr, kann nicht mehr, und wenn ich könnte, würde ich immer noch meinen guten Blutkuchen essen, den ich mir aus der Brust reiße wie aus dem Köcher einen Pfeil und verschlinge, Sie werden schon sehen, Herr Doktor, was schauen Sie weg, schauen Sie hin! Ich verputze sogar das vernähte Loch, ich fresse alles, runter damit!, nur an einer Seite vernäht, sonst wäre es ja kein Loch, es wäre ein Sack, eine Einkaufstüte, ich fresse das Loch, das zurückblieb, nachdem Sie mir einen wesentlichen Körperteil geraubt haben! Ich verschlinge das Nichts, in dem gnadenhalber, damit ich nicht verhungere, dieser liebe Blutkuchen gewachsen ist! Ich hasse alle, ich hasse niemanden, aber ich erbitte dafür, daß ich niemanden dafür hasse, was keine kleine Leistung ist, Schutz für mich selbst. Herr Doktor, Schutz bitte, Messer bitte, Kuchengabel bitte, Blutkuchengabel bitteschön! Gewähren Sie mir, Fremdling in meinem eigenen Körper, bitte Hilfe und Schutz! Wo sollte man denn sonst geschützt sein als in sich allein? Ja, auch wenn mein Körper jetzt weniger ist, wenn er kleiner ist, wenn er ein Loch voller Kuchen hat, gewähren Sie ihm Schutz! Es ist ja kein Verdienst, einem, der keinen Schutz braucht, einem Fremden im eigenen Land, einem Fremden im fremden Land, einem Nichts im Vielen, in der Vielfalt, Schutz zu gewähren, und weil es keinen Verdienst bringt, machen Sie es auch nicht, aber es ist doch nur Schutz!, den ich erflehe! Doch Schutz einem, der vor bösem Leumund sicher sein wollte, zu gewähren, das ist schon mehr, das ist mehren, das scheint zuviel zu sein, das hieße, sich zu mehren, zu mehreren zurückkommen, vielleicht wird dadurch das Loch in der Brust sogar wieder aufgefüllt, wer weiß?, und, sieh da!, ein Kuchen ist wirklich dort gewachsen, im Verborgenen ein Kuchen, so eine Überraschung! Eine Wiedergeburtsüberraschung! Wer auch nur ein einziges Ei zerschlägt, kann das schon nicht mehr rückgängig machen. Wer diesen Kuchen ißt, der wird ewig leben, der erhält das ewige Leben. Wer von mir ißt, von meinem Blutkuchen ißt, wird das ewige Leben erhalten, und zwar von einem Arzt. Seit ich das weiß, möchte ich den Kuchen auch wirklich selber essen. Ich gönne ihn keinem anderen. Doch wie krieg ich ihn aus meiner Brust? Wie krieg ich das, wo vorher etwas war und jetzt wieder etwas ist, ganz aus Blut, ganz aus Blut, schwarz wie Ebenholz und doch Blut, gestocktes Blut, Blut, das vor dem Ausgang stockt, innehält, und sich dann nicht hinaustraut, ich muß ihm nachhelfen, wie krieg ich das alles in meinen Mund, damit ich es ausspucken, damit ich es aussprechen, damit ich mich aussprechen kann? Für mich, Kind, weiß ich keine Hilfe mehr, von wem auch, Herr Doktor, der Sie an mir Elternstelle vertreten, der Sie sich in meinem Krankenzimmer die Beine vertreten, der Sie an mir Gott, der mich bekränzen soll, vertreten, der Sie Gott an sich vertreten dürfen? Danke für die Blumen, danke für den Blutkuchen, ich stelle ihn derweil dorthin, aber zuerst muß ich ihn ordnen, der Kuchen und das Blut müssen gut miteinander verrührt werden, bis wir alle ganz gerührt sind, was für Mühe das Schicksal sich mit mir gegeben hat; dann haben wir ein Wohlwollen für Sie, Herr Doktor, aber eigentlich hätten wir ein Lob wollen. Wir nehmen aber, was wir kriegen können. Wenn wir kein Brot haben, müssen wir halt Blutkuchen essen. Weiß mir keine Hilfe mehr, Hilfe! Ah, da ist sie ja schon! Vielen Dank, Herr Doktor, daß Sie mir helfen, bis dieser Kuchen fertiggerührt ist. Ich muß ja auch noch andre rühren! Ich bin Teig. Ich bin eine Teigware, aber keine angefüllte, angefüllt nur meine Brust, ich bin der, der gefüllt wird, ich Heroensohn; was kann es nützen, stirbt ein junger Mann? Es nützt nur, Vati, bitte, hör zu!, es nützt nur, wenn ein alter Mann stirbt. Ich frage mich allerdings, wem es nützt. Einer muß da sein, der auf mich wartet, geduldig, er hat nicht mal was zum Lesen dabei. Mir nützt es zu sterben, mir bereitet es Genugtuung, ich habe genug getan, um zu leben, genug, ich habe genug, allerdings bin ich nicht alt. Vati war alt, ich war es nicht, ich werde es vielleicht, aber ich war es nicht. Wissen Sie sonst noch einen Rat, Herr Doktor? Dann geben Sie ihn mir bitte, nein, umsonst sollen Sie das nicht getan haben, Hauptsache, Sie haben es überhaupt getan. Daß dieser Kuchen jetzt aus meiner Lunge heraustritt, vortritt, auftritt, daß das Blut hervortritt und sich verbeugt, daß dieser wunderbare Kuchen rauskommt, daß jetzt endlich alles rauskommt, was schon länger gefehlt hat, nur mir nicht, das ist wunderbar, es ist ein Wunder, daß da überhaupt was kommt, denn Sie haben es mir ja rausgeschnitten, Herr Doktor, ich weiß schon, Sie wollten nur mein Bestes, und das Beste wäre, Sie schnitten mir auch noch alles andre raus, was glauben Sie, wie groß der Blutkuchen dann erst sein wird! Der hat dann einen ganzen Fußballplatz, um zu wachsen, einen Menschenspielplatz, und Knochen als Spielzeug dazu! Ich werde dann im ganzen ein Gewächs sein, ein wunderbares Blutgewächs, man wird mich lieben dafür! Für irgendwas muß man mich ja lieben, nachdem ich mich so lange hingelegt habe, bis das Messer kam, bis das Messer kam, und mir ein wesentlicher und noch wertvollerer als wesentlicher Teil fehlte, will sagen: mir ist er wertvoller, aber wesentlich ist er schon auch. Dafür ein Kuchen. Dafür jetzt dieser Kuchen, der im Verborgenen wuchert und geht, der weit gehen kann, wie ein Teig eben gehen muß, wenn die Mischung stimmt, wenn alles stimmt zwischen Zweien, dem Menschen und seiner Krankheit, wie ein Teig also geht, hinausgeht in die weite Welt, aus seinem Schlupf, seinem Unterschlupf heraus muß und aufgeteilt werden muß, denn ich bin da vollkommen selbstlos, ich habe ja kein Selbst mehr, ich gebe den Kuchen her, damit er geteilt wird, möchte ihn aber dabei gleichzeitig behalten. Das geht nicht. Das haben mir schon viele gesagt. Ich bin ratlos, weil das nicht geht, Ihr Richterspruch, Herr Doktor, Ihr Richterspruch ist mir mitgeteilt worden, vielen Dank, daß ich jetzt dem Tod versprochen bin, ich bin zwar von Furcht erfüllt, wie könnte es auch anders sein, aber es geht voran! Daß dieser Blutquark, dieses Gerinnsel, dieser Blutfluß, dieser gestockte Redefluß, dieses flüssige Kapital, daß die alle in einem Blutstück, in einem blutigen Kuchenstück jetzt aus mir heraustreten, nennt das nicht Verwegenheit, Leute! Ich weiß schon: Die trauen sich was, die Leute, die trauen sich immer was, wenn keiner herschaut! Der Kuchen traut sich heraus, obwohl er ganz aus Blut ist, ich würde mich an seiner Stelle nicht trauen, aber der Kuchen will heraus aus dem Verborgenen, aus der tiefen Treppe, die letzte Stufe besonders hoch, wir heben den Fuß, rauf den Fuß, das werden wir doch noch schaffen, das Gehen werden wir doch wenigstens noch schaffen, da sogar ein Kuchen es beherrscht, der wiederum mich beherrscht! Das ist das einfachste, das Kind lernt es schon, das muß doch auch ich können! Gehen! Vielleicht könnte ich mir von Nutzen sein, wenn ich mich an frühere, schönere Spaziergänge erinnerte, vielleicht käme ich dann in Gang, vielleicht käme ich dann in die Gänge, es wartet schließlich ein feiner Blutkuchen auf mich? Aber warum soll ich mich bewegen? Der Kuchen ist ja in mir, er ist in mir eingesperrt, ich könnte ihn jederzeit herausholen und zeigen, nein, kann ich nicht, deshalb wächst er ja im Verborgenen, im Abseits, in der Abseitsfalle, aus der er nicht rauskann, weil irgendwelche Abwehrspieler ihn einsperren, jede Zelle muß abgewehrt werden, falls sie feindselig ist, jede giftige Zelle ein Ziel für die Abwehr, aber mich soll die Abwehr stehen lassen, mich soll sie schießen lassen, mich soll sie über mich hinausschießen lassen. Doch da ist nur der Großmutterkuchen, der mich älter macht als meine Großmutter, und schon kommt der Wolf, schon kommt das Tier. Er blüht an meinem Haus empor, der Blutkuchen, aber innen drinnen, inwendig, ich kann ihn nicht einmal auswendiglernen, ich sehe ihn nicht, aber ich weiß, daß er da ist, schwärzlich, nein, greulich, grauenhaft!, will sagen nahrhaft, ich habe ihn ja selbst genährt, mit mir genährt, ich bin mein eigener Ernährungswissenschaftler, voll Sorge um mein eignes Kind, das ich dort im Verborgnen nähre, mein Kind, mein eigen Fleisch und Blut, nein, nur Blut, das Fleisch ist weg, das Fleisch ist mir herausgeschnitten worden, jetzt hab ich nur noch den Kuchen, der die Leere füllt, die Narben, welche die Folge dieser Leere sind, aber die Narben kümmern mich nicht, ich habe jetzt den Kuchen in Form eines Blutes, ich bin mein eigen Fleisch und Blut, wer von mir ißt, wird auch krepieren. Ich habe einen Teil des Körpers offen und dann wieder zugenäht und dann angefüllt. Herr Doktor. Nicht offen, doch Sie meinen wohl offen, Sie meinen wohl leer? Leer, aber keineswegs offen. Kein Weg ist frei, kein Parkplatz ist frei. Eine leere Landschaft ist nicht eine offene Landschaft, die kann sogar das Gegenteil sein. Ein leerer Mensch ist nicht gleich einem offenen, das kann sogar das Gegenteil sein. Eine leere Brust ist nicht wirklich leer, sie birgt einen Kuchen in sich, nachdem sie wieder zugenäht wurde. Vater, ich würde an deinem Haus emporblühen, wie der Blutkuchen in mir erblüht ist wie von selber, keiner hat die Arbeit gesehen, die ich mir mit dem Teigrühren gemacht habe, aber du bist ja nicht mehr da, Vati, dein Haus ist nicht mehr da, nichts ist mehr da. Von mir ist noch eine ganze Hälfte da, damit ich atmen kann. Dazu brauche ich meine bessere Hälfte. Ohne die könnte ich gar nichts mehr. Welche war das noch schnell? Muß mich abzählen! Ich erspähe keinen Ausweg aus dieser Not, nur noch zur Hälfte atmen zu können, aber wer braucht schon die Gänze, um zu atmen, die Hälfte genügt auch, das haben Sie mir versichert, Herr Doktor, und das hat mir auch die Krankenversicherung unabhängig von Ihnen versichert. Sie haben mich gegen mich selbst versichert, so kann ich nicht sterben, niemals!, und wenn, dann wird mir das natürlich bezahlt. Das Leere wird mir bezahlt, so wie ich für die Leere in meiner Brust bezahlt habe. Keiner ist keinem etwas schuldig geblieben, nur das Leben ist mir noch etwas schuldig, na, das wird es auch noch bezahlen. Es ist ja bekannt, daß das Leben seine Schulden immer zahlt. Ich bestehe darauf. Ich präsentiere ihm die Rechnung, aber da reicht mir das Leben auch so einen Schmierzettel, wer soll denn das lesen, was da drauf steht? Ich stehe aufs Leben, aber das Leben schreibt unleserlich mit unsichtbarer Tinte. Das Leben erklärt, nicht töten zu wollen, aber lesen kann ich das nicht, und es erklärt uns viel andres auch, aber es erklärt nicht, wieso es auch als Hälfte noch leben kann. Hätte es mir das vorher gesagt, hätte ich schon vorher nur zur Hälfte gelebt, damit ich mich daran gewöhne, rechtzeitig ans Halbiertsein anpassen kann. In dieser Weise soll ich gerettet werden, daß mir eine Hälfte fehlt? Herr Doktor, geht es wirklich nicht anders? Na, wenn es nicht anders geht, dann müssen wir halt für uns selber Feindesland werden, wüstes Land, ödes Land, aber wenn die Hälfte fehlt, ich sagte es schon, dann ist man deshalb nicht offen. Wenn man leer und öd ist, ist man noch nicht offen. Bitte, man wird vielleicht geöffnet worden sein, aber man wird deshalb nicht offen sein. Nicht offener jedenfalls als zuvor. Man wird vielleicht kurz offen sein, aber dann wird man wieder geschlossen werden, das schließe ich daraus, daß ich jetzt zugeschlossen bin, doch ich glaube, da wächst etwas, Herr Doktor, Sie haben mich wüst und öd hinterlassen und in diesem Zustand verschlossen, und jetzt wächst da dieser Blutkuchen! Besser als nichts. Besser, als wenn hier überhaupt nichts mehr gedeihen würde. Machen wir das Beste daraus und verteilen wir ihn, verurteilen wir ihn, aber das ist ihm ganz egal. Bin nicht bereit zu sterben, doch ich biete mich den Essern schon dar, seht hier, mein Leib, der auf sich nahm die Sünden der Welt! Jesus Christus, nimm hin und esse, äh, Moment, umgekehrt, natürlich soll ich seinen Leib essen, ihn hinnehmen und essen, denn es ist sein Fleisch. Und was wird mit meinem Fleisch? Kann man doch nicht einfach aus mir herausnehmen und mich dann wieder zunähen, einfach so! Und was dann daraus wächst, ist Ihnen egal, Herr Doktor? Wie soll ich es bemänteln, außer daß ich meinen Mantel anziehe, Herr Doktor, wie soll ich es bemänteln, daß Sie in Ihrem weißen Mantel nur noch die eine Hälfte von mir sehen? Wo Sie die andre doch selber weggeschnitten haben! Wie sollen wir, wie sollen Sie in Ihrem weißen Mantel bemänteln, daß todbringende Gefahr meine kleine Stadt bedrängt, sehr klein, das stimmt, aber mein einziger Wohnort, mein Hauptwohnsitz, schauen Sie auf meinen Meldezettel, der länger leben wird als ich, auf meinem Sitz, auf meinem Hochsitz, auf meinem Anstand, aber das Sitzen tut mir auch weh, nehme ich mal an, ausprobiert habe ich es nicht. Wie wollen Sie also Ihren Mantel bemänteln, etwa mit meinem Körper? Aber den haben Sie mir doch zum Teil herausgeschnitten, zerschnitten, ohne sich an sein Schnittmuster zu halten! Haben Sie die strichlierte Linie denn nicht gesehen? Haben Sie den alten Burda-Schnitt, der seit Jahrzehnten hier herumliegt wie ich, denn nicht zu Rate gezogen? Zerschnitten, ohne das Muster überhaupt anzuschauen, ja wissen Sie denn nicht, wo an einem Menschen die Nähte verlaufen, wo die Nähte sich verlaufen und nicht mehr zurückfinden? Es ist nicht erwünscht, daß ich, um mein Leben zu schonen, den Tod scheue, andren die Mühe des Sterbens aufbürde, immer einer dem andern, so ist es ja üblich, einer trage des andren Bürde, nur ich finde niemand, der mir die Last abnimmt, das ist des Lachens durchaus wert, aus der Blutlache in meiner Brust ist ausgerechnet ein Kuchen geworden, das Lachen in mir hat sich verfestigt, das kann man jetzt essen! Das kann man jetzt sogar essen, wenn es einem nicht im Hals steckenbleibt! Man muß es nur noch aufteilen, Herr Doktor. Da Sie mich schon zerschnitten haben, werden Sie doch wohl meinen guten Kuchen auch noch aufteilen können, oder? Ich erscheine Ihnen zu mutlos dafür? Herr Doktor! Ich steige in ein Reich hinab, das mein Körper ist, wo was wächst, wo was gewachsen ist, zuerst das eine, das Gewächs, dann das andre, der Kuchen, ich steige in mir hinab, eine wacklige Leiter, wo steht die überhaupt?, und wo ist die angelehnt?, und wo ist mein Boden?, Tod, wo ist dein Stachel, und wo ist jetzt der Boden für die Leiter, damit sie sicher steht? Sonst trau ich mich ja nicht auf die Leiter, um in mir hinabzusteigen und die unermeßliche Größe des Blutkuchens auszumessen, denn ich möchte eine schöne und friedliche Umgebung für den Blutkuchen, ich muß seine Umgebung jetzt dafür ausmessen, nur wackelt die Leiter in meinen Keller, die wackelt ordentlich, aber ich muß runter, wie soll ich denn sonst meine Brust ausmessen, wie soll ich sonst ermessen, wie groß die neue Tapete sein muß, die ich dem Blutkuchen als Umgebung bieten möchte? Mit einem schlichten Loch wird er nicht zufrieden sein, der Kuchen mein, er wird eine friedvolle Tapete für sich haben wollen, die Tapete der Zufriedenheit. Herr Doktor, mit Ihrer Arbeit bin ich zufrieden, aber mein Blutkuchen ist mit seiner Umgebung, die ein Loch ist, die vielleicht schon das billig eingerahmte Nichts ist, nicht zufrieden. Der Kuchen will unbedingt eine Tapete für die Kinderjause, eine Zusammenkunft, von der Ewigkeit veranstaltet, aber ewig wird sie nicht dauern. Und dabei wird auf dieser Jause bloß er aufgeteilt werden, das ist nicht viel, aber es ist nicht nichts. Der Blutkuchen will eine Tapete, vor der dann er gefressen werden wird. Bitte, es hat mich zuerst etwas andres gefressen, aber dafür kann ich Ihnen jetzt diesen guten Blutkuchen anbieten. Man muß nur eine Umgebung für ihn schaffen, ihm eine kleben, ihm eine Tapete kleben. Dann kann mein Schoß den Kuchen gebären oder meine Brust, gebären den Kuchen für euch alle. Sehet und nehmet hin meinen Leib und mein Blut, das Blut immerhin in Form von Kuchen, das kann Jesus euch nicht bieten, da bin ich besser, oder etwa nicht?

 

4) Im Bus

Da fragt mich jemand nach meinen Leidenschaften, ich will ihm grade antworten, da, so, da plötzlich dieser Sog. Ein Sog in den Untergrund, nicht hinauf in die Luft. Das wäre eher ein Ansaugen gewesen, ein wilder Atem, ein Einatmen von oben, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, damit ich unten nichts verliere. Damit ich unten nicht verliere, was ich oben angesaugt habe. Da ist unter der Straßendecke etwas entstanden, das ich nicht kontrollieren kann. Das nicht zu kontrollieren war. Ich baue da meine U-Bahn so vor mich hin, eine große Aufgabe, ich bin mir bewußt, was das bedeutet, daß man mir einen U-Bahnbau anvertraut hat, aber ich hätte dem Boden nicht vertrauen dürfen. Ich will bloß etwas, was war es noch gleich?, ich will, daß unten in diesen Höhlnissen, in diesen Schlupflöchern und Tunneln etwas fahren kann. Daß etwas weitergeht. Ich kann mich selbst kaum halten, ich muß dort hinunter und graben, ich muß dieses Loch graben, und vom Loch sollen so Verzweigungen ausgehen, damit die Leute ihre Verzweiflungen in einer Bahn mit sich führen können und nicht allein ausgehen müssen. Da gibt plötzlich etwas nach. Ich bins nicht, ich gebe nie nach, aber etwas andres muß nachgeben, es ist die Straßendecke, die nachgibt. In einem Sog aus Wasser, Kies und Schlammassen wird dieses Fahrzeug durch den leckeren Straßenbelag zu mir hinunter in die Tiefe gerissen. Das hält mich jetzt aber sehr von der Arbeit ab! Das hält mich bei der Arbeit auf. Da will ich weiter an meinem Loch graben, das der Allgemeinheit zugutekommen soll, und da schicken sie mir einen Teil dieser Allgemeinheit einfach so runter, formlos, die haben kein förmliches Schreiben bei sich gehabt. Fast wäre mir der Bus auf den Kopf gefallen. So. Fangen wir beim Beginn an, der Zeugung, na, von mir aus, von keinem andern wurde dieses Loch gezeugt als von mir. Ich bin eine Tochter des Titanen, von mir aus auch mehrerer Titanen, es ist ja immer nur die Mutter sicher, keine Mutter ist sicher, aber meine schon. Da bin ich mir sicher. Sterben mögen diese Leiber, nein, das mögen sie gar nicht. Sie wollen auch nicht zu Opfern geweiht werden, das haben sie mir ausdrücklich versichert, als sie schreiend durch den Bodenbelag brachen und sich mir, unter Sträuben, aber doch, widerwillig hingaben. Sie begaben sich in die Tiefe, in einem Bus, welcher den Straßenbelag durchbrochen hat. Sie lieben nicht das Leben, diese Businsassen, aber auch wenn sie es lieben würden, es wäre egal gewesen. Wenigstens einen ruhmgekrönten Tod wollten sie haben, nein, bekamen sie nicht. Nur drei von ihnen. Da. Rotes Licht, eine Ampel. So hat man mir versichert, aber versichern kann man sich gegen sowas nicht. Ein Bauarbeiter brüllt noch, ich höre ihn unten beim Graben, was schreit der so? Er will den Bus vor meiner Höhle warnen. Genausogut hätte er eine Statue anschreien können. Der Busfahrer versteht nur Bahnhof, dabei ist er doch Busfahrer! Bahnhof: andres Verkehrsmittel, eher nur mittelmäßig gefährlich, Schienenfahrzeuge halten sich in ihren Grenzen. Der Busfahrer hat die intakte Fahrbahn gesehen, was brüllt der Bauarbeiter ihn dermaßen an?, da ist doch nichts! Was schreit und schreit und schreit der so, als läge er auf dem Operationstisch, doch dort schreit keiner mehr, dagegen ist er versichert, das versichere ich Ihnen. Das habe ich Ihnen schon mehrmals versichert, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Ich grabe also. Ich grub, und ich grub und ich grub. Da kann man etwas Abwechslung da unten schon brauchen, jede Abwechslung. Dem Chauffeur dort oben ist das Unglück passiert, das gleich folgen soll, das mir folgen soll, alles soll mir nach unten folgen, wo die Toten sind, nach unten folgen, ich führe sie, ich bin der Totenführer, ich warte auf die Ablöse durch Charon, der wieder Wasserfahrer ist, wir teilen uns das, wir teilen uns die Aufgabe, und manchmal paß ich auf seinen Hund auf, der geht mir aber auf die Nerven, also, wo war ich? Unten, in der Grabeshöhle, ich meine in der Grabhöhle, ich meine in der Grabungshöhle, so ist es richtig. Unvorstellbar. Ein paar Sekunden, nachdem der Bauarbeiter den Busfahrer angeschrien und der ihn nicht verstanden hat, wird der Bus von einem metertiefen, riesigen Krater verschluckt. Schaut nicht schlecht aus, nur ich von unten sehe es nicht so gut. Sie von oben müßten es besser sehen können. Ich bin in dieser Höhle aufgewachsen und dankbar für jede Abwechslung, Sie dort oben sind Abwechslung ja gewöhnt, Sie suchen sie sogar! Sie wollen ausgehen, und wie ist das heute ausgegangen? Keiner verwehrt denen dort oben das Sterben. Ich Wegbereiter für eine U-Bahn, ich Gräber, ich Grab, ich lebendes Grab, ich lebende Grabschaufel, ganz allein, ganz allein, ich wäre der Letzte, Ihnen das Sterben nicht zu gewähren. Als der Strudel, der Blutkuchen, nein, diesmal nicht, es ist ein Blutstrudel, eher ein Wasserstrudel, von Blut ist nicht viel zu sehen, dafür geht alles viel zu schnell, als der Strudel endlich nachgibt und reißt, nein, abreißt, der Strudel reißt nicht, er reißt ab, bevor die Fülle hineinkann, äh, bevor er seine Fülle bekommen kann, reißt der Strudel ab, und der Bus ragt fast senkrecht aus dem Loch, das ich mühsam gegraben habe, und nicht dafür, daß ein Bus da reinfällt, nicht dafür, daß da jemand reinfällt, sondern daß ich eine U-Bahn herstellen kann, Stationen, Neon, Kachelwände, kleine Kioske, und dann die Gleise, die Schienen, ich grabe, und ich grabe also, jetzt muß ich eine Pause machen, weil sie mir das falsche Verkehrsmittel runtergeschickt haben, bevor ich fertig werden konnte. Das falsche Verkehrsmittel in einen unfertigen Tunnel. Das Heck des Busses ist im Grundwasser versunken, das nicht hierher gehört, also ich habe es beim Graben nicht bemerkt, und ich habe das Wasser auch nicht herbeigeholt, das schwöre ich. Da sind welche tot. Da sind ja welche tot! Zum Glück nicht viele, aber doch, drei sind tot. Ich konnte bei ihrem Tod zugegen sein, konnte aber nicht organisieren, oder wie nennt man das?, daß die Frau in Frauenarmen und die Männer in Männerarmen ihr Leben aushauchen, sie hatten ja nicht mehr für einen Hauch Platz. Die konnten ab sofort nicht mehr atmen. Nein, schmücken für den Tod konnte man sie auch nicht mehr. Ihr Tod ist mein kostbarster Besitz, statt Kindern besitze ich den Tod der Opfer. Statt meiner Jugend besitze ich jetzt den Tod. Ich fühl ihn dort unten, er kommt, wenn wir nicht zu ihm kommen und an der Haltestelle auf ihn warten, dann hält er an für uns, dann hält er für uns, der Tod, nett von ihm, nett von ihm. Der nimmt Autostopper mit, der nimmt Anhalter mit, die sich nicht angeschnallt haben, aber der nimmt nicht jeden mit. Die Haltestelle hab ich dort unten ja noch gar nicht gebaut, mit der hab ich noch gar nicht angefangen, und wenn doch, hätten sie mit der nichts anfangen können, warum eine Haltestelle, wenn es noch keine Schienen gibt? Die Schienen, von denen gibt es kein Entrinnen, auf denen müssen Sie bleiben. Insofern ist ihr Tod im Autobus, ja, was ist er? Was fühlen die dort unten noch? Es mag dort nichts mehr sein, es mag dort für nichts mehr etwas vorgesehen sein, denn da harren noch nicht Menschen auf die U-Bahn, es gibt noch keine Haltestelle, diese Haltestelle für den Bus ist gar keine, er ist das falsche Verkehrsmittel, bitte nicht aussteigen, kein programmgemäßer Halt, der Bus hat unprogrammgemäßen Aufenthalt, bitte nicht aussteigen, was machen Sie denn?, warum steigen Sie denn aus? Das sollen Sie doch nicht! Für das mächtigste Heilmittel aller Übel gilt ja doch der Tod, da kann man nichts machen. Und dieses Mittel wirkt jetzt mittelmäßig, aber stark genug auf Sie ein, so wie ein Schicksal aufs andre folgt, es geht immer weiter, nur der Bus hält still, eingezwängt in der Erde, im Loch, das ich verursachte, doch an die Folgen habe ich nicht gedacht, keiner hätte daran gedacht. Hören Sie den Schrei? Nein, ich habe nichts gehört, außerdem schreit die Erde nicht, ihre Opfer schreien vielleicht schon, aber die Erde ist still wie der Mensch während einer Operation. Ein Opfer wird aus dem Heck des Busses gezerrt, der das ausgeheckt zu haben scheint, denn ich wars nicht, das Opfer ertrinkt im Heck im wassergefüllten Krater, den ich gegraben habe, wenn auch nicht unbedingt als Krater, ich habe den als ordentliche Baustelle gegraben!, und an deren Stelle kommt jetzt das Heck des Busses rein, ja, nein, ja, nein, meine Rede!, das Vorderteil ragt in die Luft, ragt aus der Straße heraus, kann man von oben anschauen, von unten sehe ich das nicht so gut. Gut. Zwei andre werden im schlammigen Untergrund, den ich auch gegraben habe, allerdings als Untergrund und nicht als Seeboden, daß das klar ist, den ich, ich, ich persönlich gegraben habe!, buchstäblich und regelrecht einzementiert, na, die Regel möchte ich sehen!, in meinem Handbuch für Totengräber steht nichts von einer solchen Regel!, aber sie werden nach den Regeln andrer also mit dem Boden untrennbar vermengt, im schlammigen Abgrund einbetoniert. Erst acht Monate später, ich bin schon fast mit der U-Bahn fertig, wenn auch nicht ganz, denn aus Pietät für die Verstorbenen muß ich immer um das Loch herumgraben, obwohl es die ganze Zeit da ist, das Loch ist ein beschränktes, ein recht beschränktes Nichts, das aber seine Grenzen hat und seine Grenzen kennt, sonst wäre es das Nichts selbst, das unbeschränkte Nichts, das grenzenlose Nichts, der Tod, so aber muß ich um die Grenzen des Nichts, um das Loch herumgraben, das dauert seine Zeit, und deswegen kann ich die U-Bahn natürlich nicht rechtzeitig fertiggraben. An mir liegts nicht, es liegt an der Mutter Erde, an der Höhle, an der guten Mutter Erde, die nicht will, daß man in ihr herumwühlt. Das wird eine Fehlgeburt, Mutter Erde!, nein, eine Frühgeburt, das Kind ist schon lebensfähig. Das Kind minus drei ist lebensfähig. Das Kind soll raus, es soll der Mutter wegen in den Brunnen fallen, aber es muß raus, und wenn wir acht Monate lang graben müssen, die drei toten Kinder müssen wieder raus, die müssen wieder raus, und wenn wir die ganze U-Bahn verschieben müssen, wenn wir sie selber schieben müssen anstelle ihres müden Antriebs, die Toten müssen raus, alles muß raus, und wenn es acht Monate und länger dauert. Also hören Sie den Grabfachmann, den Grabesfachmann, den Gräber, hören Sie mir, dem Gräber zu: Ausgelöst wurde das alles, für das ich nichts kann, ich bin nur der Totengräber, dem aber gesagt worden ist, daß er eine U-Bahn gräbt, das klingt ja viel netter, also ausgelöst wurde das Ganze durch eine in 17 Meter Tiefe geborstene Mängelschicht, äh, Mergelschicht, also bitte, so tief bin ich gar nicht gegangen, so tief hab ich doch niemals gegraben, ich habe immer mein Maßband dabei, da muß unter mir etwas geborsten sein, das hätte auch mich, den Gräber, ins Grab mitreißen können, also geborsten ist diese Mergelschicht, nein, ich sehe grad, die ist nicht unter mir geborsten, mich ist die ja gewöhnt, die ist über mir geborsten, die Mergelschicht, ich muß mich total vermessen haben, ich war selbst offenkundig total vermessen, als ich dieses Loch für die U-Bahn grub, noch dazu so tief!, denn ich war unten ganz ungefährdet, das sehe ich jetzt erst, gut, wenn man nachschaut!, ich war als Grab ganz ungefährdet, eins der wenigen lebenden Gräber, eines der wenigen ungefährdeten Gräber für ungeschickte, ungeschminkte Leichen, ein Grab, das sich selber graben mußte, und ich: Gräber und Grab in einem!, was ist mit mir?, da liege ich also, in mir selbst ruhend, ein in sich selbst ruhender Mensch, da lieg ich also, über mir tonnenweise Grabesschotter, über meiner Grabesschicht, die ich ohne Schichtwechsel gegraben habe, denn der Totenschiffer, der Fährmann, der mich hätte ablösen sollen, tut wie üblich keinen Handschlag, höchstens noch zur Begrüßung, aber seinen blöden Hund hängt er mir an, wenn er vom Fähren, das er nicht erledigt hat – nicht einmal die bereits Erledigten hat er erledigt! –, Feierabend macht. Na, der ist vielleicht abgezischt wie eine Furie, der Köter, sein Apportel holen, sein Balli, sein Totenballi, der ist vielleicht abgezogen, die Toten wegzuweisen, nein, ihnen den Weg zu weisen natürlich! Die Erde hat irgendwie auch abgezogen, hat eine Art Wasserspülung abgezogen, Wasser kam rein, willkommen, liebes Wasser, hättest du nicht irgendwo anders hingehen können?, es ist ja nicht nur dieses Loch geöffnet, nein, es kommt, es kommt rein, es fließt immer runter, immer abwärts, immer dem Bache nach, aber bis zu mir runter kommt es gar nicht, ich schaue durch Lücken im Zaun nach oben, wo der Bus steckt, Schnauze nach oben, ähnlich dem Hund vom Fährmann, der dauernd so heult, der heult, kann ich Ihnen sagen, und ich muß mir das anhören!, Schnauze nach oben, wittern, zittern, japsen, jaulen, gieren, giemen, und rauf! Rauf zu den Toten! Dort will er immer hin, der Waldi, der Zerberus, das Zerberroß, nein, nicht Berberroß, der will die Toten apportieren, zwischen seinen Zähnen, will sie runterholen, will sich einen runterholen, der Totenhund, der leider keine Hände hat, das macht ihm so Freude. Was wollte ich sagen? Was weiter über der Tunnelröhre, die ich grub?, über den Einbruch?, ein Glück, der Einbrecher kann gleich dingfest gemacht werden!, es ist ein Autobus, ein Linienbus, der hier nichts verloren hat und daher selber verlorengehen mußte. Aber er ist nicht verloren, alle sehen ihn von oben, ich sehe ein Stück von ihm auch von unten, durch so Gucklöcher, in meine Grabeshöhle kommt der mir nicht! Aber anschauen will ich ihn mir schon. Ich höre es rauschen, ich höre ein schreckliches dumpfes Rauschen. Das ist die Kiesschicht, das muß die Kiesschicht oben sein, über mir, jeder hat ja etwas Höheres, Stärkeres über sich! Die Kiesschicht ergießt sich also in den Tunnel, schön, jetzt sehe ich sie auch!, sie ergießt sich also und zerreißt die Schutzschicht, den Kies, reißt den Krater unter der Unglücksstraße auf, wo der Bus unterwegs war. Und jetzt sind sie alle auf einmal, alle mit einem Mal, alle!, bei mir unten. Ich grabe, und jetzt kommen die alle zu mir und wollen was? Was? Na, die drei zumindest haben keine Bedürfnisse mehr als zu schlafen, auf ewig zu schlafen, die andren wollen vorne raus aus dem Bus. Das kann ich ihnen nicht verdenken, das kann ich mir denken. So etwas kommt sonst nicht vor. Für so etwas gibt es keine vergleichbaren Fälle. Für die Vergeblichkeit gibt es keinen Vorfall, keinen Fall, der einem Fall vorausgeht, damit man sich nach dem Fall richten kann. Aber man fällt einfach nur, man fällt nur, man fällt auf, indem man fällt. Ein interessanter Fall, ein kurioses Unglück. Ein Schicksal folgt auf das andre, ich sagte es schon. Ein Grab neben dem andren, neben mir gräbt keiner, ich grabe allein, im Grab ist man allein, und so habe ich schon einen Vorgeschmack, weil ich doch ganz alleine eine U-Bahn graben muß. Zwar ist das Opfer grausam, doch es bringt mir Ruhm, denn für die U-Bahn werden mir alle noch dankbar sein. Die Opfer sind grausam gestorben, drei Stück Opfer, zwei davon einbetoniert auf acht Monate, für die Dauer von acht Monaten, und dann erst begraben, man hätte sie gleich dort lassen sollen, bei mir unten, aber das ist nur meine persönliche Meinung. So zu sterben, das bringt zumindest Ruhm, das bringt mindestens Ruhm, das bringt ganz gewiß Ruhe, das bringt Ruhe nach der Aufregung unter der Erde, unter dem Mergel, unter der Mangel, Nicht-Sterben ist wohl feige, doch wie ist es süß! Wie ist es verführerisch, wie Sirenengesang, nicht zu sterben! Wollen Sie sich nicht doch dafür entschließen? Nicht zu sterben? Hier unten bei mir ist es nicht besser als dort oben bei Ihnen, der Bus weiß das jetzt, ein ganzer städtischer Linienbus weiß das jetzt, Sie scheinen es nicht zu wissen, daß das Leben süß ist, zu leben ist süß, wahnsinnig süß zu leben, Gefährte von Opfern zu sein: auch nicht schlecht, aber weiterleben besser, auch wenn man dasselbe Schiff, denselben Bus wie die Opfer nimmt, dasselbe Schiff wie die Opfer besteigt: Leben ist so süß! Das süße Leben! Total angenehm, das Leben. Bitte, das Opfer ist grausam, aber es bringt Ruhm, diese drei Leute wären heute vielleicht, aber wahrscheinlich nicht, sowieso tot, aber bei mir, dem Gräber unten, sind sie ruhmreich gestorben, das Nicht-Sterben ist feige, doch wie ist es süß! Wie ist es süß und verführerisch, nicht sterben zu müssen! Wie ist das Nicht-Sterben süß! Das U-Bahn-Graben nicht süß, auch das Nicht-Graben der U-Bahn nichts dagegen, das Sterben dagegen sehr. Nicht-Sterben doch angenehmer, das Sterben sehr angenehm, das Nicht-Sterben angenehmer. Probieren Sie es aus! Sie werden sehen: kein Vergleich, aber vergleichen werden Sie es nicht können. Deswegen sage ich es Ihnen ja. Nicht-Sterben süß und freundlich. Eine große Freude kann ich Ihnen ankündigen: nicht sterben! Bitte sterben Sie nicht, ich rate Ihnen dringend dazu! Sterben Sie nicht! Lassen Sie den Ruhm links liegen und sterben Sie nicht! Heben Sie das Haupt empor und sterben Sie nicht. Beachten Sie den Greis nicht, der sterben muß, nachdem alle seine Kräfte entschwunden sind! Beachten Sie den gar nicht! Sterben Sie nicht, ich sage es Ihnen, sterben Sie nicht! Kommen Sie, gehen Sie nicht, kommen Sie schon, sterben Sie nicht! Verzehren Sie sich meinetwegen nach dem oder jenem, aber sterben Sie nicht! Lassen Sie sich nicht ganz aufzehren und seien Sie auch selber nicht Wegzehrung! Nicht sterben! Meinetwegen schreien Sie soviel Sie wollen, schreien Sie das ganze Haus zusammen, nehmen Sie Gewalttaten gegen sich und andere in Kauf, seien Sie ohnmächtig durch Narkose oder die Kraft eines anderen Mittels oder eines anderen, aber niemals, solange Sie leben, sterben Sie! Sie sollten nicht sterben, vermeiden Sie das um jeden Preis! Um wirklich jeden. Legen Sie Hand an sich, legen Sie Hand auch an andre, aber sterben Sie nicht, lassen Sie Hand an sich legen, aber das hat Grenzen! Sterben Sie nicht dabei! Nicht sterben! Sterben: nicht Ihre Sache! Tun Sies nicht! Nicht sterben! Das werde ich doch wohl noch verlangen dürfen! Nicht sterben! Kämpfen Sie, aber sterben Sie nicht! Auch im Gefühl der Ohnmacht, als Greis, dem die Jugend, das Leben schwindet, ringen Sie von mir aus, ringen Sie, seien Sie lenksam wie ein Moped, ein Auto, ein Laster, ein Linienbus, aber sterben Sie nicht! Verzichten Sie auf die Jugend, verzichten Sie auf die mittleren Jahre, verzichten Sie aufs Alter, aber sterben Sie nicht! Machen Sie, was Sie wollen, aber sterben Sie nicht!

 

5) Im Keller

Mit schwerem Hasse grollst du diesem Mann? Mit wohlverdientem Zorn? Das erkenn ich schon von weitem! Und mit gutem Grund! Der Grund ist eingebrochen, da ist jetzt eine Höhle, ein dunkles Loch, was seh ich? Abziehbilder an den Wänden, Kühlschrank, Lüftung, einen Tagesablauf, der für den Citymarathon schon übt! Da läuft er hin, der Tag, da verläßt es uns nicht, das Verlies; da ist sie hingegossen, die Betontür, unser Stöpsel vor der Leere, ein luft-, schall-, wasser-, gas-, mottenfraßdichter Verschluß für die Ewigkeit, die immer nur in eine Richtung geht, nach innen, nicht hinaus, hinaus dringt nichts, dahinter die Tochter und die Kinder, sind gleich die Frau und die Kinder. Alle sind gleich. Für mich sind alle gleich. Dem abgezogenen Tintenfisch, ich meine nicht, daß den jemand abgezogen hat, oder doch?, dem Tintenfisch-Abziehbildchen hat eins der Kinder einen Fuß weggekratzt, ein Tentakel, vielleicht weil kein Arm mehr bis hierher ragt?, keine Sonne, kein Mond, keine Sterne, kein Garnichts? Und das alles, weil Sie Ihre Mutter mehr und vor allem anders geliebt haben, als Sie es hätten sollen, hätten dürfen?, und die Mutter damals auch schon eingesperrt, als es nicht mehr anders ging, weil sie selber nicht mehr gehen konnte, denn davor haben Sie sich nicht getraut, was?, die Mutter eingesperrt fürs Alter im lichtlosen Kabinett, im Obergeschoß, das Fenster zugemauert, eine eigene Strafkammer, vorgesehen für die letzte unblutige Rache?, und das erfahren wir jetzt erst? Alle immer eingesperrt, dieses Einsperren hatte Methode, ja, die Sperre in Ihnen hat nur Sie als Schlosser zugelassen! Sie haben sich mit eingesperrt, mit sich selbst und sogar mit Mutter eingesperrt! Haben Sie Ihre Mutter begehrt wie ein Sohn seine Mutter nicht begehren soll, und hat es Ihnen nichts genützt?, und haben Sie dafür etwa die Tochter begehrt, wie keine Tochter vom Vater begehrt werden soll? Wer tut schon, was er soll? Wer tut schon nicht, was er nicht soll? Nur die heilige Dreifaltigkeit, die nie eine Dreieinigkeit ist, die streiten immer, daher der Lärm im Keller, daher die Stille im Keller, daher die Kinderstimmen im Keller, ohne Ausweg das Schreien. Es sind auch die Stimmen von Radio und Fernsehn gestattet, diese Stimmen gehören zum Inventar, sie sind Einrichtungsgegenstände, die auch mal laut werden können, die Laut geben können. Das alles wurde nach unten geschafft, und der Vater, der Großvater, der Dreieinige, der aber keinen Dritten duldet neben sich, der Gott, er steigt hinab, er steigt jeden Tag hinunter, nachdem er eingekauft hat, der Vater der Tochter, der Mann der Tochter, die an ihren Fesseln zerrt, die am Opferaltar zerrt, die an ihren Kindern zerrt, doch keiner bewegt sich, wohin auch? Es ist kein Platz, es ist nicht einmal für Gott noch Platz hier, doch, Platz für den Vater!, Platz da!, der auch der Großvater ist, Platz da! Platz, noch mehr Platz da! Der Vater will in die Ferien fahren, und dafür braucht er Platz außerhalb dieses Ortes, denn der Vater fährt in sich fort und außer sich fort, wenn er außer sich gerät, und das ist oft. Die Tochter, die eine Frau ist, die seine Frau ist, bleibt da. Thailand ist nicht für sie, Thailand ist nichts für sie, die freiwillig keinen Streit suchen würde, wozu streiten?, dort sind andere Frauen! Dafür ist hier nicht der Raum, dafür ist kein Platz. Den Platz nimmt der Vater ein, der der Großvater ist, mit seiner Tochter, die seine Frau ist, das ist ein einnehmender Mann, der wollte die eigene Mutter zur Frau nehmen, doch das ging nicht, das ging damals noch nicht, das war damals verboten. Ödipus hätte nicht diese schreckliche Fußschwellung bekommen, wäre es nicht verboten gewesen, das Verstümmeln des Sohnes, an Gliedern, die er nötig braucht, er braucht seine Schwellfüße, er braucht seine Schwellkörper, um die Mutter zu ficken, wie könnte er das ohne Schwellkörper, ohne Kopf, ohne Glied? Ohne das wichtigste, um die Mutter zu ficken, so, den Vater jagen wir weg!, damit wir später selber Vater und Mann in einer Person sein können, oder? Kein einziges Glied darf verstümmelt werden, sonst muß man später mal seine Mutter ficken. Keine Lunge darf herausgeschnitten werden, sonst ist die andre ganz allein, sonst ist der ganze Körper allein, er wird einseitig, weil etwas fehlt. Diesem Mann fehlt zum Glück nichts, er ist gesund, vielen Dank. Ich habe meine frühkindliche Sexualperiode, das rinnt und rinnt, ist nicht zu stoppen, diese Periode, ich darf aber die Mutter nicht ficken, nein, nein, das darf ich nicht, einsperren, das geht, aber nicht ficken!, also muß ich auf meine Tochter warten, die darf ich dann, die darf ich, nimm zwei, nein, nimm nur die eine, die genügt! Ich bin ein männliches Kind und habe Interesse an meinen Genitalien, die ich der Mutter schenken möchte, bitte, Mutter, nimm meinen Schwanz auch noch, da du mit Papa, der zu früh ging, der noch selber zügig gehen konnte, meine Füße verstümmelt hast, das tut so weh!, aber den Schwanz hab ich noch. Es wird dauernd an einem herumgeschnitten, und dann fehlt plötzlich etwas, eine Lunge, ein Herz, ein Magen, eine Niere, mein Schwanz fehlt mir derzeit sehr, obwohl ich ihn ja noch habe; meine Mutter, die ich nicht mehr habe, fehlt mir auch, ich bin ein Schwellerfuß, ich bin ein Prostatafuß, ein Schwellkörperfuß, durchstochen mein Fuß, das ist eine Kränkung, eine Verletzung, die nie mehr gutzumachen ist. Ich muß die Tochter, ich muß die Tochter, ich muß, ja, was muß ich denn, muß i denn? Ich muß etwas mit dieser Tochter machen, ich weiß nur noch nicht, was, am besten das, was ich immer mit ihr mache. Ich muß zuerst die Kinder zählen, die nicht zählen, die noch nicht selber zählen. Ich möchte nicht dieses hochgeschätzten Teiles von mir beraubt werden, und damit meine ich nicht die Tochter, damit meine ich mein Genital, na, ich werde es nicht rauben, ich werde mir doch meinen Schwanz nicht nehmen lassen!, ich werde seiner dennoch beraubt werden, Mama! Man raubt mir einen wichtigen Teil, dafür will ich, dafür muß ich dich bekommen. Dafür gehörst du jetzt mir! Nur mir! Wem eine Lunge geraubt wird, der weiß ja gar nicht, was für ein Glück er hat, denn die Lunge ist zwar wichtig, aber er hat ja noch eine zweite. Ich habe nur dieses eine Teil, mit dem ich die nächtliche Inkontinenz übe. Ich kann es nicht halten. Ich kann es nicht halten, aber wofür habe ich denn die Tochter? Wozu habe ich sie erzogen, ich habe sie eigens dafür gezüchtet. Ich für meinen Teil habe diese Tochter gezüchtet. Ich habe diese Tochter für mein Teil gezüchtet. Es gibt welche, die haben ihre Lunge zum Atmen gezüchtet, aber mit einer kommen sie auch aus. Ich komme ohne mein Lieblingsteil, welches brutal bedroht wurde, und zwar mit der Wegnahme, dem Abschneiden bedroht wurde, ich weiß nicht von wem, von der Mutter, an der ich es erproben wollte?, nein, sie wollte mir mein Teil nicht nehmen, mein Teil ist nicht von dieser Welt, so gut ist es, es ist auch Teil für die Unterwelt, die gegraben wurde, für die Tochter, die Mutter ist, die nicht meine Mutter ist, eben nicht, das ist es ja!, genau!, keine Mutter, die oben eingesperrt, sondern die Tochter, die unten eingesperrt ist, mitsamt den Kindern, die meine Kinder sind. Ohne mein hochgeschätztes Teil, welches mir brutal, aber doch überlassen blieb, hätte ich nicht die Tochter ficken können, hätte ich meine Mutter nicht ficken können, bitte, das habe ich ohnedies nicht gemacht, sie hat es nicht erlaubt, aber probiert hätte ich es gern, das können Sie mir glauben! Man hat mir meine Füße durchstochen, damit ich der Mutter nicht nachkommen, nicht einmal nahekommen kann, ich, ihr einziger Nachkomme!, damit ich die Pflichten meiner Mutter gegenüber nicht erfüllen kann, dafür erfülle ich jetzt meine Tochter mit diesem Teil und mache sie selbst zur Mutter. Selbst ist der Mann. Weil ich die Mutter nicht haben konnte, mache ich meine Tochter zur mehrfachen, zur vielfachen Mutter. Ich beobachte mein Genital, ich habe nichts Besseres zu beobachten, es gibt auch nichts Besseres. Die Kinder picken Tintenfisch-Abziehbilder an die Wände ihres Kerkers, und dann kratzen sie denen die Füße weg, das ist unordentlich. Ich aber sorge für Ordnung. Wir haben hier unten so wenig Platz, daß für Ordnung gesorgt werden muß im Keller, den ich selber geschaffen habe, den Keller habe ich gebraucht, das werden Sie wohl verstehen, wo sollte ich sonst die Tochter auf Dauer zu meiner Frau machen und zur Mutter meiner Kinder? Wo denn, wo? Ich sehe weit und breit nichts, keinen Ort, wo ich das tun könnte. Wo ich doch die durchstochenen Füße habe und nicht weit gehen kann. Ich begehre meine Mutter, was verboten ist. Ich begehre meine Tochter und mache sie zur Mutter, was zwar auch verboten, aber menschenmöglich ist. Ich tue mein Möglichstes. Diese Lunge begehrt ihr Gegenüber, hat aber keins mehr. Vielleicht sollte ich meiner Lunge einen Spiegel schenken, damit sie sich ihre zweite Hälfte, ihre bessere Hälfte, vorspiegeln kann. Ich könnte der Höhle, die kein Keller ist, die eine Brusthöhle ist, im Gegensatz zu meinem Keller und meiner kleinen Familie dort unten, ich könnte mir ein Tiefen-Foto des Lungenflügels dort hineinpicken, oder ich kann es mir auch in die Haare schmieren. Außerdem wird an der fehlenden Lunge nicht Mutterstelle vertreten, doch der Kuchen, nein, nicht der Mutterkuchen, der Blutkuchen ist bereits dort und nimmt schon fast den ganzen Raum ein. Wir müssen im Keller mit dem Raum sparen, wir haben dort Kinder zu versorgen! Wir müssen dort auf Kinder Rücksicht nehmen! Die Kinder, die wir nicht an die Oberfläche geschickt haben, weil sie krank waren, weil sie geschrien haben, die müssen wir jetzt im Keller versorgen, dort, wo wir sie zeugten, wir sind ein guter, aber strenger, aber gerechter Vater, nur die Füße wollen nicht mehr so recht, wie damals bei Mama auch, ich meine, Mamas Füße wollten irgendwann einmal auch nicht mehr, meine Schwellfüße, die Schwellkörper wollen nicht, aber die Füße sind geschwollen, da ist eine kleine Stelle, die geschwollen ist, es ist eine Mutterstelle, sie befindet sich nicht an meinem Körper, sie wird vertreten, die Mutterstelle wird vertreten, wer vertritt da Mutterstelle? Es ist ja gar nicht nötig, denn ich habe die Tochter an Stelle meiner Mutter zu der und jener Stellung bereits verpflichtet. Die Tochter füllt die Leerstelle meiner Mutter sehr gut aus, und den Rest füllen meine Kinder, die gleichzeitig meine Enkelkinder sind, auch sehr gut aus. Schaut alles insgesamt schon sehr gut aus, noch kein Kind vorhanden, lauernd am Tisch, im Bett, mehr hat es nicht, mehr Raum hat es nicht, noch kein Kind vorhanden, das mit der Möglichkeit seiner Kastration rechnen würde und stattdessen, um mir zuvorzukommen, mich kastrieren würde! Noch keins, das auf die Idee käme. Gut. Das ist gut. Noch kein Lungenflügel, der mit demselben Messer, das schon seinen Partner rausgeschnitten hat, auf die Suche nach dem Schuldigen geht, der ein Arzt ist. Herr Doktor, ich rufe Sie zur Ordnung, schauen Sie, wie schön wir Ordnung hier im Keller halten, das ist nicht einfach mit all den Kindern, die Unordnung machen, aber die Tochter, die meine Frau ist, sorgt schon dafür, so gut sie kann. Mein Sexualleben ist nicht erschöpft, es ist keineswegs erschöpft, es erschöpft sich nicht, indem es sich an Stelle des Vaters bei der Mutter setzt, es macht die Tochter zur Mutter und sich selbst zum Vater, und ich gehe mit meinen Organen immer gern mit, da ist immer was zu tun, und ich bin ja Bastler und Hobby-Heimwerker. Das funktioniert recht gut, besser als ich dachte. Das Graben ist nicht immer etwas, das zu einem Grab führt, es kann auch zu neuem Leben führen, hier bitte, meine Kinder, die meine Enkelkinder sind! Sie haben zwar nie die Sonne gesehen, aber sie haben etwas Besseres gesehen, nein, sie haben nicht etwas Besseres verdient, aber sie haben etwas Besseres gesehen, und zwar die Sonne, die hier unten ganz eigen ist, den Gott, der ich bin, ein Sonnengott für sie, da sie die Sonne ja nicht haben und nicht bekommen werden, wenns nach mir geht. Wenns nach mir geht, kann ich jederzeit gehen, aber meine unterirdische Familie, meine Tochter, die ich an Mutterstelle annahm, um Mutterstelle bei ihr einzunehmen, nein, das stimmt nicht, ich habe immer andre Stellungen bei ihr und mit ihr eingenommen, derzeit die Vaterstelle, dann die Mannesstelle, dann eine andre Stellung, damit es nicht langweilig wird, aber meine Erdfamilie, meine Erdmenschenfamilie, die muß bleiben, ich aber kann gehen. Wenns nach mir geht, kann ich jederzeit gehen, aber meine Familie unten im Keller, die bleibt, die bleibt mir, die wird mir bleiben, was auch passiert, o je, jetzt ist es schon passiert. Doch so war es gedacht, so wurde es gemacht. Wer sagt das, daß der Ödipuskomplex an der Kastrationsdrohung zugrunde gehe? Keine Rede davon. Ich bin einer der wenigen, die das ausprobiert haben und wieder zurückgekehrt sind von dieser Reise, und ich kann Ihnen sagen: Eine Lunge mag die andre begehren, aber nie sehen, weil sie ganz daneben ist oder weil sie gar nicht mehr da ist, aber ich bin an der Kastrationsdrohung meiner Mutter, die mir vorsorglich die Füße durchstochen hat, nicht zugrunde gegangen, im Gegenteil, ich bin daran gewachsen! Ich bin auf meinen Füßen gewachsen! Mir ist auch der Schwanz daran gewachsen, allerdings nicht gegen die Mutter, gegen die ich nicht einmal die Hand erhoben hätte, gegen diese wunderbare Frau, nein, niemals!, die thront in lichtloser Mansarde, die ich persönlich lichtlos gemacht habe, durch Vermauern des einzigen Fensterchens, nein, ich habe meinen Ödipuskomplex an der Tochter verwirklichen können! Ich habe gewartet, und dann habe ich mich an der Tochter verwirklicht, indem ich mich an ihr vergangen habe, vergehen mußte!, sonst wäre ich ja nie zu ihr in den Keller gekommen. Danke vielmals. Das war nicht der gerade Weg, aber immerhin ein Weg. Ich konnte die elterliche Autorität weiter ausüben, auch gegen meine Kinder, welche auch meine Enkel sind, Generationen von Autorität. Kein Scheißvater, keine Pißmutter, alles Pißnelken, nur ich, nur ich, nur ich. Ich nicht. Nur ich. Wenn man nicht gehen kann, weil man fußmarod ist, fußtot ist, dann muß man wenigstens ordentlich ficken können. Dann darf man keine Kastrationsangst haben. Keinen Moment lang. Und hatte man sie gegen die Mutter, hat man sie gegen die Tochter nicht, keineswegs, dann ist sie verschwunden, die Angst, endlich verschwunden!, weg ist sie, weitgereist, die Angst, weit fortgereist, die Angst ist weg, man hat plötzlich keine Angst mehr, kastriert zu werden. Man hat vielleicht Schmerzen im Schwellfuß, aber man hat keine Angst mehr, vor nichts, man darf die Tochter ficken und zur Mutter machen, weil man die Mutter nicht ficken konnte, ist das nicht fein? Ja, das ist fein! Eine steht für die andere ein! Meine Mutter war anständig, hoch anständig, ich liebte sie über alle Maßen, über alle Grenzen, aber die Grenzen konnte ich viel später erst überschreiten, erst gegenüber der Tochter überschreiten, für die Mutter das Fenster vermauert, für die Tochter die Grenzen überschritten. Klar, da habe ich auf der andren Seite der Grenze die Tochter gesehen, sie sehen und die Grenze übersteigen war eins. Das ging wie geschmiert. Das ging ganz von selber. Das Ding ging wie geschmiert hinein. Die Tochter angekettet wie ein Prometheus, nur eben kastriert, wie die Tochter von Natur aus ohnedies war, und jetzt kann sie den Vater als Mann akzeptieren, Kunststück! Sie kann ja nichts andres, sie kommt nicht weg. Die kommt mir hier nicht weg. Ich bin mit durchstochenen Füßen in den Keller gegangen, habe Türen eingebaut, habe Regale zur Tarnung eingebaut, habe Kompott und Werkzeug in die Regale geräumt, Einsiedegläser und Werkzeug und alte Farbdosen, niemand weiß, was hinter dieser Tür ist, die nur ich von außen öffnen kann, ich brauche so eine Tür, die nur ich öffnen kann. So, die Zeit bekommt ein Schloß, jetzt kann sie ablaufen, wie ich will, nicht wie sie will, ich kann das Zeitschloß nach Belieben auf- und zusperren, genau wie die Tochter, ganz genauso. Ich beliebe alles, was ich will. Es ist ein Bedürfnis für mich, etwas zu haben, das nur ich aufstoßen kann, eine Tür, eine Tochter, egal was. Die Tochter öffnen, das ist gut, zuerst die Tür öffnen, dann die fest und sicher angekettete Tochter öffnen, die zum Opfer Angekettete, die den Radius genau bis zum Kübel hat, der als Klo dient, das ist hier so üblich, zuerst ein Kübel, dann wird ihr ein echtes Klo geschenkt, Gott schenkt ihr ein Klo, Gott und ich, wir schenken unserem Menschenkind ein Klo, Menschenskind!, das hat sie dermaßen unbändig gefreut, daß sie in ihren Banden bis zum Klo gekommen ist, zuerst bis zum Kübel, dann weiter, bis zum Klo. Ich bin Gott, denn kein andrer kann sie öffnen, diese Tür, diese Tochter, und für mich hat keiner einen Schlüssel, für mich gibt es gar keinen Schlüssel, ich bin immer offen zu Ihnen, auch zu meiner Tochter, immer offen wie mein dauernd geschwollener Fuß, wie meine armen dauergeschwellten Füße, wie mein dauergewellter, äh, mein dauergeschwellter Schwanz, den ich manchmal bis nach Thailand tragen muß, damit er endlich Ruhe gibt. Und wenn ich tot bin, sind die dort unten auch alle tot. Bitte, es mag eine Weile dauern, sie dauern mich, sie dauern mich nicht, aber dann sind sie alle tot. Meine ganze Familie dann ausgerottet und tot, tot die ganze Rotte Familie, die Familienherde, die von mir mühsam gebändigte Horde, die Kinder, die meine Enkelkinder sind, die Tochter, die meine Frau ist, die in meinen Familienbanden zappelt und strampelt, die meine Mutter ist, die mir alles war, meine Tochter, die ist, was ich will, was ich will, was ich will: alle tot und aus. Ich bin von Fährnis sicher, wenn ich dies tue, ich fahre vielleicht mal, nein, immer mal wieder nach Thailand, um meinen Schwellkörper dort, anstelle meiner Füße, nein, nicht dort, wo meine geschwollenen Füße sich am Abend ausruhen, sondern um meinen Schweller dort zu betätigen, er braucht was andres und eine andre Umgebung, mal was andres, was ganz andres, als er schon hat, das wird jeder verstehen, nur meine Mutter hat nicht verstanden, daß ich etwas andres gebraucht hätte, als ich hatte. Dafür habe ich ihr das Licht aus dem Fenster genommen. Sonst hatte sie ja nichts, was ich ihr hätte nehmen können. Daß ich sie gebraucht hätte, daß ich sie, meine Mutter, zu meiner Frau hätte machen wollen, daß ich sie als Frau gebraucht hätte, gebraucht und benutzt, das hat sie nicht verstanden, also mußte ich eben meine Tochter zur Frau und zu meiner Frau machen. Eine steht für die andre ein. Nur die eine Lunge ist nicht für die andre eingestanden, als die sie am nötigsten gebraucht hätte, sie ist jetzt weg. Was weg ist, ist weg. Aber ich, ich, ich, ich nehme mir, was ich am nötigsten brauche, meine Mutter, die meine Frau, die meine Tochter ist. Alles meins. Die Mutter nicht, aber alles andre, an Stelle der Mutter. Meins. Ich mache jeden Menschen in meinem Umkreis, der klein ist, der ein Keller ist, zu dem, was ich möchte. Alles meins. Ich muß dafür nichts verwandeln, es ist alles da und steht zu meiner Verfügung. Dafür entläßt mich jetzt die Stadt, entläßt mich jetzt der Keller, ich bin entlassen, nach all den Jahren, die ich treu gearbeitet? Entlassen? Wirklich? Ich soll gehen, die Tochter ist schon gegangen, Mama schon längst, durch die Tür, denn das Fenster hatte ich ja vermauert, ja, die Kinder sind auch gegangen, was bleibt mir? Eine Feindschaft gegen mich bleibt mir? Meine Rede! Meine Rede schweigt. Sie ruft nach ihrer Mutter, aber sie bekommt sie nicht. Die Mutter ist die Mutter aller Rede, meine Rede! Der Vater mag reden, er mag der Herr seiner Rede sein, und sein Wort sei jaja und neinnein, aber die Mutter ist die Herrin der Rede. Was die Mutter sagt, das gilt, auch wenn sie es niemandem mehr sagen kann. Ich sage meiner Tochter, die eine Mutter ist, die meine Frau ist, wovon die Rede ist, und sie sagt es dann weiter. Was bleibt ihr weiter übrig? Was bleibt von ihr übrig? Was ich von ihr übriglasse, ist doch klar. Sie erhebt sich wie ein Vogel über ihre Rede, die Frau ist ihre Rede, ihre eigene Rede, und von der Frau ist dauernd die Rede, und sie spricht auch noch selbst. Aber wir sagen. Wir sagen es ihr. Wir sagen es ihr vor. So ist das Los gefallen, so sind die Schicksalslose gefallen, und ich habe gewonnen. Ich bin ja auch der einzige, der diese Lose kauft. Ich habe eine Tochter gewonnen, als ich die Mutter verloren hatte, als ich die Mutter gar nicht hatte, nie hatte die Mutter. Das ist ungerecht. Mit meinen wehen, eingefaschten Füßen muß ich die Tochter ficken, aber dafür brauch ich die Füße ja nicht. Alle Stellungen, alle Schwellungen, zu denen man die Füße brauchen würde, kann ich nicht ausführen. Es macht trotzdem Spaß. Und auch mein Fußleiden ist nicht wirklich ein Handikap. Was, wenn ich sterbe und mein Wille nicht mehr geschieht? Dann sterben die auch. Die Tür ist von innen nicht aufzukriegen, die Tür habe nur ich geknackt, nur ich kenne den Code, mein Schwanz ist mein kleiner Panzerknacker, den ich aber nicht brauche, ich kenne ja das Zauberwort, doch mein Schwanz, der leistet so viel wie eine ganze Bande, kann ich Ihnen sagen. Aber wenn mein Schweller nicht mehr anschwillt, wenn ich erlösche, dann läuft auch die Zeitschaltuhr des Türschlosses ab. Dann ist die Tür eine zur Ewigkeit. Dann ist die Tür keine Tür mehr, so wie das einzige Fenster meiner Mutter kein Fenster mehr war, nachdem ich es zugemauert hatte, kein Ausweg mehr, kein Notausgang, dann geht es nur noch in eine Richtung, nur mehr in eine Richtung. Dann gehts nur noch raus, weil keiner mehr reinkommt. Dann wird keiner mehr wissen, was unten rauskommt. Da können die an die Wände des Kellers klopfen, soviel sie wollen. Da kommt nichts raus. Dann kommt nichts raus. Dann kommen die nicht mehr raus aus der Höhle, wo sie nur ihre eigenen Schatten sehen, aber mich werden sie dort nicht mehr sehen. Wenn ich weg bin, sind sie es auch. Wir sind verbunden wie zwei Lungenflügel, die sich zum Abendspaziergang, zur Atemwanderung verabredet, aber einen Treffpunkt ausgemacht haben, den sie nicht finden, weil es ein falscher Treffpunkt war, weil hier niemand getroffen wird, weil hier niemand mehr angetroffen werden kann, diese Lungenflügel treffen einander nie mehr, nimmermehr. Ich treffe meine Tochter, die meine Frau ist, noch, und wie gern!, aber wie lange noch? Das ist die Frage. Wenn ich mich töte, dann kann sie um Gnade flehen um ihrer Kinder willen, um ihretwillen meinetwegen auch, aber es wird ihr nichts nützen. Ich bin ihre Tür zur Welt, und ich habe ein Zeitschloß. Wenn geschlossen ist, dann ist eben geschlossen. Ich habe mich mit meiner Tochter, die meine Frau ist, beschenkt, da sich meine Mutter mir nie geschenkt hat, aber wenn es aus ist, dann ist es eben aus. Ich scheu meinen Tod, weil er den Tod vieler, meiner eigenen Kinder und Enkel, die auch meine Kinder sind, bedeuten würde, den Tod der Menschen, die mir viel bedeuten, aber wenn er kommt, dann kommt er halt. Dann ist es das Ende. Dann werden sie bestattet in der Höhle dort unten, und keiner wird es wissen. Meine Mutter war anständig, grundanständig, meine Tochter ist es nicht, dafür habe ich gesorgt, ich habe dafür gesorgt, daß meine Tochter nie NICHT anständig werden kann, höchstens durch mich, das ist das Höchste, der Vater, wenn man die Mutter nicht erreichen kann, nein, auch nicht am Telefon. Ein Telefon haben wir nicht dort unten, wir kommen gut ohne aus. Meine Tochter hat nichts mit meiner Mutter gemein, na, vielleicht doch, vielleicht hat mich meine Tochter irgendwie an meine Mutter erinnert, nein, an meine Frau hat sie mich nicht erinnert, denn jetzt ist doch meine Tochter meine Frau, nicht wahr, meine Tochter ist meiner Mutter ähnlich, nur anders, sie hat nichts mit meiner Mutter gemein, aber Ähnlichkeiten gab es schon, sie war auch wunderbar, sie war wunderbar, meine Tochter, die jetzt meine Frau ist, viel schüchterner und schwächer als meine Mutter, aber ich nahm sie trotzdem, meine Mutter war ja nicht greifbar, also nehme ich die Schwächere, meine Tochter, das ist sogar besser, und mache auch aus ihr eine Mutter, ich kann das, ich kann das, seit ich mich erinnern kann, wollte ich das schon, und ich konnte es auch. Ich wollte immer viele Kinder, trotz meiner geschwollenen Füße, viele Kinder, und die habe ich jetzt, Kinder als Enkel, Enkel als Kinder, viele viele viele! Sie sollten ja nicht als Einzelkinder aufwachsen, nicht wahr, sie sollten immer jemanden zum Spielen haben, nicht wahr, dafür hab ich sie ja gemacht, daß sie nicht allein bleiben müssen, sondern jederzeit jemand zum Spielen haben, der Traum von einer Großfamilie war von klein auf in mir, und ich habe ihn verwirklicht, ich habe eine Tochter, die eine Mutter ist, die meine Frau ist, die viele Kinder hat, dieses Motiv ist doch nichts Schlimmes, viele Kinder haben zu wollen?! Das ist ein gutes Motiv, finde ich. Ich habe sie immer geliebt, alle, und ich liebe sie immer noch. Ich steige in fremde Fenster ein, ich werfe Frauen aufs Bett und dringe in sie ein, aber am liebsten steige ich hinab in mein Kellerlein, zu meiner Familie klein, und dringe in sie ein. Ich wollte mit meiner Tochter einfach Kinder haben, das ist doch einfach, das ist doch einfach zu verstehen, oder? Das ist einfach zu verstehen. So. Ihr werdet mich bestatten, wo das Schicksal will, ihr werdet mich nicht in diesem Keller bestatten, der war für andres vorgesehen, der war als Atombunker vorgesehen, nein, nicht als Atembunker, die Luft war knapp, für so viele Lungenflügel zu knapp, soviel Luft hatten wir nicht, der war als Stauraum auserlesen, der war für spätere Ziele ausgewählt, ich denke voraus, ich bin vorausschauend, ich bin der Gott der Vorsehung, und ich habe mich nie vorgesehen. Absichtlich. Ich habe die Kinder, die ich mir gewünscht habe, mit der Tochter, die ich mir als Frau gewünscht habe. Ich wollte diese Kinder, und ich wollte meine Tochter zur Frau. Ich bin mir selbst gewogen, obwohl ich jetzt ein Insasse bin, ich werde drunten ruhn, im Erdenschoß, ich werde nicht bei meiner Tochter ruhen, aber das habe ich schließlich lange genug getan. Lange genug habe ich sie eingeschlossen. Jetzt ruht sie woanders. Sie wird mich nicht verlassen, nie, obwohl wir woanders sind, wir sind nicht mehr dort, wo wir waren, wo für uns vorgesehen war zu bleiben, von mir, der Vorsehung, dem Gott selbst, dem Vater, dessen Wort gilt, sie sind nicht mehr dort, aber sie werden dort unten bleiben in der Höhle. Es werden keine Schatten an der Wand auftauchen, sie werden einfach nur unten in der Höhle bleiben, die Frau, die Kinder, auch wenn sie jetzt herauskamen. Sie sind unten, und sie bleiben unten. Enkel können die schlimmsten Feinde werden, aber meine nicht, denn meine sind auch meine Kinder. Ich habe das so bestimmt. Ich habe sie behütet wie keinen Fremdling. Ich habe sie behütet, ich habe ihnen die Hütte im Keller errichtet, wo sie Abziehbilder in Tintenfischform an die Wände kleben und sie wieder ruinieren konnten, Kinder müssen ja immer alles ruinieren, auch das, was schön ist, auch die Abziehbilder der Wirklichkeit, an die Wände geklebt und geschändet, irgendwas wollten sie halt an den Wänden haben, da dort keine Schatten je aufgetaucht sind, die Widerspiegelungen des Lebens nur im kleinen Fernseher, das mußte genügen. Wer braucht Schatten, wenn er einen Fernseher hat? Niemand. Ich bin nicht niemand. Ich brauche den Fernseher, ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, wer an mich glaubt, wird ewig leben, allerdings im Keller, aber besser dort als nirgendwo. Andere Wege, andre Wahrheiten gibt es für sie nicht. Sie werden mich nicht verlassen. Da verläßt sie eher ihr Fernseher als ich! Da braucht ihr mir kein Totenopfer zu spenden, Opfer mache ich, Opfer brauche ich, Opfer muß ich nicht gespendet bekommen wie alte Decken, die habe ich selber, die Opfer im Keller. Ich schenke meiner Familie nicht einmal mehr meine Heimkehr, ich habe ihr nichts geschenkt, doch jetzt schenke ich ihr nichts mehr. Mir wurde doch auch nichts geschenkt! Ich bringe ihnen Leid durch meinen Tod, nein, ich bringe ihnen nichts durch meinen Tod, mein Tod bringt ja nichts, er bringt ihnen nichts, er nimmt mich fort. Die haben mich womöglich fortgewünscht, bitte, jetzt haben sie es erreicht! Aber sie werden mich für immer behalten. Sie werden mich immer haben. Sie säumen, sie säumen das Nichts, sie säumen, sie säumen ihre Totenhemden, sie zögern aber, mir den Tod zu geben, denn dann kämen wir alle nie mehr hier heraus aus dem Keller, aus dem Loch. Sie geben mir nicht den Tod, und mehr als den Tod hat niemand. Ich kann ihnen das Leben nehmen, doch sie sind es mir nicht wert, ihnen den Tod zu geben. Ich zeige ihnen den Pfad, den sichersten, und es ist nicht der Pfad hinaus, doch sie können ihn sowieso nicht gehen. Die Zeit hab ich ihnen verschlossen, das Leben habe ich ihnen verschlossen, den Pfad habe ich ihnen verschlossen, den Fernseher aber habe ich ihnen gegeben. Meinen Segen aber gebe ich euch, das Leben aber nehme ich euch. Fehlt noch was? Danke, mir fehlt nichts. Ich werde ihnen fehlen, denke ich mir einmal. Der Pfad ins Leben ist der sicherste, denn man kann keinen andren gehen, und diesen Pfad hab ich ihnen gezeigt und wieder genommen. Wenn sie nicht gehen wollten – ich konnte sie nicht zwingen! Bitte, ich kann sie nicht zwingen! Feinde waren sie mir im Leben, doch ich war der einzige Freund, den sie hatten, und das wußten sie auch. Nach dem Tod nütze ich ihnen nichts mehr. Sie haben sie hinweggeführt, meine Familie, die Tochter, die meine Frau war, die Kinder, die meine Enkel waren, töten wollten sie mich, mich!, ihren Lebensretter, ihren Lebensspender, ausgerechnet mich töten und den Hunden geben!, das wäre sinnlos gewesen, denn sie durften und sie dürfen auch jetzt nicht mehr hoffen, je mich wieder auszutreiben aus ihres Vaters Keller, aus meinem Keller, mich aus meinem Keller auszutreiben. Gebt mich den Hunden, von mir aus. Werft mich den Hunden vor! Und die Hunde können dann von mir aus liebe Haustiere werden, etwas Schönes für die ganze Familie. Die können dann ihren Spaß mit den Hunden haben. Ich erlaube es ihnen. Hunde machen doch soviel Freude. Sie machen viel Freude vor allem jenen, die viel durchmachen mußten. Und diese Freude können sie jetzt von mir aus haben, indem sie einen besten Freund des Menschen haben, einen netten treuen Hund. Von mir aus. Ich sterbe, aber mein Wille geschehe trotzdem, und das ist wohl auch das Beste. Mein Wille geschehe. Zu uns komme mein Reich, das ein Keller ist. Mein Wille gilt im Himmel wie auf Erden. Mein Wille geschehe, und er geschieht auch, damit nichts passiert. Unser tägliches Brot hab ich ihnen jeden Tag gebracht, hinuntergebracht, eigens hinuntergeschleppt, Windeln, rezeptfreie Medikamente, Süßigkeiten, so viele Süßigkeiten!, dafür mein Wille geschehe, im Himmel, der ich für sie bin, wie auf Erden, wo sie nicht hindürfen. Damit vergebe ich mir nichts, damit vergebe ich mir gar nichts, indem ich ihnen ihr tägliches Brot hinunterbringe. Die wollen mir was vergeben? Wo ich mir doch nie etwas vergeben würde! Die wollen das an meiner statt tun? Damit ich meinen Schuldigern ihre Schuld vergebe? Ich bin doch nicht blöd! Ich vergebe mir nichts, wenn ich nichts vergebe, denn ich habe nichts zu vergeben. Ich vergebe mir nichts, indem ich nichts zu vergeben habe. Und führt mich nicht in Versuchung, sondern erlöst euch von dem Übel, das ich bin! Erlöst euch von der einzigen Freude, die ich bin! O Gott, ist mir übel von alldem! Mir reicht es. Aus. Schluß. Sense. Skalpell. Punkt. Ende. Aus. Aus mit dem Ausgang! Aus, aus, aus!

 

6) In der Hölle

Bin ich hier richtig, bin ich für hier richtig hergerichtet, bin ich für meine Hinrichtung richtig hergerichtet? Mir fehlt da was, lassen Sie mich trotzdem rein? Sie Wächter Sie, sehen Sie nicht meine Schmerzen? Ich habe mich als Heiliger beworben, um in einem weichen Fernsehstuhl zu sitzen, mein Ableben lang, es wäre ein kleiner Versuch gewesen, nicht mehr getragen zu werden, nicht mehr ins Gestell zu müssen; seit wann habe ich eigentlich keinen Stuhl mehr?, nur weil Sie gefragt haben, danke, ich möchte nicht mehr getragen werden, denn die Träger des Heiligen hätten mich doch mitsamt meinem Stuhl wegtragen müssen. Und bei meinen Schmerzen wäre mir das Aussteigen aus dem Stuhl nicht mehr zuzumuten gewesen. Und wo bin ich gelandet? Wo bin ich hier? Ich weiß nur, daß ich hier richtig bin, daß ich hier sitze in all meiner Schönheit als Heiliger, und doch wieder mal am falschen Ende gelandet bin. Das weiß ich sicher. Von mir geht ein starker Reiz aus, deswegen habe ich ja immer alle so gereizt, bis aufs Blut, habe nicht gegeizt, habe gereizt, weil ich es konnte. Warum bin ich gestorben? Weil ich es konnte! Warum habe ich gelebt? Weil ich es konnte! Und diesen Ort habe ich auch gefunden, obwohl ich einen andren gesucht hatte. Ich habe diesen Ort hier gefunden, tief in der Höhle, obwohl ich einen Vorort in lichter Höhe gesucht hatte, wo die nebelfeuchte Wolke zu Schnee geworden wäre. Wo ich ein stilles, jähes, gemeinsameinsames, abgrundschwindendes adlernistendes Felsgehänge gesehen hätte, und jetzt sitz ich schon selber drinnen im Nest, im letzten Nest, ein endgültiger junger Adler, oder ein junggebliebener Adler?, doch meine Eltern sind erschossen worden. Vati erschossen, Mutti angeschossen. Jetzt füttert mich keiner mehr, ich ernähre mich von mir selbst, reiße mir dafür die Leber raus. Die Lunge hat ein andrer genommen, weiß nicht mehr, wer das war, statt der Lunge das Loch mit diesem dunklen Kuchen drin, aber wer kocht jetzt den Kaffee? Meine Entscheidung. Doch es ist keiner da, außer mir und meiner Beute, die ich auch selber bin, an der die Hunde nagen und der Rest nagender Raubvögel Beute werden muß. Komm, Tod, komm herbei! Entschuldige, du warst ja schon da, hab ich doch glatt vergessen! Ich hab dich doch weggeschickt! Wo kann ich einen Weg aus meinem Nest, dem schrecklichen, erspähen? Wo ist meiner Bande Lösung, wer löst sie, die Bande, die ganzen Bande, die ganze Bande? Wer löst mir das alles auf? Wer will in mein Innerstes? Bin jetzt der Hunde Beute, der nagenden Vögel Mahl, ich sagte es schon. Ich will raus aus dem Nest, Schmerzen, Schmerzen! Ich jammere laut zum Himmel empor, wo ich jetzt eigentlich sein müßte, wenn alles normal verlaufen wäre, jemand hat mich statt dessen hier untergebracht, hier heruntergebracht, vielleicht nur damit ich zum Ewigen einen flehenden Gesang, ein flehentliches Gesamt, das Krächzen eines toten Vogels hinaufsenden kann, und ich habe nicht einmal eine Briefmarke dafür, auch keine Adresse, daß ich mich dem Ewigen zuwenden könnte. Und fluchtlos blieb meine Furcht, und furchtlos blieb meine Flucht, und so stark hat das Herz gepocht, jetzt spür ich es gar nicht mehr, zum Rauffliegen hätte ich es gebraucht, dazu braucht man einen Hilfsmotor, dafür braucht man Kraft, die der Kranke nicht hat. Der Kranke wird von des Vaters Wort zu Boden geschmettert, der ihm das alles prophezeit hat, schon vor langer Zeit. Ich flehe um Schutz, und den Schutz ziehe ich von meinem Geschlecht ab, im Schutz ein paar klebrige trübe Tropfen, so, da haben wir den Schutz, er ist nicht mehr ganz sauber; da ist ein Abziehbild, hat jemand dem Schutz aufgedrückt, das muß ich wie den armen kleinen Tintenfisch im praktischen Lebendgrab, viel praktischer als ein Totengrab, wo der Lebendtotengräber Tochter und Kinder als Frau und Kinder lebend begraben hatte, das Abzugsbild muß ich auf die Kacheln vom kleinen Bad kleben, dann können die Kinderchen dem Fisch die Füße ausreißen, wegkratzen, ausradieren, auslöschen. Wie mich. Ich bin jetzt auch unten, aber woanders. Ich kenne mich nicht aus, wo bitte geht es hier für die, die noch gehen können, weiter? Weit kann ich leider nicht gehen. Wie gehen die Gehenden hier? Die würden ja glatt wegrennen, wenn sie könnten. Ich kann nicht mal gehen und schon gar nicht tausende Jahre bergauf, bis ich da wäre bei diesem Adler, der ich selber bin. Ich würde mir hinterherfliegen, wenn mir nur ein andrer Adler einmal voranfliegen könnte, geht das bitte? Nein, gehen kann ich nicht. Vielleicht kann ich ja fliegen, aber ich hab es noch nicht ausprobiert. Ich muß aber. Ich muß das aber alleine machen. Ich kann nicht an Mama und Papa denken, ich kann nur an mich denken, aber Papa ist dagegen. Es gibt nur noch Haß. Es gibt nur noch den Papa, der die Scheiße an die Wände schmiert, aber da klebt schon dieser Tintenfisch, und den sieht man jetzt vor lauter Scheiße nicht mehr! Ist doch schade drum! Mein Vater, der Einäugige, der an einem flachen, kleinen Tintenfisch hängt, was andres hat er nicht mehr. Weg mit diesem menschenhinraffenden Schwindel! Weg mit den Menschen, weg mit den menschenraffenden Röcken, weg mit den Menschenaffen, nein, die dürfen bleiben. Die Menschen an sich raffen wie Kleider, die an den Flammen nicht anstreifen dürfen, sonst gehen sie in Rauch auf, diese Kleider sind ja keine Lampenschirme, die kann man zwar auch aus Menschenhaut machen, aber die sind die Hitze gewöhnt, Menschen an sich ziehen, das müßte doch zu schaffen sein. Ich raffe Menschen zusammen wie Laub, und dann raffe ich sie an mich, ich raffe Menschen wie Kleider, menschenhinraffender Schwindel, das Leben! Menschen wie Kleider raffen und rennen, rennen, rennen! Spaltend stürzt sich der Adler sonst auf sie, spaltet ihnen den Schädel, reißt ihnen das Hirn heraus. Jawohl, ich bin es, der dumme Adler namens Horsti, aber ich finde ja nicht einmal den Ausgang aus dem kleinen gekachelten, goldvervliesten Nest, wo dieser Tintenfisch an der Wand klebt, der abgezogene Tintenfisch. Mir wird meine Haut ebenfalls abgezogen, die ich verzweifelt an mich raffe wie dieses Verbrennungsopfer, nein, die Flammen hier sehe ich derzeit noch nicht, und ich kann auch nicht gehen, sie zu besichtigen, zu beaugäpfeln, keine Flammen hier, wo sie hingehören würden, aber vielleicht dort unten in der U-Bahn, das Opfer rennt und rennt und schreit und schreit und rafft eben seine Kleider an sich, und plötzlich merkt es, daß das, was es die ganze Zeit für seine Kleider hielt, daß das seine Haut war, seine echte, eigene Haut, seine gute Haut, die das Opfer so lange wasserdicht gemacht hat und die jetzt hinter ihm herweht wie eine Regenhaut, aber eine, die es nicht mehr anziehen kann. Komisches Gefühl. Wasch mich, aber mach mich nicht naß, sagt die Regenhaut und sagt die Regelhaut, die dafür gemacht ist, daß man sich nicht naß macht vor Angst, sondern von außen. Ein begründetes Gefühl hier unten, wo es nur tränenerzeugenden Kampf gibt, das Schreien der Tochter, das eine Auge des Vaters, keine Ahnung, wo das andre geblieben ist, in irgendeinem Eimer in irgendeinem Spital, egal, hier gibt es Gesänge und Gepränge, und hier wird man wie ein Heiliger herumgetragen, wenn nur erst jemand käme, der mich ertragen würde! Da bin ich in ein aufruhrblutiges Netz gestürzt, hab es geschürzt wie meine gute arme Haut, abgezogen von einem Brand hier unten, den ich nicht sehe, ich weiß aber, daß es hier irgendwo brennt. Daher müßte es Flammen geben. Oben würde nichts brennen, hier unten aber schon, wo ich mich grausig niederlasse, in diesem Land muß ich jetzt wohnen, hier unten, mein Name ist Horsti, aber mein Adler muß ich auch noch selber sein. Ich sehe niemanden. Man sagt mir, ich muß Gott auch hier unten ehren, wie Vater und Mutter, der Vater war der mit dem Auge, eins fehlt, eins hat man ihm weggeschnitten und entsorgt, was habe ich mich damals gesorgt um ihn! Jetzt kann ich nicht mal mehr für mich selber sorgen, hier ist nichts, hier ist niemand, es gibt nur noch Haß, nein, nicht einmal den. Ich bin Horsti, den Hassi kenne ich nicht, nein, auch nicht den Hasso, aber der muß hier auch irgendwo sein. Ich höre ihn nicht, ich sehe ihn nicht. Ich höre nur ein schwaches Hecheln, das muß aber eher vom Lungenverlust kommen. Das ist doch die Höhe, daß man niemand sieht! Nein, in der Höhe sieht man ja alles, aber ich sehe keine Flammen, von hier unten aus sieht man niemanden, wahrscheinlich weil niemand da ist. Ich kann meinem Vater irgendwie überhaupt nicht verzeihen, weiß aber nicht, was. Das Auge. Sein Auge ist weg, er ist auch weg, er ist mit seinem Auge mitgegangen, er konnte es nicht alleinlassen, aber das, was er noch hatte, schrie, das hat geschrien, das war ihm aber egal, er wollte unbedingt zu dem Verlorenen, zu dem verlorenen Auge zurück, verloren wie ein Spiegelei in einer Pfanne, in einer kleinen Pfanne, darunter Feuer, Feuer, Feuer, zu dem verlorenen Auge wollte er zurück, Papa!, du hast doch noch eins, beruhige dich, zu dem mußt du nicht den Lift hinunter nehmen, wo es verbrannt wird, im Krankenhauskeller, das bleibt bei dir, das verbliebene Auge bleibt dir doch noch! Ehrenwort, und mein Ehrenwort währt! Hast du denn kein Mitleid mit deinem Auge, das du noch hast, so wie ich Mitleid habe mit meinem Lungenflügel, dem einen, den ich noch habe, der andre auch im Keller verbrannt. Dazu die alte Regenhaut, die einmal die Haut von jemandem war, hinter ihm hergeweht ist in der Luft aus dem U-Bahnschacht, heiß die Haut, gierig, gierig wie ein junger Adler. So, der Älteren Furcht ist jetzt fort, ist jetzt auf der Flucht, die Älteren fürchten den Tod noch, die Armen. Meine Furcht ist jetzt fort und aus. Schreien Sie doch nicht so laut! Es hört Sie eh keiner, es hört Sie eh jeder, nur nicht beim Schreien, das heißt, es würde Sie jemand hören, wäre jemand hier. Hier ist niemand. In meinem Horst ist niemand außer mir, dem lieben Horsti. Grüß Gott, nein, das sagt man hier unten nicht. Hier unten schläft man in seiner eigenen Haut. Die eigene gute Haut als Schlafsack, die war noch recht gut, wenn auch nicht für ihren Besitzer. Diejenigen, die von ihrer eigenen, durch eine Riesenhitze entfernten Haut verfolgt wurden, einem Haut-Wechselbalg, der hinter ihnen herlief, weil sie ja bleiben wollte, die gute Haut, auf ihrem Besitzer bleiben wollte, nicht wahr, so wie das Auge bei meinem Papa und meine Lunge bei mir, diejenigen, welche, ich habe vergessen, welche das sind und was sie tun, sie wurden verfolgt, mehr weiß ich nicht, egal, die wollen alle bleiben, die Deppen, obwohl sie doch verfolgt werden, diese Idioten, die nicht wissen, daß sie es anderswo viel schöner hätten, in einem Ofen zum Beispiel, verbrannt!, verkannt verbrannt!, die Verbrennung erfolgt und aus, Schluß, dann haben sie es hinter sich, ich habe das Gefühl, für mich beginnt es jetzt erst, ja, für Papa auch, für unsere Organe, für sein Auge und meinen Lungenflügel beginnt das Fliegen erst, aber sie können es nicht, so landen sie im Krankenhausofen hier unten und werden verbrannt. Papa, dein Auge ist unwiederbringlich verloren, wie meine Lunge. Die sind jetzt weg. Willst mich auch noch opfern, im ganzen, zur Gänze, Vati? Du Abraham, ich Isaak, Vati, sag schön: Hier bin ich! Sag das laut und deutlich, damit dein Auftraggeber es hört, sonst sind wir nämlich beide weg vom Fenster, du und ich. Nun weiß ich, dass Du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Das hat dein Chef gesagt, und du hast es ihm geglaubt! Doch anstatt des Sohnes, des kleinen Horstis, an meiner statt bist du abgekratzt, Vati! Ich nur beinahe. Du zur Gänze abgekratzt, dich selber abgekratzt von der Pfanne, in die, ich meine in der du mich gehauen hast. Man hat mir gesagt, ich soll hier unten in der Hölle jemanden als einen Gewaltigen oder Gewaltbereiten oder Gewalttäter, ich habe vergessen welches davon, begrüßen, grüß Gott, ach so, das sagt man hier nicht. Ich begrüße Sie auf Ihrem Altar, darf ich mich einen Augenblick setzen?, in meinem Horsti ist es mir zu unbequem, dort könnte ich nicht einmal beten, obwohl man das hier sowieso nicht tut. Ich möchte eine heilige Stätte setzen an Stelle meines Hortes, an meines Horstes Stelle, ich möchte jemand andren an meine, Horstis, Stelle setzen, wenn ich die Stelle nur wüßte! Das wird nicht gutgehen. Keiner hier. Soll ich mich etwa in meinem Horst als Altar mitten hineinsetzen, soll ich mir etwa einen Altar setzen, ganz für mich allein? Aber den Altar such ich doch, den such ich mir aus, was?, keiner hier unten? Ich könnte gut ein Altar sein, auch in meinem Alter, könnte mich herumtragen lassen wie ein Taubenschwarm, der in der Luft, ja, die Luft, die hab ich früher auch gern gehabt!, vorm beschwingten Falken flüchtet, sich verbirgt vor den blutverwandten Feinden, Papa und Mama, größte Feinde das, leider von mir, genau!, das sind meine Feinde. Papa oft größter Feind, einen ganzen feindlichen Stamm könnte er erzeugen und zeugen, der Papa. Einen ganzen Sohn könnte er opfern, bevor er selber geht, der Vati. Ein Vogel, der vom Vogel fressen würde, wenn man ihn ließe, die eigenen Kinder fressen würde, wenn er könnte, diese zehn Jahre, die ich ihm irgendwie niemals verzeihen kann, ja, das Auge, das Auge hab ich auch schon nachgespielt, allerdings das andre, das ging, das gehen mußte, ich bin gleich mit ihm mit. Liebes Auge: Komme sofort! Moment! Ich hab da grad ein Gespräch in der Leitung, aber dann komm ich sofort! Papi wollte beim gesunden Auge bleiben, das auch bei ihm geblieben war, Kunststück, die waren unzertrennlich, Papa und sein gesundes Auge, ich bin dem andern nach, dem kranken, hinunter in die Verbrennung, wo die Öfen stehen und für Hygiene sorgen, damit sich fremde Menschen nicht an einem kranken Vaterauge infizieren können. Das verstehen doch sogar Sie, oder? Wie wär ein Vogel rein, ich meine: sauber, der von einem andern Vogel frißt? Wie könnte man sich an einem kranken Auge denn nicht verunreinigen? Wie ein sich sträubendes Weib vom Vater befreien, nur weil es auch seine Tochter ist, sein Weibi und seine Tochter zugleich? Wie befreien? Ich komm ja nicht mal aus meinem Horst heraus, ich komm nicht mal aus mir, aus meinem Horsti, meinem lieben Ichi, heraus. Nur meinem Lungenflügel ist das gelungen. Der Lungenflügel ist mit meines Vaters Auge davongeflogen, und weg ist es, weg sind die beiden, weg miteinander, diese Organe sind dermaßen vergnügungssüchtig, wollen dauernd ausgehen! Was die wohl vorhaben? Ihre Möglichkeiten sind sehr beschränkt, aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten werden sie schon was finden, hoffe ich. Die sollen sich ruhig unterhalten oder nicht ruhig, von mir aus. Diese Regenhaut, die der Hitze halber vom Körper fiel, davonflog, dieser Lungenflügel, der aus meinem Körper fiel und mich nur noch halb, halbiert, zurückließ, die können sich nicht miteinander unterhalten, für ihren Unterhalt komme ich nicht länger auf, so wie Papi für meinen Unterhalt nicht länger aufkommen wollte, er mußte ja sein Einäuglein suchen gehn, und Zweiäuglein schrie die ganze Zeit und schrie und schrie. Hier nützt das keinem. Hier kann man schrein, soviel man will. Nimmer, sage ich, niemals, selbst im Totenreich nicht wird, der sowas tat, ein Auge rausnehmen, einen Lungenflügel rausschneiden, oder, wenn ihm das besser gefällt, eine Tochter zur Frau nehmen und ficken und ficken und ficken; noch mal: Nicht wird, der das tat, dem Gericht entfliehen, er wird selber Gericht werden, die Öfen sind schon angeworfen. Ich sehe sie nur noch nicht. Wo ist der Herr, der richten soll die Lebendigen und die Toten? Wo ist bitte der Weg zu diesem Herrn, ach so, hier unten werde ich ihn nicht finden? Was werde ich hier unten überhaupt finden? Etwa endlich den Heimat-Horst, in den man mich Adler vor langer Zeit gesetzt hat und zu dem ich jetzt zurückkehre, ich, ein Vogel, dem die Gedärme schon raushängen, nur um mißdeutet zu werden? Und auch der Horst ist ja inzwischen vollständig zerrupft! Da ist doch seit Ewigkeiten kein Ei mehr gelegen! Jetzt habe ich schon mal die Öfen – ich sehe sie nicht, aber es muß sie geben –, auf denen ich mir meine Eier braten könnte, aber ein andrer scheint schon die meisten Zweige meines Horstes eingeheizt zu haben. Wollte wahrscheinlich sein eigen Süppchen damit kochen. Und was hat er uns beiden hinterlassen? Mir einen lumpigen Lungenflügel und Papi ein einziges Stück Auge und dann den Tod, Papi hat er, wer auch immer, den Tod eigens gebracht, er war nämlich nicht mehr gut zu Fuß, nicht wahr, dem Papi ist das alles ins Haus gebracht worden, als er geliefert war, der hat zuerst sein Auge hergeben müssen, das ist ihm herausgeschnitten worden, was sollte man auch sonst damit tun, das war doch eh schon hin?, was sonst, was sonst?, na, mir wäre dazu schon einiges eingefallen, egal, was wurde mir da hinterlassen von dem, der meinen Horst gefleddert hat, die dicksten Zweige hat er für sich selbst genommen. Hatte wohl selber schmackhafte Organe zum Rösten. Und ich finde nicht einmal den Ofen, wo ich die letzten Horsthaare, die letzten Haare Horstis, die letzten Zweige, die letzten dürren Zweiglein, mit denen ich es mir warm und gemütlich hätte machen wollen, wo ich die verfeuern könnte. Kein Ofen da, aber die Organe weg, das Kochgut weg, Auge weg, Lungenflügel weg, wer weiß, was noch alles, die Haut auch weg, aber das war nicht meine, die hätte ich nicht einmal geborgt haben wollen, nicht einmal bei einem Platzregen, die Regenhaut, die eine echte Haut war, kein Lampenschirm. Nicht einmal geschenkt würde ich die nehmen! So stürmen sie dahin, so stürmen die Organe durch die Asiswiese, Entschuldigung, ich meine die Aaswiese. Ob wir dort wohl was finden? Noch mehr Organe? Noch nicht ganz verbrannte Organe, die man noch essen kann?, angefacht von einem Orkan, nein, das ist zu billig, wurst, von einem Orkan das Feuer unter unseren Organen entbrannt und angefacht, nicht für uns entbrannt, aus uns entbrannt, aus unseren Organen entbrannt, scharf drauf, endlich durchzubrennen, endlich weg mit uns, weg mit uns Organen, weg von uns!, vom Orkan davongewirbelt, der das Feuer anfacht, so, aber ich finde hier nicht einmal den Ofen. Da erwartet man einen Orkan, der das Feuer entfachen soll, das Auge Papas liegt schon drin, mein Lungenflügel liegt auch schon drin, die haben wir schon reingelegt, Öl haben wir uns auch abgezapft, blutiges Öl, aus blutigen Ölkämpfen gewonnen, und hineingeschüttet, damit nichts anbrennt, denn wir lassen prinzipiell nichts anbrennen, das wär was, wenn wir alles bereit hätten, unsere Wohnung als brandheiß, als brandwichtig, als Brandbeschleuniger, als Brennstoff, das ist es!, als Brennstoff bereitgestellt hätten, und dann finden wir den blöden Ofen nicht, den Bollerofen, den Ofenboliden. Angeblich soll es hier unten von Öfen nur so wimmeln, aber ich finde keinen einzigen. Einer muß vor mir, vor meiner Zeit meine ich, einen Ofen gefunden haben, denn aus meinem Adlerhorst fehlen ein oder mehrere Zweige, die hat er doch sicher verfeuert, mein Vorgänger, mein Johannes, der mir zur Taufe vorangeschritten ist, aber in die Traufe kam. Ich finde den Ofen einfach nicht. Es ist nicht einfach, ihn zu finden. So war das sicher nicht gedacht, daß die Verdammten die Öfen nicht mehr finden, auf deren heißen Scheiben sie gebraten werden sollen. Ich finde die Öfen nicht, und ich finde die alte teure Spur meiner Lunge, meines Vatis, seines Auges und die Frau, der die Haut jetzt fehlt, nicht mehr, ich finde meine Mutter nicht mehr, die ist sowieso woanders, die ist sowas von woanders!, ich finde auch die Wiese nicht mehr, die Wiese scheint zerbrochen zu sein, das Auge aus meinem Vater herausgebrochen, der Lungenflügel aus mir herausgerissen, aua!, aua!, das tut doch weh! Unterlassen Sie das sofort! Das können Sie doch nicht machen, wir sind doch nicht in der Hölle! Was sagen Sie? Doch in der Hölle? Das glaube ich nicht. Ich bin in meinem Adlerhorst und überblicke das Geschehen, sehe allerdings keinen Ofen. In der Hölle müßte es doch zumindest einen Herd geben, von dem man die Bremsen weggescheucht hat, damit es endlich losgeht, damit er endlich losbrennt, der ist doch sicher schon ganz heiß auf mich, der ist ganz heiß aufs Brennen, der hat doch sicher meine Lunge schon und Appetit auf mehr, Lust auf mehr von mir. Ich sehe ihn nicht, den Ofen. Ich würde ihn für meine restlichen Organe brauchen, doch ich sehe ihn nicht. Der endlos ewgen Zeiten Heiland, bitte kommen! Heiland bitte kommen, ich rufe Heiland! Ringsum jauchzen die Lande, daß ich endlich weg bin, mein Lungenflügel jauchzt, weil er endlich fliegen kann, aber noch einen zweiten brauchen würde, dafür hat er mich ja hier hinuntergerufen, und ich bin ihm zurückgehallt, weil er doch einen zweiten Flügel braucht, um loszulegen, um abzulegen. Bitte legen Sie ab, gleich werden Sie operiert, gleich werden Sie geholfen!, legen Sie ab, Ihre Lunge will endlich loslegen und wie ein Adler aus Ihrem Horst davonfliegen, aber Sie lassen sie nicht, Sie Tier mit einem Stachel Sie!, der Stachel ist eh das einzige Organ, das Ihnen geblieben ist, nur wird es Ihnen im Orkan nichts nützen. Sie haben dann keinen Boden, wo Sie mit dem Stachel Halt finden könnten. Sie haben auch kein Meer, wo Sie als Stachelrochen Freunde finden könnten. Die Lande jauchzen vor Freude, daß alles über sie hinwegfliegen wird, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge: Horsti, Vati, der Adler, die andren Adler, die Lungenflügel, neuerdings vereint, in einem riesigen Schwarm steigen sie gegen den Himmel, auf ihrer eignen Sinne altem Pfad, auf einem alten Luftkorridor, o je, ist es etwa der falsche?, es ist egal, sie fliegen, die beiden Lungenflügel fliegen jetzt zum ersten Mal zusammen, und sie können gut miteinander!, sonst könnten sie ja überhaupt nicht fliegen, jeder für sich allein könnte nicht fliegen, und Vatis Auge, ja, das fliegt auch, das fliegt jetzt raus, das hat uns lange genug geärgert, das fliegt jetzt raus, wen sein Auge ärgert, der soll es sich rausreißen und einem andren, der ihn ärgert, äh ... sich ein andres suchen, denke ich mir. Wen ein Organ ärgert, der reiße es sich raus oder so ähnlich. Und flehe dann um eine Lebendspende, kriegt aber nur den Tod. Wen ein Orkan ärgert, der soll sich halt in einen Sarg legen und den Deckel zunageln, dann ist er sicher. Wen ein Organ ärgert, der soll es sich rausreißen, egal ob Lunge, Auge, Haut, alles kann man herausreißen oder abreißen, und der Rest des Körpers darf dann endlich abreisen. Allein. Allein. Nein, nicht allein. Sie haben Ihre Tochter in einem Adlerhorst vergewaltigt, der sich entgegen allen Gewohnheiten in einem Keller befand? Ist das wahr? Aber erst später, sehr viel später, erst, als sie wirklich unten war, als sie lange schon unten war, die Tochter. Sie sind ja nun selber unten und können sich vorstellen, wie sehr man sich dort langweilt, wenn man nicht einmal einen Ofen findet. Bitte, ein Klebe-Tintenfisch bringt etwas Abwechslung, aber doch nicht immer, nicht auf Dauer, man gewöhnt sich auch an ihn. Man gewöhnt sich daran, ein Auge, einen Lungenflügel, die eigene Haut verloren zu haben, man gewöhnt sich an alles, wenn man schon lang genug unten ist, unten. Unten. Ich habe hier unten nur noch meinen recht dezimierten Horst zum Sitzen, ein, zwei Zweige stechen mich in den Hintern, der war einmal schön geflochten wie Haar, dieser Adlerhorst, jetzt sticht er mich, weil so viele Zweige fehlen, aber ich kann ihnen sagen, ob ohne Auge, ohne Füße, ohne Lungenflügel, ohne Flügelposaune, ohne Haut, egal, dieser Keller gehört mir, mir ganz allein. Der ist mein Reich. Das ist mein Recht, hier zu sein. Der ist nur mir zugänglich, das heißt, auch andren, nur sehe ich sie nicht, ich sehe nicht mal die Öfen, nicht mal einen einzigen Ofen, aber ich weiß, dieser Raum ist nur mir zugänglich. Das weiß jeder, der sonst noch hier wohnt, den ich aber nicht sehe. Jeder weiß das. Mein Adler, mein Horst, mein Auge, meine Haut, meine Lunge, alle wissen sie das. Niemand von ihnen würde wagen, in mein Reich vorzudringen oder mich danach zu fragen, was ich da tue. Keiner fragt, keiner wagt es. Hier sind Akten verstaut, die nur mich etwas angehen. Meine Lunge, mein Auge, mein Vater, meine Frau, die meine Tochter ist, meine Tochter, die mein Enkelkind ist, mein Sohn, der mein Engelssohn ist, mein stolzer Adler, nur kann er nicht fliegen, das heißt, fliegen könnte er vielleicht, aber es gäbe kein Wohin für meinen Horsti. Jeder von ihnen, jedes von denen reicht aus, daß sich jeder an meine Vorschriften hält. Ich mußte ja vorsorgen, ich mußte einen Ort schaffen, wo ich alle anderen irgendwann möglicherweise zwangsweise von der Außenwelt fernhalten könnte. Und das ist mir gelungen. Alle, wer auch immer, haben keine Chance zur Flucht. Nein, auch nicht durch die Öfen, obwohl das ein alterprobter Weg ist. Hier sehe ich keinen einzigen Ofen. Das stört mich irgendwie. Meine Lunge, Papis Auge, die Flügel, die Haut, der Adler, alle stürzen sie ineinander, nur die Lungenflügel erheben sich jubelnd, weil sie endlich wieder vereint sind, ein schönes Paar, die beiden!, die andren alle stürzen, stürzen ab, stürzen nieder, der Kreislauf stürzt, dem geht es schlecht, alles stürzt in einem wirren Haufen, alles fliegt, alles stürzt, keiner stützt mich, es gibt kein Entrinnen, obwohl sie mir längst entronnen, entwachsen sind. Ja, meine Zweitfamilie ist mir entwachsen, sie ist wie meine erste, die auch schon erwachsen ist. Die Tage verstreichen wie Butter, die Tage verstreichen sich, die Pfanne wird mit Fett ausgestrichen, das Backblech wird mit Butter ausgestrichen, alles verstreicht, die Zeit verstreicht sich selbst, die Warnung eines Gottes hängt drohend über mir, daß das alles anbrennt, anbrennen wird, angebranntes Auge, angebrannte Lunge, verbrannte Haut, alles verbrannt, alles angebrannt und vollkommen ungenießbar, helf Gott!, ungenießbar, kein Ofen da, obwohl alles vorbereitet ist, keine Flüsse da, auf die wir auch gar nicht vorbereitet wären, wir haben die Schwimmflügel vergessen, keine Quellen, die uns ertränken, worauf wir hier unten ebenfalls nicht vorbereitet sind, keine Ströme, die lachend dahinströmen können. Das ist mir alles ein Greuel. Die Begier, diese schreckliche Gier nach Leben, die würde alles, was flüchten will, sofort jagen und unter sich zwingen, es hat aua aua aua, es macht aua, wenn aus dem Popoloch nichts mehr herauskann, weil zuvor schon nichts mehr hineingehen wollte, denn was reingeht, müßte ja auch wieder rauskommen. Aber da kommt nichts. Aus dem Popo kommt nichts. Es kommen keine Orkane, keine Quellen, keine Flüsse, es kommt keine Scheiße mehr, es kommt einfach nichts, diesen Abgrund zu ergründen, in der Tiefe zu grundeln, im Seichten zu gründen, im Siechtum zugrunde zu gehen, Wasser, Wasser, Wasser bitte, Wasser! Um den Kummer zu stillen, eine Hand bitte, die alles heilt, die Lunge, das Auge, die Haut, den Horsti, den Adler, alles heilt, eine Hand bitte, die alles heilt, sie alle herzend mit süßer Kraft. Nein. Keine Hand. Nicht einmal ein Ofen. Es endet immer alles. Nichts endet, bloß um zu verenden. Das wäre ein Ziel, das selbst einem Adler zu klein wäre, und der sieht sehr scharf und sehr weit. Das heißt, es endet schon, aber es endet im Nichts. Darf ich Ihnen einen Rat geben? Es gibt keinen Rat. Aber danke, daß Sie gefragt haben!

Danke allen, vor allen anderen: Aischylos („Die Schutzflehenden“)

 

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2009 / 26.6.2014

 


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