Der Lichtpunkt

(zu, für George Tabori)

 

Foto: "du", September 2001

Es ist sehr schwierig, einen Menschen zu beschreiben, der von allen geliebt wird, es ist, als wäre seine Gebrauchslage eingeschränkt. Mit Gebrauchslage meine ich die Facetten seines Wesens, an die sich jeder beliebige, der sich liebt oder den betreffenden oder sich selbst in ihm oder ihn in sich selbst, anschmiegen, anschließen darf; überhaupt ist das ein Mensch, an den sich jeder irgendwo andocken will und kann, schon weil er da, vorhanden ist. Da sind die Flächen eines Kristalls, und jeder, der an einer davon anwächst, wird selbst ein Kristall. Es ist nicht Hingabe, es ist ein kreatürlicherer Vorgang, dieses Sich Anschließen an eine so zarte Gestalt, die aussieht, als würde sie zusammenbrechen, wenn nur ein Windhauch über sie hinweht. Es wäre Unhöflichkeit, würde man ihre Güte bemerken, es wäre Unhöflichkeit, würde man ihre Güte nicht bemerken. Man fühlt sich ja sofort, gerade bei den gütigsten Menschen, wie ihr Vorgesetzter, weiß nichts Rechtes zu sagen, das Sagen ist schließlich, irgendwann, überhaupt eine Unmöglichkeit geworden, obwohl dieser Mensch das, was man gesagt hat (in meinem Fall "Stecken, Stab und Stangl") als Abflugbasis nimmt, damit man etwas für möglich oder unmöglich hält, womöglich beides gleichzeitig, und das mit einer sehr verwundenen Ausdrucksweise wie meine, die ich fürs Theater vorgesehen habe, halt ist, damit man schön aufpaßt oder sich manches erspart, indem man rasch abschaltet, einer wird immer das Licht ausdrehen. Egal, auch wenn ich mich der größten Stilisierung bediene oder wenn ich zwinge wegzuschauen: Eine Unmöglichkeit zu spielen entsteht, und es wird alles Spiel und alles unmöglich.

Das, was man geschrieben hat: ein derart veränderbarer Ort, an den sich ja wiederum andre Leute andocken sollen, ja, in diesem Fall ist das erwünscht!, denn das ist keine fragile Person, das ist ein robustes Stück Theater, ein Brotkanten, an dem das Auffassungsvermögen von Menschen nagt oder sich festsetzt, Schauspielerinnen, Schauspieler, alle möglichen; das was man geschrieben hat, soll also in einer neuen Weise geoffenbart werden und in Beziehung gesetzt werden zu andren Orten, die man sich mit einer gewissen Bestimmtheit beim Schreiben vorgestellt hat. So wird einer, der das bewerkstelligen und dirigieren soll, und an den sich selber dauernd andere annapfen wollen, und so ein zarter, zerbrechlicher Mensch noch dazu, so wird einer, der eigentlich gar nichts macht (zumindest habe ich nicht wirklich gesehen, was er gemacht hat! Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, ich weiß nicht, wie er was gemacht hat), obwohl etwas Sichtbares dabei entsteht, so wird so einer, indem er Bewegliches herumschiebt, indem er Orte schafft und Menschen in der Zeiteinheit verändert, selbst zu einer Art Ort, und dieser Ort lädt natürlich wieder und immer mehr andere dazu ein, sich an ihm niederzulassen. Es ist ihnen das, was ist, in einem ganz neuen Licht gezeigt worden, und jetzt will er selbst in diesem neuen Licht stehen, derjenige, der sich da hingesetzt hat, wo er doch die ganze Zeit diesen blöden Scheffel auf dem Kopf hatte, doch der ist jetzt Gottseindank weg, wo ist er denn, nein, der Herr Tabori hat ihn ihm nicht abgenommen, seinen Hut muß der Betreffende schon selber aufhängen, aber das Befreien des eigenen Lichts genügt halt nicht, man selber bleibt gleich (aber man selber will niemandem anderen gleich sein und schon gar nicht gleichgültig! Man will lieber gültig sein, für alle anderen gleich mit, ja, am besten man ist gültig, und niemand, niemand kann einen je entwerten), aber das, was man sieht, ist nie wieder gleich, in einem fundamentalen Sinn, daß es nämlich nicht einfach anders aussieht, sondern daß es (obwohl, wie gesagt, eigentlich nichts Sichtbares getan wurde!) etwas anderes geworden ist, anders bestimmt wird, sodaß es letzten Endes nichts Bestimmtes mehr ist, nichts, was man einfach so definieren könnte, es wird vom Materiellen zum Immateriellen. Das was man sieht wird selbst ein Ort, aber einer, der nicht wirklich da ist, ein bewegliches Ziel in der Zeit, nicht nur jeden Tag anders, sondern daß es jeden Tag anders sein MUSS ist seine Bestimmung und definiert es. Allerdings: hinsetzen dürfen Sie sich trotzdem nicht, sonst erleben Sie Ihr blaues Wunder! Ich habe wenig von Tabori so oft sagen hören wie daß die größte und vielleicht einzige Qualität des Theaters sei, jeden Tag anders abzulaufen. Doch das Anderssein ist bei Tabori, wie ich versuche zu definieren (es kann nicht gelingen, denn man kann ja einen rasenden Lichtpunkt nicht einfach einfangen, nur der Laser selbst, der ihn hervorgebracht hat - er hat ja viele kleine Photonen, die ihrer Natur gefolgt sind und wie wild durcheinanderrennen, zu diesem einzigen kleinen, scharfen Lichtpunkt gebündelt - könnte ihn auch wieder einfangen, indem er ihn zurückholt, den leuchtenden Punkt wieder auslöscht. Das geschieht, indem man die Laserpistole einfach ausschaltet und aus, weg mit dem Punkt, der jedoch, nicht vergessen!, aus sehr vielen Punkten besteht), eben nicht, daß etwas ist wie nie zuvor und das jeden Abend wieder aufs neue, sondern daß wirklich ein neuer Gegenstand entsteht, der aber wiederum keiner ist, weil er, durch eine völlig andere Bestimmung seines Was, das eine ganz neue Fassung erhalten hat (Kristall!), und zwar durch eine Art technischer Bearbeitung, die man aber nicht gesehen hat und nicht verfolgen konnte, etwas Neues geworden ist und dieser neue Gegenstand damit in jedem Moment auch wieder eine neue Bearbeitung erhält, je den Abend neu, daß es in jedem Augenblick nicht mehr Kunst, sondern, seltsamerweise gerade durch Bearbeitung, Natur wird, weil das, was da entsteht, immer anders, aber eben immer: genau so sein muß und daher: ist.

Einer, zu dem man gehören möchte, sobald man ihn sieht, ein zarter Mensch im Theater, zeigt, daß nichts ist wie es ist, indem es immer anders sein, nein, nicht kann, sondern muß. Und das hat er erreicht: Daß etwas IST, weil er es gemacht hat, aber nie ist wie man glaubt, weil es ja immer anders sein kann, ja: muß.

Der Aufsatz erschien im George-Tabori-Heft des "du"-Magazins (September 2001)

 


Der Lichtpunkt © 2001 Elfriede Jelinek

 

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