Ulrike Maria Stuart

(Königinnendrama)

Ausschnitt

... Hast dich mit ihr eingeschlossen, Mami, stundenlang, was habt so lange ihr dort drin gemacht, still, nur still, wir wissens schon?! Mit uns hast du dich niemals eingeschlossen, immer nur mit dieser Frau! Das war wohl neu für dich, wie schön für dich, das kannst du hüten wie ein teures Kleinod, bis du selbst gehütet wirst rund um die Uhr. Uns hast du immer ausgeschlossen, denn wir warn nicht deinesgleichen, wir warn unter dir, doch nicht als Unterdrückte. Jetzt siehst du selbst, was du an Nachteil davon hast: Du hast keine Kinder mehr, Medea. Denn wir besuchen dich nicht mehr, dies allerdings auf deinen ausdrücklichen Wunsch! Du bist jetzt Medea, die von ihren Kindern überlebt wird, recht geschieht ihr. Warum auf so schlimmem Weg verfolgtest du dein Ziel, Mami? Warum warst du immer abwesend, wenn wir dich brauchten? Warum hast du dich nicht um uns gekümmert? Warum? Warum nahmen unsre Unterhaltungen nie den gewünschten Verlauf? Verliefen sich im eignen Dunkeln? Mami! Warum verlaufen wir uns selbst im Dunkeln, so wie du, nur anders. Ach, wie gerne hätten wir die repressiven ideologischen Apparate selber noch erlebt, doch diese Offensivposition gabs nur für dich, wir hatten nicht die Wahl. Sonst hätten für die Illegalität wir uns ja auch entscheiden können. Hättest du gewußt, daß dreißig Jahre später Illegalität ganz ausgestorben wäre, wenn sich überhaupt noch einer dran erinnert, daß es sie gegeben hat, dann wär sie in jedem Falle nur fürs Kapital erlaubt, das offshore tummelt sich an wunderbaren Stränden, wo die Sonne niemals untergeht, nicht doch für dessen Gegner, die auf ewig, ohne je befreites Gebiet erreicht zu haben, heimatlos geworden sind,  wer weiß, wie du dich in diesem Fall  entschieden hättest. Vielleicht wären offshore alle wir gegangen wie das Geld in seinem schönen Urwald, wo von Baum zu Baum sichs schwingt, von keinem Raubtier je erwischt, weils selbst das allerschnellste Tier ist, von keinem andern je erreicht, und sich vermehrt sogar im Dreck, den all die Armen machen und den unsre Leute höchstens atmen, weil nichts Besseres sie damit anzufangen wissen, denn zähmen läßt sichs nicht, das Tier. Doch ihr, wie Gramsci sagt uns nur, das finden wir nicht ganz so gut, ihr tickt das einfach nicht, der Gramsci ist schon in den Dreißigern, nein, nicht in seinen, in denen vom Jahrhundert, unter dem Jahrhundert tut ers nicht, und wir tuns auch nicht, na, egal wann, im Gefängnis ja krepiert, du, Mami, sagst, inzwischen sei was weiter, wärn wir alle weiter, na, du spinnst wohl! Gramsci war schon kein Guerilla, und wenn doch, wär er im Urwald wie das Kapital gewesen, ja, dem hätte er sich angeschlossen, insgeheim will ja der Revolutionär unter den Siegern sein, doch keine Angst, er ist es nie. Du weißt doch, Mami, dort im Urwald ist es ja viel schöner, wer will dort nicht Ferien machen, keine kommunistisch umgefärbten Slogans für die Massen, Stille nur und wieder, hört ihrs nicht, Geschrei von all den Tieren, die vom Kapital sich nähren, das von andern Tieren abgefallen ist, im Dung nährt sich das eine von dem andern, schaut nicht nach, was oder wens da frißt, naja, da dients dann einem guten Zweck, das Kapital, wenigstens etwas, daß man das kapiert, ist etwas, das zur Theorie der deutschen Arbeiterbewegung leider überhaupt nichts beiträgt.

Mutters Stimme (off): Das wollt ich nicht - beim großen Gott des Himmels! Wann hätt ich das gewollt? Wo sind die Proben? Was ist das Problem?

aus Paul McCarthy "Piccadilly Circus", Scalo Verlag, Foto: Ann-Marie Rounkle

Aber wir proben doch schon, Mutter! Wir proben, wissen aber nicht, für welches Stück, wir wissen nur den Ort, der immer ein Gerichtssaal ist. Dank dir. Nichts tröstet uns. Nur, daß die Königin über eine königsblaue Wildlederjacke stolpern wird, die Knarre drin. Das ist alleine ihr Problem. Wer legt die schöne Jacke zur Seite wie du uns zur Seite gelegt hast? Gefangen! Erwischt! Rote Stellen bedeuten nach Einfärbung einen Zahnstein, später Karies, und das heißt: Gefahr! Die Jacke ist ja verdammt schwer, sagt die Verkäuferin zur Königin Kundin. Königin, wo ist das Blut im Schuh? Es ist noch in der Pistole. Die Königin verkörpert Kundschaft, ist Kundschaft an sich, die Herrscherin, vor lauter Botschaften fast Funken sprühend, daß man ihr kein neues Kleidungsstück mehr anvertrauen würde, diese Königin, in enger Cordhose und mit hohen Schnürstiefeln, und sie probiert und sie probiert, sie weiß es ja nicht besser. Was probiert sie an? Den weißen Shetland-Pulli, der ihr in der Auslage so gut gefallen hat. Will wohl, wie früher wieder, zur reinen Unschuld werden, diese Kuh. Die Königskuh. Hat unsre Mami echt und lang kaputtet Länge hier mal Breite dort, und sie lebt weiter dann ein Weilchen, wenn auch nicht still, noch lang hat sie gelebt und schrie und schrieb und schrie und schrieb und schrie und schrieb. Hat Eitelkeit sie ins Geschäft Linette getrieben oder die Furcht erkannt zu werden? Niemand wird es wissen, und die Königin wird immer lügen, wenn die Rede darauf kommt.

Na, Endlich ist es still. Wir haben echt geglaubt, es kommt noch was. Nur von dem einen Herrn darf diese Königin in der Öffentlichkeit ihrer Gruppe angeherrscht werden, und zwar nur von diesem einen, einzigen, dens für sie gibt! Mit blauen Augen dieser König, der im Wirklichkeit ein Kind ist, ja, ein Kind, mein Kind, mein Kind, mein liebes Kind, so spricht die Königin, sie sagt: der hat nur mich, sonst keinen, dieser Kinderkönig, der zum Anherrschen ist wie geboren, mein Baby! Sagt sie immer. Vom Anherrschen und zum Herrschen ist ihr Baby immer wieder neu geboren, dazu muß den Boden er nicht mal berühren, dieser liebe Babykönig, denn der Revolutionär will schließlich nichts als herrschen über seine kleine Gruppe, die deswegen K-Gruppe genannt wird, weil sie eben klein ist, und angeherrscht natürlich nur von ihr, nur sie, die Königin, durft ihn gebären, den Erlöser unser aller Notdurft, der in Wirklichkeit ihr Kind ist, wir als Kinder wissen das. Die Königinnen haben immer Kinder, das gehört einfach dazu, sie brauchen einfach Nachfolger, die gleichzeitig noch dazu mit ihnen leben, damit sie, die Königinnen, was von ihnen haben. Ihm, dem Königskind, werden Verfehlungen nicht angestrichen werden von der Herrscherin. Sie werden mit der falschen Hand von hinten in den Nacken gelöchert werden, diese falschen Hunde, die die andren sind. Sie warn nicht nett zu unsrer Mama, unsre Mami war zur Königin wohl leider nicht bestimmt, im Kerker schmachten alle, was machts für einen Unterschied. Die ist eine Fotze, sagt der König, manchmal schreibt er es mit einem V am Anfang, noch viel öfter sagt er es. Der rohen Stärke blutiges Erkühnen, solch Gauklerspiel betrüge nicht die Welt, nein, doch, die Welt, sie will betrogen sein, auch von Gewalt,  ja grade und besonders auch von der. Ermorden kann sie, diese Königin, der König auch, doch niemals richten!

Nur keine Sorge: Richten tu ich mich schon selber, weiß nur nicht, nach wem, nach was, ich wußte sowas früher immer, jetzt weiß ich nichts mehr, auch egal, ich borge mir den Strick und richte mich schon selber, ja, ich mach das schon, das muß kein andrer übernehmen, zeitig früh wird man mich finden, leblos hängend an dem Gitter meines linken Zellenfensters, das Gesicht zur Zellentür gewandt, wenn man einen Arzt braucht, ist er niemals da, das ist wirklich typisch, doch jetzt, nur sechs Minuten später, kommt er eilig angewieselt, Dr. Helmut Henck, jetzt kann auf einmal sich beeilen er und konstatiert, daß dieser Körper, der trotz allem mir gehört und immer mir gehören wird, auch dann, wenn er nur ein Sack Knochen ist, auch wenn er nicht mehr lebt, bereits total erkaltet ist, dazu entstellen Leichenflecken ihn, das schaut ja sicher eklig aus, ein Glück, daß ichs nicht selber anschaun muß, doch noch bis zehn Uhr dreißig läßt man mich dort hängen, denn Spuren wollen sammeln sie und noch ein letztes Mal von allen Seiten fotografiern jene, die seit Monaten,  ja Jahren schon, wenn mans genaunimmt, überall,  in jedem Postamt hängt, in jedem Amt, auf jeder Polizeistation und in Behörden, jeder kennt mich, kann ich ohne Übertreibung sagen,  doch das waren nicht die neuesten der Fotos, diese, die jetzt grad gemacht sind,  sind die neuesten und letzten, wozu werden die gebraucht, sie haben uns doch längst schon selber! Es war gar nicht leicht, mich für die Fotos schön zu positionieren, das Bett, das unterm Fenster stand, mußt vorher ich beiseite schieben, dann legt ich die Matratze vor das Fenster, stellte darauf den Schemel, den ich hatte, Schmach und Schemel, ist ja schon egal, die waren beide da, dann riß ein blau und weißes Anstaltshandtuch ich sorgfältig in Streifen, knotete sie aneinander, diese Streifen, band sie fest um meinen Hals. Und schließlich stieg ich auf den Schemel, knotete das Ende dieses selbstgebauten Strickes um das Fenstergitter, und dann sprang ich ab ins Ungewisse und bewies damit, daß in den wohlgerüstet Schützengräben des Metropolenimperialismus jeder Krieg, auch der Bewegungskrieg, unmöglich ist geworden, es hat ja keiner Platz dafür, sich zu bewegen, das ist historisch wohl gelaufen, das ist aus, und ab mit mir, historisch war das schon gelaufen vor dem Startschuß, und kein Sieger kam durchs Ziel, ein Ziel gabs wohl, doch keiner sah es außer uns, wir liefen los, doch liefen wir allein, die vielen, die noch gehen konnten, laufen auch jetzt los, doch blieben sie in Wahrheit stehn von Anfang an. Den Stellungskrieg hab ich verloren, und die Illegalität, die hat mir auch nicht recht gefallen. Ans Handtuch knüpft ich mich wie eine Perle in der Kette dieser vielen, die auch bereits tot sind, diesmal richt ich mich und richt mich nur nach mir, ist ja kein andrer da. Ich gebs jetzt auf, mit des Verbrechens Früchten den heilgen Schein der Tugend zu vereinen. Jetzt verein ich mich mit mir im selbstgemachten Strick, wo andre bloß ein schickes Strickensemble tragen wie ich früher auch,  ihr wolltet mich ja nicht, ihr wolltet mich nicht lebend, liebe Deutsche, ja, was wollt ihr denn stattdessen? Wollt ihr lieber den totalen Krieg der Toten, den hattet ihr doch schon und schaut, was draus geworden ist! Was immer auch geworden ist, für mich ist hier kein Platz. Die Revolution frißt jetzt ein Kind, und das bin ich, ich sage dazu, wohl bekomms! Vielleicht kommt ja sie mit mir zurecht, die liebe Revolution, ich konnt es nie. Ich bin ja nie mit mir zurechtgekommen, also geb ich mich der Revolution, vielleicht kann die mich brauchen, und das Volk erhebt sich, wenn ich tot bin, dessen bin ich mir fast sicher, oder doch nicht? was erheben wollt ihr euch und dann auch wieder nicht? Na, dann von mir aus nicht. Mir ists egal. Ihr habt mich nie verstanden, das ist schade. Ihr wart viel zu jung. Erfüllt den Knast mit häßlichen Gerüchten über mich, ihr macht mich fertig, wißt ihr das? Ihr zwei? Das ist der Kummer von euch, König, Königin, daß diese Stifterin des Unheils, das im Denken liegt, noch nicht gestorben ist, noch nicht gestorben war, noch ehe ihre Kinder Wüstenboden konnten aufwühlen wie unsereins den Geist, ein Geistgestöber wie bei einer Kissenschlacht, und all der Geist, er führt zu nichts, der Aufwand führt zu nichts, nur ein paar Jahre noch und keiner wird mehr denken, wie der Revolution zu helfen wäre, nicht einmal das Wort wird kennen man, nur Quatsch wird alles sein, Gerede, Achtlosigkeit den Sätzen gegenüber, die uns heilig waren früher, und Rechtfertigung wird ausgeschlossen sein für immer.

...

 

 

 

18.6.2005

Bilder: (1,4) Fahndungsplakate, (2) aus Paul McCarthy "Piccadilly Circus", Scalo Verlag, Foto: Ann-Marie Rounkle, (3) Hüngsberg&Hüngsberg/Christl Squires

 

siehe auch: youtube

 


Ulrike Maria Stuart © 2005 Elfriede Jelinek

 

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com