Elfriede Jelinek

Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.

 

 

 

 

 

 

("unempfindlichen Staub mißhandle ich, tobend vor Unsinn!")

 

 

Das Doppelgeschöpf, das ich einst erfunden habe, tritt einmal wieder auf, nachdem ich es mir aus der Versenkung geholt habe. Es ist ein Mann, an den eine Frau angenäht ist (früher war es eine Frau, die mit einer zweiten zusammengenäht war, aber ich habe das jetzt abgewandelt, was sich natürlich auch im Gewand niederschlagen wird). Man kann aber auch was ganz andres machen, wie immer.

Doppelgeschöpf, männl.: Ich habe gehört, es gibt jetzt eine Satzung im Gesetz, daß man Orgien feiern muß. Es geht nicht, daß man auf den Bergen herumschwärmt oder einfach nur glücklich ist, es geht nicht, daß man sein Leben führt, an der Hand (weil es immer wieder weg möchte von einem?), es geht nicht, daß man gar nichts macht. Es zieht und zerrt an einem. Man muß sich hinaufschwingen, wir haben ein Gesetz, und das heißt Orgie. Wir haben ein Gesetz, und nach dem heißt es Genuß, obwohl das manchmal viel Arbeit macht. Und meist machen dann andre die Arbeit. Und sie machen sich auch Arbeit mit uns. Niemand muß mehr sterben, weil wir alle leben dürfen. Weil wir es wollen, wie wir da sitzen, auf dem Schoß der Zeit, die uns jeden Moment runterschmeißen kann, weil sie selber aufstehen will und sich die Beine vertreten. Dann müssen wir schnell weg, sonst tritt sie uns noch, wenn sie vor uns davonrennt, weil sie woanders aktuell sein möchte. Wir sehen sie dann nur noch von hinten. Niemand wird getötet, Ihr Gift können Sie behalten. Ich nenne die Ereignisse der Einfachheit halber so, aber niemand will, daß diese Ereignisse einfach sind. Die Menschen wollen außer sich geraten, dabei ihr Leben sprengen, aber wenn sie einmal herausgeschleudert worden sind, finden sie vielleicht nicht mehr zurück. Außer sich geraten, bis die Haut alle Farben spielt und aufplatzt, das wollten sie schon immer, das ist nicht unbedingt eine grundlegende Funktion ihrer Artbehauptung, wenn die Heimkunft nicht gesichert ist. Sie könnten auch etwas ganz anderes behaupten, das wäre ohnehin besser für sie. Sie tragen eigenwillige Hemden, Hosen und Schuhe, denn hier zählt Ihr eigener Wille noch was, und das kriegen Sie alles hier, ja, genau hier! Sie wollen sich vergrößern? Dann können Sie mit dem, was Sie hier bekommen, an sich anbauen, anstatt sich selbst zu säen und damit zu vergeuden, denn dieser Boden ist ohnedies unfruchtbar. Er gibt, aber er gibt nichts zurück. Und Rückgaberecht gibt es auch keins. Kleidung hat einen Zeitbezug, kein Zweifel, doch das, womit Sie sich beziehen, ist nicht mehr zeitgemäß. Sie sind festgefahren! Setzen Sie sich erneut in Gang! Diese Kleidung, mit der Sie eine Art von Willen ausdrücken, zumindest glaube ich das, wenn ich Sie so anschaue, ersetzt Ihren eigenen Willen auch wieder ganz großartig. Er ist bereits ersetzt, Sie haben es bloß nicht gemerkt. Bis Sie etwas andres wollen, das kann recht schnell passieren. Was, Sie sind das gewesen? Moment, Ihre Kleidung will aber auch was, die Menschen hören ihr zu, und dann kaufen sie sich etwas Passendes dazu, das aber dafür ihnen nicht paßt. Diese Tasche – also nein, wirklich nicht! Wo haben Sie die denn her? Im Kaufhaus, allerdings nur in einem einzigen, kriegen Sie genau die gleiche, aber billiger. Wenn Sie das nur vorher gewußt hätten! Kleidung ist immer: Wenn wir das vorher gewußt hätten! Danach ist es immer zu spät. Aber allgemein gesagt: Die Kleidung ist heute noch nüchtern, daher muß man sie anfüttern, mit Schmuck am besten oder eben, sehr wichtig!, mit Taschen, so etwas wie diese Taschen haben Sie noch nie gesehen, bitte, hier können Sie sie sehen. Und dort drüben haben Sie eine Kopie gesehen und den Unterschied, auf den es ankommt, nicht erkannt. Sie war schon vor dem Original auf dem Markt, den Sie noch nicht betreten haben. Vuitton hat sich über die Taschen hinaus ausgebreitet, er hat Tonnen von Kleidern über die Taschen gebreitet, denn die Marke hat ihren Reiz und muß daher ausgereizt werden, von einem Mann, der alle Ihre bisherigen Meinungen über den Haufen werfen kann, einfach dadurch, daß er ein Spätergekommener ist, Sie aber immer überholen wird, was immer Sie auch tun, wo immer Sie auch sind. Sie sind immer ein Auch! Sie können aber genausogut gegen Ihre Kleidung arbeiten, sie wird es Ihnen nicht übelnehmen, denn sie muß ja auch gekauft werden, warum also nicht Männerschuhe zum Abendkleid? Nein, das denn doch nicht. Für mich bitte schon! Egal. Kriegen Sie alles hier, weil Sie alles kriegen, separat oder im Kombi. Es muß jedenfalls unbedingt das Unbedingte sein, das Äußerste, das aber immer ein und dasselbe ist, nur anders, das Leben kann leicht oder schwer sein, sogar Leinen kann leicht oder schwer sein. Im Grunde sind sie miteinander unvereinbar, ich weiß jedoch nicht, wer und aus welchem Grund, ach ja!, Mensch und Genuß, der Mensch als solcher ist schon das Gegenteil von Genuß, wenn man ihm zu nahe kommt. Doch sie können sich ausdenken, die Menschen, woran sie sich erkennen, falls sie sich zu vereinigen, zu veruneinigen oder sonstwie diesen Genuß zu erzielen wünschen. Dann legen sie sich ihre ausgewählten Objekte auf Objektträger, und selber tragen sie auch immer was, das ein Schoß entweder vor oder nach der Zeit geboren hat. Zu früh oder zu spät. Und dann tragen sie es nicht mehr. Schauen wir uns an, was sie tragen? Denn in die Natur geht man zwar, man trägt sie aber nicht, man kann sich den Wald, die Wiese nicht anziehen, man kann sie aber in einer bestimmten Form, die etwas wie Wiese behauptet, schon anziehen. Man kann natürliche Materialien tragen, wie schwer auch immer das ist, es ist trotzdem Leinen!, und die Natur damit schonen, aber die Natur wäre selber die letzte, die natürlich sein wollte, ließe man ihr die Wahl. Da sie ohnedies kaputtgemacht wird, wäre sie lieber aus einem haltbareren, zur Not auch künstlichen Material. Sie hat nicht die Wahl. Sie kann außer sich geraten, siehe Orgie, alle wollen hin, stapfen zu den Tanzplätzen, den Clubs, die Erde bebt unter ihren Tritten, das hat sie nicht verdient, aber Sie, hätten Sie mehr verdient, hätten sich die Schuhe von Gucci im Original kaufen können! Ja, dort am Eck, wo früher ein Italiener war, in dem wir jahrelang zu Abend gegessen haben, ach, waren das Zeiten, wieso haben wir sie aus dem Schoß der Zeit vor der Zeit herausgerissen?, na, wir warens nicht, der Vermieter wars. Gucci zahlt besser. Und dann zahlt man für diesen Mantel dafür noch viel mehr. Einer bezahlt den anderen, es ist ein Nehmen und Nehmen. Wer gibt? Wer hat zuviel? Niemand. Die Natur gibt, sie verausgabt sich, wen interessierts, sie ist ja gratis zu betreten. Außerdem verstehe ich persönlich nicht, wie man die Natur schonen kann, wenn man sie sich anzieht. Dabei verbraucht man sie doch erst recht! Und sie wird immer weniger, wie man so hört. Ich habe sie ja lange nicht mehr gesehen. Erst mal verknäueln sich die Schlangen im Baumwollfeld zu einem Haufen, und dann ist die ganze Baumwolle weg, sie wurde nie chemisch gespritzt und vor Tieren, denen sie aber auch gehört, geschützt. Oh, wie schade! Dann ruht sie ja nicht mehr in sich, die geschonte Natur, diese Schonung an sich, sondern an sich und auf uns, und auf uns würde ich mich nicht verlassen. Natürlich ist sie etwas gesünder als die Kunst, aber nicht viel. Etwas ist natürlich gesünder. Es gibt immer etwas, das gesünder ist, so wie es immer etwas gibt, das schöner ist, als sich Schlangen ins Haar einzuflechten! Ich bin wie Pentheus, ich höre, ich höre von den unerhörten Auswüchsen in dieser Stadt, deshalb bin ich gekommen, weil angeblich die Frauen ihre Frauenhäuser verlassen haben, um einzukaufen. Dabei geraten sie immer so außer sich, sogar ganz allein, wenn keiner sie sieht außer einem Spiegel, der sie zurückwirft, weil er sie nicht ertragen kann und das, was sie später kaufen wollen, erst recht nicht. Essen Sie es hier oder dort, was Ihnen angeboten wird! Tragen Sie hier oder dort, was Sie gekauft haben, das sieht an Ihnen so aus, daß man Sie ergreifen und mit gebundenen Händen ins Staatsgefängnis werfen möchte, wenn man könnte. Ich möchte Sie auf dieser Erdoberfläche nicht mehr in Freiheit antreffen! Ich möchte Ihre Freiheit zu kaufen unbedingt begrenzen! Das geht nicht, was Sie da vorhaben! Fassungslos sehe ich es und kann Sie nicht aufhalten. Sie kaufen sich diese neue Hose, hauteng, klar, und dann schleichen Sie sich fort, eine nach der anderen, ja, auch Sie dort, und Sie gehen an einsame Plätze, nein, an belebte Plätze, um sich der Lust der Männer hinzugeben, zumindest anzubieten, denn genommen wird nicht jede, und nicht jede nimmt selbst. Dazu müssen Sie sich selbst überholen, weil Sie zu lang gezögert haben, Sie haben mit dem Einkauf gezögert, der Sie so viel schöner hätte machen können, und jetzt müssen Sie für die Orgie die Sachen nehmen, die noch da sind. Die meisten sind schon ausverkauft oder werden gerade gekauft. Kaufen Sie ebenfalls, solange der Vorrat reicht!, der ist aber unerschöpflich, ist er nicht hier, dann ist er dort, hier oder dort, das Material, das Sie anprobieren, wird fließend oder träge sein. Es wird an Ihnen hinunterrinnen wie Wasser oder um sie herumstehen wie eine Menschenmenge bei einem Unfall. Oder es wird steif sein wie ein Toter. Kriegen Sie alles hier, auf der Straße, meist schon, bevor die neue Jahreszeit noch angebrochen und aus der Packung raus ist, und schon zum Ausverkaufspreis. Es wird schon geschleudert, bevor die Maschine der Zeit überhaupt gefüllt werden konnte. Die Menschen verschleudern sich ja auch, sie drängen sich danach, sie treten den Vorderen auf die Fersen, damit es schneller geht, doch die Schlange stockt schon wieder, da gibt es etwas Neues, wir müssen uns beeilen, sonst ist es alt! Die Menschen können sich gar nicht schnell genug vergeuden. Was noch an ihnen dran ist und was sie sich teuer erkauft haben – weg damit! Natürlich haben sie den Vorwand, daß sie das alles brauchen, weil sie es noch nicht haben, obwohl sie schon zehn Blazer haben, die gewittrig blitzen und ihre Knöpfe fletschen, als wollten sie gleich zum Angriff übergehen, immer dasselbe, das Alte, aber ganz neu! Um dem Alten ein Ende zu setzen. Sie aber, Sie aber! Zuerst schwärmen Sie auf den Bergen beim Vorwand Sport, nein, bei der Hauptsache Sport, aber Ihre Turnsachen müssen Sie woanders kaufen. Dann aber, dann gehen Sie in diese Straße und machen sich füreinander wieder genießbar, lassen sich weichreiten, nachdem der Sport Sie so zäh gemacht hat. Lieber junger Mann, sage ich zu mir. Endlich habe ich in mir einen gefunden, der als Schauspieler für andere, und zwar als eine Art Kleidungsstück, in Betracht kommt! Andere ziehen ihn sich an, er zieht sich wieder andere an. Ich bewundere die Schauspieler. Begreifen kann ich sie nicht. Das ist wie mit der Mode. Bewundern, angreifen, aber es ist unbegreiflich. Was? Daß ihr in eurem Alter so närrisch seid? Also das verstehe ich. Aber daß man nach dem Neuen so närrisch sein kann, das verstehe ich weniger. Warum kaufen, was man bereits in sich trägt? Das ist die Aufgabe dieser Straße. Sie sollen kaufen, was Sie schon haben, nur anders, in andrer Form, mit neuem Inhalt. Sie sind dran, Sie sind drin. Es wird Ihnen etwas anderes gezeigt, das Sie kaufen sollen. Sie sollen es jedoch nicht erkennen als etwas, das Sie bereits haben. Was motiviert Sie dazu? Bitte sagen Sie es uns! Hier ist ein Publikum, das vorhin aus dieser Straße gekommen ist und es hören will. Das schreckliche Schicksal von der Mutter vom Dionysos wollen sie eher nicht hören. Es soll leicht sein, aber nicht seicht, hoffentlich krieg ich das hin, nein, sicher nicht, ich kann das nicht. Es gibt keine natürliche Motiviertheit bei mir dafür, das haben Sie sicher schon gemerkt. So wie es bei Ihnen keine Motiviertheit gibt, daß Sie immer wieder dasselbe, jedoch anders, haben wollen, obwohl Sie es bereits haben, wenn auch anders, aber das andere interessiert uns ja. Es soll niemals etwas dasselbe sein. Wie, was, wie was? Keine Ahnung. Aber wenn ich Sie so ansehe, weiß ich, was dasselbe ist, gerade weil ich keine Vergleichsmöglichkeit habe. Was es bedeutet, dasselbe wie etwas anderes zu sein, in seiner finstersten Ausformung, die keines Kaufs bedarf, dasselbe, das man schon hat, wie schon der Name sagt, das weiß ich nicht. Es muß furchtbar sein, ungefähr so, als würde man sich selbst begegnen, wüßte aber ganz sicher, daß es einen nur einmal gibt. Was Ihre Form betrifft, die Sie notfalls aus Kleidung hergestellt haben, falls Sie sie nicht anders formen konnten, das weiß ich genau, kann es Ihnen aber nicht genau sagen. Ich habe jetzt vergessen, wie diese Unterwäsche heißt, mit deren Hilfe man sich unter der Kleidung eine ganz neue Form verleihen kann. Besser als die, die einem zugemessen wurde und bislang ganz angemessen schien. Besser, man verläßt sich auf andre und kauft sich eine Form, als man bleibt Natur und ist schlecht in Form. Schauen Sie, Sie können, um Ihre Art zu behaupten und zu behaupten, zu welcher Art sie gehören, ja, das sind zwei verschiedene Dinge, Sie können also die Entscheidung wieder einmal der Natur überlassen. Die wird Ihnen schon sagen, ob Sie den warmen Wintermantel, den Parka oder den leichten Blouson, nein, so ein Wort verwendet man heute nicht mehr, oder doch?, muß ich nachschlagen, wie nennt man das heute, eine den Körper umspielende, doch nicht efeuhaft umklammernde Jacke?, wie sagt man dazu?, die will ja auch spielen, ob Sie das also tragen sollen oder was andres. Ob Ihr Körper so ist, daß nichts ihn umspielen muß, sondern alles mit Ihnen spielen darf, aber kein Spiel mehr hat, weil es so eng ist. Na, Sie können es sich leisten! Bei Ihrer Figur! Aber die kann man doch korrigieren! Man kann sich eine andre machen lassen! Das sagt man heute alles nicht mehr, ich weiß. Ich weiß nicht mehr, was man heute sagt. Muß nachschauen. Was ist heute angebracht, was soll an Ihnen angebracht werden? Wieso lasse ich das einen jungen Mann sprechen, wo ich doch gar nicht weiß, wie oder was ein junger Mann heute spricht? Das Alter spricht aus mir, ich versuche da Dinge zu bestimmen, die längst vergangen, in Wahrheit aber nur in der Zeit steckengeblieben sind und seither ruhen, ausgerechnet in mir. Ich versuche, sie aus dieser Ruhe zu bringen, die liegen eh nicht gut. Es geht nicht. Wieso soll das ein junger Mann sagen? Ich fasse mich selber nicht, na ja, meine Kleidung faßt mich noch, ich aber nicht sie. Was soll das? Wenn Sie also in diesem Punkt, die Natürlichkeit betreffend, auf die Natur hören, warum tun Sie es dann nicht immer? Sie können sich auf sie komplett verlassen, glauben Sie mir. Sie können prinzipiell zwischen verschiedenen Mützen, Hüten oder Basecaps wählen, aber Sie können nicht wählen, was die Natur Ihnen vorgibt, nein, aufgibt. Was auch immer, diese Straße erfüllt diese Aufgabe hervorragend, Sie aber müssen ihre Vorgabe erfüllen, ein junger Mann zu sein, ach, Moment, der bin ja ich, das bin ja ich! Aber ich weiß nicht, wie ich sprechen soll, ich weiß nicht, wie ein junger Mann spricht, obwohl ich jetzt einmal einer bin. Ich weiß zwar, daß Sie Ihren guten Eindruck gleich wieder mitnehmen können, wenn er zu tief ist, wenn Sie sich zu tief eingedrückt haben, doch wenn Sie nachdrücklich auf andere gewirkt haben, dann sind der Eifer und die Kraft, die Sie dabei anwenden, wenigstens nicht vergeudet. Aber wieso haben Sie sich in mich, einen jungen Mann, zumindest für eine gewisse Zeit, die nicht meine sein wird, hineingeschleudert? Ich verstehe schon, daß Sie mich gewählt haben, so wie Sie diesen neuen Pulli mit Löchern drinnen, die aber hineingehören und nicht nachträglich unter Mitarbeit von Motten entstanden sind, erwählt haben, der ist neu und daher jung, der Pulli, bloß Sie sinds nicht, das heißt, die Löcher waren immer schon drin, ich spreche von diesem japanischen Pullover aus der "Klamotte", woanders kriegen Sie ihn nicht, ich spreche nicht von mir, ich würde etwas ganz anderes sprechen, aber eine alte Frau, ja, die, genau hinter mir!, läßt mich nicht, da ist dieser Pulli, und der hat unregelmäßige Löcher an sich, nein, in sich angebracht, nein, das ist unangebracht, also er hat halt von Anfang an Löcher, dafür zahlen Sie ja auch doppelt und dreifach, obwohl dem armen Pulli was fehlt, denn es ist nicht leicht gewesen, die Löcher in ihn hineinzukriegen, ohne daß er sich total auflöst, was aber praktisch wäre, jede Kleidung betreffend, denn dann würde man wirklich, aber wirklich was Neues brauchen, das man sich holt, auch ohne es zu brauchen. Einen Pulli hat jeder, diesen hat nicht jeder, vielleicht will ihn aber auch nicht jeder. Sehen Sie, und genau da schlagen Sie zu, da schlägt die Mode zu, bis Löcher im Gewebe erscheinen und Sie, anstatt zurückzuweichen, nach vorne treten, in unser Blickfeld. Billiger wäre es, Sie machten die Löcher selber rein und würden den Pulli dann nach ein-, zweimal Tragen wegschmeißen. Dafür war er dann auch entsprechend billiger. Und beim nächsten Mal, beim nächsten Pulli, können Sie dann die Löcher woanders machen, so haben Sie immer was Neues, aber nach dem zehnten Pulli hätten Sie auch gleich von Anfang an den mit den Löchern kaufen können, die bereits drinnen gewesen wären. Nein, von Jeans spreche ich nicht, von denen muß man nicht sprechen, die sind einfach da und aus. Sie hauen rein! Das mit den Löchern geht gar nicht so schwer, wenn man erst Mut gefaßt hat. Gut so. Schauen Sie: Das Wählen geschieht überhaupt immer innerhalb bestimmter Grenzen, sonst wäre es kein Wählen, sonst wäre es ein Wühlen in allem, was es gibt, und Sie, Autorin, könnten, wenn Sie ein Theaterstück schreiben, das natürlich wieder mal keins ist, das schon von vorneherein vorne und hinten Löcher hat, die man billiger auch nachher hineinmachen könnte, auch Sie also könnten als alte Frau auftreten, Sie vergäben sich nichts dabei, Sie sind ja eine, das kostet Sie nichts, und wen wählen Sie? Sie können auch gleich selber sprechen! Aber nein. Sie wählen mich, einen jungen Mann, der diesen Blödsinn reden soll, so wie er sonst nie reden würde, mein Reden ist, weil es von Ihnen kommt, nein, es wäre so, als würde ein Gott seinen Stab hochauf schwingen, an den er vorher diesen Efeu, ebenfalls klammernden Efeu, ungefähr so wie Sie sich an die Jugend klammern!, gebunden hätte, und dann würde er zu den Tanzplätzen, die heute anders heißen, ich sagte es schon, Autorin, Sie wissen ja gar nicht, wie die heißen, Sie waren ja noch nie dort, schweigen Sie also still oder fragen Sie diesen Kollegen, der jede Nacht dort ist und das auch jedem sagt, ich würde es mit anderen Worten sagen, aber ich darf ja nicht: Dann würde er zu den diversen Clubs eilen, der junge Gott mit seinem Stab und seiner Lockenpracht, es geht aber auch ohne, nein, nicht ohne Stab, aber ohne Locken. Wenn man Locken will, braucht man den Stab, wenn man die Locken raushaben will, einen andren Stab, manchmal auch denselben. Es geht manchmal auch was glatt, aber eher selten. Vorher muß er sich noch einkleiden, der junge Mann, was schwierig ist, wenn jemand an ihm hängt wie diese aufdringliche Pflanze. Das will kein junger Mann, der auch nur irgend etwas gleichschaut, daß jemand an ihm hängt, und wäre es eine Frau. Er will alleine stehen. Er scheut die Arbeit nicht, er ist ja jung, er wird heute abend als neuer Gott bei den Menschen eingeführt, die werden auch immer jünger, kommen ihrer Herstellung immer näher, ich meine die jungen Männer, die Menschen leider nicht. Früher mußte man sich für die Orgie ausziehn, als junger Mann kann ich mir das leisten, aber heute muß man sich einkleiden. Damit man das Aussehen eines Sterblichen mit Leben überdeckt, als würde man nie sterben. Dafür steht der junge Mann. Ich stehe hier, werde aber verhältnismäßig bald als alte Frau ertappt. Sie, Autorin, stehen für nichts mehr, höchstens noch für mich, und das ist nicht viel, Sie können ja selbst nur noch mit Mühe stehen, entschuldigen Sie, stehen, das geht, sagen Sie, gehen auch noch zur Not, laufen schon schwieriger. Damit man nicht an den Tod denkt, wenn man Sie anschaut, haben Sie mich hierher gestellt, den niemand zu keinem Kult anstiften muß. Ich darf jetzt ein Anstifter sein, vielen Dank! Sie, Frau, dürfen nur Ihren Stift anspitzen, wenn Sie das nicht zu sehr anstrengt. Aber was Neues anziehen, das wollen auch Sie, dann sieht man den Tod in Ihrem Gesicht nicht so. Mir ist das alles fremd, was Sie sagen. Was Sie angezogen haben, schon weniger. Sie wollen mit der Jugend Schritt halten, aber das geht nicht, die ist Ihnen weit voraus, die hat Sie längst überholt, ihre Schritte verklingen in der Vergangenheit, die auch eine Jugend hat, aber die sagt zu ihrer recht kurzen Vergangenheit nur: aus den Augen, aus dem Sinn, nein, so spricht sie schon gar nicht, die Jugend, ich weiß es nicht, Sie sollten es wissen, wenn Sie einen jungen Mann auswählen, aus dem Sie sprechen wollen, und eine Vergangenheit, aus der Sie kommen, Autorin, doch ich komme von woandersher, ich komme nicht aus dem Gebirge her, das sind schon wieder Sie, die da herumfaselt. Sie waschen sich, aber Sie machen sich nicht naß. Ich würde sowas nie sagen. Sagen Sie mir, was ich sagen soll! Aber ich würde sowas nie sagen. Ach, da haben wir ja einen Anhaltspunkt in unserem Dreipunktgurt, auch ein Wort, das ich nicht kenne, doch da steht es, da steht es wie ne Eins, und es geht nicht weg, was da steht, und ich kann auch nicht weg, denn da hängt eine an mir. Autorin: Erkennen Sie sie wieder, die Vergangenheit? Dafür sind Sie da, dafür haben wir Sie ausgewählt, daß Sie die Vergangenheit kennen, die wir noch nicht haben. Die ich nicht habe. Oder nur wenig davon. Ein junger Mann braucht auch noch keine. Die zieht er sich später an. Er kann noch alles tragen. Derzeit sind die Schultern wieder breiter, ich sehe ein, daß Sie das erkennen, Sie haben es ja schon beim ersten Mal erlebt, wie sich die Schultern zum reißenden Strom verbreitert haben, Autorin, Sie Schmalspur-Bächlein!, beim zweiten Mal auch, und jetzt ist das dritte Mal angebrochen. Und Ihre Packung ist nicht nur angebrochen, die ist fast leer. Die Schultern? Wen interessieren die Schultern? Manche müssen sie interessieren, wenn sie sie wieder weghaben wollen. Manche haben schon fast zu breite, die Natur hat ihnen das angetan, aber sie haben auch fest daran mitgewirkt, wie die Fürstin, die Schwimmerin war, und in diesem Kleid, sehen Sie, ergreift sie die einzige Möglichkeit, ihre Form sich selbst etwas geringfügiger, ich meine gefügiger zu machen, und zwar so, wie sie nicht durch eigene Arbeit an sich gefügt worden ist, sondern durch Sport, durch das Sinnlose an sich, aber das Schönste, die schönste Nebensächlichkeit, wie man sagt, die Ärmel, nein, eher breite Träger, die verdecken die Schultern, verkleinern sie optisch, sie erwecken das Leben der Schultern, indem sie es verdecken, und machen so die Schwimmer-Silhouette schmäler, zarter. Was das mit dieser Straße zu tun hat? Nichts. So wie ich als junger Mann nichts mit Ihnen zu tun habe, Autorin, haben Sie das jetzt geschrieben oder nicht?, sehen Sie!, nichts mit einer alten Frau zu tun haben will. Aber etwas Ähnliches werden Sie hier schon finden, das Ihre Sprache spricht, das Ihre Sprache noch spricht, das in Ihrer Sprache zu Ihnen spricht, denn Sie finden hier alles. Mich schwindelt, wenn ich es mir nur vorstelle. Ich ertrage das nicht. Aber vielleicht das andre Geschöpf? Es ist Teil von mir, hält aber mehr aus, glaube ich.


Das zweite Geschöpf, die Frau, beginnt furchtbar am Mann zu zerren.

Doppelgeschöpf, weibl.: So lassen Sie mich doch in Frieden! Wenn wir schon aneinander hängen, müssen wir doch nicht vertraulich werden. Das Licht! Das Licht ist hier berühmt, ich weiß aber nicht, wofür. Es leuchtet hier, somit ist die Sonne gleich weit von ihren Absichten entfernt wie diejenigen, die sie beleuchtet. Sie ist die Bedingung für die Dinge hier in den Geschäften. Unverstört und bar aller Vernunft, die Straße ist nicht bar aller Seitenwege, die auch noch einiges zu bieten haben, eile ich dahin, um mich den schönsten Frauen dieser Erde anzuverwandeln. Ich habe alle ihre Fotos und gehe in ihre Richtung. Ich kann nicht so sein wie sie, aber ich kann es mir vorstellen, wenn ich das Teil nachher zu Hause gleich wieder an- und ausprobiere. Es ist eine unendliche Annäherung, die nie im Sein mündet, Achill und die Schildkröte, so ist das. Wir fallen nie ineinander, erreichen einander nie ganz, die Schönheit und ich, Sie sagen natürlich, ich sei meilenweit entfernt von ihr, der innerste Grund für Ihre Schwierigkeit, mich mit dem vollen Wesen Ihres Urteils anzusehen, liegt nicht in meiner Unvollkommenheit, sondern in Ihrer Hineinversessenheit in diese Fotos, deren Reiz ich auszureizen, nein, zu erreichen versuche. Es geht nie, aber ich nähere mich ihr an, dieser Frau auf dem Foto, nur ihretwegen habe ich diesen Rock gekauft, näher kann man ihr nicht kommen, und näher kann ich mir nicht kommen, näher als ich, wer, wer sollte das sein? Nie! Niemand! Ich gehe jetzt den Zeit-Raum der Wahrheit enthüllen, hören wir, was sie mir sagt: Das Sein ist und bleibt, egal, was man anhat und womit man sich schmücken mag, in höchster Not, es bleibt immer gefährdet, es bleibt das gefährdete Inzwischen, oh nein!, da probier ich lieber mal das Zwischendurch, vielleicht schaff ichs ja für zwei Minuten, genau hier, zwischendurch das Zwischendurch, um dem Inzwischen zu entgehen, wie diese Frau zu sein, ja, die, wenigstens für kurze Zeit, Gott? Nein, nicht Gott, das meinen viele, das meine ich aber nicht. Ich heiße so und so, und das heißt, ich heiße auch was! Das sind zwei verschiedene Dinge, mindestens, wenn nicht drei. Ich sehe verheißungsvoll aus, bin es aber nicht, denn ich verheiße immer nur mich selbst, und das auch nur mir selbst. Je mehr ich kaufe, je tiefer ich in den dunklen Wald der Gier eindringe, als würden dort die Flammen herausschlagen, und ich müßte sie löschen, umso enttäuschter bin ich, denn eindeutig brennt dort was, aber nicht für mich, vielleicht alles, aber ich bin es nicht, mein Sein entbrennt dort nicht, es glost etwas, das steht fest, aber was? Ich muß dorthin! Ich muß etwas retten und merke, ich bins selbst! Für mich allein tue ich das alles schließlich!, ich tue es in all meiner Armseligkeit, bis ich erloschen bin. Die Alten dachten sich die Götter als etwas Seiendes, so darf also auch ich sein, wie ich will. Aber das geht jetzt auch nicht, denn ich habe leider einen Spiegel, und in dem bin ich leider drin, ich bin also im Bilde! Für das Sein habe ich keine Zeit, ich möchte ja jemand andrer sein, zum Beispiel die Frau auf dem Foto, dann wäre das Sein bei mir ein ewiges Inzwischen, in einer Art Zwischenspeicher, den man jederzeit wieder aufrufen kann, doch das geht nicht, ewig geht gar nicht, denn inzwischen habe ich etwas anderes zu tun und zu tragen. Trotzdem, ich muß an mir arbeiten, ich muß mir so viele Sachen kaufen, was zuerst Arbeit bedeutet, um sie mir zu kaufen, und dann Arbeit, um mich damit herzurichten, für den Tod auf einer Platte herzurichten, schön dekoriert, wie Essen, ich bin Speise für den Tod, je schöner desto schneller wird er mich bemerken. Ich bin meine eigene Göttin, bilde ich mir ein, wenn ich dieses Bild sehe, ich bilde mir ein, wie ein Bild zu sein, eine Göttin, die früher ein Gott war, dann wurde sie herabgestuft, jetzt ist das eher neutral, egal, da ist jemand. Wer ist da bitte? Ist da jemand? Bitte melden Sie sich, ich bin im Inzwischen und suche das Dazwischen, zwischen dieses Bild und meinen Spiegel klemme ich mich hinein wie eine Notiz, die ich noch lesen muß, das winzige Stück, das fehlt, ich weiß schon, Sie werden sagen, mir fehle so ziemlich alles, stimmt, aber ich habe diesen Zwischenbereich nun mal geschaffen, er hält, solange mir der neue Rock gefällt, das wird erfahrungsgemäß nicht lang sein, und es wird nur in diesem Bereich für mich gelten, nur für mich, dort können Sie mich jederzeit anrufen, aufrufen oder sonstwie erreichen, was machen Sie da? Was werfen Sie da zwischen mein Inzwischen und die Welt eine neue Notwendigkeit? Die Notwendigkeit, sagen Sie, der Vereinfachung, des Schlichten, des Einschlichtens (was glauben Sie, was ich an Regalen und Schränken verbrauche!) und der Stille, ja, der Stille, denn für meinen Auftritt brauche ich keinen Lärm, keine Musik, keine Orgie, nein, das Schlichte ist es für mich, ich bin fürs Schlichte, davon gibt es auch sehr, sehr viel, und es gibt auch mir sehr viel, obwohl es so viele Varianten des Schlichten gibt, daß man sich darin, obwohl es schmucklos ist, bei aller Schlichtheit gar nicht mehr auskennt, glauben Sie mir, mehr als Sie denken gibt es mir, obwohl es doch scheinbar das Einfachste ist, ist es doch waghalsig unter lauter Überschmückten, Überschminkten in dieser Stadt, dafür ist sie berühmt. Wenn die Frauen hier nur in den Supermarkt gehen, super hergerichtet, in gewissen Vierteln, wo sie sonst nichts zu tun haben, dann steigen sie aus ihren schweren SUVs, dann werden ihre Hände fast abgehackt von schweren Armbändern, das Gesicht eingedrückt von ihrem Make-up, der Rücken von Reizwäsche verprügelt, dann tragen sie dafür immer, immer, wirklich immer sehr leichte, sehr hohe Schuhe (im Winter Stiefel, aber auch sehr hoch), das stört schon mal das Gleichgewicht, denn sie haben zuwenig Halt, dafür hat ihr Wagen zuviel, zuviel Grips, äh Grip, ihre Schlüsselbunde sind schon dermaßen schwer und zum Beispiel von Versace, ich habe es selbst gesehen!, die Schwester ist jetzt dran, nachdem der Bruder umgebracht worden ist, in Florida, nein, das habe ich natürlich nicht selbst gesehen, war auch unnötig, wir wissen alle, warum und von wem, das war traurig, ach, ich erkenne den Schlüsselbund an diesem Versace-Gesicht, ich hab es auf einer meiner Lidschattendosen drauf, leider hab ichs nicht drauf, es zu meiner Verschönerung zu benutzen, ich würde es jedoch überall erkennen, dieses Gorgonenhaupt oder was es ist, sehe es aber nirgends mehr, haben die überhaupt noch eine Kosmetik-Linie?, auch falsch gedacht und falsch gesagt, falsch gesehen, falsch gesagt, oder?, was wollte ich denn überhaupt sagen? Wenn diese Frauen nur einen Liter Milch und zwei Salatköpfe kaufen gehen, fallen ihnen schon die eigenen Köpfe beinahe ab, so schwer ist ihr Haar, so schwer fällt es herab, in riesigen Wellen, die Farbe umgibt jedes einzelne mit mattem Schimmer, zu mehr reichts nicht, ich meine, weit reicht dieser Schimmer nicht, wir werden gleich darauf zurückkommen, aufs Schlichte, Sie sagen, hoffentlich nicht, wo diese Stadt doch so kompliziert ist, was müssen Sie das durch das Schlichte noch weiter komplizieren?, da wir vom Komplizierten schon zuviel haben, Sie wollen über das Schlichte sprechen? Lassen Sie das, das ist ein Land, wo wir nie waren und nie hinwollten. Unsere Bauernhäuser, die die Zähne fletschen vor Anstrengung, auch wirklich ländlich auszusehen, sind ja auch nicht schlicht. Dem Stand der Behandlung der Urteilsfrage kommen Sie vielleicht näher, wir aber nicht, Ihr Urteil stand ja schon von Anfang an fest: In dieser Stadt steht zuviel vor! Ich meine, sie hat zuviele Vorsprünge, aber sie hat keinen Vorsprung, vor nichts. Das beißt, dieser Vorsprung! Das fährt heraus und beißt die Menschen, daher können wir auch nicht dorthin zurück, wir können nicht zurück in die Stille, wo das Auge im Liegestuhl liegt und sich ausruht, ja, und dort, in der Stille, dem Verstummen vor dem Stilvollen, die nach dem Schlichten entsteht, da passiert dann was, keine Ahnung, ja, diese Stille, wenn man endlich all das Zeugs eingeräumt hat, das neue Teil aber sofort wieder rausreißt, man ist im Zweifel: Steht es mir wirklich so gut, das muß noch mal überprüft werden und noch einmal, bis in die Nacht hinein das Teil immer wieder vom Bügel reißen und sich zumindest anhalten, wenn man nichts andres im Leben zum Anhalten hat; man reißt sich davon los, man muß sich irgendwann wieder losreißen, und wenn man den Raum dann endlich wieder geräumt hat, nein, nicht aufgeräumt, das nicht, geräumt, befreit von sich, was jeder einmal muß, dann, ja dann, gehen das Schlichte und das Stille ihre Verbindung ein, man schaut sich wieder dieses Foto an, auf dem eine ganz andere, natürlich muß es eine andre sein, denn selbst erreicht man das ja nie!, auf dem also eine ganz andre Frau den Rock trägt, das schaut dann gleich ganz anders aus als an einem selber, und man weiß instinktiv, nein, man weiß, weil man es irgendwo gelesen hat, nein, man weiß gerade, weil man es nicht gelesen hat, daß alle Dinge in ihrem innigsten und auf ihr innigstes Sichgehören zusammengehen, gemeinsam auf die Schlichtheit und Stille zugehen und dann, indem sie so innig sich gehören, so innig sie selbst sind, obwohl das nicht gemeint ist, dann, ja dann, ich weiß nicht, dann gehen sie halt in dieses Sichgehören hinein, sie haben ja nichts anderes, gehen darin auf und verschwinden, und ich verschwinde auch, denn ich schaue, obwohl der Rock genau der gleiche ist wie auf dem Foto, niemals so aus, wie der Rock aussehen sollte, allerdings an jemand anderem, weil ich die bin, die ich bin, schaue ich leider immer anders aus, bitte, das passiert Gott auch, und der ist sogar der, der er sein wird, was mein Modeproblem lösen würde, ein für allemal, der, der er sein wird, ich sagte das schon oft, weil es mir so gefällt, doch ich, ich Arme, bin nie diejenige, die ich sein werde, denn ich bin schon wenig und werde immer weniger, immer älter, immer wertloser, ich bin ja schon jetzt längst nicht mehr die, die ich sein werde, und schon gar nicht, lang nicht mehr die, die ich sein möchte. Schauen Sie sich das Foto ruhig an, schauen Sie mich an, dann wieder das Foto, dann wieder mich, und Sie werden sehen: Es geht nicht, was auch immer, es geht nicht. Die Frau auf dem Bild schaut aus, als gehörte sie ganz sich selber und als könnte der Rock, den sie da trägt und den auch ich mir gekauft habe, genau den gleichen!, doch ich schaue ihn mir lieber auf dem Foto an als auf mir, als könnte dieser Rock auf dieser Straße einen Eindruck hinterlassen, keine andre käme je dafür in Frage, denn in der Kleidung stecken ja leider Menschen, das ist der Nachteil; genau diese Straße muß es sein, in die man sich hineindrückt, hier konzentriert sich alles, nur ich bin unkonzentriert und kaufe mir etwas, das an mir nicht so aussieht, wie es aussehen sollte und wie es schon ausgesehen hat, das ist der Beweis, daß es so aussehen kann!, wenn auch nicht an mir, das schaffe ich nie, zu erreichen, daß dieser Rock an mir so aussieht wie an der Frau auf dem Foto. Nie nie nie! Tausend Dinge sprechen dagegen, obwohl der Rock jetzt mir gehört. Genau der gleiche, aber nicht dieser, dieser an der andren Frau wäre vielleicht besser für mich gewesen, obwohl er ja genau der gleiche wie der andre gleiche ist, desgleichen die Bluse dazu, die kann ich durch eine ersetzen, die ich schon habe, das merkt kein Mensch. Leider merkt aber jeder, daß ich nicht die Frau auf dem Foto bin, daß ich mir also den Rock ganz umsonst gekauft habe, weil er keinen andren Menschen aus mir machen kann. Obwohl er mir jetzt gehört. Also ich möchte mir nicht gehören, wenn ich der Rock wäre. Jedem, aber nicht mir! Jeder, aber nicht mir! Weg von mir, weg! Da hilft nur eilige Flucht! Ich muß morgen oder übermorgen oder nächste Woche unbedingt noch zu Dior, zu Chanel, zu dem, was einmal Valentino war und jetzt nur noch so heißt, ich muß dorthin eilen, um zu überprüfen, ob dort was ist, das mir gehören und aus mir eine andre machen könnte. Wo ich doch so unzufrieden bin mit mir! Bin ich aber dort, das ist mir jetzt schon klar, werde ich wiederum nicht wissen, was ich dort soll, denn ich würde mir dort nie was kaufen. Obwohl jederzeit die Chance dafür besteht. Ob ich mich, wie einst Dionysos, in den Schenkel dieser Göttin, die es nicht geschafft hat, ein Gott zu werden, da fängts ja schon an!, einnähen lassen könnte, um einmal, ein einziges Mal, sie zu sein, nicht nur wie sie auszusehen?, was natürlich ganz unmöglich ist, beides unmöglich. Es stimmt nichts. An mir nicht, an anderen nicht, aber an dieser Frau stimmt einfach alles! Trotzdem, ich heiße nichts, und dieses Teil heißt an mir nichts, Dior heißt ja auch nur noch so, er ist es nicht mehr, er ist nicht mehr, Chanel heißt nur noch so, sie ist es nicht mehr, alles falsch, alles falsch, obwohl es garantiert echt ist: alles falsch, weil echt!, sie heißen alle noch so, wie sie heißen, aber sie sind es nicht. Ich muß zu denen hin, wer immer sie sind, unter welchem Namen auch immer sie auftreten!, weil ich ihre lieben Namen aufsuchen will, die inzwischen wieder prallvoll sind mit neuen Inhalten, immer neuen, neue Inhalte von ganz neuen Menschen, das ist wichtig, denn obwohl der Rock vom vorigen Jahr fast genauso aussieht wie dieser, ist er es nicht, und er ist es genausowenig wie ich, wenn ich den von diesem Jahr, den allerneuesten sogar anhabe, dafür habe ich das Geschäft in dieser Straße aufgesucht, dafür habe ich mir diese wunderbaren Dinge ausgesucht, die sich auf meine Ankunft aber nicht freuen, ich kaufe ja nichts, denn leider habe ich schon gekauft, das Falsche, und leider bin ich auch nicht die, die ich nie sein werde, die bin ich jetzt schon nicht. Ich bin aus meinem Dasein herausgewachsen, aber noch in kein andres hineingekommen. Es paßt mir keines. Keines paßt zu mir. Man kann sich so leicht irren, und dann ist soviel Geld weg, das ist eine einfache Erfahrung, die ich aber allzu oft gemacht habe. Es ist alles falsch, weil alles an mir falsch ist, und alles falsch an mir, was nicht dasselbe ist. Bitte unterscheiden! Denn wenn Sie nicht unterscheiden können, sind Sie hier sowieso falsch, dann sind Sie schief drapiert, ich meine gewickelt, dann sind Sie falsch wie ich, und ich habe noch nie in meinem Leben ein Abendkleid besessen, stellen Sie sich das mal vor! Es war kein Bedarf daran und danach und dafür und an und für sich gegeben. Wohin hätte ich damit auch sollen? Man hat mich nicht angefordert. Ich wüßte nicht, wohin damit. Das ist wie mit dem Denken, man weist ihm seinen Weg, aber dort will es nicht hin, es will immer nur dorthin, wo es das findet, was es schon kennt. Zumindest meines. Mein Denken hat längst aufgehört, sich an dem, was ist, anzuhalten, es geht weiter wie ich (nicht: als ich! Das kann es nicht!), es geht, doch es kommt nie irgendwo an; und da tut sich ihm eine riesige Auslagenscheibe auf, an der jeder sein Auslangen finden würde, auch Größere als ich, also fast alle. Ich gehe in die Irre, hier steht es ja, was bildet es sich eigentlich ein?, da bilde ich mir immer so viele Sachen ein, die ich haben muß, unbedingt, und nützt es mir was? Nein, dort stehe ich, in die Irre gehe ich, die die Wahrheit ist, allerdings die Wahrheit über mich selbst, nicht die über diese Kleider, mir fehlen für sie die Worte, sie verstecken sich hinter anderen Frauen, die ich nicht bin, sie verstecken sich hinter den Terminen, nein, hinter der Terminologie, die ich nicht kenne, man kann Kleidung nicht schreiben, und wenn man über sie schreibt, versteht man nichts. Genauso wie mein Körper nicht versteht, was ich ihm da übergestülpt habe. Was soll das? Glauben Sie wirklich, das steht Ihnen, fragt der Körper, fassungslos darüber, daß man ihn mit sowas einzufassen, zu fassen versucht? Mein Körper ist unfaßbar anders, als er sein sollte! Das steht fest. Man gerät in die größte Verlegenheit, das sowieso, aber auch weil man die Worte nicht kennt, man greift etwas an, man faßt etwas an, meine ich, man greift ins Leere der Beschreibung, und das Teil, das unbeschreiblich schön ist, bläst sich da auf, als könnte es alleine bestehen, wenn auch nicht an mir, sondern an diversen anderen Frauen, viele sinds nicht, denen das stehen würde, denn die vielen haben nicht die dazugehörigen Körperformen, die haben nur ein paar davon, wenn man die ganze Welt nimmt, werdens schon ein paar mehr sein, ich gehöre nicht zu ihnen, die meisten andren auch nicht, also. Punkt. Ich mach mal einen Punkt, obwohl der hier genausowenig hergehört wie dieser Rock auf mich drauf. Ich stehe neben mir, wie dieser Punkt immer neben etwas steht, einem Satz, aber in diesem Rock stehe ich noch mehr neben mir als sonst. Der Rock ist das Daneben. Ja, er ist so eindeutig daneben, daß er das Daneben persönlich ist. Er ist am falschen Ort und an der falschen Person, und auch sonst ist alles falsch an ihm und an mir. Ich schaue und bin im Leeren, hinter meinem Wort gibt es keinen realen Zug, aus dem sich diese Teile, diese Stücke zusammensetzen, nein, nicht dieses Stück, dieses neue Teil, das ist gar keins, weil es gar kein Ganzes gibt, dessen Teil es sein könnte. Schauen Sie und schauen Sie ins Leere, nein, ins Volle, das Leere vortäuscht, denn Leere ist der neuen Überfluß, der in der Leere und in der Irre und im scheinbar Irren (wer soll sowas tragen???!!!) verborgen ist. Reduziert man die Varianten dieses Kleidungsstücks noch weiter, ist man immer noch nicht nackt, denn es besteht schließlich aus Varianten, und jede einzelne von ihnen ist mehr als nichts, weil alles mehr ist als nichts, bloß ich nicht. Ich bin ein Nichts vor diesem neuen Rock, weil diejenige, die ihn auf diesem Foto trägt, schon alles ist, schon alles für sich beansprucht, alles förmlich eingeatmet hat, deshalb ist seine Form ja so gut, und ich bin ein Nichts daneben. Wie dieses Nichts beschreiben? Also. Punkt. Daneben. Die Grundform ist auszumachen, aber man kann sie ausknipsen wie eine Lampe. Nur die Varianten zählen, doch ich kann sie nicht beschreiben. Ich kann nichts beschreiben. Dann sagt man halt: Es ist unbeschreiblich. Dieses Kleid erst verwandelte meine Gestalt in eines Menschen Wesen, aber das ist Blödsinn, doch dieses Kleid verwandelt mich irgendwie, finden Sie nicht?, bitte finden Sie das, damit ich endlich verwandelt werden kann! Wie hat der Rock von vorhin, den ich jetzt überspringe, er ist ja ziemlich niedrig, das geht!, wie hat der das doch gleich gemacht? Er wird eine ganz andre Gestalt in ein Wesen verwandeln, das ich auch nie sein kann, entweder der Rock verwandelt mich, oder ich verwandle den Rock, also eindeutig besser, ich werde verwandelt. Vielleicht kommt was raus dabei. Nie kann ich sein, was ich sein möchte, weil das schon jemand andrer ist, und in diesem Kleid, in diesem Rock merkt man das besonders stark. Ich sollte das nicht anziehen, weil ich dann jemand ganz andrer bin, der ich zwar sein möchte, aber nie sein kann, und wenn man mich in diesem Kleid, diesem Rock anschaut, merkt man ganz besonders, daß ich eine ganz andre sein sollte, wenn es nach Ihnen geht, aber von Ihnen aus kann ich alles machen, ich kann sogar machen, daß ich fort bin (da bin ich ja ganz weg!), wenn es nach Ihnen geht; wenns nach mir geht, ich bin nachsichtiger mit mir, wäre es schon angebracht, und zwar an mir angebracht, daß ich eine ganz andre sein möchte. Denn wenn dieses Kleid mich in ein Wesen verwandelte, das ein Mensch sein soll, nein, das dieser spezielle Mensch auf dem Foto sein soll, was völlig unmöglich ist, dann, ja, dann gibt es mich nicht mehr. Ich bin dahinter verschwunden. Wozu es also erst kaufen? Ich verweigere das. Ich verweigere den Kauf. Heute, ja, heute! Aber gestern habe ich ihn nicht verweigert, und jetzt steh ich da in diesem Rock, der auf eine andere verweist, und diesen Verweis muß ich annehmen und einstecken, diesen Verweis kann ich mir nicht abschminken. Ich bin keine andere. Ich mag ein andrer sein, bloß ich bin leider keine andere. Und auch die Menschen, die diese Teile schufen, diese Menschenhüllen, die über Menschenhülsen drüber sollen – Hülsen, die ausgeworfen wurden, nachdem die Menschen abgeschossen worden sind –, sind andere, wieder andere, nicht die einen anderen, sondern die anderen anderen. Sie irren sich, wenn Sie glauben, die Namen bedeuten etwas, sie bedeuten schon etwas, aber was andres. Das ist diese Straße: die Irre, in die alle gehen, weil nichts an ihr irre ist. Im Gegenteil. Der Irrsinn kommt später, alles zu seiner Zeit, so ist das mit dem Irrsinn in dieser Stadt. Er findet statt, wenn er darf und wenn es angesagt wird. Nicht vorher und auch nicht nachher. Dort flaniert man, obwohl alles so säuberlich aufgereiht und ausgestellt und angefüllt ist, in die Irre, nicht ins Irresein, denn es gibt nur die, also ist es keine Irre mehr. So wie Valentino schon eine Zeit lang nicht mehr Valentino ist und Chanel schon lang nicht mehr Chanel, so ist diese Straße ein einziger Irrtum. Sie irrt sich in ihrem Irrtum jedoch nie, sie findet sich immer zurecht. Betrug! Wer betrogen? Na, ich zum Beispiel! Das, was sie einmal war, keine Spur mehr davon!, das kleine Buchgeschäft, wo ich immer Theater heute gekauft habe (es gab es nicht so oft zu kaufen, dort aber schon, wahrscheinlich wegen der Nähe zu den Theatern dort), der elegante kleine Wäscheladen oder jener, an den ich mich zu erinnern versuche und stattdessen Sie erinnern werde: Carnaval de Venise, ja, so hat er geheißen. Wir werden ihn noch treffen, nein, werden wir nicht. Die leeren Hülsen sind bereits weggekehrt worden. Dabei sind doch wir es, die getroffen wurden und dafür jetzt hier angetroffen werden, wie wir etwas suchen, in dem wir prunken können. Dann müssen wir aber auch die Wahrheit im Urteil über uns ertragen können. Dort, wo wir einmal waren, wird man uns nicht mehr treffen, aber auch woanders werden wir abgeurteilt, mit Blicken, und diese Urteile werden bestimmend sein. Schon rennen wir wieder in die Straße, um die Urteile über uns ein wenig gnädiger ausfallen zu lassen. Was für ein Selbstbetrug! Diese ängstliche Erwartung in unserem erwartungsvollen Gesicht, und wieder erwartet uns keiner. Daß wir wissen, wie und wo unser Aussehen hergestellt wurde, begnadigt uns nicht, im Gegenteil. Daß es hergestellt wurde, macht uns unwichtig, denn etwas, das hergestellt werden kann, das etwas Gemachtes ist, heißt, daß sich jeder daran zu schaffen machen kann. Doch niemand schafft es. Das ist deren Rache, daß sie selbst nichts schaffen können. Und gewiß werden wir nicht mehr so, wie wir waren, angetroffen werden, nachdem man uns getroffen hat. Wir fallen um. Das wars. Wer will schon gerne tot sein? Wie soll ich das wissen? Es sagt einem ja keiner. Sagen wir statt Tod doch einfach: Warten. Das erklärt Ihnen jeder. Das Warten ist dazu da, daß man seine Mitmenschen mit den Augen schwer prüft und selbst geprügelt wird.

 


Doppelgeschöpf, männl.: Aber nein, was redest du da! Es gibt sie mehr als alles andere, diese Straße, sie drängt sich nicht auf, was kann sie dafür, wenn alle zu ihr drängen? Wie gern hält man sich in ihr auf! Du doch auch, gibs zu! Du hast die Stadt bloß gegen dich aufgebracht, das kann jedem mal passieren. Wie viele parken falsch und bezahlen die Gebühren dafür nicht! Manche gehen ins Gefängnis für dieses Wagnis, wenn sie es nur oft genug eingegangen sind. Die machen die Stadt genauso böse, wie sie schon ist, ich meine, so wie du sie böse gemacht hast, bloß weil du da warst!, doch zu ihnen kommt nur selten jemand ins Haus, dort dringen sie nicht ein, nur in Ausnahmefällen, und du bist halt so einer, die meisten bleiben von der Stadt verschont und suchen sie auf, anstatt von ihr aufgesucht zu werden, das muß ich zugeben. Du hast der Stadt etwas getan, du hast jene Götter erzürnt, die am Ende der Straße in ihrer Walhalla thronen, du hast nicht versucht, ihr Wohlgefallen zu wecken, wie auch, du gefällst dir ja nicht mal selber! Da hast du eben die glücklichen Zufälle der Blicke, die sie dir gestattet haben, aus reiner Freundlichkeit, aber immerhin, die hast du verwirkt. Sie schicken dich jetzt gewissermaßen um den heißen Brei herum, der du selber bist. Geschieht dir recht, das kommt, weil du niemand an dich heranläßt, dann kommen eben sie, nein, nicht die Schriftgelehrten, auch nicht die Pharisäer, egal, es kommt halt irgendwer, aber stets zu mehreren. Nein. So würdest du es wohl gerne sehen, aber wenn Verfolgung stattfindet, ist die Person, egal welche, vollkommen unwichtig und unbedeutend, sie gilt nichts vor der Stadt. Die behandelt alle gleich. Ihre Hunding-Sippe kommt überall rein. Sie verschafft sich Zutritt, sie tritt dann selbst, kommt zu allen irgendwann, nicht gleich mit schwerem Geschütz, das muß sie nicht auffahren, während sie die Essen in ihren Freßtempeln auffährt, daß sich der Boden biegt; nein, die Stadt kommt lieber in kleiner Form zu Ihnen, und wäre es als Briefträger oder Paketzustelldienst, na, der ist meist privat und dementsprechend orientierungslos. Aber die Stadt darf. Sie darf dich nehmen, sie muß ja irgendwas nehmen, da kaum noch etwas in ihr auf Geschichte hindeutet, da sind nicht die architektonischen Improvisationen andrer, größerer Städte, berühmterer, da ist nichts Regelloses, nichts Regelloseres als die Feldherrenhalle, die gehorcht – und früher hat sie sogar gewußt, wem –, die Regeln gehorcht wie alles hier, nur die Stadt gehorcht ihnen selbst nicht. Denn weil diese Stadt, sogar diese Prunkstraße so klein und unbedeutend sind, herrschen hier eben Regeln. Das regellose Sich-durcheinander-Tummeln ist hier nicht möglich. Man kommt nicht aus, man kann nicht ausweichen, das merkst du ja jetzt an dir. Sie lassen es dich spüren. Die Menschen haben hier keine Ausweiche, keine Stelle, wo sie umdrehen könnten, wenn sie sich verfahren und Verfahrenshilfe beantragt haben, es geht nur gradeaus weiter. Gradeaus, und grade darin liegt die Kleinheit der Stadt, nein, das liegt an der Kleinheit der Stadt, daß alles so geordnet ist, sein muß, denn grade im Kleinen findet man sich oft schlechter zurecht als im Großen, wo überall Schilder aufgestellt werden können. Sogar in deiner eigenen Wohnung hast du dir einmal fast die Zehe abgerissen, und dort kennst du dich nun wirklich aus. Du kennst dich aus, und dann das! Doch wenn sie bei dir einbrechen, tun sie das nicht regellos, sie stürmen nicht einfach durcheinander, sondern es geht alles in Ordnung vor sich, schließlich wollen sie in deiner Gestalt Ordnung herstellen, und zwar ihre, eine andre kennen sie nicht, die Herren der Stadt, die noch des Försters Schritte im Wald vernahmen, von dort kommen sie zwar her, dort wollen sie aber um keinen Preis mehr hin, aus dem spärlichen, unvollkommenen Unterricht der Wälder. Die Ordnung ist in der Stadt das höchste, weil eben die Häuser nicht hoch sind und auch nicht hoch werden dürfen, das ist vorgeschrieben. Die Stadt war einmal total kaputt, vielleicht liegt es daran? Wenn die Häuser niedriger sind, kann weniger kaputtgehen, und es ist dann weniger wegzuräumen. Weniger Schutt und Geröll. Da kann und darf es keine Stelle geben, die man vergeblich sucht. Man weiß, wohin man will, und man findet es ohne Umschweife; auch wenn das Auge herumschweifen mag, der Besitzer muß es nicht. Gehen und schauen, das ist die Naturerfahrung hier. Und da muß keine Tragweite der Umwälzung abgeschätzt werden, solange man nur geschätzt wird. Eine Umwälzung kann es hier nicht geben, das merkt man sofort. Es ist auch die Vergeblichkeit hier ab sofort abgeschafft, die Stadt will das so; man schlendert vor den Scheiben, von einer zur andren, und das kann man in andren Städten an vielen Orten tun, hier aber gibt es fast nur diese eine Straße, die dafür jeder kennt, und sonst nichts, das jemand kennt oder von jemand gekannt wird. Na ja, stimmt nicht, in den Klatschspalten klatschen sie einander Beifall, und die kennen einander, weil nie etwas Neues von ihnen berichtet wird, sie kennen das schon. Sie wissen, daß sie keine großen Einsichten und Entdeckungen zu bieten haben, es genügt der Stadt ja, daß sie da sind, dankeschön, normalerweise werden diese Entdeckungen von vielen gleichzeitig gemacht, doch hier ist nicht einer, der eine macht, denn eine Entdeckung bedeutet ja, daß vorher nichts war, daß man vorher nichts gesehen hat, obwohl es da war. Aber die hat man immer schon gesehen, die sind ewig und müssen nicht mehr entdeckt werden, auch wenn man im Ton der Entdeckung, des ganz und immer wieder Neuen, von ihnen spricht; die wirklichen Entdeckungen, die nicht in den Klatschspalten stehen, nicht bei Graeter, den ich so liebhabe, nein, dort nicht, die müssen erst gedacht und dann immer wieder gedacht werden, und zwar in jener einzigen Anstrengung, über dasselbe wahrhaft und möglichst wahrhaftig dasselbe zu sagen. Also doch Entdeckungen? Hier ist alles festgelegt, hier ist nichts gewachsen, weil eben die Erde zu festgetrampelt ist, nichts gewachsen, das schon früher da war (was früher da war, das haben wir alles längst brav ausgerissen, nur ab und zu gibt es noch Ausreißer, aber die werden schnell wieder versteckt). Nichts Verstecktes also oder Winziges, nicht so wie deine Unterhosen, die sie in deiner Wohnung, an deinem Rückzugsort, deinem Refugium, das man dir nicht gönnen will oder nur gegen zusätzliche Bezahlung, für jede Hose muß bezahlt werden, und dann noch einmal, es sind ja mehr als zwei!, alles hier wird einem nur gegen Bezahlung gegönnt, nein, ich meine nicht die Miete, die nicht!, durchwühlt haben. Hier wird kein Auge zugedrückt. Alles da und offen, man muß nicht erst ins Offene kommen, und es wird klar: Man ist immer schon dort. Jedem sein Recht auf Einsicht! Man kommt von außen, und das soll man nicht tun.

Das will man ja, von außen kommen und die Bewegungsgesetze, gibt es die überhaupt?, außer Kraft setzen, indem man dauernd vor den Auslagen stehenbleibt, aber nicht hineingeht, also natürlich nicht in die Auslagen. Aber das nützt doch dann die Straße nicht so ab! Na ja, stimmt, aber nachher müssen Sie eben doch weitergehen! Das Gehen findet nicht statt, oder nur verzögert, als würde man sich von einer Ansprache an sich selbst abhalten wollen, dann müßte man ja die Wahrheit sagen!, meistens geht man nicht, und geht man dann doch rein, bereut man es. Oder man bereut es nicht. Alles hat zwei Seiten, und die meisten zeigen sie beide gern.



Doppelgeschöpf weibl.: Schwellenangst, die habe ich leider, aber ich will doch so gern hinein. Was tun? Rein oder raus? Was tun, wenn man sich nicht traut, also mir traue ich ja am wenigsten, aber wenn man sich nicht hineinwagt? Also das macht nichts, dafür trauen sich ja alle anderen, so fällt es nicht auf, daß ich draußen bleiben muß. Hier trauen sich alle alles, und alle trauen sich alles zu, sich und anderen. Alles offen, keine verdeckte Ermittlung. Meine Kleider wurden ganz offen fotografiert, meine private Post ins Offene gezerrt, und nicht von Freunden! Natürlich nicht, die haben meine Briefe ja schon! Alles kann gesehen werden, und sträubt sich einer dagegen, dann macht man es sichtbar. Das ist hier das Prinzip. Alles darf gesehen werden. Alles muß gesehen werden. Und wenn sie ein Stück der die Erde umgebenden Luft wegreißen müßten, damit man besser sieht, es dient der Sichtbarkeit, es ist für einen guten Zweck. Es muß gesehen werden, nein, Sie vertauschen mir nicht meine Worte und verwenden sie gegen mich, Sie versuchen es, aber es wird Ihnen nicht gelingen, Stadt, Sie da, Ihnen wird das nicht gelingen, mir meine Worte zu stehlen und meine Seherkraft, die grad nur bis zu dieser Schaufensterpuppe mit dem scharfen Kapuzenpulli reicht, wegzunehmen! In meinen lieben Leib dringt nichts mehr ein; ich sehe natürlich, daß Sie das sowieso nicht wollen, Sie wollen überall hinein, aber nicht in mich, um keinen Preis der Welt würden Sie das wollen, auch wenn Sie diesen Preis verlangen, jeden Preis der Welt, aber von mir, nicht für mich wollen Sie den Preis, ich brauch ihn nicht, ich hab selber einen!, logo, nicht in meinem Leib, aber von meinem Leib wollen Sie es, Sie würden es sich notfalls herausschneiden, aber rein wollen Sie nicht, Stadt, Sie, ja, Sie meine ich, Sie wollen etwas von meinem Fleisch, was soll es machen?, sagen Sie es mir!, aber mein Fleisch, das wollen Sie nicht, verstehe ich gut, Sie wollen in meine Fülle hinein und sich was rausnehmen, Sie wollen sich von mir eine Scheibe abschneiden, Sie behaupten, das stehe Ihnen zu, tja, Stadt, das stimmt! Während mich jähe Angst verscheucht, sodaß ich gar nicht anwesend bin, ich weiß schon, das ist Ihnen egal, Sie wollen ja nicht mich, Sie wollen nur ein Stück von meinem Fleisch kassieren, nehmen aber das Ganze auch gern, nein, nicht das Fleisch, alles, nur nicht das!, alles andre, was ich geschrieben habe, aber keinen großen Wert besitzt, alles, was ich geschrieben habe, das nehmen Sie jetzt mit und am liebsten das, was ich dafür bekommen habe, doch das ist, wie ich, nicht anwesend. Das alles dürfen Sie. Klar, da stehen Sie schon als manches Heer, in Rüstung, in Reih und Glied zur Schlacht bereit, kommen zu mir, bewaffnet, was doch wirklich nicht nötig gewesen wäre, bewaffnet mit einem gut und redlich unterschriebenen Schein, daß Sie das dürfen, und dann dringen Sie bei mir ein, nicht in meinen Leib, nein, das nicht, das interessiert Sie nicht, verstehe ich voll, mich auch nicht, aber sonst drängen Sie sich überall hinein. Sie stellen Wachtposten auf, vor jedem Zimmer einen, damit keiner das Zimmer vorher wegträgt, und dann dringen Sie ein, Sie dringen vor, bald werden Sie ganz durch sein, und dann werden Sie, beladen mit Gegenständen, an die ich mich gar nicht mehr erinnere, die jedoch meiner Denkerklause, in der ich immer alles verklausuliere, jetzt glücklich entkommen, die Weite suchen, die ich selbst immer gesucht, aber nicht gefunden habe. Dazwischen werden Sie alles bewachen, jede Tür, jedes Zimmer, jeden Schrank, sogar den Safe, den ich gar nicht besitze. Leeren Raum werden Sie bewachen, reine, nein, nicht reine Luft. Und nicht, um meine Zukunft aus meinen Eingeweiden zu künden, so weit, so tief kommen Sie wieder nicht, aber Sie verkünden, daß Sie mir das, was ich noch nicht zu geben hatte, was zu geben ich noch nicht bereit war, auch noch nehmen wollen. Was ich noch nicht gab, weil es das noch gar nicht gibt, das wollen jetzt Sie. Sie wollen alles sehen und alles haben, Sie wollen auch und ganz besonders das, was Ihnen nicht gebührt, dazu müssen Sie sich natürlich über Gebühr in mein Leben hineinbohren, sich ins Nichts einmischen, was das Gegenteil von Nichteinmischung bedeutet, Sie wollen rein in mein Leben und rausholen, was geht, was nicht möglich ist, denn ich habe ja gar keins, aber ja doch, ja, Sie haben eins, das sagen wir Ihnen auf den Kopf zu, und das nehmen wir uns jetzt. Sie wollen, Sie müssen überall hinein, Sie behaupten, daß ich, außer keinem Leben, ja wohl doch eins haben muß, woher wäre ich sonst und wären meine Werke denn sonst gekommen? Und von diesem Leben steht uns etwas zu. Geben und nehmen, aber lieber nehmen, das ist das Prinzip der Stadt und ihrer Stadtvertreter. Das strebt man an, ich will nicht einfach banal sagen: sehen und gesehen werden. Alles klar, daher sieht man es! Sie gehen erst, als verschwenderisch die Nacht herniedersinkt und sich den Rest auch noch nimmt, jeder darf sich was nehmen, seit die Hundinge damit angefangen haben. Ich entnehme mir ja selbst so viel! Mehr können auch Sie nicht in und an mir finden. Bis nichts mehr übrig ist. Wo die Privatheit aufhört, endet die Zivilisation, da können Sie jeden fragen, was Sie aber nicht tun werden! Die Wirkung auf mich konnte der Stadt nicht gänzlich unbekannt sein, schon bevor ihre Vertreter an mir ihre Arbeit begannen. Sie wollten diese Wirkung erzielen. Ich hatte gedacht, auch diese Stadt, in der ich mir manchmal die Beine vertrete, auch noch vertreten zu dürfen, keine Ahnung, vielleicht mit einem Meisterwerk?, aber das käme eher aus einem Stellenvermittlungsbüro, von einem Personalchef, der mit echten Menschen handelt. Ich nicht. Ich kenne die Menschen zu wenig. Also vertrete ich auch nichts und niemanden. Vielleicht weil man mich nie hier gesehen hat, weder in praktischer noch in lehrmäßiger noch in sonst einer Hinsicht, außer als Konsumentin und Entenfütterin. Leider kenne ich hier niemanden, sonst würde auch ich ja vielleicht dabei gesehen. Sie können gerne fragen. Ich bin die Vogelfütterin, das wird Ihnen jeder bestätigen. Die Leute kennen mich, sie sehen ja, wie ich mich verausgabe.



Doppelgeschöpf, männl.: Während das Sehen, das Suchen, das Finden, das dir geschehen ist, vor allem das Finden, auf das sie offenbar aus waren, ein andres Sehen ist, ein suchendes, lauerndes Sehen, ein Sehen, bei dem man dich in einem Unrecht ertappen möchte, und wäre es zu Unrecht. Es kann ja nicht rückgängig gemacht werden. Wenn du einmal gesehen worden bist, wenn du einmal so wirklich gründlich, bis in die Tiefe deiner Schränke, bis auf die Höhe deiner Regale, bis in deine mittels Fehlwäsche grauenhafte, nein, ergraute Wäsche, die aber noch gut ist, allerdings für den Genuß nicht mehr geeignet, aber sie ist schließlich nicht eßbar, nein, dazu dient sie nicht, wenn du also einmal durchsucht worden bist, dann kann das nicht mehr rückgängig gemacht werden. Man kann das, was man dir entnommen hat, nicht mehr zurückgeben, obwohl man es dir natürlich zurückgeben wird. In dieser Straße hast du ja auch kein Rückgaberecht. Wenn diese Schuhe von Jimmy Choo dir nicht passen, dann passen sie eben nicht und verschwinden im Nirgendwo. Rückgaberecht ausgeschlossen. Wer würde Schuhe tragen wollen, die du schon angehabt hast! In solchen Läden gibt es kein Umtauschrecht. Und genausowenig kannst du dich selbst umtauschen, nachdem man dir deine persönlichsten Dinge, ja, auch die aus deinem Computer, deinem geliebten Schatz, der fast alles enthält, was du besitzt und auch, mit wem du was hast, weggenommen hat. Danach wärst du liebend gern eine andre, hoffentlich nicht eine Liebende, aber das geht nicht mehr. Deine Mitmenschen wollen ja mit Menschen zusammensein, was will ich damit sagen?, daß schon das Wort es sagt?, ich weiß es nicht. Die Leute kaufen hier ein, um andere zu werden, schöner, eleganter, aber sie werden ja auch nicht andere, als sie waren. Sie nehmen sich überallhin mit. Paris zum Beispiel, von Paris sagt einer, der auch verfolgt worden ist, aber ernsthaft, am Leben bedroht, ein Selbstmörder, nicht so wie du, nicht so eine, die sich dauernd beklagt, aber nicht weiß, weswegen und worüber, eine einzige Ohrfeige in der Kindheit, und du beklagst dich bis heute!, wer hatte die nicht ausgefaßt?, wessen Gefäß wäre nicht übervoll, aber er spricht dann wenigstens nicht jahrelang darüber, und wer sagt das überhaupt?, wer sagt was?, einer sagt das, von deutschen Verfolgern verfolgt, denn was andres können Verfolger nun mal nicht, als Deutsche zu sein, von Paris also sagt dieser tote Mann, der inzwischen sicher auch auf natürlichste Weise gestorben wäre, wenn die Deutschen nur so lang hätten warten können, nur ein bißchen, im besten Fall ein paar Jahrzehnte, nein, das wäre nicht zumutbar gewesen, aber ein paar Jährchen hätte er sicher noch gehabt, von Paris, sagt er, werde gesagt, daß das sanfte Geheimnis seiner Hegemonie über das übrige Frankreich darin bestehe, daß diese Stadt im Herzen ihrer Bezirke, die ja sehr unterschiedlich sind, na ja, hier sind sie auch unterschiedlich, aber nicht so sehr, denn das hier ist Provinz in der Provinz, wenn auch nicht finsterste Provinz, eher helle Provinz, was manchmal noch furchtbarer ist, weil man dann ja alles sieht, Provinz, auch wenn es sich nicht so anfühlt, das ist es, genau das ist es, ich kann den Satz nicht unterbrechen und daher auch nicht abschließen, ich muß lesen und schreiben, zuerst lesen, dann schreiben, also abschreiben, nicht wahr, das ist bei mir wie selbst schreiben, ja, so ist es besser, weil ich nämlich in diesem Moment kapiere, daß es genau das ist, es ist, wie der Mann gesagt hat: Paris hat in seinem Herzen, das ein Herz der einzelnen Viertel ist, der unterschiedlichsten Viertel, diese in sein Anderes aufgenommen, was heißt das? Das heißt, daß Paris mehr Provinzen besitzt als ganz Frankreich und aus. Das steht im Raum, und Sie haben es nicht erwartet, hauen Sie sich nicht das Schienbein an, bloß weil Sie sich hier nicht auskennen! Denn diese Welthauptstadt, genau das, was diese Stadt, von der wir hier sprechen und in der wir uns derzeit aufhalten, so wie die Straße sich hier aufhält und niedergehockt hat, um ihre Notdurft zu verrichten und ihre Notdürftigkeit hinter den mit möglichst berühmten Namen versehenen, nein, natürlich ist meiner nicht dabei!, ihre Notbedürftigkeit also zu verbergen, was diese Provinzstadt eben nicht ist, ist Paris, Paris ist etwas anderes, Paris ist anders, so wie alles anders als alles andere ist, denn diese Hauptstadt, Paris, nicht diese hier, das ist keine Hauptstadt!, Paris also besitzt mehr Provinzen als das ganze Land! Genau. Und diese kleine Stadt, in der wir uns hier aufhalten, obwohl wir uns eigentlich nicht aufhalten lassen wollten, ist eine einzige Provinz, auch wenn sie etwas anderes vortäuschen, vorzeigen mag, bis manche es glauben und herfahren. Nicht hochfahren, nein, hochfahrend sind die hier, aber sie sind auch nett. Es ist eine schöne kleine Stadt mit netten Bewohnern innen, also so BewohnerInnen, innen, nicht wahr, ich könnte nichts andres sagen, und ich könnte es auch nicht kürzer, tut mir leid. Über andere kann man immer mehr sagen, was man ohnedies lieber tut, über andre reden, während man in Sicherheit ist, doch in Sicherheit, das bin ich nicht, das bin nicht ich. In andren Städten, gemeint hier wieder Paris, aus dem der Schreiber damals von den Deutschen ausgetrieben worden ist, das machen sie gern, austreiben, vertreiben, verfolgen, da gibt es auch Fröhlichkeit, welche aber auch hier hergestellt wird, man kann sie genauso trinken wie überall, man kann sie auch tanken, immer super. So. Ich muß jetzt endlich damit aufhören, mich in diese Schrecknisse mit hineinzuzwängen, dort ist längst kein Platz mehr, das machst schon du, die ganze Zeit, ich distanziere mich ausdrücklich davon, denn ich merke, daß ich dir schon nach dem Mund rede, nur um nicht mit dir in dieses Modegeschäft, "Klamotte", hineinzumüssen, dorthin strebst du, dorthin schleppst du mich, das weiß ich, wenn auch auf Umwegen, daß ich es nicht gleich merke, und du überlegst schon, wie du mich überreden könntest, mit dir hineinzugehen, da du ja so sicher bist, nichts alleine entscheiden zu können: Sollst du das jetzt kaufen oder nicht, aber du weißt in deiner Unsicherheit jetzt schon, daß ich wieder draußen vor der Tür sitzenbleiben und mit meinem Smartphone spielen werde, und wenn ich bloß das Wetter abfrage, das sich ohnedies über mir erhebt und direkt angeschaut werden könnte, bloß reingehen mit dir, nein, nein, das tu ich nicht, ich geh mit dir in die Straße, ich gehe mit dir zu dem Ort, den du auf Umwegen und unter Gedankenvortäuschungen und Gedankenvertauschungen, ja, diese Gedanken sind, wie die meisten, schon einem anderen vor dir gekommen!, den du also anstrebst, das merke ich daran, daß du verstummst, ich merke daran, daß du denkst, was bereits gedacht ist, für was Neues hast du jetzt nicht den Nerv und übrigens auch sonst nicht, du kannst nämlich nicht zwei Dinge auf einmal, nicht denken und sprechen, wobei ich dir raten würde: zuerst denken, dann sprechen, und eigentlich bin ich ja gar nicht dieser Meinung, mir fällt nur auf – und ich habe im Gegensatz zu dir nachgedacht! –, wenn ich den zuerst Vertriebenen, dann Selbstgemordeten ins Visier nehme, daß das alles ja gar nicht mehr nötig ist, du blühst ja auf angesichts von Toten, du fällst sie förmlich an wie ein glückliches Haustier seinen Herrn, ja, dieser Tote zum Beispiel hat sich vergiftet, du hast ganz recht, aber dieser Selbstmord war natürlich kein freiwilliger, wer meldet sich schon freiwillig zum Selbstmord, hier niemand, nur zum Morden, auch zum Stehlen, da melden sie sich, zum Überfall, da melden sie sich freiwillig, und es wird auch nicht mehr verlangt, das Stehlen, bloß bekommen die Leute ohnehin nie das, was sie sich wünschen, genauso wie du keinen schönen langen Kamelhaarmantel kriegst, den du schon so lange suchst, weil du ihn auf einem alten Modefoto gesehen hast, vielleicht, eventuell, aber wahrscheinlich nicht bei Max Mara bekommen wirst, dort noch am ehesten, aber leider auch nicht, auch dieses Jahr nicht, doch dieser Max, den es gar nicht mehr gibt und der immer noch so heißt, wie viele, inzwischen gibt es sogar Vionnet!, man stelle sich vor, so lang verstorben, und es gibt sie immer noch!, die andren Toten sollten sich ein Beispiel nehmen!, so wird man unsterblich!, ja, Max Mara auch, von dem bin ich nicht sicher, ob er überhaupt je gelebt hat, der Max Mara also befindet sich nicht in dieser Straße, da mußt du vorn, wo die Straßenbahn die S-Kurve macht, ebenfalls ums Eck gehen, in der Landessprache: um die Ecke, und heuer macht er wieder keinen, keinen Kamelhaarmantel, wie du ihn dir vergeblich wünschst, wer immer Max Mara ist, er ist gewiß auch nicht er selbst, war es vielleicht nie, du bist ja auch nicht mehr du selbst, seit dir das mit den Verfolgern der Stadt passiert ist, ich wünschte, ich könnte mir die dauernden Abschweifungen abgewöhnen, eigentlich ist das ja dein Metier, seit die Zeit der Ausschweifungen vorbei ist, entschuldige, aber das ist etwas, das man sich nicht abgewöhnen kann, fürchte ich, das siehst du ja an dir. Also, wo waren wir, als wir in dieser Straße waren und sie uns munden ließen, wer sagt heute noch sowas, ich habe keine Ahnung, wie man heute sagt, wo waren wir, als wir ihren Geschmack, den Geschmack der Straße gewittert haben und der Witterung gefolgt sind, nicht dem Geschmack, den sie hat, sie hat nämlich keinen, sondern dem, den ihre Geschäfte an den Tag legen, den sie als ihren Ausweis herzeigen, als wir die Straße bewunderten und uns von ihr bevormunden ließen, weil wir selber keinen Geschmack haben, na ja, das ist was anderes. Na, wo waren wir? Wir waren, wie so oft, bei dem Kamelhaarmantel, den du nicht kriegst, weil er nicht mehr verlangt wird, wie sollte er auch, die meisten Leute wissen, von Daunen umgeben, bis sie kreischen wie die blutiggerupften, frierenden Vögel, denen sie ihr Kleid genommen haben, die wissen gar nicht, daß es sowas gibt, die wissen ja nichts, sie wissen auch nicht, was dir, ebenfalls unverlangt wie die Einsendung eines Manuskripts, passiert ist, deine Manuskripte werden nicht verlangt, du schickst sie in Elektronenform, also winzigklein, einfach so ab und aus, kommen im selben Moment an, wie sie abgeschickt wurden, es wird nicht mehr verlangt, außer von dir selbst, was du ohne Maß und Zahl hervorgebracht hast, von allem zuviel, also darf ich auch, es ist zuviel, es ist zumindest soviel, daß sie was davon wollen, möglichst viel, denn hättest du nicht soviel, würden sie kaum was von dir wollen, sie verlangen es, doch es ist zuviel, was sie verlangen, alles zuviel!, und gleichzeitig ist es so wenig wie ein Selbstmord von den Deutschen insgesamt verlangt werden kann, nein, natürlich nicht, daß die sich alle umbringen, nur der eine oder der andre hat sich umbringen sollen, aber vielleicht doch nicht, vielleicht hätte man noch schöne Sachen mit ihm anstellen können, ja, mit dem andren auch, es nimmt einem ja kaum jemand übel, wenn man in dieser Hinsicht gegen einen Schreiber, einen schlichten, nein, nicht schlichten, aber doch: Schreiber vorgeht, dann geht er einem in den Tod voraus, wie man sagt, nein, das meine ich nicht, daß die Deutschen sich alle umbringen sollen, nicht einmal, daß diese Beamten, was sind sie eigentlich?, ja, Beamte, Fahnder, Suchende, die Aufstellung nehmen, um dich ins Nichts zu beamten, ich meine zu beamen, daß die sich alle umbringen, zur Strafe, daß sie bei dir, unverlangt wie deine Manuskripte, eingegangen sind. Nein, eingegangen ist niemand, Unverlangtes wird normalerweise zurückgeschickt, aber diese Männer, die unverlangt kamen, die konntest du nicht zurückschicken, die durften alles, ich weiß, weine nicht, das hat gar keinen Sinn, und mir gegenüber schon gar nicht, niemand will, daß diese Männer einem in den Tod vorausgehen, da müßtest du ja dauernd ihre Ärsche sehen, sie sollen einem höchstens in den Tod folgen, aber wie soll man das kontrollieren? Was machen die, was machen die da? Sie sind unverlangt und ohne Rückporto auf sich kleben zu haben hier bei dir erschienen, das wirfst du ihnen nicht vor, wenn ich es recht verstehe, aha, du wirfst es ihnen doch vor, daß sie das gemacht haben, kann ich verstehen. Ich war dabei. Ich kann sagen, daß ich dabeigewesen bin. Die haben doch glatt, ohne es auszusprechen, von diesem andren Autor verlangt, der hier still, flanierend, überlegend, niemals überlegen über eine Stadt schreibt, nein, nicht diese, das unvergleichliche Paris, sag ich doch, daß er am Leben bleiben soll, damit dann sie ihn umbringen können, das ist ihre Aufgabe, nicht wahr, nicht seine, sie haben das schließlich gelernt, und in dieser Straße versucht diese Stadt, unsre kleine Stadt (wird immer öfter verlangt, weil die großen Städte so unpraktisch sind, man kann sie nirgendwohin mitnehmen, und sie warten auch nicht geduldig vor den Geschäften, bis man sie von der Leine nimmt), sich mit ihm zu vergleichen, einen Vergleich zwischen Leben und Tod zu schließen, sich auch mit Paris zu vergleichen, von mir aus, alle Vergleiche stimmen ja irgendwie, einen Vergleich zu schließen, wenn alles vorbei ist, damit wenigstens einmal eine andere den Apfel kriegt, aber dieser Vergleich hinkt nicht einmal, und der Vergleich wird auch nicht halten, er läuft ins Leere, der kann glatt an der Behindertenolympiade teilnehmen!, und selbst dort war er nicht erwünscht; dieser verstorbene Autor, kein andrer, von dem ich hier spreche, klar, hier wäre er noch weniger erwünscht gewesen, hier wäre er aber auch nie gewesen, er war unerwünscht, jawohl, Herr Oberläutnant, Sie können ruhig läuten, bis Ihnen der Finger abfällt!, nachdem die deutschen Verfolger also dort eingezogen, zuerst einmarschiert, dann eingezogen, nachdem sie eingezogen worden waren, eingezogen in diese Stadt waren, zurückkamen in die Stadt, von der sie sowieso einst auszogen, ja, von hier aus gings los!, von unsrer kleinen Stadt aus rein in andre Städte, das ist eine gute Idee, wirkt auch bei dir noch, kann man schon einen Überblick gewinnen, es ist ja alles hin, da sieht man weiter: Die wollen dich ausziehen bis aufs Hemd, das sagen sie ganz offen, du sollst Gott etwas geben, aber dem Kaiser viel mehr, doch das nur nebenbei, das ist nicht wie mit dem Kamelhaarmantel, obwohl ich diesen Vergleich ja soeben ziehe, und dann ziehe ich gleich weiter, nur keine Sorge, die bleiben da: Und wünschtest du ihn dir noch so sehr, du kriegst ihn nicht, außer du läßt ihn dir nachschneidern, kopieren, die Designer kopieren doch sowieso alle, einer vom andren, du kannst es an den Fotos sehen, und das tust du ja auch die ganze Zeit; wenn du eigentlich arbeiten solltest, kopierst du bloß, wahrscheinlich deshalb dein großes Interesse an Mode, denn Mode ist Vergleichen und dann Nachmachen, und es ist lustig, wer wen kopiert, im Prinzip jeder jeden, keine Ahnung wieso ein Kamelhaarmantel nicht kopiert werden könnte, wahrscheinlich weil es ihn gar nicht gibt, denn sowas wird nicht mehr verlangt, warum etwas kopieren, das keiner verlangt? Hier wird verlangt, was überall verlangt wird, und das bekommt man dann auch. Selbstmord wird nicht mehr verlangt. Ist nicht mehr nötig. Mord wird auch nicht mehr verlangt, aber es wird trotzdem gemordet, wir werden es beweisen, die Seele dieser Stadt, dieser Straße ist nämlich ermordet worden, wir werden es beweisen, nein, nicht du, dir gehts doch eh glänzend, wer will dich schon ermorden?, wieso sie es trotzdem gemacht haben?, das bildest du dir ein! Ermorden, was für ein großes Wort!, höchstens innerlich, und das sieht man nicht, bin ich froh, sonst müßte ich es ja auch dauernd anschauen, ich hänge ja an dir, gut, Mord wird verfolgt. Gut, daß es so ist. Du wirst also, wenn auch du endlich, du hast dir doch so gewünscht, dich an die Seite deiner toten Verwandten zu stellen, daß du dich das traust, ekelhaft!, es ist abscheulich und widerwärtig, sich seine verfolgten und getöteten Verwandten an die Brust zu heften wie Orden, sie sich an den Körper zu hängen wie Kamelhaarmäntel, die man nicht kriegt, während man seine toten Verwandten ja schon hat, das heißt: nicht mehr hat, und heute wären sie eh alle tot, auf ganz natürliche Weise, egal, wenn du also endlich, wie du es dir insgeheim schon immer gewünscht hast, verfolgt wirst, endlich verfolgt!, im Grunde freust du dich darüber, gibs zu, du möchtest zu gern Opfer sein, das weiß ich, brauchst es nicht zu leugnen, dann wirst nicht du, wer auch immer es wird, aber dann wirst nicht du verfolgt! Du magst dir wünschen, als du verfolgt zu werden, aber das wirst du nicht! Du bist einfach dran. Du bist schon länger dran, du hast es nicht gewußt, aber sie hatten dich im Visier, doch ohne Waffe, im Visier ohne dazugehörige Waffe. Die hatten sie nur heruntergeklappt und sich, wie du, als freundliche Entenfreunde getarnt. Sie haben dich beobachtet. Ist schon klar, daß es trotzdem weh tut, aber du bist ja nicht gemeint, du bist schon gemeint, aber du bist nicht du, sowenig wie Raf Simons jetzt Dior geworden ist, gestern ist es aus langem Stillschweigen herausgelassen worden, heute wissen es schon alle, Raf muß jetzt für Dior Raffungen machen, sein Vorgänger Galliano war etwas verspielt, nicht wahr, jetzt muß Raf Verzierungen anbringen, was ihm gar nicht liegt, aber Raf wird keine Raffungen machen, sollte Dior jetzt etwa wieder einfach werden?, so wie er es schon einmal war, mit diesen schwingenden Glockenröcken, dem New Look, du hast es mir erklärt, ach, würde dir das gut stehen, aber Sachen, die dir gut stehen, trägst du ja prinzipiell nicht, ein Jammer! Du warst dran mit einer Heimsuchung, das kann ich dir bestätigen, und ich habe mir schon lange gedacht, daß dein Heim durchsucht wird. Schau, das ist Statistik. Du warst zu oft in dieser Stadt und hast was gemacht? Nichts hast du gemacht, das will die Stadt vielleicht nicht, daß du nichts tust. Einfach nur da bist. Das gönnt sie dir nicht. Sie will gar nicht angeschaut werden, und sie weiß auch, warum. Sie will es nicht. Daß du. Herumschlenderst. Auslagen anschaust. Die Stadt will das nicht, obwohl sie es bei so vielen will, denn die kaufen ja ein! Du kaufst meistens nichts oder zuwenig, aber wenn doch, dann bist du immer ganz glücklich. Dieses Glück will die Stadt nicht mit dir teilen, sie will allein das Glück haben, dich ein- und dann abzukassieren, genau das, was auch ihre Geschäfte wollen. Sie will dein Geld mit dir teilen, aber nicht dein Glück. Hans im Glück war glücklicher, der hat wenigstens gleich alles verschenkt. Das solltest du auch tun. Du solltest ihnen sofort und unverlangt, nein, nicht unverlangt eingesandt wie ein Manuskript, du solltest der Stadt alles geben, alles, was sie will, ihr alles aushändigen, ihr alles geben, auch den Rest, ja, sei einmal großzügig, gib ihr den Rest! Gib dieser Stadt endlich den Rest! Sie strengt sich doch ganz besonders an, dich glücklich zu machen, damit sie auch das mit dir teilen kann, ich weiß, ich habe vorhin das Gegenteil behauptet, beides stimmt, die Stadt will alles und alle glücklich machen, aber auch das Gegenteil, nachdem du sie glücklich gemacht und ihr alles ausgefolgt hast, was du hast, ihr gefolgt bist, indem du ihr alles ausgefolgt hast, was du dir verdient, aber nicht verdient hast, ist sie schon ganz glücklich. Aber sie ist nie mit dir fertig. Sie macht dich fertig, aber fertig mit dir ist sie noch lange nicht. Das ist eine Vergnügungsstadt mit vergnügungstüchtigen, widerstandsfähigen Menschen, zu denen du schon mal nicht gehörst, die Stadt braucht viel, und sie nimmt auch viel, sie füllt Scheine aus und hört zum Schein zu, wenn man ihr sagt, daß man das alles schon einer andren Stadt gegeben hat, das können wir Ihnen glauben oder auch nicht, wird dir bedeutet, aber was bedeutet das? Die Stadt glaubt dir nicht, sie macht Party, ist deswegen aber trotzdem nicht Berlin, die Stadt ist nicht Berlin, wieso?, vielleicht weil die Stadt zu klein dafür ist? Wachsen, eine Großstadt werden will? Dieser Stadtversuch, denn mehr ist es nicht, dieser Versuch, Stadt zu sein, dient dazu, durch die Anordnungen der Dinge in ihr, durch Vorkommnisse und Anordnungen von Bauten oder sonstwas zu punkten, auch in fernen Gegenden Punkte zu machen, damit die Leute herströmen und sich dann fein verteilen, ja, die Fünf Höfe, das sind besonders berühmte Bauten, eigentlich ein Zwischenreich zwischen zwei Bauten, die auch nicht schön sind, eine Art Vorhölle, ein Fegefeuer vor dem Wirklichen, dem Wahren, das ich aber nicht kenne, gibst du das zu?, daß diese Höfe recht hübsch sind, zumindest als Verbindungsglied, soweit ein Glied eben hübsch sein kann, ja, das gebe auch ich zu, und durch diese Anordnungen, welche auch deine absolute und völlige Enteignung beinhalten und die betrübliche Tatsache, daß du es nicht hergeben willst, damit konnten sie ja nicht rechnen, also durch diese Anordnungen, die ich bereits benannt habe, Auskünfte über das Verhalten der Dinge zu gewinnen, das ist, was ist das?, es ist auf jeden Fall ein bekanntes Verfahren, und deshalb verfährt man so gegen dich: mit Anordnungen, damit man dich versteht, damit man versteht, daß du das nicht machen willst, was auch immer. Das dient dazu, daß man dich versteht. Verstehen schon, aber damit hat es sich schon. Wir verstehen alles und nehmen alles. Auch das, was Sie uns nicht geben wollen, das ganz besonders. Du glaubst nicht? Hab ich was Falsches gesagt? Niemand ist daran interessiert, dich zu verstehen? Na, dann verstehen wir woanders jemand anderen, die anderen werden das genausowenig wollen, aber du kannst es wollen: Woanders verteilt sich das Vergnügen, hier verteilt sie es persönlich, die Stadt, sie teilt die Menschen einander zu, und die Bedeutenden kommen zu den andren Bedeutenden hinzu, und schon, ich wiederhole: und schon bedeuten sie etwas, aber nicht in dieser Stadt. In dieser Stadt bedeutet ein Bedeutender gar nichts, wenn ich bedenke, wer alles hier gewohnt hat!, und keiner bedeutet etwas, und keiner hat etwas bedeutet, außer er ist Koch oder beim Fernsehen, am besten Koch beim Fernsehen. Oder man ist jemand, den man so lange anschauen muß, bis man seine Bedeutung erfaßt hat, dafür wird er einem jeden Tag gezeigt. Dieser Mensch bedeutet einerseits etwas, aber andrerseits bedeutet er gar nichts. Ist so. Klar ist es auch, weil ein Bedeutender in dieser Stadt sofort unbedeutend wird. Dafür sind andre bedeutend, die nirgendwo sonst was bedeuten würde. Oh nein! Die Bedeutenden hier kennt man woanders gar nicht! Ein entsetzlicher Gedanke, wenn auch sehr allgemein gesagt, ich sage halt, was mir einfällt, und was einem anderen eingefallen ist, das schreibst schon du ab! Man nennt das Abschreibung, allgemein wird das so genannt, aber tröste dich (was, du willst gar nicht getröstet werden, auch nicht von dir selbst?): Es ist ja jeder bedeutend, der weiß, was etwas bedeutet, für wen auch immer, der ihn für bedeutend erklärt und diese gut gefüllte Masse an Wurstfabrikanten und Zahnarztgattinnen auf der Piste, so mühsam, wie sie in ihre Häute gepreßt wurden, gleich erkennt, meist allerdings nicht hier, sondern in Kitzbühel oder in St. Moritz, diese Leute können ja immer woanders sein, ganz wie sie wollen, Hauptsache, sie werden erkannt, was ihren Wiederverkaufswert steigert, und zwar an dem erkannt, was sie sich in dieser Straße gekauft haben, man erkennt sie an ihren Kleidern, Schuhen und Taschen, vor allem Taschen!, daran werdet ihr sie erkennen und erkennen sie sich gegenseitig an. Ein Gesicht brauchen sie gar nicht, was kann man damit anfangen, außer zu sprechen oder fotografiert zu werden? Na ja, das machen sie schon auch, das können sie wirklich. Die Bezeichnung Gesicht darf man nicht für sich beanspruchen, denn dieses Gesicht wurde an entscheidenden Punkten verändert. Wo ist dieser Verfolgte von damals, das gar nicht mehr wahr ist, ja, der, der sich schließlich selbst getötet hat, vergiftet, als er nicht einmal in einem Holzweg einen Ausweg sah?, keinen Ausweg, als sein Wesen zu verlassen, das ein Wesen der Großstadt war, irgendwo müßte sein Foto sein, dieser verstorbene Verfolgte, der wirklich ein Verfolgter war, ein echter Verfolgter, nicht so wie du, die sich so gern als Verfolgte von der Ebene der Gleichförmigkeit erheben möchte und doch immer nur genau dort hart landet, der echte, der wirkliche Verfolgte also sagt, es wäre stumpfsinnig in seiner Stadt, nicht dieser, Paris, ja, Paris, das ist was anderes!, Paris, ja, also das ist heute auch nicht mehr, was es einmal war, doch es ist immerhin noch da, es ist doch niemand mehr, was er einmal war, alles ändert sich, und wer als Rasse sich selbst züchten wollte, der wird ein paar Jahre später dafür gezüchtigt, was ihm nichts ausmacht, weil ihm nichts etwas ausmacht, von hier ging das aus, hier geht man aus, keiner behält sich in seiner guten Form, man muß dafür trainieren, keiner bleibt, wie er ist, er wird nämlich schlanker, nichts bleibt, es zieht alles weiter, wie Wolken, den Schleckermarkt gibt es jetzt bald auch nicht mehr für die Schleckermäuler, entschuldige bitte, das kann man ja alles gar nicht essen, und ich weiß, ich schweife ab, genau wie du immer, aber das geschieht, weil ich hier nicht so ausschweifen kann wie diese Bürgerin, derentwegen die Polizei geholt werden mußte, weil sie einen Mann mit ihren Sexgelüsten dermaßen verängstigt hat, und dann ist sie die Polizisten auch noch sexuell angegangen, das ist für mich der Gipfel des Subjektseins des Menschentums, da reichst du niemals ran!, eine einzige Frau hat das geschafft, ja, wir haben hier auch was zu bieten, dafür haben wir etwas zu bieten: unersättliche Frauen, die sonst überall satt würden, nur nicht hier, ja ja, Paris, das ist schon eine Stadt, in der man ausschweifen kann, das gebe ich zu, hier aber schweift man weiter, weil es leider zu eng ist, wofür auch immer, diese Frau war nicht so weitschweifig wie du, aber sie hat das, was sie schon hatte, bis zum äußersten ausgekostet, der Mann mußte schließlich vor ihr auf den Balkon flüchten, hat aber sein Handy mitgenommen und die Polizei angerufen, hier, ja hier spielt die Musik, man muß nur in sein Handy hineinsprechen oder es schön klingeln lassen, wie man es sich ausgesucht hat, das kann man überall; wenn man ins Handy spricht, muß man wenigstens nicht selbst fragen, wer man sei, man kann höchstens den anderen fragen: Wer spricht?, wer verspricht was?, doch man weiß es immer sofort. Es steht immer da, außer es ist unterdrückt. Und dort stehen wir. Nicht unterdrückt. Hier aber, hier aber, das ist alles Provinz, das ist Provinz, alles, es enthält jedoch nicht alle Provinzen, die es gibt. Das ist nicht wie Paris, ich sage es bloß, weil es ein andrer gesagt hat. Ich allein würde mich das nicht trauen. In dieser Stadt, in der wir uns hier befinden, nicht Paris, nein, hier, in dieser Stadt, wo man spricht, nicht von der man spricht!, herrscht die Ordnung der bürokratischen Katasterzeichen, da ist alles aufgeschrieben, eingezeichnet; was es ist, das ist es, was es wiegt, das hat es, aber eine Großstadt, nicht eine große Stadt, eine Großstadt, die, ja, die steckt voller Städtchen und Dörfer, voller andrer Städte und Dörfer. Diese Stadt nicht. Sie ist eine andre Stadt, eine andre Straße, in der Menschen nicht verfolgt werden, außer von ihren Rechnungen, und sie ist gleichzeitig ein Dorf. Blödsinn, jede Stadt war doch einmal ein Dorf, hat klein angefangen! Nein, das stimmt nicht. Ein Dorf, na schön. Aber sie enthält das nicht, das Dorf als Inhalt oder selbst der Inhalt des Dorfes? Sie ist es. Da ist nichts drin, da ist Leere in Leere, und zieht man eine Leere heraus, kommt da schon die nächste, kleinere Leere, eine Leere in der anderen, ich verkneife mir jetzt, daß man daraus eine Lehre ziehen könnte, obwohl ich mir sowas nie verkneife. Allerdings bist du die Belehrerin, nicht ich. Du willst dieser Stadt beibringen, wer sie ist? Also einkaufen kannst du auch so. Aber in anderen Städten, die ein Geheimnis haben, stecken immer andre Städte in andren Städten, immer eine in der anderen, und die sind nicht leer, weil sie jede einzelne in ihrer Vielfältigkeit alle anderen enthalten. Diese Stadt hier enthält nur sich selbst, mehr geht einfach nicht rein. Was soll dir also passieren? Es kann dir nichts passieren! Die Stadt ist zu klein dafür, hat aber dafür keine Kinderstube. Diese Straße zum Beispiel enthält nur Geschäfte, wie sie jede ähnliche Straße in jeder ähnlichen anderen Stadt auch enthält. Aber dahinter ist nichts. Dahinter ist nichts, da ist nichts dahinter, hinter dieser Stadt stehen ihre Oberen, die Stadtoberen, sehr sympathische Leute übrigens, das ist das Gute an dieser Stadt, sympathische Obere, im Land mag es anders sein, aber die Stadt hat sympathische Führer, ich will das Wort vermeiden, aber ich weiß nicht: Stadtobere? Oberstädter? Nein. Hier kann dir nichts passieren, denn die Stadt ist absolut überschaubar, du siehst alle kommen, die dir etwas tun wollen. Die hast du nicht kommen sehen, die bei uns eingebrochen sind? Dein Pech! Ich habe es kommen sehen, aber nicht so schnell. Und nicht so viele. Kurz, nein, nicht kurz, das kann ich gar nicht: Paris hat an der Seine einen Sandstrand aufgeschüttet, wie ich ihn hier nur vor dieser kleinen sympathischen Eßbude, diesem winzigen Kabuff auf dem Weg zum Englischen Garten gesehen habe, sogar mit Liegestühlen, aber Paris hat – einer hat das seltsamerweise mit den großen Neubauvierteln verglichen, die damals nicht so groß gewesen sein können wie heute, ich spreche hier nicht von dem modernen künstlerischen, künstlichen Strand, der den Bewohnern denselben leeren Abgrund bietet wie alles andre auch, ich spreche aus dem Mund des lieben, nicht nur mir lieben Toten von einem anderen Strand, den hat er gesehen, ja, also und er hat den Strand mit Neubausiedlungen verglichen, die waren für ihn ein Sandstrand, und auch die Regenküste am Seineufer wird erwähnt, ich würde das Isarufer nicht eine Regenküste nennen, obwohl es dort ja auch regnet, allerdings nur, wenn es fast überall sonst ebenfalls regnet – Paris hat seine Marktwinkel, gut, die hat diese Stadt hier auch, den Markt, er ist vielleicht das Beste an der Stadt, aber auch er geordnet, immer geordneter, katasterisiert, dieser Markt hat nichts von Ländlichkeit, je mehr Landbutter und Landobst und Landgemüse desto mehr Land wird aus ihm ausgetrieben, komisch, er zeigt in jedem Stück Obst, daß er eine Stadt ist, die Markt spielt, während die Pariser Märkte ein Stück Provinz sind, sich nicht genieren, wirklich das Land sind, das pralle Land. Hier nicht. Hier will man, indem man Land spielt, auch in der Trachtenkleidung, absolut nicht Land sein. Man zeigt jedoch in jeder Faser der Loden- und Lederbekleidung, daß man zur gleichen Zeit Land sein, auf dem Land sein könnte. Aber das Ländliche an der Kleidung, das man hier bei älteren Leuten noch sieht, verweist ganz besonders auf das Städtische, also auf die Unwahrheit, das ist hier die Spezialität, die Unwahrheit stellt hier die Ausführung, die Durchführung des Lebens dar, in dieser Tracht keine Heimatverbundenheit, nur Verbundenheit mit anderen Heimatverbundenen, oft und gern sogar: Heimatvertriebenen, obwohl auch die alle, nein, nicht alle aussterben, ihre schrecklichen Verletzungen kann man an ihren durchgebluteten Verbänden erkennen, humpa humpa, sagt die Musik, das sagt sie oft, wenn ihr nichts andres einfällt; das ist so, wenn die Menschen sich selbst finden wollen, weil sie vom Land kommen und aufs Land gehen können, wann immer gewünscht, dann verlieren sie sich, so wie ich mich hier in Abschweifungen verliere. Ich sollte und werde das alles für mich behalten. Aber ich weiß es, ich weiß: Das ist ganz genauso, das ist der Übergang im Fortgang, das ist der Fortgang im Übergang, Stadt-Land, während woanders das Land zu sich steht, Land einfach ist, obwohl in der Stadt. So. Uff. Sie haben diesen Abend angebrochen, ausgerechnet meinetwegen, auch meiner Partnerin wegen, ja, hier ist sie, ja, du bist gemeint, nicht einschlafen!, das machen schon die Leute hier für dich! Sie können sie nicht verfehlen, meine langjährige Partnerin, sie hängt so an mir, die Frau hängt einfach an mir, das ist doch schön, oder?, und Sie wollen den Abend jetzt schon wieder abbrechen. Das hat keinen Sinn, bleiben Sie hier, diese Stadt hat sie nicht, die verrufenen Hafengassen, die andre Städte haben, der große, dieser Große, den ich eigentlich namentlich nennen sollte, dieser an entsetzlichen Wundern (nicht Wunden!) Verstorbene hat sie alle gesehen; diese Stadt aber, diese hier, die hat nicht das Reputierliche der Wohlanständigkeit, denn sie ist hier immer etwas halbseiden, je reputierlicher sie sich gibt, je anständiger, und die wirklich Unanständigen werden hier nicht verfolgt, außer sie bringen jemanden um, und auch da kann man nicht immer sicher sein, ob sie die Richtigen haben, nein, nicht die sechs Richtigen, einer genügt schon. Die sitzen an ihren Seen und verzehren sich nicht nach etwas, sie können ja ihre Landestracht überall tragen, wozu sich Sorgen machen?, sie müssen sich nicht nach etwas verzehren, sondern sie verzehren, sie verzehren nicht die Besitzenden, sie besitzen selbst, und nicht nur sich selbst. Da sitzen sie und besitzen. Das ist das Geheimnis der Stadt: Da sitzen ihre Bewohner und besitzen. Die andren sieht man nicht, jedenfalls nicht in dieser Straße, man sieht sie woanders, wo diese Straße nicht ist, ich sage absichtlich nicht: wo sie nicht sind. In anderen Städten sieht man sie, hier nicht oder kaum. Da sitzt der Mann, zu Ostern ist er immer da, ja, gleich nebenan, genau hier, in dieser Straße, die Adresse ist mir bekannt, sie ist seit längerem eine bekennende Baustelle, vielleicht immer noch, wenn Sie das sehen, man kann sie nicht betreten, möchte wohl wissen, ob der Mann diesmal da war, ich weiß es nicht, denn ich war nicht da, wo für ihn dort ist, der wollte wahrscheinlich auch einmal aus der Beschränktheit seines Bauernhofs hinaus, und, das beweist meine Theorie, er nimmt den Hof oder einen Teil davon mit, schau nur: Er hat, um den Hof nicht verlassen zu müssen, um ihn in diese Straße mitnehmen zu können, einen riesigen Hahn, also so ein Kikeriki und alles, und einen riesigen Ganter bei sich, der Menschen beißt, hauptsächlich, wie sein spendensammelnder oder irgendwas andres sammelnder Besitzer fröhlich meint, hauptsächlich und gern Frauen beißt, ja, dich auch, aber diese beiden Tiere sind einfach prachtvoll. Sie kommen vom Land, kehren dorthin auch wieder zurück, da freuen sie sich natürlich schon drauf, und sie sind einfach großartig und überhaupt sehr groß, größer als andre ihrer Art, kommt mir vor, aber das kann daher kommen, daß auch sie ihren Ort verlassen, aber gleichzeitig hierher in diese Straße mitgebracht haben. Doch sie lassen einen keinen Augenblick vergessen, diese kleinen Riesen, daß man, gibt man seine Spende bei ihrem Besitzer ab, sich damit bereits selbst aufs Land begeben hat, indem man diesen Tieren was gibt oder für diese Tiere was gibt oder dem Bauern für seine Tiere was gibt, kann auch alles eine Fälschung sein wie die Fassaden der ländlichen Häuser hier, alles gefälscht, alles gefaked und dann drangepickt, nur zu dem einen Zweck dahingestellt geblieben, um zu beweisen, daß das alles Land ist, ländlich ist wie die Stadt, da kann sie machen, was sie will. Sie ist Land, diese Stadt, und sie ist auf dem Land. Andere Stellen gibt es, die sehen anders aus und aus. Das ist mir jetzt zu blöd, danke für den Applaus, leider kommt er nicht! Gähn! Hör mal, Frau!, du bist jede, egal, was du dir einbildest, so wie diese Stadt Land ist, auf dem Land ist, du bist eine bestimmte und gleichzeitig jede Frau, so wie diese Stadt nur sie selbst ist und dabei gleichzeitig jede andere, nur klein müßte sie halt sein, diese Stadt ist nicht wie eine große, die Großstadt ist nicht ihre Wahrheit, diese Stadt hat eine andere Wahrheit, man übersieht diese Stadt, indem man sie nicht übersehen kann, sie ist unübersehbar, wenn auch nicht unübersehbar groß, und sie ist vollkommen geheimnislos, das ist ihr Geheimnis, daß sie keins hat, du kaufst ja auch, was dir gefällt, auch wenn dir nicht alles steht, was du hier kaufst. Bilde dir doch nicht ein, daß du so wichtig bist, daß die Stadt irgend etwas gegen dich unternehmen würde! Du bist unwichtig, und die Stadt macht sich deinetwegen keine Mühe. Warum sollte sie? Sie bietet dir hier in dieser Straße ihre Läden an, das muß genügen. Was sie sonst tut – leerer Schall! Du bist ein Fremdling überall. Bilde dir nur ja nichts ein! Dieser Überfall ist Routine, ein Routineüberfall. Dieser Einbruch in dein Leben: Routine. Verfolgt wird jeder, jede, und jeder ist einmal dran. Jetzt warst es halt du. Das war schon lange fällig, es ist, als wärst du jede, was du ja auch bist. Andre werden noch viel schlimmer verfolgt, noch viel brutaler rangenommen, sei nicht so wehleidig! Viele dürfen überhaupt nicht hier bleiben, auch wenn sie wollen, bedenke diese Tragödie! Du hast dir hier kein Haus gebaut, deshalb kannst du hier auch nicht tun und lassen, was du willst. Du warst einfach dran, sagt diese Stadt, sagt die Straße nicht, denn die will ja, daß du bleibst und was kaufst und nicht vergrämt wirst wie ein Rehbock bei einem ungewohnten Geräusch; die will nicht, daß du vertrieben würdest. Aber so siehst du es, klagend, anklagend, prahlend mit fremder Herrschergewalt, die du der Stadt jedoch nur zuschreibst. Du prahlst mit einer Gewalt, die dir nicht gehört. Du mußt ihn doch anerkennen, den heißen Eifer der Stadt, wieso Efeu?, nein, wo bliebe denn das Eichenlaub, das Schwert?, eins natürlich passend zum anderen, nein, es ist ein Eifer für die Wahrheit, die sie finden wollen, das wirst du doch anerkennen! Nein, das siehst du falsch, von hier will dich niemand vertreiben, und das heißt, daß man dich vertreiben will, aber leise. Laut ist die Stadt nur um dessentwillen, das sie vertreibt, um ihrer Waren willen, weil die keinen eigenen Willen haben, ihnen muß also geholfen werden. Die Stadt hat das Dorf, das sie mal war, aus sich vertrieben, mit viel Mühe, aber immer wieder kehrt es zu ihr zurück. Sie wird zum Dorf, ob sie will oder nicht. Und du sollst fort hier, ob du willst oder nicht. Das steckt dahinter, obwohl da nicht viel dahinter ist. Dafür sind sie hinter dir her, sie haben dich ausgespäht, da die Stadt ja klein ist, haben sie dich schon von weitem gesehen, du bist buchstäblich in den Verlauf ihres Weges gefallen, da konnten sie dich nicht mehr übersehen. Die Stadt ist, wie viele andre Städte auch, zum Beispiel deine, die ich hier nicht nenne, ein Dorf. Aber man sieht nicht, daß sie dieses Dorf enthält, oder man sieht nur das Dorf, wenn man die Stadt anschaut, das Dorf, das sie ist. Und in einem Dorf kann man leicht jeden verfolgen, klar, weil man ja jeden immer und zu jeder Zeit sieht, man weiß immer, wo er ist.



Doppelgeschöpf, weibl.: Ich bleibe dabei: Es gibt sie nicht, und doch ist sie hinter mir her. Ist so. Für etwas, das es nicht gibt, ist die Stadt erstaunlich wenig gespenstisch hinter mir her, das Gespenst muß ein andrer sein, woanders, damit könnten wir es schon bewenden lassen und aufhören. Na endlich, wird hier geschrien. Was ist etwas? Welches Etwas ist das? Keine Fragen sprechen mehr aus uns, wenn wir in diese Stadt, in diese Straße, mit der die Stadt sich ganz besonders brüstet, man könnte sagen, sie sei die Brüstung der Stadt, oder brütet sie sich selbst aus?, ist da was drunter?, hat man ihr was untergeschoben?, etwas, bei dem nie was herauskommen wird?, probieren wirs aus: hineingehen, und es gibt niemanden mehr in ihr, nur die Marienstatuetten stehen noch und die andrer Heiliger, in Nischen, hier wacht nicht ein pflichtgetreuer Hund, hier wachen Heilige, Maria und Jesus, ja, der wacht auch, seine Spur ist unkenntlich geworden, ich meine: Wie ist er dort hinaufgekommen? Ins Nichts dieser Stadt, das sie ist, sie ist überflüssig wie die meisten anderen Städte auch, aus denen nur Menschen fließen, die einer sind wie der andere, doch nicht einmal ihre Flüsse sind einer wie der andere, meist sind es nur Bäche, machen aber ordentlich Wellen. Die Flüsse sind jedoch auch oft Mörder, das sage ich ohne Vorbedacht, denn denken tu ich selten, und vorher nie, doch ich denke an diesen Mann, der seinem Hund in den einzigen Fluß, der etwas zählt (und was zählt er?, seine Opfer!, die Stadt zählt ihre nicht), nachgesprungen ist, um ihn zu retten, der Mann ist ertrunken, der Hund, welcher um Hilfe geschrien hatte, nicht, das sage ich jetzt, bevor ich etwas anderes sage, leider wieder nicht das richtige, mein alleiniger Schaden. Im voraus denken geht schon gar nicht, wie denn? Und das Wesen der Wahrheit ist sowieso, daß das Sein sich immer irrt und danach in eine Parkbucht flüchtet oder auf einen Großparkplatz, um sich an anderen auszurichten, um sich etwas auszurichten, was sonst eh keinen interessiert, so, stellen Sie sich vor, vielleicht auch aus Langeweile, wo dieses schreckliche Wesen zu Hause war und dieses Haus jetzt immer wieder aufsucht, dieses Geschöpf, das ich Ihnen leider nicht im Bild zeigen kann, obwohl hier alles Bild ist oder als Bild gezeigt werden muß, denn außer Bildern hat die Stadt uns nichts zu sagen, und doch, sie sagt, was sie sagen kann, da sie ja nicht gibt, was sie geben kann. Erteilt man ihr das Wort, hat sie nichts mehr zu sagen. Erteilt man ihr das Bild, weiß sie alles, niemals wird die Spur Unkenntlicher ins Unerkannte gezeigt, es werden immer nur bekannte Menschen gezeigt, obwohl man die ohnedies bereits kennt, weil die Stadt ja so menschlich ist, wenn auch nur zu den ihrigen. Das sind sowieso immer die besten. Man sieht das auch im Bild, nein, nicht in diesem. Meine Wahrheit ist, daß so viele tot sind, das war sie schon immer, als einzige. Die tote Wahrheit im Bild. Und ihr Wille ist Gewalt. Daß diese Stadt in einem einzigen Mann gestorben ist, das ist wahr, weil ich es sage. Vielleicht kommt er später noch, jetzt ist für diese Erscheinung kein Platz vorgesehen. Jetzt erscheinen wir lieber selber. Eigentlich, ja, eigentlich, was wollte ich sonst noch sagen, ach so, ich habs ja schon gesagt!, alles ist längst gesagt, wird aber noch öfter wiederholt werden; eigentlich ist das, was ist, in diesem Fall das, was nicht mehr ist, denn der Mann, den ich meine, der hier in seinem kleinen Laden, so vollgestopft mit Wundern, wer hätte den nicht auch bewundert, der hier immer anzutreffen ist, seit Jahren verschwunden. Sie wissen ja gar nicht, was das für ein Mensch war!, Sie haben ihn ja nur von außen gesehen. Sie fragen sich sicher, wo in dieser Stadt ein solcher Mann anzutreffen war, Sie erinnern sich nicht, weil Sie sich nie an etwas erinnern wollen, ich glaube, dieser Mann ist jetzt ein Engel. Ich habe keine Beweise, aber ich weiß es. Früher geäußerte Meinungen dazu haben ab sofort keine Gültigkeit mehr, das sind Berichte aus der Vergangenheit, allerdings nicht über sie, Moment, nein, ich beginne neu, bin aber jetzt schon ermattet, ich fasse es nicht, dieser Engel, dieses Gespenst, bitte, wie äußert es sich, wie erscheint es? Um wieviel Uhr können wir mit ihm rechnen? Etwa auch am Marienplatz, wie alle? Man kann es nicht sagen, weil es ja unsichtbar ist. Vielleicht ist es eigentlich das, was war und heute immer noch in den Raum hineinsteht, die Kante, an der wir uns hier ständig anhauen, das, was in die Offenheit dieser Stadt immer hineinragt, obwohl es die gar nicht gibt, weil sie immer mit Öffentlichkeit verwechselt wird, diese Offenheit: diese Fotos, alles offen, alles zur Ansicht freigegeben, und die passenden Ansichten gibt es auch dazu, sie ist eine Legende, diese Offenheit. Wenn diese Stadt offen ist, dann hab ich ihre Tür noch nicht gesehen, nicht gefunden (die Verfolger meine aber schon!, die hatten allerdings die Adresse), sodaß ich sie genausogut wieder zumachen kann, die Tür, was aber nicht nötig ist, sie verschließt sich schon selbst, indem sie sich scheinbar öffnet; indem sie sich zum Scheinen öffnet, was Sie alles auf den Fotos sehen, die ich Ihnen vorhin gezeigt habe oder auch nicht, verschließt sie sich, auch vor mir, vor mir ganz besonders, oder sie bricht bei mir ein, fällt über mich her, schickt mir ihre Schächer, keine Ahnung, ich bin ja keine Erlöserin!, ich bin nicht die auf dem Kreuz in der Mitte, nein, in eurer Mitte war ich nie!, und den Schlüssel hab ich auch nicht, aber was brauche ich den, wo ich doch ohnedies die Tür nicht finde!, denn die übrigen Türen hier mußte ich auch alle suchen und habe sie auch nicht gefunden, bis jetzt jedenfalls noch nicht, nicht alle, außer die zu den lieben Enten und Gänsen am Kleinhesseloher See, der woanders ist als diese Straße, zum Glück, doch man kommt zu Fuß hin, doch, doch, ich habe das schon oft gemacht, ich bin Zeitzeugin!, ich weiß genau, wie lang ich dorthin brauche, was wollte ich sagen?, dann also hab ich ihre Tür nicht gefunden, den Schlüssel zur Stadt hat man immer nur anderen überreicht, nur den Überreichen, Entschuldigung, das ist wirklich tief, aber für den Schlüssel der Stadt bücken die sich auch noch freiwillig, obwohl sie eh sperrangelweit offen ist, die Tür, aber nicht für jeden, danach müssen sie nicht einmal den Zehent zahlen, doch von mir wollen sie natürlich wieder einmal alles!, nicht nur ein Zehntel, sie wollen meine Talente, um sie zu vergeuden, nein, um Schulen und Spitäler damit zu bauen! Das ist wahrscheinlich der Schlüssel zu alldem! Doch nur die, die überaus Reichen, davon gibts hier reichlich!, kriegen den richtigen Schlüssel, nur denen zeigt man die Tür, alle Türen, ein Gespenst braucht sowas nicht, das geht durch die Wände, und hätte ich sie gefunden, diese eine Tür ins Leben, ich hätte sie auftreten, aufstoßen, aufdrücken müssen, ich hätte mich der Tür selbst aufdrücken müssen, ungefähr so wie die Aufschrift: DAMEN, damit ich mich dieser Stadt hätte aufdrücken können wie einen Stempel, aber das ist unmöglich, hier kommt keiner rein, weil jeder reinkommt, aber nicht jeder ist jeder, hier gibt es nur jeden, der nicht jeder ist, das klingt paradox, ist es aber nicht, denn das Leben hier wird entschieden an den Theken der Lokale, durch geglückte Sprüche, die das Leben andrer beeinträchtigen könnten, wenn man sie hören und in der Zeitung lesen könnte, doch keine Sorge: Jeder bleibt unter jedem, das ist so bei den Bauern, ich meine, sie bleiben unter sich, nachts wie tagsüber, und dazu die Fotos, immer wieder diese Fotos, von sich überzeugte Fotos, denn die Menschen, die sie mit ihren Fotohandys abbilden, sind ja auch wirklich überzeugend, und nein, die Stadt ist nicht offen, falls Sie das geglaubt haben sollten, weil sie das ja immer behauptet und ich das vorhin ebenfalls irrtümlich behauptet habe, ich wollte es ja glauben, doch ich sehe, ich kann mich in ihr nicht behaupten!, nicht in dieser Stadt. Sie ist das, was unverrückbar, wie alle Provinzstädte, das unterscheidet sie von den Großstädten, in den Raum hineinsteht, irgendwie vorsteht, in die Offenheit andrer Städte und andrer Menschen hineinragt, die sich in diesem Fall aber nicht daran stoßen, sondern gierig danach greifen, sie wollen dazugehören, und wenn sie blaue Flecken und Wunden zugefügt kriegen, das ist das gute Recht der Stadt, sie hat das Recht der Verletzung Fremder, sie hat das Recht der Gewaltenteilung, aber die Gewalt teilt sie nie!, sie ist ein Meer, das sich eben nicht teilen will, doch gleichzeitig begibt sie sich an die Verwahrung des Offenen, aber auch dessen, was sich gegen die Offenheit dann wieder verwahrt. Ja, beides. Sie kann ja über alles verfügen, indem sie das verfügt. Sie verfügt ja über alles, was dazugehört. Da gehört etwas dazu! Die Stadt ist gleichzeitig ihr Gegenteil, eine Nicht-Stadt, ein Stadt-Negativ, doch die Zeit der Negative und des Negativen ist vorbei. Hier wird alles gespielt und, noch wichtiger: vorgespielt. Die sich hier aufspielen, werden von der Stadt den anderen immer wieder vorgespielt. Eine Endlosschleife, nicht wie die Krawatten eines bestimmten Toten, an den ich jetzt denke, die ein Ende hatten, obwohl es eigentlich zwei Enden waren, wie bei der Wurst. Nicht einmal ein einziges Ende ist erwünscht. Und dieses Ende hätte schon gar nicht kommen dürfen. Es führt den Begriff Ende ins Absurde vor, indem das Ende nie zu Ende geht. Und je mehr sie sich schmückt und geschmückt vorzeigt, die Stadt, je mehr sie die Brust rausstreckt, umso mehr fehlt unten, da fehlt wirklich zuviel, also irgendwas fehlt, da ist es hohl, da geht es nach innen, bis die Stadt selbst zusammenbricht, auch ohne diesen Toten, auch ohne all die anderen Toten, die jede Stadt hat, was ich ausgerechnet dieser Stadt jedoch nie verzeihen werde; je mehr sie sich also vorwölbt, die Stadt, desto mehr bricht sie ein in all ihrer Überladenheit, sogar die Häuser sinds ja!, puppige Bewegungen machen die Fassaden, wahrscheinlich wollen sie zeigen, daß sie gar keine Fassaden sind, sondern die Oberkörper von diffusen Wesen, die von ihren Besitzern diffundiert worden sind, bis sie einfach überall waren, alles überzogen haben, fein versprüht das Fette, das Puppige, das Gewölbte, das Gebogene, das kein Häkchen ist, nein, auch keine Fassaden, auch nicht die Fassaden von Menschen auf diesen Fotos der Gebleichten, Gesträhnten, Auftoupierten, der Dahinschwankenden, Dahinstöckelnden, alles keine echten Gespenster! Da wölben sie sich vor, da knüppeln sie sich voran, ja, die, von denen ich spreche, und ich weiß selbst meist nicht, wovon ich spreche, heben Sie Ihr Gerät und halten Sie es fest, nein, nicht das Gerät, das, was Sie sehen und auch sehen sollen, genau: ein Fahrrad! Sieht man hier auch oft. Aber noch öfter sieht man ihre schweren Wagen. Vielleicht glauben deren Besitzer, daß man ihnen zuwenig Wert beimißt und bemessen ihn selbst zu knapp, wenn es ans Zahlen, aber nicht wenn es ans Fahren geht, ja, die meine ich, die auf den Fotos, immer denselben Fotos, aber es sind ja auch immer dieselben Menschen drauf, wie sollten da die Fotos etwas anderes zeigen können?, und wenn sie sich vollaufen lassen, dann sind auch die Fotos voller von ihnen, immer voller, es rinnt schon über den Rand, voll nicht von anderen, immer nur von ihnen; sie glauben, sie hätten dadurch Tragweite, obwohl sie nicht einmal Träger haben, an ihren Frauen halten die Kleider schließlich auch so, man schließt sie woanders, die sind trägerfrei, jugendfrei, machen sich zusätzlich immer noch freier, an der Stadt sehen sie ja, wie sie das machen müssen, nur diese Puppos, oft in Gruppos zu mehreren, alle gleich, aber mindestens zu zweit, da sich zwei ganz neu gefunden haben, ja, die, auf den Fotos, die sind das, und die sind schon alles, was es gibt; was es früher gegeben hat, ist fort, diese Leute sind das Anwesen der Anwesenden im Wandel, werden halt auch älter, sehen aber trotzdem immer gleich aus, sie sehen so aus wie vorher, diese Fotos: vorher – nachher, und beide vollkommen ähnlich, und dann auch noch ähnlich einem Geschöpf, das sie in einer Zeitschrift gesehen haben und jetzt unbedingt nachahmen wollen!, und zwar genau dieses, das ist angesagt worden vom Schöpfer, einem Fotografen, nächstes Jahr kommt dann jemand andrer zum Karosserie-Nachschneidern dran. Dann ist alles wieder wie neu. Das muß denen einmal einer nachmachen, daß die nicht nachgemacht werden können, weil sie schon Nachahmungen sind!, diese Gips-Popos, überladen und noch beklebt, bemalt zusätzlich, in all ihrer Überdeterminiertheit, in ihrer Redundanz, umso mehr als diese Trägerlosen überall auftauchen, wo man sie gerade gesucht hat, ja, genau dort, wo man bereits auf sie gewartet hat und immer warten wird, diese Träger des Trägerlosen, ja, und auch die der Hosenträger-Hosen, nein, der Trägerhosen-Träger, wurst, denn: gewartet müssen sie nicht werden, diejenigen, die ihren Grund verlassen, der wiederum sie getragen hat, um woanders gesehen zu werden, was sie ja nur werden, weil sie einen Grund dafür haben, einen eigenen Grund!, und den Satz vom Grund, ich meine den Satz im Grundbuch dazu, der ist für diese Schweren reserviert, für diese Reservearmee der Stadt, hinter denen keine Besseren nachkommen, das sind schon unsere Besten!, wir haben nur die Reserve, nicht das Original, das Original ist kaputtgemacht, zerschlagen worden, damit kein andrer es nachahmen kann. Dieser Sitz ist reserviert, der Satz ist für die Püppis geschrieben, die, noch blonder als blond gebleicht, bis ihnen mit dem Haar auch noch der Kopf abfällt, weil innen bereits alles zerfressen ist, keine Ahnung wovon, ach ja, Wasserstoffperoxid, die also immer irgendwo dranhängen, wo es wirklich fest und hart wird, wo die Wirklichen sind (es gibt keine Wirklicheren! Das sind die, die wirklich wirken) und über die Straßen brettern, ohne an die Bretter des Sargs auch nur zu denken, der Satz vom Eigentum wird hiermit für gültig erklärt, doch wie lautet er?, wir ändern ihn ab in den Satz der Eigentümer, die miteinander in einem nicht geheimen Einverständnis stehen: Das sind diejenigen, die dranhängen, immer an einem andren Eigentum, sonst würden sie ja dauernd zu streiten anfangen, wer welches Festzelt kriegt, bitte um Entschuldigung, ich verstehe nichts davon, wo war das noch gleich?, ja, und dann haben wir auch ganz neue, frisch gekrönte Könige im Angebot, ein Sonderangebot ist es nicht, doch wir sitzen mit ihnen im selben Boot, weil uns das auch interessiert, genau, ich meine die, die kochen können, die Herrscher der Wiese, der Wiesn, die hängen auch alle an irgendwas dran, bis sie glauben, die Stadt gehöre ihnen. Weil sie wissen, die Stadt gehört ihnen. Mir geben sie sie nicht, wie gemein! Sie leihen sie mir nicht einmal. Das sind alles Leute, welche ihren ländlichen Grund verlassen haben, wo sie sich eingerichtet hatten, umso lauter schreit dann ihre Einrichtung nach ihnen, die sie ohnedies immer mit sich führen, wo sie auch sind, je mehr sie da sind, mitsamt ihrer Einrichtung plus Hirschgeweih, das gewiß nicht das Denken ihnen eröffnet hat, das Geweih ist schließlich außen angewachsen und nicht im Kopf drinnen!, desto weniger existiert sie, die Stadt, denn sie achtet ihre Menschen nicht, weil das, was sie achtet, immer dieselben Menschen sind, und die kennen wir schon. Vor denen muß man nicht mehr Achtung! schreien, man erkennt sie sofort. Andre kommen ihr nicht rein, kommen ihr nicht in die Tüte, höchstens als Einkäufer in jeder, ja, auch in dieser Straße, die ganz besonders die Stadt verkörpert, sind allein ihre Körper zugelassen. Wissen versteht die Stadt, versteht die Straße ausschließlich als Gesehenwerden, obwohl sie doch wissen muß, daß es auch von hinten geht, man erkennt die immer, und so ist das beste für uns Zaungäste (nein, die Kühe hinter dem Zaun sind inzwischen ins Schlachthaus verreist, die sehen Sie hier nicht) das Gesehenhaben. Gern geschehen! Können sie nicht unterscheiden, ob sie was gesehen haben oder ob sie es grade sehen. Es gibt keine Unterschiede. Sie unterscheiden sich ja auch nicht voneinander, daher sind sie voreinander ja auch so, wie soll ich sagen?, ungeniert!, weil sie alle ein und dasselbe sind, und das kennen sie schon und wollen was Neues, das sie aber schon vorher gekannt haben, wie sie uns mit ihren Signalfarben signalisieren. Also. Ich bin so erschrocken über diese Stadt, das kann ich Ihnen sagen! Zuerst eigentlich nicht, später schon. Ich habe geglaubt, sie zu kennen, aber was ich gekannt habe, war nur ihre Fassade, kein Wunder, sie besteht ja daraus, die Stadt, aus Fassade, aber dahinter, der Hintern dahinter, der ist entsetzlich, und das Dazwischen, das können Sie sich gar nicht vorstellen, und das werden Sie auch nie sehen, denn das zeigt sie nicht, das zeigt sie nur denen, denen sie gehört, obwohl Sie ja vielleicht ebenfalls hier wohnen, hinter diesen Fassaden, die alles verschleiern, nein, nicht verschleiern, sonst wären sie ja durchsichtig, und das sind sie eben nicht, sie sind das Verborgenste, nein, das Verbergendste. Sie sind Fassade auf Fassaden. Und das letzte, was diese Fassaden in dieser Stadt eröffnen könnten, nachdem alles andere schon eröffnet wurde, wäre das Denken, auf das hier nur wenige kommen, und wenn, dann verwischen sie den Pfad hinter sich. Da macht es besonderen Spaß, das, was davor ist, in dieser Stadt: vorsteht, also da macht es den Vorstehern der Stadt besonderen Spaß, bei den Menschen einzubrechen und die Menschen einzubrechen wie Wild, ich meine aufzubrechen, daß das Blut spritzt und die Knochen knacken und krachen, daß die Sehnen reißen, bis sich niemand mehr nach etwas sehnt, den Witz mache ich immer, denn es ist keiner, ich scherze nicht, sie brechen in Menschen ein, bis denen die Haut und das Darunter aufplatzen, das Darunter aufzureißen, nicht das Dazwischen, das macht Spaß!, in das Darunter einzudringen, nachzuschauen, was dran ist. Oder das, was offen und draußen ist, auch noch aufzubrechen, es ist ja da, es ist vorhanden, und man ist schließlich kein Einbrecher, sondern ein Aufbrecher von Menschen, nicht wahr!, bis zu ihrem Grund vorzudringen, das machen sie gern, die Aufdecker, nein, nicht die Abdecker!, das ist auch der Grund, weshalb sie die Herkunft ihrer Herrschaft so offen zeigen, daß man sie gar nicht erst suchen muß. Hier steht es doch, auf Seite eins, Fortsetzung im Blattinneren, dort finden Sie jedes andere Innere auch, das Sie schon lange gesucht haben. Man kann aber auch ein Aufdecker sein und auf den Grund dieses Wäschemodels blicken, was für einen Grund hätte es denn, sich zu verbergen?, keinen!, da es doch kaum etwas angezogen hat, damit wir alles, wirklich alles sehen können, ist ja nicht viel drüber. So auch der Mensch. Dieser Satz hat keinen Sinn, er ist auch gar kein Satz. Ja, ich glaube, das ist auch diese Stadt: daß man die Menschen auszieht, bis man alles von ihnen, am besten wärs auch noch von innen, sieht. Das ist ihre Bedeutung, und darin sieht man sie, in ihnen selbst. Den Grund, warum nur, warum?, den erreicht man schnell, nein, den wirklichen Grund der Menschen, warum sie etwas nicht tun, den kriegt man nicht raus, den Grund, weshalb sie überhaupt nichts tun, außer Ärzte oder Anwälte oder Geschäftsleute und deren Gattinnen zu sein, darin herumzuwühlen, um einzukaufen bis ihnen das Blut vom Ellbogen auf die Elle und die Speiche tropft, so oft haben sie ihre Kreditkarten hineingeschoben. Aua! Da ist was rausgekommen und hat mich sofort gebissen! Zumindest eine Sehnenscheidenentzündung geht sich aus, obwohl sie sich nach nichts sehnen müssen. Sie haben ja alles. Und dann: Die blitzenden Speichen ihrer Bergräder, die sie zum Spaß auch in der tiefsten Ebene besteigen, weil sie diese dicken Autos in der Garage stehen haben und auch einmal stehenlassen können, die wollen sich auch einmal ausruhen, dieses Geblitze überall, ein Gewitter auf dem Land ist ein Dreck dagegen: Da, hier sehen Sie es rennen!, hier sehen Sie sie rollen, die Räder, und wer draufsitzt, der will abnehmen, aber das kann ihm keiner abnehmen, das muß er selber tun. Da ist das nackte Grauen, nein, doch nicht, das ist woanders, vorhin war es noch da, keine Ahnung, wo es hin ist, ich glaube, es war gerade zu mir unterwegs, geradewegs, hier jedenfalls sehen Sie es nicht, denn man sieht es nur, wenn man dahinterschaut, und das können Sie nicht, das können nur die, die Herren der Stadt, des Staats, des Freistaats, das muß man nämlich dazusagen, die bei mir eingedrungen sind, ohne davor Einlaß begehrt zu haben, nein, ich übertreibe, sie haben geklingelt. Ich bin so frei, sagten sie, aber nicht beim Eintreten. Daran ist die Stadt nun wirklich nicht schuld, außer daß sie Herberge ist und das Land öfter mal einlädt. Freihält, egal, ob man frei ist oder nicht. Diese Herren, Herrschaftsseiten, die zeigen einem manchmal auch wirklich ihre unangenehmen Seiten! Und wo sind die anderen Seiten, die sie jetzt aufziehen wollen? Einem Foto können Sie nicht auf den Hintern schauen, weil, da ist nichts, hinter diesem lachenden Gesicht ist gar nichts, da ist nichts dahinter, nichts dran, nichts dran an den Gerüchten, nichts, da ist nichts, drehen Sie das Foto um, dann sehen Sie es, da ist nichts, denn das Geld ist über der Grenze, in Österreich, im Kleinwalsertal, in diesem winzigen Tal, einem richtigen Kleinkind von einem Tal, wo sollen wir denn sonst hin, wenn wir was anzulegen haben?, dort im Tale, auf dem grünen Talgrund, dort drängt, dort scharrt es sich zusammen, bis ein schöner Haufen entstanden ist, keiner kennt die Namen, dort drängeln sie einander vorwärts wie frierende Tiere, irgendwelche halt, ich glaube, man sagt Mäuse, oder?, das tun sie ja alle, sich zusammendrängen, auch wenn sie gar nicht bedroht werden; doch schauen Sie es von vorn an, das Bild!, dort sehen Sie auch nichts, denn das ganze Geld ist bereits weggebracht worden, es wurde fortgeschafft, mußte Abschied nehmen, oje, doch es hatte es nicht weit, es war gar nicht weit über die Grenze, aber sehen Sie nicht, daß ich in umgekehrter Richtung unterwegs bin?, hier steht es doch, und ich stehe nicht hier, das sehen Sie doch auch. Noch nackter, noch grauenvoller ist es, wenn man selbst derjenige ist, der unbedingt dahinterschauen, dahinterkommen möchte, und das will man hier, man will das Geld dahinter, aber man sucht es an den falschen Stellen, und das geschieht mit Absicht. Das Geld ist dorthin verreist, woher ich komme. Ich hätte nur die Hand auszustrecken brauchen. Doch leider ... Nein, unterwegs begegnet ist es mir nicht. Ich habe eine andre Strecke genommen. Und Sie haben eine andre Strecke ausgelegt, lauter Tote, lauter Totes, das ist Ihre Strecke!

Doppelgeschöpf, männl.: Also bitte, beruhig dich wieder! Was dir passiert ist, kannst du nicht über die Stadt stülpen, noch dazu über diese, die so harmlos ist wie eine Butterblume! Und ich gehe noch weiter: Das war sie gar nicht, die Stadt! Die Stadt hat nichts damit zu tun! Laß dir diese Stadt nicht vergällen. Und diese Straße schon gar nicht! Das sind nur dumme Meinungen und Ansichten von dir, nicht von der Stadt! Die Stadt ist anders. Sie hat Tiefgang, und der läßt sich sogar noch übertreffen, indem es bei ihr immer noch tiefer hinuntergeht. Welche Stadt schafft sowas? Sich selbst zu unterschreiten? Ich werde dir erst glauben, wenn die Stadt in ihre eigenen Keller einbricht, durchbricht, abbricht, obwohl sie keine Geschichte hat, und wenn, dann hat sie sie gut versteckt, woanders, denn im Keller sucht man ja immer zuerst, nicht wahr, versteckt alles, jedenfalls das, was überhaupt noch von ihr da ist, in dieser Straße ist es nicht mehr viel. Da befindet sich alles an der Oberfläche, du brauchst nicht tiefer zu graben. Die Straße war früher eindrucksvoller, wie alles hier, gemacht, um Eindruck zu machen, das stimmt. Das sind Baustätten, nicht Erbauungsstätten, obwohl in die Löcher vieles hineingebaut wird. Darüber wacht der Landtag, am anderen Ende der Straße, wie über alles andre auch. Das ist seine Aufgabe. Du solltest das auf sich beruhen lassen, was dir passiert, und es nicht der Stadt ankreiden. Diese Stadt ist Leben und Lebenlassen, ohne Bangigkeit, den wichtigen Personen sieht man an, daß sie auch durch Wiesen und Wälder streifen könnten, wenn sie wollten, gut, das machen sie am Sonntag, daß sie aber auch die Clubs bevölkern könnten, damit auch dort ein Volk ist, aber nicht jedes, es soll sich ja verteilen, nicht wahr, das wirst du ihnen wohl gönnen! Das Volk kann nicht immer nur zu Hause bleiben wie du, nein, weil Sie fragen: Wir sind nicht das Volk, wir sind es nie gewesen. Das ist das Volk, was?, keine Ahnung, und in dieser Straße zieht man sich dafür an, sich darunter zu mischen, nie dreinzumischen, nein, das nicht, nur nicht einmischen, aber unter die Leut mischen, das ist schon besser, je nachdem, wer man ist. Je nachdem, was man vorhat und mit wem, und in dieser Stadt kann man immer was vorhaben, und man kann es in immer denselben Stätten ausleben. Das ist doch schön, das ist zündend, das blendet die Augen! Das ist überall so. Diese Stadt heißt sich gegenseitig zu kennen. Sonst nichts und niemand. In anderen Städten kennen die Menschen einander nicht, die Glücklichen. Hier kennt jeder jeden, es gibt ja nicht so viele davon! Doch es bleibt überschaubar. Jeder ist viele, wenn auch nicht alle. Das ist ein wichtiger Unterschied. Wenn sie dich nicht leben lassen, oder jedenfalls nicht hier, dann sagt das gar nichts über diese Stadt, sondern alles über dich. Du glaubst, sie müßte dich kennen, die Stadt. Wieso? Warum soll sie ausgerechnet dich kennenlernen wollen? Nur weil du dich aus der Fremde mitgebracht hast? Blödsinn! Das geschah auf eigene Gefahr, und wer sich dorthin begibt, kommt darin um. Da gibt es außerdem noch viel fremdere Fremde als dich, und die wirft sie wieder hinaus, die Stadt. Da hast du es noch gut getroffen, weil deine Anwesenheit nicht Abwesenheit bedeutet, jedenfalls nicht auf Abwesenheit abzielt. Im Gegenteil, sie behaupten ja deine Anwesenheit! Bei andren wollen sie die Abwesenheit, bei dir die Anwesenheit, obwohl sie darum nie gebeten und sie auch nicht bekommen haben. Was dir passiert ist, das ist vergangenes Geschehen, es interessiert niemanden, die Stadt am allerwenigsten. In dieser Ruhe, nein, in dieser Gleichgültigkeit der Stadt dir gegenüber kannst du viel sehen, eine ganze Fülle, doch nichts davon wird stimmen. Was du für Fülle hältst, ist Leere. Die Stadt ist innen ganz hohl, wie gingen sonst all die Menschen und ihre Geschäfte rein? Die Stadt bezieht sich nicht auf dich, sie kennt dich gar nicht. Du interessierst sie nicht, und was du ihr zuschreibst, ist falsches Schreiben, aber das sind wir ja gewohnt von dir. Das Abständige: gewohnt. Das Übermaß: nicht gewohnt. Das Randständige: nicht so gern. Daß sich etwas ereignet, kann man nicht erzwingen. Aber auch daß sich nichts ereignet, auch das kann man nicht erzwingen. Niemand ist an dir interessiert, damit mußt du leben. Aber es läßt dich auch niemand einfach leben. Denn nur die sind noch interessiert, die etwas aus dir herausholen wollen. Sie wollen doch nur in deine Wohnung einbrechen, ein legaler Einbruch in diesem Fall, also, was beklagst du dich darüber? Sie dürfen. Sie dürfen. Sie dürfen dich alles fragen und haben ein Recht auf alle Antworten! Sie haben ein Recht auf alles, das hinter dem Berg liegt, mit dem du aber nicht hinter dem Berg halten darfst. Ich meine, der Berg darf es nicht behalten, auch die Maus nicht, die in ihm wohnt, so wie der Menschensohn unter uns wohnet, nein, unter uns wohnt eine alte Rechtsanwältin, ganz bestimmt. Ich habe sie schon öfter gesehen! Wie kommt es, daß du der Fesseln ledig, die sie dir noch gar nicht angelegt haben, hier draußen noch frei herumläufst? Wohl weil du dich selbst gefesselt hast, denn anders kann ich es mir nicht erklären, und ich war dabei! Persönlich! Die Stadt interessiert das alles einen Dreck, solange sie dir neue Teile und neues Herrschen, und zwar über dich!, verkaufen kann und mehr, viel mehr!, ach, das kleine Wäschegeschäft in dieser Straße, in das du oft reingeschaut hast, auch verschwunden? Nein, ist es nicht. Es hat nur ein andrer, wie alles, was verschwunden ist, vor allem Geld. Großer Irrtum, denn das Geld kommt aus dem Nichts, ist nichts und geht wieder ins Nichts zurück. Doch die Menschen glauben das von ihm: Es ist nie weg, es hat nur ein andrer. Und deine Briefe, deine Schriften, deine Wäsche nicht, deine Kleider auch nicht, aber letztere wurden festgehalten, mit einem Fotoapparat, alles festgehalten, was du besitzt, gesammelt hast, geschrieben hast, alles aufs neue, Fragen eröffnend, Fragen schließend, gesammelt von Menschen, die nicht dein Wohl wollen, auch nicht dein Wohlwollen, die irgendwas von dir wollen, und wenn ich sage irgendwas, dann meine ich immer Geld, das ist hier so üblich, daß man Geld will, für alles, warum nicht deins auch? Wenn sie es haben, kannst du alles machen, was du willst, wenn auch nicht mit deinem Geld, das ist dann weg, und zwar alles. Sie haben ja vorher gefragt, aber die Antwort nicht gehört oder nicht verstanden, und wenn sie die passende Antwort bekommen, stellen sie gleich andre, neue Fragen, nein, keine neuen, immer wieder dieselben, vielleicht bekommen sie ja einmal neue Antworten drauf? Nein, sie bekommen nichts drauf. Aber was hat das mit dieser Stadt, mit dieser Straße in ihrem gelben Licht zu tun? Was hat das mit dem berühmten sonnigen Süden zu tun, der nur einen kleinen Weg gehen mußte, um in diese Straße zu gelangen, die sein Repräsentant ist? Ohne umzusteigen bis hierher, der schöne Süden, den können wir hier gut brauchen, aber meist sagen sie auch zu ihm, zu ihm und seinen ebenso südlichen Bewohnern: Wieso bist du gekommen? Bleib, wo du bist, wir brauchen dich nicht! Das ist hier die Haltung dem Süden gegenüber. Überall hält man sich da dran. Was hat das mit der Sonne zu tun? Das hat mit der Sonne so wenig zu tun wie mit dir, und nein, meine Sonne bist du nicht und meine Nebensonne bist du auch nicht, Sonne ist kein Nebenberuf, sie muß ja den hellglänzenden Schnee schmelzen, der niemals schmilzt, deswegen ist es ein Ganztagsberuf, Sonne zu sein und diese Straße anzuziehen, mit Licht zu bekleiden, damit die Leute einander ansehen und ihr Ansehen genießen können und ansehen können, wo sie was gekauft haben. In deinem Stammgeschäft wirst du freundlicher behandelt als in deiner eigenen Wohnung, das muß ich zugeben, da bin ich persönlich Zeuge gewesen, wie du behandelt wirst, auch wenn du gar nicht da bist, kein Wunder, in deiner Wohnung hast du ja kein Geld gelassen, im Geschäft schon. Du bist dieser Straße genau das wert, was du hier gelassen hast, verlasse diese Straße, verlasse sie jetzt, sonst wirst du deiner eingebildeten, angemaßten Großartigkeit entnommen und dann zurechtgestutzt werden. Auch wenn die Teile, die du hier gekauft hast, deine Größe bestätigen oder sogar noch vergrößern sollen, darum kaufst du sie ja, damit deine Größe das Aktuelle, das eher klein ist, bei weitem übersteigt. Ich verstehe sogar, daß sie deine Wohnung ausgeräumt haben, die Stille der Wachehaltung, wenn du nicht da bist, unterbrochen haben, diese Stille war ja schon unerträglich, die mußte durchbrochen werden, und ja, bevor du fragst: Sie haben sich auch Teile des Alten genommen, des Früheren, vielleicht schon Abgenutzten, eben alles, was war und da war, und was mit der Stadt nichts zu tun hat, natürlich nicht, die Stadt hat damit nichts zu tun und du nichts mit ihr, verkündet sie und bringt wichtige Kunde und sucht nach wichtigen Kunden, du bist eine davon, eine Kundin, als solche bist du anerkannt, keine Frage, als Person bist du angeklagt, nein, noch nicht, du bist beschuldigt, du bist beschuldigt worden, ist dir das klar? Eine Beschuldigte mehr oder weniger, das ist nichts, was hat sie dafür zu bieten, was zuahlt die Stadt für die Beschuldigung, sowas gibts ja schließlich nicht gratis, oder? Ich habe das so verstanden: Du sollst für deine Beschuldigung bezahlen, ich meine, nicht weil du dauernd irgendwelche Unschuldigen beschuldigst, sogar diese liebe Stadt!, sondern man will dir zeigen: Jetzt wirst einmal du beschuldigt und sollst dafür auch noch zahlen. Sie fürchten deinen raschen Sinn, was ist das, was soll das sein? Du hast doch gar keinen Sinn, du hast überhaupt keinen Sinn, außer du zahlst, auch das, was du schon gezahlt hast, wenn auch woanders, aber auch wenn du gezahlt hast, bist du nichts für diese Stadt, du wirst nie etwas für sie sein, nie! Die Stadt, die Straße hat sich für die Wurstfabrikantinnen und die Zahnarztgattinnen entschieden, das ist entschieden zu verstehen und logisch, die Stadt hat sich entschieden, daß die Anwaltsgattinnen und sogar die Anwältinnen selber, die Arztgattinnen und sogar die Ärztinnen selber, all diese Menschen von gewaltigem Umfang, denen man auf den ersten Blick ansieht, daß sie zu befehlen verstehen, hier Vorrang haben und Vorrang genießen, wie sie alles genießen, wir sind ja keine Hinterwäldler mehr, wir haben das Holz vor der Hütte, den Grill im Garten und ja, diese Menschen gibt es alle wirklich, es gibt alles, es gibt sie alle, doch es gibt am Ende, wenn abgerechnet wird, nur die, welche hier einkaufen gehen, ja, dich auch, aber dich braucht die Stadt nicht, und kommst du, der Stadt zu berichten von ihrem unerhörten Tun, dann kommen sie auch zu dir, um von dir zu berichten, also berichte nur weiter vom unerhörten Tun der Gattinnen und angemaßten Gattinnen und vorgetäuschten Gattinnen, welche bereits abgeschrieben sind, als ihre eigenen Angestellten abgeschrieben, die Nebensonnen, die Nebengattinnen, die schöner sind als die echten, deren Maße besser sind als die der recht- und gesetzmäßigen, sonst hätte man ja bei denen bleiben können, doch an den besseren Maßen der anderen Damen orientiert sich eine ganze Industrie, welche hier Kleider verkauft, nein, umgekehrt, die anderen Damen – doch sie lassen sich gar nicht mehr voneinander unterscheiden, was muß ich sehen?, nichts kann ich sehen!, es kann doch eine Anwältin die Geliebte eines Herrn sein, der eine reguläre Gattin hat und seinen Kindern die Zähne regulieren läßt und umgekehrt, das ist mir nur für eine ordentliche Beschreibung zu schwierig – -, hier in der Zeitung steht es, steht das alles, auf der letzten Seite, die liest du doch immer zuerst!, ach, Entschuldigung, ich verfranze mich wieder einmal völlig, ich wollte nur sagen, sage aber leider immer viel zuviel, jedenfalls viel mehr als ich sollte, also es gibt hier keine Regeln, es ist die Stadt, die keine Regeln duldet, sonst würden weniger Leute einkaufen, weniger Frauen vor allem, gäbe es irgendwelche Regeln für sie, die brauchen sie nicht. Sonst hätte man auch die Garagenbesitzerin nicht umgebracht, ich habe keine Vorstellung davon, wie das gewesen sein muß und wer das war. Ich glaube nicht, daß es der Neffe getan hat, der zum Gefängnistor hineintrat und nicht mehr herausgekommen ist, im Gegensatz zu dir, die es gar nicht erwarten kann, hier wieder rauszukommen, aber wer bin ich schon, etwas zu glauben? Hier herrscht neben der Religion das Regellose, nein, auch das ist eine Lüge, hier herrscht das, was auf den Schildern draufsteht, an den Schildern, ich meine natürlich jene, die fix und fest am Kragen, wo man die Leute packen kann, eingenäht sind, kann man sehen, was es ist und was wer haben muß, der es kaufte, es kann aber auch ein andrer sein, solange nur gekauft wird, wir werden uns hüten, etwas zu regulieren, doch wir regulieren sogar Zähne, wir regulieren die Jahreszeiten, den Winterschlußverkauf gibt es genau dann, wenn der Winter beginnt, dann sollte aber schon alles raus sein, und was noch nicht raus ist, das marschiert jetzt, wir brauchen Platz für die Frühjahrskollektion, die schon vor einem Jahr, nein, vor zwei Jahren, erstellt und hergestellt worden ist, in deine Wohnung sind sie ja auch erst eingedrungen, als die Jahreszeit, jede Jahreszeit vorbei war, auf der Suche nach Vergangenem, bei dir, ausgerechnet bei dir suchen sie Vergangenes, aber das eigene Vergangene, das schert sie nicht, dafür wollen sie dich scheren wie ein Lamm und dann den Rest essen, es darf ja nichts verkommen, außer Menschen, sie wollen schauen, was du eingekauft hast, mit welchem Geld bitte, wenn Sie es hier ausgegeben haben, dann muß das Geld doch auch von hier sein, oder?, hier zählt nur das einheimische Geld, außer Sie sind die Gattin eines Scheichs aus einem Ölparadies, einem Ödland im Grunde, doch aus dem Grund sprudelt das Gold, ja, aber dann würde man Sie gar nicht sehen, einkaufen würden Sie trotzdem, sogar besonders viel, oder was oder wie oder wer jetzt?, Entschuldigung, noch einmal, ich rege mich ja fast schon so auf wie du, dabei war das ein alltäglicher, normaler Vorgang, daß sie dich überfallen haben, während du die Läden nur sporadisch, keineswegs alltäglich überfällst, aber dann brav für alles zahlst, ich habe dich oft dabei beobachtet, wenn auch nur von draußen, falls ich den Blick von meinem Smartphone einmal heben konnte, was nicht oft möglich war, denn der Wetterbericht ist immer wieder so spannend, das Wetter kommt ja immer wieder, und drinnen im Laden könnte ich ihn nicht so gut beobachten, ach ja, diese Straße! Schon schön. Die betont das Gegenständliche des Gegenstands, den man sich dann auch noch anziehen kann, um selbst zum Gegenstand (unbedingt der Bewunderung!) zu werden, du weißt das, ich weiß, deswegen gehst du dir ja was kaufen, um bewundert zu werden, von wem denn?, nicht sehr logisch, da du ja kaum noch auf die Straße gehst, auf keine, auf diese aber schon, denn deine Gier nach neuen Bekleidungsteilen kennt keine Grenzen, da darfst du dich nicht beschweren, wenn sie dann zu dir kommen und deine Grenzen, die du ja irgendwo haben mußt, ausmessen wollen, was für eine Vermessenheit!, sagst du, aber das ist total normal, sie müssen ja ihre Pläne machen für die GPS, sie müssen doch irgendwohin kommen, nach irgendeinem Gesetz, und davor muß alles vermessen werden. Sie haben dich herausgesucht und messen dich jetzt ab und noch ein paarmal nach, ob du dir auch entsprichst, und die Natur hat die Maße, doch sie rückt sie nicht heraus, ausgerechnet die, die es hier schon längst nicht mehr gibt, dort drüben schon, wo die lieben Enten und Gänse sind, aber auch dort würde ich das nicht Natur nennen, wo die schwimmen und Gras rupfen und unser Brot fressen, das ist bloßes Vorhandensein, doch ohne jede Einzigartigkeit, das ist nicht Natur, obwohl die Natur das einzig erfahrbare Seiende sein soll, wie gesagt wird, aber wir haben kein Auto, und so können wir sie nie erfahren, wir können uns aber jederzeit, und absolut gewollt von der Stadt!, in dieser Straße ergehen, dort wird es uns nie schlecht ergehen, außer du findest nichts zum Anziehen, wo du doch schon alles hast, vieles sogar mehrfach, ich meine, in mehrfacher Ausführung, und wenn du was brauchst, mußt du nur die Fotos anschauen, welche die Verfolger von deinen Kleidern gemacht haben; die Straße, ja, was wollte ich über sie sagen? Viel, doch ich erinnere mich nicht. Daß sie sich woanders als in der Natur aufhält, die sie kaputtgemacht hat, damit sie sich hier breitmachen konnte, wahrscheinlich. Aber irgendwo muß die Straße doch hin, und überall, wo etwas ist, war vorher was anderes. Zu kaufen gibt es ja auch immer etwas anderes, sonst wäre das Ganze ja sinnlos. Und was es hier gibt, das übertrifft alle Wunder, kein Wunder, daß die Frauen das haben wollen, alle Frauen, und zu denen zählst du nicht! Und schon gar nicht zu den wilden Frauen, die sich in ihrem Außer-Sich-Sein sehenlassen wollen und das auch können. Wären sie in sich geblieben, würde kein Mensch sie sehen wollen, ja, nicht einmal sehen können!, diese Frauen hier!, sie sind berühmt, und es ist ein schöner Ruhm, für den keiner sterben muß, man würde für sie alles liegen- und stehenlassen, und sie sind wirklich echt wild, hier ein Foto, dort der Garantieschein, da sind zwei drauf eingezeichnet, die grad beim Friseur waren und das Blonde frisch haben auftragen lassen, dafür darf ihre Kleidung nicht auftragen, niemals! Es wird immer eins gegen das andre aufgerechnet bei denen; obwohl Wildheit als Naturfarbe vorhanden ist, muß doch alles bei ihnen im Gleichgewicht sein, ja, wilde Frauen, die aus unserer Stadt fliehen, nur um sofort wieder zurückzukehren, vom Wahnsinn geschlagen, von ihren Männern geschlagen, die dann wiederum Zahlungen zu leisten haben, ja, so führt eins zum anderen und Abschlag!, finden auch Sie sich bitte beim Abschlag ein, dann kriegen Sie wenigstens eine Abschlagszahlung für sich, wenn Sie Glück haben, aber daß sie eine solche Gratifikation erwarten, das bedeutet, daß Sie kein Glück gehabt haben, daß Sie etwas nicht bekommen haben, jedenfalls nicht gratis, und auch nicht bekommen werden. Ich bin gekommen, ich bin herabgestiegen, von dieser Stadt, von dieser Straße zu berichten, von ihrem unerhörten Tun (aber sie tut ja gar nichts!), das gewiß auch nächste Woche nicht erhört werden wird oder nur von denen, die sich auch sonst überall Gehör verschaffen können. Jetzt sind sie halt hier, morgen sind sie dort. Übermorgen sind sie angekommen, woanders. Oder bist es du, die gekommen ist? Sind wir zusammen gekommen?, nein, Witze mit Kommen mach ich nicht mehr, bist du gekommen, um dir das Gehör der Oberen zu verschaffen, die dich dafür, nein, nicht dafür, aber auf jeden Fall wie einen Untermenschen behandelt haben? Nein, Untermenschen werden hier gar nicht behandelt, übertreib nicht immer so, die bekommen eine Sonderbehandlung, wie früher auch schon, die nichts mit deiner zu tun hat, das Gehör also, Gehör hast du hier schon oft gefunden, wenn auch nicht bei denen, die wirklich hätten zuhören sollen (die hören nie zu!, wer dir zuhören soll, der hört nie zu), ein Tun, welches Tun?, du hast doch gar nichts getan!, ein Tun, das alle Wunder übertrifft, also, was wollte ich sagen?, ach ja, von dir ist derzeit nicht die Rede, sonst immer, aber diesmal nicht, du redest ja selbst, wenn auch nicht mit mir, sondern in einem Theaterstück, wen interessierts, wir reden von wilden Frauen, nicht von dir!, die gibts hier öfter, diese Mänaden, du eher eine Monade, ich sehe sie dauernd, wenn auch meist nur auf Fotos, ja, diese wilden Frauen, zu denen du nie gehören wirst, stürmen barfuß, nein, in den Schuhen von Jimmy Choo – finden Sie auch in dieser Straße, schauen Sie nur!, nein, nicht du bist gemeint, sag ich doch!, ich spreche von den wilden Frauen und ihrem unerhörten Tun, ich könnte auch von ihren unerhörten Leistungen sprechen, die auf das Tun folgen, und da hat doch glatt diese Frau ihrer Freundin den Mann ausgespannt, und der ist dann gleich wie ein Pferd auf sie drauf, anstatt umgekehrt, nicht wahr, wie alle vier Rösser der Apokalypse, als hätte er noch nie ein Ende erlebt und wollte es jetzt unbedingt herbeiführen, dieser Mann, dabei hat er schon mehrmals dieses Ende herbeigeführt, mehrmals in jede Richtung, heute steht er schon wieder in der Zeitung, hin und her, hin und her, er müßte es also können, so oft hat er es schon getan, bei einer andren wilden Frau, die sind ja alle wild hier, zumindest wenn man die Zeitungen liest, das bist du nicht, wild sein, das tust du nicht, das macht ja Arbeit, und die Arbeit scheust du. Soll ich alles davon berichten oder lieber schweigen? Von diesen Frauen, die alle Schliche kennen, aber davonschleichen tun sie sich deswegen noch nicht. Sie setzen sich in Szene, wo sie keine Bühne für sich finden, damit man sie dennoch sieht, sie gehen aufrecht, als wären sie richtige Menschen, toll, unsere Lipizzaner daheim können das auch, aber das wissen diese Frauen wahrscheinlich nicht. Das würde sie ärgern. Stürmen werden sie in diesen Jimmy Choos aber auch nicht können, auch verteidigen nicht, sie werden gar nichts damit können, auch schießen nicht, und dennoch in der Zeitung stehen, auf Fotos eingemeißelt, auf Fotos angemessen vertreten, wie sie sie vertreten, diese Wahnsinnsschuhe, nein, das nicht, denn gehen kann man nicht darin, man kann alles, nur nicht gehen, man kann draus trinken, aber gehen kann man nicht –, die, was eigentlich?, die Schuhe?, nein, unmöglich, alles, einfach alles hast du, von allem sogar zuviel, außer Schuhe von Jimmy Choo, die hast du nicht. Alles, was sie gefunden hat, diese Stadtteilbeauftragte, diese Freistaatsvertreterin (bitte nicht mit einer Freistätte verwechseln!), wer immer das ist und wessen Teil das ist, der war einmal meiner!, was sie sich nehmen konnte, das hat sie sich mitgenommen, um es zu studieren, deinen raschen Sinn, deine reizbare Art nicht fürchtend, nichts fürchtend, sie hat ja nichts zu fürchten und von dir schon gar nicht, diese Stadt und ihre Vertretung, der freie Staat, falls die Stadt einmal verreist ist, die haben alle von dir nichts zu befürchten, da gibt es ganz andre!, also will sie, daß du dich vor ihr fürchtest, dafür hat sie einiges getan, alles hat sich die Stadt und mit ihr der Staat, dessen ländliche Seiten wir hier vernachlässigen wollen, von dir genommen. Nur die Furcht, die hat sie dagelassen, die hat sie in deine Wohnung eingeschmuggelt und dagelassen. Ich hab sie bis jetzt nicht gefunden, sonst hätte ich sie schon entfernt. Aber die Furcht kann man nicht entfernen, nicht einmal aus dir, du wärst ja frei, das selber zu tun, die Furcht, die nun angefacht ist wie ein brennender Dornbusch, nicht, um Gesetze zu präsentieren, sondern um Gesetze zu repräsentieren, zu vollstrecken, ausgerechnet an dir, die du selber brennst wie ein Busch und brennst wie ein Luster in dieser Straße, da du für diese weite japanische Hose entbrannt bist, wieder einmal, dabei hast du schon mindestens zwanzig, die genauso aussehen, du sagst, wie immer, die kannst du immer tragen, die kommt nie aus der Mode, das sagst du jedesmal, wenn eine neue Mode gültig wird, aus der diese Hose rausgeschmissen werden wird, bevor sie bist drei zählen kann, was eh das äußerste ist, was man von ihr verlangen kann, und viel mehr ist von dir auch nicht zu erwarten. Könntest du auch nur ein wenig rechnen, ohne deinen Bruch mitzuzählen, deinen Zusammenbruch, war der unbedingt nötig?, hättest du dir schon ausrechnen können, daß die Stadt einmal zu dir kommt, da du so oft zu ihr gekommen bist, und einmal warst du eben dran, das war diesmal, diesmal warst du dran, die Stadt ist an deinerstatt gekommen, um von sich zu berichten, von ihrem, wie gesagt: unerhörten Tun, von dem bloß du noch nicht gehört hast, alle anderen aber schon, deswegen verstecken sie ja rechtzeitig ihr Geld, du Idiotin. Alle machen das! Aber Idioten geraten ja gern außer Kontrolle, ich höre dich schimpfen, Tag und Nacht muß ich hören, wie du klagst, wie du dich über diese Stadt beklagst, die doch so schön ist, nicht gut zu dir, aber gut zu den meisten anderen, welche ihr Geld im Ausland friedlich schlafen haben und es ab und zu besuchen fahren, um zu schauen, ob es vielleicht aufgewacht ist; die Stadt, die Straße, wo du so gern einkaufst, du beschimpfst sie jetzt pausenlos, das ist nicht gerecht, denn ihr Tun übertrifft alle Wunder, du solltest diese Stadt eher bewundern, als sie zu beschimpfen, beweinen statt zu preisen, äh, umgekehrt, egal, beweinen, was sie auspreist in ihren Läden, diese Straße, daß es so teuer ist, aber du wirst es zahlen, du wirst es wieder zahlen, und die Stadt will nun, daß du auch sie bezahlst, da du dich ab und zu in ihr aufhalten darfst, glaubst du, das ist umsonst? Glaubst du, die läßt dich gratis rein? Zu jedem Fußballspiel, zu jeder Theateraufführung mußt du ja, willst du dort auch noch mit rein, eine Eintrittskarte kaufen, glaubst du, die Stadt schenkt dir was? Nein, diese Stadt schenkt dir nichts, das steht nun mal fest, auf ihre reizbare, allzu königliche Art schenkt sie dir nichts, obwohl sie so viel zu verschenken hätte, du würdigst das nicht, sie krümmt dir gewiß kein Haar, die Stadt, du glaubst nur, daß sie das vorhat. Was soll sie denn mit deinem Haar? So schön ist das auch nicht mehr! Sie wird dir nichts tun, da bin ich mir sicher. Sie wird dich sicher fertigmachen, mehr nicht, aber einer mußte das übernehmen, nicht einmal deine Mama hat das geschafft, und der große Tote aus dieser Stadt, den du noch ehren wirst, ob du willst oder nicht, von euch kommt der schließlich, genau wie du!, nur Geduld, ich verstehe, daß Sie die nicht mehr aufbringen können nach drei Stunden Geplapper, dieser Tote, den dein Land noch rechtzeitig exportieren konnte, bevor er deinem Land dann auf den Kopf gefallen ist, also der ist dein absoluter Gegenpol, der Südpol zum Nordpol gewissermaßen, der hat seine Mama liebgehabt, auch wenn du dir sowas gar nicht vorstellen kannst. Ach so, du meinst einen ganz andren Toten, ebenfalls mit Mama! Entschuldige. Du entscheidest, aber ich sage: davon später. Nicht jetzt! Die Stadt, sollen wir ganz offen sagen, wozu sie fähig ist, oder sollen wir es verschweigen? Du sprichst ja ständig davon, also ist Verschweigen keine Alternative mehr. Ich darf doch wohl auch was sagen, oder? Wer seine Pflicht erfüllt, dem darf man nicht zürnen, das habe ich, glaube ich, auch schon gesagt, und ein andrer hat es vor mir gesagt, nein, du hast es gesagt, und du hast es sicher irgendwo abgeschrieben, da du schließlich kaum etwas abzuschreiben hast, diese Packung Papier, was ist die schon?, die ist nichts im Vergleich zu dem, was die Wurstfabrikanten und ihre Wurstgattinnen, welche sowieso abgeschrieben sind, aber sich nie selber abschreiben würden, alles so liefern, sie geben dabei aber eine gute Figur ab, sonst wären sie nicht geheiratet worden, eine Figur, die mit Wurst nichts mehr gemein hat, der man die gemeine Wurst nicht mehr ansieht, jedenfalls nicht in dieser Straße, wenn sie sich hier aufhalten, vielleicht dort, wo sie wohnen?, aber nicht hier; ihre Männer machen Absetzbewegungen; absetzen, ihre Gattinnen absetzen, die eh schon die dritten sind, gemeinsam gekommen mit den dritten Zähnen, und die sie dann noch einmal absetzen und dann noch einmal von der Steuer, ja, das tun sie, damit steuern sie den Konkurs an, ohne was dagegen tun zu können. Auch wenn sie ihre Gattinnen auf der Straße überhaupt nicht mehr erkennen würden, so lang haben sie sie nicht mehr gesehen, absetzen werden sie sie immer. Umso härter wird jemand die bestrafen, der sie und ihre Frauen in solchen Schlichen unterweist. Nein, niemand wird die je bestrafen. Die Stadt geht lieber zu dir, sie ist mehr an dir interessiert und geht jetzt zu dir über, du bist auf dem Tapet, nein, nicht auf der Tapete, wir haben keine, und jetzt überprüft sie dich eben genauestens, aber hallo. Wieso kapierst du das nicht? Klug bist du, klug, nur nicht da, wo du klug sein müßtest. Verstehst du das nicht? Was passiert? Was ist passiert? Die Kälberherden werden gewiß irgendwann einmal auf höhergelegenes Weideland ausweichen, das sie noch nicht abgegrast gehabt haben werden. Louis Vuitton, Jimmy Choo, Bottega Veneta, Chanel, Dior, Armani und so weiter, diesmal aber auf der andren Straßenseite, also der Herr Armani ist noch, der er ist, das ist einer der letzten, einmal ein Gott, jetzt immer noch gut, einer der letzten, deren Seiendheit man noch aus der Gegenständlichkeit seiner Produkte, auch der Nebenprodukte, wie üblich Taschen, Make-up, Parfum, das übliche halt, ableiten kann, bis sich das Seiende als solches darin auflöst, in dieser Gegenständlichkeit, und man kann sich wiederum seine Seiendheit jetzt aus dem Vorstellen des Gegenstandes, zweimal im Jahr bei den Mailänder Shows, entschlüsseln, kann man das?, nein, das nun auch wieder nicht, na ja, es soll das Sein halt irgendwie zur Wesung kommen, du würdest jetzt einen Witz mit Verwesung machen, ich habe das nicht nötig, und zur Wesung kommt es an dir nicht, keinesfalls, du bist nicht das richtige Wesen, und du würdest nie Armani tragen, das paßt nicht zu dir, nur wenig paßt zu dir, und noch weniger paßt dir. Und außerdem bestehst du darauf, daß jede Art von Seiendem an sich und für sich, nicht für dich, von dir ferngehalten wird, alles Lebende: weg von dir, außer es ist ein Tier!, nur die Kleider dürfen an dich ran, obwohl sie dir und deinem Körper dauernd widersprechen, nur die dürfen das!, das ist dein Hochmut, recht geschieht dir, wenn er vor dem Fall kommt und der Fall jetzt halt eingetreten ist, da es dir an der notwendigen Besinnung fehlt, was wollte ich eigentlich sagen, was wollte ich überhaupt sagen?: Die werden alle, alle Ausverkäufe machen, und du wirst natürlich hinrennen und vergessen, daß die Stadt dich haßt, daß sie dich auch aussaugen will, sie ist die einzige, die noch nicht genug hat von dir, und doch, in keiner Gestalt, außer der des Geldes, kann sie dich noch ertragen, und hier im Theater braucht man deine Gestalt schon gar nicht. Von dieser Straße sind dir ja auch nur gewisse Abschnitte bewilligt, die eine Hand willkürlich abgerissen hat. Diesen ersten Abschnitt nehmen wir immer mit, bevor unsere Füße den Dienst aufkündigen, anstatt tapfer auf ihre Blasen zu blasen. Wo wollen sie hin, die Guten, Ungekünstelten, die Turnschuhe? Prada wird dich natürlich wieder, wie jedes Mal, interessieren, dort zerrst du mich ja immer hin und behauptest, deine Füße hätten dich hingetragen, die haben ganz schön zu schleppen, da müssen Papier und Mund schweigen, ist ja klar. Sonst sind nämlich sie dran. Ich schaue mit hohlen Augen hinein, und etwas schaut mir aus der Scheibe entgegen, das für mich die Verschlossenheit eines Briefumschlags, nein, eines Geheimnisses bedeutet, Prada: grade die, ausgerechnet, die rechnen kann, weil ihrem Mann alles gehört, wirklich alles, und die daher keinen Ausverkauf macht, nie wieder, sagt sie, sie hat das nicht nötig, wer Prada will, soll Prada sofort kaufen oder gar nicht, nur Miuccia Prada, die kann es sich leisten, ihr Mann kann sich noch viel mehr leisten, dem sie meist, ich meine, dem die meisten hier auf dieser Straße sowieso gehören, nicht?, oder?, nein, die nicht, was soll das heißen?, natürlich gehört Prada ihm auch, nur ist das, wo Prada draufsteht, auch das, was in Prada drin ist und worauf du wieder so stehst, nein, leider, die macht keine Ausverkäufe mehr, die verkauft alles nach der Regel, die du angeblich gebrochen haben sollst. Ich weiß, du hast es nicht getan, aber die Stadt glaubt es eben, sie glaubt, daß auch du einen Ausverkauf machst, von dem sie nichts haben würde, wenn sie nicht rechtzeitig ihre Forderungen anmelden würde, und so verkauft sie vorher dich, bevor du dich selbst verkaufen kannst, richtig gedacht, denn für dich würde niemand was geben; du bist verraten und verkauft von der Stadt, macht ja nichts. Sei doch stolz drauf, ich weiß nicht, ob wirklich stolz, aber sei froh, auf alle Fälle froh, daß auch du drankommst, daß sie bei dir alles von unten nach oben kehren, ach, da ist ja die Spitzenbluse wieder, die von Comme des Garçons, hast du hier in dieser Straße gekauft, in der "Klamotte", wo du alles kaufst, und du hattest sie schon verlorengeglaubt, kein einziges Mal getragen, aber du wirst dich nicht freuen können, denn die Häscher haben sie jetzt vor dir ausfindig gemacht. Mitnehmen tun sie sie nicht, aber sie halten sie auf einer Festplatte fest, als Foto, dabei kann die Bluse doch eh nicht wegrennen. Sei froh, sei stolz, daß sie auch dich unter den wilden Frauen vermuten, die in dieser Straße alles ausgeben, was sie haben, und das ist viel, daran erkennt man sie und daß bei ihnen was zu holen ist! Ja, diese Frauen sind wichtige Kunden, du aber bringst immer nur Kunde, die keinen interessiert! Barfuß und stürmisch enteilt hier niemand, denn die Schuhe, die sie tragen, die lassen das nicht zu. Sie glauben, du hast es, was auch immer, die Kunde hast du gebracht, eine schön geschmiedete Kundin, ich meine Kunde, im Ösenland nennt man die Kundin eine Kunde, hier nicht, vielleicht verstehen sie dich deshalb nicht?, weil du nicht ihre Sprache sprichst?, egal, dein Geld, das wollen sie, und daß du Kunde wirst und Kunde bringst, was womit, frage ich mich?, aber das interessiert niemand. Daß du Kundin bist, das interessiert schon eher, wo eine Kundin ist, da muß auch Geld sein, sich aufhalten, irgendwo muß es sein, wir finden es schon!, es muß einen Aufenthaltsraum haben, das Geld, mit Getränken und so, bis die Stadt es als Ganzes wegschwemmt, nein, dort nicht, der Safe ist leer bis auf ein weißes leeres Blatt Papier, wo nichts ist, und so weiter, hat der Staat, hat die Stadt, hat der freie Staat, ich meine der Freistaat sein Recht noch lang nicht verloren, da muß etwas sein!, wir wissen, daß da etwas ist, wir wissen nur nicht, was! Du erhebst dich gegen ihn, den Staat, wie eine Mutter, die alle aufruft, nicht mehr zu schlafen, sondern aufzustehn, mitten unter den Bakchen erhebt sie sich, die schreckliche Mutter, unter den Eumeniden oder nein, den Zügellosen, denen ihre Männer eine Kreditkarte gegeben haben, ob schwarz oder gold, das kommt auf die Haarfarbe an oder was weiß ich, und jetzt kennen die keine Grenzen und keine Zügel mehr und kaufen, da sie des Hornviehs Brüllen vernommen, das in die Fleischkonserven ihrer Männer hineinkommt, nein, nicht die Männer sind die Konserven, die sind immer frisch, wenn das von ihnen verlangt wird, doch es wird viel mehr von ihnen verlangt! Sie erzeugen die Fleischkonserven, die Würste, das Brät, den Leberkäs, das machen sie, die Männer, und daher sind ihre Frauen so zügellos, weil sie immer auf Bildern erscheinen und daher alles einkaufen können, nein: müssen!, was sie wollen, und gibt es etwas Neues, egal was, dann kaufen sie auch das. Sie reiben sich den tiefen Schlaf aus den Augen, nehmen ihr bargeldloses Wurstgeld, ihre Karte, die sie berechtigt, zu allem, also nehmen sie sie auch zur Hand und kaufen, kaufen in dieser Straße, die andre gar nicht kennen, in der andre nie waren, doch du, du kommst, du kommst mit, du läßt dich mit ihnen hierher spülen, ich sage nicht, wohin, ich habe es die ganze Zeit schon gesagt, und jetzt wollen sie es von dir, ich sage nicht was. Keine Ahnung. Es wird noch viel mehr Spaß geben in dieser Stadt, und du wirst dafür bezahlen, auch du wirst dafür bezahlen, wie alle, bloß doppelt, das hält dann ja auch besser, die eine Hälfte gibst du in deinem Land aus, die andre hier, was bleibt dir? Nichts, es bleibt dir dann nichts, gar nichts, bis die Sonne entnervt, weil du dermaßen heulst und jammerst, ungefähr wie eine Bacchantin – ich finde ja, dein Jammern hat etwas Selbstgefälliges, du nicht? Nein, du nicht, wegen einer alltäglichen Sache wie einer Durchsuchung deiner gesamten Habe spielst du dich so auf, daß sogar andre noch dein Schicksal spielen müssen, immerhin Leute, die das besser können, weil sie es gelernt haben, du aber hast nichts draus gelernt, nein, ich meine nicht: Schicksal spielen, dein Schicksal nachspielen! Nach-spielen! –, bis die Sonne also ihre Strahlen wegwirft, sie braucht sie nicht mehr, diese Straße, auch ohne dieses Licht strahlt sie, sogar noch viel heller, da ohnedies auf Künstlichkeit angelegt, kommt mir vor, und kann das jederzeit wieder und weiter tun. Oben das Geld einwerfen, unten: strahlen! Und du wirst dabeisein dürfen. Du wirst dir was kaufen dürfen. Statt daß du dankbar bist! Die Stadt wird dich wahrscheinlich bleiben lassen, doch sie wird es nicht bleiben lassen, dich zu verfolgen, was ihr großen Spaß macht und weil es ihr Spaß macht. Das hat sie schon immer so gemacht, also paßt es. Paßt! Die Stadt ist schließlich eine Spaßstadt, das weiß man, das weiß jeder, der die Zeitungen liest und die Fotos dort hinten, nein, natürlich nicht von hinten, hinten in der Zeitung, dahinter ist ja nichts, also da ist nichts dahinter, trotzdem schauen!, also die Fotos mit dem letzten Schrei, letzte Seite, anschaut, und sie will auch selber ihren Spaß haben, die liebe Stadt, das ist nur zu verständlich. Das verstehe sogar ich! Den Spaß kann sie aber nur ohne Menschen haben, deshalb wirft sie die Menschen weg, mit dir macht sie den Anfang. Denkst du! Du bist das Ende, nicht der Anfang, und schon gar nicht bist du beides zugleich, was bildest du dir ein! Die Stadt macht sich mit dir einen Spaß, und den hat sie nur, wenn du kein Geld hast und trotzdem einkaufen gehst. Dann beginnt der Spaß für die Stadt, allerdings nicht für dich. Es ist alles nur ein Scherz gewesen, du wirst sehen. Auf deine Kosten zwar, aber jemand muß ja bezahlen, daß es in der Stadt so lustig zugeht. Das heißt aber nicht, daß diese Stadt dir übelwill! Es muß gesagt werden, daß nichts verschwiegen werden darf. Du hast gar nichts verschwiegen? Indem du gar nicht hier bist, verschweigst du schon etwas, glaub mir, das kann die Stadt nicht leiden, daß du gar nicht da bist, wenn sie dich bis auf die Unterhosen und die auch noch durchsucht. Und damit nichts verschwiegen wird oder verlorengeht, haben sie sich deine gesamte Festplatte heruntergeladen, auf der du alles so einladend angerichtet hast, was dann auf dich herunterprasseln wird, denn sie wollen nicht nur alles haben, sie wollen auch alles wissen, das Innerste auskehren, ja, das muß alles ans Tageslicht, auch wenn es bloß ein Häufchen Dreck ist, sogar deine dort versammelten Dichtungen müssen ans Tageslicht, damit man sieht, wo man sie einschraubt beziehungsweise wie man sie einsetzen und wodurch man sie ersetzen kann. Alles muß ans Licht des Tages. Es muß diesen Menschen, die aus dem Gebirge ohne Botschaft kommen, denn die Botschaft, ich meine die Buhlschaft, nein, das ist eine Stadt weiter, die Barschaft wollen sie ja von dir haben, es muß diesen Menschen, es sind schließlich Suchende!, Glückssucher vielleicht?, Sinnsucher?, nein, Sinn hat das keinen, doch es muß ihnen alles ausgefolgt werden, also sei folgsam, sonst passiert was! Ich bleibe bei dir, renne nicht davon, geht ja auch gar nicht. Wohin solltest du? Es ist ja alles hier Stadt, auch wenn sie klein ist! Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung, was du dauernd redest, wie du diese Menschen voll Glanz und Macht anklagst, nur weil sie dir alles genommen haben, sogar das Privateste, Intimste, und das ist deine Post, dein Schreiben können sie gern haben, nicht aber das, was du Menschen anvertraust, die hüten das immer noch und haben keine Ahnung, daß eine ganze Menschenmenge ihnen dabei über die Schultern schaut. Dabei hat die Stadt es längst, sie hat alles, sie weiß alles von dir und will noch mehr und sucht Beweise, daß du überhaupt existierst oder wofür oder warum. Und damit haben es alle, wenn die Stadt es hat, dann haben es alle, denn die Stadt ist: alle. Alles, was recht ist. Alles, was drin ist. Was gibt die Stadt dafür? Ist sie die junge Mutter, die Rehkitze oder junge wilde Wölfe in den Armen hält und mit sich tränkt, da ihr die Brust noch strotzt, so sehr, daß sie die eigenen Kinder unbeaufsichtigt daheimläßt und selbst zu einem Tier wird, zu vielen Tieren, die Stadt als die Mutter, die lieber Tiere nährt als die eigenen Kinder? Aber das stimmt auch wieder nicht, denn sie ernährt sich am allerliebsten selbst, sie läßt sich lieber nähren, und zwar von dir. Dich frißt sie jetzt auf. Schau, sie spitzt schon den Mund! Auf dich hat sies abgesehen. Da sieht sie über nichts hinweg, da läßt sie nichts aus, da schaut sie böse hinunter, und daß du weg bist, gefällt ihr gar nicht, sie behauptet ja, du wärst immer hier, zumindest meistens? Noch öfter? Öfter als zulässig, zählen Sie einmal nach! Es gibt Sie nur einmal, aber wieso so oft, ich meine, wieso sind Sie so oft hier? Das geht doch nicht! Meint die Stadt damit die Beseitigung, die Abdrängung deines Seins? Nein. Sie sagt, du wärst hier und aus, auch wenn du nicht hier bist. Wer kann es wissen, wer kann es zählen? Sie läßt dich dich selbst nie vergessen, ich weiß, was dich das kostet. Aber schau, andre zahlen noch viel mehr, für gar nichts! Sogar für Formel 1-Rennen, die gar nie stattfinden, haben Leute schon gezahlt! Wo hast du dich jetzt bloß wieder hingelegt? Mal überlegen! Aber die Stadt ist überlegen! Hast du vergessen, wo du warst? Geschieht deine Seinsvergessenheit etwa gar im Weg-Sein? Die Stadt, ja, die Stadt, die weiß es allein, sie hat dich immer im Auge, deswegen wischt sie ja dauernd so an sich herum, daß sie dich loswird! Die Milch gibt sie dann Tieren oder jedenfalls: anderen. Von der Milch deiner Denkart ernährt sie sich nicht. Die spuckt sie aus. Dich will sie, im ganzen. Behauptest du immer, ich weiß nicht, ob du recht hast, vielleicht träumst du das nur! Das ist vielleicht sogar eine Gemeinerung, ich meine eine Gemeinheit von dir, der Stadt solche Sachen zuzutrauen und sogar zuzuschreiben, als hättest du nicht schon genug geschrieben! Schreibe der Stadt nicht auch noch was zu! Das wäre zuviel! Vielleicht sind die Verfolger ja auch irgendwie gut? Für etwas werden sie schon gut sein, doch sie sind es nicht zu dir, na gut, aber sie sind es vielleicht zu anderen. Vielleicht sogar zu Tieren! Vielleicht sogar zu diesen Frauen, die zu Tieren geworden sind! Die versteht sie nämlich, ist die Stadt doch selbst eine Art Tier, das Milch gibt und Fressen nimmt. Und frißt und frißt. Immer verallgemeinerst du, davor sollst du dich hüten, auch wenn sie in deine Wohnung, in der du dich vollkommen privat und allein glaubtest, eingedrungen sind. Vorher bist du ohne Hüter ausgekommen, jetzt brauchst du welche, damit du wenigstens deine eigenen Grenzen kennenlernst, an denen es elektrisch knistert, aber nicht, weil du so geladen bist! Jetzt bist du selber das Tier, das sich verfolgt glaubt und beißt und tritt und geifert! Mit der Stadt hat das nichts zu tun. Die Stadt ist anders, ich weiß zwar nicht, wie anders sie ist, woanders ist sie sicher nicht, aber sie ist auf jeden Fall anders. Hier steht es: Diese Stadt ist anders. Das sagt jede zweite Stadt von sich, aber diese sagt es, da es keiner mehr hören mag, besonders laut und besonders oft. Hier, es steht sogar in der Zeitung, mit Fotos, die gehören ja immer dazu! Und die Ruhe wie der Lärm, den sie macht, ist nicht die Abwesenheit von etwas, das in dieser Stadt einst stadt-gefunden hat, sondern eine Form von ganz besondrer Anwesenheit. Das geht nicht zusammen, das geht nicht. Was anders ist, gehört nicht in diese Stadt hinein. Sagst du immer, aber glaubst du das wirklich? Du bist ungerecht. Hättest doch dein wundersames Tun im Schreiben, dieses wunderseltsame Großtun, mit der Stadt, in der du herumstrolchst, vorher besprechen können! Oder? Die Stadt hat dich nicht zu einer Besprechung geladen, obwohl du darum gebeten hast, oft?, um sich mit dir ins Einvernehmen zu setzen und dir eine Einvernahme zu ersparen? Pech, aber nicht mehr! Einfach nur Pech. Aber du mußt sie verstehen, die Stadt: Alles Anderssein, das du verkörpern möchtest, aber nicht kannst, ist die Stadt ja schon selber, das gönnt sie keinem anderen: anders zu sein. Sie ist sie, und sie sagt, sie sei anders. Das kannst du ihr schon glauben! Wenn sie es sagt ... Wahrlich, ein schöner Ruhm für den Gott der Stadt! Der ist abgereist, höre ich. An den kannst du dich nicht wenden! Der ist immer abgereist. Doch von dir behaupten sie, du wärst immer hier, nie abgereist, immer hier. Sogar wenn die Stadt abgerissen wäre, wenn du abgerissen daherkämst, er wäre verreist. Nach ihrem Diktat verreist. Oder hat er die Stadt mitgenommen? Nicht daß ich wüßte! Nein, die Stadt bleibt da. Also sogar im Gegenteil: In dieser Stadt ist alles jetzt und gegenwärtig und anwesend. Es hat sich nichts abgemeldet, es ist alles ohne vorherige Abmeldung geflohen, nein, angekommen, nein, geflohen. Blödsinn! Alles muß raus. Keiner verläßt die Stadt. Alles bleibt da, nur die Stadt darf fort. Nein, so gehts auch wieder nicht! Sie kann nichts dafür, keine Ahnung, wofür sie was kann. Sie kann nur das, was du ihr sagst, was deine Freunde ihr sagen, sonst kann sie nichts, das würde sie aber nie zugeben. Sie kann, eichenlaubtragend mit Blüten, nicht mit Schwertern, sowas braucht sie längst nicht mehr, sie kann, aus Douglas duftend, herausduftend, verschwinden und wäre gleichzeitig immer noch da. Die Stadt geht nicht. Das geht nicht, das kannst du mit der Stadt nicht machen! Da mußt schon eher du gehen. Oder bezahlen. Und einkaufen gehen, das sowieso, das ist erlaubt. Dafür würdest du mit den Fingerspitzen die steinharte Winter-Erde aufkratzen, um dieses Teil zu kriegen. Doch leider, diesen Mantel haben wir in Ihrer Größe überhaupt nicht, aber in einer anderen, Sie können aber auch einen ganz anderen Mantel in Ihrer Größe bekommen oder ein andrer Mensch sein, ganz wie Sie wollen, der andre Mantel steht Ihnen aber gewiß genausogut, ist nur etwas teurer! Allerdings vermisse ich Größe an Ihnen, was wollen Sie also mit dem Mantel überhaupt anfangen? Was würden Sie mit Größe anfangen wollen, Stadt, Straße, Schreiberin, was schwebt Ihnen so vor? Wären Sie groß, wären Sie eine andere. Wären Sie klein, würde keiner mehr kommen, um von Ihnen zu hören. Und wären Sie noch kleiner, gäbe es Sie gar nicht. Ich spreche nicht von dir, ich spreche von der Stadt. Und wir wollen nur Sie, sagt die Straße, wir wollen nur diese eine Stadt, zu der muß man Sie sagen!, zu dieser Stadt, die wir überschauen können, weil wir uns in ihr breitgemacht haben, deshalb haben wir uns ja genau hier eingetragen und dann gebaut, nein, umgekehrt, überall wird und wurde gebaut, hier, in dieser und als diese Straße, wer hat dich, du liebe Straße, aufgebaut, so hoch da droben?, nein, übersehen kann man sie nicht, auch wenn sie gar nicht so hoch oben ist, dort tragen die Leute nur ihre Köpfe: oben. Hoch! Und du auch, du zwängst dich ja überall hinein, wie soll man dich da überschauen, ich meine übersehen können? Klar, daß du irgendwann klar Schiff für eine Durchsuchung deiner intimsten, nein, nicht Teile, oder doch?, Teile, teile und herrsche über die Teile, bis du klar Schiff machen mußt. Das sollte dir doch schmeicheln?! Diese Kleinheit im Großen, ich meine: diese Größe in der Kleinheit, da ähnelst du dieser Straße doch beinahe, oder? Und da beklagst du dich ununterbrochen! Wer bist du, daß du glaubst, dich beklagen zu können? Du sagst immer, du willst ganz offen berichten, aber das Offene, das hast du doch noch nie gesehen! Du gehst ja nie raus, außer zu den Enten und Gänsen im Park oder eben in dieser Straße. Als gäbe es keine andren Straße hier! So klein ist die Stadt nun auch wieder nicht. Aber nein. Sonst gehst du nirgendwohin. Ich verstehe auch nicht ganz, wieso du dafür zahlen sollst, aber bitte, die Stadt will es so und aus. Sie will den offenen Einblick auf alles, die Stadt, sie hat das Recht, und sie hat recht. Schau, deshalb sind sie ja gekommen, daß sie das Offene an dir sehen können. Einer muß es ja sehen, wenn es schon geöffnet hat, sogar rund um die Uhr, nicht bloß zu den sogenannten Öffnungszeiten. Und das sind sie, offen alle gegen eine, alle für eine, und zwar für die Stadt. Da kennen sie nichts. Da kennen sie nichts anderes. Sie haben nur ihre Pflicht erfüllt, und wer seine Pflicht erfüllt, dem darf man nicht zürnen, das sagte schon Zeus, dem das Wort Pflicht unbekannt war, als er den Schwan bestieg. Der hat nur seinem Vergnügen gelebt, das ist erwiesen. Wie diese Stadt. Je Schlimmeres sie von dir berichten können, umso härter werden sie dich bestrafen wollen, darauf sind sie aus. Deswegen haben sie alles mitgenommen, damit sie das Schlimme herausfinden können, das Trojanische Pferd unter deinen Unterhosen. Du magst in Schlichen unterwiesen worden sein, aber wegschleichen, mit all deinen Sachen, mit deinem Besitz, mit deinem geheimsten Besitz auf einer Platte, das werden nur sie, das werden andere, das werden sie, die anderen, das werden sie, unter anderem. Die anderen aus Tirol, nein, nicht der Anton, die anderen. Und nicht aus Tirol. Die sind alle von hier. Fast alle. Wie Kälberherden steigen sie aus deinem Weideland ans Ufer und nehmen alles mit. Ein Wunder, daß sie, so beladen, überhaupt noch gehen können!



Doppelgeschöpf, weibl.: Nehmen wir an, du hättest recht: Ich muß also zu denen hin, die die Wahrheit nicht sagen können, obwohl jeder sie kennt, ein entsetztes Wissen ist das, das man nirgends einsetzen kann, ein Wissen, das einem nichts nützt und auch anderen nicht, ich muß also zu denen hin, die inzwischen viele gewesen sein werden, aber nicht mehr sie selbst. Die nur noch heißen, wie sie einmal geheißen haben, als sie noch sie selbst waren. Ich bin ja seither auch nicht mehr dieselbe, seit die Stadt alles durchwühlt, fotografiert, festgehalten, mitgenommen, ich meine, das Festgehaltene mitgenommen und das Mitgenommene festgehalten hat, alles außer mir, weil ich nicht da war, sonst hätten sie das auch mit mir gemacht. Ich bin außer mir gewesen, obwohl ich überhaupt nicht anwesend war. Ich bin seither nicht mehr dieselbe, allerdings hast du damit recht: Die Stadt ist daran unschuldig und an mir persönlich, an mir als Person meine ich, nicht interessiert. Schon mehr ist sie, die sich den Befehl erteilt hat, grundsätzlich Schönes zu fördern, auch wenn es dann nicht auf ihrem Grund stattfinden darf, wahrscheinlich interessiert an Jil Sander dort vorn an der Ecke, ja, genau dort, wo sie jetzt einen neuen Kreativchef suchen, ich komm dafür nicht in Frage, ich bin zwar kreativ, aber ein Chef bin ich nicht, und ein Beiwagen bin ich auch nicht, auch nicht ein Beiboot, das heute jeder zeitgenössische Designer ist, denn diese von Grund auf, nein, sogar von Natur her künstlerischen und sensiblen Wesen werden wie Waren behandelt, gekauft und abgestoßen, wie es den Konzernen gefällt, und gleich, sofort, und zwar hier, in dieser Zeitschrift, in der ich das gelesen und selbstverständlich sofort abgeschrieben habe, denn ich schreibe niemals etwas neu, was andre zuvor nicht schon im Mund gehabt und durchgekaut haben, warum es noch einmal schreiben, wenn ich es nicht besser kann, wenn ich überhaupt nichts besser kann als andere: warum mir die Arbeit machen?, und hier werden, von mir persönlich abgeschrieben, wenn auch nicht bereits abgeschriebene (also mich lassen sie nichts abschreiben, und ich meine nicht in meinem hochsensiblen künstlerischen Werk, das jetzt gleich zu schreien anfangen wird, weil es verletzt worden ist. Ich rede nicht von Abschreiben, sondern von Abschreibungen! Besser lesen lernen, noch besser hören und sehen lernen, bis es einem endgültig vergeht!), hier, genau hier, so bleiben Sie doch einen Moment!, hier werden hochsensible Personalien bekanntgegeben: An alle: Raf Simons für Dior, jetzt ist es heraus, Sie wissen es inzwischen doch längst, geben Sies zu, denn alles, was abgeschrieben ist, ist bereits veraltet, wenn man den Finger an die Wunde legt, wenn man Hand anlegt, was weniger weh tut, wie das wohl sein muß: sensibel? Jil Sander kehrt dorthin zurück, wo ihr Name draufsteht, da muß man nichts ändern, bitte, sie wird vielleicht was ändern wollen, aber nötig wäre es nicht, sie könnte, wie ich, alles übernehmen, was sie vorfindet, und das wäre dann genau das, was sie selber sagen möchte, so wie ich nur ausdrücken möchte, was andre schon ausgedrückt haben, womöglich über mir, bis es an mir runterrinnt, das ganze Schmutzwasser, ja, dort vorn, dort finden Sie es, gleich beim Theater, einen Steinwurf weiter, der nur noch wartet, daß einer den ersten Stein wirft, der mag ohne Schuld oder schuldbeladen sein, egal, wenn er es sich leisten kann, dann darf er dort in diesen Laden rein; zuerst den Stein werfen, aber bitte nicht ins Fenster!, dann reingehen, über die Schwelle treten, ja, auch jetzt, das wäre schön, wenn Sie grade jetzt reinkönnten, vielleicht kann es ja ermöglicht werden, dann verlassen Sie sofort dieses Theater und tun etwas Sinnvolleres, ja, Sie! Was sagst du Sie zu dir selbst?, ach so, du meinst dich gar nicht!, sage ich zu mir, oder hast du etwa vor dir selber Angst?, also wenn du reinkönntest, wenn du dich reintrauen würdest, das wäre schön, und wäre es nur zu einer kleinen Führung, und auch Sie müssen nichts kaufen, Sie können auch unversehrt wieder raus, sagt man hier, aber nicht zu jedem, es kommt ja auch nicht jeder rein, und man fragt sich unwillkürlich: Sind die großen Visionäre des Laufstegs nur noch Marionetten? Was macht das schon aus, man wird sie anstandslos wieder rauslassen, während die, die ohne Anstand sind, bei mir aus- und eingehen und sich Dinge holen, die ihnen nicht gehören, die sie aber trotzdem sehen dürfen, als wäre ich ein Laden, aber zu kaufen gibts bei mir nichts, mitzunehmen aber trotzdem eine Menge, man kann eine Menge mitnehmen, wenn man sich auf mich einläßt, aber das wollen die nicht, die wollen alles nur einfach so mitnehmen. Was von meiner Gegenwart ausgeht, ist ihnen wurst, also in diesem Laden dürften Sie nicht so hausen wie bei mir zu Hausen! Dieser schöne Laden, den hab ich so gern, immer will ich vorbeigehn und schauen, immer drücke ich mir die Nase an der Scheibe platt, bilde mir sogar ein, neulich hätte mir jemand aus dem Laden zugewinkt, aber das war sicher eine Vision, eine Erscheinung, nein, der ist wirklich echt toll gewesen, der Laden, der Jil Sander heißt, es aber die ganze Zeit noch nicht war, aber bald, warte nur, balde wird er es wieder sein, ich muß da unbedingt hin, bevor er ein andrer geworden sein wird, nämlich der, der heißt, wie er ist, der nach der heißt, die er auch ist, nein, falsch, noch ist es nicht soweit: Die Frau, nach der der Laden heißt und die es früher auch war, was drauf stand, war auch drin, die Frau ist auch nicht mehr sie selber, wie viele Menschen, denen ihre Stadt zu klein geworden ist, schon lang nicht mehr, aufmerken jetzt: noch nicht!, aber bald wieder!, die Frau, sie wird es bald wieder sein, sie muß nur wieder in ihren Namen hinein, ihren Körper hat sie schon, den hat sie die ganze Zeit gehabt, sonst könnte sie ja jetzt nicht zurück in sich hinein, zurück zu sich, hoffentlich paßt ihr der Körper noch!, aber wer jetzt noch heißt wie sie, bald aber nicht mehr sie sein wird, Raf Simons heißt er, ja, wie du!, genau wie du!, ich beneide dich, so heißen zu dürfen wie dieser geniale Mann, Landsmann Simons (während es hier nur Landmänner gibt, Entschuldigung), der hat als Jil Sander, unter diesem Namen, auf diesem Label, sagt man auf?, zur festgesetzten Zeit, die jetzt überschritten ist, schöne Sachen gemacht. Bei Dior wird er, obwohl er immer noch so heißen wird, wie er heißt, andre Dinge machen als damals, als er Jil Sander war, die er jedoch auch nicht war, unter deren Namen er er war, ach, ich kann das nicht sagen, was kann ich überhaupt? Jedenfalls hat er sich jetzt wegfangen lassen, der bald Dior heißen wird, vielleicht werden seine Sachen dann weniger heißen, ich hoffe nicht. Die Sachen sind derzeit noch wunderschön, ich weiß gar nicht, ob das noch zutrifft, während Sie dies jetzt sehen, glaube aber schon, diese Winterkollektion hat er noch für Jil gemacht. Dieses Stück ist, wie die Mode, zum raschesten, alsbaldigsten Verbrauch bestimmt, es ist nur hier und in diesem Augenblick gültig, und dann wird es entwertet, egal, wie es aussieht, jedenfalls nicht wie ein Fahrschein, der durch Entwertung erst gültig wird. Wie könnte ich die Gunst dieses Herrn erwerben? Ich könnte mir das Schöne geneigt machen, bis es umfällt, weil die Neigung auf der andren Seite nicht erwidert wird. Wenn Sie miterleben wollen, wie die Kunst, die ja auf Ewigkeit ausgelegt sein sollte und länger halten als jeder Teppich, wie die Kunst verfällt, raschest verfällt, sofort unter Ihren Fingern und Blicken verschwindet, noch während Sie sie sehen oder zu sehen glauben, denn sie ist so schnell vorbei, daß das, was Sie sehen, schon keine Kunst mehr ist, nein, das ist keine Kunst, jeder kann es, während das, was Raf Simons kann, nicht jeder kann; wenn Sie das erleben wollen, und Sie wollen es, Sie sind ja gekommen, und in dieser Stadt will jeder etwas erleben, doch nur wenige sind dafür auserwählt, dann schauen Sie, dann schauen Sie jetzt, schauen Sie genau hin, wenn Sie erleben wollen, wie die Kunst eingeht, ja, vorhin schon eingegangen ist, dann schauen Sie jetzt, schauen Sie her! Hier können Sie es sehen, daß die Mode noch länger lebt und immer wieder kommt, selbst wenn sie tot ist; mit dem Tigersprung in die Vergangenheit, aus der sie sich blutende tropfende Beute geholt hat, kommt sie wieder zurück in die Gegenwart, wenn auch nur kurz, hallo!, denn bald wird sie sich eine andre Vergangenheit holen gehen, es geht ja nach hinten genausoweit wie nach vorn, na ja, für mich nicht, ich habe hinten mehr als vorn, ich meine, ich habe mehr hinter mir, als ich noch vor mir habe, wer weiß, ob das stimmt, niemand weiß, ob das stimmt, was ich sage, ob es stimmt in dem Augenblick, da ich das schreibe, die sechziger Jahre aus Mad Men, die natürlich keine solchen Sechziger waren, ich habe sie schließlich persönlich erlebt!, sondern ein Konstrukt sind, Sie wissen ja gar nicht, was Sie an der Vergangenheit haben, indem Sie eben keine haben! Weil Sie jünger sind. Die Zeit stimmt ihre Instrumente, und plötzlich stimmt sie nicht mehr. Sie hört einfach auf, und Sie sitzen da mit den soeben gekauften Schuhen, und die gefallen Ihnen nun, da Sie sie besitzen, schon nicht mehr. Sie haben vielleicht jetzt schon überhaupt keine Zeit, egal, was die Schuhe Ihnen zu sagen haben! Was gehen Sie dann ins Theater? Tun sie doch das, was nötiger ist, kommen Sie woanders zusammen wie Hirten, die etwas Verirrtes suchen! Hier werden Sie es nicht finden. Schauen Sie nicht mich an, in meiner Wohnung verirre ich mich nie. Und woanders bin ich nicht. Hier, wo ich nicht bin, werden Sie nichts finden, und an mir werden Sie schon gar nichts finden, Ihre Vergangenheit schon gar nicht, die ist bei Ihnen zu Hause oder wo Sie sie halt hingetan haben. Die Stadt hat eine, bitte, von mir aus, Sie aber nicht, und meine Gegenwart ist, daß die Stadt bei mir eingedrungen und mich mir selbst gestohlen hat. Und alles andere gleich mit. Unerhört! Und klar, es hört auch keiner. Ich bin seither nicht mehr ich selbst, wie ich schon mehrmals sagte, danke, Stadt, ich wollte seit Jahrzehnten schon nicht mehr ich selbst sein, und du, liebe Stadt, hast mir dazu verholfen, daß ich noch weniger ich selbst bin als selbst ich! Vielen Dank. Du, liebe Stadt, liebe Straße, liebe Zeit, lieber Freistaat!, du hast, nein, ihr habt mir dazu verholfen, schöner zu sein, als für mich vorgesehen ist, weil die Zeit durch diesen Einbruch vielleicht irrtümlich rückwärtsläuft, könnte doch sein!, doch du, liebe Stadt, hättest mir danach in jedem Fall alles wieder genommen, was du gegeben hättest, und du hast alles gegeben, das tust du doch immer, zumindest behauptest du das, doch man muß dafür zahlen, wie für alles! Ich habe mir in dieser Straße schon schöne Sachen gekauft, der Preis dafür steht dir zu, doch auch den bekommst du nicht, der gehört dem Geschäft; du bekommst nur das, was du dir wegfangen kannst, wenn du im dichtbelaubten Gebüsch lauerst und Menschen beraubst, deren Habe ohnedies schon längst andere haben. An die, die was haben, kommst du ja nicht heran! Bist du deshalb zu mir gekommen, Stadt-Staat, ja, du dort, wo die Straße endet, du Landtag, du? Soll ich mir etwa doppelte Habe zulegen, damit du deine Hälfte bekommen kannst? Wenn du mir sagst, wie man zwei Hälften hergeben und dennoch etwas behalten kann, dann sag es mir! Du bist zum Angriff auf mich übergegangen, liebe Stadt, nicht von mir aus, nein, von dir aus! Ich habe die rechte Gerade nicht kommen sehen, ich habe auch nicht gesehen, wie Sie gerade das Haus betreten und meine Wohnung geentert haben. Ich war nicht da. Das werde ich dir nie verzeihen, auch wenn es einmal Vergangenheit sein wird. Es wird nicht vergessen werden, jedenfalls nicht von mir. Dich, Stadt, läßt man deine Vergangenheit ja auch nicht vergessen, deine Plätze, deine Gebäude schreien sie heraus, besonders diejenigen unter ihnen, die schon groß sind, weil sie damals halt so groß gebaut worden sind, sonst schreit keiner, und ich mache da fleißig mit beim Schreien, das darfst du nie vergessen, was war, ich schreie es heraus, da siehst du einmal, wie es ist, wenn man sich nicht wehren kann!, ich mache da mit, ich mache damit, was ich will! Ich wandle deine Vergangenheit in meine Gegenwart um, indem ich meine eigenen Meinungen gegen dich ins Treffen führe, Stadt, die Treffer in den Fassaden sind längst entfernt, doch jetzt komme ich und treffe dich ganz neu. Treffen auch Sie diese Stadt, ganz neu, eigens für Sie ganz neu! Und was da gebaut wird! Und für wen erst! Wenn Sie es wissen wollen, dann fragen Sie nach dem Nichts, und es wird Ihnen gezeigt werden, diese Frage entspringt aus der nach der Wahrheit, und am Ende ist nichts mehr wahr. Ich habe verschiedene Theorien über dich, die sich zusammenfassen lassen und zusammenfallen in: Was ist, ist auch nicht schön. Was wird, gefällt mir genausowenig. Was nicht ist – das weiß ich nicht. Frag jemand anderen, Stadt, was mit dem ist, was nicht mehr ist und nicht mehr wahr ist! Viele Worte sind darüber fallengelassen worden, aber ich kann mir nicht mehr leisten, irgendetwas fallenzulassen. Ich muß vielmehr alles aufheben. Was du mir antust, das ist, als wäre deine Geschichte völlig abwesend, als du über Menschen hergefallen bist, nein, Entschuldigung, damit will und darf ich mich nicht vergleichen. Ich bin unvergleichlich, nein, ich meine, alles außer mir ist unvergleichlich.



Doppelgeschöpf, männl.: Nein, du darfst dich wirklich nicht vergleichen, jedenfalls nicht mit den Opfern dieser Stadt, du willst es aber ständig, und du machst es auch! Das ist unverschämt von dir! Du zwängst dich selbst in die Vergangenheit hinein, als könntest du die Geschichte so ausdehnen, daß auch du in ihr Platz findest. Du drängst dich dieser Stadt auf, in die ein andrer deine Schritte gelenkt hat, die du wieder und immer wieder aufs neue in diese Straße lenkst. Etwas zieht dich dorthin. Du denkst, die Stadt lenkt, und dabei glaubst du, du würdest am Steuer sitzen. Es ist aber die Stadt, die sich dir darbietet. Alles zu deiner Verfügung, auch der Eislaufplatz, das Schwimmbad, die Sauna auf der Prinze. Du willst nicht eislaufen, nicht schwimmen, nicht saunieren? Selber schuld! Die Stadt hat dir das angeboten, aber du willst ja nicht, was sie dir gibt. Kein Wunder, daß sie irgendwann über dich herfällt und selbst etwas will. Dein Handeln ist wie ein offenes Fenster, doch das Zimmer dahinter ist leer, du bist da, doch sie sieht dich nicht, die Stadt. Da stimmt doch etwas nicht! Da würde ich auch nachfragen, nachschauen, Einblick nehmen, auch wenn er mir nicht gewährt würde. Dir geht es, wie es jedem gehen kann. Sei nicht so wehleidig! Bedenke, was du hier schon alles gekauft hast, und wieso sieht man dich nie darin?! Hast du es etwa unterschlagen? Heimlich ins Ausland gebracht? Niemand hat dich im Anfertigen von Sätzen ausgebildet, und sie sehen ja auch danach aus. Doch die Kleider, die sind was andres als deine Zusammenschusterei, mit der du dich, wie eine Schlange, in die Opferrolle, in die leere knisternde Haut hineinschlängelst. Du denkst wohl, das merkt keiner, und dann stehst du plötzlich in deiner Opferhaftigkeit da, verschlossen mit Kleiderzeugs, das du der Stadt entkauft hast. Kein Wunder, daß die Stadt denkt, da stimmt was nicht. Du denkst, daß über das Steilufer, das Hochufer der Isar oder was weiß ich, von dieser, wie heißt sie, Bayernwarte herab ein Erlöser kommen wird, der den Erlös dieser Straße zu zählen haben wird; muß fragen, wie das Gebäu heißt, das die Straße auf einer Art Berg abschließt, denn einmal ja muß Schluß sein, einmal muß diese Straße, die sich niemandem verschließt, doch irgendwie abgeschlossen sein, einmal muß die Straße ein Ende haben, ja, du auch, von mir aus, hab auch du ein Ende, dieses Ende jedenfalls, das Ende der Straße, ist prachtvoll, obwohl es dennoch ein Ende ist, dort droben, schau nur, der Landtag, ein Tag auf diesem Land, und du kommst nie mehr zurück, wo doch sogar dein Onkel Adalbert aus dem berühmten Lager, das liegt nicht weit, das liegt nah, dies harte Lager, wo dein Onkel von dort doch wieder zurückgekommen ist, dann wirst wohl auch du das noch schaffen, es übt ja keiner einen Zwang auf dich aus! Nicht so wie auf den armen Adalbert, dem sie dort den Arm abgeschnitten haben, bevor sie ihn wieder rausgelassen haben, keine Ahnung, warum. Den Arm geben sie dir nie mehr zurück! Glaubst du, die heben sowas jahrzehntelang auf? Nein, das glaub ich nicht. Trotzdem, die Stadt schuldet uns noch einen Arm! Den haben sie doch sicher weggeschmissen, wahrscheinlich damit er nicht mehr gegen sie Zeugnis ablegen kann. Wenn sie ihn noch haben, den Arm, dann hoffentlich gut in Spiritus eingemacht! Die Aufgeweckten werden hier nicht eingeweckt, nein, nein, die nicht! Geh weiter, na los, weiter! Nein, kaufen kannst du dort, wo du jetzt bist, nichts mehr, dort findest du nur Menschen, die wahrscheinlich dich finden wollen, auf halbem Weg kommt ihr euch entgegen und trefft euch, ist das nicht fein, das Suchen geht ja, aber das Treffen, das muß geübt werden! Ja, dort oben sind sie, brauchst nicht eigens hinaufzugehen, dort gibt es ohnedies nichts zu kaufen, und wenn du Martin Margiela siehst, der ist dort vorn, ja, dort, auf dem Platz, der hat sich mit seiner Adresse aber noch in diese prunkvolle Straße hineingeschwindelt, obwohl das gar nicht mehr dazugehört, glaub ich zumindest, da braucht dann kein Mensch weiter zu gehen, da fährt er besser, er muß schließlich auch all seine Erfahrungen irgendwie zusammenkriegen. Du hast bereits gezahlt, wenn auch nicht hier, obwohl sie alles haben wollen, am liebsten auch das, was du eh schon hiergelassen hast; du hast die Fetzen bezahlt, die dem Schoß der Zeit entkommen sind, wenn auch nur kurz, du hast für etwas gezahlt, das eine Halbwertszeit hat, die noch unter ihrem Wert liegt, kaum gekauft, schon verfallen diese Fetzen, die dem Tigergriff entronnen sind, genau demselben, der sie geholt hat! Du hast das alles bezahlt, obwohl es schon entwertet war, als du es in die Hand nahmst. Die Zeit wirkt ausgezeichnet auf diese Dinge ein, und doch: Gezahlt werden muß! Ihr seid wohl gemeinsam geboren worden, du und deine Kleider, nein, ganz im Gegenteil, jeden Augenblick können Kleider geboren werden, du wurdest es aber nur einmal, man könnte meinen, diese Kleiderlöwen verlangten eine Art Antwort von dir, so unzertrennlich seid ihr, obwohl man die Kleider jederzeit wieder auftrennen könnte, nein, dich nicht! Du läßt dich nicht von ihnen trennen. Keine qualvollen Wehen, kein Gott, keiner mußte unter Blitzschlägen sein Leben lassen, nicht vor der Zeit, nicht nach der Zeit, genau auf dem Punkt der Zeit sind diese Teile, und dieser Punkt wird ja nur einmal erreicht und ist längst vorbei, vorbei der Punkt, da diese Dinge neu waren und etwas wert, was sie sich auch heute kurz einbilden können, da sie fotografiert wurden, hervorgeholt aus dem Dunkel des Schranks, Blitz!, Donner!, jetzt bilden sie sich ein, du trägst sie wieder einmal, das würde sie so freuen!, doch du willst schon wieder was Neues, das noch nicht alt aussieht, wobei auch deine alten Sachen wie neu aussehen, du ziehst sie ja kaum jemals an. Kein Wunder, daß das Neue sich an seine Neuigkeiten, ich meine an seine Neuheit klammert, grade noch, mit den Fingernägeln, die armen kleinen Teile, wie sie sich festkrallen, wie sie dein Interesse zu erwecken suchen, oje, da hängen sie, oft vergeblich; vorbei der Zeitpunkt, als die Teile, die du dir hier gekauft hast, aktuell waren, als die Zeit noch wirklich eine Zeit war, als die Zeit dieser eine Punkt war und alles danach tot gewesen wäre, vorbei die Zeit, als du dir das alles gekauft hast, in der Hoffnung, die Teile ergäben irgendwann ein Ganzes, an das du dich halten könntest, diese Teile halten ewig, aber das müssen sie nicht, sie sind zu kurz aktuell, um an Ewigkeit auch nur denken zu können. Und das wärst dann du, dieser Punkt in der Zeit, vielleicht kämst du ein einziges Mal auf den Punkt, nein, hier nicht, aber es gibt ihn, diesen Punkt!, einen Kulminationspunkt, und nach dem wäre vorher nachher und nachher vorher, die Zeit wäre aufgehoben, ausgerechnet in dir, dabei sieht man dir das Verstreichen der Zeit mit jedem Tag mehr an, egal, der Punkt ist verstrichen und ist jetzt ein verwischter Strich, wie dein Lidstrich: schön gemacht, nicht schön, das geht nicht, aber schön gemacht, das geht, und natürlich sollen es wieder einmal andre machen, was auch immer! Das ist typisch für dich! Die Bewegungen des Daseins, gegen die du eh nichts unternehmen kannst, für deine eigenen auszugeben, das hast du immer versucht, es sind aber keine Bewegungen mehr, denn sie sind vergangen und bewegungslos wie eingegipst. Da hast du deinen Tigersprung, er geht nur in die andre Richtung, und so war er auch gemeint. Nach hinten! Nicht nach vorn! Nein, versuch es nicht, du kannst es nicht, du kannst nicht in der Zeit rückwärtsgehen, das kann nur die Mode. Aber er geht für dich immer nach vorn los, der leuchtende Punkt, den jemand eigens für dich an die Wand der Zeit wirft, ein Punkt ohne Schatten, gleißend hell, wie er da auf der Wand herumhüpft, er will uns ja was erklären, er will uns damit was sagen, du rennst, du springst auch hoch, als wärst du noch jung, aber du kommst ihm nicht nach, deinem eigenen Sprung kommst du nicht nach, der dem Lichtpunkt nicht folgen kann, er ist immer vor dich hingeworfen, du willst hinein, aber da springt er wieder nach hinten, und du kommst nie rein. Folge dem Lichtpunkt! Das geht nicht, der bewegt sich zu schnell, keiner könnte das! Die Mode ist das, was sich dir immer entzieht, sobald du danach greifst, denn du weißt nie, was angesagt ist, keiner sagt dir was. Und so, wie du immer abschreiben mußt, willst du auch, daß dir einer vorsagt, was die Zeit geschlagen hat. Vielleicht in der Hoffnung, du könntest ihr und ihren Schlägen rechtzeitig ausweichen. Doch da klingelt es schon an der Tür, hast wohl gedacht, die erwischen dafür dich nicht? Sie werfen dich zu Boden, obwohl du dich ganz woanders aufhältst. Dabei hast du dich so schön gemacht, wenn auch woanders, für andere, na ja, so schön wie möglich, das ist nicht mehr sehr schön in deinem Alter. Die Zeitschrift, ja, auch die Zeitschriften, die du immer kaufst, die nützen dir jetzt gar nichts, denn sie sind für andere, schönere, gedacht, und du fühlst dich in ihnen nie mehr zu Hause, du findest in ihnen niemand mehr, der dir gleicht oder früher geglichen haben könnte, du findest niemand, dem du dich anverwandeln möchtest, was du früher noch konntest, zumindest in deiner Einbildung. Du findest dich hier nicht mehr wieder und auch sonst nirgends. Es gibt dich nicht. Warum noch Kleider kaufen, um sie womöglich sogar nachts, wo man eh nichts sehen würde, probeweise über dein Nichts zu hängen? Daß man eine Bewegung nach vorn, die gleichzeitig nach hinten losgeht, wie von der Mode behauptet wird, daß man die nicht mehr feststellen kann, weil Stillstand herrscht, heißt nicht, daß die Bewegung weg ist, verschwunden, geschluckt von deinem Kleiderschrank, das heißt nur, daß Ruhe herrscht. Und das hältst du am allerwenigsten aus! Und sie wird dir auch nicht gewährt. Es klingelt an der Tür, sie kommen. Bitte Ruhe! Doch das ist nichts, worum man bitten kann: Ruhe. Die ist herrschüchtig, deshalb herrscht sie halt, wenn sie Lust hat, oder sie herrscht nicht. Man bekommt sie, man bekommt dieses eigentlich Nichtige, dieses Nicht-Sein, dieses Nichthafte, die keineswegs das schiere Nichts sind, sondern das meiste, aber man bekommt sie nicht, die Ruhe, auch nicht, wenn man darum bittet und sich vorstellt, wie das wäre, das Nichts, um das man ja auch nicht bitten kann.



Doppelgeschöpf, weibl.: Ruhe, von mir aus, nichts dagegen. Ich behalte das alles für mich, diese Kleider behalte ich für mich, meinen Schritt hülle ich in die Yamamoto-Hosen aus der Klamotte (na, dort müßte ich aber langsam Prozente kriegen, meinen Sie nicht?), im Hof dort drüben, also ein bißchen weg von der Straße und rein in den Hof müssen Sie schon, umsonst ist nur der Tod, und der kostets Leben, also begeben Sie sich ein wenig abseits, zur Hose hin, sehen Sie sie? Nein? Dann müssen Sie noch zwei, drei Schritte machen, dorthin, ja dort, wo der Mann sitzt und in sein Smartphone glotzt, als könnte er dort das Muster seiner Schicksalsfäden in ein andres umbauen, die Hose, ja, die letzte habe ich nicht gekauft, weil sie unten an den Knöcheln so verschlossen wurde, also ich weiß nicht, ich schließe mich eh schon genug ab, ich schließe mich mit Stoff ab, wenn auch nicht mit diesem, und in meiner Wohnung ab und überhaupt überall ab, ich verschließe mich, aber diese Leute, die da gekommen sind, die wollten zu jemandem, zu mir, hinein, unbedingt!, zu jemand, der sie nicht haben wollte, jedenfalls nicht bei sich. Jeder wäre nicht ganz bei sich, der diese Leute haben wollte. Doch sie sind hier ganz richtig, weil es angeordnet wurde, daß sie alles dürfen. Ich bin so frei, sagt der Freistaat, und nehme mir das, das und das. Früher war ich für ihn, jetzt bin ich gegen ihn. Dieser Satz sagt nichts, er sagt auch nichts aus. Er wiederholt, wie alles, was ich sage, das, was ich immer schon gesagt habe. Viel zu oft. Wo ist das Wesen dieses Satzes, ich weiß nicht einmal mehr, welchen ich überhaupt meine. Ich kriege in diesen Satz (und in die meisten anderen auch!) kein Wesen mehr hinein. Wie soll ich mich je wieder in diese Kleider hineinkriegen, wenn ich keinen Sinn, kein Wesen, kein Leben in meine Sätze kriege, die mein Leben sind, die sind doch kein Spielzeug!, die sind mein Leben, und ich weiß nicht, wie ich Leben in mein Leben hineinkriege. Hält es sich etwa in diesem beigen Trenchcoat verborgen, mein Leben, in dem, den ich seit fünf Jahren nicht mehr angehabt habe? Nein, dort ist es auch nicht. Es wäre ein gutes Versteck gewesen, jetzt ist es das nicht mehr. Das höhlt mich aus, daß ich meine Sätze immer schwerer finde, obwohl sie immer leichter werden. Meine Sprache gehört mir nicht mehr, meine Sachen gehören mir nicht mehr. Ich habe nichts mehr. Ich bin nicht mehr. Ich werd nicht mehr! Ich durfte diesen Leuten nichts versagen. Diesen Gedanken würde ich lieber vor dem Herrscher persönlich äußern, ich meine, vor ihm als Person, ich bin ja keine Person mehr, jedenfalls keine natürliche Person oder wie man das nennt, doch der Herrscher äußert sich immer nur selber, meist in schriftlicher Form, in der ich mich immer nur entäußere, bis ich einmal weg bin, und einmal genügt schon fürs Wegsein. Da ich nie aus mir herausgehen kann, weil mir nichts mehr und jetzt noch weniger als nichts übrigbleibt, gehe ich halt wieder in diese Straße hinein. Suche etwas, das sie unmöglich angefaßt, fotografiert, erfaßt haben können, wie denn, es hängt ja noch im Laden! Dort suche ich was andres, bestimmt nicht mich, mich suche ich nirgends, mich habe ich ja, das heißt: nichts habe ich, macht ja nichts, ich bin das Uninteressanteste, das ich je gesehen habe, diese Kleider sind viel schöner, ich bin nichts dagegen. Sogar wenn ich mich, zur Abwechslung seitenverkehrt, im Spiegel betrachte, ist da nichts als die Verdopplung dessen, was verkehrt ist, verkehrt läuft, gar nicht mehr läuft. Ich bin hohl? Auch wenn ich hohl wäre, würde man ja noch was sehen. Und zwar meine Umhüllung, dafür kaufe ich sie mir ja! Aber ich sehe nichts. Ich gehe mir etwas in dieser Straße kaufen, damit man mich sieht, nein, nicht einfach sieht, damit man überhaupt etwas sieht, wenn man mich anschaut. Es muß ein Unbedingtes sein, von dir geliebt zu werden, äh, nein, von dir erkannt zu werden, nein, um Gottes willen, das auch nicht, von dir gesehen zu werden, und bitte, schau dir dieses menschengeschaffene Vorhandene an, schau dir diesen grünen weiten Comme des Garçons-Mantel an, gehalten wird er von einem einzigen Knopf, und hinten ist er abstehend wie ein Entensteiß, von einem einzigen Knopf wird soviel Herrlichkeit getragen, es ist unglaublich, mich tragen kaum noch meine Füße! Schau dir den Mantel nur in Ruhe an, denn anziehen tust du ihn ja doch nie! So. Gekauft. Bin lang genug um ihn herumgeschlichen, jetzt wird zugeschlagen. Das machen die Häscher bei mir immerhin nicht: zuschlagen. Du hast ihn zum halben Preis bekommen und dreimal angehabt, sage ich vernünftig zu mir, nein, nicht dreimal den Herrn verleugnet, der ihn dir wieder wegnehmen möchte, nein, das will er nicht, er will nur beweisen, daß dort, wo der Mantel ist, auch du dich befinden mußt, denn unmöglich kann ein denkender Mensch sich von diesem Mantel trennen wollen, du wärst doch gestorben, hättest du ihn nicht erworben, was auf vieles zutrifft, das dich zum Vorschein bringt, indem es dich bedeckt und somit vergessen macht, nicht dich vergessen macht, sondern vergessen macht, daß du darunter steckst! Aber du hast ihn genau dreimal angehabt, und das soll das Unbedingte deines Ichs sein? Sowenig, dein Ich? Wo ist denn der Rest? Ist das Sein sowieso schon endlich, ist es doch auch klar, daß dieser Mantel einen Stempel seiner Endlichkeit trägt, kaum gekauft, schon abgestempelt: gebraucht!, tja, gebraucht hast du ihn eigentlich nicht, aber du hast ihn jetzt!, wann ziehst du ihn endlich wieder einmal an?, du wärst gestorben, hättest du ihn nicht gekriegt, wegen der Endlichkeit nicht?, wegen der Endlichkeit stirbst du extra nicht? Blödsinn! Wo du ihn doch gekauft hast, weil er unendlich gültig sein würde, da warst du dir sicher, keiner Mode je wieder unterworfen, nur dir unterworfen. Typisch, daß sich dir alles immer unterwerfen soll! Daß du ihn unbedingt kaufen mußtest, und zwar hier, woanders hättest du ihn nicht bekommen, und ihn dann ins Nichts wirfst, ihn spurlos versenkst? Damit hast du die Häscher, die Fänger nicht im Roggen, die Fänger im Grust, im Lurch deiner Wohnung, gar nicht wahr, hier ist das, was nicht sauber ist, sauber gemacht worden!, damit also hast du sie mißtrauisch gemacht, die nicht glauben konnten, daß ein gesellschaftsbewußter Mensch wie du so viel zum Anziehen braucht, da ihm das Gesellschaftliche immer wichtiger sein würde als Äußerlichkeiten, ja, schon, aber, darf ich mich vorstellen? Nur so, in diesem Mantel, kann ich mich vorstellen und mich mir vorstellen, den brauch ich, man sieht sonst meine Rippen einzeln durch die Luft fliegen, wenn sie nicht durch irgendwas zusammengehalten werden. Gehen wir lieber weiter, nein, nein, Sie dürfen jetzt nicht weg! Dort: Dieser wunderbare Laden, Raf Simons hat das geschaffen, alles, was man drin findet. Ja, alles! Schon ist er wieder weg, schon ist bestimmt, daß er weg muß und zu Dior gehen. Alles fließt, ich denke mir, auch sein Leben tritt mit dieser Entscheidung aus den Ufern, das Umhüllende wird zerfetzt, ein Anderes tritt an seine Stelle. An die Stelle der Umhüllung. Von außen sehen die Musliminnen, deren Umhüllung noch nicht fällt, nicht sehr einladend aus, das ist wahr, aber lassen wir sie, wie sie sind! Sie wollen einen gar nicht einladen! Sie können immerhin das Haus verlassen, wenn auch in ihrem eigenen Haus, unter ihrer Umhüllung. Ich kann das nicht. Dafür, nein, nicht dafür, keine Ahnung, habe ich das geschaffen, das Meine geschaffen, das, wie Sie hier sehen und hören können, nicht sehr interessant ist, aber doch meins, es bleibt meins, ein Mein unter einer Hülle, nicht verhüllt, das ist wichtig, man sieht zwar beides nicht, mich nicht, die Muselmanin auch nicht, die sich verhüllt, jedoch ein hervorragendes Darunter besitzt, da bin ich mir sicher, diese Frauen haben Kohle, aber nicht zum Heizen, Anheizen dürfen sie nur ihre Männer, wenn sie hierher kommen, die können was ausgeben, ich sehe es an dem, was sie sehen lassen, vor allem Taschen und Schuhe, während ich eher zerbröckle und mich ständig verausgabe, für nichts. Doch die Frage ist dringend, woher die Hülle stammt, die mich zusammenhält, ich sagte es schon, wenn auch durch die Blume, ich mag Blumen nicht, aber Kleider schon, sie machen mich sichtbar unsichtbar, oder unsichtbar sichtbar?, keine Ahnung!, und dann sind diese Männer, die Fremden mit Befugnissen, nein, keine Ausländer, die hätten diese Befugnisse ja nicht!, bei mir eingebrochen, nicht in meine letzte Fuge und nicht eigentlich eingebrochen, sie durften ja, aber doch in meine innerste Hülle, die kein Kleid ist, hineingebrochen, hineingeströmt, zu Zehnt oder so, Hundings Scharen, das Heer der Rächer von einem Wesenlosen, nämlich dem Staatswesen, das sie geschickt hatte und das sie vertraten wie ich mir meine Füße, in meine Behausung getrieben, vom Staat, dem ich aber doch gar nichts schulde, denn ich gehöre gar nicht hierher, ich bin hier nicht zuständig, sie sagen aber: doch doch, Sie gehören zu uns! Die wollen mich wirklich – interessant! Viele wollen mich ja nicht, diese aber schon. Sie sind eine von uns, sagen sie und waschen mein Blut von ihren Händen, so intim sind wir miteinander geworden!, sie wären fast ausgerutscht auf meinem Blut, wie seltsam, daß jemand darauf besteht, daß ich zu ihm gehöre, das ist mir noch nie passiert, die meisten wollen mich eher weghaben, durch das Nadelör schießen, welches ihr Ösenland abschließt. Dann gehen Sie doch, wenn es Ihnen bei uns nicht gefällt! So sagen sie in meiner Heimat, wie oft habe ich es gehört! Wenn Sie lieber woanders sind, dann bitte, wir halten Sie nicht! Gehen Sie nur, ja, jetzt dürfen Sie gehen! Im Gegenteil, wir wären froh, wenn Sie endlich gingen! Aber diese Leute, diese Überfälligen, diese Überfaller wollen mich hier, sie sagen, Sie gehören zu uns, du gehörst zu mir, wir gehören dir, wir schon, aber nicht unser Besitz, da bin ich aber baff!, und sie leiten ihr Flüßchen ab, durch ein sehr kleines Loch, da schießt es hervor, damit die Surfer kommen, die ihre Gewinne abreiten, und sie sagen: Daher sind Sie uns was schuldig, wenn Sie schon zu uns gehören! Denn wer zu uns gehört, der trägt mit uns eine Schuld, er muß nicht unbedingt Gedichte verfassen, es geht auch ohne, aber er trägt diese unsagbare Schuld, von der dennoch ständig gesprochen wird, ja, auch von Ihnen!, und trägt er sie nicht, werden wir sie ihm schon noch aufbürden, wir werden schon dafür sorgen, daß er sie übernimmt, seinen Teil unserer Schuld und seine ganzen Schulden, die er bei uns hat, warum?, weil wir es sagen!, aber bitte, diese Schuld haben schon meine toten Verwandten für mich abgetragen, im Gegenteil, mit ihnen wurde gezahlt, sie waren damals Zahlungsmittel, heute kann ich mit denen nichts mehr anfangen, nicht einmal Mitleid erheischen, wo man zahlen muß, für alles, und wieso wollen Sie dann mich auch noch abtragen?, da können Sie eher diesen Dom mit den zwei Knödeln oben drauf (der Rest ist Schweinsbraten) abtragen, als daß Sie erleben, wie ich meine Schulden, die ich nicht habe, und meine Kleider, die ich sehr wohl habe, abtrage, die habe ich doch alle nur ein paarmal an, die halten noch hunderte Jahre, nein, tausend nicht, kann ich mir nicht vorstellen, aber überprüfen läßt sichs nicht, die tausend Jahre hat nur Ihr Reich gehalten, doch jetzt ist es weg, es ist ein andres Reich gekommen, in dem die Reichen regieren, oje, das war wieder einmal billig, aber nicht recht, billig und heilsam, wie Ihre Kirche sagt, die mich auch gleich abcashen wollte, obwohl sie nicht einmal meine Religion kannten: keine Religion!, tut mir echt leid, ich habe keine! Und sogleich erhebt sich erneut die Frage, wer ich bin und wohin ich gehöre, nein, zu wem nicht, das habe ich ja schon mehrmals beantwortet. Sie behaupten: zu Ihnen, das ist nicht wahr, sage ich und habe es schon gesagt, doch dann behaupten Sie Sachen, denen ich nicht widersprechen kann: zum Seienden, zu seinem innersten Wesen, wie schön!, gern will ich zum Seienden gehören, bloß habe ich den Verdacht, daß es von Ihnen dann sofort entkernt und ausgenommen werden wird, da bin ich gewiß keine Ausnahme. Was also soll ich Ihnen als Seiende sein? Was erwarten Sie von mir? Welches Sein? Das Weggestellte, das versucht, sich anderen in den Weg zu stellen, unbeugsam, und ja, Sie erlauben mir auch, daß ich die tief eingefahrenen gewohnten Gleise des Vorstellens verlasse, leise die Gleise verlasse, das ist mir durchaus erlaubt, ich darf alles, was wir dahingestellt sein lassen wollen, alles, dafür sein, dagegen sein, alles, solange ich bezahle. Das sagen Sie mir doch dauernd, oder? Und das meinen Sie auch. Sie sagen immer die Wahrheit, Sie sagen, was Sie wollen. Ich sage das zwar auch ständig, aber ich habe es nicht und kriege es nicht. Ich will die Revolution, doch ich kriege sie nicht. Ich kriege nur immer die Rechnung von Ihnen, doch für diese Rechnung sind Sie gar nicht berechtigt! Wie meinen? Wenn Sie zahlen, lassen wir Sie als Gegenstand hergestellt, nein, dahergestellt, nein, dahingestellt sein, das erzählen Sie mir, ob ich es hören will oder nicht. Eher nicht. Wenn Sie zahlen, sagen Sie, dürfen Sie Ihre Vorstellung geben, die uns nicht interessiert, aber wir werden auf jeden Fall dafür sorgen, daß Sie zu uns gehören und daher schuldig sind wie wir und zahlen müssen wie wir. Das sagen Sie, egal, ob ich es hören will. Uninteressant, das wissen wir, höre ich von ihnen. Wenn das Ihre Stücke sind, verstehen wir nicht, wieso jemand etwas dafür zahlt! Daß wir schuldig sind, das wird uns ja andauernd gesagt, mit dieser Keule werden wir andauernd traktiert, und zwar von einem Mann, der immer recht hat, recht hat er, recht zu haben!, das erklären wir Ihnen ja die ganze Zeit, wie sollen wir schuldig sein, wenn es uns damals überhaupt nicht gegeben hat, nicht einmal unsere Eltern hat es gegeben, nur unsere Großeltern, über die wissen wir nichts, über die können wir nichts wissen, schon gut, schon gut!, aber Sie reden weiter, immer weiter, und Ihr Reden bringt niemand von sich weg (und mein Geld natürlich nicht von seinem Konto, wo es sich ausruht). Sie sagen wenig, sprechen aber, ich höre sie genau, sie sprechen, wie hier immer schon gesprochen wurde: Jetzt sind Sie dran, raus aus der Verbergung! Sie schulden uns was, daher sind Sie schuldig! Wir jedoch zahlen unsere Schulden, daher sind und bleiben wir niemand was schuldig! Sie gehören zu uns, ob Sie wollen oder nicht. Sie sind dieser Stadt was schuldig, es genügt nicht, sie einfach leerzukaufen, man muß sie auch wieder auffüllen, das ist ja klar. Wie sollten Sie sonst jemals wieder was auf dieser Straße einkaufen, die wir so schön gestaltet haben, extra für Sie und alle anderen auch, schließlich betreten Sie diesen Gehsteig, glauben Sie, das können Sie einfach so?, wie können Sie hier den Gehsteig betreten, wenn Sie der Stadt nichts geben, nichts dafür zurückgeben? Wir treten dann Sie, dann werden Sie merken, daß das nicht lustig und nicht gratis ist. Sie sind hier, und damit haben Sie Schuld übernommen, nein, nicht für Ihre Väter, all die Tanten, die, aber das ist Unzeiten her, denn diese Zeit gibt es heute nicht mehr, zum Glück nicht, die Tanten, die wir vor Urzeiten zur Unzeit vernichtet haben, ja, auch die, die sich in der Schrebergartenhütte versteckt hatte, das hat ihr nichts genützt, mein andrer Onkel Leopold hat sie noch gewarnt, sie wollte nicht hören, und daher mußte sie sehen, ich meine fühlen, ach was, sie mußte halt, was sie mußte. Wir waren damals noch lang nicht geboren. Entschuldigen, vielleicht sind Sie das jetzt auch noch nicht?, geboren?, könnte ja sein. Doch nein, Sie sind es, kein Zweifel, Sie sprechen ja, Sie sprechen. Es ist übrigens widerwärtig, wie Sie diese Toten für sich benutzen! Die können sich nicht wehren, gegen uns nicht, aber gegen Sie auch nicht. Heute sind Sie uns was schuldig, nicht gestern, da waren Sie noch gar nicht, da waren Sie noch dem Nichts überantwortet, aber heute ist Zahltag, und Sie zahlen ab sofort! Wir warten. Wir warten ja auch, daß das hier endlich zu Ende ist, und dann: Vuitton-Taschenpfändung, falls nötig. Sie sind gar nicht da? Und das da soll auch keine Tasche sein? Wie wollen Sie das beweisen? Was ziehen Sie da raus, was ist das, etwas und nichts zugleich oder eher dasselbe? Sein und Nichts dasselbe? Egal. Kommen Sie nicht zu uns! Wir kommen zu Ihnen! Sie werden es wohl noch erwarten können, daß wir kommen, auch wenn Sie uns gar nicht erwartet haben! Auch wenn Sie gar nicht da sind, gehören Sie zu uns, und Sie gehören auch zur Kirche, selbst wenn Sie gar nicht wissen, zu welcher, weil es keine ist, und dafür zahlen Sie jetzt. So, wie stehen wir jetzt da?, da stehen wir, von uns aus gesehen rechts, lassen Sie es uns einen Augenblick von unserer Seite betrachten!, aber wenn wir uns umdrehen, dann ist es links, egal, dieser Teil, der steht uns zu, er steht uns schon deshalb zu, weil wir Ihr ödes Schicksal demnächst in diesem Theater oder schon früher in diesem Theater hören und sehen mußten und immer noch müssen, wie es aussieht, und dafür allein müßten Sie schon zahlen und nicht bezahlt werden, obwohl wir Ihre Bezahlung gern nehmen, Sie sind da so eine Art Zwischenwirt, sie nehmen ein und geben es gleich weiter. Das ist, was Sie tun werden, und wir fragen nicht: Und Sie, was tun Sie, während wir uns an Ihrem langweiligen öden Schicksal zwangsbeglücken lassen müssen? Wir sind es, die das billigen, doch billiger geben wir es deswegen nicht. Ihren Lebensunterhalt bestreiten jetzt wir, so wie wir das Leben Ihrer Vorfahren teilweise bestritten haben, ich meine: in Frage gestellt und dann verworfen haben. Das gehört nicht hierher, wir sagten es jetzt zum wiederholten Mal, wiederholen Sie sich nicht dauernd, sagen Sie was anderes, sonst zahlt Ihnen keiner was dafür! Wieso wollen Sie sich überhaupt was kaufen? Und immer nur hier, auf dieser Straße, wo das Geld nicht liegt, aber hingebracht wird? Schöner werden Sie dadurch nicht, das können wir Ihnen verraten, aber sonst verraten wir nichts. Für das, was wir mitnehmen, müssen Sie zahlen. Für die Leere, die Lücken, die wir hinterlassen, in Ihr Eigentum reißen, genau. Wer sagt das? Wir sagen das! Für Ihre gesamte Festplatte, die gegen Sie verwendet werden wird, müssen Sie zahlen. Sehen Sie, denn wenn wir bei Ihnen eindringen, müssen Sie auch dafür zahlen, schon fürs Eindringen, wir sind immerhin zehn Mann, die müssen Sie erst mal zusammenkriegen, auf der Bühne geht das, aber die Stadt hat einige Mühe damit, diese Leute zusammenzukriegen, da ist es doch nur logisch, oder?, daß Sie die Kosten dafür übernehmen, ich meine nicht unbedingt die Kosten, die zahlen schon wir, aber wir wollen doch auch was dafür kriegen, sonst lohnt es sich nicht, nicht wahr? Wenn Sie bei Prada eindringen und was mitnehmen, müssen Sie ja auch zahlen. Glauben Sie, die Miuccia Prada schenkt Ihnen was, ausgerechnet die, die nicht einmal einen Ausverkauf macht, die nichts an die Outlets vor den großen Städten weitergibt, wo den kleinen Menschen die große Welt geöffnet wird, sobald sie beginnt zu verfaulen, zu stinken, zu welken, die merken das doch nie!, die sehen nur die Namen auf den Etiketten, einer Etikette, der sie selbst sich nie zu unterwerfen haben, und dann treten Sie diese Dame dort in die Kniekehlen und diese andre auf die Ferse, überholen, was Sie von der Autobahn her gewohnt sind, und erreichen noch vor diesen Damen das Adidas-Outlet, diese Turnschuhe hier unterscheiden sich durch nichts von den aktuellen, aber sie sind verfallen, an die Zeit verkauft, und dann kaufen die das immer noch, das Verfallene, Unaktuelle, Verfaulte, Hauptsache billiger. Große Namen billiger? Das ist doch schön, daß die alle dann wie Götter durch ihre Stadt rasen dürfen, diese Menschen tragen ja keine Stempel mit dem Datum, die müssen ihre Handys tragen, und die sind wetterwendisch, sie zeigen immer ein andres Wetter und eine andre Zeit, trotzdem, in diesen neuen Klamotten können wir in die Stadt, können wir uns dort zeigen, wo wir uns aber auf jeden Fall zeigen würden, es gibt dazu Bier und Wein, es gibt Essen, es gibt Tanz und Spaß, es gibt Party, und die Leute sind endlich, endlich gut angezogen mit Sachen, die schon halb vergangen sind, verschwunden, von gestern, von vorgestern, aber sie gehen noch gut für heute durch, wenn man sich nicht auskennt. Das da kenne ich doch, dieses Modell ist Vergangenheit, dafür ist unsere Vergangenheit ein Modell dafür, wie man sie bewältigen kann. In diesem Sportjackett wird Ihnen das sicher auch gelingen, sein Schnitt ist von vorgestern, doch wir machen immer noch unseren Schnitt damit. Sonst hätte das alles ja keinen Sinn und keinen Zweck. Das ist der Zweck, ich weiß bloß nicht, wovon. Die Vergangenheit revanchiert sich nicht einmal für das, was Sie von ihr kaufen! Was sagt sie da? Sie behauptet, sie läßt sich nicht kaufen, doch dieses Jackett ist der Beweis, na ja, es beweist halt irgend etwas in der Art, wie es sich Zeit gelassen hat, es ist, zwei Jahre nachdem es eine Auslage geziert hat, bei uns angekommen, vor der Stadt, im Riesenbau, der alle reinläßt und noch mehr anlockt. Auch die Gucci-Schuhe dort, die sind auch ein Beweis für die Maßlosigkeit menschlichen Denkens, nein, ach, ich weiß nicht, wofür. Für unausgesprochene Beständigkeit und Anwesenheit? Nein. Für den Zeitcharakter der ursprünglichen Zeit? Eher schon. Vielleicht. Glaub ich zumindest. Es steht Ihnen einfach nicht zu, in diesem luxuriösen, allerdings dermaßen kleinen Geschäft etwas zu erwerben, das schon größer wäre, würde ein Hund es verrichten, daß also sogar Sie, die Sie sich dauernd und überall verirren, sogar in Ihrem eigenen Bad, daß sogar Sie die Treppe finden, es steht Ihnen möglicherweise, was Sie sich da gekauft haben, doch es steht Ihnen nicht zu, in diesem Geschäft einzukaufen, daher haben Sie es sich erst recht gekauft, und zwar ungefähr ein Jahr später und dort, wo es nicht so streng zugeht, wo Sie nicht gemustert und ausgemustert werden. Bei uns wagen Sie den Widerspruch, woanders trauen Sie sich nicht einmal hinein. Zu uns sind Sie frech, aber wenn Sie vor dem Prada-Shop stehen, ja, dem mit den zwei kleinen Auslagen, mehr Auslagen haben die sich nicht gemacht, dann wagen Sie sich nicht einmal über die Schwelle. Sie trauen sich nicht, Sie trauen sich nichts, Sie trauen sich nichts zu, wie ich im Volk höre, es wird Ihnen nichts geschenkt, und auch wir schenken Ihnen nichts. Wie, Sie stehen immer noch bedientenhaft auf Ihrem Fleck, den man Ihnen dort zuweist, Sie trauen sich nicht, auch nur eine Bewegung auszuführen?, nicht einmal zu atmen?, auch wenn Sie gar nicht hier sind, trauen Sie sich den Atemzug nicht zu, springen lieber vorher ab?, damit Sie sich bei Prada nicht als in dieser Preisklasse unzuständig entlarven oder überhaupt entlarven, wir wissen nicht, als was, aber wir werden es Ihnen schon noch nachweisen, dazu sind wir schließlich hier. Bloß Sie sind nicht hier, was keinen Unterschied macht zwischen dem Sein und dem Nichts. Erheben Sie nicht Ihre Waffen, die ohnedies stumpf sind, gegen uns, die Stadt, das Land, Ihren Gott, gegen wen auch immer. Wir nehmen Ihnen die Mühe, jede Mühe ab. Sie können von zu Hause aus einzahlen. Sie können ja von zu Hause nicht fort, wir aber können zu Ihnen herein. Wir schicken Ihnen den Zahlschein, und dann schickt die Kirche Ihnen auch noch einen, die Kirche, die wir für Sie ausgesucht haben, obwohl wir gar nicht wissen, zu welcher Sie gehören. Zu keiner? Das müssen Sie erst noch nachweisen! Geben Sie lieber acht auf Ihre Freiheit! Die können wir Ihnen nämlich nehmen! Wir werden Sie lehren, wie die Kirche ja auch, sich vor uns zu fürchten! Wir haben gerade erst angefangen, Ihnen Angst zu machen. Wir können auch anders. Wir könnten auch anders, aufs flache Land hinaus, wo die Reichen wohnen, an den Seen, an den Flüssen, dort könnten wir auch hin, überall, wo zornig die Menschen mit ihren Füßen nach uns ausschlagen, wenn sie uns nur von ferne sehen, doch von den Reichen tut das mehr weh, eine ganze stampfende, dampfende Armada kommt mit ihnen auf uns zu, und da fürchten dann wir uns! Lieber kommen wir also zu Ihnen, von Ihnen ist keinerlei Gegenwehr zu befürchten, Sie haben sich ja auch nicht gegen diese etwas zu enge Jacke gewehrt, die haben Sie offenbar gekauft, weil sie Ihnen gefallen, nicht weil sie Ihnen etwa gepaßt hat, von welchem Geld übrigens? Eine Jacke, die Ihnen sowas von nicht steht, also werden Sie sich auch nicht gegen uns wehren, gewiß nicht. Sie können sich gegen uns sowenig wehren, wie Sie sich gegen Ihren eigenen Körper wehren können. Sehen Sie, wir haben recht! Sie schweigen aus Angst. Sie zittern aus Furcht. Zittern sogar vor Ihrem Spiegel. Zittern vor Ihrem Gerät, das wir wie ein Tier ausgeweidet haben, wir haben alles, danke gut, zittern vor dem Apparat, den Sie sonst zum Zitieren benutzen, doch jetzt zittern Sie. Gut so, das ist, was wir erreichen wollten. Wir wollen Sie ausgeplündert sehen, von uns, bevor es ein andrer tut, bevor es eins von diesen Geschäften in dieser Straße tut. Sie werden nicht schöner, indem Sie dauernd einkaufen und sich damit behängen, das glauben Sie nur! Sie werden ab jetzt nie mehr imstande sein, einen günstigen Eindruck auf jemanden zu machen! Was Sie auch tun – lassen Sie es sein, so wie es ist, ist es auf jeden Fall besser, als wenn Sie es in die Hände kriegen würden. Es darf fallen, jederzeit, gerne, aber nicht Ihnen in die Hände. Und nicht in Ihre Hüllen, da fallen Sie nicht mehr so leicht rein, das geht nicht, die haben wir alle fotografiert, in denen können Sie sich nicht mehr zeigen, die sind von uns für immer verbraucht worden. Ihre zugespitzten Wortlanzen würden uns nicht einmal die Haut ritzen, wir sind unangreifbar, unempfindlich, sogar unantastbar, wir verwenden diese Dinge, die wir bei Ihnen eingesammelt haben, gegen Sie, ich meine gegen sich selbst, wir versenden alles gegen Sie, ja, auch alles, was Ihnen gehört, weil sie es zuvor mit PayPal bezahlt haben. Das gehört dann aber auch uns, es ist beschlagnahmt wie der Leichnam von dem, wie heißt er, der Freund Achills?, Patroklos! Ja, sein Leichnam: beschlagnahmt, von Menelaos geborgen, das ist ein viel besseres Wort für Beschlagnahme, das werden wir von nun an verwenden: Dies alles ist geborgen, von uns, bei uns. Wir haben Ihre Habe geborgen. Eingesackt ist das alles, von uns.



Doppelgeschöpf, männl.: Was danach passiert ist, wissen Sie? Wer hier spricht, weiß ich jedenfalls nicht. Wer spricht bitte? Ein Mann, wie ich, oder? Davon spricht irgend jemand. Aber es kann ein andrer sein. Nein, eine Frau nicht. Ich weiß nicht, wer spricht, also sage es halt ich, es kann aber jeder sagen. Am besten, Sie teilen es sich selber ein, hören Sie: Ein Leichnam wurde herumgeschleift, tagelang, wurde zum Schleifen befestigt hinten am Sessel von dem Streitwagen, nicht wahr?, damit zog sein Fahrer dreimal ums Grab des Patroklos, dann gings zurück ins Zelt, ein Gläschen Schampus oder Prosecco, dankeschön, unser Geschäft ist nämlich neu eröffnet, und dazu gibts eben ausnahmsweise, auch wenn Sie ganz sicher keine Ausnahme sind, ein Gläschen Schampus oder Prosecco, und ihr ruhet jetzt und laßt euch das alles durch den Kopf gehen, ihr, ja, ihr! Ihr seid gemeint, und einen Grund müssen wir nicht angeben, nicht einmal, wenn wir nach dem Nichts fragen, wieder einmal. Den Toten verließ er, dieser Mann, dieser Mörder, also den besagten Leichnam hat er einfach so liegenlassen, der selber nichts mehr sagen kann, er ist ja hin, dafür palavern die Götter endlos über ihn, natürlich nicht über ihn, über die Sache, die haben ja Zeit; also, wie war das?, jenen verließ er, der Mörder Achill verließ jenen, also Hektor, nicht wahr, host mi?, den er ermordet, band ihn fest, an diesem Wagen fest, gelt, sowieso!, das war noch nicht der Rolls meines eigenen Helden, der kommt aber hier noch dran, verlassen Sie sich drauf, verlassen Sie sich ruhig auf Ihre Seinsverlassenheit, da werden Sie nie enttäuscht werden, gut; und rings um des Freundes Grabmal schleift er ihn, der Mann den Getöteten, Sie wissen hoffentlich noch, wer wer ist, ach Gott, gut, daß Sie den anrufen, doch er wird nicht abheben, der wird dafür (wofür?) Hektor helfen, die Götter werden ihm helfen, Ihnen nicht, Ihnen hilft kein Gott, kein Sonstwer gegen uns, doch einem Toten helfen die Götter manchmal, wenn sie ihn lieben. Sie liebt keiner, soweit wir wissen, sonst würden wir uns diesen Überfall, diese Grausamkeit, diese Brutalität nicht trauen. Wir würden es nicht wagen, so vorzugehen, wir würden es nicht wagen, Sie durch den Dreck zu schleifen, liebte Sie einer, und das muß gar nicht sein: mehr als sich selbst. Ich weiß jetzt nicht, was ich damit sagen wollte, daß einer Sie mehr als sich liebt? Nein, mehr als sich geht nicht. Falscher Gott! Einer allein ist immer falsch. Man muß ausweichen können, das wissen sogar die Autobahnen. Den Göttern wäre sowas fremd. Da wird der Hektor also herumgeschleift, im Staub, Sie dagegen tragen bloß Turnschuhe, nicht Jimmy Choos, nicht Louboutins, die kriegt man hier sowieso nicht, aber auch die wollen Sie nicht durch den Dreck schleifen lassen, Sie, die Sie gar nicht da sind, Schuhe, die Sie gar nicht haben! Da wird Hektor herumgeschleift, wie wir Sie herumschleifen werden, das ist bei Ihnen nicht wörtlich gemeint, bei Hektor aber schon, herumgeschleift, wir sagten es schon, doch sein Gesicht blieb unversehrt, sein Gesicht konnte Hektor wahren. Wer zu uns gehört, hat nicht immer Grund, sich zu fürchten! Oft aber doch. Manchmal wird er auch geborgen, meist allerdings getötet und übel zugerichtet. Oft beides. Alles ist irgendwann geborgen und kommt ans Licht, und wäre es eine Leiche aus dem See. Wer zu uns gehört, der hat Schuld auf sich geladen, der hat bei uns Schulden, und die muß er abtragen, denn die sind sein Grab, man nennt es Schuldengrab, den Grabhügel müssen dann Sie wieder abtragen. Leute wie Sie, die ihr Leben nie eröffnet haben, nicht so wie dieses Geschäft, welches jetzt Häppchen zum Getränk reicht. Weltlose Leute wie Sie, die haben wir schon gefressen und fressen sie weiter, die atmen wir ein, denn Sie gehören uns! Wenn Sie nicht freiwillig kommen, dann schleifen wir Sie her, nur keine Sorge! Wir kriegen Sie schon noch! Achill hat Hektor zwar erst nach dessen Tod gekriegt, aber gekriegt hat er ihn, wir kriegen Sie jetzt schon! So, wir klingeln jetzt. Dieses Schrille hält ja keiner aus, außer auf Ihren Hüften und an Ihren Beinen, was immer es ist, das Sie da wieder in Ihren Bau geschleppt haben, das wird ja immer schlimmer, man kann kaum noch hinsehen. Her damit! Alles! Sie brauchen das doch nicht! Sie sind doch auch ohne das noch ganz attraktiv für Ihr Alter. Seien Sie froh! Lassen Sies, dies unser Rat. Lassen sie es uns! Überlassen Sie das uns! Bevor Frauen die Männer in die Flucht schlagen, eine Technik, die Sie immer schon gut beherrscht haben, schlagen wir Sie. Sie wollen zurückkehren dorthin, wo Ihr Lauf begonnen hat, zu den Quellen, um sich zu waschen? Wenigstens die Augen, die Ihnen heute wieder so weh tun? Nein, dorthin können Sie nicht, dort stehen schon wir, endlos, in endloser Schlange, als wärs ein Outlet, das aber Sie nicht mehr rausläßt, nein, uns auch nicht, denn wir müssen uns ja selber erst das Blut von den Händen waschen. So können wir unmöglich raus. Zu Tiffany brauchen Sie übrigens gar nicht erst rein, falls Sie das vorhaben, die machen Ihnen dort nicht einmal die Tür auf, da steht ein Türhüter, und was der sagt oder tut, das ist Gesetz, im Gegensatz zu uns, die wir uns jede Tür aufmachen beziehungsweise uns aufmachen lassen. Das ist das Wesen der Wahrheit, Wesen und Wahrheit gehören beide uns, wir bestimmen, was hier wahr ist, und welches Wesen, das bestimmen wir auch! Haben Sie noch nie gesehen, das Wesen? Das glauben wir Ihnen. Wie wollen Sie da ein höheres Wesen sehen, wenn Sie nicht einmal dieses sehen? Um das zu sehen, würden Sie eine Bestandsaufnahme brauchen, und die verweigern Sie, Sie weigern sich, uns Ihren Bestand was?, vorzuführen?, aufzurechnen?, darzulegen? Das Das und das Was des Seienden? Sehen Sie, genau das wollen wir sehen! Sie können Ihr Selbst gegen uns verwahren, Sie können sich selbst gegen uns verwahren, das Verwahrte interessiert uns allerdings ganz besonders, das wollen wir, grade das wollen wir, die Verwahrung Ihres Selbst, die Verwahrlostheit Ihrer Unterwäsche, die in der Benommenheit des Lebendigen gründet, ja, hier stehts, daß Sie so benommen sind, daß Sie nicht einmal mehr Ihren Namen wissen, Hauptsache, wir wissen ihn, das bleibt Ihnen unbenommen, daß Sie nichts wissen, doch das, worin alle Aufregung und Erregbarkeit sich vollzieht, all diese verschiedenen Formen des Dunkels und seiner Entfaltung, das interessiert uns alles sehr. Dort wollen wir hinein. Genau dort! Wo Sie nicht sind, aber zu oft sind, wie man uns von irgendeiner Seite her erklärt hat. Was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden und wird gegen Sie verwendet werden. Diesen Satz haben Sie doch schon hunderte Male gehört, wenn auch nicht persönlich und nicht aus unserem Mund. Jetzt haben Sie ihn gehört. Geht es Ihnen jetzt besser? Fein! Sie haben auch jeden Grund dazu. Wir sind die Gewalt und haben die Gewalt, auch gegen alle. Unterschiedslos gegen alle, das muß Sie doch trösten, oder? Furchtbar unser Zorn, unser Eifer, keiner hat solchen Zorn wie wir, vom Eifer müssen wir gar nicht erst anfangen, und dabei verehren wir die Besitzenden doch! Die Gesinnung ist biegsam in unsrer Brust, wir verfolgen den, den man uns bezeichnet, diesmal Sie, ja, unser Herz nicht achtet der Billigkeit Ihrer Einrichtung und Ihrer Unterwäsche, die Kleider schon teurer, unser Herz nicht achtet Ihr Flehen und nicht Ihre Wut, wie die Berglöwen denken wir nur Wildheit und von gewaltiger Kraft und trotzdendem Mute gereizt – obwohl wir Mut bei Ihnen nicht feststellen können – wild in der Sterblichen, also in Ihren Herd, dringen wir ein, nicht, um ein Mahl uns zu erhaschen, nein, essen gehen wir nachher zum Italiener unten, erbarmungslos wie der Peleide, ja, das sind wir, so sind wir. Es geht jetzt gegen Sie, aber es könnte gegen jeden anderen auch gehen, und auch zu einer andren Zeit, jede Zeit ist ja unsere, wir machen da keinen Unterschied zwischen Ihnen und diesem Brotbäcker, der seit Jahren Kakerlaken und Dreck ins Bäck hineintut. Das ist gegessen und aus. Fertig, Schluß. Machen wir. Wir machen Sie fertig! Wir verleihen Ihnen ein Schicksal, das Sie nicht gehabt haben, seit Ihre Mutter verstarb, die sich Ihres Schicksals immer angenommen hat. Danach zuviel Leere. Logisch! Sie gehören zu uns, während eine Frau, die sich sowas gar nicht vorstellen kann, wahnsinnig laut singt: Du gehörst zu mir!, ich gehör nur mir!, du gehörst auch nur mir!, keine Ahnung, und das ist nun wirklich etwas ganz anderes, ja, das ist eine neue Erfahrung für Sie, nicht wahr, daß jemand Sie zum ersten Mal seit Jahren für sich reklamiert, wo man Sie andernorts am liebsten abstoßen möchte, abgestoßen von Ihnen, dort, wo Sie gebürtig, wohin sie aufhältig, wo sie auffällig geworden sind, nein, wo sie hinterhältig sein können, so, wie Sie halt sind und soviel davon Sie wollen, das haben Sie jetzt davon!, dort will man Sie nicht mehr, doch hier will man sie schon, ist das nicht fein? Diese Stadt, ja, genau diese, lädt Sie herzlich zu Ihrer Enteignung und zu diesem Glas Champagner und zu dieser Platte mit Häppchen ein, darunter das fetteste Sie, schmatz! Sie aber behaupten immer noch, wir können es schon nicht mehr hören, Sie gehörten dorthin, wo Sie eine geliebte Tote wären, allerdings nur wenn sie wirklich tot wären, endlich tot, eine geliebtere Tote als hier. Stillen Sie die Klage Ihres Jammers, trocknen Sie Ihre Tränen, weinen Sie über sich selbst, dort, wo Sie gebürtig sind, will man das alles nicht sehen, denen ist das egal, wir aber, wir sehen es gern, wir sehen, daß Sie Ihren Mut verlieren, und das wollen wir, den duldenden Mut verleiht den Menschen das Schicksal, und wir verleihen es Ihnen, daß Sie Ihren Mut verlieren, vor uns, hier, vor uns, genau da, verlieren Sie hier ruhig Ihren Mut, den brauchen Sie nicht mehr. Der Gewinner macht die Maß, nein, das Maß voll, und der werden wir sein. Wir sagen, was uns zusteht, und das nehmen wir uns. Leugnen zwecklos! Sie sind doch die, deren Name an der Tür steht, oder? Wollen Sie vielleicht beweisen, daß Sie wie Jil Sander oder Dior oder Chanel oder Valentino und wie sie alle heißen, wollen Sie ausgerechnet uns gegenüber behaupten, daß Sie Sie gar nicht sind, ungefähr so, wie die alle gar nicht sie sind? Da haben Sie sich aber geschnitten, Sie Kindermilchschnitte! Da müssen Sie früher aufstehen oder eben noch ein Kind sein, das nichts verdient und alles bekommt! Diese schönen Geschäfte in dieser wunderbaren Straße müssen uns gar nichts beweisen, die können sein, wer sie wollen, die können sich nennen, wie sie wollen, so weit ihre Phantasie reicht, M. Dior und Mlle. Chanel sind ja überhaupt tot, längst tot, doch sie konnten ihr Gesicht wahren wie Hektor, von dem vorhin die Rede war, mit der Götter und der Geldgeber Hilfe konnten sie ihre Gesichter wahren, wie Hektor, der Götterfreund, sie wurden durch den Dreck geschleift (oder auch nicht, also nicht jeder von ihnen), doch die Götter haben nach langer Beratung entschieden, daß ihre Gesichter wieder hergestellt werden, die Kasse der Götter zahlt es, eine andre würde es nicht zahlen. Die Kasse der Götter ist aber eine private Kasse, die zahlt mehr, die zahlt alles. Sie haben das noch vor sich, daß Ihre Augenlider wieder hergestellt werden, doch die Götter würden das schneller erledigen können, und am Ende: Unversehrtheit, als ob sie nicht durch den Dreck, den Schlamm, die Scheiße geschleift worden wären. Diese lieben Gesichter dieser Labels, alle längst verblichen, nur ihre Namen sind noch da, vollkommen unversehrt, wie das Antlitz Hektors nach dem mehrmaligen Geschleiftwerden, doch da haben die Götter kräftig dran mitgearbeitet und mitverdient. Die schneiden bei allem mit, vor allem bei ihren eigenen Freveltaten, die aber nicht zählen, weil sie eben von den Göttern kommen. So auch wir. Zu Ihnen. Wir kommen von den Göttern, grüß Gott. Die Götter haben diese Eintrittskarte in Ihre Wohnung unterschrieben, es hat keinen Sinn, uns die Tür zu versperren, kommen wir eben durchs Fenster. Und danach gilt nichts mehr, nicht einmal der Tod in seiner verderblichen, quellenden Üppigkeit gilt noch. Nichts gilt. Der Tod bietet sich dar, der schon, das macht er immer so, doch keiner nimmt ihn, keiner will ihn. Der Tod gilt nichts, wenn danach die Menschen ihr Gesicht nicht verlieren und überhaupt aussehen wie immer, wie sie immer ausgesehen haben; also kann sich jeder nennen wie sie, der Name ist frei geworden, warum soll nicht ein Herr Lagerfeld Mlle. Chanel sein? Sehen Sie, er kann! Und wir können Ihnen beweisen, daß Sie Sie sind, auch wenn Sie behaupten, es nicht zu sein! Das steht hier auf dem Zettel, den die Götter uns vorhin unterschrieben haben, da Gefahr in Verzug war. Wir wissen nicht, welche, aber eine wirds schon gewesen sein, Gefahr, Gefahr!, denn wer die Götter schmäht, die zu seiner Hütte ihm kamen, der ist im Arsch. Zu dem kommen dann wir. Wir haben hier Ihr Foto, wir haben Sie hier gesehen, wir haben Sie hier liegen sehen, hier die Bestätigung, und der Unterlegene wurde geschleift, nein, nicht geschliffen, durch den Staub, den Sand, über den Asphalt dieser Straße geschleift, so glatt, wie der aussieht, ist er nicht, der kann ordentliche Schürfwunden verursachen, wenn man jemand wie einen Sack Abfall drüberschleift, dann platzt der Sack auf, Folge: noch mehr Dreck!, jedoch fein verteilt!, grausam seid ihr, o Götter, euch sollte man einmal über diese Straße schleifen, euch möchte ich sehen, wenn ihr die Hälse verdreht, ja, du, Aphrodite!, du ganz besonders, obwohl du gar kein Gewand brauchst, wie du den Hals nach Bottega Veneta verdrehst, weil du diese Tasche haben möchtest, aber nichts da, doch!, sehr viel da, zuviel!, während da ein Mensch über die Straße schleift, geschleift wird, den man an seinen Rolls bindet und ihn dann schleift, lassen Sie den Mann, der kommt später auch noch dran!, wir können doch nicht alles auf einmal machen!, und schleifend wird die Haut ihnen nicht verletzt, den Göttinnen sowieso nicht, die veranlassen die Unversehrtheit des Hektor, die garantieren dafür. Und auch Ihnen fügen die Götter Ihr Antlitz nach den diversen Schleifungen wieder zusammen, das machen die!, sogar die Wunde, die Speerwunde, die wir Ihnen zugefügt und die Sie im Innersten getroffen hat, das wir durch diese Wunde auch noch herausziehen konnten, das ging relativ leicht und war recht praktisch, so eine Wunde, durch die man alles, was Sie hatten, herausziehen konnte, so, und die Wunde schließt sich jetzt wieder, wir haben ab 20 Uhr auch geschlossen, bis dahin können Sie einkaufen bei uns, und dann gehören Sie uns und aus! Ja, das sagen sie! So reden sie mit mir. Das würden sie mir sagen, wenn ich sie hören könnte, wenn ich hier wäre! Und wie gern! So, ich scheuche jetzt alle anderen Frauen der Stadt, weil ich nichts andres zu tun habe, alle ohne Ausnahme, im gleichen Taumel des Kaufenwollens, des Schauenwollens wie ich (nein, im Gegenteil, das ist es ja! Es ist hier nie ein Wollen, und vielleicht ist das gut, hier haben schon zuviele zuviel gewollt, jetzt sollte keiner mehr was wollen, es ist immer ein Tun, darüber denken Sie jetzt nach, daß das Wollen weg ist und alles immer gleich getan wird, wie es einem einfällt!), ja, also ich scheuche diese Frauen alle, ohne Ausnahme, im gleichen Taumel aus den Häusern, so wie ich in mich zurückkehre und aus mir herausschaue, so schauen diese Frauen jetzt in etwas anderes hinein, das macht den Unterschied!

 



Irgendwer sagt folgendes zur Erläuterung des soeben Gehörten, einer muß es ja sagen. Wenn sich kein Freiwilliger meldet, sage halt ich es, sagt halt ein andrer es in meinem Namen, unter meinem Namen, denn ich bin ich:

Achill schleift Hektors Leichnam um die Mauern Trojas, am nächsten Tag noch dreimal um das Grab Patroklos'. Apollon verhindert Verletzungen durch Einsatz des göttlichen Schildes, Marke "Ägis". Als die Hera-Fraktion davon Wind bekommt (Hera haßt die Trojaner, weil die durch den Raub Helenas die hl. Ehe geschändet haben), macht sie Rabatz im Olymp, worauf sich die Götter 9 Tage lang streiten. Erst ein Machtwort des Zeus (der die Sache mit der Ehe nicht so eng sieht) macht dem Streit ein Ende, und schließlich kann der Leichnam Hektors völlig unverletzt an seine Familie zurückgegeben werden, sogar die Speerwunde hatte sich geschlossen. Wie die Lanzenwunde vom Amfortas leider nicht, die ihm der Klingone, nein, Klingsor zugefügt hat, wir bedauern, den müssen Sie so nehmen, wie er ist.

Doppelchor: (abwechselnd, ad libitum, kann auch durch andere verstärkt werden) Ich schaue aus mir heraus und schenke mir keinen Glauben, und auch sonst schenkt mir keiner was. Mir wird nichts geschenkt. Die anderen schauen in etwas hinein und sind von ihren Einsichten geschmeichelt. So sitzen wir denn, nein, nicht dann!, wann denn?, unter grünen Tannen auf ungeschützten Felsen, so schauen wir, ohne zu sitzen (gesessen wird woanders!), denn diese Stadt muß noch bis zum bitteren Ende lernen, mag sie sich auch sträuben, nein, im Gegenteil, diese Stadt muß unbedingt lernen, sich zu sträuben. Aber in dieser Straße wird sie damit nicht anfangen. Hier pulsiert das reine Leben, hier quillt das Geld aus den Startlöchern, noch bevor es einen Schuß gehört hat, mit Waffengewalt bringt es der Straße die Frauen wieder her, und wenn sie sie aus dem Hotel der Vier Jahreszeiten herausprügeln müßte. Wir versuchen, uns irgendwie zu benehmen, was aber gar nicht nötig ist. Hier darf jeder rein, in die Geschäfte: nicht jeder. Vieles ist auch verschlossen. Bitte klingeln Sie vorher! Der Juwelier macht sonst nicht auf, denn er hat schlechte Erfahrungen gemacht mit Menschen, mit Menschen sowieso, aber auch mit anderen Menschen, die einfach so reingegangen, aber noch einfacher wieder rausgekommen sind, allerdings nicht allein, sondern mit wertvollen Waren beladen. Das reine Leben hier, das volle Menschenleben: rein! Rein ins volle Menschenleben! Hier bitte. Unrein das Leben führen geht nicht, das führt dann selbst woandershin, ins Nichts, wohin es schon den nichtswürdigen Galliano geführt hat, der nicht mehr schwärmt wie ein Falter, der nicht mehr herumschwärmt wie ein Vogel, der zuviel zu tun hat, egal, das Schillernde ist weg, denn sein Nest wird nicht mehr fertig. Ich sage: Er ist unschuldig, das habe ich mit meinem Gott so abgemacht. Unendlich viel gäbe ich, wäre er wieder im Geschäft. Die Leute hätten lieber Opfer für seine Kleider bringen sollen, anstatt zornig nach ihm zu treten. Alle in die Häuser und Ruhe jetzt! Da, ein Haus, Prada, immer gut, nicht nur als Stätte des Augenblicks, sondern als Stätte der Dauerhaftigkeit, das können Sie noch nächstes und das halbe übernächste Jahr anziehen, bis die Jahreszeiten einander überholt haben und das Gekaufte auch überholt ist. Das Haus Prada hat eine Sonderstellung, weil ihm alle anderen Häuser, die ich genannt habe, die aber anders genannt werden, gehören, seit seinem Börsengang in Hongkong 2011 ein Rekordgewinn! Der Mailänder Konzern schloß schon 2011 mit 431,9 Mio. Euro Gewinn. Dafür ist Frau Prada noch sie selbst, sie darf ganz sie selbst sein, obwohl der Gewinn sich aus vielen zusammensetzt, die tun, was sie tut. Doch sie ist in dem, was sie tut, ganz sie selbst, das tun viele, nur ist sie nicht ihr Haus, ihr Haus sind viele, in ihrem Haus sind viele Wohnungen wie in meines Vaters Haus nicht, das hat der immer nur behauptet, da war aber immer nur eine Wohnung, grade nur Platz für uns drei Verdammte, Verfluchte, die keine Mode gekauft haben, die keine schönen Kleider gekauft haben, das war für uns überflüssig, überflüssig, überflüssig, und gerade das Überflüssige macht diese Stadt, diese Straße ganz besonders, aus, ist doch gut, oder?, denn hier ist alles zuviel, und alle haben von allem zuviel, schon bevor sie die Straße betreten. Sie werden mir nicht zuviel, aber sie haben mir zuviel voraus. Sie sind oft jung und können ruhen, ohne zuviel Zeit zu verlieren. Wer ist noch auf der Straße, der schön ist, der sich zurechtgemacht hat, viele!, alle sind auf dieser Straße, schön und zurechtgemacht, vor allem eine Frau, die aussieht, wie man selber niemals aussehen könnte, außer Frau Prada ist mit einem ganz fertig geworden, diese wunderbare Frau, schnell hinein, um ihr zumindest ähnlich zu werden!, keine ist wie sie, sie sitzt ganz vorn an der Straße und spinnt ihr Haar, nein, sie spinnt nicht, wo die Straßenbahn umkehrt, nein, nicht umkehrt, sich kehrt, also sie macht so eine S-Kurve, und um nicht überfahren zu werden, weil man sie zwar hört, aber nicht sieht, die Straßenbahn, nicht Miuccia Prada, also deshalb muß man schnell ins Geschäft hinein, aber ich trau mich nicht. Ich traue mich da nicht hinein. Ich gehöre nicht in dieses Geschäft, ich traue mich in dieses Geschäft nicht hinein. Nicht weil es so groß wäre, im Gegenteil, es ist eher klein, das soll es auch sein, man fällt als Lebende sofort auf, weil nur weniges darin feilgeboten werden soll, und es soll noch weiter verknappt werden, das Angebot, diese Tasche ist bereits ausverkauft, denn künstliche, künstlerische Verknappung macht teuer, je weniger desto teurer, was Sie hier sehen, ist bereits alles, was es gibt, jedoch deutlich weniger geworden, bald ist es noch weniger, und das wenige ist dann auch bald weg, und es gibt keinen Ausverkauf mehr, es gibt nichts mehr in den Outlets oder auf der grünen Wiese, nirgends gibt es Prada außer dort, wo sie das miteinander abgemacht haben, die Frau mit sich selbst mit ihrem Mann mit ihrem Konzern, durch nichts beeinträchtigt. Nur hier kriegen Sie das. Oder, mir fehlt hier einfach der Grundbezug zum Lebendigen, für das ich gewiß kein Beispiel bin, doch in diesem einen Fall schon, wer sonst sollte mein Sein kennen als ich? Zum Beispiel: Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Menschen in einem Chanel-Kostüm gesehen, außer mich selbst, zur Hälfte, denn ich habe im Ausverkauf einmal eine Chanel-Jacke gekauft, und da hängt sie jetzt immer noch, wo ich sie hingehängt habe, das erste Hauptstück meiner Vermummung, diese Jacke, ich habe so eine nur ein einziges Mal gekauft: eine Hockengebliebene beim Gebet, Knien geht auch, Hauptsache, man sieht die obere Hälfte, und die vestimentären Züge können, auf ihren Schienen kreischend, schon abfahren. Ich habe diese Jacke einmal zu einer Versammlung der Kommunistischen Partei getragen, doch diese Menschen lassen sich nicht einmal von Millionen Toten provozieren, wie also von einer einzigen kleinen Jacke? Um diese Menschen zu provozieren, froh zu sein, bedarf es wenig, und wer froh ist, der ist König. Hab mich gefreut wie eine Schneekönigin, da ich die Herkunft von Herrschaft begriffen hatte und diese natürlich sofort ausüben wollte, wenn auch unmerklich, denn die unmerkliche ist die wahre Herrschaft. Frau Prada ist oder war oder wollte sein schließlich auch einmal Kommunistin, da haben wir immerhin etwas gemeinsam, ja, auch mit Kolumnistinnen, die sich wirklich gut mit Mode auskennen, mich aber überhaupt nicht kennen, meine Schönheit, erworben durch Kleidung, nicht erkennen, die haben doch keine Ahnung! Die Kommunisten am andren Ende aber auch nicht. Das ist damals alles verpufft, obwohl Provokation auf dieser Textilbombe draufgeschrieben stand, mit so goldenen Knöpfen, in Blindenschrift, explodiert in einem unmerklichen, nicht in einem gigantischen Verpuffungsvorgang, weil die Kommunisten vielleicht schon gehört haben, daß es Chanel gibt, sie würden es auch erkennen, wenn sie es sehen, das Chanel-Kostüm, allerdings nur dann, wenn es wirklich aussieht wie ein Chanel-Kostüm, notfalls auch an der falschen Person, denn das berühmte rosa Chanel-Kostüm Jackie Kennedys war nicht echt, mein Anteil am Kostüm schon, ihres nicht!, was nicht heißt, daß es auch eins ist, wenn es wie eines aussieht, es könnte gefälscht sein, man merkt das erst, wenn man einen Ersatzknopf kaufen will, nichts ist so gefälscht wie ein Chanel-Kostüm, fast immer, wenn Sie eins sehen, ist es falsch, außer es ist echt, aber die in der Partei wüßten eh nicht, welches Chanel-Kostüm wirklich von Chanel wäre. Nun, mein Jäckchen wars wirklich, diebische Freude meinerseits, obwohl ich es nicht gestohlen hatte, wir haben abgestimmt, agitiert, Agitation geplant, die Toten trieben in mehrstöckigen Ausflugsschiffen, nicht in Ruderbooten vorbei, wir haben Abstimmungen geplant und durchgeführt, wir haben Strategien erarbeitet, die genauso wie mein lächerlich aufgeblähtes Auftreten wieder verpufft waren wie Knallgas, nur nicht so laut, kaum ein Lüftchen in diesem Hauch, kaum ein Hauch in der Luft, da hält mein Chanel-Jäckchen also wirklich länger als die Strategie der kommunistischen Partei!, ja, ich habe mein Leben von der Seite der Kennerin her geplant, ich habe es immer noch, die Kommunisten haben ihre Strategie nicht mehr, die haben wirklich das vorgreifende Festhalten am Beständigen und Anwesenden, für das sie sogar eine Liste geführt hatten, geübt, diese Gegen-Erscheinungen, die darin kulminierten, daß sie irgendwann überhaupt nicht mehr erschienen sind. Mein Kostüm aber, zumindest die Jacke, für unten habe ich nichts im Ausverkauf bekommen, die Jacke besteht, es gibt sie immer noch, ja, die Jacke kann man auch ohne Rock tragen, aber irgendwas sollte unten schon da sein, wenigstens was Kleines, aber auch damit kann ich nicht dienen; wir beide, die Kommunisten und ich, da ist eine wesentliche Kluft zwischen uns, ein Unvermögen, das nicht von den Möglichkeiten herkommt, denn die Kommunisten sind still, und ich bleibe auch zu Hause, wir beide hätten viel mehr Möglichkeiten, doch wir ergreifen sie nicht, der Fehler könnte sein, daß wir vom Seienden immer als dem Vorhandenen gedacht haben, und daher haben wir immer schlecht vom Seienden gedacht und wollten uns nicht untermischen, dreinmischen, ja, vielleicht, meinetwegen, wir wollten schon, es hat bloß keiner gemerkt, aber nicht drunter, druntermischen wollten wir uns nicht, nicht hinein in die Menschen, also nicht in jeden jedenfalls, diese Kluft haben wir beide gespürt, die Partei und ich, eine Kluft, klaffend wie jede Herrschaft, doch weder sie noch ich haben uns hineingetraut in diese Spalte zwischen Herrschaft, die wir beide nicht als Notwendigkeit des Freien zum Freien sehen konnten, unbedingt mußte das so gesehen werden, doch wir haben nur Bedingtheit gesehen, und meine Abhängigkeit war allein die von Kleidern, denn ich dulde Abhängigkeiten überhaupt nicht, außer meine eigenen. Die Partei war auch von irgendwem abhängig, ich erinnere mich nicht, von wem, aber wer kennt sie, wer würde sie erkennen, wer würde Herrschaft erkennen, wo er sie doch ausüben will?, dann ist sie leider woanders, was, nicht einmal dann erkennt er sie?, was will er dann üben?, wie will er Herrschaft üben, wenn keiner da ist, der sich unterdrücken lassen will, na ja, aber hier steht doch, daß die Größe von gewollter Herrschaft darin besteht, daß sie keiner Macht oder Gewalt bedarf, um wirksam zu sein. Gut. Ich erkläre mich einverstanden mit meiner Herrschaft, sehe aber die noch nicht, die sich beherrschen lassen wollen. Ob die sich noch melden werden, noch dazu freiwillig? Wer erkennt schon Herrschaft, wenn er sie sieht?, wie soll er dann lernen, sich unterzuordnen?, im Gegensatz zu diesem Kostümteil, das auf einem sitzt wie ein Verhängnis, denn es war so teuer, wenn auch billiger gekauft, und keiner erkennt es, jeder glaubt, es sei gefälscht wie diese Sicherung, die der Herrschaft eingebaut wurde, dieser Schutzschalter, der immer fällt, wenn die Herrschaft angetreten werden soll, egal von wem, dann fällt der Schalter, und aus ist es, diese Sicherung ist nur die Sicherung von Besitz vor Gewaltmöglichkeiten, ja, Ihren Besitz können Sie sichern, klar, Sie können ihn sich zur Sicherheit an den Hut stecken, aber Ihre Herrschaft nicht, dazu bräuchten Sie eine zweite Sicherung, keine Ahnung, wo Sie die herkriegen. Vielleicht ein Spieglein, nein, nicht an der Wand, sondern vorm Mund, damit man sieht, ob das Opfer noch lebt? Meine Kostümjacke von Chanel hatte ich gegen die Sicherheit der Partei gesetzt, Herrschaft zumindest anzustreben, doch wenn sie nicht einmal diese Jacke erkennen, wie sollen sie dann ihre Konkurrenten um die Herrschaft erkennen? Daran, daß diese die Herrschaft noch haben vielleicht? Stalin hat alle umgebracht, da waren auch die richtigen drunter, die sich womöglich irgendwann auch selbst umgebracht hätten, denen hat er die Arbeit abgenommen, doch wie sollten die Genossen in ihren Wünschen nach Gewalt, wenigstens einem kleinen bißchen Gewalt, ihre Aussichten auf die Möglichkeit von Gewalt je erkennen, wenn Gewalt überhaupt nur gegen die eigenen Genossen möglich war? Und ja, weil Sie fragen, was Sie natürlich nicht tun, denn Sie haben es jetzt schon oft gehört: Die ganze Zeit hatte ich bei der Sitzung, beim Verlesen der Satzungen, an die sich keiner hielt, eine echte Chanel-Jacke an, sogar mit echten Chanel-Perlenketten, also falschen Perlen, echt heißt falsch, und man hat gesehen, das ist eine Chanel-Jacke, das Falsche daran ist echt!, man hat aber nicht gesehen, daß es wirklich der obere Teil eines Chanel-Kostüms gewesen ist, den Unterbau hatte ich leider nicht. Für unten hatte ich nichts. Diese Leute hätten vielleicht auch die Weltrevolution nicht erkannt, welche stattfand, als Amerika die Rüstung der Sowjetunion so sehr übertroffen hatte, daß deren Rüstungsausgaben den Staat dermaßen fest eingerüstet hatten, daß er vor Schreck unwillkürlich eingestürzt war, man erreicht immer das Gegenteil!, immer dagegen sein!, macht ja nichts, der Staat sollte ohnedies absterben, so war das ursprünglich geplant, aber bitte, doch nicht so!, ich meine, nicht daß er so abstirbt, wie er abgestorben ist, faktisch abstinkt, nicht abstirbt. Da habe ich aufs falsche Pferd gesetzt, echt, viel zu lange, es hat jedenfalls gereicht, daß ich mich jahrelang grandios und als Staatsfeindin gefühlt habe, als die bestangezogene Staatsfeindin, und keiner hats gesehn! – Ausnahme Miuccia Prada, aber nicht an mir! – keiner, wirklich niemand! Und keiner hats mitgekriegt. Macht ja nichts, sie hätten ja, eben!, sag ich doch!, auch die Weltrevolution nicht erkannt, und wenn sie, auch wenn sie vor ihnen gestanden und ihnen ins Gesicht gespuckt hätte. Egal, die Menschen wären immer oben angespuckt und unten beschissen worden. Sowieso. Sie hätten sie nicht erkannt, die Revolution, obwohl sie sie vielleicht sogar selbst gemacht hätten, wenn man ihnen bloß erklärt hätte, wie, na ja, auch dann nicht, und ich bin grundsätzlich gegen das Selbstgemachte, zumindest gegen meins, das es nicht geben kann, denn ich kann nicht nähen und auch sonst nicht viel. Sie hätten, wäre die Weltrevolution vor ihren Augen herumgetanzt und hätte mit den Armen in die riesige Menge, die gar nicht da war, gewinkt, hallo, Lenin, siehst du mich, hallo, Trotzki, siehst du mich nicht?, dann ist es gut!, dann bist du weit weg!, beide ebenfalls abwesend, die Genossen hätten also diese Revolution in ihrem Parteigebäude, das ihnen damals noch gehört hat, inzwischen hat man nicht mehr viel davon gehört, und das Gebäu gehört ihnen auch nicht mehr, vielleicht als eine Gruppe von Oppositionen gesehen, die mit einer zweiten eng verwandt gewesen wäre, nämlich den Sozialismus mit dem Kapitalismus, aber so eine Opposition haben sie sich, obwohl sie ständig drin gelebt hatten, gar nicht vorstellen können. Sie wären erschrocken, hätten entdeckt, daß sie kein Geschick haben, für gar nichts, und wären geflohen. Besser, man bleibt unter sich. Mengen, Massen waren sie halt nicht gewöhnt. Soviel Opposition war nie und kann nie sein. Menschen sterben, aber gewiß ist es doch möglich, in einer seriellen Opposition zwei entgegengesetzte Magnetpole zu unterscheiden, zum Beispiel eng/weit in der Variante der Paßform eines Kostüms, oder arm/reich in der Variante der Paßform für Menschen, auch an den Pässen selbst kann man die Armen schon erkennen, auch daran, daß sie neue wollen, gültige diesmal, daß sie woandershin wollen, daß sie nicht bleiben wollen, wo sie sind, daß sie etwas aus ihrem Leben machen wollen, was sie mit Kleidern sehr viel einfacher könnten. Sie können sich ein Chanel-Kostüm kaufen, damit aber nicht zu einer Parteiversammlung der KPÖ gehen, nicht einmal in Teilen, ich meine nicht in Teilen des Kostüms, obwohl ich selbst das schon getan habe, aber das wäre heute kontraproduktiv, weil es Chanel noch gibt, sie ist jetzt ein alter Mann, und die Partei gibt es nicht mehr; sie können von der KPÖ wegkommen und sich dann erst das Kostüm kaufen, weil sie dann weniger belastete Menschen wären und nicht mehr vom Haß der übrigen Menschen verfolgt würden, so wie die Umwelt, die Ärmste!, belastet, ja, so sagt man, die Umwelt belastet wird, dauernd, die ganze Zeit, und zwar die ganze Umwelt, und zwar von allen, das ist der korrekte Ausdruck, und ich bin immer für Korrektheit, aber weniger belastet als andere, so bin ich auf ewig belastet von dieser Partei, oder? Diese Belastung bloße Behauptung vielleicht, oder? Vielleicht nicht? Die Sprache jedenfalls isoliert diese kontrastierenden Termini Kapitalismus-Sozialismus, Stillstand-Revolution, Kragen-kragenlos, weit-eng nicht völlig, es findet keine völlige Isolation statt, die eh nicht möglich ist, weil der Mensch ja nicht allein lebt. Der will so gern angeschaut werden, und der Zuschauer soll nicht lachen, wenn er uns anschaut, die wir schöne Kleider tragen, die immer irgend jemand dann doch nicht schön findet, sondern vielleicht lächerlich, wer lacht, hat recht, und dazu geht er in diese Straße, dieser verlachte Jemand, ich nenne keinen Namen, auf die Straße in ihrem hellen Sonnenglanz, wo das Licht mit seinen dünnen Trägern spielt, an denen es sich anklammert, damit es nicht auf diese Straße herunterfällt, ja, dort geht er hin. Das berühmte Licht, das auf diese Straße fällt, schauen Sie und halten Sie inne! Dort wird man garantiert angeschaut, dafür sorgt schon dieses Licht, Sie brauchen sich nicht zu sorgen!, leben Sie und setzen Sie ein, was Sie darüber sagen wollen, denn man kann nur darüber sprechen oder schreiben, man kann jedoch nicht gelesen werden, dazu reicht das Licht wieder nicht. Das Licht ist total amorph, es hat keine Form, jedoch behauptet es sich tapfer, es behauptet seine Form, die keine ist, es ist einfach überall, das schafft die Mode nie, auch wenn sie selber möglicherweise sogar manchmal einfach ist. Bitte, man kann besser gelesen werden, aber man muß natürlich die Zeichen kennen, und die Zeichen hat die Kommunistische Partei nicht erkannt, nicht rechtzeitig, und so ist die Zeit an ihr vorbeigezogen und wurde zur neuen Zeit, in der diese Partei total überflüssig wurde, von der Mode kann ich das nicht behaupten, die Leute können nicht lesen, das ist das Problem, sie können die Zeichen nicht lesen, und sie konnten es auch damals nicht, als ich bei der KPÖ-Versammlung an meiner Kleidung hätte gelesen werden können als der absolute Abstieg, denn wenn Leute wie ich Chanel-Jacken tragen können, dann ist dieses berühmte Kostüm, von dem wahrscheinlich mehr Menschen gehört haben als vom Kommunismus, völlig sinnlos geworden, und ich bins sowieso, immer schon, dann kann man sich von niemandem mehr darin unterscheiden, wenn alle es tragen können, sogar ich. Hier aber, hier aber bin ich richtig, hier ist der Ort, hier ist der Platz, dort, am Ende, der Landtag, der noch lang nicht am Ende ist, er ist hinter mir her, muß dazu aber den Platz nicht verlassen. Da ist er natürlich froh und kann auch andere froh machen. Hier ist alles, alles kann gesehen werden, hier sind Sie, und dort oben ist das Licht, das wird noch gebraucht, weil die Leute in dieser Straße besser lesen können als andere, und sie können andre Menschen besser lesen, es ist auch schön hell dort, heller als sonstwo in der Stadt. Die einen Menschen lesen die andren, manche lesen die einen aus, bei den anderen lohnt es sich nicht, sie lesen und lesen, das ist einmal ein Mensch! Toll! Sakradi! Echt spannend! Schade, daß er schon zu Ende ist, so schnell! Wer den wohl gemacht hat, obwohl er aus Gegensatzpaaren besteht? Das muß ihn doch total aufgerieben haben, als er noch gelebt hat, so viele Gegensätze in ihm, dem Einzigen und seinem Eigentum, auch ohne sein Eigentum erhältlich!, schade, jetzt gibt es ihn sowieso nicht mehr. Wir können ihn nicht mehr studieren. So schnell vorbei, fast noch schneller als die Mode gehen die Menschen. Wie sollen wir diesen einen hier, egal, wer er ist, nur beschreiben, da wir ihn ja nicht mehr sehen, wie machen wir das, außer wir führen eine normalisierende Stufenfolge, was?, keine Ahnung!, für ihn ein? Das ist ein Anfang. Aber die Reihe bleibt immer offen, die Reihen der Menschen bleiben immer offen, sie verschwinden zu gehöriger Zeit, zu der es sich eben gehört, zu verschwinden, weil einen keiner mehr anschaut als Frau, ich meine, wie immer, das Gegenteil: weil einen keiner mehr als Frau anschaut, präziser: einem ansieht, daß man überhaupt eine Frau ist, jedenfalls nicht in meinem Alter, keine Frau in meinem Alter sieht man noch als Frau an, das ist nur ein Beispiel, das aber schon oft gebraucht wurde, nein, ich geniere mich nicht, ich wiederhole ja Wichtiges; sie sind nie fest geschlossen, die Reihen der Menschen, das ist vielleicht besser als: offen, jedenfalls nicht so, wie die KPÖ sich das vorgestellt hat, nein, das waren die anderen, die Gegner, die Feinde, wie man sie nannte, obwohl es die damals schon nicht mehr gab, die sind das, seine Feinde erkennt man immer, wie gut, daß man sie einmal kennengelernt hat, gestatten: Feind!, die wollten die Reihen fest schließen, SA marschiert, Waffen-SS marschiert auch, aber jetzt nicht mehr, niemand, jetzt marschiert keiner mehr, diese Straße ist nicht mehr fürs Marschieren geeignet, aber man könnte schon, wenn man wollte. Da fährt die Straßenbahn durch, nicht die Eisenbahn drüber, wo soll man da denn marschieren? Das war früher. Jetzt wird nirgends mehr marschiert, die Orte dafür werden immer weniger, die Reihen bleiben also immer offen – und zwar offen für die Einfügung einer weiteren Stufe, bloß ein Sättigungspunkt wird niemals erreicht. Die Leute hier, die alle garantiert satt sind, das weiß ich einfach, ich sehe es ihnen doch an!, doch die werden aber nicht satt. Sie sind es bereits, sie sind längst satt, werden es aber nicht. Ihnen ist der Tisch jederzeit bereitet und das Essen zubereitet. Die Formvarianten der Kleider, die Sie hier bekommen, sind so vielfältig, daß sie sie nicht alle kaufen können, aber die meisten davon kaufen wollen. Sie wollen die Gegensatzpaare, sie wollen das Weite und das Enge, jedes zu seiner Zeit, das Kurze und das Lange, jedes zu seiner Zeit, den High Heel und den Männerschuh zu den japanischen Hosen und Röcken, jedes zu seiner Zeit, wie ich zum Beispiel sie trage, das eröffnet wieder eine ganz neue Welt, aber nicht Ihnen, nein, das ist meine! Sie wollen alles, anstatt daß Sie sich auf weniges konzentrieren und Ihrerseits Varianten dazu erfinden, ich zähle es hier auf, was es alles geben könnte, nein, das tu ich nicht, es geht nicht, ich habe schon viel zuviel gesagt, und alles, was hier ist, ist auch viel zuviel!, ich kann die Formvarianten, die möglich sind, auf keine Weise organisieren, Organisation ist meine schwächste Seite, das haben meine Häscher sicher auch schon festgestellt, als sie zur endgültigen Ordnung schritten, und die heißt Tod, der wieder Auflösung bringt, ach, es ist ein Kreuz! Ich stelle vor. Ich stelle nicht vor. Ich stelle mich vor Sie hin und schreie, ich stelle was dar, aber nur für mich, ich stelle mich vor, aber immer! Was ich auch tue, das machen andre besser. Und gewiß sind die, die sich im Theater hier vorstellen und dort etwas vorstellen oder gar eine Vorstellung geben, sehr viel besser, als ich je sein könnte. Und am Ende sind die Zusatzoppositionen, die ich Ihnen für die Kleidung bieten könnte, es fallen mir eh nur wenige ein, aber trotzdem, am Ende sind diese Zusatzoppositionen innerhalb ihrer Ausprägungen doch wieder recht ansprechend ausgefallen, bloß lösen sie sich auf, sie fallen aus, sie lösen sich zusehends auf, es hört keiner zu, was man hier auf dem Theater mit einem Stück Stoff oder einem Stück Mensch oder mehreren Menschen alles machen kann, alles, was man überhaupt aus einem Stoff machen kann, wird auch gemacht werden, alles, was man sich vorstellen kann, ist mit Stoff und Leder und Pelz schon gemacht worden, alles gibt es, alles gibt es! Wie soll man da noch Theaterstücke schreiben, wo es doch alles gibt und alles auch noch zur gleichen Zeit, ich werde wahnsinnig, alle Oppositionen und auch die Zusatzoppositionen, die ich im Talon bereithalte, werden zersetzt, sie werden gründlich zersetzt innerhalb der Termini, die mir dazu einfallen, leider nicht viele oder zuviele, sie werden zersetzt, von mir selbst. Aber da kann ich nicht ich gewesen sein, kann nicht ganz bei mir gewesen sein. Die Oppositionen werden akkumulativ, das heißt, daß die KPÖ zuviele Oppositionen hatte, um überhaupt noch existieren zu können, sie wurde faktisch erdrückt, folgerichtig gab es sie gar nicht mehr, auch als es sie noch gab; und wenn sie ein echtes süßes Chanel-Teilchen nicht erkennt, dann darf es sie auch nicht geben, was wollte ich sagen, also all die Termini, die mir aber gar nicht erst einfallen, obwohl ich schon Tonnen von ihnen gelesen und gelernt habe, sind nicht Stufen, sondern sie führen nur zu weiteren Modalitäten, zu Aussagekräften, stärker als wir selbst, bloß zerren sie in unterschiedliche Richtungen; sie sagen uns aus, ja, sie uns!, diese Modalitäten sagen und saugen uns aus, sie kommen nie dazu, auch nur in irgendein Verhältnis miteinander zu treten, und da spreche ich noch gar nicht von arm/reich, dick/dünn etc., obwohl das für Kleidung die wichtigsten Kriterien überhaupt sind. Daran wird hauptsächlich gemessen, wie man ausschaut! Die Verhältnisse stehen in einem antinomischen, nein, in einem anatomischen Verhältnis zueinander, ein Verhältnis zum nächsten zum nächsten. Ja, die Verhältnisse gehen auch selber Verhältnisse ein. Das können sie, wenn ihnen die Verhältnisse nicht gefallen, in denen sie sich befinden. Die Anatomie entscheidet, rein der Mensch allein entscheidet, das ist das einzige Gebiet, wo nur der Mensch zuständig ist, also ich nicht. Er weiß, was ihm steht, er weiß nicht, was er kann, aber er weiß, was ihm paßt, und weiß er es nicht, muß man es ihm sagen. Will man ihm sagen, was er können soll, reagiert er unwillig, das ist, als schüttete man etwas Feuchtes über ihm aus, etwas Ekliges, das dann an ihm runterrinnt, aber was ihm steht, das weiß er selber, und weiß er es nicht, glaubt er es der Verkäuferin, was bleibt ihm übrig. Was bleibt dem Menschen übrig? Und wieso bin ich es, die übriggeblieben ist? Ich möchte noch schnell was bei Jil Sander einkaufen, die Raf Simons heißt, noch!, grade so eben noch!, aber schon wenn Sie dies sehen, wieder ganz sie selbst geworden sein wird, sie wird wieder ganz sie geworden sein, oder hab ich mich im Jahr geirrt?, aber da die Mode immer ihren Schatten in die Zukunft wirft, oft ein Jahr und mehr voraus in die Zukunft, wer weiß, ob wir da überhaupt noch leben, sehe ich noch die nächste Winterkollektion von Raf Simons und kaufe schnell, denn wer sagt mir denn, daß ich im Winter noch lebe, ich kaufe sie also, obwohl sie noch gar nicht im Geschäft ist, jetzt ist erst mal die Sommerkollektion dran, ja, jetzt, nein, nicht, wenn Sie dies sehen, da ist der Sommer vorbei, die Winterkollektion hängt im Geschäft, das Jil Sander heißt, es aber nicht ist, ich sagte es schon hundertmal, und Sie glauben es noch immer nicht!, nein, diesmal noch nicht, diesmal ist noch nicht nächstes Jahr, ich überhole mich, werde ein Jahr jünger, nein, natürlich älter, und zwar in einem einzigen Monat, und schaue unwillkürlich nach, ob ich überhaupt noch lebe, ich schaue, überzeugt von meinen inneren Gaben, ob auch für diese noch Platz sein könnte, ob ich eine kleine innere Gabe, eine Fähigkeit, eine Fertigkeit, irgendwas, das ich verfertigt habe (nichts, denn ich habe noch nie etwas verfertigt, nein, halt, ich habe Hosen für meine Plüschtiere gestrickt! Dabei hat man mir geholfen, bei den komplizierteren Stellen, aber das meiste habe doch ich getan, was habe ich getan?!), in diese Auslage legen dürfte, bitte, nein, hier liegt nur, was der Mann verfertigt hat, der Jil Sander heißt, es aber nicht ist. Genau wie die Wirtschaft, und dies gehört ja alles dazu, da gehört schon was dazu, einiges!, davon lebt, daß immer etwas drinnen ist, das nicht das ist, was es zu sein behauptet. Das Wachstum wächst nicht mehr, obwohl soviel da ist, daß es gar nicht mehr wachsen müßte, wir haben kein Maß für unseren wirtschaftlichen Wohlstand, wo bin ich, wo bin ich?, was rede ich da?, ich habe schon ein Maß, und ich habe ein Maßband dazu, und das sagt mir nichts Gutes, jedenfalls nicht über mich, ich habe ein Maß, aber es ist kein allgemeines, obwohl es allgemein gebräuchlich ist, denn es mißt den Menschen, doch ihr Wohlstand kann gar nicht gemessen werden. Er kann jedoch der Kleidung abgeschaut werden, der sieht man es an. Wenn ich nach dieser Straße gehe, ich meine, wenn ich dieser Straße nachgehe, nein, wenn ich sie einfach entlanggehe, wenn ich gehe und schaue, dann sehe ich, daß es kein Maß gibt. Das Maß müßte mit wirtschaftlicher Tätigkeit identisch sein, aber ich sehe hier niemanden wirtschaftlich etwas tun, das passiert wahrscheinlich woanders, hinter den Fassaden, hinter den Kulissen, hier, in diesem Fall, vor den Kulissen, egal, eine Ausnahme!, was wollte ich sagen: Und so gibt es kein Maß, es gibt kein Maß, an das wir uns halten könnten, um tätig zu sein. Greifen wir auf Sozialindikatoren zurück, um das Maß zu messen und nötigenfalls zu verändern, damit es ein andres Maß werden kann? Nein, wir greifen nicht auf Sozialindikatoren zurück, obwohl hier viele im außerordentlich übersichtlichen Dickicht der Straße herumliegen, die wir dafür verwenden könnten. Wie können wir das Wohlbefinden messen? Na, meins könnten Sie daran messen, wie mir diese flachen Schuhe mit der dicken weichen Sohle, nein, nicht wie die sich befinden, das ist mir wurst, sondern wie ich mich in ihnen befinde, und das ist ja auch egal, Ihnen jedenfalls, nein, wie ich darin aussehe, nur das zählt. Und wenn sie zu klein sind, weil die größeren zu groß zwar nicht wären, zu groß aber aussehen würden, dann müßte ich einen Sturzbach Wasser hineinschütten oder irgendwas andres reinspritzen und sie sofort anziehen, dann passen sie irgendwann, wenn man nasse Füße so lang aushält, dann passen sie sicher, lieber das Kleine dehnen, als das Passende zu groß aussehen lassen! Ach Gott, ich habe zu große Füße, ein Unglück ist das, aber es gibt auch da Schlimmeres: zu kleine Schuhe. Wo sind diese Indikatoren? Aha, da sind sie ja, Gesundheit drückt sich durch Sterbeziffern aus (anstelle von Ausgaben für Ärzte und Krankenhäuser, beide sind weit, so weit, die Krankenhäuser jedenfalls, die Ärzte nicht, da sind sie ja, da sind sie ja, Schönheitschirurgen drunter, soviel Schönheit, wie die erzeugen, haben Sie noch nie gesehen und hat hier auch nicht Platz, weil die Menschen, die dieser Kunst teilhaftig werden, sich danach sofort wieder verteilen, über die ganze Stadt, sie bleiben nicht in dieser Straße, die meisten bleiben nicht, was bleibt?, niemand bleibt, aber die meisten kommen immer wieder zurück, weil sie ihre neugewonnene teure Schönheit irgendwie auch wieder verkleiden müssen, damit man sie entweder nicht mehr sieht, was schade wäre, oder zur Geltung bringen kann, was wieder Geld kostet, es kostet alles, es kostet uns alle was, es kostet uns alles was), was haben wir noch, was haben wir noch für Indikatoren für Wohlstand, komisch, daß sowas immer am Fehlen von etwas gemessen wird, am schlimmsten Fall, Gesundheit wird am Tod gemessen, Schönheit an Häßlichkeit, Zufriedenheit und Sicherheit werden an deren Kehrwert gemessen, an Selbstmord- und Unfallziffern, ja, da kann man das ablesen, nicht an Sicherheitsvorkehrungen, die faktisch nicht zu messen sind, wo war ich? Aber die Luftqualität wird nicht gemessen an den Menschen, die röchelnd und blau im Gesicht, sich an die Kehle greifend, zu Boden fallen, wir haben kein Maß, das ist es, wir können die Luftverschmutzung nur an der Reiheit der Villen in Grünwald abschätzen, die wieder abschätzig auf uns herniederblicken, oder, Moment, jetzt muß ich fragen, wo die Leute wohnen, die hier einkaufen können, ich kenne mich in dieser Stadt nicht so gut aus, und an vielen Stellen bin ich überhaupt noch nie gewesen, Bogenhausen, da bin ich schon gewesen, da hab ich sogar mal zeitweise (nach meiner Zeitrechnung, nicht nach Christus, dem wäre das gar nicht recht gewesen) gewohnt, ja, dorthin tragen die Frauen ihre Kleider, und ich werde niemals ein Raf- Simons-Kleid, keinen Mantel von ihm, keine Jacke, keine Schuhe von ihm tragen, obwohl ich gerne würde, weil ich mich nicht in das Geschäft hineintraue. Ich komme nicht über die Schwelle, ich leide unter größter Schwellenangst. Andre eilen an mir vorbei, trampeln über mich hinweg und schaffen dort im Laden dann ordentlich herum, sie denken sich nichts, sie sind, sie sind einfach, auch wenn sie nicht ganz einfach sind, sie stürmen daher, selbst durchtost von den herzlichsten Gefühlen für diese wunderbaren Stücke, die man hier findet, sie stürmen also durch das Geschäft und tyrannisieren alle gemeinsam, nein, jede für sich die Verkäuferinnen, die wiederum sie tyrannisieren, indem sie ihnen immer zu kleine Größen bringen und ihnen gut zureden wie Kleinkindern, das doch zu akzeptieren, daß ihre Größe der Größe dieser Kleider niemals entsprechen könnte, nein, so ist es nicht, das ist keine anständige dichterische Sprache, die ich hier spreche, das liegt daran, daß ich über diese Sachen nicht ordentlich nachdenke und auch leider nicht ganz dicht bin, daß ich überhaupt nie nachdenke, das Denken ist meine Sache nicht, und meine Sachen sind sowieso inzwischen alle von der Obrigkeit fotografiert worden, kein Denken dabei, nicht nötig, nein, halt, das stimmt ja auch nicht, weil ich über nichts andres so nachdenke wie über Mode, ihr gilt mein ganzes Denken, nur die Mode ist ein Erfordernis für mich, nur sie kommt in Betracht, ich bin eine ältere Frau, nein, schon eine alte Frau, und nichts als Mode habe ich im Kopf, schrecklich, bitte widersprechen Sie mir, damit auch ich endlich wieder weitersprechen, wenn auch noch nicht zum Ende kommen kann, mit diesem Thema bin ich noch nicht durch, ich hätte noch viel mehr zu sagen, wenn Sie mich nur ließen!, Sie sehen es ja, daß ich rede und rede und nicht denke, das hören Sie, aber das ist so ähnlich wie mit der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, der realistischen Schätzung des Nationalprodukts, dem Maß für wirtschaftlichen Wohlstand, den man, wie gesagt, nicht messen kann, obwohl man das Maß ja hat. Ich habe auch mein Maß, ja, genau!, und manchmal nehme ich etwas heraus aus dem Maß und halte das schon für maßlos, ich habe meine Zeitlichkeit gemessen, bin brav immer zu früh gekommen, nein, nicht dorthin, wohin Sie glauben, ich habe den Raum an sich in Bezug auf meine Wahrheit gesetzt und mich entschlossen, diesen Raum nicht mehr aufzusuchen und lieber zu lügen, zu tun, als wäre ich dort gewesen und auch noch zur rechten Zeit, was nicht rechtzeitig bedeutet. Hier soll nie vom Nichts die Rede sein, sondern immer vom Etwas, das sich gegen das Nichts sträubt, während ich mir das Maßband anlege, was mir nichts nützt, da ich mich ja schon zum Tod hin auflöse. Ich weiß einfach, was mir paßt, doch es ist das, was mir früher schon nicht gepaßt hat, jetzt aber schon gar nicht mehr, wozu das alles?, ich vollziehe doch schon den Marsch in den Tod, bin schon gestartet, aber auch dabei will man noch gut aussehen, oder? Doch ich kann zu diesem hell durchsichtigen Mantel von Raf Simons nicht gelangen, und er kann nicht zu mir gelangen. Ich wollte, er streckte wenigstens die Ärmel nach mir aus, von sich aus, von mir aus sowieso, hier ist er ja, ich kann ihn sehen, er hängt direkt vor dem Schaufenster, aber nicht einmal vor das Schaufenster wage ich mich wirklich, man könnte mich ja von drinnen sehen, man könnte mich beobachten, man könnte mich verspotten, weil ich so oft schaue, aber nie reinkomme. Die lachen sich dort drinnen kaputt über mich! So außergewöhnliche Beute vor Augen und wagt sich nicht hinein! Am besten man windowshoppt am Sonntag, da ist keiner drinnen im Laden, der einen sehen könnte, nur die wunderbaren Waren sind da, sie sind heute ganz allein, wie gern leistete ich ihnen Gesellschaft, an diesem Tag können sie sich gegen uns nicht wehren, wir können ihnen aber auch nichts anhaben, wir können sie frühestens nächste Woche anhaben. Wir können sie nicht wie Jagdtrophäen anlegen, wo sie sich doch nicht wehren können! Wir können ihnen am Sonn- und Feiertag, wenn das Geschäft nicht geöffnet ist, nicht antun, sie mit unseren häßlichen Körpern zu verunstalten, wir können ihnen nichts tun. Na ja, meine Gestalt ist vom Alter noch nicht allzu sehr verunstaltet, nur ein bißchen, nur altersgemäß, steht in diesem medizinischen Befund, aber ich kann da in den Laden nicht reingehen, man müßte mich wie ein Pferd an einem Halfter über die Schwelle zerren, und so wollte ich schon gar nicht hinein. Ja. Sonntag. Ich stehe und schaue, man sieht nicht sehr viel, weil die ja für ihre Schaufensterpuppen, wahrscheinlich damit man ihnen nichts abschaut, den Puppen, die auch wunderbare, einmalige Sachen anhaben, die es, wenn man Glück hat, auch in verschiedenen Größen gibt, die also einen Hintergrund benötigen, und so ist der größte Teil des Fensters mit einem Hintergrund versehen, einer Art Blende, die gar nicht nötig wäre, denn ich bin ja schon geblendet!, daher führt mein Versehgang, nein, auch nicht versehentlich kann ich hinein, was auch meinen Wünschen entspricht, nein, doch nicht, wär schön, wenn ich als einzige hineindürfte, keine Verkäuferin wäre da, Selbstbedienung, der Tod bedient sich schließlich auch an uns, warum sollten wir uns nicht wenigstens bei der Umhüllung selber bedienen dürfen?, doch das Geschäft ist zugesperrt, bei Eintritt wird alarmiert, so führt mich kein Gang dort hinein, auch keiner, bei dem ich mich selbst mit Kleiderproviant versehen könnte, denn unversehens würde ich da nie hineinkommen, es wäre kein Versehen, es wäre im Gegenteil ein furchtbarer Willensakt, einer, der zu groß für meinen Körper ist, mit Sicherheit ist, mich dort über die Schwelle zu schleppen, wenn es kein andrer tut, und dann muß ich ja die Tür auch noch aufmachen. Das geht nicht, selbst wenn sie offen ist. Was, teilnehmen soll ich, ich Unglückselige?, an meinem eigenen Versehensgang teilnehmen? Wo ich doch sein Ziel bin! Das kann nur ein Versehen sein. Das ist ein Akt, der große Kraft und größere Willenskraft erfordert, als ich habe. Ich kann dort einfach nicht hinein. Dabei wäre es so einfach! Ich habe solche Sehnsucht nach diesen Dingen dort drinnen, aber ich bin unfähig, sie mir zu verschaffen, damit ich ein schönerer Mensch werde, denn davon bin ich fest überzeugt, daß sogar eine alte Frau wie ich ein schönerer Mensch würde unter diesem Regenmantel und auf, nein, in diesen Schuhen, die einen erheben und die Beine länger aussehen lassen, das ist gut, wer will das nicht, ich will das ganz besonders, meine Beine können jeden Zentimeter Extralänge gut vertragen, im Gegenteil, sie schrieen danach, wüßten sie, daß man sie so einfach verlängern kann, durch eine Plateausohle, durch eine weiche, biegsame, flache, wenn auch hohe, ich meine dicke Plateausohle, nein, biegsam ist die nicht, da kenn ich mich aus. Mir sind im Sommer ein Paar Plateausandalen an den Füßen einfach zerbrochen. Sie sind mir in Stücken von den Füßen gefallen. In meinen Stücken ist das noch nie passiert. Dennoch will ich diese Schuhe als Beute erjagen. Jeder, der mir diese Schuhe bringt, bekommt von mir eine kleine Prämie, jeder, der sie mir herausbringt, die Trophäe, jung und ganz neu wie zwei Kälbchen, je eins für jeden Fuß, dem runde ich den Betrag, den die Schuhe kosten, ordentlich auf, aber schon so! Alles ordentlich, mein Lieblingswort, und trotzdem immer und überall passend wie diese Schuhe vielleicht nicht, denn nehme ich sie in Größe vierzig, dann passen sie nicht, nehme ich sie in 41, dann passen sie zwar, schauen aber zu groß aus, wie diese Dinger, mit denen man den Asphalt zu einer flotten graden Linie, Blödsinn, zu einer glatten, ebenen Fläche preßt, über die die Jägersleute in ihren Autos rasen können, ohne daß sie zu hüpfen beginnen wie die Mänaden im Wald. So. Ich gehe hier nicht weg. Ich mache mir Begriffe von diesen Dingen, anstatt daß ich mir die Dinge selber nehme. Diese Begriffe machen mich sprachlos. Je mehr Begriffe desto sprachloser. Ich kann nichts beschreiben, was ich hier sehe, weiß aber, daß für diese moderne Kleidung, die aber nur kurz modern sein wird, die eigentlich schon verfallen ist, wenn sie in den Laden kommt, der Begriff Paßfähigkeit, nein, Paßform, also die Ausstellung des Passes, nein, falsch, die Ausstellung der Paßform nach einer Abmagerungskur, die nicht lang wirken und währen wird, egal, daß dieser Begriff nicht mehr paßt, der noch vor fünfzig Jahren irgendwie gepaßt hat, aber damals schon nicht mehr richtig. Der Begriff Paßform paßt auf keine Form mehr und in keine. Ob etwas paßt, ist völlig gleichgültig. Es tritt einer auf und kennzeichnet unser Zeitalter, das dann für sich selbst spricht, aber erst, wenn es den Einsatz bekommen haben wird, das kann dauern, ja, sogar der Zeit selbst muß alles angesagt werden, der Ansager spricht es ihr aus seinem hohlen Mund heraus vor, dann darf die Zeit sprechen und dann wir. Wir sprechen es nach und sind in unserer Sprache vollkommen allein, isoliert, schallisoliert, wir sind in uns eingeschlossen, man hört uns nicht mehr, weil es keine Ausdrücke gibt, keine Worte, keine Sprache für diese Dinge, zu denen ich persönlich ja schon immer einen nichtsprachlichen Ausgang, ich meine Zugang gelegt, gewählt hatte. Was für eine Erlösung, nicht sprechen zu müssen und freigesprochen zu sein, da es gar keine Sprache dafür gibt! Eine Erlösung! Es gibt keine Sprache mehr für etwas, endlich! Einmal über etwas nicht sprechen zu müssen, das meine ich! Nicht weil ich es nicht kann, sondern weil niemand es kann. Obwohl, über etwas nicht zu sprechen, von dem man nicht sprechen kann, das ist kein Verdienst, und meinen Verdienst will ich ja in noch mehr wunderbare Teile investieren. Wenn schon mein Sein zum Tode hineilt und in dieser Eigentlichkeit das Selbst des Daseins zu übernehmen verpflichtet ist, dann soll dieser Vollzug, nein, dieser Anzug, dieses Kostüm, dieses Was-Es-Halt-Ist, das ich mir ausgesucht habe, auch wirklich notwendig sein (obwohl ich nichts davon brauche, ich habe ja alles! Ich habe sogar zuviel davon, aber ich habe nie genug davon! Und ich habe auf alle Fälle immer schon etwas ähnliches wie das, was ich mir kaufen möchte, aber das ist mir ganz egal), im Umkreis der Aufgabe der Grundsteinlegung wirklich nötig sein, Entschuldigung, der Grundlegung der Frage nach meinem wirklichen Sein, das unter Tonnen von Stoff begraben ist, damit man es nicht sieht, die wäre wirklich dringend nötig, es zu verbergen, jetzt, da ich bald sterben werde, aber keine Spur davon, der Tod findet einen immer. Ich frage nicht. Frage nicht! Nicht einmal ich selbst möchte das sehen. Was sehen? Diese Teile, die eben: Teile sind, die sich nicht zusammensetzen lassen, obwohl ich sie dauernd phantasievoll zusammenstelle, für wen?, für was?, für nichts, die verstellen mein Sein, aber ich sehe das nicht als Verstellung. Ich meine, ich verstelle mich selbst, tu so, als könnte ich leben – aber vor wem?, ich sehe ja niemanden! – und diese Fetzen wie selbstverständlich herumtragen, aber nein. Diese schönen Kleider machen mich sprachlos, obwohl ich stundenlang über sie sprechen könnte und das auch tue, Sie hören es ja selbst. Ich habe eine Sprache für sie erfunden, und daher versteht sie außer mir keiner. Es ist auch nicht die Sprache der Modezeitschriften, die ich schon verstehe, ich verstehe die Sprache der Vogue schon irgendwie, obwohl sie Italienisch ist, mit irgendeinem Sinnesorgan, das mit Sprache nichts zu tun hat, aber Sprache doch verdauen kann, notfalls, wie ein Asiate, der keine Milch verträgt, sie auch irgendwie runter- und wieder rausbringt, wenn auch vielleicht zu schnell, was wollte ich sagen, ich habe eine Sprache, leugnen Sie es nicht!, können Sie auch gar nicht!, es ist meine, und nur sie paßt auf diese wunderbaren Stücke (Teile sagen die Menschen, die niemals teilen würden, aber es sind keine Teile, das ist ein Wort, das ich ganz besonders hasse und gegen seinen Willen verwende, denn es haßt mich auch). Sie können doch nicht Teil zu diesem herrlichen Regenmantel von Raf Simons sagen!, nein, zu diesem lustigen Kapuzenpulli auch nicht, der den 50er Jahren nachempfunden ist und den Kopf quasi an den Hals annäht, zusätzlich, denn dort ist er ja schon angewachsen, doch jetzt hält er doppelt, er ist einer vergangenen Zeit nachempfunden, weil immer irgendwas irgendwas anderem nachempfunden ist, sonst würde man es nicht erkennen, nur keine Sorge, Originalgefühle sind ja längst nicht mehr erhältlich, Sie müssen nie etwas empfunden haben, um nachempfinden zu können!, nur keine Sorge, es verlangt niemand Empfindungen von Ihnen, Sie müssen auch nicht sehen, daß dieser Kapuzenpulli und die Keilhose (endlich gibt es sie wieder! Ich habe meine alten aufgehoben und von einer Sammlerin sogar welche dazugekauft, weil diese Keilhosen einfach großartig sind und jeder Figur schmeicheln, vor allem einer, die es nötig hat, auch wenn sie das gar nicht weiß; das sind Schmeicheleien, auf die Sie hören sollten! Tun Sie eh, ich weiß, am liebsten hören auch Sie, wie jeder Mensch, auf Schmeicheleien), also hören Sie zu, was diese Hose in dieser Form und keiner anderen Ihnen zu sagen hat, denn in einer andren Form würde sie zu Ihnen sagen, daß sie unerträglich um den Bauch und die Hüften spannen, die beiden, am Arsch sowieso, wo haben Sie dieses Waffengerät Arsch denn gekauft?, und vor allem: warum? Bei einem Waffenschmied?, überflüssiges Jagdgerät das, denn er wird Sie trotzdem ficken, er braucht Ihren Arsch ja nicht anzuschauen, dort geht es rein und wieder raus und aus. Diese Spannung – unerträglich!, das schaut ja entsetzlich aus, jeder fällt tot um, sofort, wenn er das sieht, aber diese Keilhose ist eine Schmeichlerin, ein weiches Tier, ja, genau, ungefähr so wie ein Fell, ein zarthaariges Haupt, eine Kalbsmähne, so ungefähr, der Dichter sagt es vor, ich sage es auch, aber danach, später, hinterher. Schön. Sie schmeichelt Ihnen, genau wie der Pulli, Sie können beiden ruhig zuhören. Es wird Ihnen nichts sagen, denn die sind stumm, die sprechen nicht, aber schmeicheln, das können sie, sich anschmiegen, ich sage es noch einmal: Was? Teilnehmen soll ich? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Ich? Wenn Sie ein Gespräch wollen, halten Sie sich an mich, ich erkläre es Ihnen, auch wenn es nicht ernst sein wird! Diese Hose oder keine! Gut, dann also keine, denn in meiner Größe gibt es sie leider nicht. Habe ich nicht vorhin gesagt, daß die Paßform unwichtig geworden ist? Ja. Und dazu muß ich jetzt natürlich stehen. Aber rein muß man trotzdem. Was tun, wenn ich nicht reinkomme? Das sage ich nicht. Doch wenn man irgendwo nicht reinkommt, dann bekommt der Begriff Paßform vielleicht eine ganz neue Bedeutung, da der Körper diesem Kleidungsstück ja nicht wirklich paßt. Wenn man steht, sieht man größer aus. Wenn man sitzt, sieht man die Schwachstellen erst recht. Also stehen oder sitzen Sie nicht! Was Sie sonst machen, geht nur Sie und Ihre Kleidung was an. Ich weiß nicht, was ich Ihnen wirklich empfehlen kann: stehen oder sitzen. Fragen Sie doch die Hose! Die wird Ihnen auch nichts sagen. Und auch ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ich eile und kaufe mir noch was, bevor sie wieder sie geworden sein wird, Jil Sander, bevor das Schild über dem Schaufenster wahr geworden sein wird, bevor noch jemand, der Sie in dieser Hose sieht, noch sagen wird: Das kann doch nicht wahr sein!, bevor sie in ihren Namen hineingefallen sein wird, die Frau Jil Sander, die wirklich so heißt und auch so aussieht, in deren Sachen ich so gern begraben sein würde, noch ist es allerdings nicht soweit, leider, bitte warten Sie, Frau Sander, aber ich würde im Tod nicht mehr gut aussehen, und vielleicht wollen Sie ja nicht, daß ich im Sarg Ihre Sachen trage, ich bin keine dreißig mehr, und wenn ich tot bin, bin ich wahrscheinlich noch älter als jetzt, wissen kann man es nicht. Ich werde dann nicht besonders gut aussehen, so wie ich im Leben nicht so wahnsinnig gut ausgesehen habe, nicht so gut jedenfalls, wie ich gewollt hätte, leider ist das keine Willenssache!, man sagt es mir oft genug, daß ich furchtbar aussehe, all die Poster in den lieben Zeitungen schreien mich an, wie furchtbar ich aussehe, eine alte Frau, also nein!, weg da!, das halt ich nicht aus, und die Frisur: also nein!, das Make-up: also nein! Dieses T-Shirt: also nein! Nicht wirklich!, ist das Ihr Ernst?, weg von der Straße!, aber ich muß mir jetzt etwas kaufen, bei Raf Simons etwas kaufen, bevor dieser Name, sein vorübergehender Name, denn auch Namen gehen vorüber, und nicht nur im Tod, sie gehen vorüber wie bedeutende Menschen, die man nicht rechtzeitig erkennt, es geht alles vorüber, aber in der Mode werden manchen sogar ihre Namen noch entrissen, aua!, bevor also dieser Name dieser Frau, von der ich mir kein Paar Strümpfe kaufen könnte, sie macht nämlich keine, wieder auf sie zurückgefallen sein wird, was ich nicht sehen möchte, bevor sie wieder ganz sie selber sein und ihre schönen Kostümchen und Mäntelchen und Jäckchen gemacht haben wird, aus erstklassigem Material, selbstverständlich, das ist die Hauptsache, das Material, aber es versteht sich nicht einmal selbst, erstklassig!, daß es Klasse hat, das verlangt die strategische Stellung der Mode, daß hier alles erstklassig ist, bevor sie das alles machen kann, schaue ich bei dem vorbei, der jetzt noch ihren Namen trägt. Bald trägt er einen anderen und ist in einem Geschäft erhältlich, in das ich schon gar nicht hineingehen werde. Dior. Nein, das ist nichts für mich, auch wenn es von jemand anderem ist, für jemand anderen. Woanders nicht, aber hier schon. Keine Ahnung, was ich damit meine. Hier ist auf jeden Fall die Erste Klasse des Lebens, und da muß man dann immer soviel lernen, was man nicht tut, was man trägt, was man zu ertragen hat, das erfährt man aber nicht, man bleibt sozusagen in der Erstklassigkeit stecken, die meine Mama auch immer für mich vorgesehen hatte, doch dort kommt man nie wieder raus, wenn man mal drinnen ist. Das muß man aushalten. Ja, auch aus dieser Hose, aus der kommt man auch nur schwer wieder raus. Wie im Alter. Da kommt man schon gar nicht mehr raus. Ich bin schon älter. Nein, ich bin alt. Wenn ich sage, ich bin alt, dann bin ich es. Wenn ich sage, ich bin schon älter, dann heißt das nicht, daß ich älter als alt bin, sondern, im Gegenteil, daß ich noch jünger bin als alt, noch nicht ganz alt. Hoffentlich! Die Zeit läuft jetzt rückwärts, endlich auf mich zu, vielen Dank!, der modische Zug kommt von hinten, manche springen auf, einige ab, der Zug kommt und fährt weiter, die Merkmalszüge fahren auch weiter, es entsteht eine analytische Einheit, im Erfahren eine Einheit, obwohl so vieles so rasch vorbei ist, manches nimmt man gar nicht wahr, manches dauert nicht einmal eine Saison, die Saison selbst dauert ja nicht mal mehr eine Saison, oder doch?, habe ich falsch gerechnet?, denn wenn der Winter schon im Juli beginnt und im Jänner endet, dann ist die Saison deswegen doch nicht kürzer, oder? Das alles erfahren wir sozusagen im Vorüberrasen, vielleicht ist jetzt schon ein Jahr später, und wir wissen es nicht, sogar Sie werden schon gehört haben, daß die Zeit so schnell dahinrast!, so, und das Besteck schmeißen Sie einfach aus den Fenstern des Zuges, es ist der Zug der Zeit!, haben Sie das gesehn? Und irgendwer wird es schon aufheben, nein, halt!, ich fange es auf, ich brauche es, sonst könnte ich die Masse der Aussagen der Modezeitschriften gar nicht mehr bewältigen, denn es gibt eine Einheit der Gattung wie es eine Einheit der Varianten gibt, was soll das? Ich brauche einen methodisch geregelten Überblick, den mir ein fahrender Zug der Zeit kaum bieten wird, er wird mir keine Zeit dafür lassen, er entscheidet das, er ist ja die Zeit! Er wird mir vielleicht einen Raum eröffnen, indem er brutal in ihn hineinfährt, aber keine Zeit dafür lassen, nein, ich meine nicht, er wird mir dafür keine Zeit lassen, nicht dafür, sondern dafür im Sinne von statt dessen, dafür was andres, ich habe das, dafür geben Sie mir jetzt was anderes, und zwar schnell! Gut. Der Zug der Zeit ist inzwischen (auch über das Inzwischen kann er ja bestimmen) mit vestimentärer Substanz gesättigt, das ist schön, das ist schön. Überhaupt sollen alle satt werden, das will ich! Nicht der Sinn kommt in die Welt, sondern die Welt geht in den Sinn ein, weil er das einzig Reale ist, und es macht Sinn für ihn, als Mode aufzutauchen. Als Mode in der Welt zu sein, und zwar genau hier, in dieser Straße, es gibt keine andre, die das leistet, und keine andre, wo Sie sich das leisten, was Sie sich nicht leisten können. Er könnte auch in andrer Form auftauchen, der Sinn, ich sage nicht, welcher. Aber ich finde es am besten, wenn der Sinn von alldem in Gestalt von Mode auftritt, das ist eine Sprache, in der ich mich orientieren kann, so unversehens rausgeworfen aus dem Zug der Zeit und für diesen Versehgang bereits vorab angemeldet. Der Geistliche macht schon Überstunden. Das Geistige macht gar nichts. Macht ja nichts. Und keine Möglichkeit, wieder auf den Zug aufzuspringen, der ist jetzt weg. Wer draußen ist, ist draußen. Ich umklammere meinen Speicher, mein Gedächtnis, was ich schon alles gesehen und woraus ich auswählen kann, das Dicke und das Dünne, das Fadenförmige und das Gemischte, manches schließt einander aus, ich schließe es absolut aus, einmal ein tief ausgeschnittenes Kleid zu tragen, obwohl ich es mir leisten könnte, glauben Sie mir, ich habe einen schönen Oberkörper, immer für mein Alter gerechnet, wie dieser Röntgenbefund aussagt, und die MRT sagt genau dasselbe!, die sind sich einig, ich bin zum Tragen dieses Oberkörpers berechtigt, zumindest als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, hat man mir das versichert, aber versichern würde man ihn nicht mehr, ich meine bei allem, was ich sage: immer mein Alter mit eingerechnet, und eigentlich ist Mode ja Rechnen. Es rechnet in ihr immer eins mit dem anderen und wird dabei oft fallengelassen. Aufgerundet oder abgerundet, wie der Körper nicht, auf den hat man, egal, was man Ihnen sagen mag, nur wenig Einfluß. Es gibt bei der Kleidung Verknüpfungen von Gattung und Variante, die generell ausgeschlossen sind, zum Beispiel summ summ summ, Bienchen summ herum, summa sumarum schließt ein fadenförmiges Element wie Spaghettiträger (würde ich niemals tragen, habe ich früher, mach ich nicht mehr, obwohl ich könnte, man kann alles, wenn man nur will, man sollte es aber nicht tun) die Variante der Form aus, weil ein Faden keine Form haben kann, nicht wahr, klar. Frau Spinne wird jetzt beleidigt sein, doch ich sage, ein Kreis kann nicht lang sein. Eine Länge kann kein Kreis sein, und so schließt sich der Kreis, ohne je einer zu sein. Was aber für alles gilt und alle, glauben Sie mir, ist, daß der Mensch dem allen erst seine Form verleiht. Wenn Sie drinnen sind, ist schon eine gewisse Form entstanden, mit der Sie aber, wetten?, nicht zufrieden sein werden. Die arme Kleidung! Was die aushalten muß, was man der an den Kopf wirft! An allem soll sie schuld sein. Auch an Ihnen selbst. Wenn das Zeugs am Boden liegt, hat es keine Form, nicht wahr, doch wenn Sie es anhaben, dann ist die Form dieses Formlosen schuld an Ihnen, an Ihrem Aussehen, das ebenfalls keinerlei Form erkennen läßt, ja, das gilt auch für Strümpfe, und wieso halten diese Halterlosen eigentlich nie, wieso rutschen die auf mir herum? Aber gehen wir fort, ohne weiterzukommen, werfen wir uns das Fortlose, das Formlose über und folgen wir uns, die wir uns in der Mode gern selbst vorausgehen. Holen wir uns ein, holen wir die Netze ein, betrachten wir den heutigen Fang, er gleicht einem wilden Tier mit seiner Mähne! Hier steht, eine Jacke kann nicht durchsichtig sein, weil sie zum Schutz dient. Das ist lang vorbei, obwohl es ja noch den Regen gibt, aber der muß nichts von uns sehen. Ich habe schon Hunderte durchsichtige Jacken gesehen, das ist gar nichts, hier ist schon eine! Sie ist ein Mantel und von Raf Simons. Wenn ich etwas möchte, dann den. Ich werde ihn aber nie bekommen, weil ich nicht in das Geschäft hineingehen kann, das würde von meiner optimalen Freiheitsmarge zuviel abziehen, ich könnte auf diese Weise niemals mit mir handeln. Ich könnte mir sagen: Wenn du dort jetzt hineingehst, und der Mantel paßt, dann kannst du dich für dein Hineingehen belohnen. Paßt er aber nicht (oder gefällt er mir, was wahrscheinlicher ist, nicht, sobald ich ihn angezogen habe, gefällt mir der Anschein, den er in den Spiegel wirft, und den der Spiegel mir natürlich sofort wieder zurückwirft, gefällt mir der nicht, und ist das Ergebnis: Was braucht so eine alte Ziege wie du so einen Mantel? Was braucht sie überhaupt noch? Wieso glaubt sie, noch etwas zu brauchen, da sie ja Kleidung hat, daß sie dreihundert Jahre alt werden könnte und hätte immer noch frische, nagelneue Sachen anzuziehen), wie kommst du dann unbekleidet wieder raus? Aber ich bin unbelehrbar, obwohl ich schon so oft belehrt worden bin. Ich möchte diesen durchsichtigen Regenmantel probieren und dann noch das, das und das. Es ist visionär weitsichtig, was dieser Mann da erschaffen hat, der heißt wie jene Frau, sie aber nicht ist, sie nicht mehr sein darf, denn sie wird ja bald wieder sie selber sein, und nein, erschaffen hat er sie auch nicht, also diese totale Einfachheit, die finde ich faszinierend. Ich finde es unglaublich, wenn jemand so einfach sein kann. Wie kann er das? Er muß viel errungen, erlitten, erlebt haben, um so einfach werden zu können, das kann nämlich nicht jeder. Ich meine damit nicht, daß raffinerierte, durchs Feuer gegangene Einfachheit die größte Kunst ist, raffiniert bedeutet ja, daß Arbeitsprozesse zur Verfeinerung durchschritten wurden, aber nein, das meine ich nicht, ich meine, daß etwas wirklich einfach ist, und das ist das Schwerste. Ein Abendkleid, das eigentlich eine Bluse und ein Rock ist. Nichts weiter. Nichts enger. Es hat immer schon Blusen und Röcke gegeben in der Geschichte der Menschheit, Blusen und Röcke, ob einfach oder nicht, lassen die Umrisse der Menschen erbeben, aber nur, wenn sie gehen, man glaubt, die Menschen erbeben, denn sie sind oder erscheinen zweigeteilt, dabei sind es nur ihre Umrisse, die sie nachzeichnen. Das Fleisch kann schon auch erbeben, gewiß, mir fallen auf Anhieb ein paar hundert Situationen ein, vom Sex bis zum Autounfall, wo es dies tut, erbeben, ja, auch Erdbeben, Entschuldigung!, aber dieses Erbeben, das von Kleidung erzeugt wird, ist ein besonderes. Die Kleidung ist Schrift, der Mensch wird durch sie umschrieben, als wagte man sich nicht an seinen lavaheißen Kern heran. Aber im Gegenteil! Ich suche Kleidung aus, die anlockt, die mich hervorhebt, nicht umschreibt, das habe ich nicht nötig, ich schreibe selbst!, Kleidung beschreibe ich, nein, beschreibe ich nicht, die kaufe ich, Kleidung, die meine Vorzüge zur Geltung bringt, und das geht nur, indem sie immer weniger wird, wie meine Vorzüge halt. Je weniger Kleidung, desto mehr Vorzüge können zur Geltung gebracht werden. Nicht an mir. Natürlich nicht bei mir. Aber bei fast allen, die welche haben und die ich hier sehe. Damit wäre ich bei Raf Simons, der jetzt noch Jil Sander heißt, es aber nicht ist, ganz falsch. Der umspielt nichts. Der spielt auch überhaupt nicht. Der macht Kleidung, und dann stellt er die Frau hinein. Das ist gut. Früher haben wir bei sehr schlanken Frauen gesagt: Jemand stellt sich unten mit ihrer Unterhose auf (damals hieß das Strumpfbandgürtel, das gibt es jetzt auch wieder, die Mode ist ja das, was es immer wieder gibt, obwohl es das immer schon gegeben hat. Ich verkneife mir wieder mal den Tigersprung, den sollen andre machen, ich bleibe hier klein-klein, ganz bei mir selbst, umspiele mich dabei aber gleichzeitig, wie ich schon sagte), da steht also einer mit der Hose, und sie springt aus dem vierten Stock hinein. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, ich weiß nicht, was soll das bedeuten. Ich weiß nicht, was das aussagt. Außer daß der Körper so schmal ist, daß er von überall überall hineinkommt, sogar von sehr weit oben. Wenn der Körper allerdings nicht mehr stimmt, kommt er nirgendwo mehr hinein, dann kann er sich den Sprung sparen, das ist gut, denn man will ihn dort eh nicht haben, und man will auch ihn selbst nicht haben. Die Schriftform der Kleidung ist die der Emphase, das sehe ich aber bei Raf Simons, der, wie schon oft gesagt, noch Jil Sander heißt, bald aber nicht mehr, wenn Sie das sehen, schon wieder nicht mehr, dann ist Jil Sander wieder ganz sie selbst, die sie all die vergangenen Jahre nicht war, als sie woanders als in sich sie selbst gewesen ist, ich glaube, in Japan, dort ist niemand er selbst, weil alle gleich ausschauen und keine Individualität besitzen, wie man mir sagt, in ganz Asien nicht!, dort hat sie gut hingepaßt, da sie nicht mehr sie selbst zu sein brauchte. Was wollte ich sagen?, die Emphase, ja, sie ist durchgängig möglich, aber sie ist nicht immer durchgängig. Sie vernebelt oft das, was gesagt werden kann, nicht allgemein, sondern über ein Kleidungsstück. Wir beschreiben jetzt ein bestimmtes System, obwohl wir schon längst keine Zeit mehr haben, denn die Zeit hat uns. Sie werden das von mir nicht gewöhnt sein, weil ich eine Frau bin und Systeme hasse und immer dagegen bin, aber ich versuche wirklich, da eine Systematik hineinzukriegen, auch wenn es nicht meine ist. Ja, tatsächlich, ich scheitere daran, hab ichs mir doch gedacht, und zwar so, wie ich auch immer an mir selbst gescheitert bin, denn, schauen Sie, schon zwischen Leicht und Schwer, beides in Bezug auf Kleidung, diesen Bezug des Menschen, den man oft, wie meine Unterhosen, zu heiß gewaschen hat, und jetzt geht er nicht mehr über den Menschen drüber, was wollte ich sagen?, ich gebe es nicht gern zu, aber ich kenne den neuesten Gebrauch des Menschen nicht. Doch für irgendwas wird man ihn schon noch verwenden können, wozu wäre er sonst da? Es ist so kompliziert, vielleicht sollte man lieber die Finger von ihm lassen? Schon zwischen so einfachen Begriffen wie Leicht und Schwer, ich sagte es schon, wie ich alles schon mehrfach gesagt habe, besteht ja ein quantitativer Gewichtsunterschied, den ich nicht stemmen kann. Das Gewicht spielt in der Kleidung aber eh keine Rolle mehr, man spricht niemals von ihm, doch es fehlt nie. Man muß es ertragen, wie man ausschaut, oder man schaut weg, oder man belügt sich. Es hat alles sein Gewicht, ich leider auch, womöglich zuviel davon, aber das ist das, wovon man nicht spricht. Man spricht von anderem. Aber man spricht. Ohne Sprechen gäbe es diese Kleidung hier, gäbe es die gesamte Mode nicht. Aber niemand spricht von ihr, weil so viele von ihr sprechen. Das verstehen Sie nicht? Ich auch nicht. Und dennoch, es gäbe sie nicht, ohne daß man sie durch Sprechen definiert, klar? Die Mode ist auf Sprache angewiesen, und jetzt? Stille. Sprechen Sie bitte mit Ihrem Sitznachbarn, Ihrer Sitznachbarin über Ihre neuesten Kleiderkäufe! Füllen Sie die Stille, falls Sie noch nicht eingeschlafen und daher, wie von Natur aus vorgesehen, sowieso still sind! Schließlich steht dieses Theater ja mittendrinnen in der Mode. Nur keine Scheu. Mode ist Sprechen! Mode ist das, wovon man nicht sprechen kann, aber sprechen muß, sonst verschwindet sie. Man kann nicht offenen Mundes und mit ausgestrecktem Finger auf etwas zeigen und glauben, das wärs schon. Man kann es probieren, aber man muß zumindest danach darüber sprechen, wie beim Sex: Man sollte nicht, aber man muß!, und dieses Sprechen ist nichts, doch ohne Sprechen ist Kleidung unmöglich. Das ist auch eine Art des Umspielens. Das Sprechen umspielt nicht den Körper, der von Kleidung umspült, ich meine umspielt wird, und wir umspielen dafür die Kleidung mit Sprechen. Also immer eine Schicht in einer anderen. Sage ich: Dieser Mantel ist schwer, was ich niemals sagen würde, sowas sagt man heute nicht mehr, so erscheint am Horizont ja sofort, wie ich schon sagte, weil es ein andrer vor mir gesagt hat, das Gegensatzpaar schwer/leicht. Und dann gibt es auch einen leichten Mantel als Gegensatz. Von Burberry, für den Frühling. Übergangsmantel – was für ein schönes Wort, nichts weiter, ich wollte es hier nur einmal gesagt haben. Aber man spricht nicht von ihnen, indem man von ihnen spricht, von diesen oft zitierten Gegensätzen, meine ich. Nein, falsch. Ich meine nicht, daß das Sprechen über diesen Mantel erst gültig wird, indem man nicht über ihn spricht, sondern man kann nicht von ihm sprechen, und daher muß man von ihm sprechen, um ihn gültig zu machen, nicht, um ihn zu entwerten, obwohl er natürlich schon entwertet ist, wenn man ihn gekauft und einmal getragen hat, dann ist er entwertet, obwohl keine Gebrauchsspuren festzustellen sind. Doch vielleicht ist er uns lieb geworden, so lieb, daß wir ihn behalten wollen? Das ist der Mensch wie sein Kleidungsstück, entwertet, trotz Liebe, nein, durch Liebe, nein, das ist nicht der Mensch, das bin ich: Auch ohne Gebrauch entwertet, bereits vor Gebrauch entwertet, bitte, man sagt mir das ja dauernd, ich hatte schließlich genügend Zeit, um entwertet zu werden, sogar von der Zeit persönlich, die hat das ganz allein gemacht, und es ist auch so: Gebrauch gar nicht nötig, sowas wie Sie brauchen wir nicht, Sie sind das einzige, na ja, es gibt schon noch andre, aber mit Ihnen sind

wir noch nicht fertig!, das einzige also, das schon vor Gebrauch entwertet ist, Sie sagen es ja selbst: Es sollte Sie nicht geben, und daher ist auch dieses Teil, dieses Kleid hier, überflüssig. Da nichts drunter ist, da Sie ein Nichts sind, wird es an Ihnen hinunterrinnen wie schmutziges Abwaschwasser, mitsamt seinen letzten Spuren von Nahrung, genau wie Sie selbst, und dann wird es, das Kleid, überhaupt keine Kleidung mehr sein, denn, wie gesagt, das Kleid wird nur Form geworden sein, durch Sie. So kann man sich daran gewöhnen, daß einem einmal das Fleisch von den Knochen faulen wird. Meiner Mama habe ich zuallerletzt das dunkelblaue Seidenkleid gegeben, nach Maß angefertigt, das sie früher zu meinen Premieren immer getragen hat. Aber wieder zu Ihnen: Da Sie nichts sind und keine nennenswerte Form mehr haben, gibt es auch dieses Teil nicht, dieses Teil ist kein Teil von uns, und, schlimmer noch in diesem Fall, es ist auch kein Teil von Ihnen! Es darf Sie gar nicht geben, wir sagen das, wir haben es schon oft gesagt, Sie müssen uns nicht zitieren, denn das wäre ja in die Vergangenheit gerichtet, Sie müssen uns nur aufrufen, und schon schreiben wir es wieder in die Foren der Zeitungen oder sonstwo, wo immer wir die Gelegenheit bekommen, und die bekommt man faktisch überall, wir schreiben es überall hinein, wir würden es auch in Rinden hineinschneiden, nein, nicht in Rinder, die brüllen!, daß Sie kein Teil von uns sind, daß Sie überflüssig sind, daß Sie nicht einmal flüssig sind, sonst könnte man Sie wenigstens trinken, nein, daß Sie (ich! Sie sagen sie zu mir! Vorhin haben Sie aber was andres zu mir gesagt!) vollkommen überflüssig sind, Ihre Kleidung ist es auch und schaut dazu noch grauenvoll aus, wir brauchen Sie nicht, Sie brauchen sich nicht einmal selbst zu brauchen, wozu auch?, wozu, glauben Sie, könnte man Sie brauchen? Für nichts. Sie sagen es ja selbst: für nichts. Und womit Sie sich bedecken, um vielleicht etwas zu sein, zu werden, das man sieht: leerer Schall, farbloser Rauch, Sie sind nicht einmal eine Fremde überall. Sie sind nichts, Sie sind nicht einmal das Nichts, bilden Sie sich nur ja nichts ein! Sie sind nur einfach: nichts. Und da glotzen Sie durch dieses Schaufenster auf diese wunderschönen Teile! Die sind nicht für Sie bestimmt und schon gar nicht hergestellt, man möchte sagen, ein tagelanger, jahrelanger Kummer für Sie. Uns doch egal. Die sind nichts für Sie. Sowas brauchen Sie nicht, so wie wir Sie nicht brauchen. Es werden hier Menschen aufgefordert, sich in dieses Geschäft zu begeben und sich etwas auszusuchen, aber Sie sind davon ausgenommen. Sie sind kein Ausnahmemensch, Sie sind nur einfach ausgenommen. Nein, niemand nimmt Sie aus! Das bilden Sie sich nur ein, das glauben Sie nur, weil der Staat bei Ihnen eingebrochen ist, dauernd sehen Sie welche, die Sie angeblich ausnehmen wollen, angefangen von Ihrem Vermieter, Ihrem Anwalt, Ihrer Staatsmacht, nein, das ist nicht Ihre, das ist eine fremde, die Sie aber genausowenig mögen wie Ihre oder Ihren Sonstwen, der wieder ganz jemand anderem was schuldig ist. Aber es nimmt Sie niemand aus, und wissen Sie was, nicht nur sind Sie keine Ausnahme, sondern es befindet sich nichts in Ihnen, was man herausnehmen könnte. Sagen Sie das diesem Staat ruhig, daß da nichts zu holen ist, weil ein andrer Staat es sich schon geholt hat! Was? Niemand hört Ihnen zu? Da ist ja auch niemand, da ist nichts, da ist nichts, Sie sind nichts, wirklich genau und absolut nichts. Sie sind keine Ausnahme, weil Sie nicht einmal die Regel sind und die Regel auch nicht mehr haben. Nimmt man Sie aus diesem Kleidungsstück, das Ihnen so sehr gefällt, daß Sie es kaufen wollen, einmal heraus, sind Sie einmal ausgenommen, und wäre es nur, um woanders vorzukommen, dann liegt das Stück immer noch formlos am Boden, es ist, als wären Sie nie drin gewesen, und das waren Sie ja auch nicht, weil Sie sich nicht ins Geschäft hineingewagt haben, und so haben Sie es halt nicht; dieses Stück Kleidung kann Ihr Gedächtnis und Ihren Körper und auch das Gedächtnis von Ihrem Körper gar nicht bewahren, nicht einmal, wenn es das könnte, kann es das. Das Teil kann kein Menschengedächtnis bewahren, wer immer es je getragen hat, er hat keine Spuren darauf hinterlassen, na ja, vielleicht eine Spur Lippenstift, ein ausgerissenes Haar, eine leicht eingerissene Naht, weil der dazugehörige Körper nicht hineingepaßt hat, nicht richtig jedenfalls, der Zipp ist ein Stück weit herausgetrennt, Scheiße, jetzt müssen wir das zur Schneiderin bringen, und wer zahlt uns das?, ach was, das schlagen wir auf den Preis drauf!, ja, die Spurenelemente von Menschen, die dem Teil anhaften, das kein Teil des jeweiligen Menschen geworden ist, müssen selbstverständlich entfernt werden, jede Spur muß entfernt werden, jede Fußspur auf dieser Straße, die aber ohnedies nichts bewahrt, sondern alles verkauft, alles muß raus, Sie müssen rein, alles muß raus!, aber jetzt sind Sie immer noch da, und sehen Sie: Nicht einmal eine Spur könnten Sie darauf, auf dem Gehsteig, den sie rauf- und runtergehen, einmal rauf, einmal runter, einmal hin, einmal her, hinterlassen. Nichts hinterlassen Sie. Als Ihr Erbe, ich meine, Sie hinterlassen einfach gar nichts? Nichts. Gilt nicht. Nicht einmal dieser Mantel könnte Sie beerben, nein, einen Mantel können Sie nicht zum Erben einsetzen, der ist keine Person, und der ist auch nichts, solange niemand drinnensteckt, und damit meine ich nicht Sie. Sie können die Form dieses Mantels nicht zu dessen Vorteil verändern, aber verändern können Sie sie schon, die Form, es ist nur nicht die, die der Mantel sich vielleicht wünscht. Wenn aber Sie drinnen sind, egal, wie sehr der Mantel Ihnen gefallen mag, dann ist das, als wäre er nie getragen worden. Sie können diesen Mantel in der Umkleide hinterlassen, als zerknüllten Fetzen, sozusagen getarnt, aber Sie können ihm nichts hinterlassen. Was Sie hinterlassen, und nicht nur diesem Mantel, dem Sie sowieso nichts zu geben haben, das ist nichts, und genau das ist es, was Sie zu geben haben, uns zu geben haben: nichts. Nicht das Nichts, plustern Sie sich bloß nicht auf! Nichts. Einfach nichts. Nicht einfach kompliziert, sondern einfach nichts.



 

Coda. Und danach Ende.



Mosi als Salomé: (auf Kothurnen?. Ach, macht doch, was ihr wollt!) Die Seele der Stadt, jetzt tot. Die Stadt als Ganzes, als schwebendes Gemeinwesen: lebt auch nicht mehr, sie weiß es nur nicht. In meinem eigenen Land herrschte Zartheit, vielleicht zuviel davon, die Menschen sollen sich freuen, doch die ist privat für die Normalveranlagten. Das alles ist hier im übrigen ungültig, hören Sie dennoch zu! Mein kleiner Laden ein Lastgeschöpf, und endlich trägt er sich selbst! In die Unendlichkeit. Wissen Sie, ich reise mit meinem Modeschöpfer, sagte man von mir, wenn ich mit den Großen, den Gewaltigen mitdurfte. Der Schöpfer war nämlich ich. Meine Mama meine Gebieterin, wer kann das nachvollziehen? Nur ich! Nein, ich auch! Ich und ich: Die Verwirrung, die wir stiften, ist beträchtlich. Da wurde nichts Fadenscheiniges geduldet, in diesem hinreißenden Laden. Doch der Vorhang meines Tempels riß entzwei, kein Gott kam heraus, und keiner ging mehr hinein. Nur ich, mein eigener Gott. Dort mein Rolls, genau vor dem Geschäft. Wo hätte man je solche Feinfühligkeit gesehen, mit der ich Mama und meinen Stoffen begegnete? Mama! Sie schuf mich, aus meinen Stoffen schaffe ich etwas, dabei immer äußerst lebhaft, ob im oder vor dem Geschäft, immer aktiv, auch im Sinken. Ich verfüge über zwei Gesichter, aber nur eins zeige ich hier, man muß sich vor der Stadt hüten, sie ist Hunding, sie ist ein Kettenhunding, sie wäre hinter mir her, käme ich hinter mir einmal zum Vorschein. Doch die meiste Zeit verberge ich mich geschickt in mir. Eine Liebesgeschichte. Dabei habe ich sie doch geschaffen, die Stadt. Ich bin der Schöpfer dieser Stadt, und jetzt, da ich tot bin, ist sie ausgeschöpft. Niemand mehr da, der die Stadt jetzt retten könnte. Sie wird jetzt anderen Leuten aufgetischt, doch niemand mehr deckt so wunderschön wie ich den Tisch, das ist ein großer Auftrag an mich, es den Menschen schön zu machen, ihre nähere Bekanntschaft zu machen, und wenn die Menschen mächtig sind, dann auch unter ferner liefen, das akzeptiere ich gern, dieses Laufen. Hauptsache, ich bin dabei, mitten unter ihnen. Ich bin mit ihren Schildern, ja, den Schildern der Stadt, mit diesen ordinär grinsenden Tabletts bin ich dann zugedeckt worden, verschwunden, am Ende erstickt unter ihnen. Man hat mir mein Lebensrecht abgeschnitten, bloß weil ich recht leben wollte, mit euch, aber manchmal auch ohne alles, nur mit den Knaben, die mir so lieb waren, denn ohne Liebe geht es nicht. Ihr habt es mir nicht erlaubt. Ich durfte nicht ich sein, man hätte mich mir verboten. Habt ihr meinen Vorboten, meine neueste Kollektion gesehen? So schön wie alle anderen. Jede schön, jede besonders. Doch neuere gibt es seit langem nicht mehr. Ich springe froh, kaum bin ich zu Haus, schon wieder raus, nach einem neuen Knaben, einem Hütejungen?, wird er mein Tod oder mein Glück sein? Niemand darf es wissen. Alle werden es erfahren. Was erlaubst du dir, wird die Stadt, die Straße fragen, dabei habe ich nichts zu erlauben, und ich erlaube mir alles, man erlaubt mir ja doch nichts. Dieser junge Mann ist zum Beispiel Friseur in Rosenheim. Gleich kommt er hinter mir zum Vorschein, Sie werden es doch erwarten können! Eine Freundschaft zu ihm benötige ich nicht. Ich habe mir einmal was genommen, einmal zu oft, einen Menschen, der von fernher kam, seinem Ort entnommen, aber nicht gestohlen. Er hat es leider so aufgefaßt. Ich wurde bestraft in meinem silbernen Seraphin, mit dem ich über die Straßen gleite, langsam. In die Luft erheben kann er sich nicht. Sonst kann er alles. Mein Todesengel, dieses Auto. Ich halte Ausschau, wo denn? Was denn? Wo finde ich meinen Mörder? Ich muß ihn suchen. Andere haben ihn auch schon gefunden, ohne gesucht zu haben, den Namenlosen, der sie beendet. Nein, den Namen hab ich mir nicht gemerkt, war nicht nötig. Wahrscheinlich wußte ich ihn gar nicht. Dafür war keine Zeit. Ein seltsamer, fremder Name, glaube ich zumindest. Ich habe nicht gefragt, mich nur an das Aussehen gehalten, obwohl ich fremde Worte hübsch finde. Ich denke oft an herrliche Dinge, deren Herr ich war, die ich mit mir und anderen erlebte. So als Mensch sieht man mich eher nicht. Das war ein Fehler der Stadt, deren Anmut in ihrer Volkstümlichkeit besteht, obwohl man das Volk dort nicht findet, jedenfalls kaum in meiner Umgebung, nicht zu den Öffnungszeiten. Wirklich öffnen kann ich mich erst danach. Rendezvous nach Ladenschluß. Nehmen Sie vom Menschen das Fleisch weg, dann haben Sie mich, die Seele des Ganzen. Ich bleibe übrig, inzwischen nur mehr als Hauch. Die Seele dieser Straße, ausgehaucht. Auf dem Tisch in meinem Zimmer stehen noch Blumen, und auch mein Immunsystem habe ich mit Spritzen vergeblich geschützt und gestützt, vorbeugend, ohne daß ich mich hätte vorbeugen müssen. Ich war ein aufrechter Mensch, verschaffte vielen den Lebensunterhalt. Im schwarzen Anzug werde ich auf der Empore vor meinem Schlafzimmer liegen, mit einem schwarzen Kabel um den Hals. Hinter der verschlossenen Schlafzimmertür wird mein Hundchen unaufhörlich bellen. Später wird sie ihre Memoiren schreiben, meine süße Daisy. Es wird eine ungeheure Belastung für mich werden, tot zu sein. Das sehe ich jetzt schon. Aber was bleibt mir übrig? Was bleibt von mir übrig? Nicht diese Straße, die gibt es jetzt nicht mehr. Ohne mich gibt es sie nicht. Die Straße, die Stadt weiß das noch nicht, aber sie ist genau solange und so sehr tot wie ich. Was für ein Zufall, wir sind gleichaltrig, die Stadt, der Tod und ich. Tot. Mein Kehlkopf mitsamt Zungenbein und Adamsapfel gebrochen. Dabei habe ich so gern geredet. Mein schöner Kopf, das Haar stundenlang gefönt, mit Klammern in Form gesteckt, es sträubt sich noch gegen das Beeinflußtwerden von außen, dann gefönt, so gehört es sich. Heiß muß man sein. Man darf nicht kalt sein. Später fast alles durch Kunst und Gewerbe, ich meine: Gewebe ersetzt. Kopf abgebrochen, unten am Kehlkopf gebrochen, mein Sprechen gebrochen. Meine Rede abgerissen. Meine Seele von hinten, beim Angriff von hinten einfach herausgefetzt. Sie war nicht drauf gefaßt. Wollte noch in meine Straße, wollte noch raus, einmal geht noch, aber sie wurde abgebrochen wie Kehlkopf und Zungenbein, denk es, o Seele, nein, die denkt nicht mehr. Seele, oder wie man sie sonst nennen will. Da nützt einem ein Erwerbssinn nichts. Man ist machtlos. Es bleibt nichts übrig. Wie das Nichts benennen, das nach mir geblieben ist?, das, was von mir übriggeblieben ist: nichts. Einzug in eine dunkle Zelle und Schluß. Da bin ich schon längst nicht mehr dabei. Seele fort, halt!, warten, dann fort! Vielleicht zu lang an Objekten gehangen? Vielleicht gar allzu lang an Mama? Kommt nicht in Frage, steht nicht im Sturm. Angriff von hinten, knacks. Es waren nur zwei kleine Knöcherln, keine Semmelnknödeln, kleiner, viel kleiner!, ich schwöre, ich hätte sie freiwillig hinter mich geworfen, als hätte ich mich selbst verzehrt, doch ich verzeherte mich ja nach anderen, nach den sieghaft Auftretenden. Wer hätte mir den Tod gewünscht? Im Gegenteil, mein Teil wäre das Leben gewesen. Der Tod gehört der Straße. Jetzt ist es herausgekommen: mein wunderbares Haar seit längerem bereits eine Perücke! Bin ich deshalb nicht lebenswürdig, liebenswürdig? Dieser Straße nicht würdig? Im Gegenteil! Diese Straße ist meiner nicht würdig, wie sich herausgestellt hat, da keiner sie mehr herausstellt. Geschieht ihr recht, daß sie mit mir zusammen gestorben ist. Nichts mehr da. Nach mir nichts mehr. Nicht einmal ein angebrachtes Andenken. Mein Kehlkopf, mein Zungenbein werden in einem Plastiksackerl, das ich persönlich für meine Accessoires nie geduldet hätte, ins Gericht getragen. Mein Haar nicht, auch mein Haar in Kombi mit der Perücke, beides ineinander verwebt, transplantiert, ins Nichts transferiert, denn auch mein Haar war nicht mehr meins, nicht wahr, kein Haar von mir oder nur sehr wenig, mein Haar nicht ins Gericht, ich meine, bitte gehen Sie mit meinem Haar nicht zu hart ins Gericht. Es ist doch gar nicht meins! Nicht mehr. Das muß doch nicht auch noch vor Gericht, oder? Ich bin nicht der Angeklagte, oder doch? Nein. Mein Glück. Das Glück dieser Straße ist mit mir vergangen. Jetzt hat sie keins mehr. Mein Laden ist mit mir gestorben, und die Straße ist auch gleich mitgegangen, nur weiß sie es nicht. Doch inzwischen ist ihr diese Post sicher zugestellt worden: Sie gilt als ausgelöscht, wie ich. Doch ich gelte nichts mehr. Die Straße heißt noch was, beschäftigt sich jedoch längst mit etwas anderem. Dumme Straße, was weißt du überhaupt? Von mir aus, sollen jetzt Jäger im grünen Gewand oder Surfer in Moltopren durchziehen! Sie hat keine Eleganz mehr, die Straße. Und die Zeit verzichtet auch darauf. Gibt sich keine Mühe mehr. Was die darin für eine Ausdauer hat, eine Repräsentantin der Stadt zu sein, auf dem Sitzfleisch ihrer Geschäfte herumzurutschen! Sie hat keine Seele mehr, sie hat keinen Kehlkopf mehr und kein Zungenbein, sie spricht nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so geläufig, so fließend, so wie ich gesprochen habe, als ich es noch konnte. Heute laufen andre dort herum. Ich lasse mich nicht mehr hier sehen. Wie denn? Sagen Sie mir, wie, und ich mache es. Ich kann nicht. Ich kann nicht. Wir alle tot. O mei, jetzt ist schon wieder eine Birne kaputt, sage ich: meine! Kaputt. Mein Haupt auf einer Platte. Mein armer Belli. O weh! Er ist abgebrochen und wurde aufgetragen, in aller Öffentlichkeit, na, das war er gewohnt. Sie haben mein Haupt gezeigt, nein, nicht wirklich, nur die beiden Knorpel, die gebrochen waren. Ich war leider nicht im Ausland, als das passiert ist. Klopft an, und es wird euch aufgetan, aber ihr müßt zu den Glücklichen gehören, die noch einen Sitzplatz ergattert haben! Gatter hoch, die Menge strömt herein. Es muß immer eine ganze Menge sein, was aufgetischt wird. Etwas anderes dulde ich nicht. Kommen Sie bitte zu Tisch, wo ich auf Tischdecken, die wohlweislich bis zur Erde wallen, damit man bei mir unten nichts sieht, serviert werde! Ja, Sie Schweinskopf mit Haxen, schauen Sie nur! Sie bekommen ein Stück von mir, das, was Sie sich aussuchen, war immer mein liebstes Stück. Alles ist mein liebstes Stück, außer diesem. Das können Sie haben. Nehmen Sie es sich, bevor es ein andrer tut! Das sage ich zu jedem, der sich etwas von mir abschneiden kann. Niemand kann das wirklich. Jetzt ist es raus: Niemand kann sich ein Stück von mir abschneiden. Die Straße ist tot wie ich. Wegen mir. Meinetswegen! Die Menschen haben weiter ihre Gewohnheiten, denen sie nachgehen, so wie ich jungen Männern nachgegangen bin, einmal zu oft, das war dann das letzte Mal. Wie hätte ich das vorher wissen sollen? Niemand weiß, wann er was zum letzten Mal tun wird. Jetzt alle tot, na, sicher nicht alle, die bei mir waren, da sind Konsuln drunter und ihre Frauen, namhafte Politiker, sogar das Showbusiness war gründlich vertreten. In meinem vorderen Leben jedenfalls. Hinten Kulissen. Ich kam heim und trug den Kopf hoch. Dann nicht mehr. Die Straße auch tot, die Stadt tot. Die beiden wissen das nicht, obwohl sie es in der Zwischenzeit hätten lernen können. O mei, jetzt ist schon wieder die Birne kaputt, dabei hab ich mir soviel Mühe mit meinem Haar gegeben! Das kann ich jetzt auch gleich weghauen. Mama, jetzt wird sich unser Leben ändern! O mei, meine Mama ist ja auch tot. Mutterliebe durften viele gar nicht erfahren. Meine Mutter war klein, aber oho, Obacht!, die habe ich geschaffen. Und sie hat mir immer gefolgt. Das nur nebenbei. Schon länger ist sie tot, der Abschluß ihres Lebens wurde würdevoll gestaltet. Für meins ist dann nichts mehr übrig geblieben. Wer hätte mein Ende auch schön gestalten sollen? Es war ja keiner da, der etwas davon verstanden hätte. Mein schönes Geschäft: aufgelassen, wer andrer drin, jetzt ist das auch noch hin, nach jahrzehntelanger Mühe das Geschäft auch tot. Ich wollte das so, wollte es ins Grab mitnehmen, das ist zwar bedenklich, aber ich habe das vorher gut bedacht, von allen Seiten. Es hätte mein Grab werden können. Ach ja: das Grab. Wie schwarz es da unten ist! O mein Grab, o mei, o nein, das hätt ich mir nie erwartet, daß es nach dem Tod so schwarz ist. Die Straße wird sich wundern, wie schwarz sie sein wird, nach mir keine Farben mehr, kein Carnaval de Venise, alle vornehmen Farben, alle wunderbaren Einfälle, mit denen ich Menschen zur Schönheit unterrichtete: verbraucht. Nur noch die andren übrig, die Häßlichen, die man nur mit Erstaunen anblicken kann. Es muß schrecklich sein, in so einer schwarzen Höhle zu leben, hab ich mir schon vorher oft gedacht. Ich weiß es jetzt. Die Straße weiß es jetzt auch. Ich weiß es. Es ist wie eine Gruft, es ist eine Gruft! Bringt meinen jungen Propheten heraus, ich will ihn sehen! Ich kenne seinen Namen nicht, aber er ist ein Prophet. Und zwar weil ich nicht verstehe, was er sagt. Er redet in Zungen, er redet hoffentlich mit seiner Zunge zu mir. Meine hat er mir genommen. Doch, doch, der tut wenigstens was! Der verbessert sein Leben, das will er zumindest, und ich soll sein roter Stift sein, aber mit dem wird er mich durchstreichen. Ich bessere die Summe aus, die ich ihm genannt habe. Doch halt! Hier tut sich was! Der bringt gleich die ganze Stadt zu mir herein, um sie gemeinsam mit mir zu töten, wo hat der den ganzen Proviant her?, hat der etwa meine Uhr geklaut, damit er weiß, wann er wieder aufhören muß?, nein, die Stadt muß zu ihm gebracht werden, weil er nicht raus will, o mei, und jetzt ist die Stadt mit mir gestorben, also sollte sie auch immer bei mir sein. Sie wollte das so. Ich bin gerührt, wie sie mich umschmeichelt. Wissen Sie was, ich nehm sie einfach mit! Vielleicht sogar hier im Mausoleum ein neues Geschäft eröffnen, im Dunkel? So war es nicht gedacht. All meine Pracht muß man bei Licht sehen, sonst versteht man sie nicht. Ich wollte doch auch immer, daß man mich sieht, inmitten meiner Herrlichkeiten der Herr. Jetzt sieht man nichts mehr, auch die Straße nicht mehr. Die Straße ist fort, verschwunden, mit mir. Sie wollte nicht, es sagte die Straße: Ich bitte dich, verlang das nicht von mir, ich habe noch so viel zu bieten, das nicht von dir ist, viel mehr, als je von dir sein könnte, wieso darf ich dann nicht weiterleben? Vielleicht gibt ja noch jemand ein Gebot ab? Dann wärens nur noch neun? Das reicht doch wohl. Du darfst, antwortete ich, aber du wirst es nicht können. Soll ich denn warten, bis es dir beliebt, zu mir zu kommen? Nein, ich kann nicht länger warten. Mein Kehlkopf, mein Zapferl im Hals, verstehst, zerbrochen von so einem Burschen, von einem jungen Mann, den ich begehrte, vielleicht zu sehr, leider zufällig grade an meinem Todestag. Falscher Tag! Dieser Tag ist für beinahe jeden immer falsch. Was für ein Zufall! Ich hätte mir einen andren Tag und einen andren jungen Mann aussuchen sollen, da ich mir auch in guten Zeiten das Verständnis für meine Mitmenschen bewahrt habe, hier können Sie das nachlesen. Ich hätte es wissen müssen, man hat mich gewarnt. Die paar, die es wußten, haben mich gewarnt. Hab ihm mehr versprochen, als ich geben wollte, dem Burschen. So war das immer mit mir. Doch mein vielversprechender Laden hat auch immer noch mehr gegeben, als er hatte. Allein die Krawatten! Nein, allein waren die nicht, dafür habe ich gesorgt. Die waren das meiste, fragen Sie mich nicht, wovon! Mein ganzes Leben gehörte ihm, meinem herrlichen, lieben Modeladen, doch ich konnte nicht mehr tun, was er von mir begehrte: ewig dazusein, für ihn. Das kann niemand außer meiner Mama: immer für jemand da sein. Die Straße wollte das nach einer Abstimmung allerdings auch, das freut mich Empfindlichen doch sehr. Mit wem hat sie sich abgestimmt, daß sie zu diesem Entschluß kam? Da stimmt etwas nicht, denn die Mode strebt nicht nach dem Unendlichen, nach Verewigung, das Leben jedoch will ewig währen. Sehen Sie, wie schnell es gehen kann? Egal, die Straße wollte das, und sie wollte mich, und sie hat nicht bekommen, was sie wollte. Sie hat es verloren, als andere das Ruder übernahmen. Doch das Wasser plötzlich eine gallige, gallertige Brühe, und das Licht: bleiern, die Ruder: zu schwer einzutauchen. Ich habe also einmal verloren, wie so viele verlieren, und zwar ständig. Ich kann nicht mehr für sie sorgen. Was wird geschehen? Ich weiß, es wird etwas Schreckliches geschehen, ich weiß das, weil es nämlich bereits geschehen ist. Da kommt mein Tod ja schon, das habe ich auch nicht gewußt, nicht vorher jedenfalls. Einer, den ich für eine Nacht zu meinem Liebling erkor. Der soll nicht mal schön gewesen sein? Also für mich war er es. Von meinem kleinen Laden haben das auch viele behauptet, die jetzt genauso tot sind wie er, wie die Straße. So viele seither tot. Die Augen des Todes sind von allem das Schrecklichste. Er hat mich von hinten erdrosselt, der Jüngling, deshalb mußte ich seine Augen nicht sehen, es hat sich in meinen nichts gespiegelt, nichts sah ich in meinem Tod von ihm. Kein Anblick als letzte Belohnung! Sie haben ihn trotzdem gefunden. Bleibe hier, sprach die Straße, ich bitte inständig, bleibe hier, sonst sterbe ich auch, sonst muß ich auch sterben. Urlaub war für mich kein Thema, was hätte die Straße denn so lang ohne mich gemacht?, nein, die Arbeit war mein Sonnenschein, und jetzt ist er erloschen. Oder auch anders gesagt: Die Droge Arbeit floß ständig durch meinen Kreislauf. Jetzt kreist nichts mehr. Die Stadt ist tot. Die Straße ist tot. Alles dahin, alles hin. Mein Mörder wie eine dünne Elfenbeinfigur, wie ein Bildnis aus Silber. Leider ist er keusch wie der Mond oder zu teuer zu erkaufen für den preisbewußten Geschäftsmann. Zu teuer. Sein Fleisch mußte sehr kühl sein, kühl wie eben: Elfenbein, was andres fällt mir nicht ein, ich hab es sowieso nicht mehr ausprobieren können. O mei, die Birne ist jetzt kaputt. Wieder eine. Ich konnte ihn nicht einmal näher besehen, den Mörder. Das ist ungerecht. Hätte ihn gern genauer besehen, so ganz aus der Nähe. Nein nein, mein Prinz, sagt die Straße. Kusch, Straße. Nach mir hast du nichts mehr zu melden als hohle Fensterscheiben und leere Aufschriften und tote Schilder und Schaufensterpuppen, die viel zu aufrecht stehen, und das Herumstolzieren von anderen, die alle nicht ich sind, die Ärmsten! Bei uns war es anders, gelt, Straße, du und ich?! Oh, du mein Silberstreif! O mein, alles mein!, stütz mich mit deiner Fürsorge, du Straße, jetzt, da Mama nicht mehr da ist, bitte ein wenig Fürsorge für mich, Straße, Stadt, bitte! Ich bin beileibe kein Fall für die Fürsorge, aber einmal möchte ich sie doch genießen, ganz für mich allein. Wieso hast du nicht aufgepaßt, als ich es gebraucht hätte? Ich glaube, ich habe es verdient, nein, doch nicht!, immer nur gearbeitet, und jetzt habe ich gewiß nicht verdient, was mir geschieht. Ich erkor den Falschen zu meinem Liebling. Es wäre ohnedies nur für kurz gewesen, für vorübergehend, aber für mich heißt es nun: lebenslänglich. Mord und Tod. Aus. Ende. Ich soll hierbleiben, die Straße bittet mich flehentlich, bleib doch hier, wenigstens ein bißchen, ich sterbe sonst auch!, die weiß das genau, das Luder!, nein, ich bleib nicht hier. Genau. Das mache ich, ich bleib nicht hier und töte damit die gesamte Straße, mein samtenes, liebes Pflaster! Sie geht nicht ohne mich, ich gehe nicht ohne sie, die Straße. Sie weiß es noch nicht, doch wenn Sie sie näher besehen: Ohne mich gibt es auch sie nicht. Ohne mich geht es nicht und geht hier keiner. Aus und vorbei. Ich möchte glücklich sein heute und nehme diesen jungen Mann mit, ich küsse seinen Mund, nein, das erlaubt er mir nicht, ich bezahle zuwenig für ihn, ich will seinen Mund küssen, ich muß, die Straße blickt finster drein, sie ahnt, was ihr blüht, wenn ich nicht mehr bin: Sie blüht selbst nicht mehr, nie wieder. Wir wollen hineingehen, doch wir können nicht. Da ist nichts mehr. Die Straße ist verschwunden. Nein, hier in meinem Mausoleum ist sie auch nicht, die ginge hier nicht hinein, obwohl sie gern hineingehen und es sich einmal aus der Nähe anschauen würde. Auch diese Straße möchte ein schönes Begräbnis haben, aber dafür ist keine Zeit, sie wird sang- und klanglos verschwinden. Nein. Ich möchte glücklich sein heute. Die Straße ist glücklich, es gibt nichts, was sie vermißt, und niemand vermißt sie, auch heute wieder niemand. Ich warte auf die Vermißtenmeldung, doch die kommt nicht. Es muß doch auffallen, daß die ganze Straße jetzt weg ist! Keiner sieht, daß sie nicht mehr da ist. Der Abschied: Straße, Sie waren doch eine Freundin des Toten, nicht wahr? Erzählen Sie! Sie antwortet nicht. Sie ist fort. Die merken das gar nicht! Ich tanze für sie, das wird heute verlangt, daß man tanzt. Die Straße ist traurig heut nacht. Ich bin nicht bei ihr, ich will einen fremden Mund küssen. Sie wird in mein Blut treten, die Straße. Sie wird wieder einmal nicht aufpassen und voll hineintreten und mein Blut dann verschleppen, vertragen in Tüten, die selbst keine Aufschrift mehr tragen. Niemand wird sie jetzt betreten, ohne befleckt zu werden. Alles Selbstbeflecker, aber nein, das kommt von der Straße, das Blut kommt von dieser Straße, o mei, jetzt bin ich auch noch voll reingetreten. Gleich wird sie dafür mich treten, die Straße. Weil ich sie nicht mehr betreten kann. Das ärgert sie, sie bittet, daß wir uns einmal zusammensetzen und drüber reden. Nein. Jetzt ist sie beleidigt, aber auf einen Wink von ihr stehe ich nicht mehr zur Verfügung. Das ist vorbei. Wenn sie mit mir mitgeht, wird sie mich dafür ab und zu wie unabsichtlich treten. Ungeschickter Patsch, die Straße! Ist das der Dank? Ja, das muß er sein. Ich höre in der Luft ein Rauschen wie von Flügeln oder Flügen, oder sind das endlich Engel? Mama, bist dus?! Dabei tritt der Tod lautlos von hinten an mich heran, er hätte ruhig Lärm machen können. Ich hätte nichts Böses vermutet, ich hätte ihm nichts Böses zugetraut, dem Burschi, ich hätte seinen Mund geküßt. Ich muß seinen Mund küssen, oder nicht?, soll ich nicht?, das sagt sich so leicht. Ich bitte gar sehr, sagt die Straße, tanze für mich, wie jeden Tag, tanze für mich, dann kannst du von mir begehren, was du willst. Na gut, Straße, tanze ich halt für dich, wie jeden Tag, o mei, jetzt ist die Birne durch, das hätte nicht sein müssen. Nicht so früh! Die war doch noch ganz neu! Daß eine einzige Birne fehlt, kann dich doch nicht umbringen, Straße! Doch, kann es. Es ist ja meine, es ist mein armer Plutzer. Ich werde dir alles geben, was ich habe, es ist in diesem kleinen Geschäft versammelt, das ist praktisch, da stirbt das alles gemeinsam, man hat einen guten Überblick über das Tote, das alles meinen Stempel trägt, immer meinen Stempel, nur die Blüte war stets eine andre. Die Mode ist ja: Abwechslung. Mit dem Stempel hätte ich auch vorsichtiger sein sollen, den hätte ich nicht auf alles drauftun sollen. Was immer du von mir begehren magst, Straße, das will ich dir geben, und das willst du auch mir geben. Es ist gegenseitig. Endlich ist etwas, außer dem mit meiner Mama, außer dem, was ich mit ihr hatte, gegenseitig! Endlich gegenseitig und sogar gleichzeitig! Die Straße und ich – ein Liebespaar. Endlich. Doch sie fällt mich hinterrücks an, das kann ich nicht verzeihen, das habe ich ihr nicht verziehen. Auch wenn sie jetzt tot ist wie ich, muß das gesagt werden. Alles wollte ich ihr geben, die Hälfte meines Königreichs, das sehr klein ist, ein winziger Teil der Straße, die Hälfte natürlich noch kleiner. Aber sie kann es haben, ich schulde der Straße so viel, nur wußte sie nicht, daß sie auch mir was schuldet. Sie hat nicht aufgepaßt. Ich will meine Anzahlung zurück! Ich zahle doch selbst für ihre Liebe, ich zahle für alles. Willst du diesen wunderbaren Ring, den ein König mir geschenkt hat? Kannst ihn haben! Wofür soll ich ans Kreuz geschlagen werden? Das muß man mir doch sagen! Willst du mir wirklich alles geben, auch dein Leben?, spricht die Straße. Ja, alles, alles kannst du haben, was ich habe und was du begehrst. Fick mich, Straße, bitte, ich zahle auch gut, doch du zahlst mehr, du wirst mehr zahlen, glaub mir! Du zahlst mit dir, und dann legst du mich noch als Zugabe drauf, und am Ende sind wir beide mausetot. Der Boandlkramer wird uns beide geholt haben. Du schwörst, daß du mit mir sterben wirst, Straße, wenn ich für dich tanze, dann gibst du mir den Tod, dann kann ich ihn endlich haben, den Tod, den ich nicht erwartet habe, aber ersehne. Dann bin ich wieder bei meiner Mama, die mir jeden Tag nachgewinkt hat, seit ich in die Schule gegangen bin mit meinem kleinen Jausenpaket, darin zwei Knöchelchen, die Boandln, host mi?, nein, doch, i hob di, darin der Rest von mir, im Sackl mit der Brotzeit. Soll ich den heute noch etwa herumtragen? Mich selbst entsorgen, da sich keiner mehr sorgt um mich? Was soll jetzt noch kommen? Für uns beide nichts mehr, du Straße, deine Lippen zittern! Also ich werde sie vielleicht doch nicht küssen. Und wärs die Hälfte der Straße, die mit mir mitkommt. Und wärs eine Hälfte von dir, ein Ufer, das Steilufer, wo so viele meiner Kunden leben, du, Straße, das bekomme ich von dir und das bekommst du von mir. Erst mal muß man raufkommen, man muß es erklimmen, dieses Steilufer, dort kann nicht jeder hin. Aufs hohe Roß kommt nicht jeder hinauf. Aber der Tod nimmt am Ende sowieso alles, das hätte ich dir sagen können, du Straße, tust du das meinethalben? Ja. Der Gewinner teilt nicht. Der Gewinn bricht ein wie mein Zungenbein. Verlange, was du willst, Straße, es wird dein Schaden nicht sein! Ich wäre unermeßlich schön als dein König, Straße. Ich habe einen Eid geschworen, daß du meinen kleinen Laden haben kannst, wenn du mich gehen läßt. Doch wenn er weg ist, bist auch du fort, Straße, das hast du nicht bedacht, als du dir das gewünscht hast. Du bist fort. Weg mit dir! Weg mit mir! Alles fort, alles muß raus. Du wolltest mich nicht haben, Straße, warum wäre ich sonst jetzt tot?, so, und jetzt will ich dich nicht mehr. Ich bin tot und will dich nicht mehr. Ausgerechnet jetzt kommst du mir nach? Was hast du dir ausgerechnet? Was, du willst nicht tanzen, Straße? O mei, dann tanz ich halt für dich. Doch ich bin sicher, es wird ein Unheil geschehen. Fort, Straße! Weg mit dir! Mein Kopf gehört dir, mehr kannst du nicht wollen, der geht nicht mehr aufs Gestell drauf. Bitte, ich gebe dir den Rest, da brichst du ein, verstehst!, denn das Gestell ist auch draufgegangen. Ohne Kopf wird das nichts. Und was fängst du damit an, mit mir, mit dem Rest von mir, oder mit wem fängst du dir jetzt was an? Du kannst mit ihm machen, was du willst, Straße! Du kannst ihn den Hunden vorwerfen, irgendeinen Kopf halt, nicht meinen, der ist zu klein. Mein Belli zu klein. Zuwenig dran. Du kannst ihn den Vögeln in der Luft vorwerfen, daß sie ihn verzehren. Man kann mir nicht vorwerfen, daß ich nicht großzügig wäre. Man kann mit meinem Kopf machen, was man will. In der ganzen Welt war nichts so schön wie mein Geschäft, dort ging nämlich alles nach meinem Kopf. Der ist jetzt ab. Ohne den geht gar nichts, nicht einmal eine Verbeugung. Das war das allerschönste in der gesamten Straße und auf der insgesamten Welt, das Geschäft. Jetzt ist es fort und die Straße mit. Die ist einfach mitgegangen, obwohl ihr kein Liebeslohn versprochen war. Nichts war so schön wie mein Geschäft, und wenn man es ansah, hörte man geheimnisvolle Musik, nicht von dieser Welt, auch nicht von meinem Rolls, nicht vom Silver Dawn, nicht vom Silver Shadow, nicht vom Silver Seraph, das war der billigste, aber immer noch teuer genug, zu teuer für die Menschen, die er mir eingetragen hat, und als ich ernten wollte, wurde statt dessen ich vom Leben abgeschnitten. Oh, warum habt ihr mich nur angesehen, als es Zeit war! Warum nicht danach? Warum seid ihr lieber nach Kitzbühel zum Hahnenkammrennen, das einmal im Jahr stattfindet, und zwar in jedem Jahr, wenn der Schnee rieselt, mein Tod aber fand nur einmal im Leben statt, warum seid ihr eigens dorthin, in dieses Dorf mit Schnee, geborgen in Bergen, rundherum, da hättet ihr auch nächstes Jahr noch hinfahren können, warum also? Warum habt ihr nicht mich geborgen, nicht auf mich aufgepaßt, nicht auf mich gewartet, nicht erwartet, daß ich tot war und euch noch ein wunderbares Fest bereitet hätte? Das hättet ihr doch noch erwarten können! Um euch aufzublähen, fahrt ihr zur Streif, dort wird euch angesagt, was das Leben ist, vielleicht hätt ich mitfahren sollen, dann hätte ich es gewußt, ihr Herde mit euren tausenderlei Gelüsten, die meisten aufs Fressen gerichtet, ihr!, selber wie junge Hähne, Küken, denen schon die Hälse umgedreht werden, bis sie endlich ein Backhendl sind, warum dorthin, lieber dorthin als zu meinem Begräbnis, welches nur ein einziges Mal stattfand, exklusiv wie alles bei mir? Man hätte euch nie vergessen, wärt ihr dabei gewesen. So. Und ich vergesse euch dafür nie, daß ihr nicht da wart. Warum, warum diese falsche Entscheidung? Ohne mich wart ihr überall hohl, vollkommen hohl. Jetzt wißt ihr das auch. Ihr hattet es mit einem Sieger zu tun, doch euch interessierte nur der Sieger mit dem Hahnenkamm, der auf der Streif! Immer der Sport. Immer gewinnt der Sport, auch gegen mich, obwohl das schwer zu glauben ist. Aber der Sport war es ja gar nicht. Ihr wolltet euch dort bloß gegenseitig anschauen, beim Weißwurstfressen zuschauen, und ich? Hier hättet ihr das auch haben können, mit Blick auf meine Leiche, ein Blick, den man nur einmal im Leben hat! Kitzbühel ist jedes Jahr, außer es ist einmal kein Schnee gefallen, doch dieses einmal war nicht diesmal. Euer Schnee wär ich gewesen, dem hättet ihr nicht nachreisen müssen. Wo blieb ich denn dabei? In meinem neuen Gehäuse, das ich nicht mehr entwerfen konnte. In meinem nagelneuen Behältnis. Dort hättet ihr wirklich einmalig sein können, man hätte sich an euch erinnert, denn mein Begräbnis fand nur ein einziges Mal statt. Nicht mit euch. Das habt ihr nun davon! Jetzt kennt euch keiner mehr. Mein Gott, mein Gott, warum habt ihr mich verlassen?! Wer seid ihr überhaupt? Ich gab euch Leben, wie der liebe Herrgott meiner Mama, so lang, so lang, lang, lang ists her, sie ist so schön gestorben, überall Kerzen, Musik, ihre Lieblingsmusik. Sie ist eingeschlafen, die liebe Mama. Nicht wie ich. Mein Tod hatte mit Schlafen nichts zu tun. Er war das Gegenteil, mußte ich erfahren, reichlich spät. Hätte ich gewußt, was passiert, ich wäre nicht gestorben. Ihr aber, ihr wart nicht da, nicht als ich starb, nicht einmal als ich begraben wurde! Ihr wart nicht bei mir, ihr wart zusammen, aber ohne mich, woanders. Warum habt ihr mich nicht ein letztes Mal angesehen?, das wäre absolut möglich gewesen, ich war schön und bin es geblieben, ich war schön, dem Hals war von außen nichts mehr anzusehen, jetzt sagen sie: Siehe, der Herr ist gekommen. Aber sie schauen mich nicht an. Sie glauben wohl, ein andrer Herr wäre gekommen, der wichtiger ist. Sie drehen schon ihre Hälse, die unversehrten, nach ihm. Der Sieger beim Abfahrtsrennen, ich habe seinen Namen schon vergessen, vielleicht nie mehr erfahren. Aber auch der war euch nicht wichtig. Welcher Herr? Etwa ein Prophet? Da brauchts keinen Propheten, daß ihr wie Aussätzige werdet, die alles, alles aussitzen können. Immer. Aber meinen Tod nicht, den könnt ihr nicht aushalten, wahrscheinlich weil ihr nicht live dabei wart. Ihr hättet bei meinem Begräbnis ins Fernsehn kommen können, auf ewig! Ihr hättet euch bei meinem Begräbnis im Fernsehn sehen können und damit euer Leben ausdehnen, über die Stadt und die Welt! He! Moment mal! Wieso ist das ein so langer Moment? Ich bin es doch! Ich habe gerufen. Ich habe mich jungen Männern preisgegeben wie andre einem Gott. Ich habe mich ausgeliefert, warum spreche ich noch? Warum? Zu wem? Die Straße ist fort, passen Sie auf, wohin Sie treten!, die Stadt verfallen, die Menschen, die ich einst liebte, alle, wirklich alle in Kitzbühel, dabei habe ich alles für sie getan. Und ich hätte es weiter getan. Jetzt verlassen sie mich. Ich bin wieder schön wie eine Jungfrau, die rein geblieben ist. Oder sich nur zu billig verkauft hat. Darauf bin ich stolz! Die sich nur Männern preisgegeben hat, aber zum falschen Preis. Den falschen Preis genannt, und schon war er hin, der Kehlkopf, vollkommen geknickt das Zungenbein! Alles Zusätzliche, das ja mehr ist als der Kopf, auch weg! Alles hängt doch dort daran. Warum spreche ich noch? Ich weiß es nicht. Zu keinem, die Straße ist ja tot. Niemand mehr da, oder doch? Eines Menschen Sohn ist nahe, er wird mein Unglück sein. Dieser Herr ist gekommen und will bezahlt sein, aber nicht mit sowenig. Er will mehr. Ich habe es ihm auch versprochen, ich habe ihm mein halbes Königreich versprochen, nein, Moment, das wurde ja mir versprochen, nein, Moment! Ich habe dem Propheten, dem jungen Mann, dem mit dem jungen Körper, in dem keine Seele hauste, was ich zu spät bemerkt habe, an meinem Todestag das Zehnfache versprochen von dem, was ich zu geben bereit war, leicht das Zehnfache, wenns reicht. Ein verzeihlicher Fehler bei einem Geschäftsmann, der es sonst mit andren Summen zu tun hat. Habe ich Angst? Nein. Sonst würde ich ihm nicht den Rücken zukehren. Ich kenne die Menschen aber schon, sie sind so lächerlich!, warum ihnen ins Gesicht schauen? Es genügt, wenn sie mich anschauen. Das ist viel interessanter. Der Tag ist schön in meinem Geschäft. Die Nacht ist auch schön, aber in meinem Garten. Das ist was anderes, das ist woanders. Ich will mit Ihnen sprechen! Es ist unmöglich, sagen Sie? Ohne Kehlkopf, ohne Zungenbein kein Zuspruch? Kein allzu später Einspruch? Wäre es nicht besser, wieder hineinzugehen? Gut. Wenn Sie es sagen. Ich gehe. Die Stadt geht mit mir. Es ist keine Verhandlungssache, sie muß mit mir gehen. Entweder man bringt mich zur Straße heraus, oder man bringt die Straße zu mir, eine dritte Möglichkeit gibts nicht. Wir dürfen nicht. Was? Was dürft ihr nicht? Wir können nicht. Das glaub ich schon eher. Klar. Bringt die Straße zu mir herein in dieses kleine Häuschen, das ich für Mama und mich eigens erbaute, wenn auch nicht mit eigenen Händen, oder ich muß zu der Straße hinaus, was ich ja öfter getan habe. Jetzt kann ich es nicht mehr. Aber da ist nichts, wohin ich noch gehen könnte. Ich möchte die Straße noch einmal sehen, ich möchte noch einmal hindurchfahren. Das geht noch. Und hier fahre ich bereits! Für meinen Sarg wird die Straße gesperrt, seht sie nicht an! Ihr werdet ihr ohnedies nichts ansehen! Oder doch, seht sie an, ihr werdet sie nicht wiedersehen! Nicht als Straße jedenfalls. Denn danach ist sie weg. Mit mir gestorben, doch sie weiß es nicht. Ich möchte ihren Mund küssen, doch sie ist gesichtslos. Diese Straße hat jetzt kein Gesicht mehr. Ich möchte ihren Mund küssen, doch da ist nichts, da ist nichts mehr, nur ein blutiges Loch, wo einst Straße war. Nein, das ist keine Baustelle, da wird nicht einmal mehr was aufgebaut. Nein, einmal gehts nicht mehr, einmal mehr geht auch nicht mehr. Was ist geschehen? Es ist Schreckliches geschehen. Da will ich den Mund dieser Straße küssen, und sie hat keinen mehr. Ich möchte den Mund wenigstens einmal sehen, doch da ist nichts mehr. Da ist kein Loch in dieser Straße, die ganze Straße ist jetzt ein blutiges Loch, und dann ist sie in sich und durch sich selbst verschwunden. Sie hat ihr Gesicht verloren. Kein Mund zum Küssen mehr da. Rote Lippen soll man küssen, dazu sind sie da, aber, auch wenn man noch soviel von der Straße spricht, wie man von einem spricht, den man mal gekannt hat, ich kann doch nicht mehr sprechen. O mei, ich hab meinen Mund noch, aber das ganze Dahinter ist weg. Hinter dem Mund nichts mehr, das ihn hält. Das war doch das wichtigste! Das Dahinter. Das ist nicht nur Zierde wie bei meinen Krawatten. Ausgerechnet dort, wo die hingehören, ist in mir etwas zerbrochen. Ich kann nicht. Ich kann nicht. Ich weiß, daß die Straße das Sprechen für mich erledigen wird, ja, auch daß ich ihren Mund küssen darf, sie wird dafür meinen küssen, o mei, aber es geht nicht mehr. Sie hat ihr Gesicht verloren und ich meinen Mund. Auch umgekehrt würde nichts gehen, o mei, ein bisserl was geht immer, aber nein, diesmal nicht, die Birne ist wieder kaputt. Hab sie erst vorige Woche ausgewechselt. Schon wieder kaputt. Ich werde die Straße ansehen, ich werde ihren Mund küssen wollen, doch sie ist kaputt. Ich werde ihr zulächeln, wie früher, doch sie wird total hin sein. Ohne Gesicht. Gesichtslos. Ohne Mund. Sie wird mich nicht mehr ansehen, weil sie selbst kein Ansehen und kein Aussehen mehr hat ohne mich. Jedes Aussehen wurde durch mich verbessert, dieses aber nicht. Keine Zeit mehr. Ich wünsche sofort, diese Straße zu sehen. Ich möchte ihren Mund küssen, doch da ist keiner, da ist kein Mund, er funktioniert irgendwie nicht, na ja, meiner auch nicht. Ob es das Scharnier ist? Da ist sie ja, die Gegenseitigkeit, grüß Gott, nur herein! Doch es paßt nichts mehr zusammen. Was beweglich sein sollte, ist wie eingefroren. Mein Mund paßt nicht zur Straße, das verlorene Gesicht der Straße nicht zu mir. Mein Gesicht früher wie eine kleine Prinzessin, für Mama, Mama gewidmet, meiner lieben Mama, wenn auch niemals hinter einem Schleier, das Gesicht, immer war es ganz offen. Ich habe mich auch jedem immer gezeigt, auch denen, die mich gar nicht sehen wollten, wozu sich verstecken?, bringt doch nichts!, jetzt ist ja doch niemand mehr da, mich zu sehen. In den Wüsten und in den Häusern der Fürsten und Könige, der Stars aus Film und Fernsehn, die früher bei mir gekauft haben: nichts mehr. Der Wind heult durch, die Straßenbahn heult auch, weil sie immer wieder stehenbleiben muß, wenn sie doch weiterfahren möchte. Wegen mir heult niemand. Der Wind heult durch das Nichts. Die Straße ist fort. Ich bin fort. Macht schon mal zwei. Wir gehen zusammen, gelt, Straße? Weg ist weg, o mei, was soll man da machen. Wohin soll man da gehen, wenn nichts mehr da ist? Wenn man vor seinem eigenen Heim nicht mehr tun kann, was einem einfällt, weil das Heim verschwunden ist und der Rolls auch? Alles wird sterben, wir haben das vorgemacht, die Straße und ich. Folgen Sie uns, und Sie werden auch sterben. Zuverlässig. Wie meine Schuldner nicht immer. Sie alle, ja, auch Sie werden sterben, wo sollten Sie auch hingehen ohne diese keinmalige Straße? Einmal ist keinmal, so ist das, und jetzt ist halt keinmal angesagt. Nicht einmal ins Theater könnten Sie mehr! Da müßten Sie schon fliegen können über das Nichts! O mei! Besser tot sein als sich nicht mehr zeigen können. Wie wir, meine Straße und ich. Ich will ihren Kopf haben, aber sie hat kein Gesicht und keinen Kopf, genau wie ich. Sie ist gesichtslos. Und kopflos auch, da rennt sie, dort rennen Sie!, alles wie frisch geschlachtete Hendln. Und hätte sie einen, einen Kopf, würde sie ihn mir nicht geben wollen, nicht geben können, denn sie hat ihn mir ja schon gegeben. Das hat sie wohl vergessen. Das nützt ihr aber nichts. Sie werden alle sterben, so, und jetzt sage ich: Es sind genug Tote! Mir reichts! Genug ist genug. Ich aber wollte immer mehr, das war vielleicht mein Fehler, die Ursache vieler andrer Fehler. Wer jetzt noch lebt, darf das. Von mir aus. Eine schreckliche Stille, nur hier nicht, hier redet immer noch einer, und zwar der, der ich war. Sonst nichts mehr, niemand mehr. Ich höre nichts. Straße! Du wolltest mich deinen Mund nicht küssen lassen, und jetzt hast du keinen mehr. Ich will ihn jetzt küssen, doch ich finde ihn nicht. Ist der auch weg? Ist das Gesicht weg, kann man nichts mehr küssen. Warum sind deine Augen geschlossen, Straße? Wo doch alles offen ist, wo doch deine Auslagenscheiben weit offen sind, jeden Tag außer Sonntag, wo sie doch uns belegen wie Wurstscheiben, wo unsere Augen belegt sind wie mit Leberkäs, alles offen, bereit, alles belegt, kein Zimmer mehr frei, alles voll und voll da, aber nicht hier! Wieso kann ich deinen Mund nicht küssen? Ach so, ich kann ja, jetzt kann ich es, da du tot bist, Straße! Da bist du ja! Servus. Ich kann deinen Mund küssen! Erhebe deine Lider, Straße, deine Geschäfte sind gut bewacht, hab keine Angst! Hebe, was du hast, heb es auf für später, aber Obacht, nicht daß es unaktuell wird!, erhebe dich selbst, steh auf, du kannst dir nichts aufheben und nichts mitnehmen, das muß alles raus!, ich sage dir: Steh auf, Straße! Du kannst nicht? Du kannst nicht mehr? Du wolltest mich nicht haben, Straße, auch du nicht? Das kenn ich schon. Trotz meines Ansehens sollte mich niemand so sehen, wie ich war, niemand wollte den Schmerz erkennen, der in meinem zarten weiblichen Charakter lag. Der sich in jedem Raum breitmachte wie ein seltsames Wort oder ein wunderbares Stück Stoff, ja merken Sie denn nicht, wie herrlich schön das ist?, nein, sie merkten nichts, die können sich einfach nichts merken!, nein, niemand sollte sehen, wie ich mir selbst seidenweich durch die Finger lief, nichts wie dableiben! Nichts wie weg! Also sollte mich gar niemand sehen, und jetzt hast du es! Host mi?! O mei. Ich lebe nicht mehr, aber du bist auch tot, Straße! Dein Kopf gehört mir, aber so gesichtslos, so ohne Gesicht will ich ihn nicht mehr. Was mache ich mit einer Straße ohne Gesicht? Jetzt hab ich sie am Hals! Was macht die mit sich selbst? Wie soll ich da ihren Mund küssen? Was soll ich jetzt tun, Straße? Oh, wie liebte ich dich, Straße, fast wie die Knaben, die so lieb mir waren! Und ich liebe dich noch. O mei, es nutzt nix. Ich hungre so nach deinem Leib, entschuldige bitte, daß ich kurz nach einem andren Leib gehungert und gedürstet habe, na ja, nicht kurz und nicht ein Mal, mehrere Male, aber jedesmal nur kurz und immer nach Knaben, die ganz einmalig waren!, aber nur kurz, jedes Mal einmalig, das ist trotzdem zu kurz; du siehst ja, Straße, was es mir eingetragen hat. Nie wieder werde ich meine schönen Kleider tragen können, mein künstliches Haar, meine künstlichen Zähne, meine künstlerischen Züge, die sind alle entgleist in meinem Tod, alle fort, umgestürzt, die Körper kullern heraus, die fallen heraus, raus aus der Straße, in die Geschäfte fallen sie ein, aus den Geschäften fallen sie raus, für mein Geschäft fallen sie aus, die Straße hält sie ja nicht mehr, die Straße ist verschwunden, überzeugen Sie sich selbst!, Sie werden ins Nichts treten, wenn Sie rausgehen, ein Jüngstes Gericht für diese Straße, und ich habe es ihr bereitet. Für mich ein Gericht, das ich nicht mehr essen kann, Straße, nach deinem Leib hab ich gehungert, und jetzt ist alles fort. O mei, die Birne kaputt, die muß ich noch auswechseln, fast schon jeden Tag eine auswechseln, Glump!, das war ein Fehler! Jeden Tag sollte man nicht wechseln wollen. Aber man muß. Es war nötig. Was soll ich jetzt tun? Verachtest du mich, Straße? Verachte du mich wenigstens nicht, fahr nicht nach Kitzbühel, während ich begraben werde! Bleib wenigstens noch so lang! Wo soll denn mein Sarg sonst herumfahren? Das kannst du doch für mich tun, Straße! Sonst würde es mir furchtbar weh tun. Ich hab dich so geliebt! Dann kannst du gehen, Straße! Für dich bin ich wieder rein geworden, als wäre nichts, als wäre nichts gewesen, als wäre nicht Feuer in meine Adern gegossen worden, das dann einmal der Falsche trinkt. Als hätte ich nicht rausgemußt in der Nacht, auf die Straße, immer wieder, allerdings eine andre Straße, nicht diese. Hättest du mich nur einmal wirklich angesehn, Straße, du hättest mich geliebt! Der junge Mann auch. Der hätte vielleicht mich geliebt. Statt dessen bricht der mir doch glatt alle Knochen im Hals! Vielleicht hat er das ja, mich geliebt, als einziger, für einen einzigen Bruchteil einer einzigen Sekunde, als er mir den Kehlkopf und das Zungenbein von hinten zerbrach. Alles kaputt. Alles zerbrochen. So kleine Knöchel, Knorpel, die halten ja nichts aus!, die sind jetzt alle hin. Muß man gar nichts mehr abschneiden, ist eh alles hin. Graffel! O mei, scho wieder eine Birne kaputt. O mei. Das Geheimnis der Liebe ist größer als das des Todes, doch jetzt ist es gelöst. Hat es nach Blut geschmeckt? Nein, sicher nicht. Eher nach Parfum. Sie sagen, daß die Liebe bitter schmeckt, aber ich weiß es nicht, ich habe keinen Mund küssen können. Ich bin von hinten angefallen worden. Ich bin dann still gegangen, obwohl das nicht meine Art ist. Die Straße muß mit, sie muß mit mir mitgehen, was macht das schon! Gehen Sie halt in eine andre, dort gibts genau dasselbe wie hier. Diese ist mit mir gestorben, da können Sie nichts dagegen machen, dort können Sie nicht mehr hin. Dort ist gesperrt. Endgültig. O mei. Hin die Birne. Was solls. Ich habe seinen Mund nicht mehr küssen können, oder doch? Fragen Sie ihn! Fragen Sie nicht diese Straße, die ist sowieso eine Vielgeküßte, aber wenn Sie sie jetzt küssen wollen, ist da nur noch ein Loch, nur noch ein Loch. Da gibts nichts mehr zu küssen. O mei, die Birne hin. Was macht es schon! Schrauben Sie halt eine neue ein, und küssen Sie weiter. Aber dort wird nichts sein, wo Sie küssen wollen. Kein Mund mehr. Sie können vielleicht noch kaufen, aber küssen können Sie nicht mehr. Man hat getötet, was Sie küssen wollten, und jetzt ist es ganz aus. O mei, die Birne hin, ja, diesmal meine. Die Straße aber auch hin. Dort wo es geglüht hat, dort ist es jetzt hin. Es muß was Neues eingeschraubt werden, neingeschraubt. Halt! Aufhören! Danke. Es hätte eh nichts genützt. Wär schad um die Birne, wenn unten nichts ist, wo man sie reintun kann, wenn keine Straße mehr da ist, die ist nämlich fort, mit mir. Und aus. O mei. Schon wieder eine Birne hin. Man töte sie! Ach so, die ist schon gestorben? Dann die nächste bitte! Und einschrauben. Und sehen. Und schauen und sehen. Aber dort, wo nichts ist, dort haben auch Sie das Recht verloren, auch wenn Sie sich im Moment als Kaiser fühlen. Dort ist nichts mehr. Treten Sie keinen Schritt, treten Sie nach keinem, denn dort ist nichts mehr. O mei. Alles hin. Man kommt ja mit dem Schrauben gar nicht mehr nach! Da ist nichts. Da ist nichts dabei. Da ist niemand bei mir. Da ist nichts. Da ist nichts mehr. Da ist nichts dabei. Da ist niemand bei mir. O mei. Niemand bei mir. Niemand bei sich. Niemand.



Benny Claessens als Mosi

 

 

Material, diesmal in homöopathischen Dosen, aber trotzdem muß es gesagt sein:

Oscar Wilde: Salomé (Übers.: Hedwig Lachmann)
Walter Benjamin: Das Passagen-Werk
Homer: Ilias (Übers.: J. H. Voß)
Roland Barthes: Die Sprache der Mode
Euripides: Bakchen (Übers.: Kurt Steinmann)
Rudolph Moshammer: Mama und ich
Ein bissel Heidegger muß schon auch sein. Wollen täte ers nicht, das weiß ich genau.

Fotos: © Julian Röder , knkitaly.files.wordpress.com

3.11.2012

Uraufführung am 27.10.2012 in den Münchner Kammerspielen


Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vor­trags, der Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der deutschsprachigen Aufführung ist nur vom Rowohlt Theater Verlag, Hamburger Straße 17, 21465 Reinbek, Tel.: 040 – 72 72 – 271, theater@rowohlt.de zu erwerben. Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuskript gedruckt. Dieser Text gilt bis zum Tag der Uraufführung / deutschsprachigen Erstaufführung / bis zur ersten Aufführung der Neuübersetzung als nicht veröffentlicht im Sinne des Urheberrechtsgesetzes. Es ist nicht gestattet, vor diesem Zeitpunkt das Werk oder einzelne Teile daraus zu beschreiben oder seinen Inhalt in sonstiger Weise öffentlich mitzuteilen oder sich öffentlich mit ihm auseinanderzusetzen. Der Verlag behält sich vor, gegen ungenehmigte Veröffentlichungen gerichtliche Maßnahmen einleiten zu lassen.



Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. © 2012 Elfriede Jelinek

 

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