Elfriede Jelinek
Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.
("unempfindlichen
Staub mißhandle ich, tobend
vor Unsinn!")
Das
Doppelgeschöpf, das ich einst erfunden habe, tritt einmal wieder
auf, nachdem ich es mir aus der Versenkung geholt habe. Es ist ein
Mann, an den eine Frau angenäht ist (früher war es eine
Frau, die mit einer zweiten zusammengenäht war, aber ich habe
das jetzt abgewandelt, was sich natürlich auch im Gewand
niederschlagen wird). Man kann aber auch was ganz andres machen, wie
immer.
Doppelgeschöpf,
männl.: Ich habe gehört, es gibt jetzt eine Satzung im
Gesetz, daß man Orgien feiern muß. Es geht nicht, daß
man auf den Bergen herumschwärmt oder einfach nur glücklich
ist, es geht nicht, daß man sein Leben führt, an der Hand
(weil es immer wieder weg möchte von einem?), es geht nicht, daß
man gar nichts macht. Es zieht und zerrt an einem. Man muß sich
hinaufschwingen, wir haben ein Gesetz, und das heißt Orgie. Wir
haben ein Gesetz, und nach dem heißt es Genuß, obwohl das
manchmal viel Arbeit macht. Und meist machen dann andre die Arbeit.
Und sie machen sich auch Arbeit mit uns. Niemand muß mehr
sterben, weil wir alle leben dürfen. Weil wir es wollen, wie wir
da sitzen, auf dem Schoß der Zeit, die uns jeden Moment
runterschmeißen kann, weil sie selber aufstehen will und sich
die Beine vertreten. Dann müssen wir schnell weg, sonst tritt
sie uns noch, wenn sie vor uns davonrennt, weil sie woanders aktuell
sein möchte. Wir sehen sie dann nur noch von hinten. Niemand
wird getötet, Ihr Gift können Sie behalten. Ich nenne die
Ereignisse der Einfachheit halber so, aber niemand will, daß
diese Ereignisse einfach sind. Die Menschen wollen außer sich
geraten, dabei ihr Leben sprengen, aber wenn sie einmal
herausgeschleudert worden sind, finden sie vielleicht nicht mehr
zurück. Außer sich geraten, bis die Haut alle Farben
spielt und aufplatzt, das wollten sie schon immer, das ist nicht
unbedingt eine grundlegende Funktion ihrer Artbehauptung, wenn die
Heimkunft nicht gesichert ist. Sie könnten auch etwas ganz
anderes behaupten, das wäre ohnehin besser für sie. Sie
tragen eigenwillige Hemden, Hosen und Schuhe, denn hier zählt
Ihr eigener Wille noch was, und das kriegen Sie alles hier, ja, genau
hier! Sie wollen sich vergrößern? Dann können Sie mit
dem, was Sie hier bekommen, an sich anbauen, anstatt sich selbst zu
säen und damit zu vergeuden, denn dieser Boden ist ohnedies
unfruchtbar. Er gibt, aber er gibt nichts zurück. Und
Rückgaberecht gibt es auch keins. Kleidung hat einen Zeitbezug,
kein Zweifel, doch das, womit Sie sich beziehen, ist nicht mehr
zeitgemäß. Sie sind festgefahren! Setzen Sie sich erneut
in Gang! Diese Kleidung, mit der Sie eine Art von Willen ausdrücken,
zumindest glaube ich das, wenn ich Sie so anschaue, ersetzt Ihren
eigenen Willen auch wieder ganz großartig. Er ist bereits
ersetzt, Sie haben es bloß nicht gemerkt. Bis Sie etwas andres
wollen, das kann recht schnell passieren. Was, Sie sind das gewesen?
Moment, Ihre Kleidung will aber auch was, die Menschen hören ihr
zu, und dann kaufen sie sich etwas Passendes dazu, das aber dafür
ihnen nicht paßt. Diese Tasche – also nein, wirklich
nicht! Wo haben Sie die denn her? Im Kaufhaus, allerdings nur in
einem einzigen, kriegen Sie genau die gleiche, aber billiger. Wenn
Sie das nur vorher gewußt hätten! Kleidung ist immer: Wenn
wir das vorher gewußt hätten! Danach ist es immer zu spät.
Aber allgemein gesagt: Die Kleidung ist heute noch nüchtern,
daher muß man sie anfüttern, mit Schmuck am besten oder
eben, sehr wichtig!, mit Taschen, so etwas wie diese Taschen haben
Sie noch nie gesehen, bitte, hier können Sie sie sehen. Und dort
drüben haben Sie eine Kopie gesehen und den Unterschied, auf den
es ankommt, nicht erkannt. Sie war schon vor dem Original auf dem
Markt, den Sie noch nicht betreten haben. Vuitton hat sich über
die Taschen hinaus ausgebreitet, er hat Tonnen von Kleidern über
die Taschen gebreitet, denn die Marke hat ihren Reiz und muß
daher ausgereizt werden, von einem Mann, der alle Ihre bisherigen
Meinungen über den Haufen werfen kann, einfach dadurch, daß
er ein Spätergekommener ist, Sie aber immer überholen wird,
was immer Sie auch tun, wo immer Sie auch sind. Sie sind immer ein
Auch! Sie können aber genausogut gegen Ihre Kleidung arbeiten,
sie wird es Ihnen nicht übelnehmen, denn sie muß ja auch
gekauft werden, warum also nicht Männerschuhe zum Abendkleid?
Nein, das denn doch nicht. Für mich bitte schon! Egal. Kriegen
Sie alles hier, weil Sie alles kriegen, separat oder im Kombi. Es muß
jedenfalls unbedingt das Unbedingte sein, das Äußerste,
das aber immer ein und dasselbe ist, nur anders, das Leben kann
leicht oder schwer sein, sogar Leinen kann leicht oder schwer sein.
Im Grunde sind sie miteinander unvereinbar, ich weiß jedoch
nicht, wer und aus welchem Grund, ach ja!, Mensch und Genuß,
der Mensch als solcher ist schon das Gegenteil von Genuß, wenn
man ihm zu nahe kommt. Doch sie können sich ausdenken, die
Menschen, woran sie sich erkennen, falls sie sich zu vereinigen, zu
veruneinigen oder sonstwie diesen Genuß zu erzielen wünschen.
Dann legen sie sich ihre ausgewählten Objekte auf Objektträger,
und selber tragen sie auch immer was, das ein Schoß entweder
vor oder nach der Zeit geboren hat. Zu früh oder zu spät.
Und dann tragen sie es nicht mehr. Schauen wir uns an, was sie
tragen? Denn in die Natur geht man zwar, man trägt sie aber
nicht, man kann sich den Wald, die Wiese nicht anziehen, man kann sie
aber in einer bestimmten Form, die etwas wie Wiese behauptet, schon
anziehen. Man kann natürliche Materialien tragen, wie schwer
auch immer das ist, es ist trotzdem Leinen!, und die Natur damit
schonen, aber die Natur wäre selber die letzte, die natürlich
sein wollte, ließe man ihr die Wahl. Da sie ohnedies
kaputtgemacht wird, wäre sie lieber aus einem haltbareren, zur
Not auch künstlichen Material. Sie hat nicht die Wahl. Sie kann
außer sich geraten, siehe Orgie, alle wollen hin, stapfen zu
den Tanzplätzen, den Clubs, die Erde bebt unter ihren Tritten,
das hat sie nicht verdient, aber Sie, hätten Sie mehr verdient,
hätten sich die Schuhe von Gucci im Original kaufen können!
Ja, dort am Eck, wo früher ein Italiener war, in dem wir
jahrelang zu Abend gegessen haben, ach, waren das Zeiten, wieso haben
wir sie aus dem Schoß der Zeit vor der Zeit herausgerissen?,
na, wir warens nicht, der Vermieter wars. Gucci zahlt besser. Und
dann zahlt man für diesen Mantel dafür noch viel mehr.
Einer bezahlt den anderen, es ist ein Nehmen und Nehmen. Wer gibt?
Wer hat zuviel? Niemand. Die Natur gibt, sie verausgabt sich, wen
interessierts, sie ist ja gratis zu betreten. Außerdem verstehe
ich persönlich nicht, wie man die Natur schonen kann, wenn man
sie sich anzieht. Dabei verbraucht man sie doch erst recht! Und sie
wird immer weniger, wie man so hört. Ich habe sie ja lange nicht
mehr gesehen. Erst mal verknäueln sich die Schlangen im
Baumwollfeld zu einem Haufen, und dann ist die ganze Baumwolle weg,
sie wurde nie chemisch gespritzt und vor Tieren, denen sie aber auch
gehört, geschützt. Oh, wie schade! Dann ruht sie ja nicht
mehr in sich, die geschonte Natur, diese Schonung an sich, sondern an
sich und auf uns, und auf uns würde ich mich nicht verlassen.
Natürlich ist sie etwas gesünder als die Kunst, aber nicht
viel. Etwas ist natürlich gesünder. Es gibt immer etwas,
das gesünder ist, so wie es immer etwas gibt, das schöner
ist, als sich Schlangen ins Haar einzuflechten! Ich bin wie Pentheus,
ich höre, ich höre von den unerhörten Auswüchsen
in dieser Stadt, deshalb bin ich gekommen, weil angeblich die Frauen
ihre Frauenhäuser verlassen haben, um einzukaufen. Dabei geraten
sie immer so außer sich, sogar ganz allein, wenn keiner sie
sieht außer einem Spiegel, der sie zurückwirft, weil er
sie nicht ertragen kann und das, was sie später kaufen wollen,
erst recht nicht. Essen Sie es hier oder dort, was Ihnen angeboten
wird! Tragen Sie hier oder dort, was Sie gekauft haben, das sieht an
Ihnen so aus, daß man Sie ergreifen und mit gebundenen Händen
ins Staatsgefängnis werfen möchte, wenn man könnte.
Ich möchte Sie auf dieser Erdoberfläche nicht mehr in
Freiheit antreffen! Ich möchte Ihre Freiheit zu kaufen unbedingt
begrenzen! Das geht nicht, was Sie da vorhaben! Fassungslos sehe ich
es und kann Sie nicht aufhalten. Sie kaufen sich diese neue Hose,
hauteng, klar, und dann schleichen Sie sich fort, eine nach der
anderen, ja, auch Sie dort, und Sie gehen an einsame Plätze,
nein, an belebte Plätze, um sich der Lust der Männer
hinzugeben, zumindest anzubieten, denn genommen wird nicht jede, und
nicht jede nimmt selbst. Dazu müssen Sie sich selbst überholen,
weil Sie zu lang gezögert haben, Sie haben mit dem Einkauf
gezögert, der Sie so viel schöner hätte machen können,
und jetzt müssen Sie für die Orgie die Sachen nehmen, die
noch da sind. Die meisten sind schon ausverkauft oder werden gerade
gekauft. Kaufen Sie ebenfalls, solange der Vorrat reicht!, der ist
aber unerschöpflich, ist er nicht hier, dann ist er dort, hier
oder dort, das Material, das Sie anprobieren, wird fließend
oder träge sein. Es wird an Ihnen hinunterrinnen wie Wasser oder
um sie herumstehen wie eine Menschenmenge bei einem Unfall. Oder es
wird steif sein wie ein Toter. Kriegen Sie alles hier, auf der
Straße, meist schon, bevor die neue Jahreszeit noch angebrochen
und aus der Packung raus ist, und schon zum Ausverkaufspreis. Es wird
schon geschleudert, bevor die Maschine der Zeit überhaupt
gefüllt werden konnte. Die Menschen verschleudern sich ja auch,
sie drängen sich danach, sie treten den Vorderen auf die Fersen,
damit es schneller geht, doch die Schlange stockt schon wieder, da
gibt es etwas Neues, wir müssen uns beeilen, sonst ist es alt!
Die Menschen können sich gar nicht schnell genug vergeuden. Was
noch an ihnen dran ist und was sie sich teuer erkauft haben –
weg damit! Natürlich haben sie den Vorwand, daß sie das
alles brauchen, weil sie es noch nicht haben, obwohl sie schon zehn
Blazer haben, die gewittrig blitzen und ihre Knöpfe fletschen,
als wollten sie gleich zum Angriff übergehen, immer dasselbe,
das Alte, aber ganz neu! Um dem Alten ein Ende zu setzen. Sie aber,
Sie aber! Zuerst schwärmen Sie auf den Bergen beim Vorwand
Sport, nein, bei der Hauptsache Sport, aber Ihre Turnsachen müssen
Sie woanders kaufen. Dann aber, dann gehen Sie in diese Straße
und machen sich füreinander wieder genießbar, lassen sich
weichreiten, nachdem der Sport Sie so zäh gemacht hat. Lieber
junger Mann, sage ich zu mir. Endlich habe ich in mir einen gefunden,
der als Schauspieler für andere, und zwar als eine Art
Kleidungsstück, in Betracht kommt! Andere ziehen ihn sich an, er
zieht sich wieder andere an. Ich bewundere die Schauspieler.
Begreifen kann ich sie nicht. Das ist wie mit der Mode. Bewundern,
angreifen, aber es ist unbegreiflich. Was? Daß ihr in eurem
Alter so närrisch seid? Also das verstehe ich. Aber daß
man nach dem Neuen so närrisch sein kann, das verstehe ich
weniger. Warum kaufen, was man bereits in sich trägt? Das ist
die Aufgabe dieser Straße. Sie sollen kaufen, was Sie schon
haben, nur anders, in andrer Form, mit neuem Inhalt. Sie sind dran,
Sie sind drin. Es wird Ihnen etwas anderes gezeigt, das Sie kaufen
sollen. Sie sollen es jedoch nicht erkennen als etwas, das Sie
bereits haben. Was motiviert Sie dazu? Bitte sagen Sie es uns! Hier
ist ein Publikum, das vorhin aus dieser Straße gekommen ist und
es hören will. Das schreckliche Schicksal von der Mutter vom
Dionysos wollen sie eher nicht hören. Es soll leicht sein, aber
nicht seicht, hoffentlich krieg ich das hin, nein, sicher nicht, ich
kann das nicht. Es gibt keine natürliche Motiviertheit bei mir
dafür, das haben Sie sicher schon gemerkt. So wie es bei Ihnen
keine Motiviertheit gibt, daß Sie immer wieder dasselbe, jedoch
anders, haben wollen, obwohl Sie es bereits haben, wenn auch anders,
aber das andere interessiert uns ja. Es soll niemals etwas dasselbe
sein. Wie, was, wie was? Keine Ahnung. Aber wenn ich Sie so ansehe,
weiß ich, was dasselbe ist, gerade weil ich keine
Vergleichsmöglichkeit habe. Was es bedeutet, dasselbe wie etwas
anderes zu sein, in seiner finstersten Ausformung, die keines Kaufs
bedarf, dasselbe, das man schon hat, wie schon der Name sagt, das
weiß ich nicht. Es muß furchtbar sein, ungefähr so,
als würde man sich selbst begegnen, wüßte aber ganz
sicher, daß es einen nur einmal gibt. Was Ihre Form betrifft,
die Sie notfalls aus Kleidung hergestellt haben, falls Sie sie nicht
anders formen konnten, das weiß ich genau, kann es Ihnen aber
nicht genau sagen. Ich habe jetzt vergessen, wie diese Unterwäsche
heißt, mit deren Hilfe man sich unter der Kleidung eine ganz
neue Form verleihen kann. Besser als die, die einem zugemessen wurde
und bislang ganz angemessen schien. Besser, man verläßt
sich auf andre und kauft sich eine Form, als man bleibt Natur und ist
schlecht in Form. Schauen Sie, Sie können, um Ihre Art zu
behaupten und zu behaupten, zu welcher Art sie gehören, ja, das
sind zwei verschiedene Dinge, Sie können also die Entscheidung
wieder einmal der Natur überlassen. Die wird Ihnen schon sagen,
ob Sie den warmen Wintermantel, den Parka oder den leichten Blouson,
nein, so ein Wort verwendet man heute nicht mehr, oder doch?, muß
ich nachschlagen, wie nennt man das heute, eine den Körper
umspielende, doch nicht efeuhaft umklammernde Jacke?, wie sagt man
dazu?, die will ja auch spielen, ob Sie das also tragen sollen oder
was andres. Ob Ihr Körper so ist, daß nichts ihn umspielen
muß, sondern alles mit Ihnen spielen darf, aber kein Spiel mehr
hat, weil es so eng ist. Na, Sie können es sich leisten! Bei
Ihrer Figur! Aber die kann man doch korrigieren! Man kann sich eine
andre machen lassen! Das sagt man heute alles nicht mehr, ich weiß.
Ich weiß nicht mehr, was man heute sagt. Muß nachschauen.
Was ist heute angebracht, was soll an Ihnen angebracht werden? Wieso
lasse ich das einen jungen Mann sprechen, wo ich doch gar nicht weiß,
wie oder was ein junger Mann heute spricht? Das Alter spricht aus
mir, ich versuche da Dinge zu bestimmen, die längst vergangen,
in Wahrheit aber nur in der Zeit steckengeblieben sind und seither
ruhen, ausgerechnet in mir. Ich versuche, sie aus dieser Ruhe zu
bringen, die liegen eh nicht gut. Es geht nicht. Wieso soll das ein
junger Mann sagen? Ich fasse mich selber nicht, na ja, meine Kleidung
faßt mich noch, ich aber nicht sie. Was soll das? Wenn Sie also
in diesem Punkt, die Natürlichkeit betreffend, auf die Natur
hören, warum tun Sie es dann nicht immer? Sie können sich
auf sie komplett verlassen, glauben Sie mir. Sie können
prinzipiell zwischen verschiedenen Mützen, Hüten oder
Basecaps wählen, aber Sie können nicht wählen, was die
Natur Ihnen vorgibt, nein, aufgibt. Was auch immer, diese Straße
erfüllt diese Aufgabe hervorragend, Sie aber müssen ihre
Vorgabe erfüllen, ein junger Mann zu sein, ach, Moment, der bin
ja ich, das bin ja ich! Aber ich weiß nicht, wie ich sprechen
soll, ich weiß nicht, wie ein junger Mann spricht, obwohl ich
jetzt einmal einer bin. Ich weiß zwar, daß Sie Ihren
guten Eindruck gleich wieder mitnehmen können, wenn er zu tief
ist, wenn Sie sich zu tief eingedrückt haben, doch wenn Sie
nachdrücklich auf andere gewirkt haben, dann sind der Eifer und
die Kraft, die Sie dabei anwenden, wenigstens nicht vergeudet. Aber
wieso haben Sie sich in mich, einen jungen Mann, zumindest für
eine gewisse Zeit, die nicht meine sein wird, hineingeschleudert? Ich
verstehe schon, daß Sie mich gewählt haben, so wie Sie
diesen neuen Pulli mit Löchern drinnen, die aber hineingehören
und nicht nachträglich unter Mitarbeit von Motten entstanden
sind, erwählt haben, der ist neu und daher jung, der Pulli, bloß
Sie sinds nicht, das heißt, die Löcher waren immer schon
drin, ich spreche von diesem japanischen Pullover aus der "Klamotte",
woanders kriegen Sie ihn nicht, ich spreche nicht von mir, ich würde
etwas ganz anderes sprechen, aber eine alte Frau, ja, die, genau
hinter mir!, läßt mich nicht, da ist dieser Pulli, und der
hat unregelmäßige Löcher an sich, nein, in sich
angebracht, nein, das ist unangebracht, also er hat halt von Anfang
an Löcher, dafür zahlen Sie ja auch doppelt und dreifach,
obwohl dem armen Pulli was fehlt, denn es ist nicht leicht gewesen,
die Löcher in ihn hineinzukriegen, ohne daß er sich total
auflöst, was aber praktisch wäre, jede Kleidung betreffend,
denn dann würde man wirklich, aber wirklich was Neues brauchen,
das man sich holt, auch ohne es zu brauchen. Einen Pulli hat jeder,
diesen hat nicht jeder, vielleicht will ihn aber auch nicht jeder.
Sehen Sie, und genau da schlagen Sie zu, da schlägt die Mode zu,
bis Löcher im Gewebe erscheinen und Sie, anstatt
zurückzuweichen, nach vorne treten, in unser Blickfeld. Billiger
wäre es, Sie machten die Löcher selber rein und würden
den Pulli dann nach ein-, zweimal Tragen wegschmeißen. Dafür
war er dann auch entsprechend billiger. Und beim nächsten Mal,
beim nächsten Pulli, können Sie dann die Löcher
woanders machen, so haben Sie immer was Neues, aber nach dem zehnten
Pulli hätten Sie auch gleich von Anfang an den mit den Löchern
kaufen können, die bereits drinnen gewesen wären. Nein, von
Jeans spreche ich nicht, von denen muß man nicht sprechen, die
sind einfach da und aus. Sie hauen rein! Das mit den Löchern
geht gar nicht so schwer, wenn man erst Mut gefaßt hat. Gut so.
Schauen Sie: Das Wählen geschieht überhaupt immer innerhalb
bestimmter Grenzen, sonst wäre es kein Wählen, sonst wäre
es ein Wühlen in allem, was es gibt, und Sie, Autorin, könnten,
wenn Sie ein Theaterstück schreiben, das natürlich wieder
mal keins ist, das schon von vorneherein vorne und hinten Löcher
hat, die man billiger auch nachher hineinmachen könnte, auch Sie
also könnten als alte Frau auftreten, Sie vergäben sich
nichts dabei, Sie sind ja eine, das kostet Sie nichts, und wen wählen
Sie? Sie können auch gleich selber sprechen! Aber nein. Sie
wählen mich, einen jungen Mann, der diesen Blödsinn reden
soll, so wie er sonst nie reden würde, mein Reden ist, weil es
von Ihnen kommt, nein, es wäre so, als würde ein Gott
seinen Stab hochauf schwingen, an den er vorher diesen Efeu,
ebenfalls klammernden Efeu, ungefähr so wie Sie sich an die
Jugend klammern!, gebunden hätte, und dann würde er zu den
Tanzplätzen, die heute anders heißen, ich sagte es schon,
Autorin, Sie wissen ja gar nicht, wie die heißen, Sie waren ja
noch nie dort, schweigen Sie also still oder fragen Sie diesen
Kollegen, der jede Nacht dort ist und das auch jedem sagt, ich würde
es mit anderen Worten sagen, aber ich darf ja nicht: Dann würde
er zu den diversen Clubs eilen, der junge Gott mit seinem Stab und
seiner Lockenpracht, es geht aber auch ohne, nein, nicht ohne Stab,
aber ohne Locken. Wenn man Locken will, braucht man den Stab, wenn
man die Locken raushaben will, einen andren Stab, manchmal auch
denselben. Es geht manchmal auch was glatt, aber eher selten. Vorher
muß er sich noch einkleiden, der junge Mann, was schwierig ist,
wenn jemand an ihm hängt wie diese aufdringliche Pflanze. Das
will kein junger Mann, der auch nur irgend etwas gleichschaut, daß
jemand an ihm hängt, und wäre es eine Frau. Er will alleine
stehen. Er scheut die Arbeit nicht, er ist ja jung, er wird heute
abend als neuer Gott bei den Menschen eingeführt, die werden
auch immer jünger, kommen ihrer Herstellung immer näher,
ich meine die jungen Männer, die Menschen leider nicht. Früher
mußte man sich für die Orgie ausziehn, als junger Mann
kann ich mir das leisten, aber heute muß man sich einkleiden.
Damit man das Aussehen eines Sterblichen mit Leben überdeckt,
als würde man nie sterben. Dafür steht der junge Mann. Ich
stehe hier, werde aber verhältnismäßig bald als alte
Frau ertappt. Sie, Autorin, stehen für nichts mehr, höchstens
noch für mich, und das ist nicht viel, Sie können ja selbst
nur noch mit Mühe stehen, entschuldigen Sie, stehen, das geht,
sagen Sie, gehen auch noch zur Not, laufen schon schwieriger. Damit
man nicht an den Tod denkt, wenn man Sie anschaut, haben Sie mich
hierher gestellt, den niemand zu keinem Kult anstiften muß. Ich
darf jetzt ein Anstifter sein, vielen Dank! Sie, Frau, dürfen
nur Ihren Stift anspitzen, wenn Sie das nicht zu sehr anstrengt. Aber
was Neues anziehen, das wollen auch Sie, dann sieht man den Tod in
Ihrem Gesicht nicht so. Mir ist das alles fremd, was Sie sagen. Was
Sie angezogen haben, schon weniger. Sie wollen mit der Jugend Schritt
halten, aber das geht nicht, die ist Ihnen weit voraus, die hat Sie
längst überholt, ihre Schritte verklingen in der
Vergangenheit, die auch eine Jugend hat, aber die sagt zu ihrer recht
kurzen Vergangenheit nur: aus den Augen, aus dem Sinn, nein, so
spricht sie schon gar nicht, die Jugend, ich weiß es nicht, Sie
sollten es wissen, wenn Sie einen jungen Mann auswählen, aus dem
Sie sprechen wollen, und eine Vergangenheit, aus der Sie kommen,
Autorin, doch ich komme von woandersher, ich komme nicht aus dem
Gebirge her, das sind schon wieder Sie, die da herumfaselt. Sie
waschen sich, aber Sie machen sich nicht naß. Ich würde
sowas nie sagen. Sagen Sie mir, was ich sagen soll! Aber ich würde
sowas nie sagen. Ach, da haben wir ja einen Anhaltspunkt in unserem
Dreipunktgurt, auch ein Wort, das ich nicht kenne, doch da steht es,
da steht es wie ne Eins, und es geht nicht weg, was da steht, und ich
kann auch nicht weg, denn da hängt eine an mir. Autorin:
Erkennen Sie sie wieder, die Vergangenheit? Dafür sind Sie da,
dafür haben wir Sie ausgewählt, daß Sie die
Vergangenheit kennen, die wir noch nicht haben. Die ich nicht habe.
Oder nur wenig davon. Ein junger Mann braucht auch noch keine. Die
zieht er sich später an. Er kann noch alles tragen. Derzeit sind
die Schultern wieder breiter, ich sehe ein, daß Sie das
erkennen, Sie haben es ja schon beim ersten Mal erlebt, wie sich die
Schultern zum reißenden Strom verbreitert haben, Autorin, Sie
Schmalspur-Bächlein!, beim zweiten Mal auch, und jetzt ist das
dritte Mal angebrochen. Und Ihre Packung ist nicht nur angebrochen,
die ist fast leer. Die Schultern? Wen interessieren die Schultern?
Manche müssen sie interessieren, wenn sie sie wieder weghaben
wollen. Manche haben schon fast zu breite, die Natur hat ihnen das
angetan, aber sie haben auch fest daran mitgewirkt, wie die Fürstin,
die Schwimmerin war, und in diesem Kleid, sehen Sie, ergreift sie die
einzige Möglichkeit, ihre Form sich selbst etwas geringfügiger,
ich meine gefügiger zu machen, und zwar so, wie sie nicht durch
eigene Arbeit an sich gefügt worden ist, sondern durch Sport,
durch das Sinnlose an sich, aber das Schönste, die schönste
Nebensächlichkeit, wie man sagt, die Ärmel, nein, eher
breite Träger, die verdecken die Schultern, verkleinern sie
optisch, sie erwecken das Leben der Schultern, indem sie es
verdecken, und machen so die Schwimmer-Silhouette schmäler,
zarter. Was das mit dieser Straße zu tun hat? Nichts. So wie
ich als junger Mann nichts mit Ihnen zu tun habe, Autorin, haben Sie
das jetzt geschrieben oder nicht?, sehen Sie!, nichts mit einer alten
Frau zu tun haben will. Aber etwas Ähnliches werden Sie hier
schon finden, das Ihre Sprache spricht, das Ihre Sprache noch
spricht, das in Ihrer Sprache zu Ihnen spricht, denn Sie finden hier
alles. Mich schwindelt, wenn ich es mir nur vorstelle. Ich ertrage
das nicht. Aber vielleicht das andre Geschöpf? Es ist Teil von
mir, hält aber mehr aus, glaube ich.
Das
zweite Geschöpf, die Frau, beginnt furchtbar am Mann zu zerren.
Doppelgeschöpf,
weibl.: So lassen Sie mich doch in Frieden! Wenn wir schon
aneinander hängen, müssen wir doch nicht vertraulich
werden. Das Licht! Das Licht ist hier berühmt, ich weiß
aber nicht, wofür. Es leuchtet hier, somit ist die Sonne gleich
weit von ihren Absichten entfernt wie diejenigen, die sie beleuchtet.
Sie ist die Bedingung für die Dinge hier in den Geschäften.
Unverstört und bar aller Vernunft, die Straße ist nicht
bar aller Seitenwege, die auch noch einiges zu bieten haben, eile ich
dahin, um mich den schönsten Frauen dieser Erde anzuverwandeln.
Ich habe alle ihre Fotos und gehe in ihre Richtung. Ich kann nicht so
sein wie sie, aber ich kann es mir vorstellen, wenn ich das Teil
nachher zu Hause gleich wieder an- und ausprobiere. Es ist eine
unendliche Annäherung, die nie im Sein mündet, Achill und
die Schildkröte, so ist das. Wir fallen nie ineinander,
erreichen einander nie ganz, die Schönheit und ich, Sie sagen
natürlich, ich sei meilenweit entfernt von ihr, der innerste
Grund für Ihre Schwierigkeit, mich mit dem vollen Wesen Ihres
Urteils anzusehen, liegt nicht in meiner Unvollkommenheit, sondern in
Ihrer Hineinversessenheit in diese Fotos, deren Reiz ich auszureizen,
nein, zu erreichen versuche. Es geht nie, aber ich nähere mich
ihr an, dieser Frau auf dem Foto, nur ihretwegen habe ich diesen Rock
gekauft, näher kann man ihr nicht kommen, und näher kann
ich mir nicht kommen, näher als ich, wer, wer sollte das sein?
Nie! Niemand! Ich gehe jetzt den Zeit-Raum der Wahrheit enthüllen,
hören wir, was sie mir sagt: Das Sein ist und bleibt, egal, was
man anhat und womit man sich schmücken mag, in höchster
Not, es bleibt immer gefährdet, es bleibt das gefährdete
Inzwischen, oh nein!, da probier ich lieber mal das Zwischendurch,
vielleicht schaff ichs ja für zwei Minuten, genau hier,
zwischendurch das Zwischendurch, um dem Inzwischen zu entgehen, wie
diese Frau zu sein, ja, die, wenigstens für kurze Zeit, Gott?
Nein, nicht Gott, das meinen viele, das meine ich aber nicht. Ich
heiße so und so, und das heißt, ich heiße auch was!
Das sind zwei verschiedene Dinge, mindestens, wenn nicht drei. Ich
sehe verheißungsvoll aus, bin es aber nicht, denn ich verheiße
immer nur mich selbst, und das auch nur mir selbst. Je mehr ich
kaufe, je tiefer ich in den dunklen Wald der Gier eindringe, als
würden dort die Flammen herausschlagen, und ich müßte
sie löschen, umso enttäuschter bin ich, denn eindeutig
brennt dort was, aber nicht für mich, vielleicht alles, aber ich
bin es nicht, mein Sein entbrennt dort nicht, es glost etwas, das
steht fest, aber was? Ich muß dorthin! Ich muß etwas
retten und merke, ich bins selbst! Für mich allein tue ich das
alles schließlich!, ich tue es in all meiner Armseligkeit, bis
ich erloschen bin. Die Alten dachten sich die Götter als etwas
Seiendes, so darf also auch ich sein, wie ich will. Aber das geht
jetzt auch nicht, denn ich habe leider einen Spiegel, und in dem bin
ich leider drin, ich bin also im Bilde! Für das Sein habe ich
keine Zeit, ich möchte ja jemand andrer sein, zum Beispiel die
Frau auf dem Foto, dann wäre das Sein bei mir ein ewiges
Inzwischen, in einer Art Zwischenspeicher, den man jederzeit wieder
aufrufen kann, doch das geht nicht, ewig geht gar nicht, denn
inzwischen habe ich etwas anderes zu tun und zu tragen. Trotzdem, ich
muß an mir arbeiten, ich muß mir so viele Sachen kaufen,
was zuerst Arbeit bedeutet, um sie mir zu kaufen, und dann Arbeit, um
mich damit herzurichten, für den Tod auf einer Platte
herzurichten, schön dekoriert, wie Essen, ich bin Speise für
den Tod, je schöner desto schneller wird er mich bemerken. Ich
bin meine eigene Göttin, bilde ich mir ein, wenn ich dieses Bild
sehe, ich bilde mir ein, wie ein Bild zu sein, eine Göttin, die
früher ein Gott war, dann wurde sie herabgestuft, jetzt ist das
eher neutral, egal, da ist jemand. Wer ist da bitte? Ist da jemand?
Bitte melden Sie sich, ich bin im Inzwischen und suche das
Dazwischen, zwischen dieses Bild und meinen Spiegel klemme ich mich
hinein wie eine Notiz, die ich noch lesen muß, das winzige
Stück, das fehlt, ich weiß schon, Sie werden sagen, mir
fehle so ziemlich alles, stimmt, aber ich habe diesen Zwischenbereich
nun mal geschaffen, er hält, solange mir der neue Rock gefällt,
das wird erfahrungsgemäß nicht lang sein, und es wird nur
in diesem Bereich für mich gelten, nur für mich, dort
können Sie mich jederzeit anrufen, aufrufen oder sonstwie
erreichen, was machen Sie da? Was werfen Sie da zwischen mein
Inzwischen und die Welt eine neue Notwendigkeit? Die Notwendigkeit,
sagen Sie, der Vereinfachung, des Schlichten, des Einschlichtens (was
glauben Sie, was ich an Regalen und Schränken verbrauche!) und
der Stille, ja, der Stille, denn für meinen Auftritt brauche ich
keinen Lärm, keine Musik, keine Orgie, nein, das Schlichte ist
es für mich, ich bin fürs Schlichte, davon gibt es auch
sehr, sehr viel, und es gibt auch mir sehr viel, obwohl es so viele
Varianten des Schlichten gibt, daß man sich darin, obwohl es
schmucklos ist, bei aller Schlichtheit gar nicht mehr auskennt,
glauben Sie mir, mehr als Sie denken gibt es mir, obwohl es doch
scheinbar das Einfachste ist, ist es doch waghalsig unter lauter
Überschmückten, Überschminkten in dieser Stadt, dafür
ist sie berühmt. Wenn die Frauen hier nur in den Supermarkt
gehen, super hergerichtet, in gewissen Vierteln, wo sie sonst nichts
zu tun haben, dann steigen sie aus ihren schweren SUVs, dann werden
ihre Hände fast abgehackt von schweren Armbändern, das
Gesicht eingedrückt von ihrem Make-up, der Rücken von
Reizwäsche verprügelt, dann tragen sie dafür immer,
immer, wirklich immer sehr leichte, sehr hohe Schuhe (im Winter
Stiefel, aber auch sehr hoch), das stört schon mal das
Gleichgewicht, denn sie haben zuwenig Halt, dafür hat ihr Wagen
zuviel, zuviel Grips, äh Grip, ihre Schlüsselbunde sind
schon dermaßen schwer und zum Beispiel von Versace, ich habe es
selbst gesehen!, die Schwester ist jetzt dran, nachdem der Bruder
umgebracht worden ist, in Florida, nein, das habe ich natürlich
nicht selbst gesehen, war auch unnötig, wir wissen alle, warum
und von wem, das war traurig, ach, ich erkenne den Schlüsselbund
an diesem Versace-Gesicht, ich hab es auf einer meiner
Lidschattendosen drauf, leider hab ichs nicht drauf, es zu meiner
Verschönerung zu benutzen, ich würde es jedoch überall
erkennen, dieses Gorgonenhaupt oder was es ist, sehe es aber nirgends
mehr, haben die überhaupt noch eine Kosmetik-Linie?, auch falsch
gedacht und falsch gesagt, falsch gesehen, falsch gesagt, oder?, was
wollte ich denn überhaupt sagen? Wenn diese Frauen nur einen
Liter Milch und zwei Salatköpfe kaufen gehen, fallen ihnen schon
die eigenen Köpfe beinahe ab, so schwer ist ihr Haar, so schwer
fällt es herab, in riesigen Wellen, die Farbe umgibt jedes
einzelne mit mattem Schimmer, zu mehr reichts nicht, ich meine, weit
reicht dieser Schimmer nicht, wir werden gleich darauf zurückkommen,
aufs Schlichte, Sie sagen, hoffentlich nicht, wo diese Stadt doch so
kompliziert ist, was müssen Sie das durch das Schlichte noch
weiter komplizieren?, da wir vom Komplizierten schon zuviel haben,
Sie wollen über das Schlichte sprechen? Lassen Sie das, das ist
ein Land, wo wir nie waren und nie hinwollten. Unsere Bauernhäuser,
die die Zähne fletschen vor Anstrengung, auch wirklich ländlich
auszusehen, sind ja auch nicht schlicht. Dem Stand der Behandlung der
Urteilsfrage kommen Sie vielleicht näher, wir aber nicht, Ihr
Urteil stand ja schon von Anfang an fest: In dieser Stadt steht
zuviel vor! Ich meine, sie hat zuviele Vorsprünge, aber sie hat
keinen Vorsprung, vor nichts. Das beißt, dieser Vorsprung! Das
fährt heraus und beißt die Menschen, daher können wir
auch nicht dorthin zurück, wir können nicht zurück in
die Stille, wo das Auge im Liegestuhl liegt und sich ausruht, ja, und
dort, in der Stille, dem Verstummen vor dem Stilvollen, die nach dem
Schlichten entsteht, da passiert dann was, keine Ahnung, ja, diese
Stille, wenn man endlich all das Zeugs eingeräumt hat, das neue
Teil aber sofort wieder rausreißt, man ist im Zweifel: Steht es
mir wirklich so gut, das muß noch mal überprüft
werden und noch einmal, bis in die Nacht hinein das Teil immer wieder
vom Bügel reißen und sich zumindest anhalten, wenn man
nichts andres im Leben zum Anhalten hat; man reißt sich davon
los, man muß sich irgendwann wieder losreißen, und wenn
man den Raum dann endlich wieder geräumt hat, nein, nicht
aufgeräumt, das nicht, geräumt, befreit von sich, was jeder
einmal muß, dann, ja dann, gehen das Schlichte und das Stille
ihre Verbindung ein, man schaut sich wieder dieses Foto an, auf dem
eine ganz andere, natürlich muß es eine andre sein, denn
selbst erreicht man das ja nie!, auf dem also eine ganz andre Frau
den Rock trägt, das schaut dann gleich ganz anders aus als an
einem selber, und man weiß instinktiv, nein, man weiß,
weil man es irgendwo gelesen hat, nein, man weiß gerade, weil
man es nicht gelesen hat, daß alle Dinge in ihrem innigsten und
auf ihr innigstes Sichgehören zusammengehen, gemeinsam auf die
Schlichtheit und Stille zugehen und dann, indem sie so innig sich
gehören, so innig sie selbst sind, obwohl das nicht gemeint ist,
dann, ja dann, ich weiß nicht, dann gehen sie halt in dieses
Sichgehören hinein, sie haben ja nichts anderes, gehen darin auf
und verschwinden, und ich verschwinde auch, denn ich schaue, obwohl
der Rock genau der gleiche ist wie auf dem Foto, niemals so aus, wie
der Rock aussehen sollte, allerdings an jemand anderem, weil ich die
bin, die ich bin, schaue ich leider immer anders aus, bitte, das
passiert Gott auch, und der ist sogar der, der er sein wird, was mein
Modeproblem lösen würde, ein für allemal, der, der er
sein wird, ich sagte das schon oft, weil es mir so gefällt, doch
ich, ich Arme, bin nie diejenige, die ich sein werde, denn ich bin
schon wenig und werde immer weniger, immer älter, immer
wertloser, ich bin ja schon jetzt längst nicht mehr die, die ich
sein werde, und schon gar nicht, lang nicht mehr die, die ich sein
möchte. Schauen Sie sich das Foto ruhig an, schauen Sie mich an,
dann wieder das Foto, dann wieder mich, und Sie werden sehen: Es geht
nicht, was auch immer, es geht nicht. Die Frau auf dem Bild schaut
aus, als gehörte sie ganz sich selber und als könnte der
Rock, den sie da trägt und den auch ich mir gekauft habe, genau
den gleichen!, doch ich schaue ihn mir lieber auf dem Foto an als auf
mir, als könnte dieser Rock auf dieser Straße einen
Eindruck hinterlassen, keine andre käme je dafür in Frage,
denn in der Kleidung stecken ja leider Menschen, das ist der
Nachteil; genau diese Straße muß es sein, in die man sich
hineindrückt, hier konzentriert sich alles, nur ich bin
unkonzentriert und kaufe mir etwas, das an mir nicht so aussieht, wie
es aussehen sollte und wie es schon ausgesehen hat, das ist der
Beweis, daß es so aussehen kann!, wenn auch nicht an mir, das
schaffe ich nie, zu erreichen, daß dieser Rock an mir so
aussieht wie an der Frau auf dem Foto. Nie nie nie! Tausend Dinge
sprechen dagegen, obwohl der Rock jetzt mir gehört. Genau der
gleiche, aber nicht dieser, dieser an der andren Frau wäre
vielleicht besser für mich gewesen, obwohl er ja genau der
gleiche wie der andre gleiche ist, desgleichen die Bluse dazu, die
kann ich durch eine ersetzen, die ich schon habe, das merkt kein
Mensch. Leider merkt aber jeder, daß ich nicht die Frau auf dem
Foto bin, daß ich mir also den Rock ganz umsonst gekauft habe,
weil er keinen andren Menschen aus mir machen kann. Obwohl er mir
jetzt gehört. Also ich möchte mir nicht gehören, wenn
ich der Rock wäre. Jedem, aber nicht mir! Jeder, aber nicht mir!
Weg von mir, weg! Da hilft nur eilige Flucht! Ich muß morgen
oder übermorgen oder nächste Woche unbedingt noch zu Dior,
zu Chanel, zu dem, was einmal Valentino war und jetzt nur noch so
heißt, ich muß dorthin eilen, um zu überprüfen,
ob dort was ist, das mir gehören und aus mir eine andre machen
könnte. Wo ich doch so unzufrieden bin mit mir! Bin ich aber
dort, das ist mir jetzt schon klar, werde ich wiederum nicht wissen,
was ich dort soll, denn ich würde mir dort nie was kaufen.
Obwohl jederzeit die Chance dafür besteht. Ob ich mich, wie
einst Dionysos, in den Schenkel dieser Göttin, die es nicht
geschafft hat, ein Gott zu werden, da fängts ja schon an!,
einnähen lassen könnte, um einmal, ein einziges Mal, sie zu
sein, nicht nur wie sie auszusehen?, was natürlich ganz
unmöglich ist, beides unmöglich. Es stimmt nichts. An mir
nicht, an anderen nicht, aber an dieser Frau stimmt einfach alles!
Trotzdem, ich heiße nichts, und dieses Teil heißt an mir
nichts, Dior heißt ja auch nur noch so, er ist es nicht mehr,
er ist nicht mehr, Chanel heißt nur noch so, sie ist es nicht
mehr, alles falsch, alles falsch, obwohl es garantiert echt ist:
alles falsch, weil echt!, sie heißen alle noch so, wie sie
heißen, aber sie sind es nicht. Ich muß zu denen hin, wer
immer sie sind, unter welchem Namen auch immer sie auftreten!, weil
ich ihre lieben Namen aufsuchen will, die inzwischen wieder prallvoll
sind mit neuen Inhalten, immer neuen, neue Inhalte von ganz neuen
Menschen, das ist wichtig, denn obwohl der Rock vom vorigen Jahr fast
genauso aussieht wie dieser, ist er es nicht, und er ist es
genausowenig wie ich, wenn ich den von diesem Jahr, den allerneuesten
sogar anhabe, dafür habe ich das Geschäft in dieser Straße
aufgesucht, dafür habe ich mir diese wunderbaren Dinge
ausgesucht, die sich auf meine Ankunft aber nicht freuen, ich kaufe
ja nichts, denn leider habe ich schon gekauft, das Falsche, und
leider bin ich auch nicht die, die ich nie sein werde, die bin ich
jetzt schon nicht. Ich bin aus meinem Dasein herausgewachsen, aber
noch in kein andres hineingekommen. Es paßt mir keines. Keines
paßt zu mir. Man kann sich so leicht irren, und dann ist soviel
Geld weg, das ist eine einfache Erfahrung, die ich aber allzu oft
gemacht habe. Es ist alles falsch, weil alles an mir falsch ist, und
alles falsch an mir, was nicht dasselbe ist. Bitte unterscheiden!
Denn wenn Sie nicht unterscheiden können, sind Sie hier sowieso
falsch, dann sind Sie schief drapiert, ich meine gewickelt, dann sind
Sie falsch wie ich, und ich habe noch nie in meinem Leben ein
Abendkleid besessen, stellen Sie sich das mal vor! Es war kein Bedarf
daran und danach und dafür und an und für sich gegeben.
Wohin hätte ich damit auch sollen? Man hat mich nicht
angefordert. Ich wüßte nicht, wohin damit. Das ist wie mit
dem Denken, man weist ihm seinen Weg, aber dort will es nicht hin, es
will immer nur dorthin, wo es das findet, was es schon kennt.
Zumindest meines. Mein Denken hat längst aufgehört, sich an
dem, was ist, anzuhalten, es geht weiter wie ich (nicht: als ich! Das
kann es nicht!), es geht, doch es kommt nie irgendwo an; und da tut
sich ihm eine riesige Auslagenscheibe auf, an der jeder sein
Auslangen finden würde, auch Größere als ich, also
fast alle. Ich gehe in die Irre, hier steht es ja, was bildet es sich
eigentlich ein?, da bilde ich mir immer so viele Sachen ein, die ich
haben muß, unbedingt, und nützt es mir was? Nein, dort
stehe ich, in die Irre gehe ich, die die Wahrheit ist, allerdings die
Wahrheit über mich selbst, nicht die über diese Kleider,
mir fehlen für sie die Worte, sie verstecken sich hinter anderen
Frauen, die ich nicht bin, sie verstecken sich hinter den Terminen,
nein, hinter der Terminologie, die ich nicht kenne, man kann Kleidung
nicht schreiben, und wenn man über sie schreibt, versteht man
nichts. Genauso wie mein Körper nicht versteht, was ich ihm da
übergestülpt habe. Was soll das? Glauben Sie wirklich, das
steht Ihnen, fragt der Körper, fassungslos darüber, daß
man ihn mit sowas einzufassen, zu fassen versucht? Mein Körper
ist unfaßbar anders, als er sein sollte! Das steht fest. Man
gerät in die größte Verlegenheit, das sowieso, aber
auch weil man die Worte nicht kennt, man greift etwas an, man faßt
etwas an, meine ich, man greift ins Leere der Beschreibung, und das
Teil, das unbeschreiblich schön ist, bläst sich da auf, als
könnte es alleine bestehen, wenn auch nicht an mir, sondern an
diversen anderen Frauen, viele sinds nicht, denen das stehen würde,
denn die vielen haben nicht die dazugehörigen Körperformen,
die haben nur ein paar davon, wenn man die ganze Welt nimmt, werdens
schon ein paar mehr sein, ich gehöre nicht zu ihnen, die meisten
andren auch nicht, also. Punkt. Ich mach mal einen Punkt, obwohl der
hier genausowenig hergehört wie dieser Rock auf mich drauf. Ich
stehe neben mir, wie dieser Punkt immer neben etwas steht, einem
Satz, aber in diesem Rock stehe ich noch mehr neben mir als sonst.
Der Rock ist das Daneben. Ja, er ist so eindeutig daneben, daß
er das Daneben persönlich ist. Er ist am falschen Ort und an der
falschen Person, und auch sonst ist alles falsch an ihm und an mir.
Ich schaue und bin im Leeren, hinter meinem Wort gibt es keinen
realen Zug, aus dem sich diese Teile, diese Stücke
zusammensetzen, nein, nicht dieses Stück, dieses neue Teil, das
ist gar keins, weil es gar kein Ganzes gibt, dessen Teil es sein
könnte. Schauen Sie und schauen Sie ins Leere, nein, ins Volle,
das Leere vortäuscht, denn Leere ist der neuen Überfluß,
der in der Leere und in der Irre und im scheinbar Irren (wer soll
sowas tragen???!!!) verborgen ist. Reduziert man die Varianten dieses
Kleidungsstücks noch weiter, ist man immer noch nicht nackt,
denn es besteht schließlich aus Varianten, und jede einzelne
von ihnen ist mehr als nichts, weil alles mehr ist als nichts, bloß
ich nicht. Ich bin ein Nichts vor diesem neuen Rock, weil diejenige,
die ihn auf diesem Foto trägt, schon alles ist, schon alles für
sich beansprucht, alles förmlich eingeatmet hat, deshalb ist
seine Form ja so gut, und ich bin ein Nichts daneben. Wie dieses
Nichts beschreiben? Also. Punkt. Daneben. Die Grundform ist
auszumachen, aber man kann sie ausknipsen wie eine Lampe. Nur die
Varianten zählen, doch ich kann sie nicht beschreiben. Ich kann
nichts beschreiben. Dann sagt man halt: Es ist unbeschreiblich.
Dieses Kleid erst verwandelte meine Gestalt in eines Menschen Wesen,
aber das ist Blödsinn, doch dieses Kleid verwandelt mich
irgendwie, finden Sie nicht?, bitte finden Sie das, damit ich endlich
verwandelt werden kann! Wie hat der Rock von vorhin, den ich jetzt
überspringe, er ist ja ziemlich niedrig, das geht!, wie hat der
das doch gleich gemacht? Er wird eine ganz andre Gestalt in ein Wesen
verwandeln, das ich auch nie sein kann, entweder der Rock verwandelt
mich, oder ich verwandle den Rock, also eindeutig besser, ich werde
verwandelt. Vielleicht kommt was raus dabei. Nie kann ich sein, was
ich sein möchte, weil das schon jemand andrer ist, und in diesem
Kleid, in diesem Rock merkt man das besonders stark. Ich sollte das
nicht anziehen, weil ich dann jemand ganz andrer bin, der ich zwar
sein möchte, aber nie sein kann, und wenn man mich in diesem
Kleid, diesem Rock anschaut, merkt man ganz besonders, daß ich
eine ganz andre sein sollte, wenn es nach Ihnen geht, aber von Ihnen
aus kann ich alles machen, ich kann sogar machen, daß ich fort
bin (da bin ich ja ganz weg!), wenn es nach Ihnen geht; wenns nach
mir geht, ich bin nachsichtiger mit mir, wäre es schon
angebracht, und zwar an mir angebracht, daß ich eine ganz andre
sein möchte. Denn wenn dieses Kleid mich in ein Wesen
verwandelte, das ein Mensch sein soll, nein, das dieser spezielle
Mensch auf dem Foto sein soll, was völlig unmöglich ist,
dann, ja, dann gibt es mich nicht mehr. Ich bin dahinter
verschwunden. Wozu es also erst kaufen? Ich verweigere das. Ich
verweigere den Kauf. Heute, ja, heute! Aber gestern habe ich ihn
nicht verweigert, und jetzt steh ich da in diesem Rock, der auf eine
andere verweist, und diesen Verweis muß ich annehmen und
einstecken, diesen Verweis kann ich mir nicht abschminken. Ich bin
keine andere. Ich mag ein andrer sein, bloß ich bin leider
keine andere. Und auch die Menschen, die diese Teile schufen, diese
Menschenhüllen, die über Menschenhülsen drüber
sollen – Hülsen, die ausgeworfen wurden, nachdem die
Menschen abgeschossen worden sind –, sind andere, wieder
andere, nicht die einen anderen, sondern die anderen anderen. Sie
irren sich, wenn Sie glauben, die Namen bedeuten etwas, sie bedeuten
schon etwas, aber was andres. Das ist diese Straße: die Irre,
in die alle gehen, weil nichts an ihr irre ist. Im Gegenteil. Der
Irrsinn kommt später, alles zu seiner Zeit, so ist das mit dem
Irrsinn in dieser Stadt. Er findet statt, wenn er darf und wenn es
angesagt wird. Nicht vorher und auch nicht nachher. Dort flaniert
man, obwohl alles so säuberlich aufgereiht und ausgestellt und
angefüllt ist, in die Irre, nicht ins Irresein, denn es gibt nur
die, also ist es keine Irre mehr. So wie Valentino schon eine Zeit
lang nicht mehr Valentino ist und Chanel schon lang nicht mehr
Chanel, so ist diese Straße ein einziger Irrtum. Sie irrt sich
in ihrem Irrtum jedoch nie, sie findet sich immer zurecht. Betrug!
Wer betrogen? Na, ich zum Beispiel! Das, was sie einmal war, keine
Spur mehr davon!, das kleine Buchgeschäft, wo ich immer Theater
heute gekauft habe (es gab es nicht so oft zu kaufen, dort aber
schon, wahrscheinlich wegen der Nähe zu den Theatern dort), der
elegante kleine Wäscheladen oder jener, an den ich mich zu
erinnern versuche und stattdessen Sie erinnern werde: Carnaval de
Venise, ja, so hat er geheißen. Wir werden ihn noch treffen,
nein, werden wir nicht. Die leeren Hülsen sind bereits
weggekehrt worden. Dabei sind doch wir es, die getroffen wurden und
dafür jetzt hier angetroffen werden, wie wir etwas suchen, in
dem wir prunken können. Dann müssen wir aber auch die
Wahrheit im Urteil über uns ertragen können. Dort, wo wir
einmal waren, wird man uns nicht mehr treffen, aber auch woanders
werden wir abgeurteilt, mit Blicken, und diese Urteile werden
bestimmend sein. Schon rennen wir wieder in die Straße, um die
Urteile über uns ein wenig gnädiger ausfallen zu lassen.
Was für ein Selbstbetrug! Diese ängstliche Erwartung in
unserem erwartungsvollen Gesicht, und wieder erwartet uns keiner. Daß
wir wissen, wie und wo unser Aussehen hergestellt wurde, begnadigt
uns nicht, im Gegenteil. Daß es hergestellt wurde, macht uns
unwichtig, denn etwas, das hergestellt werden kann, das etwas
Gemachtes ist, heißt, daß sich jeder daran zu schaffen
machen kann. Doch niemand schafft es. Das ist deren Rache, daß
sie selbst nichts schaffen können. Und gewiß werden wir
nicht mehr so, wie wir waren, angetroffen werden, nachdem man uns
getroffen hat. Wir fallen um. Das wars. Wer will schon gerne tot
sein? Wie soll ich das wissen? Es sagt einem ja keiner. Sagen wir
statt Tod doch einfach: Warten. Das erklärt Ihnen jeder. Das
Warten ist dazu da, daß man seine Mitmenschen mit den Augen
schwer prüft und selbst geprügelt wird.
Doppelgeschöpf,
männl.: Aber nein, was redest du da! Es gibt sie mehr als
alles andere, diese Straße, sie drängt sich nicht auf, was
kann sie dafür, wenn alle zu ihr drängen? Wie gern hält
man sich in ihr auf! Du doch auch, gibs zu! Du hast die Stadt bloß
gegen dich aufgebracht, das kann jedem mal passieren. Wie viele
parken falsch und bezahlen die Gebühren dafür nicht! Manche
gehen ins Gefängnis für dieses Wagnis, wenn sie es nur oft
genug eingegangen sind. Die machen die Stadt genauso böse, wie
sie schon ist, ich meine, so wie du sie böse gemacht hast, bloß
weil du da warst!, doch zu ihnen kommt nur selten jemand ins Haus,
dort dringen sie nicht ein, nur in Ausnahmefällen, und du bist
halt so einer, die meisten bleiben von der Stadt verschont und suchen
sie auf, anstatt von ihr aufgesucht zu werden, das muß ich
zugeben. Du hast der Stadt etwas getan, du hast jene Götter
erzürnt, die am Ende der Straße in ihrer Walhalla thronen,
du hast nicht versucht, ihr Wohlgefallen zu wecken, wie auch, du
gefällst dir ja nicht mal selber! Da hast du eben die
glücklichen Zufälle der Blicke, die sie dir gestattet
haben, aus reiner Freundlichkeit, aber immerhin, die hast du
verwirkt. Sie schicken dich jetzt gewissermaßen um den heißen
Brei herum, der du selber bist. Geschieht dir recht, das kommt, weil
du niemand an dich heranläßt, dann kommen eben sie, nein,
nicht die Schriftgelehrten, auch nicht die Pharisäer, egal, es
kommt halt irgendwer, aber stets zu mehreren. Nein. So würdest
du es wohl gerne sehen, aber wenn Verfolgung stattfindet, ist die
Person, egal welche, vollkommen unwichtig und unbedeutend, sie gilt
nichts vor der Stadt. Die behandelt alle gleich. Ihre Hunding-Sippe
kommt überall rein. Sie verschafft sich Zutritt, sie tritt dann
selbst, kommt zu allen irgendwann, nicht gleich mit schwerem
Geschütz, das muß sie nicht auffahren, während sie
die Essen in ihren Freßtempeln auffährt, daß sich
der Boden biegt; nein, die Stadt kommt lieber in kleiner Form zu
Ihnen, und wäre es als Briefträger oder Paketzustelldienst,
na, der ist meist privat und dementsprechend orientierungslos. Aber
die Stadt darf. Sie darf dich nehmen, sie muß ja irgendwas
nehmen, da kaum noch etwas in ihr auf Geschichte hindeutet, da sind
nicht die architektonischen Improvisationen andrer, größerer
Städte, berühmterer, da ist nichts Regelloses, nichts
Regelloseres als die Feldherrenhalle, die gehorcht – und früher
hat sie sogar gewußt, wem –, die Regeln gehorcht wie
alles hier, nur die Stadt gehorcht ihnen selbst nicht. Denn weil
diese Stadt, sogar diese Prunkstraße so klein und unbedeutend
sind, herrschen hier eben Regeln. Das regellose
Sich-durcheinander-Tummeln ist hier nicht möglich. Man kommt
nicht aus, man kann nicht ausweichen, das merkst du ja jetzt an dir.
Sie lassen es dich spüren. Die Menschen haben hier keine
Ausweiche, keine Stelle, wo sie umdrehen könnten, wenn sie sich
verfahren und Verfahrenshilfe beantragt haben, es geht nur gradeaus
weiter. Gradeaus, und grade darin liegt die Kleinheit der Stadt,
nein, das liegt an der Kleinheit der Stadt, daß alles so
geordnet ist, sein muß, denn grade im Kleinen findet man sich
oft schlechter zurecht als im Großen, wo überall Schilder
aufgestellt werden können. Sogar in deiner eigenen Wohnung hast
du dir einmal fast die Zehe abgerissen, und dort kennst du dich nun
wirklich aus. Du kennst dich aus, und dann das! Doch wenn sie bei dir
einbrechen, tun sie das nicht regellos, sie stürmen nicht
einfach durcheinander, sondern es geht alles in Ordnung vor sich,
schließlich wollen sie in deiner Gestalt Ordnung herstellen,
und zwar ihre, eine andre kennen sie nicht, die Herren der Stadt, die
noch des Försters Schritte im Wald vernahmen, von dort kommen
sie zwar her, dort wollen sie aber um keinen Preis mehr hin, aus dem
spärlichen, unvollkommenen Unterricht der Wälder. Die
Ordnung ist in der Stadt das höchste, weil eben die Häuser
nicht hoch sind und auch nicht hoch werden dürfen, das ist
vorgeschrieben. Die Stadt war einmal total kaputt, vielleicht liegt
es daran? Wenn die Häuser niedriger sind, kann weniger
kaputtgehen, und es ist dann weniger wegzuräumen. Weniger Schutt
und Geröll. Da kann und darf es keine Stelle geben, die man
vergeblich sucht. Man weiß, wohin man will, und man findet es
ohne Umschweife; auch wenn das Auge herumschweifen mag, der Besitzer
muß es nicht. Gehen und schauen, das ist die Naturerfahrung
hier. Und da muß keine Tragweite der Umwälzung abgeschätzt
werden, solange man nur geschätzt wird. Eine Umwälzung kann
es hier nicht geben, das merkt man sofort. Es ist auch die
Vergeblichkeit hier ab sofort abgeschafft, die Stadt will das so; man
schlendert vor den Scheiben, von einer zur andren, und das kann man
in andren Städten an vielen Orten tun, hier aber gibt es fast
nur diese eine Straße, die dafür jeder kennt, und sonst
nichts, das jemand kennt oder von jemand gekannt wird. Na ja, stimmt
nicht, in den Klatschspalten klatschen sie einander Beifall, und die
kennen einander, weil nie etwas Neues von ihnen berichtet wird, sie
kennen das schon. Sie wissen, daß sie keine großen
Einsichten und Entdeckungen zu bieten haben, es genügt der Stadt
ja, daß sie da sind, dankeschön, normalerweise werden
diese Entdeckungen von vielen gleichzeitig gemacht, doch hier ist
nicht einer, der eine macht, denn eine Entdeckung bedeutet ja, daß
vorher nichts war, daß man vorher nichts gesehen hat, obwohl es
da war. Aber die hat man immer schon gesehen, die sind ewig und
müssen nicht mehr entdeckt werden, auch wenn man im Ton der
Entdeckung, des ganz und immer wieder Neuen, von ihnen spricht; die
wirklichen Entdeckungen, die nicht in den Klatschspalten stehen,
nicht bei Graeter, den ich so liebhabe, nein, dort nicht, die müssen
erst gedacht und dann immer wieder gedacht werden, und zwar in jener
einzigen Anstrengung, über dasselbe wahrhaft und möglichst
wahrhaftig dasselbe zu sagen. Also doch Entdeckungen? Hier ist alles
festgelegt, hier ist nichts gewachsen, weil eben die Erde zu
festgetrampelt ist, nichts gewachsen, das schon früher da war
(was früher da war, das haben wir alles längst brav
ausgerissen, nur ab und zu gibt es noch Ausreißer, aber die
werden schnell wieder versteckt). Nichts Verstecktes also oder
Winziges, nicht so wie deine Unterhosen, die sie in deiner Wohnung,
an deinem Rückzugsort, deinem Refugium, das man dir nicht gönnen
will oder nur gegen zusätzliche Bezahlung, für jede Hose
muß bezahlt werden, und dann noch einmal, es sind ja mehr als
zwei!, alles hier wird einem nur gegen Bezahlung gegönnt, nein,
ich meine nicht die Miete, die nicht!, durchwühlt haben. Hier
wird kein Auge zugedrückt. Alles da und offen, man muß
nicht erst ins Offene kommen, und es wird klar: Man ist immer schon
dort. Jedem sein Recht auf Einsicht! Man kommt von außen, und
das soll man nicht tun.
Das will man ja, von außen kommen und
die Bewegungsgesetze, gibt es die überhaupt?, außer Kraft
setzen, indem man dauernd vor den Auslagen stehenbleibt, aber nicht
hineingeht, also natürlich nicht in die Auslagen. Aber das nützt
doch dann die Straße nicht so ab! Na ja, stimmt, aber nachher
müssen Sie eben doch weitergehen! Das Gehen findet nicht statt,
oder nur verzögert, als würde man sich von einer Ansprache
an sich selbst abhalten wollen, dann müßte man ja die
Wahrheit sagen!, meistens geht man nicht, und geht man dann doch
rein, bereut man es. Oder man bereut es nicht. Alles hat zwei Seiten,
und die meisten zeigen sie beide gern.
Doppelgeschöpf
weibl.: Schwellenangst, die habe ich leider, aber ich will doch
so gern hinein. Was tun? Rein oder raus? Was tun, wenn man sich nicht
traut, also mir traue ich ja am wenigsten, aber wenn man sich nicht
hineinwagt? Also das macht nichts, dafür trauen sich ja alle
anderen, so fällt es nicht auf, daß ich draußen
bleiben muß. Hier trauen sich alle alles, und alle trauen sich
alles zu, sich und anderen. Alles offen, keine verdeckte Ermittlung.
Meine Kleider wurden ganz offen fotografiert, meine private Post ins
Offene gezerrt, und nicht von Freunden! Natürlich nicht, die
haben meine Briefe ja schon! Alles kann gesehen werden, und sträubt
sich einer dagegen, dann macht man es sichtbar. Das ist hier das
Prinzip. Alles darf gesehen werden. Alles muß gesehen werden.
Und wenn sie ein Stück der die Erde umgebenden Luft wegreißen
müßten, damit man besser sieht, es dient der Sichtbarkeit,
es ist für einen guten Zweck. Es muß gesehen werden, nein,
Sie vertauschen mir nicht meine Worte und verwenden sie gegen mich,
Sie versuchen es, aber es wird Ihnen nicht gelingen, Stadt, Sie da,
Ihnen wird das nicht gelingen, mir meine Worte zu stehlen und meine
Seherkraft, die grad nur bis zu dieser Schaufensterpuppe mit dem
scharfen Kapuzenpulli reicht, wegzunehmen! In meinen lieben Leib
dringt nichts mehr ein; ich sehe natürlich, daß Sie das
sowieso nicht wollen, Sie wollen überall hinein, aber nicht in
mich, um keinen Preis der Welt würden Sie das wollen, auch wenn
Sie diesen Preis verlangen, jeden Preis der Welt, aber von mir, nicht
für mich wollen Sie den Preis, ich brauch ihn nicht, ich hab
selber einen!, logo, nicht in meinem Leib, aber von meinem Leib
wollen Sie es, Sie würden es sich notfalls herausschneiden, aber
rein wollen Sie nicht, Stadt, Sie, ja, Sie meine ich, Sie wollen
etwas von meinem Fleisch, was soll es machen?, sagen Sie es mir!,
aber mein Fleisch, das wollen Sie nicht, verstehe ich gut, Sie wollen
in meine Fülle hinein und sich was rausnehmen, Sie wollen sich
von mir eine Scheibe abschneiden, Sie behaupten, das stehe Ihnen zu,
tja, Stadt, das stimmt! Während mich jähe Angst
verscheucht, sodaß ich gar nicht anwesend bin, ich weiß
schon, das ist Ihnen egal, Sie wollen ja nicht mich, Sie wollen nur
ein Stück von meinem Fleisch kassieren, nehmen aber das Ganze
auch gern, nein, nicht das Fleisch, alles, nur nicht das!, alles
andre, was ich geschrieben habe, aber keinen großen Wert
besitzt, alles, was ich geschrieben habe, das nehmen Sie jetzt mit
und am liebsten das, was ich dafür bekommen habe, doch das ist,
wie ich, nicht anwesend. Das alles dürfen Sie. Klar, da stehen
Sie schon als manches Heer, in Rüstung, in Reih und Glied zur
Schlacht bereit, kommen zu mir, bewaffnet, was doch wirklich nicht
nötig gewesen wäre, bewaffnet mit einem gut und redlich
unterschriebenen Schein, daß Sie das dürfen, und dann
dringen Sie bei mir ein, nicht in meinen Leib, nein, das nicht, das
interessiert Sie nicht, verstehe ich voll, mich auch nicht, aber
sonst drängen Sie sich überall hinein. Sie stellen
Wachtposten auf, vor jedem Zimmer einen, damit keiner das Zimmer
vorher wegträgt, und dann dringen Sie ein, Sie dringen vor, bald
werden Sie ganz durch sein, und dann werden Sie, beladen mit
Gegenständen, an die ich mich gar nicht mehr erinnere, die
jedoch meiner Denkerklause, in der ich immer alles verklausuliere,
jetzt glücklich entkommen, die Weite suchen, die ich selbst
immer gesucht, aber nicht gefunden habe. Dazwischen werden Sie alles
bewachen, jede Tür, jedes Zimmer, jeden Schrank, sogar den Safe,
den ich gar nicht besitze. Leeren Raum werden Sie bewachen, reine,
nein, nicht reine Luft. Und nicht, um meine Zukunft aus meinen
Eingeweiden zu künden, so weit, so tief kommen Sie wieder nicht,
aber Sie verkünden, daß Sie mir das, was ich noch nicht zu
geben hatte, was zu geben ich noch nicht bereit war, auch noch nehmen
wollen. Was ich noch nicht gab, weil es das noch gar nicht gibt, das
wollen jetzt Sie. Sie wollen alles sehen und alles haben, Sie wollen
auch und ganz besonders das, was Ihnen nicht gebührt, dazu
müssen Sie sich natürlich über Gebühr in mein
Leben hineinbohren, sich ins Nichts einmischen, was das Gegenteil von
Nichteinmischung bedeutet, Sie wollen rein in mein Leben und
rausholen, was geht, was nicht möglich ist, denn ich habe ja gar
keins, aber ja doch, ja, Sie haben eins, das sagen wir Ihnen auf den
Kopf zu, und das nehmen wir uns jetzt. Sie wollen, Sie müssen
überall hinein, Sie behaupten, daß ich, außer keinem
Leben, ja wohl doch eins haben muß, woher wäre ich sonst
und wären meine Werke denn sonst gekommen? Und von diesem Leben
steht uns etwas zu. Geben und nehmen, aber lieber nehmen, das ist das
Prinzip der Stadt und ihrer Stadtvertreter. Das strebt man an, ich
will nicht einfach banal sagen: sehen und gesehen werden. Alles klar,
daher sieht man es! Sie gehen erst, als verschwenderisch die Nacht
herniedersinkt und sich den Rest auch noch nimmt, jeder darf sich was
nehmen, seit die Hundinge damit angefangen haben. Ich entnehme mir ja
selbst so viel! Mehr können auch Sie nicht in und an mir finden.
Bis nichts mehr übrig ist. Wo die Privatheit aufhört, endet
die Zivilisation, da können Sie jeden fragen, was Sie aber nicht
tun werden! Die Wirkung auf mich konnte der Stadt nicht gänzlich
unbekannt sein, schon bevor ihre Vertreter an mir ihre Arbeit
begannen. Sie wollten diese Wirkung erzielen. Ich hatte gedacht, auch
diese Stadt, in der ich mir manchmal die Beine vertrete, auch noch
vertreten zu dürfen, keine Ahnung, vielleicht mit einem
Meisterwerk?, aber das käme eher aus einem
Stellenvermittlungsbüro, von einem Personalchef, der mit echten
Menschen handelt. Ich nicht. Ich kenne die Menschen zu wenig. Also
vertrete ich auch nichts und niemanden. Vielleicht weil man mich nie
hier gesehen hat, weder in praktischer noch in lehrmäßiger
noch in sonst einer Hinsicht, außer als Konsumentin und
Entenfütterin. Leider kenne ich hier niemanden, sonst würde
auch ich ja vielleicht dabei gesehen. Sie können gerne fragen.
Ich bin die Vogelfütterin, das wird Ihnen jeder bestätigen.
Die Leute kennen mich, sie sehen ja, wie ich mich verausgabe.
Doppelgeschöpf,
männl.: Während das Sehen, das Suchen, das Finden, das
dir geschehen ist, vor allem das Finden, auf das sie offenbar aus
waren, ein andres Sehen ist, ein suchendes, lauerndes Sehen, ein
Sehen, bei dem man dich in einem Unrecht ertappen möchte, und
wäre es zu Unrecht. Es kann ja nicht rückgängig
gemacht werden. Wenn du einmal gesehen worden bist, wenn du einmal so
wirklich gründlich, bis in die Tiefe deiner Schränke, bis
auf die Höhe deiner Regale, bis in deine mittels Fehlwäsche
grauenhafte, nein, ergraute Wäsche, die aber noch gut ist,
allerdings für den Genuß nicht mehr geeignet, aber sie ist
schließlich nicht eßbar, nein, dazu dient sie nicht, wenn
du also einmal durchsucht worden bist, dann kann das nicht mehr
rückgängig gemacht werden. Man kann das, was man dir
entnommen hat, nicht mehr zurückgeben, obwohl man es dir
natürlich zurückgeben wird. In dieser Straße hast du
ja auch kein Rückgaberecht. Wenn diese Schuhe von Jimmy Choo dir
nicht passen, dann passen sie eben nicht und verschwinden im
Nirgendwo. Rückgaberecht ausgeschlossen. Wer würde Schuhe
tragen wollen, die du schon angehabt hast! In solchen Läden gibt
es kein Umtauschrecht. Und genausowenig kannst du dich selbst
umtauschen, nachdem man dir deine persönlichsten Dinge, ja, auch
die aus deinem Computer, deinem geliebten Schatz, der fast alles
enthält, was du besitzt und auch, mit wem du was hast,
weggenommen hat. Danach wärst du liebend gern eine andre,
hoffentlich nicht eine Liebende, aber das geht nicht mehr. Deine
Mitmenschen wollen ja mit Menschen zusammensein, was will ich damit
sagen?, daß schon das Wort es sagt?, ich weiß es nicht.
Die Leute kaufen hier ein, um andere zu werden, schöner,
eleganter, aber sie werden ja auch nicht andere, als sie waren. Sie
nehmen sich überallhin mit. Paris zum Beispiel, von Paris sagt
einer, der auch verfolgt worden ist, aber ernsthaft, am Leben
bedroht, ein Selbstmörder, nicht so wie du, nicht so eine, die
sich dauernd beklagt, aber nicht weiß, weswegen und worüber,
eine einzige Ohrfeige in der Kindheit, und du beklagst dich bis
heute!, wer hatte die nicht ausgefaßt?, wessen Gefäß
wäre nicht übervoll, aber er spricht dann wenigstens nicht
jahrelang darüber, und wer sagt das überhaupt?, wer sagt
was?, einer sagt das, von deutschen Verfolgern verfolgt, denn was
andres können Verfolger nun mal nicht, als Deutsche zu sein, von
Paris also sagt dieser tote Mann, der inzwischen sicher auch auf
natürlichste Weise gestorben wäre, wenn die Deutschen nur
so lang hätten warten können, nur ein bißchen, im
besten Fall ein paar Jahrzehnte, nein, das wäre nicht zumutbar
gewesen, aber ein paar Jährchen hätte er sicher noch
gehabt, von Paris, sagt er, werde gesagt, daß das sanfte
Geheimnis seiner Hegemonie über das übrige Frankreich darin
bestehe, daß diese Stadt im Herzen ihrer Bezirke, die ja sehr
unterschiedlich sind, na ja, hier sind sie auch unterschiedlich, aber
nicht so sehr, denn das hier ist Provinz in der Provinz, wenn auch
nicht finsterste Provinz, eher helle Provinz, was manchmal noch
furchtbarer ist, weil man dann ja alles sieht, Provinz, auch wenn es
sich nicht so anfühlt, das ist es, genau das ist es, ich kann
den Satz nicht unterbrechen und daher auch nicht abschließen,
ich muß lesen und schreiben, zuerst lesen, dann schreiben, also
abschreiben, nicht wahr, das ist bei mir wie selbst schreiben, ja, so
ist es besser, weil ich nämlich in diesem Moment kapiere, daß
es genau das ist, es ist, wie der Mann gesagt hat: Paris hat in
seinem Herzen, das ein Herz der einzelnen Viertel ist, der
unterschiedlichsten Viertel, diese in sein Anderes aufgenommen, was
heißt das? Das heißt, daß Paris mehr Provinzen
besitzt als ganz Frankreich und aus. Das steht im Raum, und Sie haben
es nicht erwartet, hauen Sie sich nicht das Schienbein an, bloß
weil Sie sich hier nicht auskennen! Denn diese Welthauptstadt, genau
das, was diese Stadt, von der wir hier sprechen und in der wir uns
derzeit aufhalten, so wie die Straße sich hier aufhält und
niedergehockt hat, um ihre Notdurft zu verrichten und ihre
Notdürftigkeit hinter den mit möglichst berühmten
Namen versehenen, nein, natürlich ist meiner nicht dabei!, ihre
Notbedürftigkeit also zu verbergen, was diese Provinzstadt eben
nicht ist, ist Paris, Paris ist etwas anderes, Paris ist anders, so
wie alles anders als alles andere ist, denn diese Hauptstadt, Paris,
nicht diese hier, das ist keine Hauptstadt!, Paris also besitzt mehr
Provinzen als das ganze Land! Genau. Und diese kleine Stadt, in der
wir uns hier aufhalten, obwohl wir uns eigentlich nicht aufhalten
lassen wollten, ist eine einzige Provinz, auch wenn sie etwas anderes
vortäuschen, vorzeigen mag, bis manche es glauben und herfahren.
Nicht hochfahren, nein, hochfahrend sind die hier, aber sie sind auch
nett. Es ist eine schöne kleine Stadt mit netten Bewohnern
innen, also so BewohnerInnen, innen, nicht wahr, ich könnte
nichts andres sagen, und ich könnte es auch nicht kürzer,
tut mir leid. Über andere kann man immer mehr sagen, was man
ohnedies lieber tut, über andre reden, während man in
Sicherheit ist, doch in Sicherheit, das bin ich nicht, das bin nicht
ich. In andren Städten, gemeint hier wieder Paris, aus dem der
Schreiber damals von den Deutschen ausgetrieben worden ist, das
machen sie gern, austreiben, vertreiben, verfolgen, da gibt es auch
Fröhlichkeit, welche aber auch hier hergestellt wird, man kann
sie genauso trinken wie überall, man kann sie auch tanken, immer
super. So. Ich muß jetzt endlich damit aufhören, mich in
diese Schrecknisse mit hineinzuzwängen, dort ist längst
kein Platz mehr, das machst schon du, die ganze Zeit, ich distanziere
mich ausdrücklich davon, denn ich merke, daß ich dir schon
nach dem Mund rede, nur um nicht mit dir in dieses Modegeschäft,
"Klamotte", hineinzumüssen, dorthin strebst du,
dorthin schleppst du mich, das weiß ich, wenn auch auf Umwegen,
daß ich es nicht gleich merke, und du überlegst schon, wie
du mich überreden könntest, mit dir hineinzugehen, da du ja
so sicher bist, nichts alleine entscheiden zu können: Sollst du
das jetzt kaufen oder nicht, aber du weißt in deiner
Unsicherheit jetzt schon, daß ich wieder draußen vor der
Tür sitzenbleiben und mit meinem Smartphone spielen werde, und
wenn ich bloß das Wetter abfrage, das sich ohnedies über
mir erhebt und direkt angeschaut werden könnte, bloß
reingehen mit dir, nein, nein, das tu ich nicht, ich geh mit dir in
die Straße, ich gehe mit dir zu dem Ort, den du auf Umwegen und
unter Gedankenvortäuschungen und Gedankenvertauschungen, ja,
diese Gedanken sind, wie die meisten, schon einem anderen vor dir
gekommen!, den du also anstrebst, das merke ich daran, daß du
verstummst, ich merke daran, daß du denkst, was bereits gedacht
ist, für was Neues hast du jetzt nicht den Nerv und übrigens
auch sonst nicht, du kannst nämlich nicht zwei Dinge auf einmal,
nicht denken und sprechen, wobei ich dir raten würde: zuerst
denken, dann sprechen, und eigentlich bin ich ja gar nicht dieser
Meinung, mir fällt nur auf – und ich habe im Gegensatz zu
dir nachgedacht! –, wenn ich den zuerst Vertriebenen, dann
Selbstgemordeten ins Visier nehme, daß das alles ja gar nicht
mehr nötig ist, du blühst ja auf angesichts von Toten, du
fällst sie förmlich an wie ein glückliches Haustier
seinen Herrn, ja, dieser Tote zum Beispiel hat sich vergiftet, du
hast ganz recht, aber dieser Selbstmord war natürlich kein
freiwilliger, wer meldet sich schon freiwillig zum Selbstmord, hier
niemand, nur zum Morden, auch zum Stehlen, da melden sie sich, zum
Überfall, da melden sie sich freiwillig, und es wird auch nicht
mehr verlangt, das Stehlen, bloß bekommen die Leute ohnehin nie
das, was sie sich wünschen, genauso wie du keinen schönen
langen Kamelhaarmantel kriegst, den du schon so lange suchst, weil du
ihn auf einem alten Modefoto gesehen hast, vielleicht, eventuell,
aber wahrscheinlich nicht bei Max Mara bekommen wirst, dort noch am
ehesten, aber leider auch nicht, auch dieses Jahr nicht, doch dieser
Max, den es gar nicht mehr gibt und der immer noch so heißt,
wie viele, inzwischen gibt es sogar Vionnet!, man stelle sich vor, so
lang verstorben, und es gibt sie immer noch!, die andren Toten
sollten sich ein Beispiel nehmen!, so wird man unsterblich!, ja, Max
Mara auch, von dem bin ich nicht sicher, ob er überhaupt je
gelebt hat, der Max Mara also befindet sich nicht in dieser Straße,
da mußt du vorn, wo die Straßenbahn die S-Kurve macht,
ebenfalls ums Eck gehen, in der Landessprache: um die Ecke, und heuer
macht er wieder keinen, keinen Kamelhaarmantel, wie du ihn dir
vergeblich wünschst, wer immer Max Mara ist, er ist gewiß
auch nicht er selbst, war es vielleicht nie, du bist ja auch nicht
mehr du selbst, seit dir das mit den Verfolgern der Stadt passiert
ist, ich wünschte, ich könnte mir die dauernden
Abschweifungen abgewöhnen, eigentlich ist das ja dein Metier,
seit die Zeit der Ausschweifungen vorbei ist, entschuldige, aber das
ist etwas, das man sich nicht abgewöhnen kann, fürchte ich,
das siehst du ja an dir. Also, wo waren wir, als wir in dieser Straße
waren und sie uns munden ließen, wer sagt heute noch sowas, ich
habe keine Ahnung, wie man heute sagt, wo waren wir, als wir ihren
Geschmack, den Geschmack der Straße gewittert haben und der
Witterung gefolgt sind, nicht dem Geschmack, den sie hat, sie hat
nämlich keinen, sondern dem, den ihre Geschäfte an den Tag
legen, den sie als ihren Ausweis herzeigen, als wir die Straße
bewunderten und uns von ihr bevormunden ließen, weil wir selber
keinen Geschmack haben, na ja, das ist was anderes. Na, wo waren wir?
Wir waren, wie so oft, bei dem Kamelhaarmantel, den du nicht kriegst,
weil er nicht mehr verlangt wird, wie sollte er auch, die meisten
Leute wissen, von Daunen umgeben, bis sie kreischen wie die
blutiggerupften, frierenden Vögel, denen sie ihr Kleid genommen
haben, die wissen gar nicht, daß es sowas gibt, die wissen ja
nichts, sie wissen auch nicht, was dir, ebenfalls unverlangt wie die
Einsendung eines Manuskripts, passiert ist, deine Manuskripte werden
nicht verlangt, du schickst sie in Elektronenform, also winzigklein,
einfach so ab und aus, kommen im selben Moment an, wie sie
abgeschickt wurden, es wird nicht mehr verlangt, außer von dir
selbst, was du ohne Maß und Zahl hervorgebracht hast, von allem
zuviel, also darf ich auch, es ist zuviel, es ist zumindest soviel,
daß sie was davon wollen, möglichst viel, denn hättest
du nicht soviel, würden sie kaum was von dir wollen, sie
verlangen es, doch es ist zuviel, was sie verlangen, alles zuviel!,
und gleichzeitig ist es so wenig wie ein Selbstmord von den Deutschen
insgesamt verlangt werden kann, nein, natürlich nicht, daß
die sich alle umbringen, nur der eine oder der andre hat sich
umbringen sollen, aber vielleicht doch nicht, vielleicht hätte
man noch schöne Sachen mit ihm anstellen können, ja, mit
dem andren auch, es nimmt einem ja kaum jemand übel, wenn man in
dieser Hinsicht gegen einen Schreiber, einen schlichten, nein, nicht
schlichten, aber doch: Schreiber vorgeht, dann geht er einem in den
Tod voraus, wie man sagt, nein, das meine ich nicht, daß die
Deutschen sich alle umbringen sollen, nicht einmal, daß diese
Beamten, was sind sie eigentlich?, ja, Beamte, Fahnder, Suchende, die
Aufstellung nehmen, um dich ins Nichts zu beamten, ich meine zu
beamen, daß die sich alle umbringen, zur Strafe, daß sie
bei dir, unverlangt wie deine Manuskripte, eingegangen sind. Nein,
eingegangen ist niemand, Unverlangtes wird normalerweise
zurückgeschickt, aber diese Männer, die unverlangt kamen,
die konntest du nicht zurückschicken, die durften alles, ich
weiß, weine nicht, das hat gar keinen Sinn, und mir gegenüber
schon gar nicht, niemand will, daß diese Männer einem in
den Tod vorausgehen, da müßtest du ja dauernd ihre Ärsche
sehen, sie sollen einem höchstens in den Tod folgen, aber wie
soll man das kontrollieren? Was machen die, was machen die da? Sie
sind unverlangt und ohne Rückporto auf sich kleben zu haben hier
bei dir erschienen, das wirfst du ihnen nicht vor, wenn ich es recht
verstehe, aha, du wirfst es ihnen doch vor, daß sie das gemacht
haben, kann ich verstehen. Ich war dabei. Ich kann sagen, daß
ich dabeigewesen bin. Die haben doch glatt, ohne es auszusprechen,
von diesem andren Autor verlangt, der hier still, flanierend,
überlegend, niemals überlegen über eine Stadt
schreibt, nein, nicht diese, das unvergleichliche Paris, sag ich
doch, daß er am Leben bleiben soll, damit dann sie ihn
umbringen können, das ist ihre Aufgabe, nicht wahr, nicht seine,
sie haben das schließlich gelernt, und in dieser Straße
versucht diese Stadt, unsre kleine Stadt (wird immer öfter
verlangt, weil die großen Städte so unpraktisch sind, man
kann sie nirgendwohin mitnehmen, und sie warten auch nicht geduldig
vor den Geschäften, bis man sie von der Leine nimmt), sich mit
ihm zu vergleichen, einen Vergleich zwischen Leben und Tod zu
schließen, sich auch mit Paris zu vergleichen, von mir aus,
alle Vergleiche stimmen ja irgendwie, einen Vergleich zu schließen,
wenn alles vorbei ist, damit wenigstens einmal eine andere den Apfel
kriegt, aber dieser Vergleich hinkt nicht einmal, und der Vergleich
wird auch nicht halten, er läuft ins Leere, der kann glatt an
der Behindertenolympiade teilnehmen!, und selbst dort war er nicht
erwünscht; dieser verstorbene Autor, kein andrer, von dem ich
hier spreche, klar, hier wäre er noch weniger erwünscht
gewesen, hier wäre er aber auch nie gewesen, er war unerwünscht,
jawohl, Herr Oberläutnant, Sie können ruhig läuten,
bis Ihnen der Finger abfällt!, nachdem die deutschen Verfolger
also dort eingezogen, zuerst einmarschiert, dann eingezogen, nachdem
sie eingezogen worden waren, eingezogen in diese Stadt waren,
zurückkamen in die Stadt, von der sie sowieso einst auszogen,
ja, von hier aus gings los!, von unsrer kleinen Stadt aus rein in
andre Städte, das ist eine gute Idee, wirkt auch bei dir noch,
kann man schon einen Überblick gewinnen, es ist ja alles hin, da
sieht man weiter: Die wollen dich ausziehen bis aufs Hemd, das sagen
sie ganz offen, du sollst Gott etwas geben, aber dem Kaiser viel
mehr, doch das nur nebenbei, das ist nicht wie mit dem
Kamelhaarmantel, obwohl ich diesen Vergleich ja soeben ziehe, und
dann ziehe ich gleich weiter, nur keine Sorge, die bleiben da: Und
wünschtest du ihn dir noch so sehr, du kriegst ihn nicht, außer
du läßt ihn dir nachschneidern, kopieren, die Designer
kopieren doch sowieso alle, einer vom andren, du kannst es an den
Fotos sehen, und das tust du ja auch die ganze Zeit; wenn du
eigentlich arbeiten solltest, kopierst du bloß, wahrscheinlich
deshalb dein großes Interesse an Mode, denn Mode ist
Vergleichen und dann Nachmachen, und es ist lustig, wer wen kopiert,
im Prinzip jeder jeden, keine Ahnung wieso ein Kamelhaarmantel nicht
kopiert werden könnte, wahrscheinlich weil es ihn gar nicht
gibt, denn sowas wird nicht mehr verlangt, warum etwas kopieren, das
keiner verlangt? Hier wird verlangt, was überall verlangt wird,
und das bekommt man dann auch. Selbstmord wird nicht mehr verlangt.
Ist nicht mehr nötig. Mord wird auch nicht mehr verlangt, aber
es wird trotzdem gemordet, wir werden es beweisen, die Seele dieser
Stadt, dieser Straße ist nämlich ermordet worden, wir
werden es beweisen, nein, nicht du, dir gehts doch eh glänzend,
wer will dich schon ermorden?, wieso sie es trotzdem gemacht haben?,
das bildest du dir ein! Ermorden, was für ein großes
Wort!, höchstens innerlich, und das sieht man nicht, bin ich
froh, sonst müßte ich es ja auch dauernd anschauen, ich
hänge ja an dir, gut, Mord wird verfolgt. Gut, daß es so
ist. Du wirst also, wenn auch du endlich, du hast dir doch so
gewünscht, dich an die Seite deiner toten Verwandten zu stellen,
daß du dich das traust, ekelhaft!, es ist abscheulich und
widerwärtig, sich seine verfolgten und getöteten Verwandten
an die Brust zu heften wie Orden, sie sich an den Körper zu
hängen wie Kamelhaarmäntel, die man nicht kriegt, während
man seine toten Verwandten ja schon hat, das heißt: nicht mehr
hat, und heute wären sie eh alle tot, auf ganz natürliche
Weise, egal, wenn du also endlich, wie du es dir insgeheim schon
immer gewünscht hast, verfolgt wirst, endlich verfolgt!, im
Grunde freust du dich darüber, gibs zu, du möchtest zu gern
Opfer sein, das weiß ich, brauchst es nicht zu leugnen, dann
wirst nicht du, wer auch immer es wird, aber dann wirst nicht du
verfolgt! Du magst dir wünschen, als du verfolgt zu werden, aber
das wirst du nicht! Du bist einfach dran. Du bist schon länger
dran, du hast es nicht gewußt, aber sie hatten dich im Visier,
doch ohne Waffe, im Visier ohne dazugehörige Waffe. Die hatten
sie nur heruntergeklappt und sich, wie du, als freundliche
Entenfreunde getarnt. Sie haben dich beobachtet. Ist schon klar, daß
es trotzdem weh tut, aber du bist ja nicht gemeint, du bist schon
gemeint, aber du bist nicht du, sowenig wie Raf Simons jetzt Dior
geworden ist, gestern ist es aus langem Stillschweigen herausgelassen
worden, heute wissen es schon alle, Raf muß jetzt für Dior
Raffungen machen, sein Vorgänger Galliano war etwas verspielt,
nicht wahr, jetzt muß Raf Verzierungen anbringen, was ihm gar
nicht liegt, aber Raf wird keine Raffungen machen, sollte Dior jetzt
etwa wieder einfach werden?, so wie er es schon einmal war, mit
diesen schwingenden Glockenröcken, dem New Look, du hast es mir
erklärt, ach, würde dir das gut stehen, aber Sachen, die
dir gut stehen, trägst du ja prinzipiell nicht, ein Jammer! Du
warst dran mit einer Heimsuchung, das kann ich dir bestätigen,
und ich habe mir schon lange gedacht, daß dein Heim durchsucht
wird. Schau, das ist Statistik. Du warst zu oft in dieser Stadt und
hast was gemacht? Nichts hast du gemacht, das will die Stadt
vielleicht nicht, daß du nichts tust. Einfach nur da bist. Das
gönnt sie dir nicht. Sie will gar nicht angeschaut werden, und
sie weiß auch, warum. Sie will es nicht. Daß du.
Herumschlenderst. Auslagen anschaust. Die Stadt will das nicht,
obwohl sie es bei so vielen will, denn die kaufen ja ein! Du kaufst
meistens nichts oder zuwenig, aber wenn doch, dann bist du immer ganz
glücklich. Dieses Glück will die Stadt nicht mit dir
teilen, sie will allein das Glück haben, dich ein- und dann
abzukassieren, genau das, was auch ihre Geschäfte wollen. Sie
will dein Geld mit dir teilen, aber nicht dein Glück. Hans im
Glück war glücklicher, der hat wenigstens gleich alles
verschenkt. Das solltest du auch tun. Du solltest ihnen sofort und
unverlangt, nein, nicht unverlangt eingesandt wie ein Manuskript, du
solltest der Stadt alles geben, alles, was sie will, ihr alles
aushändigen, ihr alles geben, auch den Rest, ja, sei einmal
großzügig, gib ihr den Rest! Gib dieser Stadt endlich den
Rest! Sie strengt sich doch ganz besonders an, dich glücklich zu
machen, damit sie auch das mit dir teilen kann, ich weiß, ich
habe vorhin das Gegenteil behauptet, beides stimmt, die Stadt will
alles und alle glücklich machen, aber auch das Gegenteil,
nachdem du sie glücklich gemacht und ihr alles ausgefolgt hast,
was du hast, ihr gefolgt bist, indem du ihr alles ausgefolgt hast,
was du dir verdient, aber nicht verdient hast, ist sie schon ganz
glücklich. Aber sie ist nie mit dir fertig. Sie macht dich
fertig, aber fertig mit dir ist sie noch lange nicht. Das ist eine
Vergnügungsstadt mit vergnügungstüchtigen,
widerstandsfähigen Menschen, zu denen du schon mal nicht
gehörst, die Stadt braucht viel, und sie nimmt auch viel, sie
füllt Scheine aus und hört zum Schein zu, wenn man ihr
sagt, daß man das alles schon einer andren Stadt gegeben hat,
das können wir Ihnen glauben oder auch nicht, wird dir bedeutet,
aber was bedeutet das? Die Stadt glaubt dir nicht, sie macht Party,
ist deswegen aber trotzdem nicht Berlin, die Stadt ist nicht Berlin,
wieso?, vielleicht weil die Stadt zu klein dafür ist? Wachsen,
eine Großstadt werden will? Dieser Stadtversuch, denn mehr ist
es nicht, dieser Versuch, Stadt zu sein, dient dazu, durch die
Anordnungen der Dinge in ihr, durch Vorkommnisse und Anordnungen von
Bauten oder sonstwas zu punkten, auch in fernen Gegenden Punkte zu
machen, damit die Leute herströmen und sich dann fein verteilen,
ja, die Fünf Höfe, das sind besonders berühmte Bauten,
eigentlich ein Zwischenreich zwischen zwei Bauten, die auch nicht
schön sind, eine Art Vorhölle, ein Fegefeuer vor dem
Wirklichen, dem Wahren, das ich aber nicht kenne, gibst du das zu?,
daß diese Höfe recht hübsch sind, zumindest als
Verbindungsglied, soweit ein Glied eben hübsch sein kann, ja,
das gebe auch ich zu, und durch diese Anordnungen, welche auch deine
absolute und völlige Enteignung beinhalten und die betrübliche
Tatsache, daß du es nicht hergeben willst, damit konnten sie ja
nicht rechnen, also durch diese Anordnungen, die ich bereits benannt
habe, Auskünfte über das Verhalten der Dinge zu gewinnen,
das ist, was ist das?, es ist auf jeden Fall ein bekanntes Verfahren,
und deshalb verfährt man so gegen dich: mit Anordnungen, damit
man dich versteht, damit man versteht, daß du das nicht machen
willst, was auch immer. Das dient dazu, daß man dich versteht.
Verstehen schon, aber damit hat es sich schon. Wir verstehen alles
und nehmen alles. Auch das, was Sie uns nicht geben wollen, das ganz
besonders. Du glaubst nicht? Hab ich was Falsches gesagt? Niemand ist
daran interessiert, dich zu verstehen? Na, dann verstehen wir
woanders jemand anderen, die anderen werden das genausowenig wollen,
aber du kannst es wollen: Woanders verteilt sich das Vergnügen,
hier verteilt sie es persönlich, die Stadt, sie teilt die
Menschen einander zu, und die Bedeutenden kommen zu den andren
Bedeutenden hinzu, und schon, ich wiederhole: und schon bedeuten sie
etwas, aber nicht in dieser Stadt. In dieser Stadt bedeutet ein
Bedeutender gar nichts, wenn ich bedenke, wer alles hier gewohnt
hat!, und keiner bedeutet etwas, und keiner hat etwas bedeutet, außer
er ist Koch oder beim Fernsehen, am besten Koch beim Fernsehen. Oder
man ist jemand, den man so lange anschauen muß, bis man seine
Bedeutung erfaßt hat, dafür wird er einem jeden Tag
gezeigt. Dieser Mensch bedeutet einerseits etwas, aber andrerseits
bedeutet er gar nichts. Ist so. Klar ist es auch, weil ein
Bedeutender in dieser Stadt sofort unbedeutend wird. Dafür sind
andre bedeutend, die nirgendwo sonst was bedeuten würde. Oh
nein! Die Bedeutenden hier kennt man woanders gar nicht! Ein
entsetzlicher Gedanke, wenn auch sehr allgemein gesagt, ich sage
halt, was mir einfällt, und was einem anderen eingefallen ist,
das schreibst schon du ab! Man nennt das Abschreibung, allgemein wird
das so genannt, aber tröste dich (was, du willst gar nicht
getröstet werden, auch nicht von dir selbst?): Es ist ja jeder
bedeutend, der weiß, was etwas bedeutet, für wen auch
immer, der ihn für bedeutend erklärt und diese gut gefüllte
Masse an Wurstfabrikanten und Zahnarztgattinnen auf der Piste, so
mühsam, wie sie in ihre Häute gepreßt wurden, gleich
erkennt, meist allerdings nicht hier, sondern in Kitzbühel oder
in St. Moritz, diese Leute können ja immer woanders sein, ganz
wie sie wollen, Hauptsache, sie werden erkannt, was ihren
Wiederverkaufswert steigert, und zwar an dem erkannt, was sie sich in
dieser Straße gekauft haben, man erkennt sie an ihren Kleidern,
Schuhen und Taschen, vor allem Taschen!, daran werdet ihr sie
erkennen und erkennen sie sich gegenseitig an. Ein Gesicht brauchen
sie gar nicht, was kann man damit anfangen, außer zu sprechen
oder fotografiert zu werden? Na ja, das machen sie schon auch, das
können sie wirklich. Die Bezeichnung Gesicht darf man nicht für
sich beanspruchen, denn dieses Gesicht wurde an entscheidenden
Punkten verändert. Wo ist dieser Verfolgte von damals, das gar
nicht mehr wahr ist, ja, der, der sich schließlich selbst
getötet hat, vergiftet, als er nicht einmal in einem Holzweg
einen Ausweg sah?, keinen Ausweg, als sein Wesen zu verlassen, das
ein Wesen der Großstadt war, irgendwo müßte sein
Foto sein, dieser verstorbene Verfolgte, der wirklich ein Verfolgter
war, ein echter Verfolgter, nicht so wie du, die sich so gern als
Verfolgte von der Ebene der Gleichförmigkeit erheben möchte
und doch immer nur genau dort hart landet, der echte, der wirkliche
Verfolgte also sagt, es wäre stumpfsinnig in seiner Stadt, nicht
dieser, Paris, ja, Paris, das ist was anderes!, Paris, ja, also das
ist heute auch nicht mehr, was es einmal war, doch es ist immerhin
noch da, es ist doch niemand mehr, was er einmal war, alles ändert
sich, und wer als Rasse sich selbst züchten wollte, der wird ein
paar Jahre später dafür gezüchtigt, was ihm nichts
ausmacht, weil ihm nichts etwas ausmacht, von hier ging das aus, hier
geht man aus, keiner behält sich in seiner guten Form, man muß
dafür trainieren, keiner bleibt, wie er ist, er wird nämlich
schlanker, nichts bleibt, es zieht alles weiter, wie Wolken, den
Schleckermarkt gibt es jetzt bald auch nicht mehr für die
Schleckermäuler, entschuldige bitte, das kann man ja alles gar
nicht essen, und ich weiß, ich schweife ab, genau wie du immer,
aber das geschieht, weil ich hier nicht so ausschweifen kann wie
diese Bürgerin, derentwegen die Polizei geholt werden mußte,
weil sie einen Mann mit ihren Sexgelüsten dermaßen
verängstigt hat, und dann ist sie die Polizisten auch noch
sexuell angegangen, das ist für mich der Gipfel des Subjektseins
des Menschentums, da reichst du niemals ran!, eine einzige Frau hat
das geschafft, ja, wir haben hier auch was zu bieten, dafür
haben wir etwas zu bieten: unersättliche Frauen, die sonst
überall satt würden, nur nicht hier, ja ja, Paris, das ist
schon eine Stadt, in der man ausschweifen kann, das gebe ich zu, hier
aber schweift man weiter, weil es leider zu eng ist, wofür auch
immer, diese Frau war nicht so weitschweifig wie du, aber sie hat
das, was sie schon hatte, bis zum äußersten ausgekostet,
der Mann mußte schließlich vor ihr auf den Balkon
flüchten, hat aber sein Handy mitgenommen und die Polizei
angerufen, hier, ja hier spielt die Musik, man muß nur in sein
Handy hineinsprechen oder es schön klingeln lassen, wie man es
sich ausgesucht hat, das kann man überall; wenn man ins Handy
spricht, muß man wenigstens nicht selbst fragen, wer man sei,
man kann höchstens den anderen fragen: Wer spricht?, wer
verspricht was?, doch man weiß es immer sofort. Es steht immer
da, außer es ist unterdrückt. Und dort stehen wir. Nicht
unterdrückt. Hier aber, hier aber, das ist alles Provinz, das
ist Provinz, alles, es enthält jedoch nicht alle Provinzen, die
es gibt. Das ist nicht wie Paris, ich sage es bloß, weil es ein
andrer gesagt hat. Ich allein würde mich das nicht trauen. In
dieser Stadt, in der wir uns hier befinden, nicht Paris, nein, hier,
in dieser Stadt, wo man spricht, nicht von der man spricht!, herrscht
die Ordnung der bürokratischen Katasterzeichen, da ist alles
aufgeschrieben, eingezeichnet; was es ist, das ist es, was es wiegt,
das hat es, aber eine Großstadt, nicht eine große Stadt,
eine Großstadt, die, ja, die steckt voller Städtchen und
Dörfer, voller andrer Städte und Dörfer. Diese Stadt
nicht. Sie ist eine andre Stadt, eine andre Straße, in der
Menschen nicht verfolgt werden, außer von ihren Rechnungen, und
sie ist gleichzeitig ein Dorf. Blödsinn, jede Stadt war doch
einmal ein Dorf, hat klein angefangen! Nein, das stimmt nicht. Ein
Dorf, na schön. Aber sie enthält das nicht, das Dorf als
Inhalt oder selbst der Inhalt des Dorfes? Sie ist es. Da ist nichts
drin, da ist Leere in Leere, und zieht man eine Leere heraus, kommt
da schon die nächste, kleinere Leere, eine Leere in der anderen,
ich verkneife mir jetzt, daß man daraus eine Lehre ziehen
könnte, obwohl ich mir sowas nie verkneife. Allerdings bist du
die Belehrerin, nicht ich. Du willst dieser Stadt beibringen, wer sie
ist? Also einkaufen kannst du auch so. Aber in anderen Städten,
die ein Geheimnis haben, stecken immer andre Städte in andren
Städten, immer eine in der anderen, und die sind nicht leer,
weil sie jede einzelne in ihrer Vielfältigkeit alle anderen
enthalten. Diese Stadt hier enthält nur sich selbst, mehr geht
einfach nicht rein. Was soll dir also passieren? Es kann dir nichts
passieren! Die Stadt ist zu klein dafür, hat aber dafür
keine Kinderstube. Diese Straße zum Beispiel enthält nur
Geschäfte, wie sie jede ähnliche Straße in jeder
ähnlichen anderen Stadt auch enthält. Aber dahinter ist
nichts. Dahinter ist nichts, da ist nichts dahinter, hinter dieser
Stadt stehen ihre Oberen, die Stadtoberen, sehr sympathische Leute
übrigens, das ist das Gute an dieser Stadt, sympathische Obere,
im Land mag es anders sein, aber die Stadt hat sympathische Führer,
ich will das Wort vermeiden, aber ich weiß nicht: Stadtobere?
Oberstädter? Nein. Hier kann dir nichts passieren, denn die
Stadt ist absolut überschaubar, du siehst alle kommen, die dir
etwas tun wollen. Die hast du nicht kommen sehen, die bei uns
eingebrochen sind? Dein Pech! Ich habe es kommen sehen, aber nicht so
schnell. Und nicht so viele. Kurz, nein, nicht kurz, das kann ich gar
nicht: Paris hat an der Seine einen Sandstrand aufgeschüttet,
wie ich ihn hier nur vor dieser kleinen sympathischen Eßbude,
diesem winzigen Kabuff auf dem Weg zum Englischen Garten gesehen
habe, sogar mit Liegestühlen, aber Paris hat – einer hat
das seltsamerweise mit den großen Neubauvierteln verglichen,
die damals nicht so groß gewesen sein können wie heute,
ich spreche hier nicht von dem modernen künstlerischen,
künstlichen Strand, der den Bewohnern denselben leeren Abgrund
bietet wie alles andre auch, ich spreche aus dem Mund des lieben,
nicht nur mir lieben Toten von einem anderen Strand, den hat er
gesehen, ja, also und er hat den Strand mit Neubausiedlungen
verglichen, die waren für ihn ein Sandstrand, und auch die
Regenküste am Seineufer wird erwähnt, ich würde das
Isarufer nicht eine Regenküste nennen, obwohl es dort ja auch
regnet, allerdings nur, wenn es fast überall sonst ebenfalls
regnet – Paris hat seine Marktwinkel, gut, die hat diese Stadt
hier auch, den Markt, er ist vielleicht das Beste an der Stadt, aber
auch er geordnet, immer geordneter, katasterisiert, dieser Markt hat
nichts von Ländlichkeit, je mehr Landbutter und Landobst und
Landgemüse desto mehr Land wird aus ihm ausgetrieben, komisch,
er zeigt in jedem Stück Obst, daß er eine Stadt ist, die
Markt spielt, während die Pariser Märkte ein Stück
Provinz sind, sich nicht genieren, wirklich das Land sind, das pralle
Land. Hier nicht. Hier will man, indem man Land spielt, auch in der
Trachtenkleidung, absolut nicht Land sein. Man zeigt jedoch in jeder
Faser der Loden- und Lederbekleidung, daß man zur gleichen Zeit
Land sein, auf dem Land sein könnte. Aber das Ländliche an
der Kleidung, das man hier bei älteren Leuten noch sieht,
verweist ganz besonders auf das Städtische, also auf die
Unwahrheit, das ist hier die Spezialität, die Unwahrheit stellt
hier die Ausführung, die Durchführung des Lebens dar, in
dieser Tracht keine Heimatverbundenheit, nur Verbundenheit mit
anderen Heimatverbundenen, oft und gern sogar: Heimatvertriebenen,
obwohl auch die alle, nein, nicht alle aussterben, ihre schrecklichen
Verletzungen kann man an ihren durchgebluteten Verbänden
erkennen, humpa humpa, sagt die Musik, das sagt sie oft, wenn ihr
nichts andres einfällt; das ist so, wenn die Menschen sich
selbst finden wollen, weil sie vom Land kommen und aufs Land gehen
können, wann immer gewünscht, dann verlieren sie sich, so
wie ich mich hier in Abschweifungen verliere. Ich sollte und werde
das alles für mich behalten. Aber ich weiß es, ich weiß:
Das ist ganz genauso, das ist der Übergang im Fortgang, das ist
der Fortgang im Übergang, Stadt-Land, während woanders das
Land zu sich steht, Land einfach ist, obwohl in der Stadt. So. Uff.
Sie haben diesen Abend angebrochen, ausgerechnet meinetwegen, auch
meiner Partnerin wegen, ja, hier ist sie, ja, du bist gemeint, nicht
einschlafen!, das machen schon die Leute hier für dich! Sie
können sie nicht verfehlen, meine langjährige Partnerin,
sie hängt so an mir, die Frau hängt einfach an mir, das ist
doch schön, oder?, und Sie wollen den Abend jetzt schon wieder
abbrechen. Das hat keinen Sinn, bleiben Sie hier, diese Stadt hat sie
nicht, die verrufenen Hafengassen, die andre Städte haben, der
große, dieser Große, den ich eigentlich namentlich nennen
sollte, dieser an entsetzlichen Wundern (nicht Wunden!) Verstorbene
hat sie alle gesehen; diese Stadt aber, diese hier, die hat nicht das
Reputierliche der Wohlanständigkeit, denn sie ist hier immer
etwas halbseiden, je reputierlicher sie sich gibt, je anständiger,
und die wirklich Unanständigen werden hier nicht verfolgt, außer
sie bringen jemanden um, und auch da kann man nicht immer sicher
sein, ob sie die Richtigen haben, nein, nicht die sechs Richtigen,
einer genügt schon. Die sitzen an ihren Seen und verzehren sich
nicht nach etwas, sie können ja ihre Landestracht überall
tragen, wozu sich Sorgen machen?, sie müssen sich nicht nach
etwas verzehren, sondern sie verzehren, sie verzehren nicht die
Besitzenden, sie besitzen selbst, und nicht nur sich selbst. Da
sitzen sie und besitzen. Das ist das Geheimnis der Stadt: Da sitzen
ihre Bewohner und besitzen. Die andren sieht man nicht, jedenfalls
nicht in dieser Straße, man sieht sie woanders, wo diese Straße
nicht ist, ich sage absichtlich nicht: wo sie nicht sind. In anderen
Städten sieht man sie, hier nicht oder kaum. Da sitzt der Mann,
zu Ostern ist er immer da, ja, gleich nebenan, genau hier, in dieser
Straße, die Adresse ist mir bekannt, sie ist seit längerem
eine bekennende Baustelle, vielleicht immer noch, wenn Sie das sehen,
man kann sie nicht betreten, möchte wohl wissen, ob der Mann
diesmal da war, ich weiß es nicht, denn ich war nicht da, wo
für ihn dort ist, der wollte wahrscheinlich auch einmal aus der
Beschränktheit seines Bauernhofs hinaus, und, das beweist meine
Theorie, er nimmt den Hof oder einen Teil davon mit, schau nur: Er
hat, um den Hof nicht verlassen zu müssen, um ihn in diese
Straße mitnehmen zu können, einen riesigen Hahn, also so
ein Kikeriki und alles, und einen riesigen Ganter bei sich, der
Menschen beißt, hauptsächlich, wie sein spendensammelnder
oder irgendwas andres sammelnder Besitzer fröhlich meint,
hauptsächlich und gern Frauen beißt, ja, dich auch, aber
diese beiden Tiere sind einfach prachtvoll. Sie kommen vom Land,
kehren dorthin auch wieder zurück, da freuen sie sich natürlich
schon drauf, und sie sind einfach großartig und überhaupt
sehr groß, größer als andre ihrer Art, kommt mir
vor, aber das kann daher kommen, daß auch sie ihren Ort
verlassen, aber gleichzeitig hierher in diese Straße
mitgebracht haben. Doch sie lassen einen keinen Augenblick vergessen,
diese kleinen Riesen, daß man, gibt man seine Spende bei ihrem
Besitzer ab, sich damit bereits selbst aufs Land begeben hat, indem
man diesen Tieren was gibt oder für diese Tiere was gibt oder
dem Bauern für seine Tiere was gibt, kann auch alles eine
Fälschung sein wie die Fassaden der ländlichen Häuser
hier, alles gefälscht, alles gefaked und dann drangepickt, nur
zu dem einen Zweck dahingestellt geblieben, um zu beweisen, daß
das alles Land ist, ländlich ist wie die Stadt, da kann sie
machen, was sie will. Sie ist Land, diese Stadt, und sie ist auf dem
Land. Andere Stellen gibt es, die sehen anders aus und aus. Das ist
mir jetzt zu blöd, danke für den Applaus, leider kommt er
nicht! Gähn! Hör mal, Frau!, du bist jede, egal, was du dir
einbildest, so wie diese Stadt Land ist, auf dem Land ist, du bist
eine bestimmte und gleichzeitig jede Frau, so wie diese Stadt nur sie
selbst ist und dabei gleichzeitig jede andere, nur klein müßte
sie halt sein, diese Stadt ist nicht wie eine große, die
Großstadt ist nicht ihre Wahrheit, diese Stadt hat eine andere
Wahrheit, man übersieht diese Stadt, indem man sie nicht
übersehen kann, sie ist unübersehbar, wenn auch nicht
unübersehbar groß, und sie ist vollkommen geheimnislos,
das ist ihr Geheimnis, daß sie keins hat, du kaufst ja auch,
was dir gefällt, auch wenn dir nicht alles steht, was du hier
kaufst. Bilde dir doch nicht ein, daß du so wichtig bist, daß
die Stadt irgend etwas gegen dich unternehmen würde! Du bist
unwichtig, und die Stadt macht sich deinetwegen keine Mühe.
Warum sollte sie? Sie bietet dir hier in dieser Straße ihre
Läden an, das muß genügen. Was sie sonst tut –
leerer Schall! Du bist ein Fremdling überall. Bilde dir nur ja
nichts ein! Dieser Überfall ist Routine, ein Routineüberfall.
Dieser Einbruch in dein Leben: Routine. Verfolgt wird jeder, jede,
und jeder ist einmal dran. Jetzt warst es halt du. Das war schon
lange fällig, es ist, als wärst du jede, was du ja auch
bist. Andre werden noch viel schlimmer verfolgt, noch viel brutaler
rangenommen, sei nicht so wehleidig! Viele dürfen überhaupt
nicht hier bleiben, auch wenn sie wollen, bedenke diese Tragödie!
Du hast dir hier kein Haus gebaut, deshalb kannst du hier auch nicht
tun und lassen, was du willst. Du warst einfach dran, sagt diese
Stadt, sagt die Straße nicht, denn die will ja, daß du
bleibst und was kaufst und nicht vergrämt wirst wie ein Rehbock
bei einem ungewohnten Geräusch; die will nicht, daß du
vertrieben würdest. Aber so siehst du es, klagend, anklagend,
prahlend mit fremder Herrschergewalt, die du der Stadt jedoch nur
zuschreibst. Du prahlst mit einer Gewalt, die dir nicht gehört.
Du mußt ihn doch anerkennen, den heißen Eifer der Stadt,
wieso Efeu?, nein, wo bliebe denn das Eichenlaub, das Schwert?, eins
natürlich passend zum anderen, nein, es ist ein Eifer für
die Wahrheit, die sie finden wollen, das wirst du doch anerkennen!
Nein, das siehst du falsch, von hier will dich niemand vertreiben,
und das heißt, daß man dich vertreiben will, aber leise.
Laut ist die Stadt nur um dessentwillen, das sie vertreibt, um ihrer
Waren willen, weil die keinen eigenen Willen haben, ihnen muß
also geholfen werden. Die Stadt hat das Dorf, das sie mal war, aus
sich vertrieben, mit viel Mühe, aber immer wieder kehrt es zu
ihr zurück. Sie wird zum Dorf, ob sie will oder nicht. Und du
sollst fort hier, ob du willst oder nicht. Das steckt dahinter,
obwohl da nicht viel dahinter ist. Dafür sind sie hinter dir
her, sie haben dich ausgespäht, da die Stadt ja klein ist, haben
sie dich schon von weitem gesehen, du bist buchstäblich in den
Verlauf ihres Weges gefallen, da konnten sie dich nicht mehr
übersehen. Die Stadt ist, wie viele andre Städte auch, zum
Beispiel deine, die ich hier nicht nenne, ein Dorf. Aber man sieht
nicht, daß sie dieses Dorf enthält, oder man sieht nur das
Dorf, wenn man die Stadt anschaut, das Dorf, das sie ist. Und in
einem Dorf kann man leicht jeden verfolgen, klar, weil man ja jeden
immer und zu jeder Zeit sieht, man weiß immer, wo er ist.
Doppelgeschöpf,
weibl.: Ich bleibe dabei: Es gibt sie nicht, und doch ist sie
hinter mir her. Ist so. Für etwas, das es nicht gibt, ist die
Stadt erstaunlich wenig gespenstisch hinter mir her, das Gespenst muß
ein andrer sein, woanders, damit könnten wir es schon bewenden
lassen und aufhören. Na endlich, wird hier geschrien. Was ist
etwas? Welches Etwas ist das? Keine Fragen sprechen mehr aus uns,
wenn wir in diese Stadt, in diese Straße, mit der die Stadt
sich ganz besonders brüstet, man könnte sagen, sie sei die
Brüstung der Stadt, oder brütet sie sich selbst aus?, ist
da was drunter?, hat man ihr was untergeschoben?, etwas, bei dem nie
was herauskommen wird?, probieren wirs aus: hineingehen, und es gibt
niemanden mehr in ihr, nur die Marienstatuetten stehen noch und die
andrer Heiliger, in Nischen, hier wacht nicht ein pflichtgetreuer
Hund, hier wachen Heilige, Maria und Jesus, ja, der wacht auch, seine
Spur ist unkenntlich geworden, ich meine: Wie ist er dort
hinaufgekommen? Ins Nichts dieser Stadt, das sie ist, sie ist
überflüssig wie die meisten anderen Städte auch, aus
denen nur Menschen fließen, die einer sind wie der andere, doch
nicht einmal ihre Flüsse sind einer wie der andere, meist sind
es nur Bäche, machen aber ordentlich Wellen. Die Flüsse
sind jedoch auch oft Mörder, das sage ich ohne Vorbedacht, denn
denken tu ich selten, und vorher nie, doch ich denke an diesen Mann,
der seinem Hund in den einzigen Fluß, der etwas zählt (und
was zählt er?, seine Opfer!, die Stadt zählt ihre nicht),
nachgesprungen ist, um ihn zu retten, der Mann ist ertrunken, der
Hund, welcher um Hilfe geschrien hatte, nicht, das sage ich jetzt,
bevor ich etwas anderes sage, leider wieder nicht das richtige, mein
alleiniger Schaden. Im voraus denken geht schon gar nicht, wie denn?
Und das Wesen der Wahrheit ist sowieso, daß das Sein sich immer
irrt und danach in eine Parkbucht flüchtet oder auf einen
Großparkplatz, um sich an anderen auszurichten, um sich etwas
auszurichten, was sonst eh keinen interessiert, so, stellen Sie sich
vor, vielleicht auch aus Langeweile, wo dieses schreckliche Wesen zu
Hause war und dieses Haus jetzt immer wieder aufsucht, dieses
Geschöpf, das ich Ihnen leider nicht im Bild zeigen kann, obwohl
hier alles Bild ist oder als Bild gezeigt werden muß, denn
außer Bildern hat die Stadt uns nichts zu sagen, und doch, sie
sagt, was sie sagen kann, da sie ja nicht gibt, was sie geben kann.
Erteilt man ihr das Wort, hat sie nichts mehr zu sagen. Erteilt man
ihr das Bild, weiß sie alles, niemals wird die Spur
Unkenntlicher ins Unerkannte gezeigt, es werden immer nur bekannte
Menschen gezeigt, obwohl man die ohnedies bereits kennt, weil die
Stadt ja so menschlich ist, wenn auch nur zu den ihrigen. Das sind
sowieso immer die besten. Man sieht das auch im Bild, nein, nicht in
diesem. Meine Wahrheit ist, daß so viele tot sind, das war sie
schon immer, als einzige. Die tote Wahrheit im Bild. Und ihr Wille
ist Gewalt. Daß diese Stadt in einem einzigen Mann gestorben
ist, das ist wahr, weil ich es sage. Vielleicht kommt er später
noch, jetzt ist für diese Erscheinung kein Platz vorgesehen.
Jetzt erscheinen wir lieber selber. Eigentlich, ja, eigentlich, was
wollte ich sonst noch sagen, ach so, ich habs ja schon gesagt!, alles
ist längst gesagt, wird aber noch öfter wiederholt werden;
eigentlich ist das, was ist, in diesem Fall das, was nicht mehr ist,
denn der Mann, den ich meine, der hier in seinem kleinen Laden, so
vollgestopft mit Wundern, wer hätte den nicht auch bewundert,
der hier immer anzutreffen ist, seit Jahren verschwunden. Sie wissen
ja gar nicht, was das für ein Mensch war!, Sie haben ihn ja nur
von außen gesehen. Sie fragen sich sicher, wo in dieser Stadt
ein solcher Mann anzutreffen war, Sie erinnern sich nicht, weil Sie
sich nie an etwas erinnern wollen, ich glaube, dieser Mann ist jetzt
ein Engel. Ich habe keine Beweise, aber ich weiß es. Früher
geäußerte Meinungen dazu haben ab sofort keine Gültigkeit
mehr, das sind Berichte aus der Vergangenheit, allerdings nicht über
sie, Moment, nein, ich beginne neu, bin aber jetzt schon ermattet,
ich fasse es nicht, dieser Engel, dieses Gespenst, bitte, wie äußert
es sich, wie erscheint es? Um wieviel Uhr können wir mit ihm
rechnen? Etwa auch am Marienplatz, wie alle? Man kann es nicht sagen,
weil es ja unsichtbar ist. Vielleicht ist es eigentlich das, was war
und heute immer noch in den Raum hineinsteht, die Kante, an der wir
uns hier ständig anhauen, das, was in die Offenheit dieser Stadt
immer hineinragt, obwohl es die gar nicht gibt, weil sie immer mit
Öffentlichkeit verwechselt wird, diese Offenheit: diese Fotos,
alles offen, alles zur Ansicht freigegeben, und die passenden
Ansichten gibt es auch dazu, sie ist eine Legende, diese Offenheit.
Wenn diese Stadt offen ist, dann hab ich ihre Tür noch nicht
gesehen, nicht gefunden (die Verfolger meine aber schon!, die hatten
allerdings die Adresse), sodaß ich sie genausogut wieder
zumachen kann, die Tür, was aber nicht nötig ist, sie
verschließt sich schon selbst, indem sie sich scheinbar öffnet;
indem sie sich zum Scheinen öffnet, was Sie alles auf den Fotos
sehen, die ich Ihnen vorhin gezeigt habe oder auch nicht, verschließt
sie sich, auch vor mir, vor mir ganz besonders, oder sie bricht bei
mir ein, fällt über mich her, schickt mir ihre Schächer,
keine Ahnung, ich bin ja keine Erlöserin!, ich bin nicht die auf
dem Kreuz in der Mitte, nein, in eurer Mitte war ich nie!, und den
Schlüssel hab ich auch nicht, aber was brauche ich den, wo ich
doch ohnedies die Tür nicht finde!, denn die übrigen Türen
hier mußte ich auch alle suchen und habe sie auch nicht
gefunden, bis jetzt jedenfalls noch nicht, nicht alle, außer
die zu den lieben Enten und Gänsen am Kleinhesseloher See, der
woanders ist als diese Straße, zum Glück, doch man kommt
zu Fuß hin, doch, doch, ich habe das schon oft gemacht, ich bin
Zeitzeugin!, ich weiß genau, wie lang ich dorthin brauche, was
wollte ich sagen?, dann also hab ich ihre Tür nicht gefunden,
den Schlüssel zur Stadt hat man immer nur anderen überreicht,
nur den Überreichen, Entschuldigung, das ist wirklich tief, aber
für den Schlüssel der Stadt bücken die sich auch noch
freiwillig, obwohl sie eh sperrangelweit offen ist, die Tür,
aber nicht für jeden, danach müssen sie nicht einmal den
Zehent zahlen, doch von mir wollen sie natürlich wieder einmal
alles!, nicht nur ein Zehntel, sie wollen meine Talente, um sie zu
vergeuden, nein, um Schulen und Spitäler damit zu bauen! Das ist
wahrscheinlich der Schlüssel zu alldem! Doch nur die, die
überaus Reichen, davon gibts hier reichlich!, kriegen den
richtigen Schlüssel, nur denen zeigt man die Tür, alle
Türen, ein Gespenst braucht sowas nicht, das geht durch die
Wände, und hätte ich sie gefunden, diese eine Tür ins
Leben, ich hätte sie auftreten, aufstoßen, aufdrücken
müssen, ich hätte mich der Tür selbst aufdrücken
müssen, ungefähr so wie die Aufschrift: DAMEN, damit ich
mich dieser Stadt hätte aufdrücken können wie einen
Stempel, aber das ist unmöglich, hier kommt keiner rein, weil
jeder reinkommt, aber nicht jeder ist jeder, hier gibt es nur jeden,
der nicht jeder ist, das klingt paradox, ist es aber nicht, denn das
Leben hier wird entschieden an den Theken der Lokale, durch geglückte
Sprüche, die das Leben andrer beeinträchtigen könnten,
wenn man sie hören und in der Zeitung lesen könnte, doch
keine Sorge: Jeder bleibt unter jedem, das ist so bei den Bauern, ich
meine, sie bleiben unter sich, nachts wie tagsüber, und dazu die
Fotos, immer wieder diese Fotos, von sich überzeugte Fotos, denn
die Menschen, die sie mit ihren Fotohandys abbilden, sind ja auch
wirklich überzeugend, und nein, die Stadt ist nicht offen, falls
Sie das geglaubt haben sollten, weil sie das ja immer behauptet und
ich das vorhin ebenfalls irrtümlich behauptet habe, ich wollte
es ja glauben, doch ich sehe, ich kann mich in ihr nicht behaupten!,
nicht in dieser Stadt. Sie ist das, was unverrückbar, wie alle
Provinzstädte, das unterscheidet sie von den Großstädten,
in den Raum hineinsteht, irgendwie vorsteht, in die Offenheit andrer
Städte und andrer Menschen hineinragt, die sich in diesem Fall
aber nicht daran stoßen, sondern gierig danach greifen, sie
wollen dazugehören, und wenn sie blaue Flecken und Wunden
zugefügt kriegen, das ist das gute Recht der Stadt, sie hat das
Recht der Verletzung Fremder, sie hat das Recht der Gewaltenteilung,
aber die Gewalt teilt sie nie!, sie ist ein Meer, das sich eben nicht
teilen will, doch gleichzeitig begibt sie sich an die Verwahrung des
Offenen, aber auch dessen, was sich gegen die Offenheit dann wieder
verwahrt. Ja, beides. Sie kann ja über alles verfügen,
indem sie das verfügt. Sie verfügt ja über alles, was
dazugehört. Da gehört etwas dazu! Die Stadt ist
gleichzeitig ihr Gegenteil, eine Nicht-Stadt, ein Stadt-Negativ, doch
die Zeit der Negative und des Negativen ist vorbei. Hier wird alles
gespielt und, noch wichtiger: vorgespielt. Die sich hier aufspielen,
werden von der Stadt den anderen immer wieder vorgespielt. Eine
Endlosschleife, nicht wie die Krawatten eines bestimmten Toten, an
den ich jetzt denke, die ein Ende hatten, obwohl es eigentlich zwei
Enden waren, wie bei der Wurst. Nicht einmal ein einziges Ende ist
erwünscht. Und dieses Ende hätte schon gar nicht kommen
dürfen. Es führt den Begriff Ende ins Absurde vor, indem
das Ende nie zu Ende geht. Und je mehr sie sich schmückt und
geschmückt vorzeigt, die Stadt, je mehr sie die Brust
rausstreckt, umso mehr fehlt unten, da fehlt wirklich zuviel, also
irgendwas fehlt, da ist es hohl, da geht es nach innen, bis die Stadt
selbst zusammenbricht, auch ohne diesen Toten, auch ohne all die
anderen Toten, die jede Stadt hat, was ich ausgerechnet dieser Stadt
jedoch nie verzeihen werde; je mehr sie sich also vorwölbt, die
Stadt, desto mehr bricht sie ein in all ihrer Überladenheit,
sogar die Häuser sinds ja!, puppige Bewegungen machen die
Fassaden, wahrscheinlich wollen sie zeigen, daß sie gar keine
Fassaden sind, sondern die Oberkörper von diffusen Wesen, die
von ihren Besitzern diffundiert worden sind, bis sie einfach überall
waren, alles überzogen haben, fein versprüht das Fette, das
Puppige, das Gewölbte, das Gebogene, das kein Häkchen ist,
nein, auch keine Fassaden, auch nicht die Fassaden von Menschen auf
diesen Fotos der Gebleichten, Gesträhnten, Auftoupierten, der
Dahinschwankenden, Dahinstöckelnden, alles keine echten
Gespenster! Da wölben sie sich vor, da knüppeln sie sich
voran, ja, die, von denen ich spreche, und ich weiß selbst
meist nicht, wovon ich spreche, heben Sie Ihr Gerät und halten
Sie es fest, nein, nicht das Gerät, das, was Sie sehen und auch
sehen sollen, genau: ein Fahrrad! Sieht man hier auch oft. Aber noch
öfter sieht man ihre schweren Wagen. Vielleicht glauben deren
Besitzer, daß man ihnen zuwenig Wert beimißt und bemessen
ihn selbst zu knapp, wenn es ans Zahlen, aber nicht wenn es ans
Fahren geht, ja, die meine ich, die auf den Fotos, immer denselben
Fotos, aber es sind ja auch immer dieselben Menschen drauf, wie
sollten da die Fotos etwas anderes zeigen können?, und wenn sie
sich vollaufen lassen, dann sind auch die Fotos voller von ihnen,
immer voller, es rinnt schon über den Rand, voll nicht von
anderen, immer nur von ihnen; sie glauben, sie hätten dadurch
Tragweite, obwohl sie nicht einmal Träger haben, an ihren Frauen
halten die Kleider schließlich auch so, man schließt sie
woanders, die sind trägerfrei, jugendfrei, machen sich
zusätzlich immer noch freier, an der Stadt sehen sie ja, wie sie
das machen müssen, nur diese Puppos, oft in Gruppos zu mehreren,
alle gleich, aber mindestens zu zweit, da sich zwei ganz neu gefunden
haben, ja, die, auf den Fotos, die sind das, und die sind schon
alles, was es gibt; was es früher gegeben hat, ist fort, diese
Leute sind das Anwesen der Anwesenden im Wandel, werden halt auch
älter, sehen aber trotzdem immer gleich aus, sie sehen so aus
wie vorher, diese Fotos: vorher – nachher, und beide vollkommen
ähnlich, und dann auch noch ähnlich einem Geschöpf,
das sie in einer Zeitschrift gesehen haben und jetzt unbedingt
nachahmen wollen!, und zwar genau dieses, das ist angesagt worden vom
Schöpfer, einem Fotografen, nächstes Jahr kommt dann jemand
andrer zum Karosserie-Nachschneidern dran. Dann ist alles wieder wie
neu. Das muß denen einmal einer nachmachen, daß die nicht
nachgemacht werden können, weil sie schon Nachahmungen sind!,
diese Gips-Popos, überladen und noch beklebt, bemalt zusätzlich,
in all ihrer Überdeterminiertheit, in ihrer Redundanz, umso mehr
als diese Trägerlosen überall auftauchen, wo man sie gerade
gesucht hat, ja, genau dort, wo man bereits auf sie gewartet hat und
immer warten wird, diese Träger des Trägerlosen, ja, und
auch die der Hosenträger-Hosen, nein, der Trägerhosen-Träger,
wurst, denn: gewartet müssen sie nicht werden, diejenigen, die
ihren Grund verlassen, der wiederum sie getragen hat, um woanders
gesehen zu werden, was sie ja nur werden, weil sie einen Grund dafür
haben, einen eigenen Grund!, und den Satz vom Grund, ich meine den
Satz im Grundbuch dazu, der ist für diese Schweren reserviert,
für diese Reservearmee der Stadt, hinter denen keine Besseren
nachkommen, das sind schon unsere Besten!, wir haben nur die Reserve,
nicht das Original, das Original ist kaputtgemacht, zerschlagen
worden, damit kein andrer es nachahmen kann. Dieser Sitz ist
reserviert, der Satz ist für die Püppis geschrieben, die,
noch blonder als blond gebleicht, bis ihnen mit dem Haar auch noch
der Kopf abfällt, weil innen bereits alles zerfressen ist, keine
Ahnung wovon, ach ja, Wasserstoffperoxid, die also immer irgendwo
dranhängen, wo es wirklich fest und hart wird, wo die Wirklichen
sind (es gibt keine Wirklicheren! Das sind die, die wirklich wirken)
und über die Straßen brettern, ohne an die Bretter des
Sargs auch nur zu denken, der Satz vom Eigentum wird hiermit für
gültig erklärt, doch wie lautet er?, wir ändern ihn ab
in den Satz der Eigentümer, die miteinander in einem nicht
geheimen Einverständnis stehen: Das sind diejenigen, die
dranhängen, immer an einem andren Eigentum, sonst würden
sie ja dauernd zu streiten anfangen, wer welches Festzelt kriegt,
bitte um Entschuldigung, ich verstehe nichts davon, wo war das noch
gleich?, ja, und dann haben wir auch ganz neue, frisch gekrönte
Könige im Angebot, ein Sonderangebot ist es nicht, doch wir
sitzen mit ihnen im selben Boot, weil uns das auch interessiert,
genau, ich meine die, die kochen können, die Herrscher der
Wiese, der Wiesn, die hängen auch alle an irgendwas dran, bis
sie glauben, die Stadt gehöre ihnen. Weil sie wissen, die Stadt
gehört ihnen. Mir geben sie sie nicht, wie gemein! Sie leihen
sie mir nicht einmal. Das sind alles Leute, welche ihren ländlichen
Grund verlassen haben, wo sie sich eingerichtet hatten, umso lauter
schreit dann ihre Einrichtung nach ihnen, die sie ohnedies immer mit
sich führen, wo sie auch sind, je mehr sie da sind, mitsamt
ihrer Einrichtung plus Hirschgeweih, das gewiß nicht das Denken
ihnen eröffnet hat, das Geweih ist schließlich außen
angewachsen und nicht im Kopf drinnen!, desto weniger existiert sie,
die Stadt, denn sie achtet ihre Menschen nicht, weil das, was sie
achtet, immer dieselben Menschen sind, und die kennen wir schon. Vor
denen muß man nicht mehr Achtung! schreien, man erkennt sie
sofort. Andre kommen ihr nicht rein, kommen ihr nicht in die Tüte,
höchstens als Einkäufer in jeder, ja, auch in dieser
Straße, die ganz besonders die Stadt verkörpert, sind
allein ihre Körper zugelassen. Wissen versteht die Stadt,
versteht die Straße ausschließlich als Gesehenwerden,
obwohl sie doch wissen muß, daß es auch von hinten geht,
man erkennt die immer, und so ist das beste für uns Zaungäste
(nein, die Kühe hinter dem Zaun sind inzwischen ins Schlachthaus
verreist, die sehen Sie hier nicht) das Gesehenhaben. Gern geschehen!
Können sie nicht unterscheiden, ob sie was gesehen haben oder ob
sie es grade sehen. Es gibt keine Unterschiede. Sie unterscheiden
sich ja auch nicht voneinander, daher sind sie voreinander ja auch
so, wie soll ich sagen?, ungeniert!, weil sie alle ein und dasselbe
sind, und das kennen sie schon und wollen was Neues, das sie aber
schon vorher gekannt haben, wie sie uns mit ihren Signalfarben
signalisieren. Also. Ich bin so erschrocken über diese Stadt,
das kann ich Ihnen sagen! Zuerst eigentlich nicht, später schon.
Ich habe geglaubt, sie zu kennen, aber was ich gekannt habe, war nur
ihre Fassade, kein Wunder, sie besteht ja daraus, die Stadt, aus
Fassade, aber dahinter, der Hintern dahinter, der ist entsetzlich,
und das Dazwischen, das können Sie sich gar nicht vorstellen,
und das werden Sie auch nie sehen, denn das zeigt sie nicht, das
zeigt sie nur denen, denen sie gehört, obwohl Sie ja vielleicht
ebenfalls hier wohnen, hinter diesen Fassaden, die alles
verschleiern, nein, nicht verschleiern, sonst wären sie ja
durchsichtig, und das sind sie eben nicht, sie sind das Verborgenste,
nein, das Verbergendste. Sie sind Fassade auf Fassaden. Und das
letzte, was diese Fassaden in dieser Stadt eröffnen könnten,
nachdem alles andere schon eröffnet wurde, wäre das Denken,
auf das hier nur wenige kommen, und wenn, dann verwischen sie den
Pfad hinter sich. Da macht es besonderen Spaß, das, was davor
ist, in dieser Stadt: vorsteht, also da macht es den Vorstehern der
Stadt besonderen Spaß, bei den Menschen einzubrechen und die
Menschen einzubrechen wie Wild, ich meine aufzubrechen, daß das
Blut spritzt und die Knochen knacken und krachen, daß die
Sehnen reißen, bis sich niemand mehr nach etwas sehnt, den Witz
mache ich immer, denn es ist keiner, ich scherze nicht, sie brechen
in Menschen ein, bis denen die Haut und das Darunter aufplatzen, das
Darunter aufzureißen, nicht das Dazwischen, das macht Spaß!,
in das Darunter einzudringen, nachzuschauen, was dran ist. Oder das,
was offen und draußen ist, auch noch aufzubrechen, es ist ja
da, es ist vorhanden, und man ist schließlich kein Einbrecher,
sondern ein Aufbrecher von Menschen, nicht wahr!, bis zu ihrem Grund
vorzudringen, das machen sie gern, die Aufdecker, nein, nicht die
Abdecker!, das ist auch der Grund, weshalb sie die Herkunft ihrer
Herrschaft so offen zeigen, daß man sie gar nicht erst suchen
muß. Hier steht es doch, auf Seite eins, Fortsetzung im
Blattinneren, dort finden Sie jedes andere Innere auch, das Sie schon
lange gesucht haben. Man kann aber auch ein Aufdecker sein und auf
den Grund dieses Wäschemodels blicken, was für einen Grund
hätte es denn, sich zu verbergen?, keinen!, da es doch kaum
etwas angezogen hat, damit wir alles, wirklich alles sehen können,
ist ja nicht viel drüber. So auch der Mensch. Dieser Satz hat
keinen Sinn, er ist auch gar kein Satz. Ja, ich glaube, das ist auch
diese Stadt: daß man die Menschen auszieht, bis man alles von
ihnen, am besten wärs auch noch von innen, sieht. Das ist ihre
Bedeutung, und darin sieht man sie, in ihnen selbst. Den Grund, warum
nur, warum?, den erreicht man schnell, nein, den wirklichen Grund der
Menschen, warum sie etwas nicht tun, den kriegt man nicht raus, den
Grund, weshalb sie überhaupt nichts tun, außer Ärzte
oder Anwälte oder Geschäftsleute und deren Gattinnen zu
sein, darin herumzuwühlen, um einzukaufen bis ihnen das Blut vom
Ellbogen auf die Elle und die Speiche tropft, so oft haben sie ihre
Kreditkarten hineingeschoben. Aua! Da ist was rausgekommen und hat
mich sofort gebissen! Zumindest eine Sehnenscheidenentzündung
geht sich aus, obwohl sie sich nach nichts sehnen müssen. Sie
haben ja alles. Und dann: Die blitzenden Speichen ihrer Bergräder,
die sie zum Spaß auch in der tiefsten Ebene besteigen, weil sie
diese dicken Autos in der Garage stehen haben und auch einmal
stehenlassen können, die wollen sich auch einmal ausruhen,
dieses Geblitze überall, ein Gewitter auf dem Land ist ein Dreck
dagegen: Da, hier sehen Sie es rennen!, hier sehen Sie sie rollen,
die Räder, und wer draufsitzt, der will abnehmen, aber das kann
ihm keiner abnehmen, das muß er selber tun. Da ist das nackte
Grauen, nein, doch nicht, das ist woanders, vorhin war es noch da,
keine Ahnung, wo es hin ist, ich glaube, es war gerade zu mir
unterwegs, geradewegs, hier jedenfalls sehen Sie es nicht, denn man
sieht es nur, wenn man dahinterschaut, und das können Sie nicht,
das können nur die, die Herren der Stadt, des Staats, des
Freistaats, das muß man nämlich dazusagen, die bei mir
eingedrungen sind, ohne davor Einlaß begehrt zu haben, nein,
ich übertreibe, sie haben geklingelt. Ich bin so frei, sagten
sie, aber nicht beim Eintreten. Daran ist die Stadt nun wirklich
nicht schuld, außer daß sie Herberge ist und das Land
öfter mal einlädt. Freihält, egal, ob man frei ist
oder nicht. Diese Herren, Herrschaftsseiten, die zeigen einem
manchmal auch wirklich ihre unangenehmen Seiten! Und wo sind die
anderen Seiten, die sie jetzt aufziehen wollen? Einem Foto können
Sie nicht auf den Hintern schauen, weil, da ist nichts, hinter diesem
lachenden Gesicht ist gar nichts, da ist nichts dahinter, nichts
dran, nichts dran an den Gerüchten, nichts, da ist nichts,
drehen Sie das Foto um, dann sehen Sie es, da ist nichts, denn das
Geld ist über der Grenze, in Österreich, im Kleinwalsertal,
in diesem winzigen Tal, einem richtigen Kleinkind von einem Tal, wo
sollen wir denn sonst hin, wenn wir was anzulegen haben?, dort im
Tale, auf dem grünen Talgrund, dort drängt, dort scharrt es
sich zusammen, bis ein schöner Haufen entstanden ist, keiner
kennt die Namen, dort drängeln sie einander vorwärts wie
frierende Tiere, irgendwelche halt, ich glaube, man sagt Mäuse,
oder?, das tun sie ja alle, sich zusammendrängen, auch wenn sie
gar nicht bedroht werden; doch schauen Sie es von vorn an, das Bild!,
dort sehen Sie auch nichts, denn das ganze Geld ist bereits
weggebracht worden, es wurde fortgeschafft, mußte Abschied
nehmen, oje, doch es hatte es nicht weit, es war gar nicht weit über
die Grenze, aber sehen Sie nicht, daß ich in umgekehrter
Richtung unterwegs bin?, hier steht es doch, und ich stehe nicht
hier, das sehen Sie doch auch. Noch nackter, noch grauenvoller ist
es, wenn man selbst derjenige ist, der unbedingt dahinterschauen,
dahinterkommen möchte, und das will man hier, man will das Geld
dahinter, aber man sucht es an den falschen Stellen, und das
geschieht mit Absicht. Das Geld ist dorthin verreist, woher ich
komme. Ich hätte nur die Hand auszustrecken brauchen. Doch
leider ... Nein, unterwegs begegnet ist es mir nicht. Ich habe eine
andre Strecke genommen. Und Sie haben eine andre Strecke ausgelegt,
lauter Tote, lauter Totes, das ist Ihre Strecke!
Doppelgeschöpf,
männl.: Also bitte, beruhig dich wieder! Was dir passiert
ist, kannst du nicht über die Stadt stülpen, noch dazu über
diese, die so harmlos ist wie eine Butterblume! Und ich gehe noch
weiter: Das war sie gar nicht, die Stadt! Die Stadt hat nichts damit
zu tun! Laß dir diese Stadt nicht vergällen. Und diese
Straße schon gar nicht! Das sind nur dumme Meinungen und
Ansichten von dir, nicht von der Stadt! Die Stadt ist anders. Sie hat
Tiefgang, und der läßt sich sogar noch übertreffen,
indem es bei ihr immer noch tiefer hinuntergeht. Welche Stadt schafft
sowas? Sich selbst zu unterschreiten? Ich werde dir erst glauben,
wenn die Stadt in ihre eigenen Keller einbricht, durchbricht,
abbricht, obwohl sie keine Geschichte hat, und wenn, dann hat sie sie
gut versteckt, woanders, denn im Keller sucht man ja immer zuerst,
nicht wahr, versteckt alles, jedenfalls das, was überhaupt noch
von ihr da ist, in dieser Straße ist es nicht mehr viel. Da
befindet sich alles an der Oberfläche, du brauchst nicht tiefer
zu graben. Die Straße war früher eindrucksvoller, wie
alles hier, gemacht, um Eindruck zu machen, das stimmt. Das sind
Baustätten, nicht Erbauungsstätten, obwohl in die Löcher
vieles hineingebaut wird. Darüber wacht der Landtag, am anderen
Ende der Straße, wie über alles andre auch. Das ist seine
Aufgabe. Du solltest das auf sich beruhen lassen, was dir passiert,
und es nicht der Stadt ankreiden. Diese Stadt ist Leben und
Lebenlassen, ohne Bangigkeit, den wichtigen Personen sieht man an,
daß sie auch durch Wiesen und Wälder streifen könnten,
wenn sie wollten, gut, das machen sie am Sonntag, daß sie aber
auch die Clubs bevölkern könnten, damit auch dort ein Volk
ist, aber nicht jedes, es soll sich ja verteilen, nicht wahr, das
wirst du ihnen wohl gönnen! Das Volk kann nicht immer nur zu
Hause bleiben wie du, nein, weil Sie fragen: Wir sind nicht das Volk,
wir sind es nie gewesen. Das ist das Volk, was?, keine Ahnung, und in
dieser Straße zieht man sich dafür an, sich darunter zu
mischen, nie dreinzumischen, nein, das nicht, nur nicht einmischen,
aber unter die Leut mischen, das ist schon besser, je nachdem, wer
man ist. Je nachdem, was man vorhat und mit wem, und in dieser Stadt
kann man immer was vorhaben, und man kann es in immer denselben
Stätten ausleben. Das ist doch schön, das ist zündend,
das blendet die Augen! Das ist überall so. Diese Stadt heißt
sich gegenseitig zu kennen. Sonst nichts und niemand. In anderen
Städten kennen die Menschen einander nicht, die Glücklichen.
Hier kennt jeder jeden, es gibt ja nicht so viele davon! Doch es
bleibt überschaubar. Jeder ist viele, wenn auch nicht alle. Das
ist ein wichtiger Unterschied. Wenn sie dich nicht leben lassen, oder
jedenfalls nicht hier, dann sagt das gar nichts über diese
Stadt, sondern alles über dich. Du glaubst, sie müßte
dich kennen, die Stadt. Wieso? Warum soll sie ausgerechnet dich
kennenlernen wollen? Nur weil du dich aus der Fremde mitgebracht
hast? Blödsinn! Das geschah auf eigene Gefahr, und wer sich
dorthin begibt, kommt darin um. Da gibt es außerdem noch viel
fremdere Fremde als dich, und die wirft sie wieder hinaus, die Stadt.
Da hast du es noch gut getroffen, weil deine Anwesenheit nicht
Abwesenheit bedeutet, jedenfalls nicht auf Abwesenheit abzielt. Im
Gegenteil, sie behaupten ja deine Anwesenheit! Bei andren wollen sie
die Abwesenheit, bei dir die Anwesenheit, obwohl sie darum nie
gebeten und sie auch nicht bekommen haben. Was dir passiert ist, das
ist vergangenes Geschehen, es interessiert niemanden, die Stadt am
allerwenigsten. In dieser Ruhe, nein, in dieser Gleichgültigkeit
der Stadt dir gegenüber kannst du viel sehen, eine ganze Fülle,
doch nichts davon wird stimmen. Was du für Fülle hältst,
ist Leere. Die Stadt ist innen ganz hohl, wie gingen sonst all die
Menschen und ihre Geschäfte rein? Die Stadt bezieht sich nicht
auf dich, sie kennt dich gar nicht. Du interessierst sie nicht, und
was du ihr zuschreibst, ist falsches Schreiben, aber das sind wir ja
gewohnt von dir. Das Abständige: gewohnt. Das Übermaß:
nicht gewohnt. Das Randständige: nicht so gern. Daß sich
etwas ereignet, kann man nicht erzwingen. Aber auch daß sich
nichts ereignet, auch das kann man nicht erzwingen. Niemand ist an
dir interessiert, damit mußt du leben. Aber es läßt
dich auch niemand einfach leben. Denn nur die sind noch interessiert,
die etwas aus dir herausholen wollen. Sie wollen doch nur in deine
Wohnung einbrechen, ein legaler Einbruch in diesem Fall, also, was
beklagst du dich darüber? Sie dürfen. Sie dürfen. Sie
dürfen dich alles fragen und haben ein Recht auf alle Antworten!
Sie haben ein Recht auf alles, das hinter dem Berg liegt, mit dem du
aber nicht hinter dem Berg halten darfst. Ich meine, der Berg darf es
nicht behalten, auch die Maus nicht, die in ihm wohnt, so wie der
Menschensohn unter uns wohnet, nein, unter uns wohnt eine alte
Rechtsanwältin, ganz bestimmt. Ich habe sie schon öfter
gesehen! Wie kommt es, daß du der Fesseln ledig, die sie dir
noch gar nicht angelegt haben, hier draußen noch frei
herumläufst? Wohl weil du dich selbst gefesselt hast, denn
anders kann ich es mir nicht erklären, und ich war dabei!
Persönlich! Die Stadt interessiert das alles einen Dreck,
solange sie dir neue Teile und neues Herrschen, und zwar über
dich!, verkaufen kann und mehr, viel mehr!, ach, das kleine
Wäschegeschäft in dieser Straße, in das du oft
reingeschaut hast, auch verschwunden? Nein, ist es nicht. Es hat nur
ein andrer, wie alles, was verschwunden ist, vor allem Geld. Großer
Irrtum, denn das Geld kommt aus dem Nichts, ist nichts und geht
wieder ins Nichts zurück. Doch die Menschen glauben das von ihm:
Es ist nie weg, es hat nur ein andrer. Und deine Briefe, deine
Schriften, deine Wäsche nicht, deine Kleider auch nicht, aber
letztere wurden festgehalten, mit einem Fotoapparat, alles
festgehalten, was du besitzt, gesammelt hast, geschrieben hast, alles
aufs neue, Fragen eröffnend, Fragen schließend, gesammelt
von Menschen, die nicht dein Wohl wollen, auch nicht dein Wohlwollen,
die irgendwas von dir wollen, und wenn ich sage irgendwas, dann meine
ich immer Geld, das ist hier so üblich, daß man Geld will,
für alles, warum nicht deins auch? Wenn sie es haben, kannst du
alles machen, was du willst, wenn auch nicht mit deinem Geld, das ist
dann weg, und zwar alles. Sie haben ja vorher gefragt, aber die
Antwort nicht gehört oder nicht verstanden, und wenn sie die
passende Antwort bekommen, stellen sie gleich andre, neue Fragen,
nein, keine neuen, immer wieder dieselben, vielleicht bekommen sie ja
einmal neue Antworten drauf? Nein, sie bekommen nichts drauf. Aber
was hat das mit dieser Stadt, mit dieser Straße in ihrem gelben
Licht zu tun? Was hat das mit dem berühmten sonnigen Süden
zu tun, der nur einen kleinen Weg gehen mußte, um in diese
Straße zu gelangen, die sein Repräsentant ist? Ohne
umzusteigen bis hierher, der schöne Süden, den können
wir hier gut brauchen, aber meist sagen sie auch zu ihm, zu ihm und
seinen ebenso südlichen Bewohnern: Wieso bist du gekommen?
Bleib, wo du bist, wir brauchen dich nicht! Das ist hier die Haltung
dem Süden gegenüber. Überall hält man sich da
dran. Was hat das mit der Sonne zu tun? Das hat mit der Sonne so
wenig zu tun wie mit dir, und nein, meine Sonne bist du nicht und
meine Nebensonne bist du auch nicht, Sonne ist kein Nebenberuf, sie
muß ja den hellglänzenden Schnee schmelzen, der niemals
schmilzt, deswegen ist es ein Ganztagsberuf, Sonne zu sein und diese
Straße anzuziehen, mit Licht zu bekleiden, damit die Leute
einander ansehen und ihr Ansehen genießen können und
ansehen können, wo sie was gekauft haben. In deinem
Stammgeschäft wirst du freundlicher behandelt als in deiner
eigenen Wohnung, das muß ich zugeben, da bin ich persönlich
Zeuge gewesen, wie du behandelt wirst, auch wenn du gar nicht da
bist, kein Wunder, in deiner Wohnung hast du ja kein Geld gelassen,
im Geschäft schon. Du bist dieser Straße genau das wert,
was du hier gelassen hast, verlasse diese Straße, verlasse sie
jetzt, sonst wirst du deiner eingebildeten, angemaßten
Großartigkeit entnommen und dann zurechtgestutzt werden. Auch
wenn die Teile, die du hier gekauft hast, deine Größe
bestätigen oder sogar noch vergrößern sollen, darum
kaufst du sie ja, damit deine Größe das Aktuelle, das eher
klein ist, bei weitem übersteigt. Ich verstehe sogar, daß
sie deine Wohnung ausgeräumt haben, die Stille der Wachehaltung,
wenn du nicht da bist, unterbrochen haben, diese Stille war ja schon
unerträglich, die mußte durchbrochen werden, und ja, bevor
du fragst: Sie haben sich auch Teile des Alten genommen, des
Früheren, vielleicht schon Abgenutzten, eben alles, was war und
da war, und was mit der Stadt nichts zu tun hat, natürlich
nicht, die Stadt hat damit nichts zu tun und du nichts mit ihr,
verkündet sie und bringt wichtige Kunde und sucht nach wichtigen
Kunden, du bist eine davon, eine Kundin, als solche bist du
anerkannt, keine Frage, als Person bist du angeklagt, nein, noch
nicht, du bist beschuldigt, du bist beschuldigt worden, ist dir das
klar? Eine Beschuldigte mehr oder weniger, das ist nichts, was hat
sie dafür zu bieten, was zuahlt die Stadt für die
Beschuldigung, sowas gibts ja schließlich nicht gratis, oder?
Ich habe das so verstanden: Du sollst für deine Beschuldigung
bezahlen, ich meine, nicht weil du dauernd irgendwelche Unschuldigen
beschuldigst, sogar diese liebe Stadt!, sondern man will dir zeigen:
Jetzt wirst einmal du beschuldigt und sollst dafür auch noch
zahlen. Sie fürchten deinen raschen Sinn, was ist das, was soll
das sein? Du hast doch gar keinen Sinn, du hast überhaupt keinen
Sinn, außer du zahlst, auch das, was du schon gezahlt hast,
wenn auch woanders, aber auch wenn du gezahlt hast, bist du nichts
für diese Stadt, du wirst nie etwas für sie sein, nie! Die
Stadt, die Straße hat sich für die Wurstfabrikantinnen und
die Zahnarztgattinnen entschieden, das ist entschieden zu verstehen
und logisch, die Stadt hat sich entschieden, daß die
Anwaltsgattinnen und sogar die Anwältinnen selber, die
Arztgattinnen und sogar die Ärztinnen selber, all diese Menschen
von gewaltigem Umfang, denen man auf den ersten Blick ansieht, daß
sie zu befehlen verstehen, hier Vorrang haben und Vorrang genießen,
wie sie alles genießen, wir sind ja keine Hinterwäldler
mehr, wir haben das Holz vor der Hütte, den Grill im Garten und
ja, diese Menschen gibt es alle wirklich, es gibt alles, es gibt sie
alle, doch es gibt am Ende, wenn abgerechnet wird, nur die, welche
hier einkaufen gehen, ja, dich auch, aber dich braucht die Stadt
nicht, und kommst du, der Stadt zu berichten von ihrem unerhörten
Tun, dann kommen sie auch zu dir, um von dir zu berichten, also
berichte nur weiter vom unerhörten Tun der Gattinnen und
angemaßten Gattinnen und vorgetäuschten Gattinnen, welche
bereits abgeschrieben sind, als ihre eigenen Angestellten
abgeschrieben, die Nebensonnen, die Nebengattinnen, die schöner
sind als die echten, deren Maße besser sind als die der recht-
und gesetzmäßigen, sonst hätte man ja bei denen
bleiben können, doch an den besseren Maßen der anderen
Damen orientiert sich eine ganze Industrie, welche hier Kleider
verkauft, nein, umgekehrt, die anderen Damen – doch sie lassen
sich gar nicht mehr voneinander unterscheiden, was muß ich
sehen?, nichts kann ich sehen!, es kann doch eine Anwältin die
Geliebte eines Herrn sein, der eine reguläre Gattin hat und
seinen Kindern die Zähne regulieren läßt und
umgekehrt, das ist mir nur für eine ordentliche Beschreibung zu
schwierig – -, hier in der Zeitung steht es, steht das alles,
auf der letzten Seite, die liest du doch immer zuerst!, ach,
Entschuldigung, ich verfranze mich wieder einmal völlig, ich
wollte nur sagen, sage aber leider immer viel zuviel, jedenfalls viel
mehr als ich sollte, also es gibt hier keine Regeln, es ist die
Stadt, die keine Regeln duldet, sonst würden weniger Leute
einkaufen, weniger Frauen vor allem, gäbe es irgendwelche Regeln
für sie, die brauchen sie nicht. Sonst hätte man auch die
Garagenbesitzerin nicht umgebracht, ich habe keine Vorstellung davon,
wie das gewesen sein muß und wer das war. Ich glaube nicht, daß
es der Neffe getan hat, der zum Gefängnistor hineintrat und
nicht mehr herausgekommen ist, im Gegensatz zu dir, die es gar nicht
erwarten kann, hier wieder rauszukommen, aber wer bin ich schon,
etwas zu glauben? Hier herrscht neben der Religion das Regellose,
nein, auch das ist eine Lüge, hier herrscht das, was auf den
Schildern draufsteht, an den Schildern, ich meine natürlich
jene, die fix und fest am Kragen, wo man die Leute packen kann,
eingenäht sind, kann man sehen, was es ist und was wer haben
muß, der es kaufte, es kann aber auch ein andrer sein, solange
nur gekauft wird, wir werden uns hüten, etwas zu regulieren,
doch wir regulieren sogar Zähne, wir regulieren die
Jahreszeiten, den Winterschlußverkauf gibt es genau dann, wenn
der Winter beginnt, dann sollte aber schon alles raus sein, und was
noch nicht raus ist, das marschiert jetzt, wir brauchen Platz für
die Frühjahrskollektion, die schon vor einem Jahr, nein, vor
zwei Jahren, erstellt und hergestellt worden ist, in deine Wohnung
sind sie ja auch erst eingedrungen, als die Jahreszeit, jede
Jahreszeit vorbei war, auf der Suche nach Vergangenem, bei dir,
ausgerechnet bei dir suchen sie Vergangenes, aber das eigene
Vergangene, das schert sie nicht, dafür wollen sie dich scheren
wie ein Lamm und dann den Rest essen, es darf ja nichts verkommen,
außer Menschen, sie wollen schauen, was du eingekauft hast, mit
welchem Geld bitte, wenn Sie es hier ausgegeben haben, dann muß
das Geld doch auch von hier sein, oder?, hier zählt nur das
einheimische Geld, außer Sie sind die Gattin eines Scheichs aus
einem Ölparadies, einem Ödland im Grunde, doch aus dem
Grund sprudelt das Gold, ja, aber dann würde man Sie gar nicht
sehen, einkaufen würden Sie trotzdem, sogar besonders viel, oder
was oder wie oder wer jetzt?, Entschuldigung, noch einmal, ich rege
mich ja fast schon so auf wie du, dabei war das ein alltäglicher,
normaler Vorgang, daß sie dich überfallen haben, während
du die Läden nur sporadisch, keineswegs alltäglich
überfällst, aber dann brav für alles zahlst, ich habe
dich oft dabei beobachtet, wenn auch nur von draußen, falls ich
den Blick von meinem Smartphone einmal heben konnte, was nicht oft
möglich war, denn der Wetterbericht ist immer wieder so
spannend, das Wetter kommt ja immer wieder, und drinnen im Laden
könnte ich ihn nicht so gut beobachten, ach ja, diese Straße!
Schon schön. Die betont das Gegenständliche des
Gegenstands, den man sich dann auch noch anziehen kann, um selbst zum
Gegenstand (unbedingt der Bewunderung!) zu werden, du weißt
das, ich weiß, deswegen gehst du dir ja was kaufen, um
bewundert zu werden, von wem denn?, nicht sehr logisch, da du ja kaum
noch auf die Straße gehst, auf keine, auf diese aber schon,
denn deine Gier nach neuen Bekleidungsteilen kennt keine Grenzen, da
darfst du dich nicht beschweren, wenn sie dann zu dir kommen und
deine Grenzen, die du ja irgendwo haben mußt, ausmessen wollen,
was für eine Vermessenheit!, sagst du, aber das ist total
normal, sie müssen ja ihre Pläne machen für die GPS,
sie müssen doch irgendwohin kommen, nach irgendeinem Gesetz, und
davor muß alles vermessen werden. Sie haben dich herausgesucht
und messen dich jetzt ab und noch ein paarmal nach, ob du dir auch
entsprichst, und die Natur hat die Maße, doch sie rückt
sie nicht heraus, ausgerechnet die, die es hier schon längst
nicht mehr gibt, dort drüben schon, wo die lieben Enten und
Gänse sind, aber auch dort würde ich das nicht Natur
nennen, wo die schwimmen und Gras rupfen und unser Brot fressen, das
ist bloßes Vorhandensein, doch ohne jede Einzigartigkeit, das
ist nicht Natur, obwohl die Natur das einzig erfahrbare Seiende sein
soll, wie gesagt wird, aber wir haben kein Auto, und so können
wir sie nie erfahren, wir können uns aber jederzeit, und absolut
gewollt von der Stadt!, in dieser Straße ergehen, dort wird es
uns nie schlecht ergehen, außer du findest nichts zum Anziehen,
wo du doch schon alles hast, vieles sogar mehrfach, ich meine, in
mehrfacher Ausführung, und wenn du was brauchst, mußt du
nur die Fotos anschauen, welche die Verfolger von deinen Kleidern
gemacht haben; die Straße, ja, was wollte ich über sie
sagen? Viel, doch ich erinnere mich nicht. Daß sie sich
woanders als in der Natur aufhält, die sie kaputtgemacht hat,
damit sie sich hier breitmachen konnte, wahrscheinlich. Aber irgendwo
muß die Straße doch hin, und überall, wo etwas ist,
war vorher was anderes. Zu kaufen gibt es ja auch immer etwas
anderes, sonst wäre das Ganze ja sinnlos. Und was es hier gibt,
das übertrifft alle Wunder, kein Wunder, daß die Frauen
das haben wollen, alle Frauen, und zu denen zählst du nicht! Und
schon gar nicht zu den wilden Frauen, die sich in ihrem
Außer-Sich-Sein sehenlassen wollen und das auch können.
Wären sie in sich geblieben, würde kein Mensch sie sehen
wollen, ja, nicht einmal sehen können!, diese Frauen hier!, sie
sind berühmt, und es ist ein schöner Ruhm, für den
keiner sterben muß, man würde für sie alles liegen-
und stehenlassen, und sie sind wirklich echt wild, hier ein Foto,
dort der Garantieschein, da sind zwei drauf eingezeichnet, die grad
beim Friseur waren und das Blonde frisch haben auftragen lassen,
dafür darf ihre Kleidung nicht auftragen, niemals! Es wird immer
eins gegen das andre aufgerechnet bei denen; obwohl Wildheit als
Naturfarbe vorhanden ist, muß doch alles bei ihnen im
Gleichgewicht sein, ja, wilde Frauen, die aus unserer Stadt fliehen,
nur um sofort wieder zurückzukehren, vom Wahnsinn geschlagen,
von ihren Männern geschlagen, die dann wiederum Zahlungen zu
leisten haben, ja, so führt eins zum anderen und Abschlag!,
finden auch Sie sich bitte beim Abschlag ein, dann kriegen Sie
wenigstens eine Abschlagszahlung für sich, wenn Sie Glück
haben, aber daß sie eine solche Gratifikation erwarten, das
bedeutet, daß Sie kein Glück gehabt haben, daß Sie
etwas nicht bekommen haben, jedenfalls nicht gratis, und auch nicht
bekommen werden. Ich bin gekommen, ich bin herabgestiegen, von dieser
Stadt, von dieser Straße zu berichten, von ihrem unerhörten
Tun (aber sie tut ja gar nichts!), das gewiß auch nächste
Woche nicht erhört werden wird oder nur von denen, die sich auch
sonst überall Gehör verschaffen können. Jetzt sind sie
halt hier, morgen sind sie dort. Übermorgen sind sie angekommen,
woanders. Oder bist es du, die gekommen ist? Sind wir zusammen
gekommen?, nein, Witze mit Kommen mach ich nicht mehr, bist du
gekommen, um dir das Gehör der Oberen zu verschaffen, die dich
dafür, nein, nicht dafür, aber auf jeden Fall wie einen
Untermenschen behandelt haben? Nein, Untermenschen werden hier gar
nicht behandelt, übertreib nicht immer so, die bekommen eine
Sonderbehandlung, wie früher auch schon, die nichts mit deiner
zu tun hat, das Gehör also, Gehör hast du hier schon oft
gefunden, wenn auch nicht bei denen, die wirklich hätten zuhören
sollen (die hören nie zu!, wer dir zuhören soll, der hört
nie zu), ein Tun, welches Tun?, du hast doch gar nichts getan!, ein
Tun, das alle Wunder übertrifft, also, was wollte ich sagen?,
ach ja, von dir ist derzeit nicht die Rede, sonst immer, aber diesmal
nicht, du redest ja selbst, wenn auch nicht mit mir, sondern in einem
Theaterstück, wen interessierts, wir reden von wilden Frauen,
nicht von dir!, die gibts hier öfter, diese Mänaden, du
eher eine Monade, ich sehe sie dauernd, wenn auch meist nur auf
Fotos, ja, diese wilden Frauen, zu denen du nie gehören wirst,
stürmen barfuß, nein, in den Schuhen von Jimmy Choo –
finden Sie auch in dieser Straße, schauen Sie nur!, nein, nicht
du bist gemeint, sag ich doch!, ich spreche von den wilden Frauen und
ihrem unerhörten Tun, ich könnte auch von ihren unerhörten
Leistungen sprechen, die auf das Tun folgen, und da hat doch glatt
diese Frau ihrer Freundin den Mann ausgespannt, und der ist dann
gleich wie ein Pferd auf sie drauf, anstatt umgekehrt, nicht wahr,
wie alle vier Rösser der Apokalypse, als hätte er noch nie
ein Ende erlebt und wollte es jetzt unbedingt herbeiführen,
dieser Mann, dabei hat er schon mehrmals dieses Ende herbeigeführt,
mehrmals in jede Richtung, heute steht er schon wieder in der
Zeitung, hin und her, hin und her, er müßte es also
können, so oft hat er es schon getan, bei einer andren wilden
Frau, die sind ja alle wild hier, zumindest wenn man die Zeitungen
liest, das bist du nicht, wild sein, das tust du nicht, das macht ja
Arbeit, und die Arbeit scheust du. Soll ich alles davon berichten
oder lieber schweigen? Von diesen Frauen, die alle Schliche kennen,
aber davonschleichen tun sie sich deswegen noch nicht. Sie setzen
sich in Szene, wo sie keine Bühne für sich finden, damit
man sie dennoch sieht, sie gehen aufrecht, als wären sie
richtige Menschen, toll, unsere Lipizzaner daheim können das
auch, aber das wissen diese Frauen wahrscheinlich nicht. Das würde
sie ärgern. Stürmen werden sie in diesen Jimmy Choos aber
auch nicht können, auch verteidigen nicht, sie werden gar nichts
damit können, auch schießen nicht, und dennoch in der
Zeitung stehen, auf Fotos eingemeißelt, auf Fotos angemessen
vertreten, wie sie sie vertreten, diese Wahnsinnsschuhe, nein, das
nicht, denn gehen kann man nicht darin, man kann alles, nur nicht
gehen, man kann draus trinken, aber gehen kann man nicht –,
die, was eigentlich?, die Schuhe?, nein, unmöglich, alles,
einfach alles hast du, von allem sogar zuviel, außer Schuhe von
Jimmy Choo, die hast du nicht. Alles, was sie gefunden hat, diese
Stadtteilbeauftragte, diese Freistaatsvertreterin (bitte nicht mit
einer Freistätte verwechseln!), wer immer das ist und wessen
Teil das ist, der war einmal meiner!, was sie sich nehmen konnte, das
hat sie sich mitgenommen, um es zu studieren, deinen raschen Sinn,
deine reizbare Art nicht fürchtend, nichts fürchtend, sie
hat ja nichts zu fürchten und von dir schon gar nicht, diese
Stadt und ihre Vertretung, der freie Staat, falls die Stadt einmal
verreist ist, die haben alle von dir nichts zu befürchten, da
gibt es ganz andre!, also will sie, daß du dich vor ihr
fürchtest, dafür hat sie einiges getan, alles hat sich die
Stadt und mit ihr der Staat, dessen ländliche Seiten wir hier
vernachlässigen wollen, von dir genommen. Nur die Furcht, die
hat sie dagelassen, die hat sie in deine Wohnung eingeschmuggelt und
dagelassen. Ich hab sie bis jetzt nicht gefunden, sonst hätte
ich sie schon entfernt. Aber die Furcht kann man nicht entfernen,
nicht einmal aus dir, du wärst ja frei, das selber zu tun, die
Furcht, die nun angefacht ist wie ein brennender Dornbusch, nicht, um
Gesetze zu präsentieren, sondern um Gesetze zu repräsentieren,
zu vollstrecken, ausgerechnet an dir, die du selber brennst wie ein
Busch und brennst wie ein Luster in dieser Straße, da du für
diese weite japanische Hose entbrannt bist, wieder einmal, dabei hast
du schon mindestens zwanzig, die genauso aussehen, du sagst, wie
immer, die kannst du immer tragen, die kommt nie aus der Mode, das
sagst du jedesmal, wenn eine neue Mode gültig wird, aus der
diese Hose rausgeschmissen werden wird, bevor sie bist drei zählen
kann, was eh das äußerste ist, was man von ihr verlangen
kann, und viel mehr ist von dir auch nicht zu erwarten. Könntest
du auch nur ein wenig rechnen, ohne deinen Bruch mitzuzählen,
deinen Zusammenbruch, war der unbedingt nötig?, hättest du
dir schon ausrechnen können, daß die Stadt einmal zu dir
kommt, da du so oft zu ihr gekommen bist, und einmal warst du eben
dran, das war diesmal, diesmal warst du dran, die Stadt ist an
deinerstatt gekommen, um von sich zu berichten, von ihrem, wie
gesagt: unerhörten Tun, von dem bloß du noch nicht gehört
hast, alle anderen aber schon, deswegen verstecken sie ja rechtzeitig
ihr Geld, du Idiotin. Alle machen das! Aber Idioten geraten ja gern
außer Kontrolle, ich höre dich schimpfen, Tag und Nacht
muß ich hören, wie du klagst, wie du dich über diese
Stadt beklagst, die doch so schön ist, nicht gut zu dir, aber
gut zu den meisten anderen, welche ihr Geld im Ausland friedlich
schlafen haben und es ab und zu besuchen fahren, um zu schauen, ob es
vielleicht aufgewacht ist; die Stadt, die Straße, wo du so gern
einkaufst, du beschimpfst sie jetzt pausenlos, das ist nicht gerecht,
denn ihr Tun übertrifft alle Wunder, du solltest diese Stadt
eher bewundern, als sie zu beschimpfen, beweinen statt zu preisen,
äh, umgekehrt, egal, beweinen, was sie auspreist in ihren Läden,
diese Straße, daß es so teuer ist, aber du wirst es
zahlen, du wirst es wieder zahlen, und die Stadt will nun, daß
du auch sie bezahlst, da du dich ab und zu in ihr aufhalten darfst,
glaubst du, das ist umsonst? Glaubst du, die läßt dich
gratis rein? Zu jedem Fußballspiel, zu jeder Theateraufführung
mußt du ja, willst du dort auch noch mit rein, eine
Eintrittskarte kaufen, glaubst du, die Stadt schenkt dir was? Nein,
diese Stadt schenkt dir nichts, das steht nun mal fest, auf ihre
reizbare, allzu königliche Art schenkt sie dir nichts, obwohl
sie so viel zu verschenken hätte, du würdigst das nicht,
sie krümmt dir gewiß kein Haar, die Stadt, du glaubst nur,
daß sie das vorhat. Was soll sie denn mit deinem Haar? So schön
ist das auch nicht mehr! Sie wird dir nichts tun, da bin ich mir
sicher. Sie wird dich sicher fertigmachen, mehr nicht, aber einer
mußte das übernehmen, nicht einmal deine Mama hat das
geschafft, und der große Tote aus dieser Stadt, den du noch
ehren wirst, ob du willst oder nicht, von euch kommt der schließlich,
genau wie du!, nur Geduld, ich verstehe, daß Sie die nicht mehr
aufbringen können nach drei Stunden Geplapper, dieser Tote, den
dein Land noch rechtzeitig exportieren konnte, bevor er deinem Land
dann auf den Kopf gefallen ist, also der ist dein absoluter Gegenpol,
der Südpol zum Nordpol gewissermaßen, der hat seine Mama
liebgehabt, auch wenn du dir sowas gar nicht vorstellen kannst. Ach
so, du meinst einen ganz andren Toten, ebenfalls mit Mama!
Entschuldige. Du entscheidest, aber ich sage: davon später.
Nicht jetzt! Die Stadt, sollen wir ganz offen sagen, wozu sie fähig
ist, oder sollen wir es verschweigen? Du sprichst ja ständig
davon, also ist Verschweigen keine Alternative mehr. Ich darf doch
wohl auch was sagen, oder? Wer seine Pflicht erfüllt, dem darf
man nicht zürnen, das habe ich, glaube ich, auch schon gesagt,
und ein andrer hat es vor mir gesagt, nein, du hast es gesagt, und du
hast es sicher irgendwo abgeschrieben, da du schließlich kaum
etwas abzuschreiben hast, diese Packung Papier, was ist die schon?,
die ist nichts im Vergleich zu dem, was die Wurstfabrikanten und ihre
Wurstgattinnen, welche sowieso abgeschrieben sind, aber sich nie
selber abschreiben würden, alles so liefern, sie geben dabei
aber eine gute Figur ab, sonst wären sie nicht geheiratet
worden, eine Figur, die mit Wurst nichts mehr gemein hat, der man die
gemeine Wurst nicht mehr ansieht, jedenfalls nicht in dieser Straße,
wenn sie sich hier aufhalten, vielleicht dort, wo sie wohnen?, aber
nicht hier; ihre Männer machen Absetzbewegungen; absetzen, ihre
Gattinnen absetzen, die eh schon die dritten sind, gemeinsam gekommen
mit den dritten Zähnen, und die sie dann noch einmal absetzen
und dann noch einmal von der Steuer, ja, das tun sie, damit steuern
sie den Konkurs an, ohne was dagegen tun zu können. Auch wenn
sie ihre Gattinnen auf der Straße überhaupt nicht mehr
erkennen würden, so lang haben sie sie nicht mehr gesehen,
absetzen werden sie sie immer. Umso härter wird jemand die
bestrafen, der sie und ihre Frauen in solchen Schlichen unterweist.
Nein, niemand wird die je bestrafen. Die Stadt geht lieber zu dir,
sie ist mehr an dir interessiert und geht jetzt zu dir über, du
bist auf dem Tapet, nein, nicht auf der Tapete, wir haben keine, und
jetzt überprüft sie dich eben genauestens, aber hallo.
Wieso kapierst du das nicht? Klug bist du, klug, nur nicht da, wo du
klug sein müßtest. Verstehst du das nicht? Was passiert?
Was ist passiert? Die Kälberherden werden gewiß irgendwann
einmal auf höhergelegenes Weideland ausweichen, das sie noch
nicht abgegrast gehabt haben werden. Louis Vuitton, Jimmy Choo,
Bottega Veneta, Chanel, Dior, Armani und so weiter, diesmal aber auf
der andren Straßenseite, also der Herr Armani ist noch, der er
ist, das ist einer der letzten, einmal ein Gott, jetzt immer noch
gut, einer der letzten, deren Seiendheit man noch aus der
Gegenständlichkeit seiner Produkte, auch der Nebenprodukte, wie
üblich Taschen, Make-up, Parfum, das übliche halt, ableiten
kann, bis sich das Seiende als solches darin auflöst, in dieser
Gegenständlichkeit, und man kann sich wiederum seine Seiendheit
jetzt aus dem Vorstellen des Gegenstandes, zweimal im Jahr bei den
Mailänder Shows, entschlüsseln, kann man das?, nein, das
nun auch wieder nicht, na ja, es soll das Sein halt irgendwie zur
Wesung kommen, du würdest jetzt einen Witz mit Verwesung machen,
ich habe das nicht nötig, und zur Wesung kommt es an dir nicht,
keinesfalls, du bist nicht das richtige Wesen, und du würdest
nie Armani tragen, das paßt nicht zu dir, nur wenig paßt
zu dir, und noch weniger paßt dir. Und außerdem bestehst
du darauf, daß jede Art von Seiendem an sich und für sich,
nicht für dich, von dir ferngehalten wird, alles Lebende: weg
von dir, außer es ist ein Tier!, nur die Kleider dürfen an
dich ran, obwohl sie dir und deinem Körper dauernd
widersprechen, nur die dürfen das!, das ist dein Hochmut, recht
geschieht dir, wenn er vor dem Fall kommt und der Fall jetzt halt
eingetreten ist, da es dir an der notwendigen Besinnung fehlt, was
wollte ich eigentlich sagen, was wollte ich überhaupt sagen?:
Die werden alle, alle Ausverkäufe machen, und du wirst natürlich
hinrennen und vergessen, daß die Stadt dich haßt, daß
sie dich auch aussaugen will, sie ist die einzige, die noch nicht
genug hat von dir, und doch, in keiner Gestalt, außer der des
Geldes, kann sie dich noch ertragen, und hier im Theater braucht man
deine Gestalt schon gar nicht. Von dieser Straße sind dir ja
auch nur gewisse Abschnitte bewilligt, die eine Hand willkürlich
abgerissen hat. Diesen ersten Abschnitt nehmen wir immer mit, bevor
unsere Füße den Dienst aufkündigen, anstatt tapfer
auf ihre Blasen zu blasen. Wo wollen sie hin, die Guten,
Ungekünstelten, die Turnschuhe? Prada wird dich natürlich
wieder, wie jedes Mal, interessieren, dort zerrst du mich ja immer
hin und behauptest, deine Füße hätten dich
hingetragen, die haben ganz schön zu schleppen, da müssen
Papier und Mund schweigen, ist ja klar. Sonst sind nämlich sie
dran. Ich schaue mit hohlen Augen hinein, und etwas schaut mir aus
der Scheibe entgegen, das für mich die Verschlossenheit eines
Briefumschlags, nein, eines Geheimnisses bedeutet, Prada: grade die,
ausgerechnet, die rechnen kann, weil ihrem Mann alles gehört,
wirklich alles, und die daher keinen Ausverkauf macht, nie wieder,
sagt sie, sie hat das nicht nötig, wer Prada will, soll Prada
sofort kaufen oder gar nicht, nur Miuccia Prada, die kann es sich
leisten, ihr Mann kann sich noch viel mehr leisten, dem sie meist,
ich meine, dem die meisten hier auf dieser Straße sowieso
gehören, nicht?, oder?, nein, die nicht, was soll das heißen?,
natürlich gehört Prada ihm auch, nur ist das, wo Prada
draufsteht, auch das, was in Prada drin ist und worauf du wieder so
stehst, nein, leider, die macht keine Ausverkäufe mehr, die
verkauft alles nach der Regel, die du angeblich gebrochen haben
sollst. Ich weiß, du hast es nicht getan, aber die Stadt glaubt
es eben, sie glaubt, daß auch du einen Ausverkauf machst, von
dem sie nichts haben würde, wenn sie nicht rechtzeitig ihre
Forderungen anmelden würde, und so verkauft sie vorher dich,
bevor du dich selbst verkaufen kannst, richtig gedacht, denn für
dich würde niemand was geben; du bist verraten und verkauft von
der Stadt, macht ja nichts. Sei doch stolz drauf, ich weiß
nicht, ob wirklich stolz, aber sei froh, auf alle Fälle froh,
daß auch du drankommst, daß sie bei dir alles von unten
nach oben kehren, ach, da ist ja die Spitzenbluse wieder, die von
Comme des Garçons, hast du hier in dieser Straße
gekauft, in der "Klamotte", wo du alles kaufst, und du
hattest sie schon verlorengeglaubt, kein einziges Mal getragen, aber
du wirst dich nicht freuen können, denn die Häscher haben
sie jetzt vor dir ausfindig gemacht. Mitnehmen tun sie sie nicht,
aber sie halten sie auf einer Festplatte fest, als Foto, dabei kann
die Bluse doch eh nicht wegrennen. Sei froh, sei stolz, daß sie
auch dich unter den wilden Frauen vermuten, die in dieser Straße
alles ausgeben, was sie haben, und das ist viel, daran erkennt man
sie und daß bei ihnen was zu holen ist! Ja, diese Frauen sind
wichtige Kunden, du aber bringst immer nur Kunde, die keinen
interessiert! Barfuß und stürmisch enteilt hier niemand,
denn die Schuhe, die sie tragen, die lassen das nicht zu. Sie
glauben, du hast es, was auch immer, die Kunde hast du gebracht, eine
schön geschmiedete Kundin, ich meine Kunde, im Ösenland
nennt man die Kundin eine Kunde, hier nicht, vielleicht verstehen sie
dich deshalb nicht?, weil du nicht ihre Sprache sprichst?, egal, dein
Geld, das wollen sie, und daß du Kunde wirst und Kunde bringst,
was womit, frage ich mich?, aber das interessiert niemand. Daß
du Kundin bist, das interessiert schon eher, wo eine Kundin ist, da
muß auch Geld sein, sich aufhalten, irgendwo muß es sein,
wir finden es schon!, es muß einen Aufenthaltsraum haben, das
Geld, mit Getränken und so, bis die Stadt es als Ganzes
wegschwemmt, nein, dort nicht, der Safe ist leer bis auf ein weißes
leeres Blatt Papier, wo nichts ist, und so weiter, hat der Staat, hat
die Stadt, hat der freie Staat, ich meine der Freistaat sein Recht
noch lang nicht verloren, da muß etwas sein!, wir wissen, daß
da etwas ist, wir wissen nur nicht, was! Du erhebst dich gegen ihn,
den Staat, wie eine Mutter, die alle aufruft, nicht mehr zu schlafen,
sondern aufzustehn, mitten unter den Bakchen erhebt sie sich, die
schreckliche Mutter, unter den Eumeniden oder nein, den Zügellosen,
denen ihre Männer eine Kreditkarte gegeben haben, ob schwarz
oder gold, das kommt auf die Haarfarbe an oder was weiß ich,
und jetzt kennen die keine Grenzen und keine Zügel mehr und
kaufen, da sie des Hornviehs Brüllen vernommen, das in die
Fleischkonserven ihrer Männer hineinkommt, nein, nicht die
Männer sind die Konserven, die sind immer frisch, wenn das von
ihnen verlangt wird, doch es wird viel mehr von ihnen verlangt! Sie
erzeugen die Fleischkonserven, die Würste, das Brät, den
Leberkäs, das machen sie, die Männer, und daher sind ihre
Frauen so zügellos, weil sie immer auf Bildern erscheinen und
daher alles einkaufen können, nein: müssen!, was sie
wollen, und gibt es etwas Neues, egal was, dann kaufen sie auch das.
Sie reiben sich den tiefen Schlaf aus den Augen, nehmen ihr
bargeldloses Wurstgeld, ihre Karte, die sie berechtigt, zu allem,
also nehmen sie sie auch zur Hand und kaufen, kaufen in dieser
Straße, die andre gar nicht kennen, in der andre nie waren,
doch du, du kommst, du kommst mit, du läßt dich mit ihnen
hierher spülen, ich sage nicht, wohin, ich habe es die ganze
Zeit schon gesagt, und jetzt wollen sie es von dir, ich sage nicht
was. Keine Ahnung. Es wird noch viel mehr Spaß geben in dieser
Stadt, und du wirst dafür bezahlen, auch du wirst dafür
bezahlen, wie alle, bloß doppelt, das hält dann ja auch
besser, die eine Hälfte gibst du in deinem Land aus, die andre
hier, was bleibt dir? Nichts, es bleibt dir dann nichts, gar nichts,
bis die Sonne entnervt, weil du dermaßen heulst und jammerst,
ungefähr wie eine Bacchantin – ich finde ja, dein Jammern
hat etwas Selbstgefälliges, du nicht? Nein, du nicht, wegen
einer alltäglichen Sache wie einer Durchsuchung deiner gesamten
Habe spielst du dich so auf, daß sogar andre noch dein
Schicksal spielen müssen, immerhin Leute, die das besser können,
weil sie es gelernt haben, du aber hast nichts draus gelernt, nein,
ich meine nicht: Schicksal spielen, dein Schicksal nachspielen!
Nach-spielen! –, bis die Sonne also ihre Strahlen wegwirft, sie
braucht sie nicht mehr, diese Straße, auch ohne dieses Licht
strahlt sie, sogar noch viel heller, da ohnedies auf Künstlichkeit
angelegt, kommt mir vor, und kann das jederzeit wieder und weiter
tun. Oben das Geld einwerfen, unten: strahlen! Und du wirst dabeisein
dürfen. Du wirst dir was kaufen dürfen. Statt daß du
dankbar bist! Die Stadt wird dich wahrscheinlich bleiben lassen, doch
sie wird es nicht bleiben lassen, dich zu verfolgen, was ihr großen
Spaß macht und weil es ihr Spaß macht. Das hat sie schon
immer so gemacht, also paßt es. Paßt! Die Stadt ist
schließlich eine Spaßstadt, das weiß man, das weiß
jeder, der die Zeitungen liest und die Fotos dort hinten, nein,
natürlich nicht von hinten, hinten in der Zeitung, dahinter ist
ja nichts, also da ist nichts dahinter, trotzdem schauen!, also die
Fotos mit dem letzten Schrei, letzte Seite, anschaut, und sie will
auch selber ihren Spaß haben, die liebe Stadt, das ist nur zu
verständlich. Das verstehe sogar ich! Den Spaß kann sie
aber nur ohne Menschen haben, deshalb wirft sie die Menschen weg, mit
dir macht sie den Anfang. Denkst du! Du bist das Ende, nicht der
Anfang, und schon gar nicht bist du beides zugleich, was bildest du
dir ein! Die Stadt macht sich mit dir einen Spaß, und den hat
sie nur, wenn du kein Geld hast und trotzdem einkaufen gehst. Dann
beginnt der Spaß für die Stadt, allerdings nicht für
dich. Es ist alles nur ein Scherz gewesen, du wirst sehen. Auf deine
Kosten zwar, aber jemand muß ja bezahlen, daß es in der
Stadt so lustig zugeht. Das heißt aber nicht, daß diese
Stadt dir übelwill! Es muß gesagt werden, daß nichts
verschwiegen werden darf. Du hast gar nichts verschwiegen? Indem du
gar nicht hier bist, verschweigst du schon etwas, glaub mir, das kann
die Stadt nicht leiden, daß du gar nicht da bist, wenn sie dich
bis auf die Unterhosen und die auch noch durchsucht. Und damit nichts
verschwiegen wird oder verlorengeht, haben sie sich deine gesamte
Festplatte heruntergeladen, auf der du alles so einladend angerichtet
hast, was dann auf dich herunterprasseln wird, denn sie wollen nicht
nur alles haben, sie wollen auch alles wissen, das Innerste
auskehren, ja, das muß alles ans Tageslicht, auch wenn es bloß
ein Häufchen Dreck ist, sogar deine dort versammelten Dichtungen
müssen ans Tageslicht, damit man sieht, wo man sie einschraubt
beziehungsweise wie man sie einsetzen und wodurch man sie ersetzen
kann. Alles muß ans Licht des Tages. Es muß diesen
Menschen, die aus dem Gebirge ohne Botschaft kommen, denn die
Botschaft, ich meine die Buhlschaft, nein, das ist eine Stadt weiter,
die Barschaft wollen sie ja von dir haben, es muß diesen
Menschen, es sind schließlich Suchende!, Glückssucher
vielleicht?, Sinnsucher?, nein, Sinn hat das keinen, doch es muß
ihnen alles ausgefolgt werden, also sei folgsam, sonst passiert was!
Ich bleibe bei dir, renne nicht davon, geht ja auch gar nicht. Wohin
solltest du? Es ist ja alles hier Stadt, auch wenn sie klein ist! Das
ist eine unzulässige Verallgemeinerung, was du dauernd redest,
wie du diese Menschen voll Glanz und Macht anklagst, nur weil sie dir
alles genommen haben, sogar das Privateste, Intimste, und das ist
deine Post, dein Schreiben können sie gern haben, nicht aber
das, was du Menschen anvertraust, die hüten das immer noch und
haben keine Ahnung, daß eine ganze Menschenmenge ihnen dabei
über die Schultern schaut. Dabei hat die Stadt es längst,
sie hat alles, sie weiß alles von dir und will noch mehr und
sucht Beweise, daß du überhaupt existierst oder wofür
oder warum. Und damit haben es alle, wenn die Stadt es hat, dann
haben es alle, denn die Stadt ist: alle. Alles, was recht ist. Alles,
was drin ist. Was gibt die Stadt dafür? Ist sie die junge
Mutter, die Rehkitze oder junge wilde Wölfe in den Armen hält
und mit sich tränkt, da ihr die Brust noch strotzt, so sehr, daß
sie die eigenen Kinder unbeaufsichtigt daheimläßt und
selbst zu einem Tier wird, zu vielen Tieren, die Stadt als die
Mutter, die lieber Tiere nährt als die eigenen Kinder? Aber das
stimmt auch wieder nicht, denn sie ernährt sich am allerliebsten
selbst, sie läßt sich lieber nähren, und zwar von
dir. Dich frißt sie jetzt auf. Schau, sie spitzt schon den
Mund! Auf dich hat sies abgesehen. Da sieht sie über nichts
hinweg, da läßt sie nichts aus, da schaut sie böse
hinunter, und daß du weg bist, gefällt ihr gar nicht, sie
behauptet ja, du wärst immer hier, zumindest meistens? Noch
öfter? Öfter als zulässig, zählen Sie einmal
nach! Es gibt Sie nur einmal, aber wieso so oft, ich meine, wieso
sind Sie so oft hier? Das geht doch nicht! Meint die Stadt damit die
Beseitigung, die Abdrängung deines Seins? Nein. Sie sagt, du
wärst hier und aus, auch wenn du nicht hier bist. Wer kann es
wissen, wer kann es zählen? Sie läßt dich dich selbst
nie vergessen, ich weiß, was dich das kostet. Aber schau, andre
zahlen noch viel mehr, für gar nichts! Sogar für Formel
1-Rennen, die gar nie stattfinden, haben Leute schon gezahlt! Wo hast
du dich jetzt bloß wieder hingelegt? Mal überlegen! Aber
die Stadt ist überlegen! Hast du vergessen, wo du warst?
Geschieht deine Seinsvergessenheit etwa gar im Weg-Sein? Die Stadt,
ja, die Stadt, die weiß es allein, sie hat dich immer im Auge,
deswegen wischt sie ja dauernd so an sich herum, daß sie dich
loswird! Die Milch gibt sie dann Tieren oder jedenfalls: anderen. Von
der Milch deiner Denkart ernährt sie sich nicht. Die spuckt sie
aus. Dich will sie, im ganzen. Behauptest du immer, ich weiß
nicht, ob du recht hast, vielleicht träumst du das nur! Das ist
vielleicht sogar eine Gemeinerung, ich meine eine Gemeinheit von dir,
der Stadt solche Sachen zuzutrauen und sogar zuzuschreiben, als
hättest du nicht schon genug geschrieben! Schreibe der Stadt
nicht auch noch was zu! Das wäre zuviel! Vielleicht sind die
Verfolger ja auch irgendwie gut? Für etwas werden sie schon gut
sein, doch sie sind es nicht zu dir, na gut, aber sie sind es
vielleicht zu anderen. Vielleicht sogar zu Tieren! Vielleicht sogar
zu diesen Frauen, die zu Tieren geworden sind! Die versteht sie
nämlich, ist die Stadt doch selbst eine Art Tier, das Milch gibt
und Fressen nimmt. Und frißt und frißt. Immer
verallgemeinerst du, davor sollst du dich hüten, auch wenn sie
in deine Wohnung, in der du dich vollkommen privat und allein
glaubtest, eingedrungen sind. Vorher bist du ohne Hüter
ausgekommen, jetzt brauchst du welche, damit du wenigstens deine
eigenen Grenzen kennenlernst, an denen es elektrisch knistert, aber
nicht, weil du so geladen bist! Jetzt bist du selber das Tier, das
sich verfolgt glaubt und beißt und tritt und geifert! Mit der
Stadt hat das nichts zu tun. Die Stadt ist anders, ich weiß
zwar nicht, wie anders sie ist, woanders ist sie sicher nicht, aber
sie ist auf jeden Fall anders. Hier steht es: Diese Stadt ist anders.
Das sagt jede zweite Stadt von sich, aber diese sagt es, da es keiner
mehr hören mag, besonders laut und besonders oft. Hier, es steht
sogar in der Zeitung, mit Fotos, die gehören ja immer dazu! Und
die Ruhe wie der Lärm, den sie macht, ist nicht die Abwesenheit
von etwas, das in dieser Stadt einst stadt-gefunden hat, sondern eine
Form von ganz besondrer Anwesenheit. Das geht nicht zusammen, das
geht nicht. Was anders ist, gehört nicht in diese Stadt hinein.
Sagst du immer, aber glaubst du das wirklich? Du bist ungerecht.
Hättest doch dein wundersames Tun im Schreiben, dieses
wunderseltsame Großtun, mit der Stadt, in der du
herumstrolchst, vorher besprechen können! Oder? Die Stadt hat
dich nicht zu einer Besprechung geladen, obwohl du darum gebeten
hast, oft?, um sich mit dir ins Einvernehmen zu setzen und dir eine
Einvernahme zu ersparen? Pech, aber nicht mehr! Einfach nur Pech.
Aber du mußt sie verstehen, die Stadt: Alles Anderssein, das du
verkörpern möchtest, aber nicht kannst, ist die Stadt ja
schon selber, das gönnt sie keinem anderen: anders zu sein. Sie
ist sie, und sie sagt, sie sei anders. Das kannst du ihr schon
glauben! Wenn sie es sagt ... Wahrlich, ein schöner Ruhm für
den Gott der Stadt! Der ist abgereist, höre ich. An den kannst
du dich nicht wenden! Der ist immer abgereist. Doch von dir behaupten
sie, du wärst immer hier, nie abgereist, immer hier. Sogar wenn
die Stadt abgerissen wäre, wenn du abgerissen daherkämst,
er wäre verreist. Nach ihrem Diktat verreist. Oder hat er die
Stadt mitgenommen? Nicht daß ich wüßte! Nein, die
Stadt bleibt da. Also sogar im Gegenteil: In dieser Stadt ist alles
jetzt und gegenwärtig und anwesend. Es hat sich nichts
abgemeldet, es ist alles ohne vorherige Abmeldung geflohen, nein,
angekommen, nein, geflohen. Blödsinn! Alles muß raus.
Keiner verläßt die Stadt. Alles bleibt da, nur die Stadt
darf fort. Nein, so gehts auch wieder nicht! Sie kann nichts dafür,
keine Ahnung, wofür sie was kann. Sie kann nur das, was du ihr
sagst, was deine Freunde ihr sagen, sonst kann sie nichts, das würde
sie aber nie zugeben. Sie kann, eichenlaubtragend mit Blüten,
nicht mit Schwertern, sowas braucht sie längst nicht mehr, sie
kann, aus Douglas duftend, herausduftend, verschwinden und wäre
gleichzeitig immer noch da. Die Stadt geht nicht. Das geht nicht, das
kannst du mit der Stadt nicht machen! Da mußt schon eher du
gehen. Oder bezahlen. Und einkaufen gehen, das sowieso, das ist
erlaubt. Dafür würdest du mit den Fingerspitzen die
steinharte Winter-Erde aufkratzen, um dieses Teil zu kriegen. Doch
leider, diesen Mantel haben wir in Ihrer Größe überhaupt
nicht, aber in einer anderen, Sie können aber auch einen ganz
anderen Mantel in Ihrer Größe bekommen oder ein andrer
Mensch sein, ganz wie Sie wollen, der andre Mantel steht Ihnen aber
gewiß genausogut, ist nur etwas teurer! Allerdings vermisse ich
Größe an Ihnen, was wollen Sie also mit dem Mantel
überhaupt anfangen? Was würden Sie mit Größe
anfangen wollen, Stadt, Straße, Schreiberin, was schwebt Ihnen
so vor? Wären Sie groß, wären Sie eine andere. Wären
Sie klein, würde keiner mehr kommen, um von Ihnen zu hören.
Und wären Sie noch kleiner, gäbe es Sie gar nicht. Ich
spreche nicht von dir, ich spreche von der Stadt. Und wir wollen nur
Sie, sagt die Straße, wir wollen nur diese eine Stadt, zu der
muß man Sie sagen!, zu dieser Stadt, die wir überschauen
können, weil wir uns in ihr breitgemacht haben, deshalb haben
wir uns ja genau hier eingetragen und dann gebaut, nein, umgekehrt,
überall wird und wurde gebaut, hier, in dieser und als diese
Straße, wer hat dich, du liebe Straße, aufgebaut, so hoch
da droben?, nein, übersehen kann man sie nicht, auch wenn sie
gar nicht so hoch oben ist, dort tragen die Leute nur ihre Köpfe:
oben. Hoch! Und du auch, du zwängst dich ja überall hinein,
wie soll man dich da überschauen, ich meine übersehen
können? Klar, daß du irgendwann klar Schiff für eine
Durchsuchung deiner intimsten, nein, nicht Teile, oder doch?, Teile,
teile und herrsche über die Teile, bis du klar Schiff machen
mußt. Das sollte dir doch schmeicheln?! Diese Kleinheit im
Großen, ich meine: diese Größe in der Kleinheit, da
ähnelst du dieser Straße doch beinahe, oder? Und da
beklagst du dich ununterbrochen! Wer bist du, daß du glaubst,
dich beklagen zu können? Du sagst immer, du willst ganz offen
berichten, aber das Offene, das hast du doch noch nie gesehen! Du
gehst ja nie raus, außer zu den Enten und Gänsen im Park
oder eben in dieser Straße. Als gäbe es keine andren
Straße hier! So klein ist die Stadt nun auch wieder nicht. Aber
nein. Sonst gehst du nirgendwohin. Ich verstehe auch nicht ganz,
wieso du dafür zahlen sollst, aber bitte, die Stadt will es so
und aus. Sie will den offenen Einblick auf alles, die Stadt, sie hat
das Recht, und sie hat recht. Schau, deshalb sind sie ja gekommen,
daß sie das Offene an dir sehen können. Einer muß es
ja sehen, wenn es schon geöffnet hat, sogar rund um die Uhr,
nicht bloß zu den sogenannten Öffnungszeiten. Und das sind
sie, offen alle gegen eine, alle für eine, und zwar für die
Stadt. Da kennen sie nichts. Da kennen sie nichts anderes. Sie haben
nur ihre Pflicht erfüllt, und wer seine Pflicht erfüllt,
dem darf man nicht zürnen, das sagte schon Zeus, dem das Wort
Pflicht unbekannt war, als er den Schwan bestieg. Der hat nur seinem
Vergnügen gelebt, das ist erwiesen. Wie diese Stadt. Je
Schlimmeres sie von dir berichten können, umso härter
werden sie dich bestrafen wollen, darauf sind sie aus. Deswegen haben
sie alles mitgenommen, damit sie das Schlimme herausfinden können,
das Trojanische Pferd unter deinen Unterhosen. Du magst in Schlichen
unterwiesen worden sein, aber wegschleichen, mit all deinen Sachen,
mit deinem Besitz, mit deinem geheimsten Besitz auf einer Platte, das
werden nur sie, das werden andere, das werden sie, die anderen, das
werden sie, unter anderem. Die anderen aus Tirol, nein, nicht der
Anton, die anderen. Und nicht aus Tirol. Die sind alle von hier. Fast
alle. Wie Kälberherden steigen sie aus deinem Weideland ans Ufer
und nehmen alles mit. Ein Wunder, daß sie, so beladen,
überhaupt noch gehen können!
Doppelgeschöpf,
weibl.: Nehmen wir an, du hättest recht: Ich muß also
zu denen hin, die die Wahrheit nicht sagen können, obwohl jeder
sie kennt, ein entsetztes Wissen ist das, das man nirgends einsetzen
kann, ein Wissen, das einem nichts nützt und auch anderen nicht,
ich muß also zu denen hin, die inzwischen viele gewesen sein
werden, aber nicht mehr sie selbst. Die nur noch heißen, wie
sie einmal geheißen haben, als sie noch sie selbst waren. Ich
bin ja seither auch nicht mehr dieselbe, seit die Stadt alles
durchwühlt, fotografiert, festgehalten, mitgenommen, ich meine,
das Festgehaltene mitgenommen und das Mitgenommene festgehalten hat,
alles außer mir, weil ich nicht da war, sonst hätten sie
das auch mit mir gemacht. Ich bin außer mir gewesen, obwohl ich
überhaupt nicht anwesend war. Ich bin seither nicht mehr
dieselbe, allerdings hast du damit recht: Die Stadt ist daran
unschuldig und an mir persönlich, an mir als Person meine ich,
nicht interessiert. Schon mehr ist sie, die sich den Befehl erteilt
hat, grundsätzlich Schönes zu fördern, auch wenn es
dann nicht auf ihrem Grund stattfinden darf, wahrscheinlich
interessiert an Jil Sander dort vorn an der Ecke, ja, genau dort, wo
sie jetzt einen neuen Kreativchef suchen, ich komm dafür nicht
in Frage, ich bin zwar kreativ, aber ein Chef bin ich nicht, und ein
Beiwagen bin ich auch nicht, auch nicht ein Beiboot, das heute jeder
zeitgenössische Designer ist, denn diese von Grund auf, nein,
sogar von Natur her künstlerischen und sensiblen Wesen werden
wie Waren behandelt, gekauft und abgestoßen, wie es den
Konzernen gefällt, und gleich, sofort, und zwar hier, in dieser
Zeitschrift, in der ich das gelesen und selbstverständlich
sofort abgeschrieben habe, denn ich schreibe niemals etwas neu, was
andre zuvor nicht schon im Mund gehabt und durchgekaut haben, warum
es noch einmal schreiben, wenn ich es nicht besser kann, wenn ich
überhaupt nichts besser kann als andere: warum mir die Arbeit
machen?, und hier werden, von mir persönlich abgeschrieben, wenn
auch nicht bereits abgeschriebene (also mich lassen sie nichts
abschreiben, und ich meine nicht in meinem hochsensiblen
künstlerischen Werk, das jetzt gleich zu schreien anfangen wird,
weil es verletzt worden ist. Ich rede nicht von Abschreiben, sondern
von Abschreibungen! Besser lesen lernen, noch besser hören und
sehen lernen, bis es einem endgültig vergeht!), hier, genau
hier, so bleiben Sie doch einen Moment!, hier werden hochsensible
Personalien bekanntgegeben: An alle: Raf Simons für Dior, jetzt
ist es heraus, Sie wissen es inzwischen doch längst, geben Sies
zu, denn alles, was abgeschrieben ist, ist bereits veraltet, wenn man
den Finger an die Wunde legt, wenn man Hand anlegt, was weniger weh
tut, wie das wohl sein muß: sensibel? Jil Sander kehrt dorthin
zurück, wo ihr Name draufsteht, da muß man nichts ändern,
bitte, sie wird vielleicht was ändern wollen, aber nötig
wäre es nicht, sie könnte, wie ich, alles übernehmen,
was sie vorfindet, und das wäre dann genau das, was sie selber
sagen möchte, so wie ich nur ausdrücken möchte, was
andre schon ausgedrückt haben, womöglich über mir, bis
es an mir runterrinnt, das ganze Schmutzwasser, ja, dort vorn, dort
finden Sie es, gleich beim Theater, einen Steinwurf weiter, der nur
noch wartet, daß einer den ersten Stein wirft, der mag ohne
Schuld oder schuldbeladen sein, egal, wenn er es sich leisten kann,
dann darf er dort in diesen Laden rein; zuerst den Stein werfen, aber
bitte nicht ins Fenster!, dann reingehen, über die Schwelle
treten, ja, auch jetzt, das wäre schön, wenn Sie grade
jetzt reinkönnten, vielleicht kann es ja ermöglicht werden,
dann verlassen Sie sofort dieses Theater und tun etwas Sinnvolleres,
ja, Sie! Was sagst du Sie zu dir selbst?, ach so, du meinst dich gar
nicht!, sage ich zu mir, oder hast du etwa vor dir selber Angst?,
also wenn du reinkönntest, wenn du dich reintrauen würdest,
das wäre schön, und wäre es nur zu einer kleinen
Führung, und auch Sie müssen nichts kaufen, Sie können
auch unversehrt wieder raus, sagt man hier, aber nicht zu jedem, es
kommt ja auch nicht jeder rein, und man fragt sich unwillkürlich:
Sind die großen Visionäre des Laufstegs nur noch
Marionetten? Was macht das schon aus, man wird sie anstandslos wieder
rauslassen, während die, die ohne Anstand sind, bei mir aus- und
eingehen und sich Dinge holen, die ihnen nicht gehören, die sie
aber trotzdem sehen dürfen, als wäre ich ein Laden, aber zu
kaufen gibts bei mir nichts, mitzunehmen aber trotzdem eine Menge,
man kann eine Menge mitnehmen, wenn man sich auf mich einläßt,
aber das wollen die nicht, die wollen alles nur einfach so mitnehmen.
Was von meiner Gegenwart ausgeht, ist ihnen wurst, also in diesem
Laden dürften Sie nicht so hausen wie bei mir zu Hausen! Dieser
schöne Laden, den hab ich so gern, immer will ich vorbeigehn und
schauen, immer drücke ich mir die Nase an der Scheibe platt,
bilde mir sogar ein, neulich hätte mir jemand aus dem Laden
zugewinkt, aber das war sicher eine Vision, eine Erscheinung, nein,
der ist wirklich echt toll gewesen, der Laden, der Jil Sander heißt,
es aber die ganze Zeit noch nicht war, aber bald, warte nur, balde
wird er es wieder sein, ich muß da unbedingt hin, bevor er ein
andrer geworden sein wird, nämlich der, der heißt, wie er
ist, der nach der heißt, die er auch ist, nein, falsch, noch
ist es nicht soweit: Die Frau, nach der der Laden heißt und die
es früher auch war, was drauf stand, war auch drin, die Frau ist
auch nicht mehr sie selber, wie viele Menschen, denen ihre Stadt zu
klein geworden ist, schon lang nicht mehr, aufmerken jetzt: noch
nicht!, aber bald wieder!, die Frau, sie wird es bald wieder sein,
sie muß nur wieder in ihren Namen hinein, ihren Körper hat
sie schon, den hat sie die ganze Zeit gehabt, sonst könnte sie
ja jetzt nicht zurück in sich hinein, zurück zu sich,
hoffentlich paßt ihr der Körper noch!, aber wer jetzt noch
heißt wie sie, bald aber nicht mehr sie sein wird, Raf Simons
heißt er, ja, wie du!, genau wie du!, ich beneide dich, so
heißen zu dürfen wie dieser geniale Mann, Landsmann Simons
(während es hier nur Landmänner gibt, Entschuldigung), der
hat als Jil Sander, unter diesem Namen, auf diesem Label, sagt man
auf?, zur festgesetzten Zeit, die jetzt überschritten ist,
schöne Sachen gemacht. Bei Dior wird er, obwohl er immer noch so
heißen wird, wie er heißt, andre Dinge machen als damals,
als er Jil Sander war, die er jedoch auch nicht war, unter deren
Namen er er war, ach, ich kann das nicht sagen, was kann ich
überhaupt? Jedenfalls hat er sich jetzt wegfangen lassen, der
bald Dior heißen wird, vielleicht werden seine Sachen dann
weniger heißen, ich hoffe nicht. Die Sachen sind derzeit noch
wunderschön, ich weiß gar nicht, ob das noch zutrifft,
während Sie dies jetzt sehen, glaube aber schon, diese
Winterkollektion hat er noch für Jil gemacht. Dieses Stück
ist, wie die Mode, zum raschesten, alsbaldigsten Verbrauch bestimmt,
es ist nur hier und in diesem Augenblick gültig, und dann wird
es entwertet, egal, wie es aussieht, jedenfalls nicht wie ein
Fahrschein, der durch Entwertung erst gültig wird. Wie könnte
ich die Gunst dieses Herrn erwerben? Ich könnte mir das Schöne
geneigt machen, bis es umfällt, weil die Neigung auf der andren
Seite nicht erwidert wird. Wenn Sie miterleben wollen, wie die Kunst,
die ja auf Ewigkeit ausgelegt sein sollte und länger halten als
jeder Teppich, wie die Kunst verfällt, raschest verfällt,
sofort unter Ihren Fingern und Blicken verschwindet, noch während
Sie sie sehen oder zu sehen glauben, denn sie ist so schnell vorbei,
daß das, was Sie sehen, schon keine Kunst mehr ist, nein, das
ist keine Kunst, jeder kann es, während das, was Raf Simons
kann, nicht jeder kann; wenn Sie das erleben wollen, und Sie wollen
es, Sie sind ja gekommen, und in dieser Stadt will jeder etwas
erleben, doch nur wenige sind dafür auserwählt, dann
schauen Sie, dann schauen Sie jetzt, schauen Sie genau hin, wenn Sie
erleben wollen, wie die Kunst eingeht, ja, vorhin schon eingegangen
ist, dann schauen Sie jetzt, schauen Sie her! Hier können Sie es
sehen, daß die Mode noch länger lebt und immer wieder
kommt, selbst wenn sie tot ist; mit dem Tigersprung in die
Vergangenheit, aus der sie sich blutende tropfende Beute geholt hat,
kommt sie wieder zurück in die Gegenwart, wenn auch nur kurz,
hallo!, denn bald wird sie sich eine andre Vergangenheit holen gehen,
es geht ja nach hinten genausoweit wie nach vorn, na ja, für
mich nicht, ich habe hinten mehr als vorn, ich meine, ich habe mehr
hinter mir, als ich noch vor mir habe, wer weiß, ob das stimmt,
niemand weiß, ob das stimmt, was ich sage, ob es stimmt in dem
Augenblick, da ich das schreibe, die sechziger Jahre aus Mad Men, die
natürlich keine solchen Sechziger waren, ich habe sie
schließlich persönlich erlebt!, sondern ein Konstrukt
sind, Sie wissen ja gar nicht, was Sie an der Vergangenheit haben,
indem Sie eben keine haben! Weil Sie jünger sind. Die Zeit
stimmt ihre Instrumente, und plötzlich stimmt sie nicht mehr.
Sie hört einfach auf, und Sie sitzen da mit den soeben gekauften
Schuhen, und die gefallen Ihnen nun, da Sie sie besitzen, schon nicht
mehr. Sie haben vielleicht jetzt schon überhaupt keine Zeit,
egal, was die Schuhe Ihnen zu sagen haben! Was gehen Sie dann ins
Theater? Tun sie doch das, was nötiger ist, kommen Sie woanders
zusammen wie Hirten, die etwas Verirrtes suchen! Hier werden Sie es
nicht finden. Schauen Sie nicht mich an, in meiner Wohnung verirre
ich mich nie. Und woanders bin ich nicht. Hier, wo ich nicht bin,
werden Sie nichts finden, und an mir werden Sie schon gar nichts
finden, Ihre Vergangenheit schon gar nicht, die ist bei Ihnen zu
Hause oder wo Sie sie halt hingetan haben. Die Stadt hat eine, bitte,
von mir aus, Sie aber nicht, und meine Gegenwart ist, daß die
Stadt bei mir eingedrungen und mich mir selbst gestohlen hat. Und
alles andere gleich mit. Unerhört! Und klar, es hört auch
keiner. Ich bin seither nicht mehr ich selbst, wie ich schon mehrmals
sagte, danke, Stadt, ich wollte seit Jahrzehnten schon nicht mehr ich
selbst sein, und du, liebe Stadt, hast mir dazu verholfen, daß
ich noch weniger ich selbst bin als selbst ich! Vielen Dank. Du,
liebe Stadt, liebe Straße, liebe Zeit, lieber Freistaat!, du
hast, nein, ihr habt mir dazu verholfen, schöner zu sein, als
für mich vorgesehen ist, weil die Zeit durch diesen Einbruch
vielleicht irrtümlich rückwärtsläuft, könnte
doch sein!, doch du, liebe Stadt, hättest mir danach in jedem
Fall alles wieder genommen, was du gegeben hättest, und du hast
alles gegeben, das tust du doch immer, zumindest behauptest du das,
doch man muß dafür zahlen, wie für alles! Ich habe
mir in dieser Straße schon schöne Sachen gekauft, der
Preis dafür steht dir zu, doch auch den bekommst du nicht, der
gehört dem Geschäft; du bekommst nur das, was du dir
wegfangen kannst, wenn du im dichtbelaubten Gebüsch lauerst und
Menschen beraubst, deren Habe ohnedies schon längst andere
haben. An die, die was haben, kommst du ja nicht heran! Bist du
deshalb zu mir gekommen, Stadt-Staat, ja, du dort, wo die Straße
endet, du Landtag, du? Soll ich mir etwa doppelte Habe zulegen, damit
du deine Hälfte bekommen kannst? Wenn du mir sagst, wie man zwei
Hälften hergeben und dennoch etwas behalten kann, dann sag es
mir! Du bist zum Angriff auf mich übergegangen, liebe Stadt,
nicht von mir aus, nein, von dir aus! Ich habe die rechte Gerade
nicht kommen sehen, ich habe auch nicht gesehen, wie Sie gerade das
Haus betreten und meine Wohnung geentert haben. Ich war nicht da. Das
werde ich dir nie verzeihen, auch wenn es einmal Vergangenheit sein
wird. Es wird nicht vergessen werden, jedenfalls nicht von mir. Dich,
Stadt, läßt man deine Vergangenheit ja auch nicht
vergessen, deine Plätze, deine Gebäude schreien sie heraus,
besonders diejenigen unter ihnen, die schon groß sind, weil sie
damals halt so groß gebaut worden sind, sonst schreit keiner,
und ich mache da fleißig mit beim Schreien, das darfst du nie
vergessen, was war, ich schreie es heraus, da siehst du einmal, wie
es ist, wenn man sich nicht wehren kann!, ich mache da mit, ich mache
damit, was ich will! Ich wandle deine Vergangenheit in meine
Gegenwart um, indem ich meine eigenen Meinungen gegen dich ins
Treffen führe, Stadt, die Treffer in den Fassaden sind längst
entfernt, doch jetzt komme ich und treffe dich ganz neu. Treffen auch
Sie diese Stadt, ganz neu, eigens für Sie ganz neu! Und was da
gebaut wird! Und für wen erst! Wenn Sie es wissen wollen, dann
fragen Sie nach dem Nichts, und es wird Ihnen gezeigt werden, diese
Frage entspringt aus der nach der Wahrheit, und am Ende ist nichts
mehr wahr. Ich habe verschiedene Theorien über dich, die sich
zusammenfassen lassen und zusammenfallen in: Was ist, ist auch nicht
schön. Was wird, gefällt mir genausowenig. Was nicht ist –
das weiß ich nicht. Frag jemand anderen, Stadt, was mit dem
ist, was nicht mehr ist und nicht mehr wahr ist! Viele Worte sind
darüber fallengelassen worden, aber ich kann mir nicht mehr
leisten, irgendetwas fallenzulassen. Ich muß vielmehr alles
aufheben. Was du mir antust, das ist, als wäre deine Geschichte
völlig abwesend, als du über Menschen hergefallen bist,
nein, Entschuldigung, damit will und darf ich mich nicht vergleichen.
Ich bin unvergleichlich, nein, ich meine, alles außer mir ist
unvergleichlich.
Doppelgeschöpf,
männl.: Nein, du darfst dich wirklich nicht vergleichen,
jedenfalls nicht mit den Opfern dieser Stadt, du willst es aber
ständig, und du machst es auch! Das ist unverschämt von
dir! Du zwängst dich selbst in die Vergangenheit hinein, als
könntest du die Geschichte so ausdehnen, daß auch du in
ihr Platz findest. Du drängst dich dieser Stadt auf, in die ein
andrer deine Schritte gelenkt hat, die du wieder und immer wieder
aufs neue in diese Straße lenkst. Etwas zieht dich dorthin. Du
denkst, die Stadt lenkt, und dabei glaubst du, du würdest am
Steuer sitzen. Es ist aber die Stadt, die sich dir darbietet. Alles
zu deiner Verfügung, auch der Eislaufplatz, das Schwimmbad, die
Sauna auf der Prinze. Du willst nicht eislaufen, nicht schwimmen,
nicht saunieren? Selber schuld! Die Stadt hat dir das angeboten, aber
du willst ja nicht, was sie dir gibt. Kein Wunder, daß sie
irgendwann über dich herfällt und selbst etwas will. Dein
Handeln ist wie ein offenes Fenster, doch das Zimmer dahinter ist
leer, du bist da, doch sie sieht dich nicht, die Stadt. Da stimmt
doch etwas nicht! Da würde ich auch nachfragen, nachschauen,
Einblick nehmen, auch wenn er mir nicht gewährt würde. Dir
geht es, wie es jedem gehen kann. Sei nicht so wehleidig! Bedenke,
was du hier schon alles gekauft hast, und wieso sieht man dich nie
darin?! Hast du es etwa unterschlagen? Heimlich ins Ausland gebracht?
Niemand hat dich im Anfertigen von Sätzen ausgebildet, und sie
sehen ja auch danach aus. Doch die Kleider, die sind was andres als
deine Zusammenschusterei, mit der du dich, wie eine Schlange, in die
Opferrolle, in die leere knisternde Haut hineinschlängelst. Du
denkst wohl, das merkt keiner, und dann stehst du plötzlich in
deiner Opferhaftigkeit da, verschlossen mit Kleiderzeugs, das du der
Stadt entkauft hast. Kein Wunder, daß die Stadt denkt, da
stimmt was nicht. Du denkst, daß über das Steilufer, das
Hochufer der Isar oder was weiß ich, von dieser, wie heißt
sie, Bayernwarte herab ein Erlöser kommen wird, der den Erlös
dieser Straße zu zählen haben wird; muß fragen, wie
das Gebäu heißt, das die Straße auf einer Art Berg
abschließt, denn einmal ja muß Schluß sein, einmal
muß diese Straße, die sich niemandem verschließt,
doch irgendwie abgeschlossen sein, einmal muß die Straße
ein Ende haben, ja, du auch, von mir aus, hab auch du ein Ende,
dieses Ende jedenfalls, das Ende der Straße, ist prachtvoll,
obwohl es dennoch ein Ende ist, dort droben, schau nur, der Landtag,
ein Tag auf diesem Land, und du kommst nie mehr zurück, wo doch
sogar dein Onkel Adalbert aus dem berühmten Lager, das liegt
nicht weit, das liegt nah, dies harte Lager, wo dein Onkel von dort
doch wieder zurückgekommen ist, dann wirst wohl auch du das noch
schaffen, es übt ja keiner einen Zwang auf dich aus! Nicht so
wie auf den armen Adalbert, dem sie dort den Arm abgeschnitten haben,
bevor sie ihn wieder rausgelassen haben, keine Ahnung, warum. Den Arm
geben sie dir nie mehr zurück! Glaubst du, die heben sowas
jahrzehntelang auf? Nein, das glaub ich nicht. Trotzdem, die Stadt
schuldet uns noch einen Arm! Den haben sie doch sicher
weggeschmissen, wahrscheinlich damit er nicht mehr gegen sie Zeugnis
ablegen kann. Wenn sie ihn noch haben, den Arm, dann hoffentlich gut
in Spiritus eingemacht! Die Aufgeweckten werden hier nicht
eingeweckt, nein, nein, die nicht! Geh weiter, na los, weiter! Nein,
kaufen kannst du dort, wo du jetzt bist, nichts mehr, dort findest du
nur Menschen, die wahrscheinlich dich finden wollen, auf halbem Weg
kommt ihr euch entgegen und trefft euch, ist das nicht fein, das
Suchen geht ja, aber das Treffen, das muß geübt werden!
Ja, dort oben sind sie, brauchst nicht eigens hinaufzugehen, dort
gibt es ohnedies nichts zu kaufen, und wenn du Martin Margiela
siehst, der ist dort vorn, ja, dort, auf dem Platz, der hat sich mit
seiner Adresse aber noch in diese prunkvolle Straße
hineingeschwindelt, obwohl das gar nicht mehr dazugehört, glaub
ich zumindest, da braucht dann kein Mensch weiter zu gehen, da fährt
er besser, er muß schließlich auch all seine Erfahrungen
irgendwie zusammenkriegen. Du hast bereits gezahlt, wenn auch nicht
hier, obwohl sie alles haben wollen, am liebsten auch das, was du eh
schon hiergelassen hast; du hast die Fetzen bezahlt, die dem Schoß
der Zeit entkommen sind, wenn auch nur kurz, du hast für etwas
gezahlt, das eine Halbwertszeit hat, die noch unter ihrem Wert liegt,
kaum gekauft, schon verfallen diese Fetzen, die dem Tigergriff
entronnen sind, genau demselben, der sie geholt hat! Du hast das
alles bezahlt, obwohl es schon entwertet war, als du es in die Hand
nahmst. Die Zeit wirkt ausgezeichnet auf diese Dinge ein, und doch:
Gezahlt werden muß! Ihr seid wohl gemeinsam geboren worden, du
und deine Kleider, nein, ganz im Gegenteil, jeden Augenblick können
Kleider geboren werden, du wurdest es aber nur einmal, man könnte
meinen, diese Kleiderlöwen verlangten eine Art Antwort von dir,
so unzertrennlich seid ihr, obwohl man die Kleider jederzeit wieder
auftrennen könnte, nein, dich nicht! Du läßt dich
nicht von ihnen trennen. Keine qualvollen Wehen, kein Gott, keiner
mußte unter Blitzschlägen sein Leben lassen, nicht vor der
Zeit, nicht nach der Zeit, genau auf dem Punkt der Zeit sind diese
Teile, und dieser Punkt wird ja nur einmal erreicht und ist längst
vorbei, vorbei der Punkt, da diese Dinge neu waren und etwas wert,
was sie sich auch heute kurz einbilden können, da sie
fotografiert wurden, hervorgeholt aus dem Dunkel des Schranks,
Blitz!, Donner!, jetzt bilden sie sich ein, du trägst sie wieder
einmal, das würde sie so freuen!, doch du willst schon wieder
was Neues, das noch nicht alt aussieht, wobei auch deine alten Sachen
wie neu aussehen, du ziehst sie ja kaum jemals an. Kein Wunder, daß
das Neue sich an seine Neuigkeiten, ich meine an seine Neuheit
klammert, grade noch, mit den Fingernägeln, die armen kleinen
Teile, wie sie sich festkrallen, wie sie dein Interesse zu erwecken
suchen, oje, da hängen sie, oft vergeblich; vorbei der
Zeitpunkt, als die Teile, die du dir hier gekauft hast, aktuell
waren, als die Zeit noch wirklich eine Zeit war, als die Zeit dieser
eine Punkt war und alles danach tot gewesen wäre, vorbei die
Zeit, als du dir das alles gekauft hast, in der Hoffnung, die Teile
ergäben irgendwann ein Ganzes, an das du dich halten könntest,
diese Teile halten ewig, aber das müssen sie nicht, sie sind zu
kurz aktuell, um an Ewigkeit auch nur denken zu können. Und das
wärst dann du, dieser Punkt in der Zeit, vielleicht kämst
du ein einziges Mal auf den Punkt, nein, hier nicht, aber es gibt
ihn, diesen Punkt!, einen Kulminationspunkt, und nach dem wäre
vorher nachher und nachher vorher, die Zeit wäre aufgehoben,
ausgerechnet in dir, dabei sieht man dir das Verstreichen der Zeit
mit jedem Tag mehr an, egal, der Punkt ist verstrichen und ist jetzt
ein verwischter Strich, wie dein Lidstrich: schön gemacht, nicht
schön, das geht nicht, aber schön gemacht, das geht, und
natürlich sollen es wieder einmal andre machen, was auch immer!
Das ist typisch für dich! Die Bewegungen des Daseins, gegen die
du eh nichts unternehmen kannst, für deine eigenen auszugeben,
das hast du immer versucht, es sind aber keine Bewegungen mehr, denn
sie sind vergangen und bewegungslos wie eingegipst. Da hast du deinen
Tigersprung, er geht nur in die andre Richtung, und so war er auch
gemeint. Nach hinten! Nicht nach vorn! Nein, versuch es nicht, du
kannst es nicht, du kannst nicht in der Zeit rückwärtsgehen,
das kann nur die Mode. Aber er geht für dich immer nach vorn
los, der leuchtende Punkt, den jemand eigens für dich an die
Wand der Zeit wirft, ein Punkt ohne Schatten, gleißend hell,
wie er da auf der Wand herumhüpft, er will uns ja was erklären,
er will uns damit was sagen, du rennst, du springst auch hoch, als
wärst du noch jung, aber du kommst ihm nicht nach, deinem
eigenen Sprung kommst du nicht nach, der dem Lichtpunkt nicht folgen
kann, er ist immer vor dich hingeworfen, du willst hinein, aber da
springt er wieder nach hinten, und du kommst nie rein. Folge dem
Lichtpunkt! Das geht nicht, der bewegt sich zu schnell, keiner könnte
das! Die Mode ist das, was sich dir immer entzieht, sobald du danach
greifst, denn du weißt nie, was angesagt ist, keiner sagt dir
was. Und so, wie du immer abschreiben mußt, willst du auch, daß
dir einer vorsagt, was die Zeit geschlagen hat. Vielleicht in der
Hoffnung, du könntest ihr und ihren Schlägen rechtzeitig
ausweichen. Doch da klingelt es schon an der Tür, hast wohl
gedacht, die erwischen dafür dich nicht? Sie werfen dich zu
Boden, obwohl du dich ganz woanders aufhältst. Dabei hast du
dich so schön gemacht, wenn auch woanders, für andere, na
ja, so schön wie möglich, das ist nicht mehr sehr schön
in deinem Alter. Die Zeitschrift, ja, auch die Zeitschriften, die du
immer kaufst, die nützen dir jetzt gar nichts, denn sie sind für
andere, schönere, gedacht, und du fühlst dich in ihnen nie
mehr zu Hause, du findest in ihnen niemand mehr, der dir gleicht oder
früher geglichen haben könnte, du findest niemand, dem du
dich anverwandeln möchtest, was du früher noch konntest,
zumindest in deiner Einbildung. Du findest dich hier nicht mehr
wieder und auch sonst nirgends. Es gibt dich nicht. Warum noch
Kleider kaufen, um sie womöglich sogar nachts, wo man eh nichts
sehen würde, probeweise über dein Nichts zu hängen?
Daß man eine Bewegung nach vorn, die gleichzeitig nach hinten
losgeht, wie von der Mode behauptet wird, daß man die nicht
mehr feststellen kann, weil Stillstand herrscht, heißt nicht,
daß die Bewegung weg ist, verschwunden, geschluckt von deinem
Kleiderschrank, das heißt nur, daß Ruhe herrscht. Und das
hältst du am allerwenigsten aus! Und sie wird dir auch nicht
gewährt. Es klingelt an der Tür, sie kommen. Bitte Ruhe!
Doch das ist nichts, worum man bitten kann: Ruhe. Die ist
herrschüchtig, deshalb herrscht sie halt, wenn sie Lust hat,
oder sie herrscht nicht. Man bekommt sie, man bekommt dieses
eigentlich Nichtige, dieses Nicht-Sein, dieses Nichthafte, die
keineswegs das schiere Nichts sind, sondern das meiste, aber man
bekommt sie nicht, die Ruhe, auch nicht, wenn man darum bittet und
sich vorstellt, wie das wäre, das Nichts, um das man ja auch
nicht bitten kann.
Doppelgeschöpf,
weibl.: Ruhe, von mir aus, nichts dagegen. Ich behalte das alles
für mich, diese Kleider behalte ich für mich, meinen
Schritt hülle ich in die Yamamoto-Hosen aus der Klamotte (na,
dort müßte ich aber langsam Prozente kriegen, meinen Sie
nicht?), im Hof dort drüben, also ein bißchen weg von der
Straße und rein in den Hof müssen Sie schon, umsonst ist
nur der Tod, und der kostets Leben, also begeben Sie sich ein wenig
abseits, zur Hose hin, sehen Sie sie? Nein? Dann müssen Sie noch
zwei, drei Schritte machen, dorthin, ja dort, wo der Mann sitzt und
in sein Smartphone glotzt, als könnte er dort das Muster seiner
Schicksalsfäden in ein andres umbauen, die Hose, ja, die letzte
habe ich nicht gekauft, weil sie unten an den Knöcheln so
verschlossen wurde, also ich weiß nicht, ich schließe
mich eh schon genug ab, ich schließe mich mit Stoff ab, wenn
auch nicht mit diesem, und in meiner Wohnung ab und überhaupt
überall ab, ich verschließe mich, aber diese Leute, die da
gekommen sind, die wollten zu jemandem, zu mir, hinein, unbedingt!,
zu jemand, der sie nicht haben wollte, jedenfalls nicht bei sich.
Jeder wäre nicht ganz bei sich, der diese Leute haben wollte.
Doch sie sind hier ganz richtig, weil es angeordnet wurde, daß
sie alles dürfen. Ich bin so frei, sagt der Freistaat, und nehme
mir das, das und das. Früher war ich für ihn, jetzt bin ich
gegen ihn. Dieser Satz sagt nichts, er sagt auch nichts aus. Er
wiederholt, wie alles, was ich sage, das, was ich immer schon gesagt
habe. Viel zu oft. Wo ist das Wesen dieses Satzes, ich weiß
nicht einmal mehr, welchen ich überhaupt meine. Ich kriege in
diesen Satz (und in die meisten anderen auch!) kein Wesen mehr
hinein. Wie soll ich mich je wieder in diese Kleider hineinkriegen,
wenn ich keinen Sinn, kein Wesen, kein Leben in meine Sätze
kriege, die mein Leben sind, die sind doch kein Spielzeug!, die sind
mein Leben, und ich weiß nicht, wie ich Leben in mein Leben
hineinkriege. Hält es sich etwa in diesem beigen Trenchcoat
verborgen, mein Leben, in dem, den ich seit fünf Jahren nicht
mehr angehabt habe? Nein, dort ist es auch nicht. Es wäre ein
gutes Versteck gewesen, jetzt ist es das nicht mehr. Das höhlt
mich aus, daß ich meine Sätze immer schwerer finde, obwohl
sie immer leichter werden. Meine Sprache gehört mir nicht mehr,
meine Sachen gehören mir nicht mehr. Ich habe nichts mehr. Ich
bin nicht mehr. Ich werd nicht mehr! Ich durfte diesen Leuten nichts
versagen. Diesen Gedanken würde ich lieber vor dem Herrscher
persönlich äußern, ich meine, vor ihm als Person, ich
bin ja keine Person mehr, jedenfalls keine natürliche Person
oder wie man das nennt, doch der Herrscher äußert sich
immer nur selber, meist in schriftlicher Form, in der ich mich immer
nur entäußere, bis ich einmal weg bin, und einmal genügt
schon fürs Wegsein. Da ich nie aus mir herausgehen kann, weil
mir nichts mehr und jetzt noch weniger als nichts übrigbleibt,
gehe ich halt wieder in diese Straße hinein. Suche etwas, das
sie unmöglich angefaßt, fotografiert, erfaßt haben
können, wie denn, es hängt ja noch im Laden! Dort suche ich
was andres, bestimmt nicht mich, mich suche ich nirgends, mich habe
ich ja, das heißt: nichts habe ich, macht ja nichts, ich bin
das Uninteressanteste, das ich je gesehen habe, diese Kleider sind
viel schöner, ich bin nichts dagegen. Sogar wenn ich mich, zur
Abwechslung seitenverkehrt, im Spiegel betrachte, ist da nichts als
die Verdopplung dessen, was verkehrt ist, verkehrt läuft, gar
nicht mehr läuft. Ich bin hohl? Auch wenn ich hohl wäre,
würde man ja noch was sehen. Und zwar meine Umhüllung,
dafür kaufe ich sie mir ja! Aber ich sehe nichts. Ich gehe mir
etwas in dieser Straße kaufen, damit man mich sieht, nein,
nicht einfach sieht, damit man überhaupt etwas sieht, wenn man
mich anschaut. Es muß ein Unbedingtes sein, von dir geliebt zu
werden, äh, nein, von dir erkannt zu werden, nein, um Gottes
willen, das auch nicht, von dir gesehen zu werden, und bitte, schau
dir dieses menschengeschaffene Vorhandene an, schau dir diesen grünen
weiten Comme des Garçons-Mantel an, gehalten wird er von einem
einzigen Knopf, und hinten ist er abstehend wie ein Entensteiß,
von einem einzigen Knopf wird soviel Herrlichkeit getragen, es ist
unglaublich, mich tragen kaum noch meine Füße! Schau dir
den Mantel nur in Ruhe an, denn anziehen tust du ihn ja doch nie! So.
Gekauft. Bin lang genug um ihn herumgeschlichen, jetzt wird
zugeschlagen. Das machen die Häscher bei mir immerhin nicht:
zuschlagen. Du hast ihn zum halben Preis bekommen und dreimal
angehabt, sage ich vernünftig zu mir, nein, nicht dreimal den
Herrn verleugnet, der ihn dir wieder wegnehmen möchte, nein, das
will er nicht, er will nur beweisen, daß dort, wo der Mantel
ist, auch du dich befinden mußt, denn unmöglich kann ein
denkender Mensch sich von diesem Mantel trennen wollen, du wärst
doch gestorben, hättest du ihn nicht erworben, was auf vieles
zutrifft, das dich zum Vorschein bringt, indem es dich bedeckt und
somit vergessen macht, nicht dich vergessen macht, sondern vergessen
macht, daß du darunter steckst! Aber du hast ihn genau dreimal
angehabt, und das soll das Unbedingte deines Ichs sein? Sowenig, dein
Ich? Wo ist denn der Rest? Ist das Sein sowieso schon endlich, ist es
doch auch klar, daß dieser Mantel einen Stempel seiner
Endlichkeit trägt, kaum gekauft, schon abgestempelt: gebraucht!,
tja, gebraucht hast du ihn eigentlich nicht, aber du hast ihn jetzt!,
wann ziehst du ihn endlich wieder einmal an?, du wärst
gestorben, hättest du ihn nicht gekriegt, wegen der Endlichkeit
nicht?, wegen der Endlichkeit stirbst du extra nicht? Blödsinn!
Wo du ihn doch gekauft hast, weil er unendlich gültig sein
würde, da warst du dir sicher, keiner Mode je wieder
unterworfen, nur dir unterworfen. Typisch, daß sich dir alles
immer unterwerfen soll! Daß du ihn unbedingt kaufen mußtest,
und zwar hier, woanders hättest du ihn nicht bekommen, und ihn
dann ins Nichts wirfst, ihn spurlos versenkst? Damit hast du die
Häscher, die Fänger nicht im Roggen, die Fänger im
Grust, im Lurch deiner Wohnung, gar nicht wahr, hier ist das, was
nicht sauber ist, sauber gemacht worden!, damit also hast du sie
mißtrauisch gemacht, die nicht glauben konnten, daß ein
gesellschaftsbewußter Mensch wie du so viel zum Anziehen
braucht, da ihm das Gesellschaftliche immer wichtiger sein würde
als Äußerlichkeiten, ja, schon, aber, darf ich mich
vorstellen? Nur so, in diesem Mantel, kann ich mich vorstellen und
mich mir vorstellen, den brauch ich, man sieht sonst meine Rippen
einzeln durch die Luft fliegen, wenn sie nicht durch irgendwas
zusammengehalten werden. Gehen wir lieber weiter, nein, nein, Sie
dürfen jetzt nicht weg! Dort: Dieser wunderbare Laden, Raf
Simons hat das geschaffen, alles, was man drin findet. Ja, alles!
Schon ist er wieder weg, schon ist bestimmt, daß er weg muß
und zu Dior gehen. Alles fließt, ich denke mir, auch sein Leben
tritt mit dieser Entscheidung aus den Ufern, das Umhüllende wird
zerfetzt, ein Anderes tritt an seine Stelle. An die Stelle der
Umhüllung. Von außen sehen die Musliminnen, deren
Umhüllung noch nicht fällt, nicht sehr einladend aus, das
ist wahr, aber lassen wir sie, wie sie sind! Sie wollen einen gar
nicht einladen! Sie können immerhin das Haus verlassen, wenn
auch in ihrem eigenen Haus, unter ihrer Umhüllung. Ich kann das
nicht. Dafür, nein, nicht dafür, keine Ahnung, habe ich das
geschaffen, das Meine geschaffen, das, wie Sie hier sehen und hören
können, nicht sehr interessant ist, aber doch meins, es bleibt
meins, ein Mein unter einer Hülle, nicht verhüllt, das ist
wichtig, man sieht zwar beides nicht, mich nicht, die Muselmanin auch
nicht, die sich verhüllt, jedoch ein hervorragendes Darunter
besitzt, da bin ich mir sicher, diese Frauen haben Kohle, aber nicht
zum Heizen, Anheizen dürfen sie nur ihre Männer, wenn sie
hierher kommen, die können was ausgeben, ich sehe es an dem, was
sie sehen lassen, vor allem Taschen und Schuhe, während ich eher
zerbröckle und mich ständig verausgabe, für nichts.
Doch die Frage ist dringend, woher die Hülle stammt, die mich
zusammenhält, ich sagte es schon, wenn auch durch die Blume, ich
mag Blumen nicht, aber Kleider schon, sie machen mich sichtbar
unsichtbar, oder unsichtbar sichtbar?, keine Ahnung!, und dann sind
diese Männer, die Fremden mit Befugnissen, nein, keine
Ausländer, die hätten diese Befugnisse ja nicht!, bei mir
eingebrochen, nicht in meine letzte Fuge und nicht eigentlich
eingebrochen, sie durften ja, aber doch in meine innerste Hülle,
die kein Kleid ist, hineingebrochen, hineingeströmt, zu Zehnt
oder so, Hundings Scharen, das Heer der Rächer von einem
Wesenlosen, nämlich dem Staatswesen, das sie geschickt hatte und
das sie vertraten wie ich mir meine Füße, in meine
Behausung getrieben, vom Staat, dem ich aber doch gar nichts schulde,
denn ich gehöre gar nicht hierher, ich bin hier nicht zuständig,
sie sagen aber: doch doch, Sie gehören zu uns! Die wollen mich
wirklich – interessant! Viele wollen mich ja nicht, diese aber
schon. Sie sind eine von uns, sagen sie und waschen mein Blut von
ihren Händen, so intim sind wir miteinander geworden!, sie wären
fast ausgerutscht auf meinem Blut, wie seltsam, daß jemand
darauf besteht, daß ich zu ihm gehöre, das ist mir noch
nie passiert, die meisten wollen mich eher weghaben, durch das
Nadelör schießen, welches ihr Ösenland abschließt.
Dann gehen Sie doch, wenn es Ihnen bei uns nicht gefällt! So
sagen sie in meiner Heimat, wie oft habe ich es gehört! Wenn Sie
lieber woanders sind, dann bitte, wir halten Sie nicht! Gehen Sie
nur, ja, jetzt dürfen Sie gehen! Im Gegenteil, wir wären
froh, wenn Sie endlich gingen! Aber diese Leute, diese Überfälligen,
diese Überfaller wollen mich hier, sie sagen, Sie gehören
zu uns, du gehörst zu mir, wir gehören dir, wir schon, aber
nicht unser Besitz, da bin ich aber baff!, und sie leiten ihr
Flüßchen ab, durch ein sehr kleines Loch, da schießt
es hervor, damit die Surfer kommen, die ihre Gewinne abreiten, und
sie sagen: Daher sind Sie uns was schuldig, wenn Sie schon zu uns
gehören! Denn wer zu uns gehört, der trägt mit uns
eine Schuld, er muß nicht unbedingt Gedichte verfassen, es geht
auch ohne, aber er trägt diese unsagbare Schuld, von der dennoch
ständig gesprochen wird, ja, auch von Ihnen!, und trägt er
sie nicht, werden wir sie ihm schon noch aufbürden, wir werden
schon dafür sorgen, daß er sie übernimmt, seinen Teil
unserer Schuld und seine ganzen Schulden, die er bei uns hat, warum?,
weil wir es sagen!, aber bitte, diese Schuld haben schon meine toten
Verwandten für mich abgetragen, im Gegenteil, mit ihnen wurde
gezahlt, sie waren damals Zahlungsmittel, heute kann ich mit denen
nichts mehr anfangen, nicht einmal Mitleid erheischen, wo man zahlen
muß, für alles, und wieso wollen Sie dann mich auch noch
abtragen?, da können Sie eher diesen Dom mit den zwei Knödeln
oben drauf (der Rest ist Schweinsbraten) abtragen, als daß Sie
erleben, wie ich meine Schulden, die ich nicht habe, und meine
Kleider, die ich sehr wohl habe, abtrage, die habe ich doch alle nur
ein paarmal an, die halten noch hunderte Jahre, nein, tausend nicht,
kann ich mir nicht vorstellen, aber überprüfen läßt
sichs nicht, die tausend Jahre hat nur Ihr Reich gehalten, doch jetzt
ist es weg, es ist ein andres Reich gekommen, in dem die Reichen
regieren, oje, das war wieder einmal billig, aber nicht recht, billig
und heilsam, wie Ihre Kirche sagt, die mich auch gleich abcashen
wollte, obwohl sie nicht einmal meine Religion kannten: keine
Religion!, tut mir echt leid, ich habe keine! Und sogleich erhebt
sich erneut die Frage, wer ich bin und wohin ich gehöre, nein,
zu wem nicht, das habe ich ja schon mehrmals beantwortet. Sie
behaupten: zu Ihnen, das ist nicht wahr, sage ich und habe es schon
gesagt, doch dann behaupten Sie Sachen, denen ich nicht widersprechen
kann: zum Seienden, zu seinem innersten Wesen, wie schön!, gern
will ich zum Seienden gehören, bloß habe ich den Verdacht,
daß es von Ihnen dann sofort entkernt und ausgenommen werden
wird, da bin ich gewiß keine Ausnahme. Was also soll ich Ihnen
als Seiende sein? Was erwarten Sie von mir? Welches Sein? Das
Weggestellte, das versucht, sich anderen in den Weg zu stellen,
unbeugsam, und ja, Sie erlauben mir auch, daß ich die tief
eingefahrenen gewohnten Gleise des Vorstellens verlasse, leise die
Gleise verlasse, das ist mir durchaus erlaubt, ich darf alles, was
wir dahingestellt sein lassen wollen, alles, dafür sein, dagegen
sein, alles, solange ich bezahle. Das sagen Sie mir doch dauernd,
oder? Und das meinen Sie auch. Sie sagen immer die Wahrheit, Sie
sagen, was Sie wollen. Ich sage das zwar auch ständig, aber ich
habe es nicht und kriege es nicht. Ich will die Revolution, doch ich
kriege sie nicht. Ich kriege nur immer die Rechnung von Ihnen, doch
für diese Rechnung sind Sie gar nicht berechtigt! Wie meinen?
Wenn Sie zahlen, lassen wir Sie als Gegenstand hergestellt, nein,
dahergestellt, nein, dahingestellt sein, das erzählen Sie mir,
ob ich es hören will oder nicht. Eher nicht. Wenn Sie zahlen,
sagen Sie, dürfen Sie Ihre Vorstellung geben, die uns nicht
interessiert, aber wir werden auf jeden Fall dafür sorgen, daß
Sie zu uns gehören und daher schuldig sind wie wir und zahlen
müssen wie wir. Das sagen Sie, egal, ob ich es hören will.
Uninteressant, das wissen wir, höre ich von ihnen. Wenn das Ihre
Stücke sind, verstehen wir nicht, wieso jemand etwas dafür
zahlt! Daß wir schuldig sind, das wird uns ja andauernd gesagt,
mit dieser Keule werden wir andauernd traktiert, und zwar von einem
Mann, der immer recht hat, recht hat er, recht zu haben!, das
erklären wir Ihnen ja die ganze Zeit, wie sollen wir schuldig
sein, wenn es uns damals überhaupt nicht gegeben hat, nicht
einmal unsere Eltern hat es gegeben, nur unsere Großeltern,
über die wissen wir nichts, über die können wir nichts
wissen, schon gut, schon gut!, aber Sie reden weiter, immer weiter,
und Ihr Reden bringt niemand von sich weg (und mein Geld natürlich
nicht von seinem Konto, wo es sich ausruht). Sie sagen wenig,
sprechen aber, ich höre sie genau, sie sprechen, wie hier immer
schon gesprochen wurde: Jetzt sind Sie dran, raus aus der Verbergung!
Sie schulden uns was, daher sind Sie schuldig! Wir jedoch zahlen
unsere Schulden, daher sind und bleiben wir niemand was schuldig! Sie
gehören zu uns, ob Sie wollen oder nicht. Sie sind dieser Stadt
was schuldig, es genügt nicht, sie einfach leerzukaufen, man muß
sie auch wieder auffüllen, das ist ja klar. Wie sollten Sie
sonst jemals wieder was auf dieser Straße einkaufen, die wir so
schön gestaltet haben, extra für Sie und alle anderen auch,
schließlich betreten Sie diesen Gehsteig, glauben Sie, das
können Sie einfach so?, wie können Sie hier den Gehsteig
betreten, wenn Sie der Stadt nichts geben, nichts dafür
zurückgeben? Wir treten dann Sie, dann werden Sie merken, daß
das nicht lustig und nicht gratis ist. Sie sind hier, und damit haben
Sie Schuld übernommen, nein, nicht für Ihre Väter, all
die Tanten, die, aber das ist Unzeiten her, denn diese Zeit gibt es
heute nicht mehr, zum Glück nicht, die Tanten, die wir vor
Urzeiten zur Unzeit vernichtet haben, ja, auch die, die sich in der
Schrebergartenhütte versteckt hatte, das hat ihr nichts genützt,
mein andrer Onkel Leopold hat sie noch gewarnt, sie wollte nicht
hören, und daher mußte sie sehen, ich meine fühlen,
ach was, sie mußte halt, was sie mußte. Wir waren damals
noch lang nicht geboren. Entschuldigen, vielleicht sind Sie das jetzt
auch noch nicht?, geboren?, könnte ja sein. Doch nein, Sie sind
es, kein Zweifel, Sie sprechen ja, Sie sprechen. Es ist übrigens
widerwärtig, wie Sie diese Toten für sich benutzen! Die
können sich nicht wehren, gegen uns nicht, aber gegen Sie auch
nicht. Heute sind Sie uns was schuldig, nicht gestern, da waren Sie
noch gar nicht, da waren Sie noch dem Nichts überantwortet, aber
heute ist Zahltag, und Sie zahlen ab sofort! Wir warten. Wir warten
ja auch, daß das hier endlich zu Ende ist, und dann:
Vuitton-Taschenpfändung, falls nötig. Sie sind gar nicht
da? Und das da soll auch keine Tasche sein? Wie wollen Sie das
beweisen? Was ziehen Sie da raus, was ist das, etwas und nichts
zugleich oder eher dasselbe? Sein und Nichts dasselbe? Egal. Kommen
Sie nicht zu uns! Wir kommen zu Ihnen! Sie werden es wohl noch
erwarten können, daß wir kommen, auch wenn Sie uns gar
nicht erwartet haben! Auch wenn Sie gar nicht da sind, gehören
Sie zu uns, und Sie gehören auch zur Kirche, selbst wenn Sie gar
nicht wissen, zu welcher, weil es keine ist, und dafür zahlen
Sie jetzt. So, wie stehen wir jetzt da?, da stehen wir, von uns aus
gesehen rechts, lassen Sie es uns einen Augenblick von unserer Seite
betrachten!, aber wenn wir uns umdrehen, dann ist es links, egal,
dieser Teil, der steht uns zu, er steht uns schon deshalb zu, weil
wir Ihr ödes Schicksal demnächst in diesem Theater oder
schon früher in diesem Theater hören und sehen mußten
und immer noch müssen, wie es aussieht, und dafür allein
müßten Sie schon zahlen und nicht bezahlt werden, obwohl
wir Ihre Bezahlung gern nehmen, Sie sind da so eine Art Zwischenwirt,
sie nehmen ein und geben es gleich weiter. Das ist, was Sie tun
werden, und wir fragen nicht: Und Sie, was tun Sie, während wir
uns an Ihrem langweiligen öden Schicksal zwangsbeglücken
lassen müssen? Wir sind es, die das billigen, doch billiger
geben wir es deswegen nicht. Ihren Lebensunterhalt bestreiten jetzt
wir, so wie wir das Leben Ihrer Vorfahren teilweise bestritten haben,
ich meine: in Frage gestellt und dann verworfen haben. Das gehört
nicht hierher, wir sagten es jetzt zum wiederholten Mal, wiederholen
Sie sich nicht dauernd, sagen Sie was anderes, sonst zahlt Ihnen
keiner was dafür! Wieso wollen Sie sich überhaupt was
kaufen? Und immer nur hier, auf dieser Straße, wo das Geld
nicht liegt, aber hingebracht wird? Schöner werden Sie dadurch
nicht, das können wir Ihnen verraten, aber sonst verraten wir
nichts. Für das, was wir mitnehmen, müssen Sie zahlen. Für
die Leere, die Lücken, die wir hinterlassen, in Ihr Eigentum
reißen, genau. Wer sagt das? Wir sagen das! Für Ihre
gesamte Festplatte, die gegen Sie verwendet werden wird, müssen
Sie zahlen. Sehen Sie, denn wenn wir bei Ihnen eindringen, müssen
Sie auch dafür zahlen, schon fürs Eindringen, wir sind
immerhin zehn Mann, die müssen Sie erst mal zusammenkriegen, auf
der Bühne geht das, aber die Stadt hat einige Mühe damit,
diese Leute zusammenzukriegen, da ist es doch nur logisch, oder?, daß
Sie die Kosten dafür übernehmen, ich meine nicht unbedingt
die Kosten, die zahlen schon wir, aber wir wollen doch auch was dafür
kriegen, sonst lohnt es sich nicht, nicht wahr? Wenn Sie bei Prada
eindringen und was mitnehmen, müssen Sie ja auch zahlen. Glauben
Sie, die Miuccia Prada schenkt Ihnen was, ausgerechnet die, die nicht
einmal einen Ausverkauf macht, die nichts an die Outlets vor den
großen Städten weitergibt, wo den kleinen Menschen die
große Welt geöffnet wird, sobald sie beginnt zu verfaulen,
zu stinken, zu welken, die merken das doch nie!, die sehen nur die
Namen auf den Etiketten, einer Etikette, der sie selbst sich nie zu
unterwerfen haben, und dann treten Sie diese Dame dort in die
Kniekehlen und diese andre auf die Ferse, überholen, was Sie von
der Autobahn her gewohnt sind, und erreichen noch vor diesen Damen
das Adidas-Outlet, diese Turnschuhe hier unterscheiden sich durch
nichts von den aktuellen, aber sie sind verfallen, an die Zeit
verkauft, und dann kaufen die das immer noch, das Verfallene,
Unaktuelle, Verfaulte, Hauptsache billiger. Große Namen
billiger? Das ist doch schön, daß die alle dann wie Götter
durch ihre Stadt rasen dürfen, diese Menschen tragen ja keine
Stempel mit dem Datum, die müssen ihre Handys tragen, und die
sind wetterwendisch, sie zeigen immer ein andres Wetter und eine
andre Zeit, trotzdem, in diesen neuen Klamotten können wir in
die Stadt, können wir uns dort zeigen, wo wir uns aber auf jeden
Fall zeigen würden, es gibt dazu Bier und Wein, es gibt Essen,
es gibt Tanz und Spaß, es gibt Party, und die Leute sind
endlich, endlich gut angezogen mit Sachen, die schon halb vergangen
sind, verschwunden, von gestern, von vorgestern, aber sie gehen noch
gut für heute durch, wenn man sich nicht auskennt. Das da kenne
ich doch, dieses Modell ist Vergangenheit, dafür ist unsere
Vergangenheit ein Modell dafür, wie man sie bewältigen
kann. In diesem Sportjackett wird Ihnen das sicher auch gelingen,
sein Schnitt ist von vorgestern, doch wir machen immer noch unseren
Schnitt damit. Sonst hätte das alles ja keinen Sinn und keinen
Zweck. Das ist der Zweck, ich weiß bloß nicht, wovon. Die
Vergangenheit revanchiert sich nicht einmal für das, was Sie von
ihr kaufen! Was sagt sie da? Sie behauptet, sie läßt sich
nicht kaufen, doch dieses Jackett ist der Beweis, na ja, es beweist
halt irgend etwas in der Art, wie es sich Zeit gelassen hat, es ist,
zwei Jahre nachdem es eine Auslage geziert hat, bei uns angekommen,
vor der Stadt, im Riesenbau, der alle reinläßt und noch
mehr anlockt. Auch die Gucci-Schuhe dort, die sind auch ein Beweis
für die Maßlosigkeit menschlichen Denkens, nein, ach, ich
weiß nicht, wofür. Für unausgesprochene Beständigkeit
und Anwesenheit? Nein. Für den Zeitcharakter der ursprünglichen
Zeit? Eher schon. Vielleicht. Glaub ich zumindest. Es steht Ihnen
einfach nicht zu, in diesem luxuriösen, allerdings dermaßen
kleinen Geschäft etwas zu erwerben, das schon größer
wäre, würde ein Hund es verrichten, daß also sogar
Sie, die Sie sich dauernd und überall verirren, sogar in Ihrem
eigenen Bad, daß sogar Sie die Treppe finden, es steht Ihnen
möglicherweise, was Sie sich da gekauft haben, doch es steht
Ihnen nicht zu, in diesem Geschäft einzukaufen, daher haben Sie
es sich erst recht gekauft, und zwar ungefähr ein Jahr später
und dort, wo es nicht so streng zugeht, wo Sie nicht gemustert und
ausgemustert werden. Bei uns wagen Sie den Widerspruch, woanders
trauen Sie sich nicht einmal hinein. Zu uns sind Sie frech, aber wenn
Sie vor dem Prada-Shop stehen, ja, dem mit den zwei kleinen Auslagen,
mehr Auslagen haben die sich nicht gemacht, dann wagen Sie sich nicht
einmal über die Schwelle. Sie trauen sich nicht, Sie trauen sich
nichts, Sie trauen sich nichts zu, wie ich im Volk höre, es wird
Ihnen nichts geschenkt, und auch wir schenken Ihnen nichts. Wie, Sie
stehen immer noch bedientenhaft auf Ihrem Fleck, den man Ihnen dort
zuweist, Sie trauen sich nicht, auch nur eine Bewegung auszuführen?,
nicht einmal zu atmen?, auch wenn Sie gar nicht hier sind, trauen Sie
sich den Atemzug nicht zu, springen lieber vorher ab?, damit Sie sich
bei Prada nicht als in dieser Preisklasse unzuständig entlarven
oder überhaupt entlarven, wir wissen nicht, als was, aber wir
werden es Ihnen schon noch nachweisen, dazu sind wir schließlich
hier. Bloß Sie sind nicht hier, was keinen Unterschied macht
zwischen dem Sein und dem Nichts. Erheben Sie nicht Ihre Waffen, die
ohnedies stumpf sind, gegen uns, die Stadt, das Land, Ihren Gott,
gegen wen auch immer. Wir nehmen Ihnen die Mühe, jede Mühe
ab. Sie können von zu Hause aus einzahlen. Sie können ja
von zu Hause nicht fort, wir aber können zu Ihnen herein. Wir
schicken Ihnen den Zahlschein, und dann schickt die Kirche Ihnen auch
noch einen, die Kirche, die wir für Sie ausgesucht haben, obwohl
wir gar nicht wissen, zu welcher Sie gehören. Zu keiner? Das
müssen Sie erst noch nachweisen! Geben Sie lieber acht auf Ihre
Freiheit! Die können wir Ihnen nämlich nehmen! Wir werden
Sie lehren, wie die Kirche ja auch, sich vor uns zu fürchten!
Wir haben gerade erst angefangen, Ihnen Angst zu machen. Wir können
auch anders. Wir könnten auch anders, aufs flache Land hinaus,
wo die Reichen wohnen, an den Seen, an den Flüssen, dort könnten
wir auch hin, überall, wo zornig die Menschen mit ihren Füßen
nach uns ausschlagen, wenn sie uns nur von ferne sehen, doch von den
Reichen tut das mehr weh, eine ganze stampfende, dampfende Armada
kommt mit ihnen auf uns zu, und da fürchten dann wir uns! Lieber
kommen wir also zu Ihnen, von Ihnen ist keinerlei Gegenwehr zu
befürchten, Sie haben sich ja auch nicht gegen diese etwas zu
enge Jacke gewehrt, die haben Sie offenbar gekauft, weil sie Ihnen
gefallen, nicht weil sie Ihnen etwa gepaßt hat, von welchem
Geld übrigens? Eine Jacke, die Ihnen sowas von nicht steht, also
werden Sie sich auch nicht gegen uns wehren, gewiß nicht. Sie
können sich gegen uns sowenig wehren, wie Sie sich gegen Ihren
eigenen Körper wehren können. Sehen Sie, wir haben recht!
Sie schweigen aus Angst. Sie zittern aus Furcht. Zittern sogar vor
Ihrem Spiegel. Zittern vor Ihrem Gerät, das wir wie ein Tier
ausgeweidet haben, wir haben alles, danke gut, zittern vor dem
Apparat, den Sie sonst zum Zitieren benutzen, doch jetzt zittern Sie.
Gut so, das ist, was wir erreichen wollten. Wir wollen Sie
ausgeplündert sehen, von uns, bevor es ein andrer tut, bevor es
eins von diesen Geschäften in dieser Straße tut. Sie
werden nicht schöner, indem Sie dauernd einkaufen und sich damit
behängen, das glauben Sie nur! Sie werden ab jetzt nie mehr
imstande sein, einen günstigen Eindruck auf jemanden zu machen!
Was Sie auch tun – lassen Sie es sein, so wie es ist, ist es
auf jeden Fall besser, als wenn Sie es in die Hände kriegen
würden. Es darf fallen, jederzeit, gerne, aber nicht Ihnen in
die Hände. Und nicht in Ihre Hüllen, da fallen Sie nicht
mehr so leicht rein, das geht nicht, die haben wir alle fotografiert,
in denen können Sie sich nicht mehr zeigen, die sind von uns für
immer verbraucht worden. Ihre zugespitzten Wortlanzen würden uns
nicht einmal die Haut ritzen, wir sind unangreifbar, unempfindlich,
sogar unantastbar, wir verwenden diese Dinge, die wir bei Ihnen
eingesammelt haben, gegen Sie, ich meine gegen sich selbst, wir
versenden alles gegen Sie, ja, auch alles, was Ihnen gehört,
weil sie es zuvor mit PayPal bezahlt haben. Das gehört dann aber
auch uns, es ist beschlagnahmt wie der Leichnam von dem, wie heißt
er, der Freund Achills?, Patroklos! Ja, sein Leichnam: beschlagnahmt,
von Menelaos geborgen, das ist ein viel besseres Wort für
Beschlagnahme, das werden wir von nun an verwenden: Dies alles ist
geborgen, von uns, bei uns. Wir haben Ihre Habe geborgen. Eingesackt
ist das alles, von uns.
Doppelgeschöpf,
männl.: Was danach passiert ist, wissen Sie? Wer hier
spricht, weiß ich jedenfalls nicht. Wer spricht bitte? Ein
Mann, wie ich, oder? Davon spricht irgend jemand. Aber es kann ein
andrer sein. Nein, eine Frau nicht. Ich weiß nicht, wer
spricht, also sage es halt ich, es kann aber jeder sagen. Am besten,
Sie teilen es sich selber ein, hören Sie: Ein Leichnam wurde
herumgeschleift, tagelang, wurde zum Schleifen befestigt hinten am
Sessel von dem Streitwagen, nicht wahr?, damit zog sein Fahrer
dreimal ums Grab des Patroklos, dann gings zurück ins Zelt, ein
Gläschen Schampus oder Prosecco, dankeschön, unser Geschäft
ist nämlich neu eröffnet, und dazu gibts eben
ausnahmsweise, auch wenn Sie ganz sicher keine Ausnahme sind, ein
Gläschen Schampus oder Prosecco, und ihr ruhet jetzt und laßt
euch das alles durch den Kopf gehen, ihr, ja, ihr! Ihr seid gemeint,
und einen Grund müssen wir nicht angeben, nicht einmal, wenn wir
nach dem Nichts fragen, wieder einmal. Den Toten verließ er,
dieser Mann, dieser Mörder, also den besagten Leichnam hat er
einfach so liegenlassen, der selber nichts mehr sagen kann, er ist ja
hin, dafür palavern die Götter endlos über ihn,
natürlich nicht über ihn, über die Sache, die haben ja
Zeit; also, wie war das?, jenen verließ er, der Mörder
Achill verließ jenen, also Hektor, nicht wahr, host mi?, den er
ermordet, band ihn fest, an diesem Wagen fest, gelt, sowieso!, das
war noch nicht der Rolls meines eigenen Helden, der kommt aber hier
noch dran, verlassen Sie sich drauf, verlassen Sie sich ruhig auf
Ihre Seinsverlassenheit, da werden Sie nie enttäuscht werden,
gut; und rings um des Freundes Grabmal schleift er ihn, der Mann den
Getöteten, Sie wissen hoffentlich noch, wer wer ist, ach Gott,
gut, daß Sie den anrufen, doch er wird nicht abheben, der wird
dafür (wofür?) Hektor helfen, die Götter werden ihm
helfen, Ihnen nicht, Ihnen hilft kein Gott, kein Sonstwer gegen uns,
doch einem Toten helfen die Götter manchmal, wenn sie ihn
lieben. Sie liebt keiner, soweit wir wissen, sonst würden wir
uns diesen Überfall, diese Grausamkeit, diese Brutalität
nicht trauen. Wir würden es nicht wagen, so vorzugehen, wir
würden es nicht wagen, Sie durch den Dreck zu schleifen, liebte
Sie einer, und das muß gar nicht sein: mehr als sich selbst.
Ich weiß jetzt nicht, was ich damit sagen wollte, daß
einer Sie mehr als sich liebt? Nein, mehr als sich geht nicht.
Falscher Gott! Einer allein ist immer falsch. Man muß
ausweichen können, das wissen sogar die Autobahnen. Den Göttern
wäre sowas fremd. Da wird der Hektor also herumgeschleift, im
Staub, Sie dagegen tragen bloß Turnschuhe, nicht Jimmy Choos,
nicht Louboutins, die kriegt man hier sowieso nicht, aber auch die
wollen Sie nicht durch den Dreck schleifen lassen, Sie, die Sie gar
nicht da sind, Schuhe, die Sie gar nicht haben! Da wird Hektor
herumgeschleift, wie wir Sie herumschleifen werden, das ist bei Ihnen
nicht wörtlich gemeint, bei Hektor aber schon, herumgeschleift,
wir sagten es schon, doch sein Gesicht blieb unversehrt, sein Gesicht
konnte Hektor wahren. Wer zu uns gehört, hat nicht immer Grund,
sich zu fürchten! Oft aber doch. Manchmal wird er auch geborgen,
meist allerdings getötet und übel zugerichtet. Oft beides.
Alles ist irgendwann geborgen und kommt ans Licht, und wäre es
eine Leiche aus dem See. Wer zu uns gehört, der hat Schuld auf
sich geladen, der hat bei uns Schulden, und die muß er
abtragen, denn die sind sein Grab, man nennt es Schuldengrab, den
Grabhügel müssen dann Sie wieder abtragen. Leute wie Sie,
die ihr Leben nie eröffnet haben, nicht so wie dieses Geschäft,
welches jetzt Häppchen zum Getränk reicht. Weltlose Leute
wie Sie, die haben wir schon gefressen und fressen sie weiter, die
atmen wir ein, denn Sie gehören uns! Wenn Sie nicht freiwillig
kommen, dann schleifen wir Sie her, nur keine Sorge! Wir kriegen Sie
schon noch! Achill hat Hektor zwar erst nach dessen Tod gekriegt,
aber gekriegt hat er ihn, wir kriegen Sie jetzt schon! So, wir
klingeln jetzt. Dieses Schrille hält ja keiner aus, außer
auf Ihren Hüften und an Ihren Beinen, was immer es ist, das Sie
da wieder in Ihren Bau geschleppt haben, das wird ja immer schlimmer,
man kann kaum noch hinsehen. Her damit! Alles! Sie brauchen das doch
nicht! Sie sind doch auch ohne das noch ganz attraktiv für Ihr
Alter. Seien Sie froh! Lassen Sies, dies unser Rat. Lassen sie es
uns! Überlassen Sie das uns! Bevor Frauen die Männer in die
Flucht schlagen, eine Technik, die Sie immer schon gut beherrscht
haben, schlagen wir Sie. Sie wollen zurückkehren dorthin, wo Ihr
Lauf begonnen hat, zu den Quellen, um sich zu waschen? Wenigstens die
Augen, die Ihnen heute wieder so weh tun? Nein, dorthin können
Sie nicht, dort stehen schon wir, endlos, in endloser Schlange, als
wärs ein Outlet, das aber Sie nicht mehr rausläßt,
nein, uns auch nicht, denn wir müssen uns ja selber erst das
Blut von den Händen waschen. So können wir unmöglich
raus. Zu Tiffany brauchen Sie übrigens gar nicht erst rein,
falls Sie das vorhaben, die machen Ihnen dort nicht einmal die Tür
auf, da steht ein Türhüter, und was der sagt oder tut, das
ist Gesetz, im Gegensatz zu uns, die wir uns jede Tür aufmachen
beziehungsweise uns aufmachen lassen. Das ist das Wesen der Wahrheit,
Wesen und Wahrheit gehören beide uns, wir bestimmen, was hier
wahr ist, und welches Wesen, das bestimmen wir auch! Haben Sie noch
nie gesehen, das Wesen? Das glauben wir Ihnen. Wie wollen Sie da ein
höheres Wesen sehen, wenn Sie nicht einmal dieses sehen? Um das
zu sehen, würden Sie eine Bestandsaufnahme brauchen, und die
verweigern Sie, Sie weigern sich, uns Ihren Bestand was?,
vorzuführen?, aufzurechnen?, darzulegen? Das Das und das Was des
Seienden? Sehen Sie, genau das wollen wir sehen! Sie können Ihr
Selbst gegen uns verwahren, Sie können sich selbst gegen uns
verwahren, das Verwahrte interessiert uns allerdings ganz besonders,
das wollen wir, grade das wollen wir, die Verwahrung Ihres Selbst,
die Verwahrlostheit Ihrer Unterwäsche, die in der Benommenheit
des Lebendigen gründet, ja, hier stehts, daß Sie so
benommen sind, daß Sie nicht einmal mehr Ihren Namen wissen,
Hauptsache, wir wissen ihn, das bleibt Ihnen unbenommen, daß
Sie nichts wissen, doch das, worin alle Aufregung und Erregbarkeit
sich vollzieht, all diese verschiedenen Formen des Dunkels und seiner
Entfaltung, das interessiert uns alles sehr. Dort wollen wir hinein.
Genau dort! Wo Sie nicht sind, aber zu oft sind, wie man uns von
irgendeiner Seite her erklärt hat. Was Sie sagen, kann gegen Sie
verwendet werden und wird gegen Sie verwendet werden. Diesen Satz
haben Sie doch schon hunderte Male gehört, wenn auch nicht
persönlich und nicht aus unserem Mund. Jetzt haben Sie ihn
gehört. Geht es Ihnen jetzt besser? Fein! Sie haben auch jeden
Grund dazu. Wir sind die Gewalt und haben die Gewalt, auch gegen
alle. Unterschiedslos gegen alle, das muß Sie doch trösten,
oder? Furchtbar unser Zorn, unser Eifer, keiner hat solchen Zorn wie
wir, vom Eifer müssen wir gar nicht erst anfangen, und dabei
verehren wir die Besitzenden doch! Die Gesinnung ist biegsam in
unsrer Brust, wir verfolgen den, den man uns bezeichnet, diesmal Sie,
ja, unser Herz nicht achtet der Billigkeit Ihrer Einrichtung und
Ihrer Unterwäsche, die Kleider schon teurer, unser Herz nicht
achtet Ihr Flehen und nicht Ihre Wut, wie die Berglöwen denken
wir nur Wildheit und von gewaltiger Kraft und trotzdendem Mute
gereizt – obwohl wir Mut bei Ihnen nicht feststellen können
– wild in der Sterblichen, also in Ihren Herd, dringen wir ein,
nicht, um ein Mahl uns zu erhaschen, nein, essen gehen wir nachher
zum Italiener unten, erbarmungslos wie der Peleide, ja, das sind wir,
so sind wir. Es geht jetzt gegen Sie, aber es könnte gegen jeden
anderen auch gehen, und auch zu einer andren Zeit, jede Zeit ist ja
unsere, wir machen da keinen Unterschied zwischen Ihnen und diesem
Brotbäcker, der seit Jahren Kakerlaken und Dreck ins Bäck
hineintut. Das ist gegessen und aus. Fertig, Schluß. Machen
wir. Wir machen Sie fertig! Wir verleihen Ihnen ein Schicksal, das
Sie nicht gehabt haben, seit Ihre Mutter verstarb, die sich Ihres
Schicksals immer angenommen hat. Danach zuviel Leere. Logisch! Sie
gehören zu uns, während eine Frau, die sich sowas gar nicht
vorstellen kann, wahnsinnig laut singt: Du gehörst zu mir!, ich
gehör nur mir!, du gehörst auch nur mir!, keine Ahnung, und
das ist nun wirklich etwas ganz anderes, ja, das ist eine neue
Erfahrung für Sie, nicht wahr, daß jemand Sie zum ersten
Mal seit Jahren für sich reklamiert, wo man Sie andernorts am
liebsten abstoßen möchte, abgestoßen von Ihnen,
dort, wo Sie gebürtig, wohin sie aufhältig, wo sie
auffällig geworden sind, nein, wo sie hinterhältig sein
können, so, wie Sie halt sind und soviel davon Sie wollen, das
haben Sie jetzt davon!, dort will man Sie nicht mehr, doch hier will
man sie schon, ist das nicht fein? Diese Stadt, ja, genau diese, lädt
Sie herzlich zu Ihrer Enteignung und zu diesem Glas Champagner und zu
dieser Platte mit Häppchen ein, darunter das fetteste Sie,
schmatz! Sie aber behaupten immer noch, wir können es schon
nicht mehr hören, Sie gehörten dorthin, wo Sie eine
geliebte Tote wären, allerdings nur wenn sie wirklich tot wären,
endlich tot, eine geliebtere Tote als hier. Stillen Sie die Klage
Ihres Jammers, trocknen Sie Ihre Tränen, weinen Sie über
sich selbst, dort, wo Sie gebürtig sind, will man das alles
nicht sehen, denen ist das egal, wir aber, wir sehen es gern, wir
sehen, daß Sie Ihren Mut verlieren, und das wollen wir, den
duldenden Mut verleiht den Menschen das Schicksal, und wir verleihen
es Ihnen, daß Sie Ihren Mut verlieren, vor uns, hier, vor uns,
genau da, verlieren Sie hier ruhig Ihren Mut, den brauchen Sie nicht
mehr. Der Gewinner macht die Maß, nein, das Maß voll, und
der werden wir sein. Wir sagen, was uns zusteht, und das nehmen wir
uns. Leugnen zwecklos! Sie sind doch die, deren Name an der Tür
steht, oder? Wollen Sie vielleicht beweisen, daß Sie wie Jil
Sander oder Dior oder Chanel oder Valentino und wie sie alle heißen,
wollen Sie ausgerechnet uns gegenüber behaupten, daß Sie
Sie gar nicht sind, ungefähr so, wie die alle gar nicht sie
sind? Da haben Sie sich aber geschnitten, Sie Kindermilchschnitte! Da
müssen Sie früher aufstehen oder eben noch ein Kind sein,
das nichts verdient und alles bekommt! Diese schönen Geschäfte
in dieser wunderbaren Straße müssen uns gar nichts
beweisen, die können sein, wer sie wollen, die können sich
nennen, wie sie wollen, so weit ihre Phantasie reicht, M. Dior und
Mlle. Chanel sind ja überhaupt tot, längst tot, doch sie
konnten ihr Gesicht wahren wie Hektor, von dem vorhin die Rede war,
mit der Götter und der Geldgeber Hilfe konnten sie ihre
Gesichter wahren, wie Hektor, der Götterfreund, sie wurden durch
den Dreck geschleift (oder auch nicht, also nicht jeder von ihnen),
doch die Götter haben nach langer Beratung entschieden, daß
ihre Gesichter wieder hergestellt werden, die Kasse der Götter
zahlt es, eine andre würde es nicht zahlen. Die Kasse der Götter
ist aber eine private Kasse, die zahlt mehr, die zahlt alles. Sie
haben das noch vor sich, daß Ihre Augenlider wieder hergestellt
werden, doch die Götter würden das schneller erledigen
können, und am Ende: Unversehrtheit, als ob sie nicht durch den
Dreck, den Schlamm, die Scheiße geschleift worden wären.
Diese lieben Gesichter dieser Labels, alle längst verblichen,
nur ihre Namen sind noch da, vollkommen unversehrt, wie das Antlitz
Hektors nach dem mehrmaligen Geschleiftwerden, doch da haben die
Götter kräftig dran mitgearbeitet und mitverdient. Die
schneiden bei allem mit, vor allem bei ihren eigenen Freveltaten, die
aber nicht zählen, weil sie eben von den Göttern kommen. So
auch wir. Zu Ihnen. Wir kommen von den Göttern, grüß
Gott. Die Götter haben diese Eintrittskarte in Ihre Wohnung
unterschrieben, es hat keinen Sinn, uns die Tür zu versperren,
kommen wir eben durchs Fenster. Und danach gilt nichts mehr, nicht
einmal der Tod in seiner verderblichen, quellenden Üppigkeit
gilt noch. Nichts gilt. Der Tod bietet sich dar, der schon, das macht
er immer so, doch keiner nimmt ihn, keiner will ihn. Der Tod gilt
nichts, wenn danach die Menschen ihr Gesicht nicht verlieren und
überhaupt aussehen wie immer, wie sie immer ausgesehen haben;
also kann sich jeder nennen wie sie, der Name ist frei geworden,
warum soll nicht ein Herr Lagerfeld Mlle. Chanel sein? Sehen Sie, er
kann! Und wir können Ihnen beweisen, daß Sie Sie sind,
auch wenn Sie behaupten, es nicht zu sein! Das steht hier auf dem
Zettel, den die Götter uns vorhin unterschrieben haben, da
Gefahr in Verzug war. Wir wissen nicht, welche, aber eine wirds schon
gewesen sein, Gefahr, Gefahr!, denn wer die Götter schmäht,
die zu seiner Hütte ihm kamen, der ist im Arsch. Zu dem kommen
dann wir. Wir haben hier Ihr Foto, wir haben Sie hier gesehen, wir
haben Sie hier liegen sehen, hier die Bestätigung, und der
Unterlegene wurde geschleift, nein, nicht geschliffen, durch den
Staub, den Sand, über den Asphalt dieser Straße
geschleift, so glatt, wie der aussieht, ist er nicht, der kann
ordentliche Schürfwunden verursachen, wenn man jemand wie einen
Sack Abfall drüberschleift, dann platzt der Sack auf, Folge:
noch mehr Dreck!, jedoch fein verteilt!, grausam seid ihr, o Götter,
euch sollte man einmal über diese Straße schleifen, euch
möchte ich sehen, wenn ihr die Hälse verdreht, ja, du,
Aphrodite!, du ganz besonders, obwohl du gar kein Gewand brauchst,
wie du den Hals nach Bottega Veneta verdrehst, weil du diese Tasche
haben möchtest, aber nichts da, doch!, sehr viel da, zuviel!,
während da ein Mensch über die Straße schleift,
geschleift wird, den man an seinen Rolls bindet und ihn dann
schleift, lassen Sie den Mann, der kommt später auch noch dran!,
wir können doch nicht alles auf einmal machen!, und schleifend
wird die Haut ihnen nicht verletzt, den Göttinnen sowieso nicht,
die veranlassen die Unversehrtheit des Hektor, die garantieren dafür.
Und auch Ihnen fügen die Götter Ihr Antlitz nach den
diversen Schleifungen wieder zusammen, das machen die!, sogar die
Wunde, die Speerwunde, die wir Ihnen zugefügt und die Sie im
Innersten getroffen hat, das wir durch diese Wunde auch noch
herausziehen konnten, das ging relativ leicht und war recht
praktisch, so eine Wunde, durch die man alles, was Sie hatten,
herausziehen konnte, so, und die Wunde schließt sich jetzt
wieder, wir haben ab 20 Uhr auch geschlossen, bis dahin können
Sie einkaufen bei uns, und dann gehören Sie uns und aus! Ja, das
sagen sie! So reden sie mit mir. Das würden sie mir sagen, wenn
ich sie hören könnte, wenn ich hier wäre! Und wie
gern! So, ich scheuche jetzt alle anderen Frauen der Stadt, weil ich
nichts andres zu tun habe, alle ohne Ausnahme, im gleichen Taumel des
Kaufenwollens, des Schauenwollens wie ich (nein, im Gegenteil, das
ist es ja! Es ist hier nie ein Wollen, und vielleicht ist das gut,
hier haben schon zuviele zuviel gewollt, jetzt sollte keiner mehr was
wollen, es ist immer ein Tun, darüber denken Sie jetzt nach, daß
das Wollen weg ist und alles immer gleich getan wird, wie es einem
einfällt!), ja, also ich scheuche diese Frauen alle, ohne
Ausnahme, im gleichen Taumel aus den Häusern, so wie ich in mich
zurückkehre und aus mir herausschaue, so schauen diese Frauen
jetzt in etwas anderes hinein, das macht den Unterschied!
Irgendwer
sagt folgendes zur Erläuterung des soeben Gehörten, einer
muß es ja sagen. Wenn sich kein Freiwilliger meldet, sage halt
ich es, sagt halt ein andrer es in meinem Namen, unter meinem Namen,
denn ich bin ich:
Achill schleift Hektors Leichnam um die Mauern
Trojas, am nächsten Tag noch dreimal um das Grab Patroklos'.
Apollon verhindert Verletzungen durch Einsatz des göttlichen
Schildes, Marke "Ägis". Als die Hera-Fraktion davon
Wind bekommt (Hera haßt die Trojaner, weil die durch den Raub
Helenas die hl. Ehe geschändet haben), macht sie Rabatz im
Olymp, worauf sich die Götter 9 Tage lang streiten. Erst ein
Machtwort des Zeus (der die Sache mit der Ehe nicht so eng sieht)
macht dem Streit ein Ende, und schließlich kann der Leichnam
Hektors völlig unverletzt an seine Familie zurückgegeben
werden, sogar die Speerwunde hatte sich geschlossen. Wie die
Lanzenwunde vom Amfortas leider nicht, die ihm der Klingone, nein,
Klingsor zugefügt hat, wir bedauern, den müssen Sie so
nehmen, wie er ist.
Doppelchor: (abwechselnd, ad libitum, kann auch durch andere verstärkt
werden) Ich schaue aus mir heraus und schenke mir keinen Glauben,
und auch sonst schenkt mir keiner was. Mir wird nichts geschenkt. Die
anderen schauen in etwas hinein und sind von ihren Einsichten
geschmeichelt. So sitzen wir denn, nein, nicht dann!, wann denn?,
unter grünen Tannen auf ungeschützten Felsen, so schauen
wir, ohne zu sitzen (gesessen wird woanders!), denn diese Stadt muß
noch bis zum bitteren Ende lernen, mag sie sich auch sträuben,
nein, im Gegenteil, diese Stadt muß unbedingt lernen, sich zu
sträuben. Aber in dieser Straße wird sie damit nicht
anfangen. Hier pulsiert das reine Leben, hier quillt das Geld aus den
Startlöchern, noch bevor es einen Schuß gehört hat,
mit Waffengewalt bringt es der Straße die Frauen wieder her,
und wenn sie sie aus dem Hotel der Vier Jahreszeiten herausprügeln
müßte. Wir versuchen, uns irgendwie zu benehmen, was aber
gar nicht nötig ist. Hier darf jeder rein, in die Geschäfte:
nicht jeder. Vieles ist auch verschlossen. Bitte klingeln Sie vorher!
Der Juwelier macht sonst nicht auf, denn er hat schlechte Erfahrungen
gemacht mit Menschen, mit Menschen sowieso, aber auch mit anderen
Menschen, die einfach so reingegangen, aber noch einfacher wieder
rausgekommen sind, allerdings nicht allein, sondern mit wertvollen
Waren beladen. Das reine Leben hier, das volle Menschenleben: rein!
Rein ins volle Menschenleben! Hier bitte. Unrein das Leben führen
geht nicht, das führt dann selbst woandershin, ins Nichts, wohin
es schon den nichtswürdigen Galliano geführt hat, der nicht
mehr schwärmt wie ein Falter, der nicht mehr herumschwärmt
wie ein Vogel, der zuviel zu tun hat, egal, das Schillernde ist weg,
denn sein Nest wird nicht mehr fertig. Ich sage: Er ist unschuldig,
das habe ich mit meinem Gott so abgemacht. Unendlich viel gäbe
ich, wäre er wieder im Geschäft. Die Leute hätten
lieber Opfer für seine Kleider bringen sollen, anstatt zornig
nach ihm zu treten. Alle in die Häuser und Ruhe jetzt! Da, ein
Haus, Prada, immer gut, nicht nur als Stätte des Augenblicks,
sondern als Stätte der Dauerhaftigkeit, das können Sie noch
nächstes und das halbe übernächste Jahr anziehen, bis
die Jahreszeiten einander überholt haben und das Gekaufte auch
überholt ist. Das Haus Prada hat eine Sonderstellung, weil ihm
alle anderen Häuser, die ich genannt habe, die aber anders
genannt werden, gehören, seit seinem Börsengang in Hongkong
2011 ein Rekordgewinn! Der Mailänder Konzern schloß schon
2011 mit 431,9 Mio. Euro Gewinn. Dafür ist Frau Prada noch sie
selbst, sie darf ganz sie selbst sein, obwohl der Gewinn sich aus
vielen zusammensetzt, die tun, was sie tut. Doch sie ist in dem, was
sie tut, ganz sie selbst, das tun viele, nur ist sie nicht ihr Haus,
ihr Haus sind viele, in ihrem Haus sind viele Wohnungen wie in meines
Vaters Haus nicht, das hat der immer nur behauptet, da war aber immer
nur eine Wohnung, grade nur Platz für uns drei Verdammte,
Verfluchte, die keine Mode gekauft haben, die keine schönen
Kleider gekauft haben, das war für uns überflüssig,
überflüssig, überflüssig, und gerade das
Überflüssige macht diese Stadt, diese Straße ganz
besonders, aus, ist doch gut, oder?, denn hier ist alles zuviel, und
alle haben von allem zuviel, schon bevor sie die Straße
betreten. Sie werden mir nicht zuviel, aber sie haben mir zuviel
voraus. Sie sind oft jung und können ruhen, ohne zuviel Zeit zu
verlieren. Wer ist noch auf der Straße, der schön ist, der
sich zurechtgemacht hat, viele!, alle sind auf dieser Straße,
schön und zurechtgemacht, vor allem eine Frau, die aussieht, wie
man selber niemals aussehen könnte, außer Frau Prada ist
mit einem ganz fertig geworden, diese wunderbare Frau, schnell
hinein, um ihr zumindest ähnlich zu werden!, keine ist wie sie,
sie sitzt ganz vorn an der Straße und spinnt ihr Haar, nein,
sie spinnt nicht, wo die Straßenbahn umkehrt, nein, nicht
umkehrt, sich kehrt, also sie macht so eine S-Kurve, und um nicht
überfahren zu werden, weil man sie zwar hört, aber nicht
sieht, die Straßenbahn, nicht Miuccia Prada, also deshalb muß
man schnell ins Geschäft hinein, aber ich trau mich nicht. Ich
traue mich da nicht hinein. Ich gehöre nicht in dieses Geschäft,
ich traue mich in dieses Geschäft nicht hinein. Nicht weil es so
groß wäre, im Gegenteil, es ist eher klein, das soll es
auch sein, man fällt als Lebende sofort auf, weil nur weniges
darin feilgeboten werden soll, und es soll noch weiter verknappt
werden, das Angebot, diese Tasche ist bereits ausverkauft, denn
künstliche, künstlerische Verknappung macht teuer, je
weniger desto teurer, was Sie hier sehen, ist bereits alles, was es
gibt, jedoch deutlich weniger geworden, bald ist es noch weniger, und
das wenige ist dann auch bald weg, und es gibt keinen Ausverkauf
mehr, es gibt nichts mehr in den Outlets oder auf der grünen
Wiese, nirgends gibt es Prada außer dort, wo sie das
miteinander abgemacht haben, die Frau mit sich selbst mit ihrem Mann
mit ihrem Konzern, durch nichts beeinträchtigt. Nur hier kriegen
Sie das. Oder, mir fehlt hier einfach der Grundbezug zum Lebendigen,
für das ich gewiß kein Beispiel bin, doch in diesem einen
Fall schon, wer sonst sollte mein Sein kennen als ich? Zum Beispiel:
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Menschen in einem
Chanel-Kostüm gesehen, außer mich selbst, zur Hälfte,
denn ich habe im Ausverkauf einmal eine Chanel-Jacke gekauft, und da
hängt sie jetzt immer noch, wo ich sie hingehängt habe, das
erste Hauptstück meiner Vermummung, diese Jacke, ich habe so
eine nur ein einziges Mal gekauft: eine Hockengebliebene beim Gebet,
Knien geht auch, Hauptsache, man sieht die obere Hälfte, und die
vestimentären Züge können, auf ihren Schienen
kreischend, schon abfahren. Ich habe diese Jacke einmal zu einer
Versammlung der Kommunistischen Partei getragen, doch diese Menschen
lassen sich nicht einmal von Millionen Toten provozieren, wie also
von einer einzigen kleinen Jacke? Um diese Menschen zu provozieren,
froh zu sein, bedarf es wenig, und wer froh ist, der ist König.
Hab mich gefreut wie eine Schneekönigin, da ich die Herkunft von
Herrschaft begriffen hatte und diese natürlich sofort ausüben
wollte, wenn auch unmerklich, denn die unmerkliche ist die wahre
Herrschaft. Frau Prada ist oder war oder wollte sein schließlich
auch einmal Kommunistin, da haben wir immerhin etwas gemeinsam, ja,
auch mit Kolumnistinnen, die sich wirklich gut mit Mode auskennen,
mich aber überhaupt nicht kennen, meine Schönheit, erworben
durch Kleidung, nicht erkennen, die haben doch keine Ahnung! Die
Kommunisten am andren Ende aber auch nicht. Das ist damals alles
verpufft, obwohl Provokation auf dieser Textilbombe draufgeschrieben
stand, mit so goldenen Knöpfen, in Blindenschrift, explodiert in
einem unmerklichen, nicht in einem gigantischen Verpuffungsvorgang,
weil die Kommunisten vielleicht schon gehört haben, daß es
Chanel gibt, sie würden es auch erkennen, wenn sie es sehen, das
Chanel-Kostüm, allerdings nur dann, wenn es wirklich aussieht
wie ein Chanel-Kostüm, notfalls auch an der falschen Person,
denn das berühmte rosa Chanel-Kostüm Jackie Kennedys war
nicht echt, mein Anteil am Kostüm schon, ihres nicht!, was nicht
heißt, daß es auch eins ist, wenn es wie eines aussieht,
es könnte gefälscht sein, man merkt das erst, wenn man
einen Ersatzknopf kaufen will, nichts ist so gefälscht wie ein
Chanel-Kostüm, fast immer, wenn Sie eins sehen, ist es falsch,
außer es ist echt, aber die in der Partei wüßten eh
nicht, welches Chanel-Kostüm wirklich von Chanel wäre. Nun,
mein Jäckchen wars wirklich, diebische Freude meinerseits,
obwohl ich es nicht gestohlen hatte, wir haben abgestimmt, agitiert,
Agitation geplant, die Toten trieben in mehrstöckigen
Ausflugsschiffen, nicht in Ruderbooten vorbei, wir haben Abstimmungen
geplant und durchgeführt, wir haben Strategien erarbeitet, die
genauso wie mein lächerlich aufgeblähtes Auftreten wieder
verpufft waren wie Knallgas, nur nicht so laut, kaum ein Lüftchen
in diesem Hauch, kaum ein Hauch in der Luft, da hält mein
Chanel-Jäckchen also wirklich länger als die Strategie der
kommunistischen Partei!, ja, ich habe mein Leben von der Seite der
Kennerin her geplant, ich habe es immer noch, die Kommunisten haben
ihre Strategie nicht mehr, die haben wirklich das vorgreifende
Festhalten am Beständigen und Anwesenden, für das sie sogar
eine Liste geführt hatten, geübt, diese
Gegen-Erscheinungen, die darin kulminierten, daß sie irgendwann
überhaupt nicht mehr erschienen sind. Mein Kostüm aber,
zumindest die Jacke, für unten habe ich nichts im Ausverkauf
bekommen, die Jacke besteht, es gibt sie immer noch, ja, die Jacke
kann man auch ohne Rock tragen, aber irgendwas sollte unten schon da
sein, wenigstens was Kleines, aber auch damit kann ich nicht dienen;
wir beide, die Kommunisten und ich, da ist eine wesentliche Kluft
zwischen uns, ein Unvermögen, das nicht von den Möglichkeiten
herkommt, denn die Kommunisten sind still, und ich bleibe auch zu
Hause, wir beide hätten viel mehr Möglichkeiten, doch wir
ergreifen sie nicht, der Fehler könnte sein, daß wir vom
Seienden immer als dem Vorhandenen gedacht haben, und daher haben wir
immer schlecht vom Seienden gedacht und wollten uns nicht
untermischen, dreinmischen, ja, vielleicht, meinetwegen, wir wollten
schon, es hat bloß keiner gemerkt, aber nicht drunter,
druntermischen wollten wir uns nicht, nicht hinein in die Menschen,
also nicht in jeden jedenfalls, diese Kluft haben wir beide gespürt,
die Partei und ich, eine Kluft, klaffend wie jede Herrschaft, doch
weder sie noch ich haben uns hineingetraut in diese Spalte zwischen
Herrschaft, die wir beide nicht als Notwendigkeit des Freien zum
Freien sehen konnten, unbedingt mußte das so gesehen werden,
doch wir haben nur Bedingtheit gesehen, und meine Abhängigkeit
war allein die von Kleidern, denn ich dulde Abhängigkeiten
überhaupt nicht, außer meine eigenen. Die Partei war auch
von irgendwem abhängig, ich erinnere mich nicht, von wem, aber
wer kennt sie, wer würde sie erkennen, wer würde Herrschaft
erkennen, wo er sie doch ausüben will?, dann ist sie leider
woanders, was, nicht einmal dann erkennt er sie?, was will er dann
üben?, wie will er Herrschaft üben, wenn keiner da ist, der
sich unterdrücken lassen will, na ja, aber hier steht doch, daß
die Größe von gewollter Herrschaft darin besteht, daß
sie keiner Macht oder Gewalt bedarf, um wirksam zu sein. Gut. Ich
erkläre mich einverstanden mit meiner Herrschaft, sehe aber die
noch nicht, die sich beherrschen lassen wollen. Ob die sich noch
melden werden, noch dazu freiwillig? Wer erkennt schon Herrschaft,
wenn er sie sieht?, wie soll er dann lernen, sich unterzuordnen?, im
Gegensatz zu diesem Kostümteil, das auf einem sitzt wie ein
Verhängnis, denn es war so teuer, wenn auch billiger gekauft,
und keiner erkennt es, jeder glaubt, es sei gefälscht wie diese
Sicherung, die der Herrschaft eingebaut wurde, dieser Schutzschalter,
der immer fällt, wenn die Herrschaft angetreten werden soll,
egal von wem, dann fällt der Schalter, und aus ist es, diese
Sicherung ist nur die Sicherung von Besitz vor Gewaltmöglichkeiten,
ja, Ihren Besitz können Sie sichern, klar, Sie können ihn
sich zur Sicherheit an den Hut stecken, aber Ihre Herrschaft nicht,
dazu bräuchten Sie eine zweite Sicherung, keine Ahnung, wo Sie
die herkriegen. Vielleicht ein Spieglein, nein, nicht an der Wand,
sondern vorm Mund, damit man sieht, ob das Opfer noch lebt? Meine
Kostümjacke von Chanel hatte ich gegen die Sicherheit der Partei
gesetzt, Herrschaft zumindest anzustreben, doch wenn sie nicht einmal
diese Jacke erkennen, wie sollen sie dann ihre Konkurrenten um die
Herrschaft erkennen? Daran, daß diese die Herrschaft noch haben
vielleicht? Stalin hat alle umgebracht, da waren auch die richtigen
drunter, die sich womöglich irgendwann auch selbst umgebracht
hätten, denen hat er die Arbeit abgenommen, doch wie sollten die
Genossen in ihren Wünschen nach Gewalt, wenigstens einem kleinen
bißchen Gewalt, ihre Aussichten auf die Möglichkeit von
Gewalt je erkennen, wenn Gewalt überhaupt nur gegen die eigenen
Genossen möglich war? Und ja, weil Sie fragen, was Sie natürlich
nicht tun, denn Sie haben es jetzt schon oft gehört: Die ganze
Zeit hatte ich bei der Sitzung, beim Verlesen der Satzungen, an die
sich keiner hielt, eine echte Chanel-Jacke an, sogar mit echten
Chanel-Perlenketten, also falschen Perlen, echt heißt falsch,
und man hat gesehen, das ist eine Chanel-Jacke, das Falsche daran ist
echt!, man hat aber nicht gesehen, daß es wirklich der obere
Teil eines Chanel-Kostüms gewesen ist, den Unterbau hatte ich
leider nicht. Für unten hatte ich nichts. Diese Leute hätten
vielleicht auch die Weltrevolution nicht erkannt, welche stattfand,
als Amerika die Rüstung der Sowjetunion so sehr übertroffen
hatte, daß deren Rüstungsausgaben den Staat dermaßen
fest eingerüstet hatten, daß er vor Schreck unwillkürlich
eingestürzt war, man erreicht immer das Gegenteil!, immer
dagegen sein!, macht ja nichts, der Staat sollte ohnedies absterben,
so war das ursprünglich geplant, aber bitte, doch nicht so!, ich
meine, nicht daß er so abstirbt, wie er abgestorben ist,
faktisch abstinkt, nicht abstirbt. Da habe ich aufs falsche Pferd
gesetzt, echt, viel zu lange, es hat jedenfalls gereicht, daß
ich mich jahrelang grandios und als Staatsfeindin gefühlt habe,
als die bestangezogene Staatsfeindin, und keiner hats gesehn! –
Ausnahme Miuccia Prada, aber nicht an mir! – keiner, wirklich
niemand! Und keiner hats mitgekriegt. Macht ja nichts, sie hätten
ja, eben!, sag ich doch!, auch die Weltrevolution nicht erkannt, und
wenn sie, auch wenn sie vor ihnen gestanden und ihnen ins Gesicht
gespuckt hätte. Egal, die Menschen wären immer oben
angespuckt und unten beschissen worden. Sowieso. Sie hätten sie
nicht erkannt, die Revolution, obwohl sie sie vielleicht sogar selbst
gemacht hätten, wenn man ihnen bloß erklärt hätte,
wie, na ja, auch dann nicht, und ich bin grundsätzlich gegen das
Selbstgemachte, zumindest gegen meins, das es nicht geben kann, denn
ich kann nicht nähen und auch sonst nicht viel. Sie hätten,
wäre die Weltrevolution vor ihren Augen herumgetanzt und hätte
mit den Armen in die riesige Menge, die gar nicht da war, gewinkt,
hallo, Lenin, siehst du mich, hallo, Trotzki, siehst du mich nicht?,
dann ist es gut!, dann bist du weit weg!, beide ebenfalls abwesend,
die Genossen hätten also diese Revolution in ihrem
Parteigebäude, das ihnen damals noch gehört hat, inzwischen
hat man nicht mehr viel davon gehört, und das Gebäu gehört
ihnen auch nicht mehr, vielleicht als eine Gruppe von Oppositionen
gesehen, die mit einer zweiten eng verwandt gewesen wäre,
nämlich den Sozialismus mit dem Kapitalismus, aber so eine
Opposition haben sie sich, obwohl sie ständig drin gelebt
hatten, gar nicht vorstellen können. Sie wären erschrocken,
hätten entdeckt, daß sie kein Geschick haben, für gar
nichts, und wären geflohen. Besser, man bleibt unter sich.
Mengen, Massen waren sie halt nicht gewöhnt. Soviel Opposition
war nie und kann nie sein. Menschen sterben, aber gewiß ist es
doch möglich, in einer seriellen Opposition zwei
entgegengesetzte Magnetpole zu unterscheiden, zum Beispiel eng/weit
in der Variante der Paßform eines Kostüms, oder arm/reich
in der Variante der Paßform für Menschen, auch an den
Pässen selbst kann man die Armen schon erkennen, auch daran, daß
sie neue wollen, gültige diesmal, daß sie woandershin
wollen, daß sie nicht bleiben wollen, wo sie sind, daß
sie etwas aus ihrem Leben machen wollen, was sie mit Kleidern sehr
viel einfacher könnten. Sie können sich ein Chanel-Kostüm
kaufen, damit aber nicht zu einer Parteiversammlung der KPÖ
gehen, nicht einmal in Teilen, ich meine nicht in Teilen des Kostüms,
obwohl ich selbst das schon getan habe, aber das wäre heute
kontraproduktiv, weil es Chanel noch gibt, sie ist jetzt ein alter
Mann, und die Partei gibt es nicht mehr; sie können von der KPÖ
wegkommen und sich dann erst das Kostüm kaufen, weil sie dann
weniger belastete Menschen wären und nicht mehr vom Haß
der übrigen Menschen verfolgt würden, so wie die Umwelt,
die Ärmste!, belastet, ja, so sagt man, die Umwelt belastet
wird, dauernd, die ganze Zeit, und zwar die ganze Umwelt, und zwar
von allen, das ist der korrekte Ausdruck, und ich bin immer für
Korrektheit, aber weniger belastet als andere, so bin ich auf ewig
belastet von dieser Partei, oder? Diese Belastung bloße
Behauptung vielleicht, oder? Vielleicht nicht? Die Sprache jedenfalls
isoliert diese kontrastierenden Termini Kapitalismus-Sozialismus,
Stillstand-Revolution, Kragen-kragenlos, weit-eng nicht völlig,
es findet keine völlige Isolation statt, die eh nicht möglich
ist, weil der Mensch ja nicht allein lebt. Der will so gern
angeschaut werden, und der Zuschauer soll nicht lachen, wenn er uns
anschaut, die wir schöne Kleider tragen, die immer irgend jemand
dann doch nicht schön findet, sondern vielleicht lächerlich,
wer lacht, hat recht, und dazu geht er in diese Straße, dieser
verlachte Jemand, ich nenne keinen Namen, auf die Straße in
ihrem hellen Sonnenglanz, wo das Licht mit seinen dünnen Trägern
spielt, an denen es sich anklammert, damit es nicht auf diese Straße
herunterfällt, ja, dort geht er hin. Das berühmte Licht,
das auf diese Straße fällt, schauen Sie und halten Sie
inne! Dort wird man garantiert angeschaut, dafür sorgt schon
dieses Licht, Sie brauchen sich nicht zu sorgen!, leben Sie und
setzen Sie ein, was Sie darüber sagen wollen, denn man kann nur
darüber sprechen oder schreiben, man kann jedoch nicht gelesen
werden, dazu reicht das Licht wieder nicht. Das Licht ist total
amorph, es hat keine Form, jedoch behauptet es sich tapfer, es
behauptet seine Form, die keine ist, es ist einfach überall, das
schafft die Mode nie, auch wenn sie selber möglicherweise sogar
manchmal einfach ist. Bitte, man kann besser gelesen werden, aber man
muß natürlich die Zeichen kennen, und die Zeichen hat die
Kommunistische Partei nicht erkannt, nicht rechtzeitig, und so ist
die Zeit an ihr vorbeigezogen und wurde zur neuen Zeit, in der diese
Partei total überflüssig wurde, von der Mode kann ich das
nicht behaupten, die Leute können nicht lesen, das ist das
Problem, sie können die Zeichen nicht lesen, und sie konnten es
auch damals nicht, als ich bei der KPÖ-Versammlung an meiner
Kleidung hätte gelesen werden können als der absolute
Abstieg, denn wenn Leute wie ich Chanel-Jacken tragen können,
dann ist dieses berühmte Kostüm, von dem wahrscheinlich
mehr Menschen gehört haben als vom Kommunismus, völlig
sinnlos geworden, und ich bins sowieso, immer schon, dann kann man
sich von niemandem mehr darin unterscheiden, wenn alle es tragen
können, sogar ich. Hier aber, hier aber bin ich richtig, hier
ist der Ort, hier ist der Platz, dort, am Ende, der Landtag, der noch
lang nicht am Ende ist, er ist hinter mir her, muß dazu aber
den Platz nicht verlassen. Da ist er natürlich froh und kann
auch andere froh machen. Hier ist alles, alles kann gesehen werden,
hier sind Sie, und dort oben ist das Licht, das wird noch gebraucht,
weil die Leute in dieser Straße besser lesen können als
andere, und sie können andre Menschen besser lesen, es ist auch
schön hell dort, heller als sonstwo in der Stadt. Die einen
Menschen lesen die andren, manche lesen die einen aus, bei den
anderen lohnt es sich nicht, sie lesen und lesen, das ist einmal ein
Mensch! Toll! Sakradi! Echt spannend! Schade, daß er schon zu
Ende ist, so schnell! Wer den wohl gemacht hat, obwohl er aus
Gegensatzpaaren besteht? Das muß ihn doch total aufgerieben
haben, als er noch gelebt hat, so viele Gegensätze in ihm, dem
Einzigen und seinem Eigentum, auch ohne sein Eigentum erhältlich!,
schade, jetzt gibt es ihn sowieso nicht mehr. Wir können ihn
nicht mehr studieren. So schnell vorbei, fast noch schneller als die
Mode gehen die Menschen. Wie sollen wir diesen einen hier, egal, wer
er ist, nur beschreiben, da wir ihn ja nicht mehr sehen, wie machen
wir das, außer wir führen eine normalisierende
Stufenfolge, was?, keine Ahnung!, für ihn ein? Das ist ein
Anfang. Aber die Reihe bleibt immer offen, die Reihen der Menschen
bleiben immer offen, sie verschwinden zu gehöriger Zeit, zu der
es sich eben gehört, zu verschwinden, weil einen keiner mehr
anschaut als Frau, ich meine, wie immer, das Gegenteil: weil einen
keiner mehr als Frau anschaut, präziser: einem ansieht, daß
man überhaupt eine Frau ist, jedenfalls nicht in meinem Alter,
keine Frau in meinem Alter sieht man noch als Frau an, das ist nur
ein Beispiel, das aber schon oft gebraucht wurde, nein, ich geniere
mich nicht, ich wiederhole ja Wichtiges; sie sind nie fest
geschlossen, die Reihen der Menschen, das ist vielleicht besser als:
offen, jedenfalls nicht so, wie die KPÖ sich das vorgestellt
hat, nein, das waren die anderen, die Gegner, die Feinde, wie man sie
nannte, obwohl es die damals schon nicht mehr gab, die sind das,
seine Feinde erkennt man immer, wie gut, daß man sie einmal
kennengelernt hat, gestatten: Feind!, die wollten die Reihen fest
schließen, SA marschiert, Waffen-SS marschiert auch, aber jetzt
nicht mehr, niemand, jetzt marschiert keiner mehr, diese Straße
ist nicht mehr fürs Marschieren geeignet, aber man könnte
schon, wenn man wollte. Da fährt die Straßenbahn durch,
nicht die Eisenbahn drüber, wo soll man da denn marschieren? Das
war früher. Jetzt wird nirgends mehr marschiert, die Orte dafür
werden immer weniger, die Reihen bleiben also immer offen – und
zwar offen für die Einfügung einer weiteren Stufe, bloß
ein Sättigungspunkt wird niemals erreicht. Die Leute hier, die
alle garantiert satt sind, das weiß ich einfach, ich sehe es
ihnen doch an!, doch die werden aber nicht satt. Sie sind es bereits,
sie sind längst satt, werden es aber nicht. Ihnen ist der Tisch
jederzeit bereitet und das Essen zubereitet. Die Formvarianten der
Kleider, die Sie hier bekommen, sind so vielfältig, daß
sie sie nicht alle kaufen können, aber die meisten davon kaufen
wollen. Sie wollen die Gegensatzpaare, sie wollen das Weite und das
Enge, jedes zu seiner Zeit, das Kurze und das Lange, jedes zu seiner
Zeit, den High Heel und den Männerschuh zu den japanischen Hosen
und Röcken, jedes zu seiner Zeit, wie ich zum Beispiel sie
trage, das eröffnet wieder eine ganz neue Welt, aber nicht
Ihnen, nein, das ist meine! Sie wollen alles, anstatt daß Sie
sich auf weniges konzentrieren und Ihrerseits Varianten dazu
erfinden, ich zähle es hier auf, was es alles geben könnte,
nein, das tu ich nicht, es geht nicht, ich habe schon viel zuviel
gesagt, und alles, was hier ist, ist auch viel zuviel!, ich kann die
Formvarianten, die möglich sind, auf keine Weise organisieren,
Organisation ist meine schwächste Seite, das haben meine Häscher
sicher auch schon festgestellt, als sie zur endgültigen Ordnung
schritten, und die heißt Tod, der wieder Auflösung bringt,
ach, es ist ein Kreuz! Ich stelle vor. Ich stelle nicht vor. Ich
stelle mich vor Sie hin und schreie, ich stelle was dar, aber nur für
mich, ich stelle mich vor, aber immer! Was ich auch tue, das machen
andre besser. Und gewiß sind die, die sich im Theater hier
vorstellen und dort etwas vorstellen oder gar eine Vorstellung geben,
sehr viel besser, als ich je sein könnte. Und am Ende sind die
Zusatzoppositionen, die ich Ihnen für die Kleidung bieten
könnte, es fallen mir eh nur wenige ein, aber trotzdem, am Ende
sind diese Zusatzoppositionen innerhalb ihrer Ausprägungen doch
wieder recht ansprechend ausgefallen, bloß lösen sie sich
auf, sie fallen aus, sie lösen sich zusehends auf, es hört
keiner zu, was man hier auf dem Theater mit einem Stück Stoff
oder einem Stück Mensch oder mehreren Menschen alles machen
kann, alles, was man überhaupt aus einem Stoff machen kann, wird
auch gemacht werden, alles, was man sich vorstellen kann, ist mit
Stoff und Leder und Pelz schon gemacht worden, alles gibt es, alles
gibt es! Wie soll man da noch Theaterstücke schreiben, wo es
doch alles gibt und alles auch noch zur gleichen Zeit, ich werde
wahnsinnig, alle Oppositionen und auch die Zusatzoppositionen, die
ich im Talon bereithalte, werden zersetzt, sie werden gründlich
zersetzt innerhalb der Termini, die mir dazu einfallen, leider nicht
viele oder zuviele, sie werden zersetzt, von mir selbst. Aber da kann
ich nicht ich gewesen sein, kann nicht ganz bei mir gewesen sein. Die
Oppositionen werden akkumulativ, das heißt, daß die KPÖ
zuviele Oppositionen hatte, um überhaupt noch existieren zu
können, sie wurde faktisch erdrückt, folgerichtig gab es
sie gar nicht mehr, auch als es sie noch gab; und wenn sie ein echtes
süßes Chanel-Teilchen nicht erkennt, dann darf es sie auch
nicht geben, was wollte ich sagen, also all die Termini, die mir aber
gar nicht erst einfallen, obwohl ich schon Tonnen von ihnen gelesen
und gelernt habe, sind nicht Stufen, sondern sie führen nur zu
weiteren Modalitäten, zu Aussagekräften, stärker als
wir selbst, bloß zerren sie in unterschiedliche Richtungen; sie
sagen uns aus, ja, sie uns!, diese Modalitäten sagen und saugen
uns aus, sie kommen nie dazu, auch nur in irgendein Verhältnis
miteinander zu treten, und da spreche ich noch gar nicht von
arm/reich, dick/dünn etc., obwohl das für Kleidung die
wichtigsten Kriterien überhaupt sind. Daran wird hauptsächlich
gemessen, wie man ausschaut! Die Verhältnisse stehen in einem
antinomischen, nein, in einem anatomischen Verhältnis
zueinander, ein Verhältnis zum nächsten zum nächsten.
Ja, die Verhältnisse gehen auch selber Verhältnisse ein.
Das können sie, wenn ihnen die Verhältnisse nicht gefallen,
in denen sie sich befinden. Die Anatomie entscheidet, rein der Mensch
allein entscheidet, das ist das einzige Gebiet, wo nur der Mensch
zuständig ist, also ich nicht. Er weiß, was ihm steht, er
weiß nicht, was er kann, aber er weiß, was ihm paßt,
und weiß er es nicht, muß man es ihm sagen. Will man ihm
sagen, was er können soll, reagiert er unwillig, das ist, als
schüttete man etwas Feuchtes über ihm aus, etwas Ekliges,
das dann an ihm runterrinnt, aber was ihm steht, das weiß er
selber, und weiß er es nicht, glaubt er es der Verkäuferin,
was bleibt ihm übrig. Was bleibt dem Menschen übrig? Und
wieso bin ich es, die übriggeblieben ist? Ich möchte noch
schnell was bei Jil Sander einkaufen, die Raf Simons heißt,
noch!, grade so eben noch!, aber schon wenn Sie dies sehen, wieder
ganz sie selbst geworden sein wird, sie wird wieder ganz sie geworden
sein, oder hab ich mich im Jahr geirrt?, aber da die Mode immer ihren
Schatten in die Zukunft wirft, oft ein Jahr und mehr voraus in die
Zukunft, wer weiß, ob wir da überhaupt noch leben, sehe
ich noch die nächste Winterkollektion von Raf Simons und kaufe
schnell, denn wer sagt mir denn, daß ich im Winter noch lebe,
ich kaufe sie also, obwohl sie noch gar nicht im Geschäft ist,
jetzt ist erst mal die Sommerkollektion dran, ja, jetzt, nein, nicht,
wenn Sie dies sehen, da ist der Sommer vorbei, die Winterkollektion
hängt im Geschäft, das Jil Sander heißt, es aber
nicht ist, ich sagte es schon hundertmal, und Sie glauben es noch
immer nicht!, nein, diesmal noch nicht, diesmal ist noch nicht
nächstes Jahr, ich überhole mich, werde ein Jahr jünger,
nein, natürlich älter, und zwar in einem einzigen Monat,
und schaue unwillkürlich nach, ob ich überhaupt noch lebe,
ich schaue, überzeugt von meinen inneren Gaben, ob auch für
diese noch Platz sein könnte, ob ich eine kleine innere Gabe,
eine Fähigkeit, eine Fertigkeit, irgendwas, das ich verfertigt
habe (nichts, denn ich habe noch nie etwas verfertigt, nein, halt,
ich habe Hosen für meine Plüschtiere gestrickt! Dabei hat
man mir geholfen, bei den komplizierteren Stellen, aber das meiste
habe doch ich getan, was habe ich getan?!), in diese Auslage legen
dürfte, bitte, nein, hier liegt nur, was der Mann verfertigt
hat, der Jil Sander heißt, es aber nicht ist. Genau wie die
Wirtschaft, und dies gehört ja alles dazu, da gehört schon
was dazu, einiges!, davon lebt, daß immer etwas drinnen ist,
das nicht das ist, was es zu sein behauptet. Das Wachstum wächst
nicht mehr, obwohl soviel da ist, daß es gar nicht mehr wachsen
müßte, wir haben kein Maß für unseren
wirtschaftlichen Wohlstand, wo bin ich, wo bin ich?, was rede ich
da?, ich habe schon ein Maß, und ich habe ein Maßband
dazu, und das sagt mir nichts Gutes, jedenfalls nicht über mich,
ich habe ein Maß, aber es ist kein allgemeines, obwohl es
allgemein gebräuchlich ist, denn es mißt den Menschen,
doch ihr Wohlstand kann gar nicht gemessen werden. Er kann jedoch der
Kleidung abgeschaut werden, der sieht man es an. Wenn ich nach dieser
Straße gehe, ich meine, wenn ich dieser Straße nachgehe,
nein, wenn ich sie einfach entlanggehe, wenn ich gehe und schaue,
dann sehe ich, daß es kein Maß gibt. Das Maß müßte
mit wirtschaftlicher Tätigkeit identisch sein, aber ich sehe
hier niemanden wirtschaftlich etwas tun, das passiert wahrscheinlich
woanders, hinter den Fassaden, hinter den Kulissen, hier, in diesem
Fall, vor den Kulissen, egal, eine Ausnahme!, was wollte ich sagen:
Und so gibt es kein Maß, es gibt kein Maß, an das wir uns
halten könnten, um tätig zu sein. Greifen wir auf
Sozialindikatoren zurück, um das Maß zu messen und
nötigenfalls zu verändern, damit es ein andres Maß
werden kann? Nein, wir greifen nicht auf Sozialindikatoren zurück,
obwohl hier viele im außerordentlich übersichtlichen
Dickicht der Straße herumliegen, die wir dafür verwenden
könnten. Wie können wir das Wohlbefinden messen? Na, meins
könnten Sie daran messen, wie mir diese flachen Schuhe mit der
dicken weichen Sohle, nein, nicht wie die sich befinden, das ist mir
wurst, sondern wie ich mich in ihnen befinde, und das ist ja auch
egal, Ihnen jedenfalls, nein, wie ich darin aussehe, nur das zählt.
Und wenn sie zu klein sind, weil die größeren zu groß
zwar nicht wären, zu groß aber aussehen würden, dann
müßte ich einen Sturzbach Wasser hineinschütten oder
irgendwas andres reinspritzen und sie sofort anziehen, dann passen
sie irgendwann, wenn man nasse Füße so lang aushält,
dann passen sie sicher, lieber das Kleine dehnen, als das Passende zu
groß aussehen lassen! Ach Gott, ich habe zu große Füße,
ein Unglück ist das, aber es gibt auch da Schlimmeres: zu kleine
Schuhe. Wo sind diese Indikatoren? Aha, da sind sie ja, Gesundheit
drückt sich durch Sterbeziffern aus (anstelle von Ausgaben für
Ärzte und Krankenhäuser, beide sind weit, so weit, die
Krankenhäuser jedenfalls, die Ärzte nicht, da sind sie ja,
da sind sie ja, Schönheitschirurgen drunter, soviel Schönheit,
wie die erzeugen, haben Sie noch nie gesehen und hat hier auch nicht
Platz, weil die Menschen, die dieser Kunst teilhaftig werden, sich
danach sofort wieder verteilen, über die ganze Stadt, sie
bleiben nicht in dieser Straße, die meisten bleiben nicht, was
bleibt?, niemand bleibt, aber die meisten kommen immer wieder zurück,
weil sie ihre neugewonnene teure Schönheit irgendwie auch wieder
verkleiden müssen, damit man sie entweder nicht mehr sieht, was
schade wäre, oder zur Geltung bringen kann, was wieder Geld
kostet, es kostet alles, es kostet uns alle was, es kostet uns alles
was), was haben wir noch, was haben wir noch für Indikatoren für
Wohlstand, komisch, daß sowas immer am Fehlen von etwas
gemessen wird, am schlimmsten Fall, Gesundheit wird am Tod gemessen,
Schönheit an Häßlichkeit, Zufriedenheit und
Sicherheit werden an deren Kehrwert gemessen, an Selbstmord- und
Unfallziffern, ja, da kann man das ablesen, nicht an
Sicherheitsvorkehrungen, die faktisch nicht zu messen sind, wo war
ich? Aber die Luftqualität wird nicht gemessen an den Menschen,
die röchelnd und blau im Gesicht, sich an die Kehle greifend, zu
Boden fallen, wir haben kein Maß, das ist es, wir können
die Luftverschmutzung nur an der Reiheit der Villen in Grünwald
abschätzen, die wieder abschätzig auf uns herniederblicken,
oder, Moment, jetzt muß ich fragen, wo die Leute wohnen, die
hier einkaufen können, ich kenne mich in dieser Stadt nicht so
gut aus, und an vielen Stellen bin ich überhaupt noch nie
gewesen, Bogenhausen, da bin ich schon gewesen, da hab ich sogar mal
zeitweise (nach meiner Zeitrechnung, nicht nach Christus, dem wäre
das gar nicht recht gewesen) gewohnt, ja, dorthin tragen die Frauen
ihre Kleider, und ich werde niemals ein Raf- Simons-Kleid, keinen
Mantel von ihm, keine Jacke, keine Schuhe von ihm tragen, obwohl ich
gerne würde, weil ich mich nicht in das Geschäft
hineintraue. Ich komme nicht über die Schwelle, ich leide unter
größter Schwellenangst. Andre eilen an mir vorbei,
trampeln über mich hinweg und schaffen dort im Laden dann
ordentlich herum, sie denken sich nichts, sie sind, sie sind einfach,
auch wenn sie nicht ganz einfach sind, sie stürmen daher, selbst
durchtost von den herzlichsten Gefühlen für diese
wunderbaren Stücke, die man hier findet, sie stürmen also
durch das Geschäft und tyrannisieren alle gemeinsam, nein, jede
für sich die Verkäuferinnen, die wiederum sie
tyrannisieren, indem sie ihnen immer zu kleine Größen
bringen und ihnen gut zureden wie Kleinkindern, das doch zu
akzeptieren, daß ihre Größe der Größe
dieser Kleider niemals entsprechen könnte, nein, so ist es
nicht, das ist keine anständige dichterische Sprache, die ich
hier spreche, das liegt daran, daß ich über diese Sachen
nicht ordentlich nachdenke und auch leider nicht ganz dicht bin, daß
ich überhaupt nie nachdenke, das Denken ist meine Sache nicht,
und meine Sachen sind sowieso inzwischen alle von der Obrigkeit
fotografiert worden, kein Denken dabei, nicht nötig, nein, halt,
das stimmt ja auch nicht, weil ich über nichts andres so
nachdenke wie über Mode, ihr gilt mein ganzes Denken, nur die
Mode ist ein Erfordernis für mich, nur sie kommt in Betracht,
ich bin eine ältere Frau, nein, schon eine alte Frau, und nichts
als Mode habe ich im Kopf, schrecklich, bitte widersprechen Sie mir,
damit auch ich endlich wieder weitersprechen, wenn auch noch nicht
zum Ende kommen kann, mit diesem Thema bin ich noch nicht durch, ich
hätte noch viel mehr zu sagen, wenn Sie mich nur ließen!,
Sie sehen es ja, daß ich rede und rede und nicht denke, das
hören Sie, aber das ist so ähnlich wie mit der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, der realistischen Schätzung
des Nationalprodukts, dem Maß für wirtschaftlichen
Wohlstand, den man, wie gesagt, nicht messen kann, obwohl man das Maß
ja hat. Ich habe auch mein Maß, ja, genau!, und manchmal nehme
ich etwas heraus aus dem Maß und halte das schon für
maßlos, ich habe meine Zeitlichkeit gemessen, bin brav immer zu
früh gekommen, nein, nicht dorthin, wohin Sie glauben, ich habe
den Raum an sich in Bezug auf meine Wahrheit gesetzt und mich
entschlossen, diesen Raum nicht mehr aufzusuchen und lieber zu lügen,
zu tun, als wäre ich dort gewesen und auch noch zur rechten
Zeit, was nicht rechtzeitig bedeutet. Hier soll nie vom Nichts die
Rede sein, sondern immer vom Etwas, das sich gegen das Nichts
sträubt, während ich mir das Maßband anlege, was mir
nichts nützt, da ich mich ja schon zum Tod hin auflöse. Ich
weiß einfach, was mir paßt, doch es ist das, was mir
früher schon nicht gepaßt hat, jetzt aber schon gar nicht
mehr, wozu das alles?, ich vollziehe doch schon den Marsch in den
Tod, bin schon gestartet, aber auch dabei will man noch gut aussehen,
oder? Doch ich kann zu diesem hell durchsichtigen Mantel von Raf
Simons nicht gelangen, und er kann nicht zu mir gelangen. Ich wollte,
er streckte wenigstens die Ärmel nach mir aus, von sich aus, von
mir aus sowieso, hier ist er ja, ich kann ihn sehen, er hängt
direkt vor dem Schaufenster, aber nicht einmal vor das Schaufenster
wage ich mich wirklich, man könnte mich ja von drinnen sehen,
man könnte mich beobachten, man könnte mich verspotten,
weil ich so oft schaue, aber nie reinkomme. Die lachen sich dort
drinnen kaputt über mich! So außergewöhnliche Beute
vor Augen und wagt sich nicht hinein! Am besten man windowshoppt am
Sonntag, da ist keiner drinnen im Laden, der einen sehen könnte,
nur die wunderbaren Waren sind da, sie sind heute ganz allein, wie
gern leistete ich ihnen Gesellschaft, an diesem Tag können sie
sich gegen uns nicht wehren, wir können ihnen aber auch nichts
anhaben, wir können sie frühestens nächste Woche
anhaben. Wir können sie nicht wie Jagdtrophäen anlegen, wo
sie sich doch nicht wehren können! Wir können ihnen am
Sonn- und Feiertag, wenn das Geschäft nicht geöffnet ist,
nicht antun, sie mit unseren häßlichen Körpern zu
verunstalten, wir können ihnen nichts tun. Na ja, meine Gestalt
ist vom Alter noch nicht allzu sehr verunstaltet, nur ein bißchen,
nur altersgemäß, steht in diesem medizinischen Befund,
aber ich kann da in den Laden nicht reingehen, man müßte
mich wie ein Pferd an einem Halfter über die Schwelle zerren,
und so wollte ich schon gar nicht hinein. Ja. Sonntag. Ich stehe und
schaue, man sieht nicht sehr viel, weil die ja für ihre
Schaufensterpuppen, wahrscheinlich damit man ihnen nichts abschaut,
den Puppen, die auch wunderbare, einmalige Sachen anhaben, die es,
wenn man Glück hat, auch in verschiedenen Größen
gibt, die also einen Hintergrund benötigen, und so ist der
größte Teil des Fensters mit einem Hintergrund versehen,
einer Art Blende, die gar nicht nötig wäre, denn ich bin ja
schon geblendet!, daher führt mein Versehgang, nein, auch nicht
versehentlich kann ich hinein, was auch meinen Wünschen
entspricht, nein, doch nicht, wär schön, wenn ich als
einzige hineindürfte, keine Verkäuferin wäre da,
Selbstbedienung, der Tod bedient sich schließlich auch an uns,
warum sollten wir uns nicht wenigstens bei der Umhüllung selber
bedienen dürfen?, doch das Geschäft ist zugesperrt, bei
Eintritt wird alarmiert, so führt mich kein Gang dort hinein,
auch keiner, bei dem ich mich selbst mit Kleiderproviant versehen
könnte, denn unversehens würde ich da nie hineinkommen, es
wäre kein Versehen, es wäre im Gegenteil ein furchtbarer
Willensakt, einer, der zu groß für meinen Körper ist,
mit Sicherheit ist, mich dort über die Schwelle zu schleppen,
wenn es kein andrer tut, und dann muß ich ja die Tür auch
noch aufmachen. Das geht nicht, selbst wenn sie offen ist. Was,
teilnehmen soll ich, ich Unglückselige?, an meinem eigenen
Versehensgang teilnehmen? Wo ich doch sein Ziel bin! Das kann nur ein
Versehen sein. Das ist ein Akt, der große Kraft und größere
Willenskraft erfordert, als ich habe. Ich kann dort einfach nicht
hinein. Dabei wäre es so einfach! Ich habe solche Sehnsucht nach
diesen Dingen dort drinnen, aber ich bin unfähig, sie mir zu
verschaffen, damit ich ein schönerer Mensch werde, denn davon
bin ich fest überzeugt, daß sogar eine alte Frau wie ich
ein schönerer Mensch würde unter diesem Regenmantel und
auf, nein, in diesen Schuhen, die einen erheben und die Beine länger
aussehen lassen, das ist gut, wer will das nicht, ich will das ganz
besonders, meine Beine können jeden Zentimeter Extralänge
gut vertragen, im Gegenteil, sie schrieen danach, wüßten
sie, daß man sie so einfach verlängern kann, durch eine
Plateausohle, durch eine weiche, biegsame, flache, wenn auch hohe,
ich meine dicke Plateausohle, nein, biegsam ist die nicht, da kenn
ich mich aus. Mir sind im Sommer ein Paar Plateausandalen an den
Füßen einfach zerbrochen. Sie sind mir in Stücken von
den Füßen gefallen. In meinen Stücken ist das noch
nie passiert. Dennoch will ich diese Schuhe als Beute erjagen. Jeder,
der mir diese Schuhe bringt, bekommt von mir eine kleine Prämie,
jeder, der sie mir herausbringt, die Trophäe, jung und ganz neu
wie zwei Kälbchen, je eins für jeden Fuß, dem runde
ich den Betrag, den die Schuhe kosten, ordentlich auf, aber schon so!
Alles ordentlich, mein Lieblingswort, und trotzdem immer und überall
passend wie diese Schuhe vielleicht nicht, denn nehme ich sie in
Größe vierzig, dann passen sie nicht, nehme ich sie in 41,
dann passen sie zwar, schauen aber zu groß aus, wie diese
Dinger, mit denen man den Asphalt zu einer flotten graden Linie,
Blödsinn, zu einer glatten, ebenen Fläche preßt, über
die die Jägersleute in ihren Autos rasen können, ohne daß
sie zu hüpfen beginnen wie die Mänaden im Wald. So. Ich
gehe hier nicht weg. Ich mache mir Begriffe von diesen Dingen,
anstatt daß ich mir die Dinge selber nehme. Diese Begriffe
machen mich sprachlos. Je mehr Begriffe desto sprachloser. Ich kann
nichts beschreiben, was ich hier sehe, weiß aber, daß für
diese moderne Kleidung, die aber nur kurz modern sein wird, die
eigentlich schon verfallen ist, wenn sie in den Laden kommt, der
Begriff Paßfähigkeit, nein, Paßform, also die
Ausstellung des Passes, nein, falsch, die Ausstellung der Paßform
nach einer Abmagerungskur, die nicht lang wirken und währen
wird, egal, daß dieser Begriff nicht mehr paßt, der noch
vor fünfzig Jahren irgendwie gepaßt hat, aber damals schon
nicht mehr richtig. Der Begriff Paßform paßt auf keine
Form mehr und in keine. Ob etwas paßt, ist völlig
gleichgültig. Es tritt einer auf und kennzeichnet unser
Zeitalter, das dann für sich selbst spricht, aber erst, wenn es
den Einsatz bekommen haben wird, das kann dauern, ja, sogar der Zeit
selbst muß alles angesagt werden, der Ansager spricht es ihr
aus seinem hohlen Mund heraus vor, dann darf die Zeit sprechen und
dann wir. Wir sprechen es nach und sind in unserer Sprache vollkommen
allein, isoliert, schallisoliert, wir sind in uns eingeschlossen, man
hört uns nicht mehr, weil es keine Ausdrücke gibt, keine
Worte, keine Sprache für diese Dinge, zu denen ich persönlich
ja schon immer einen nichtsprachlichen Ausgang, ich meine Zugang
gelegt, gewählt hatte. Was für eine Erlösung, nicht
sprechen zu müssen und freigesprochen zu sein, da es gar keine
Sprache dafür gibt! Eine Erlösung! Es gibt keine Sprache
mehr für etwas, endlich! Einmal über etwas nicht sprechen
zu müssen, das meine ich! Nicht weil ich es nicht kann, sondern
weil niemand es kann. Obwohl, über etwas nicht zu sprechen, von
dem man nicht sprechen kann, das ist kein Verdienst, und meinen
Verdienst will ich ja in noch mehr wunderbare Teile investieren. Wenn
schon mein Sein zum Tode hineilt und in dieser Eigentlichkeit das
Selbst des Daseins zu übernehmen verpflichtet ist, dann soll
dieser Vollzug, nein, dieser Anzug, dieses Kostüm, dieses
Was-Es-Halt-Ist, das ich mir ausgesucht habe, auch wirklich notwendig
sein (obwohl ich nichts davon brauche, ich habe ja alles! Ich habe
sogar zuviel davon, aber ich habe nie genug davon! Und ich habe auf
alle Fälle immer schon etwas ähnliches wie das, was ich mir
kaufen möchte, aber das ist mir ganz egal), im Umkreis der
Aufgabe der Grundsteinlegung wirklich nötig sein,
Entschuldigung, der Grundlegung der Frage nach meinem wirklichen
Sein, das unter Tonnen von Stoff begraben ist, damit man es nicht
sieht, die wäre wirklich dringend nötig, es zu verbergen,
jetzt, da ich bald sterben werde, aber keine Spur davon, der Tod
findet einen immer. Ich frage nicht. Frage nicht! Nicht einmal ich
selbst möchte das sehen. Was sehen? Diese Teile, die eben: Teile
sind, die sich nicht zusammensetzen lassen, obwohl ich sie dauernd
phantasievoll zusammenstelle, für wen?, für was?, für
nichts, die verstellen mein Sein, aber ich sehe das nicht als
Verstellung. Ich meine, ich verstelle mich selbst, tu so, als könnte
ich leben – aber vor wem?, ich sehe ja niemanden! – und
diese Fetzen wie selbstverständlich herumtragen, aber nein.
Diese schönen Kleider machen mich sprachlos, obwohl ich
stundenlang über sie sprechen könnte und das auch tue, Sie
hören es ja selbst. Ich habe eine Sprache für sie erfunden,
und daher versteht sie außer mir keiner. Es ist auch nicht die
Sprache der Modezeitschriften, die ich schon verstehe, ich verstehe
die Sprache der Vogue schon irgendwie, obwohl sie Italienisch ist,
mit irgendeinem Sinnesorgan, das mit Sprache nichts zu tun hat, aber
Sprache doch verdauen kann, notfalls, wie ein Asiate, der keine Milch
verträgt, sie auch irgendwie runter- und wieder rausbringt, wenn
auch vielleicht zu schnell, was wollte ich sagen, ich habe eine
Sprache, leugnen Sie es nicht!, können Sie auch gar nicht!, es
ist meine, und nur sie paßt auf diese wunderbaren Stücke
(Teile sagen die Menschen, die niemals teilen würden, aber es
sind keine Teile, das ist ein Wort, das ich ganz besonders hasse und
gegen seinen Willen verwende, denn es haßt mich auch). Sie
können doch nicht Teil zu diesem herrlichen Regenmantel von Raf
Simons sagen!, nein, zu diesem lustigen Kapuzenpulli auch nicht, der
den 50er Jahren nachempfunden ist und den Kopf quasi an den Hals
annäht, zusätzlich, denn dort ist er ja schon angewachsen,
doch jetzt hält er doppelt, er ist einer vergangenen Zeit
nachempfunden, weil immer irgendwas irgendwas anderem nachempfunden
ist, sonst würde man es nicht erkennen, nur keine Sorge,
Originalgefühle sind ja längst nicht mehr erhältlich,
Sie müssen nie etwas empfunden haben, um nachempfinden zu
können!, nur keine Sorge, es verlangt niemand Empfindungen von
Ihnen, Sie müssen auch nicht sehen, daß dieser
Kapuzenpulli und die Keilhose (endlich gibt es sie wieder! Ich habe
meine alten aufgehoben und von einer Sammlerin sogar welche
dazugekauft, weil diese Keilhosen einfach großartig sind und
jeder Figur schmeicheln, vor allem einer, die es nötig hat, auch
wenn sie das gar nicht weiß; das sind Schmeicheleien, auf die
Sie hören sollten! Tun Sie eh, ich weiß, am liebsten hören
auch Sie, wie jeder Mensch, auf Schmeicheleien), also hören Sie
zu, was diese Hose in dieser Form und keiner anderen Ihnen zu sagen
hat, denn in einer andren Form würde sie zu Ihnen sagen, daß
sie unerträglich um den Bauch und die Hüften spannen, die
beiden, am Arsch sowieso, wo haben Sie dieses Waffengerät Arsch
denn gekauft?, und vor allem: warum? Bei einem Waffenschmied?,
überflüssiges Jagdgerät das, denn er wird Sie trotzdem
ficken, er braucht Ihren Arsch ja nicht anzuschauen, dort geht es
rein und wieder raus und aus. Diese Spannung – unerträglich!,
das schaut ja entsetzlich aus, jeder fällt tot um, sofort, wenn
er das sieht, aber diese Keilhose ist eine Schmeichlerin, ein weiches
Tier, ja, genau, ungefähr so wie ein Fell, ein zarthaariges
Haupt, eine Kalbsmähne, so ungefähr, der Dichter sagt es
vor, ich sage es auch, aber danach, später, hinterher. Schön.
Sie schmeichelt Ihnen, genau wie der Pulli, Sie können beiden
ruhig zuhören. Es wird Ihnen nichts sagen, denn die sind stumm,
die sprechen nicht, aber schmeicheln, das können sie, sich
anschmiegen, ich sage es noch einmal: Was? Teilnehmen soll ich? Das
kann doch nicht Ihr Ernst sein! Ich? Wenn Sie ein Gespräch
wollen, halten Sie sich an mich, ich erkläre es Ihnen, auch wenn
es nicht ernst sein wird! Diese Hose oder keine! Gut, dann also
keine, denn in meiner Größe gibt es sie leider nicht. Habe
ich nicht vorhin gesagt, daß die Paßform unwichtig
geworden ist? Ja. Und dazu muß ich jetzt natürlich stehen.
Aber rein muß man trotzdem. Was tun, wenn ich nicht reinkomme?
Das sage ich nicht. Doch wenn man irgendwo nicht reinkommt, dann
bekommt der Begriff Paßform vielleicht eine ganz neue
Bedeutung, da der Körper diesem Kleidungsstück ja nicht
wirklich paßt. Wenn man steht, sieht man größer aus.
Wenn man sitzt, sieht man die Schwachstellen erst recht. Also stehen
oder sitzen Sie nicht! Was Sie sonst machen, geht nur Sie und Ihre
Kleidung was an. Ich weiß nicht, was ich Ihnen wirklich
empfehlen kann: stehen oder sitzen. Fragen Sie doch die Hose! Die
wird Ihnen auch nichts sagen. Und auch ich weiß es nicht, ich
weiß es nicht, ich eile und kaufe mir noch was, bevor sie
wieder sie geworden sein wird, Jil Sander, bevor das Schild über
dem Schaufenster wahr geworden sein wird, bevor noch jemand, der Sie
in dieser Hose sieht, noch sagen wird: Das kann doch nicht wahr
sein!, bevor sie in ihren Namen hineingefallen sein wird, die Frau
Jil Sander, die wirklich so heißt und auch so aussieht, in
deren Sachen ich so gern begraben sein würde, noch ist es
allerdings nicht soweit, leider, bitte warten Sie, Frau Sander, aber
ich würde im Tod nicht mehr gut aussehen, und vielleicht wollen
Sie ja nicht, daß ich im Sarg Ihre Sachen trage, ich bin keine
dreißig mehr, und wenn ich tot bin, bin ich wahrscheinlich noch
älter als jetzt, wissen kann man es nicht. Ich werde dann nicht
besonders gut aussehen, so wie ich im Leben nicht so wahnsinnig gut
ausgesehen habe, nicht so gut jedenfalls, wie ich gewollt hätte,
leider ist das keine Willenssache!, man sagt es mir oft genug, daß
ich furchtbar aussehe, all die Poster in den lieben Zeitungen
schreien mich an, wie furchtbar ich aussehe, eine alte Frau, also
nein!, weg da!, das halt ich nicht aus, und die Frisur: also nein!,
das Make-up: also nein! Dieses T-Shirt: also nein! Nicht wirklich!,
ist das Ihr Ernst?, weg von der Straße!, aber ich muß mir
jetzt etwas kaufen, bei Raf Simons etwas kaufen, bevor dieser Name,
sein vorübergehender Name, denn auch Namen gehen vorüber,
und nicht nur im Tod, sie gehen vorüber wie bedeutende Menschen,
die man nicht rechtzeitig erkennt, es geht alles vorüber, aber
in der Mode werden manchen sogar ihre Namen noch entrissen, aua!,
bevor also dieser Name dieser Frau, von der ich mir kein Paar
Strümpfe kaufen könnte, sie macht nämlich keine,
wieder auf sie zurückgefallen sein wird, was ich nicht sehen
möchte, bevor sie wieder ganz sie selber sein und ihre schönen
Kostümchen und Mäntelchen und Jäckchen gemacht haben
wird, aus erstklassigem Material, selbstverständlich, das ist
die Hauptsache, das Material, aber es versteht sich nicht einmal
selbst, erstklassig!, daß es Klasse hat, das verlangt die
strategische Stellung der Mode, daß hier alles erstklassig ist,
bevor sie das alles machen kann, schaue ich bei dem vorbei, der jetzt
noch ihren Namen trägt. Bald trägt er einen anderen und ist
in einem Geschäft erhältlich, in das ich schon gar nicht
hineingehen werde. Dior. Nein, das ist nichts für mich, auch
wenn es von jemand anderem ist, für jemand anderen. Woanders
nicht, aber hier schon. Keine Ahnung, was ich damit meine. Hier ist
auf jeden Fall die Erste Klasse des Lebens, und da muß man dann
immer soviel lernen, was man nicht tut, was man trägt, was man
zu ertragen hat, das erfährt man aber nicht, man bleibt
sozusagen in der Erstklassigkeit stecken, die meine Mama auch immer
für mich vorgesehen hatte, doch dort kommt man nie wieder raus,
wenn man mal drinnen ist. Das muß man aushalten. Ja, auch aus
dieser Hose, aus der kommt man auch nur schwer wieder raus. Wie im
Alter. Da kommt man schon gar nicht mehr raus. Ich bin schon älter.
Nein, ich bin alt. Wenn ich sage, ich bin alt, dann bin ich es. Wenn
ich sage, ich bin schon älter, dann heißt das nicht, daß
ich älter als alt bin, sondern, im Gegenteil, daß ich noch
jünger bin als alt, noch nicht ganz alt. Hoffentlich! Die Zeit
läuft jetzt rückwärts, endlich auf mich zu, vielen
Dank!, der modische Zug kommt von hinten, manche springen auf, einige
ab, der Zug kommt und fährt weiter, die Merkmalszüge fahren
auch weiter, es entsteht eine analytische Einheit, im Erfahren eine
Einheit, obwohl so vieles so rasch vorbei ist, manches nimmt man gar
nicht wahr, manches dauert nicht einmal eine Saison, die Saison
selbst dauert ja nicht mal mehr eine Saison, oder doch?, habe ich
falsch gerechnet?, denn wenn der Winter schon im Juli beginnt und im
Jänner endet, dann ist die Saison deswegen doch nicht kürzer,
oder? Das alles erfahren wir sozusagen im Vorüberrasen,
vielleicht ist jetzt schon ein Jahr später, und wir wissen es
nicht, sogar Sie werden schon gehört haben, daß die Zeit
so schnell dahinrast!, so, und das Besteck schmeißen Sie
einfach aus den Fenstern des Zuges, es ist der Zug der Zeit!, haben
Sie das gesehn? Und irgendwer wird es schon aufheben, nein, halt!,
ich fange es auf, ich brauche es, sonst könnte ich die Masse der
Aussagen der Modezeitschriften gar nicht mehr bewältigen, denn
es gibt eine Einheit der Gattung wie es eine Einheit der Varianten
gibt, was soll das? Ich brauche einen methodisch geregelten
Überblick, den mir ein fahrender Zug der Zeit kaum bieten wird,
er wird mir keine Zeit dafür lassen, er entscheidet das, er ist
ja die Zeit! Er wird mir vielleicht einen Raum eröffnen, indem
er brutal in ihn hineinfährt, aber keine Zeit dafür lassen,
nein, ich meine nicht, er wird mir dafür keine Zeit lassen,
nicht dafür, sondern dafür im Sinne von statt dessen, dafür
was andres, ich habe das, dafür geben Sie mir jetzt was anderes,
und zwar schnell! Gut. Der Zug der Zeit ist inzwischen (auch über
das Inzwischen kann er ja bestimmen) mit vestimentärer Substanz
gesättigt, das ist schön, das ist schön. Überhaupt
sollen alle satt werden, das will ich! Nicht der Sinn kommt in die
Welt, sondern die Welt geht in den Sinn ein, weil er das einzig Reale
ist, und es macht Sinn für ihn, als Mode aufzutauchen. Als Mode
in der Welt zu sein, und zwar genau hier, in dieser Straße, es
gibt keine andre, die das leistet, und keine andre, wo Sie sich das
leisten, was Sie sich nicht leisten können. Er könnte auch
in andrer Form auftauchen, der Sinn, ich sage nicht, welcher. Aber
ich finde es am besten, wenn der Sinn von alldem in Gestalt von Mode
auftritt, das ist eine Sprache, in der ich mich orientieren kann, so
unversehens rausgeworfen aus dem Zug der Zeit und für diesen
Versehgang bereits vorab angemeldet. Der Geistliche macht schon
Überstunden. Das Geistige macht gar nichts. Macht ja nichts. Und
keine Möglichkeit, wieder auf den Zug aufzuspringen, der ist
jetzt weg. Wer draußen ist, ist draußen. Ich umklammere
meinen Speicher, mein Gedächtnis, was ich schon alles gesehen
und woraus ich auswählen kann, das Dicke und das Dünne, das
Fadenförmige und das Gemischte, manches schließt einander
aus, ich schließe es absolut aus, einmal ein tief
ausgeschnittenes Kleid zu tragen, obwohl ich es mir leisten könnte,
glauben Sie mir, ich habe einen schönen Oberkörper, immer
für mein Alter gerechnet, wie dieser Röntgenbefund aussagt,
und die MRT sagt genau dasselbe!, die sind sich einig, ich bin zum
Tragen dieses Oberkörpers berechtigt, zumindest als ich das
letzte Mal nachgeschaut habe, hat man mir das versichert, aber
versichern würde man ihn nicht mehr, ich meine bei allem, was
ich sage: immer mein Alter mit eingerechnet, und eigentlich ist Mode
ja Rechnen. Es rechnet in ihr immer eins mit dem anderen und wird
dabei oft fallengelassen. Aufgerundet oder abgerundet, wie der Körper
nicht, auf den hat man, egal, was man Ihnen sagen mag, nur wenig
Einfluß. Es gibt bei der Kleidung Verknüpfungen von
Gattung und Variante, die generell ausgeschlossen sind, zum Beispiel
summ summ summ, Bienchen summ herum, summa sumarum schließt ein
fadenförmiges Element wie Spaghettiträger (würde ich
niemals tragen, habe ich früher, mach ich nicht mehr, obwohl ich
könnte, man kann alles, wenn man nur will, man sollte es aber
nicht tun) die Variante der Form aus, weil ein Faden keine Form haben
kann, nicht wahr, klar. Frau Spinne wird jetzt beleidigt sein, doch
ich sage, ein Kreis kann nicht lang sein. Eine Länge kann kein
Kreis sein, und so schließt sich der Kreis, ohne je einer zu
sein. Was aber für alles gilt und alle, glauben Sie mir, ist,
daß der Mensch dem allen erst seine Form verleiht. Wenn Sie
drinnen sind, ist schon eine gewisse Form entstanden, mit der Sie
aber, wetten?, nicht zufrieden sein werden. Die arme Kleidung! Was
die aushalten muß, was man der an den Kopf wirft! An allem soll
sie schuld sein. Auch an Ihnen selbst. Wenn das Zeugs am Boden liegt,
hat es keine Form, nicht wahr, doch wenn Sie es anhaben, dann ist die
Form dieses Formlosen schuld an Ihnen, an Ihrem Aussehen, das
ebenfalls keinerlei Form erkennen läßt, ja, das gilt auch
für Strümpfe, und wieso halten diese Halterlosen eigentlich
nie, wieso rutschen die auf mir herum? Aber gehen wir fort, ohne
weiterzukommen, werfen wir uns das Fortlose, das Formlose über
und folgen wir uns, die wir uns in der Mode gern selbst vorausgehen.
Holen wir uns ein, holen wir die Netze ein, betrachten wir den
heutigen Fang, er gleicht einem wilden Tier mit seiner Mähne!
Hier steht, eine Jacke kann nicht durchsichtig sein, weil sie zum
Schutz dient. Das ist lang vorbei, obwohl es ja noch den Regen gibt,
aber der muß nichts von uns sehen. Ich habe schon Hunderte
durchsichtige Jacken gesehen, das ist gar nichts, hier ist schon
eine! Sie ist ein Mantel und von Raf Simons. Wenn ich etwas möchte,
dann den. Ich werde ihn aber nie bekommen, weil ich nicht in das
Geschäft hineingehen kann, das würde von meiner optimalen
Freiheitsmarge zuviel abziehen, ich könnte auf diese Weise
niemals mit mir handeln. Ich könnte mir sagen: Wenn du dort
jetzt hineingehst, und der Mantel paßt, dann kannst du dich für
dein Hineingehen belohnen. Paßt er aber nicht (oder gefällt
er mir, was wahrscheinlicher ist, nicht, sobald ich ihn angezogen
habe, gefällt mir der Anschein, den er in den Spiegel wirft, und
den der Spiegel mir natürlich sofort wieder zurückwirft,
gefällt mir der nicht, und ist das Ergebnis: Was braucht so eine
alte Ziege wie du so einen Mantel? Was braucht sie überhaupt
noch? Wieso glaubt sie, noch etwas zu brauchen, da sie ja Kleidung
hat, daß sie dreihundert Jahre alt werden könnte und hätte
immer noch frische, nagelneue Sachen anzuziehen), wie kommst du dann
unbekleidet wieder raus? Aber ich bin unbelehrbar, obwohl ich schon
so oft belehrt worden bin. Ich möchte diesen durchsichtigen
Regenmantel probieren und dann noch das, das und das. Es ist visionär
weitsichtig, was dieser Mann da erschaffen hat, der heißt wie
jene Frau, sie aber nicht ist, sie nicht mehr sein darf, denn sie
wird ja bald wieder sie selber sein, und nein, erschaffen hat er sie
auch nicht, also diese totale Einfachheit, die finde ich
faszinierend. Ich finde es unglaublich, wenn jemand so einfach sein
kann. Wie kann er das? Er muß viel errungen, erlitten, erlebt
haben, um so einfach werden zu können, das kann nämlich
nicht jeder. Ich meine damit nicht, daß raffinerierte, durchs
Feuer gegangene Einfachheit die größte Kunst ist,
raffiniert bedeutet ja, daß Arbeitsprozesse zur Verfeinerung
durchschritten wurden, aber nein, das meine ich nicht, ich meine, daß
etwas wirklich einfach ist, und das ist das Schwerste. Ein
Abendkleid, das eigentlich eine Bluse und ein Rock ist. Nichts
weiter. Nichts enger. Es hat immer schon Blusen und Röcke
gegeben in der Geschichte der Menschheit, Blusen und Röcke, ob
einfach oder nicht, lassen die Umrisse der Menschen erbeben, aber
nur, wenn sie gehen, man glaubt, die Menschen erbeben, denn sie sind
oder erscheinen zweigeteilt, dabei sind es nur ihre Umrisse, die sie
nachzeichnen. Das Fleisch kann schon auch erbeben, gewiß, mir
fallen auf Anhieb ein paar hundert Situationen ein, vom Sex bis zum
Autounfall, wo es dies tut, erbeben, ja, auch Erdbeben,
Entschuldigung!, aber dieses Erbeben, das von Kleidung erzeugt wird,
ist ein besonderes. Die Kleidung ist Schrift, der Mensch wird durch
sie umschrieben, als wagte man sich nicht an seinen lavaheißen
Kern heran. Aber im Gegenteil! Ich suche Kleidung aus, die anlockt,
die mich hervorhebt, nicht umschreibt, das habe ich nicht nötig,
ich schreibe selbst!, Kleidung beschreibe ich, nein, beschreibe ich
nicht, die kaufe ich, Kleidung, die meine Vorzüge zur Geltung
bringt, und das geht nur, indem sie immer weniger wird, wie meine
Vorzüge halt. Je weniger Kleidung, desto mehr Vorzüge
können zur Geltung gebracht werden. Nicht an mir. Natürlich
nicht bei mir. Aber bei fast allen, die welche haben und die ich hier
sehe. Damit wäre ich bei Raf Simons, der jetzt noch Jil Sander
heißt, es aber nicht ist, ganz falsch. Der umspielt nichts. Der
spielt auch überhaupt nicht. Der macht Kleidung, und dann stellt
er die Frau hinein. Das ist gut. Früher haben wir bei sehr
schlanken Frauen gesagt: Jemand stellt sich unten mit ihrer Unterhose
auf (damals hieß das Strumpfbandgürtel, das gibt es jetzt
auch wieder, die Mode ist ja das, was es immer wieder gibt, obwohl es
das immer schon gegeben hat. Ich verkneife mir wieder mal den
Tigersprung, den sollen andre machen, ich bleibe hier klein-klein,
ganz bei mir selbst, umspiele mich dabei aber gleichzeitig, wie ich
schon sagte), da steht also einer mit der Hose, und sie springt aus
dem vierten Stock hinein. Ich weiß nicht, was das bedeuten
soll, ich weiß nicht, was soll das bedeuten. Ich weiß
nicht, was das aussagt. Außer daß der Körper so
schmal ist, daß er von überall überall hineinkommt,
sogar von sehr weit oben. Wenn der Körper allerdings nicht mehr
stimmt, kommt er nirgendwo mehr hinein, dann kann er sich den Sprung
sparen, das ist gut, denn man will ihn dort eh nicht haben, und man
will auch ihn selbst nicht haben. Die Schriftform der Kleidung ist
die der Emphase, das sehe ich aber bei Raf Simons, der, wie schon oft
gesagt, noch Jil Sander heißt, bald aber nicht mehr, wenn Sie
das sehen, schon wieder nicht mehr, dann ist Jil Sander wieder ganz
sie selbst, die sie all die vergangenen Jahre nicht war, als sie
woanders als in sich sie selbst gewesen ist, ich glaube, in Japan,
dort ist niemand er selbst, weil alle gleich ausschauen und keine
Individualität besitzen, wie man mir sagt, in ganz Asien nicht!,
dort hat sie gut hingepaßt, da sie nicht mehr sie selbst zu
sein brauchte. Was wollte ich sagen?, die Emphase, ja, sie ist
durchgängig möglich, aber sie ist nicht immer durchgängig.
Sie vernebelt oft das, was gesagt werden kann, nicht allgemein,
sondern über ein Kleidungsstück. Wir beschreiben jetzt ein
bestimmtes System, obwohl wir schon längst keine Zeit mehr
haben, denn die Zeit hat uns. Sie werden das von mir nicht gewöhnt
sein, weil ich eine Frau bin und Systeme hasse und immer dagegen bin,
aber ich versuche wirklich, da eine Systematik hineinzukriegen, auch
wenn es nicht meine ist. Ja, tatsächlich, ich scheitere daran,
hab ichs mir doch gedacht, und zwar so, wie ich auch immer an mir
selbst gescheitert bin, denn, schauen Sie, schon zwischen Leicht und
Schwer, beides in Bezug auf Kleidung, diesen Bezug des Menschen, den
man oft, wie meine Unterhosen, zu heiß gewaschen hat, und jetzt
geht er nicht mehr über den Menschen drüber, was wollte ich
sagen?, ich gebe es nicht gern zu, aber ich kenne den neuesten
Gebrauch des Menschen nicht. Doch für irgendwas wird man ihn
schon noch verwenden können, wozu wäre er sonst da? Es ist
so kompliziert, vielleicht sollte man lieber die Finger von ihm
lassen? Schon zwischen so einfachen Begriffen wie Leicht und Schwer,
ich sagte es schon, wie ich alles schon mehrfach gesagt habe, besteht
ja ein quantitativer Gewichtsunterschied, den ich nicht stemmen kann.
Das Gewicht spielt in der Kleidung aber eh keine Rolle mehr, man
spricht niemals von ihm, doch es fehlt nie. Man muß es
ertragen, wie man ausschaut, oder man schaut weg, oder man belügt
sich. Es hat alles sein Gewicht, ich leider auch, womöglich
zuviel davon, aber das ist das, wovon man nicht spricht. Man spricht
von anderem. Aber man spricht. Ohne Sprechen gäbe es diese
Kleidung hier, gäbe es die gesamte Mode nicht. Aber niemand
spricht von ihr, weil so viele von ihr sprechen. Das verstehen Sie
nicht? Ich auch nicht. Und dennoch, es gäbe sie nicht, ohne daß
man sie durch Sprechen definiert, klar? Die Mode ist auf Sprache
angewiesen, und jetzt? Stille. Sprechen Sie bitte mit Ihrem
Sitznachbarn, Ihrer Sitznachbarin über Ihre neuesten
Kleiderkäufe! Füllen Sie die Stille, falls Sie noch nicht
eingeschlafen und daher, wie von Natur aus vorgesehen, sowieso still
sind! Schließlich steht dieses Theater ja mittendrinnen in der
Mode. Nur keine Scheu. Mode ist Sprechen! Mode ist das, wovon man
nicht sprechen kann, aber sprechen muß, sonst verschwindet sie.
Man kann nicht offenen Mundes und mit ausgestrecktem Finger auf etwas
zeigen und glauben, das wärs schon. Man kann es probieren, aber
man muß zumindest danach darüber sprechen, wie beim Sex:
Man sollte nicht, aber man muß!, und dieses Sprechen ist
nichts, doch ohne Sprechen ist Kleidung unmöglich. Das ist auch
eine Art des Umspielens. Das Sprechen umspielt nicht den Körper,
der von Kleidung umspült, ich meine umspielt wird, und wir
umspielen dafür die Kleidung mit Sprechen. Also immer eine
Schicht in einer anderen. Sage ich: Dieser Mantel ist schwer, was ich
niemals sagen würde, sowas sagt man heute nicht mehr, so
erscheint am Horizont ja sofort, wie ich schon sagte, weil es ein
andrer vor mir gesagt hat, das Gegensatzpaar schwer/leicht. Und dann
gibt es auch einen leichten Mantel als Gegensatz. Von Burberry, für
den Frühling. Übergangsmantel – was für ein
schönes Wort, nichts weiter, ich wollte es hier nur einmal
gesagt haben. Aber man spricht nicht von ihnen, indem man von ihnen
spricht, von diesen oft zitierten Gegensätzen, meine ich. Nein,
falsch. Ich meine nicht, daß das Sprechen über diesen
Mantel erst gültig wird, indem man nicht über ihn spricht,
sondern man kann nicht von ihm sprechen, und daher muß man von
ihm sprechen, um ihn gültig zu machen, nicht, um ihn zu
entwerten, obwohl er natürlich schon entwertet ist, wenn man ihn
gekauft und einmal getragen hat, dann ist er entwertet, obwohl keine
Gebrauchsspuren festzustellen sind. Doch vielleicht ist er uns lieb
geworden, so lieb, daß wir ihn behalten wollen? Das ist der
Mensch wie sein Kleidungsstück, entwertet, trotz Liebe, nein,
durch Liebe, nein, das ist nicht der Mensch, das bin ich: Auch ohne
Gebrauch entwertet, bereits vor Gebrauch entwertet, bitte, man sagt
mir das ja dauernd, ich hatte schließlich genügend Zeit,
um entwertet zu werden, sogar von der Zeit persönlich, die hat
das ganz allein gemacht, und es ist auch so: Gebrauch gar nicht
nötig, sowas wie Sie brauchen wir nicht, Sie sind das einzige,
na ja, es gibt schon noch andre, aber mit Ihnen sind
wir
noch nicht fertig!, das einzige also, das schon vor Gebrauch
entwertet ist, Sie sagen es ja selbst: Es sollte Sie nicht geben, und
daher ist auch dieses Teil, dieses Kleid hier, überflüssig.
Da nichts drunter ist, da Sie ein Nichts sind, wird es an Ihnen
hinunterrinnen wie schmutziges Abwaschwasser, mitsamt seinen letzten
Spuren von Nahrung, genau wie Sie selbst, und dann wird es, das
Kleid, überhaupt keine Kleidung mehr sein, denn, wie gesagt, das
Kleid wird nur Form geworden sein, durch Sie. So kann man sich daran
gewöhnen, daß einem einmal das Fleisch von den Knochen
faulen wird. Meiner Mama habe ich zuallerletzt das dunkelblaue
Seidenkleid gegeben, nach Maß angefertigt, das sie früher
zu meinen Premieren immer getragen hat. Aber wieder zu Ihnen: Da Sie
nichts sind und keine nennenswerte Form mehr haben, gibt es auch
dieses Teil nicht, dieses Teil ist kein Teil von uns, und, schlimmer
noch in diesem Fall, es ist auch kein Teil von Ihnen! Es darf Sie gar
nicht geben, wir sagen das, wir haben es schon oft gesagt, Sie müssen
uns nicht zitieren, denn das wäre ja in die Vergangenheit
gerichtet, Sie müssen uns nur aufrufen, und schon schreiben wir
es wieder in die Foren der Zeitungen oder sonstwo, wo immer wir die
Gelegenheit bekommen, und die bekommt man faktisch überall, wir
schreiben es überall hinein, wir würden es auch in Rinden
hineinschneiden, nein, nicht in Rinder, die brüllen!, daß
Sie kein Teil von uns sind, daß Sie überflüssig sind,
daß Sie nicht einmal flüssig sind, sonst könnte man
Sie wenigstens trinken, nein, daß Sie (ich! Sie sagen sie zu
mir! Vorhin haben Sie aber was andres zu mir gesagt!) vollkommen
überflüssig sind, Ihre Kleidung ist es auch und schaut dazu
noch grauenvoll aus, wir brauchen Sie nicht, Sie brauchen sich nicht
einmal selbst zu brauchen, wozu auch?, wozu, glauben Sie, könnte
man Sie brauchen? Für nichts. Sie sagen es ja selbst: für
nichts. Und womit Sie sich bedecken, um vielleicht etwas zu sein, zu
werden, das man sieht: leerer Schall, farbloser Rauch, Sie sind nicht
einmal eine Fremde überall. Sie sind nichts, Sie sind nicht
einmal das Nichts, bilden Sie sich nur ja nichts ein! Sie sind nur
einfach: nichts. Und da glotzen Sie durch dieses Schaufenster auf
diese wunderschönen Teile! Die sind nicht für Sie bestimmt
und schon gar nicht hergestellt, man möchte sagen, ein
tagelanger, jahrelanger Kummer für Sie. Uns doch egal. Die sind
nichts für Sie. Sowas brauchen Sie nicht, so wie wir Sie nicht
brauchen. Es werden hier Menschen aufgefordert, sich in dieses
Geschäft zu begeben und sich etwas auszusuchen, aber Sie sind
davon ausgenommen. Sie sind kein Ausnahmemensch, Sie sind nur einfach
ausgenommen. Nein, niemand nimmt Sie aus! Das bilden Sie sich nur
ein, das glauben Sie nur, weil der Staat bei Ihnen eingebrochen ist,
dauernd sehen Sie welche, die Sie angeblich ausnehmen wollen,
angefangen von Ihrem Vermieter, Ihrem Anwalt, Ihrer Staatsmacht,
nein, das ist nicht Ihre, das ist eine fremde, die Sie aber
genausowenig mögen wie Ihre oder Ihren Sonstwen, der wieder ganz
jemand anderem was schuldig ist. Aber es nimmt Sie niemand aus, und
wissen Sie was, nicht nur sind Sie keine Ausnahme, sondern es
befindet sich nichts in Ihnen, was man herausnehmen könnte.
Sagen Sie das diesem Staat ruhig, daß da nichts zu holen ist,
weil ein andrer Staat es sich schon geholt hat! Was? Niemand hört
Ihnen zu? Da ist ja auch niemand, da ist nichts, da ist nichts, Sie
sind nichts, wirklich genau und absolut nichts. Sie sind keine
Ausnahme, weil Sie nicht einmal die Regel sind und die Regel auch
nicht mehr haben. Nimmt man Sie aus diesem Kleidungsstück, das
Ihnen so sehr gefällt, daß Sie es kaufen wollen, einmal
heraus, sind Sie einmal ausgenommen, und wäre es nur, um
woanders vorzukommen, dann liegt das Stück immer noch formlos am
Boden, es ist, als wären Sie nie drin gewesen, und das waren Sie
ja auch nicht, weil Sie sich nicht ins Geschäft hineingewagt
haben, und so haben Sie es halt nicht; dieses Stück Kleidung
kann Ihr Gedächtnis und Ihren Körper und auch das
Gedächtnis von Ihrem Körper gar nicht bewahren, nicht
einmal, wenn es das könnte, kann es das. Das Teil kann kein
Menschengedächtnis bewahren, wer immer es je getragen hat, er
hat keine Spuren darauf hinterlassen, na ja, vielleicht eine Spur
Lippenstift, ein ausgerissenes Haar, eine leicht eingerissene Naht,
weil der dazugehörige Körper nicht hineingepaßt hat,
nicht richtig jedenfalls, der Zipp ist ein Stück weit
herausgetrennt, Scheiße, jetzt müssen wir das zur
Schneiderin bringen, und wer zahlt uns das?, ach was, das schlagen
wir auf den Preis drauf!, ja, die Spurenelemente von Menschen, die
dem Teil anhaften, das kein Teil des jeweiligen Menschen geworden
ist, müssen selbstverständlich entfernt werden, jede Spur
muß entfernt werden, jede Fußspur auf dieser Straße,
die aber ohnedies nichts bewahrt, sondern alles verkauft, alles muß
raus, Sie müssen rein, alles muß raus!, aber jetzt sind
Sie immer noch da, und sehen Sie: Nicht einmal eine Spur könnten
Sie darauf, auf dem Gehsteig, den sie rauf- und runtergehen, einmal
rauf, einmal runter, einmal hin, einmal her, hinterlassen. Nichts
hinterlassen Sie. Als Ihr Erbe, ich meine, Sie hinterlassen einfach
gar nichts? Nichts. Gilt nicht. Nicht einmal dieser Mantel könnte
Sie beerben, nein, einen Mantel können Sie nicht zum Erben
einsetzen, der ist keine Person, und der ist auch nichts, solange
niemand drinnensteckt, und damit meine ich nicht Sie. Sie können
die Form dieses Mantels nicht zu dessen Vorteil verändern, aber
verändern können Sie sie schon, die Form, es ist nur nicht
die, die der Mantel sich vielleicht wünscht. Wenn aber Sie
drinnen sind, egal, wie sehr der Mantel Ihnen gefallen mag, dann ist
das, als wäre er nie getragen worden. Sie können diesen
Mantel in der Umkleide hinterlassen, als zerknüllten Fetzen,
sozusagen getarnt, aber Sie können ihm nichts hinterlassen. Was
Sie hinterlassen, und nicht nur diesem Mantel, dem Sie sowieso nichts
zu geben haben, das ist nichts, und genau das ist es, was Sie zu
geben haben, uns zu geben haben: nichts. Nicht das Nichts, plustern
Sie sich bloß nicht auf! Nichts. Einfach nichts. Nicht einfach
kompliziert, sondern einfach nichts.
Coda.
Und danach Ende.
Mosi
als Salomé: (auf Kothurnen?. Ach, macht doch, was ihr
wollt!) Die Seele der Stadt, jetzt tot. Die Stadt als Ganzes, als
schwebendes Gemeinwesen: lebt auch nicht mehr, sie weiß es nur
nicht. In meinem eigenen Land herrschte Zartheit, vielleicht zuviel
davon, die Menschen sollen sich freuen, doch die ist privat für
die Normalveranlagten. Das alles ist hier im übrigen ungültig,
hören Sie dennoch zu! Mein kleiner Laden ein Lastgeschöpf,
und endlich trägt er sich selbst! In die Unendlichkeit. Wissen
Sie, ich reise mit meinem Modeschöpfer, sagte man von mir, wenn
ich mit den Großen, den Gewaltigen mitdurfte. Der Schöpfer
war nämlich ich. Meine Mama meine Gebieterin, wer kann das
nachvollziehen? Nur ich! Nein, ich auch! Ich und ich: Die Verwirrung,
die wir stiften, ist beträchtlich. Da wurde nichts
Fadenscheiniges geduldet, in diesem hinreißenden Laden. Doch
der Vorhang meines Tempels riß entzwei, kein Gott kam heraus,
und keiner ging mehr hinein. Nur ich, mein eigener Gott. Dort mein
Rolls, genau vor dem Geschäft. Wo hätte man je solche
Feinfühligkeit gesehen, mit der ich Mama und meinen Stoffen
begegnete? Mama! Sie schuf mich, aus meinen Stoffen schaffe ich
etwas, dabei immer äußerst lebhaft, ob im oder vor dem
Geschäft, immer aktiv, auch im Sinken. Ich verfüge über
zwei Gesichter, aber nur eins zeige ich hier, man muß sich vor
der Stadt hüten, sie ist Hunding, sie ist ein Kettenhunding, sie
wäre hinter mir her, käme ich hinter mir einmal zum
Vorschein. Doch die meiste Zeit verberge ich mich geschickt in mir.
Eine Liebesgeschichte. Dabei habe ich sie doch geschaffen, die Stadt.
Ich bin der Schöpfer dieser Stadt, und jetzt, da ich tot bin,
ist sie ausgeschöpft. Niemand mehr da, der die Stadt jetzt
retten könnte. Sie wird jetzt anderen Leuten aufgetischt, doch
niemand mehr deckt so wunderschön wie ich den Tisch, das ist ein
großer Auftrag an mich, es den Menschen schön zu machen,
ihre nähere Bekanntschaft zu machen, und wenn die Menschen
mächtig sind, dann auch unter ferner liefen, das akzeptiere ich
gern, dieses Laufen. Hauptsache, ich bin dabei, mitten unter ihnen.
Ich bin mit ihren Schildern, ja, den Schildern der Stadt, mit diesen
ordinär grinsenden Tabletts bin ich dann zugedeckt worden,
verschwunden, am Ende erstickt unter ihnen. Man hat mir mein
Lebensrecht abgeschnitten, bloß weil ich recht leben wollte,
mit euch, aber manchmal auch ohne alles, nur mit den Knaben, die mir
so lieb waren, denn ohne Liebe geht es nicht. Ihr habt es mir nicht
erlaubt. Ich durfte nicht ich sein, man hätte mich mir verboten.
Habt ihr meinen Vorboten, meine neueste Kollektion gesehen? So schön
wie alle anderen. Jede schön, jede besonders. Doch neuere gibt
es seit langem nicht mehr. Ich springe froh, kaum bin ich zu Haus,
schon wieder raus, nach einem neuen Knaben, einem Hütejungen?,
wird er mein Tod oder mein Glück sein? Niemand darf es wissen.
Alle werden es erfahren. Was erlaubst du dir, wird die Stadt, die
Straße fragen, dabei habe ich nichts zu erlauben, und ich
erlaube mir alles, man erlaubt mir ja doch nichts. Dieser junge Mann
ist zum Beispiel Friseur in Rosenheim. Gleich kommt er hinter mir zum
Vorschein, Sie werden es doch erwarten können! Eine Freundschaft
zu ihm benötige ich nicht. Ich habe mir einmal was genommen,
einmal zu oft, einen Menschen, der von fernher kam, seinem Ort
entnommen, aber nicht gestohlen. Er hat es leider so aufgefaßt.
Ich wurde bestraft in meinem silbernen Seraphin, mit dem ich über
die Straßen gleite, langsam. In die Luft erheben kann er sich
nicht. Sonst kann er alles. Mein Todesengel, dieses Auto. Ich halte
Ausschau, wo denn? Was denn? Wo finde ich meinen Mörder? Ich muß
ihn suchen. Andere haben ihn auch schon gefunden, ohne gesucht zu
haben, den Namenlosen, der sie beendet. Nein, den Namen hab ich mir
nicht gemerkt, war nicht nötig. Wahrscheinlich wußte ich
ihn gar nicht. Dafür war keine Zeit. Ein seltsamer, fremder
Name, glaube ich zumindest. Ich habe nicht gefragt, mich nur an das
Aussehen gehalten, obwohl ich fremde Worte hübsch finde. Ich
denke oft an herrliche Dinge, deren Herr ich war, die ich mit mir und
anderen erlebte. So als Mensch sieht man mich eher nicht. Das war ein
Fehler der Stadt, deren Anmut in ihrer Volkstümlichkeit besteht,
obwohl man das Volk dort nicht findet, jedenfalls kaum in meiner
Umgebung, nicht zu den Öffnungszeiten. Wirklich öffnen kann
ich mich erst danach. Rendezvous nach Ladenschluß. Nehmen Sie
vom Menschen das Fleisch weg, dann haben Sie mich, die Seele des
Ganzen. Ich bleibe übrig, inzwischen nur mehr als Hauch. Die
Seele dieser Straße, ausgehaucht. Auf dem Tisch in meinem
Zimmer stehen noch Blumen, und auch mein Immunsystem habe ich mit
Spritzen vergeblich geschützt und gestützt, vorbeugend,
ohne daß ich mich hätte vorbeugen müssen. Ich war ein
aufrechter Mensch, verschaffte vielen den Lebensunterhalt. Im
schwarzen Anzug werde ich auf der Empore vor meinem Schlafzimmer
liegen, mit einem schwarzen Kabel um den Hals. Hinter der
verschlossenen Schlafzimmertür wird mein Hundchen unaufhörlich
bellen. Später wird sie ihre Memoiren schreiben, meine süße
Daisy. Es wird eine ungeheure Belastung für mich werden, tot zu
sein. Das sehe ich jetzt schon. Aber was bleibt mir übrig? Was
bleibt von mir übrig? Nicht diese Straße, die gibt es
jetzt nicht mehr. Ohne mich gibt es sie nicht. Die Straße, die
Stadt weiß das noch nicht, aber sie ist genau solange und so
sehr tot wie ich. Was für ein Zufall, wir sind gleichaltrig, die
Stadt, der Tod und ich. Tot. Mein Kehlkopf mitsamt Zungenbein und
Adamsapfel gebrochen. Dabei habe ich so gern geredet. Mein schöner
Kopf, das Haar stundenlang gefönt, mit Klammern in Form
gesteckt, es sträubt sich noch gegen das Beeinflußtwerden
von außen, dann gefönt, so gehört es sich. Heiß
muß man sein. Man darf nicht kalt sein. Später fast alles
durch Kunst und Gewerbe, ich meine: Gewebe ersetzt. Kopf abgebrochen,
unten am Kehlkopf gebrochen, mein Sprechen gebrochen. Meine Rede
abgerissen. Meine Seele von hinten, beim Angriff von hinten einfach
herausgefetzt. Sie war nicht drauf gefaßt. Wollte noch in meine
Straße, wollte noch raus, einmal geht noch, aber sie wurde
abgebrochen wie Kehlkopf und Zungenbein, denk es, o Seele, nein, die
denkt nicht mehr. Seele, oder wie man sie sonst nennen will. Da nützt
einem ein Erwerbssinn nichts. Man ist machtlos. Es bleibt nichts
übrig. Wie das Nichts benennen, das nach mir geblieben ist?,
das, was von mir übriggeblieben ist: nichts. Einzug in eine
dunkle Zelle und Schluß. Da bin ich schon längst nicht
mehr dabei. Seele fort, halt!, warten, dann fort! Vielleicht zu lang
an Objekten gehangen? Vielleicht gar allzu lang an Mama? Kommt nicht
in Frage, steht nicht im Sturm. Angriff von hinten, knacks. Es waren
nur zwei kleine Knöcherln, keine Semmelnknödeln, kleiner,
viel kleiner!, ich schwöre, ich hätte sie freiwillig hinter
mich geworfen, als hätte ich mich selbst verzehrt, doch ich
verzeherte mich ja nach anderen, nach den sieghaft Auftretenden. Wer
hätte mir den Tod gewünscht? Im Gegenteil, mein Teil wäre
das Leben gewesen. Der Tod gehört der Straße. Jetzt ist es
herausgekommen: mein wunderbares Haar seit längerem bereits eine
Perücke! Bin ich deshalb nicht lebenswürdig, liebenswürdig?
Dieser Straße nicht würdig? Im Gegenteil! Diese Straße
ist meiner nicht würdig, wie sich herausgestellt hat, da keiner
sie mehr herausstellt. Geschieht ihr recht, daß sie mit mir
zusammen gestorben ist. Nichts mehr da. Nach mir nichts mehr. Nicht
einmal ein angebrachtes Andenken. Mein Kehlkopf, mein Zungenbein
werden in einem Plastiksackerl, das ich persönlich für
meine Accessoires nie geduldet hätte, ins Gericht getragen. Mein
Haar nicht, auch mein Haar in Kombi mit der Perücke, beides
ineinander verwebt, transplantiert, ins Nichts transferiert, denn
auch mein Haar war nicht mehr meins, nicht wahr, kein Haar von mir
oder nur sehr wenig, mein Haar nicht ins Gericht, ich meine, bitte
gehen Sie mit meinem Haar nicht zu hart ins Gericht. Es ist doch gar
nicht meins! Nicht mehr. Das muß doch nicht auch noch vor
Gericht, oder? Ich bin nicht der Angeklagte, oder doch? Nein. Mein
Glück. Das Glück dieser Straße ist mit mir vergangen.
Jetzt hat sie keins mehr. Mein Laden ist mit mir gestorben, und die
Straße ist auch gleich mitgegangen, nur weiß sie es
nicht. Doch inzwischen ist ihr diese Post sicher zugestellt worden:
Sie gilt als ausgelöscht, wie ich. Doch ich gelte nichts mehr.
Die Straße heißt noch was, beschäftigt sich jedoch
längst mit etwas anderem. Dumme Straße, was weißt du
überhaupt? Von mir aus, sollen jetzt Jäger im grünen
Gewand oder Surfer in Moltopren durchziehen! Sie hat keine Eleganz
mehr, die Straße. Und die Zeit verzichtet auch darauf. Gibt
sich keine Mühe mehr. Was die darin für eine Ausdauer hat,
eine Repräsentantin der Stadt zu sein, auf dem Sitzfleisch ihrer
Geschäfte herumzurutschen! Sie hat keine Seele mehr, sie hat
keinen Kehlkopf mehr und kein Zungenbein, sie spricht nicht mehr,
jedenfalls nicht mehr so geläufig, so fließend, so wie ich
gesprochen habe, als ich es noch konnte. Heute laufen andre dort
herum. Ich lasse mich nicht mehr hier sehen. Wie denn? Sagen Sie mir,
wie, und ich mache es. Ich kann nicht. Ich kann nicht. Wir alle tot.
O mei, jetzt ist schon wieder eine Birne kaputt, sage ich: meine!
Kaputt. Mein Haupt auf einer Platte. Mein armer Belli. O weh! Er ist
abgebrochen und wurde aufgetragen, in aller Öffentlichkeit, na,
das war er gewohnt. Sie haben mein Haupt gezeigt, nein, nicht
wirklich, nur die beiden Knorpel, die gebrochen waren. Ich war leider
nicht im Ausland, als das passiert ist. Klopft an, und es wird euch
aufgetan, aber ihr müßt zu den Glücklichen gehören,
die noch einen Sitzplatz ergattert haben! Gatter hoch, die Menge
strömt herein. Es muß immer eine ganze Menge sein, was
aufgetischt wird. Etwas anderes dulde ich nicht. Kommen Sie bitte zu
Tisch, wo ich auf Tischdecken, die wohlweislich bis zur Erde wallen,
damit man bei mir unten nichts sieht, serviert werde! Ja, Sie
Schweinskopf mit Haxen, schauen Sie nur! Sie bekommen ein Stück
von mir, das, was Sie sich aussuchen, war immer mein liebstes Stück.
Alles ist mein liebstes Stück, außer diesem. Das können
Sie haben. Nehmen Sie es sich, bevor es ein andrer tut! Das sage ich
zu jedem, der sich etwas von mir abschneiden kann. Niemand kann das
wirklich. Jetzt ist es raus: Niemand kann sich ein Stück von mir
abschneiden. Die Straße ist tot wie ich. Wegen mir.
Meinetswegen! Die Menschen haben weiter ihre Gewohnheiten, denen sie
nachgehen, so wie ich jungen Männern nachgegangen bin, einmal zu
oft, das war dann das letzte Mal. Wie hätte ich das vorher
wissen sollen? Niemand weiß, wann er was zum letzten Mal tun
wird. Jetzt alle tot, na, sicher nicht alle, die bei mir waren, da
sind Konsuln drunter und ihre Frauen, namhafte Politiker, sogar das
Showbusiness war gründlich vertreten. In meinem vorderen Leben
jedenfalls. Hinten Kulissen. Ich kam heim und trug den Kopf hoch.
Dann nicht mehr. Die Straße auch tot, die Stadt tot. Die beiden
wissen das nicht, obwohl sie es in der Zwischenzeit hätten
lernen können. O mei, jetzt ist schon wieder die Birne kaputt,
dabei hab ich mir soviel Mühe mit meinem Haar gegeben! Das kann
ich jetzt auch gleich weghauen. Mama, jetzt wird sich unser Leben
ändern! O mei, meine Mama ist ja auch tot. Mutterliebe durften
viele gar nicht erfahren. Meine Mutter war klein, aber oho, Obacht!,
die habe ich geschaffen. Und sie hat mir immer gefolgt. Das nur
nebenbei. Schon länger ist sie tot, der Abschluß ihres
Lebens wurde würdevoll gestaltet. Für meins ist dann nichts
mehr übrig geblieben. Wer hätte mein Ende auch schön
gestalten sollen? Es war ja keiner da, der etwas davon verstanden
hätte. Mein schönes Geschäft: aufgelassen, wer andrer
drin, jetzt ist das auch noch hin, nach jahrzehntelanger Mühe
das Geschäft auch tot. Ich wollte das so, wollte es ins Grab
mitnehmen, das ist zwar bedenklich, aber ich habe das vorher gut
bedacht, von allen Seiten. Es hätte mein Grab werden können.
Ach ja: das Grab. Wie schwarz es da unten ist! O mein Grab, o mei, o
nein, das hätt ich mir nie erwartet, daß es nach dem Tod
so schwarz ist. Die Straße wird sich wundern, wie schwarz sie
sein wird, nach mir keine Farben mehr, kein Carnaval de Venise, alle
vornehmen Farben, alle wunderbaren Einfälle, mit denen ich
Menschen zur Schönheit unterrichtete: verbraucht. Nur noch die
andren übrig, die Häßlichen, die man nur mit
Erstaunen anblicken kann. Es muß schrecklich sein, in so einer
schwarzen Höhle zu leben, hab ich mir schon vorher oft gedacht.
Ich weiß es jetzt. Die Straße weiß es jetzt auch.
Ich weiß es. Es ist wie eine Gruft, es ist eine Gruft! Bringt
meinen jungen Propheten heraus, ich will ihn sehen! Ich kenne seinen
Namen nicht, aber er ist ein Prophet. Und zwar weil ich nicht
verstehe, was er sagt. Er redet in Zungen, er redet hoffentlich mit
seiner Zunge zu mir. Meine hat er mir genommen. Doch, doch, der tut
wenigstens was! Der verbessert sein Leben, das will er zumindest, und
ich soll sein roter Stift sein, aber mit dem wird er mich
durchstreichen. Ich bessere die Summe aus, die ich ihm genannt habe.
Doch halt! Hier tut sich was! Der bringt gleich die ganze Stadt zu
mir herein, um sie gemeinsam mit mir zu töten, wo hat der den
ganzen Proviant her?, hat der etwa meine Uhr geklaut, damit er weiß,
wann er wieder aufhören muß?, nein, die Stadt muß zu
ihm gebracht werden, weil er nicht raus will, o mei, und jetzt ist
die Stadt mit mir gestorben, also sollte sie auch immer bei mir sein.
Sie wollte das so. Ich bin gerührt, wie sie mich umschmeichelt.
Wissen Sie was, ich nehm sie einfach mit! Vielleicht sogar hier im
Mausoleum ein neues Geschäft eröffnen, im Dunkel? So war es
nicht gedacht. All meine Pracht muß man bei Licht sehen, sonst
versteht man sie nicht. Ich wollte doch auch immer, daß man
mich sieht, inmitten meiner Herrlichkeiten der Herr. Jetzt sieht man
nichts mehr, auch die Straße nicht mehr. Die Straße ist
fort, verschwunden, mit mir. Sie wollte nicht, es sagte die Straße:
Ich bitte dich, verlang das nicht von mir, ich habe noch so viel zu
bieten, das nicht von dir ist, viel mehr, als je von dir sein könnte,
wieso darf ich dann nicht weiterleben? Vielleicht gibt ja noch jemand
ein Gebot ab? Dann wärens nur noch neun? Das reicht doch wohl.
Du darfst, antwortete ich, aber du wirst es nicht können. Soll
ich denn warten, bis es dir beliebt, zu mir zu kommen? Nein, ich kann
nicht länger warten. Mein Kehlkopf, mein Zapferl im Hals,
verstehst, zerbrochen von so einem Burschen, von einem jungen Mann,
den ich begehrte, vielleicht zu sehr, leider zufällig grade an
meinem Todestag. Falscher Tag! Dieser Tag ist für beinahe jeden
immer falsch. Was für ein Zufall! Ich hätte mir einen
andren Tag und einen andren jungen Mann aussuchen sollen, da ich mir
auch in guten Zeiten das Verständnis für meine Mitmenschen
bewahrt habe, hier können Sie das nachlesen. Ich hätte es
wissen müssen, man hat mich gewarnt. Die paar, die es wußten,
haben mich gewarnt. Hab ihm mehr versprochen, als ich geben wollte,
dem Burschen. So war das immer mit mir. Doch mein vielversprechender
Laden hat auch immer noch mehr gegeben, als er hatte. Allein die
Krawatten! Nein, allein waren die nicht, dafür habe ich gesorgt.
Die waren das meiste, fragen Sie mich nicht, wovon! Mein ganzes Leben
gehörte ihm, meinem herrlichen, lieben Modeladen, doch ich
konnte nicht mehr tun, was er von mir begehrte: ewig dazusein, für
ihn. Das kann niemand außer meiner Mama: immer für jemand
da sein. Die Straße wollte das nach einer Abstimmung allerdings
auch, das freut mich Empfindlichen doch sehr. Mit wem hat sie sich
abgestimmt, daß sie zu diesem Entschluß kam? Da stimmt
etwas nicht, denn die Mode strebt nicht nach dem Unendlichen, nach
Verewigung, das Leben jedoch will ewig währen. Sehen Sie, wie
schnell es gehen kann? Egal, die Straße wollte das, und sie
wollte mich, und sie hat nicht bekommen, was sie wollte. Sie hat es
verloren, als andere das Ruder übernahmen. Doch das Wasser
plötzlich eine gallige, gallertige Brühe, und das Licht:
bleiern, die Ruder: zu schwer einzutauchen. Ich habe also einmal
verloren, wie so viele verlieren, und zwar ständig. Ich kann
nicht mehr für sie sorgen. Was wird geschehen? Ich weiß,
es wird etwas Schreckliches geschehen, ich weiß das, weil es
nämlich bereits geschehen ist. Da kommt mein Tod ja schon, das
habe ich auch nicht gewußt, nicht vorher jedenfalls. Einer, den
ich für eine Nacht zu meinem Liebling erkor. Der soll nicht mal
schön gewesen sein? Also für mich war er es. Von meinem
kleinen Laden haben das auch viele behauptet, die jetzt genauso tot
sind wie er, wie die Straße. So viele seither tot. Die Augen
des Todes sind von allem das Schrecklichste. Er hat mich von hinten
erdrosselt, der Jüngling, deshalb mußte ich seine Augen
nicht sehen, es hat sich in meinen nichts gespiegelt, nichts sah ich
in meinem Tod von ihm. Kein Anblick als letzte Belohnung! Sie haben
ihn trotzdem gefunden. Bleibe hier, sprach die Straße, ich
bitte inständig, bleibe hier, sonst sterbe ich auch, sonst muß
ich auch sterben. Urlaub war für mich kein Thema, was hätte
die Straße denn so lang ohne mich gemacht?, nein, die Arbeit
war mein Sonnenschein, und jetzt ist er erloschen. Oder auch anders
gesagt: Die Droge Arbeit floß ständig durch meinen
Kreislauf. Jetzt kreist nichts mehr. Die Stadt ist tot. Die Straße
ist tot. Alles dahin, alles hin. Mein Mörder wie eine dünne
Elfenbeinfigur, wie ein Bildnis aus Silber. Leider ist er keusch wie
der Mond oder zu teuer zu erkaufen für den preisbewußten
Geschäftsmann. Zu teuer. Sein Fleisch mußte sehr kühl
sein, kühl wie eben: Elfenbein, was andres fällt mir nicht
ein, ich hab es sowieso nicht mehr ausprobieren können. O mei,
die Birne ist jetzt kaputt. Wieder eine. Ich konnte ihn nicht einmal
näher besehen, den Mörder. Das ist ungerecht. Hätte
ihn gern genauer besehen, so ganz aus der Nähe. Nein nein, mein
Prinz, sagt die Straße. Kusch, Straße. Nach mir hast du
nichts mehr zu melden als hohle Fensterscheiben und leere
Aufschriften und tote Schilder und Schaufensterpuppen, die viel zu
aufrecht stehen, und das Herumstolzieren von anderen, die alle nicht
ich sind, die Ärmsten! Bei uns war es anders, gelt, Straße,
du und ich?! Oh, du mein Silberstreif! O mein, alles mein!, stütz
mich mit deiner Fürsorge, du Straße, jetzt, da Mama nicht
mehr da ist, bitte ein wenig Fürsorge für mich, Straße,
Stadt, bitte! Ich bin beileibe kein Fall für die Fürsorge,
aber einmal möchte ich sie doch genießen, ganz für
mich allein. Wieso hast du nicht aufgepaßt, als ich es
gebraucht hätte? Ich glaube, ich habe es verdient, nein, doch
nicht!, immer nur gearbeitet, und jetzt habe ich gewiß nicht
verdient, was mir geschieht. Ich erkor den Falschen zu meinem
Liebling. Es wäre ohnedies nur für kurz gewesen, für
vorübergehend, aber für mich heißt es nun:
lebenslänglich. Mord und Tod. Aus. Ende. Ich soll hierbleiben,
die Straße bittet mich flehentlich, bleib doch hier, wenigstens
ein bißchen, ich sterbe sonst auch!, die weiß das genau,
das Luder!, nein, ich bleib nicht hier. Genau. Das mache ich, ich
bleib nicht hier und töte damit die gesamte Straße, mein
samtenes, liebes Pflaster! Sie geht nicht ohne mich, ich gehe nicht
ohne sie, die Straße. Sie weiß es noch nicht, doch wenn
Sie sie näher besehen: Ohne mich gibt es auch sie nicht. Ohne
mich geht es nicht und geht hier keiner. Aus und vorbei. Ich möchte
glücklich sein heute und nehme diesen jungen Mann mit, ich küsse
seinen Mund, nein, das erlaubt er mir nicht, ich bezahle zuwenig für
ihn, ich will seinen Mund küssen, ich muß, die Straße
blickt finster drein, sie ahnt, was ihr blüht, wenn ich nicht
mehr bin: Sie blüht selbst nicht mehr, nie wieder. Wir wollen
hineingehen, doch wir können nicht. Da ist nichts mehr. Die
Straße ist verschwunden. Nein, hier in meinem Mausoleum ist sie
auch nicht, die ginge hier nicht hinein, obwohl sie gern hineingehen
und es sich einmal aus der Nähe anschauen würde. Auch diese
Straße möchte ein schönes Begräbnis haben, aber
dafür ist keine Zeit, sie wird sang- und klanglos verschwinden.
Nein. Ich möchte glücklich sein heute. Die Straße ist
glücklich, es gibt nichts, was sie vermißt, und niemand
vermißt sie, auch heute wieder niemand. Ich warte auf die
Vermißtenmeldung, doch die kommt nicht. Es muß doch
auffallen, daß die ganze Straße jetzt weg ist! Keiner
sieht, daß sie nicht mehr da ist. Der Abschied: Straße,
Sie waren doch eine Freundin des Toten, nicht wahr? Erzählen
Sie! Sie antwortet nicht. Sie ist fort. Die merken das gar nicht! Ich
tanze für sie, das wird heute verlangt, daß man tanzt. Die
Straße ist traurig heut nacht. Ich bin nicht bei ihr, ich will
einen fremden Mund küssen. Sie wird in mein Blut treten, die
Straße. Sie wird wieder einmal nicht aufpassen und voll
hineintreten und mein Blut dann verschleppen, vertragen in Tüten,
die selbst keine Aufschrift mehr tragen. Niemand wird sie jetzt
betreten, ohne befleckt zu werden. Alles Selbstbeflecker, aber nein,
das kommt von der Straße, das Blut kommt von dieser Straße,
o mei, jetzt bin ich auch noch voll reingetreten. Gleich wird sie
dafür mich treten, die Straße. Weil ich sie nicht mehr
betreten kann. Das ärgert sie, sie bittet, daß wir uns
einmal zusammensetzen und drüber reden. Nein. Jetzt ist sie
beleidigt, aber auf einen Wink von ihr stehe ich nicht mehr zur
Verfügung. Das ist vorbei. Wenn sie mit mir mitgeht, wird sie
mich dafür ab und zu wie unabsichtlich treten. Ungeschickter
Patsch, die Straße! Ist das der Dank? Ja, das muß er
sein. Ich höre in der Luft ein Rauschen wie von Flügeln
oder Flügen, oder sind das endlich Engel? Mama, bist dus?! Dabei
tritt der Tod lautlos von hinten an mich heran, er hätte ruhig
Lärm machen können. Ich hätte nichts Böses
vermutet, ich hätte ihm nichts Böses zugetraut, dem
Burschi, ich hätte seinen Mund geküßt. Ich muß
seinen Mund küssen, oder nicht?, soll ich nicht?, das sagt sich
so leicht. Ich bitte gar sehr, sagt die Straße, tanze für
mich, wie jeden Tag, tanze für mich, dann kannst du von mir
begehren, was du willst. Na gut, Straße, tanze ich halt für
dich, wie jeden Tag, o mei, jetzt ist die Birne durch, das hätte
nicht sein müssen. Nicht so früh! Die war doch noch ganz
neu! Daß eine einzige Birne fehlt, kann dich doch nicht
umbringen, Straße! Doch, kann es. Es ist ja meine, es ist mein
armer Plutzer. Ich werde dir alles geben, was ich habe, es ist in
diesem kleinen Geschäft versammelt, das ist praktisch, da stirbt
das alles gemeinsam, man hat einen guten Überblick über das
Tote, das alles meinen Stempel trägt, immer meinen Stempel, nur
die Blüte war stets eine andre. Die Mode ist ja: Abwechslung.
Mit dem Stempel hätte ich auch vorsichtiger sein sollen, den
hätte ich nicht auf alles drauftun sollen. Was immer du von mir
begehren magst, Straße, das will ich dir geben, und das willst
du auch mir geben. Es ist gegenseitig. Endlich ist etwas, außer
dem mit meiner Mama, außer dem, was ich mit ihr hatte,
gegenseitig! Endlich gegenseitig und sogar gleichzeitig! Die Straße
und ich – ein Liebespaar. Endlich. Doch sie fällt mich
hinterrücks an, das kann ich nicht verzeihen, das habe ich ihr
nicht verziehen. Auch wenn sie jetzt tot ist wie ich, muß das
gesagt werden. Alles wollte ich ihr geben, die Hälfte meines
Königreichs, das sehr klein ist, ein winziger Teil der Straße,
die Hälfte natürlich noch kleiner. Aber sie kann es haben,
ich schulde der Straße so viel, nur wußte sie nicht, daß
sie auch mir was schuldet. Sie hat nicht aufgepaßt. Ich will
meine Anzahlung zurück! Ich zahle doch selbst für ihre
Liebe, ich zahle für alles. Willst du diesen wunderbaren Ring,
den ein König mir geschenkt hat? Kannst ihn haben! Wofür
soll ich ans Kreuz geschlagen werden? Das muß man mir doch
sagen! Willst du mir wirklich alles geben, auch dein Leben?, spricht
die Straße. Ja, alles, alles kannst du haben, was ich habe und
was du begehrst. Fick mich, Straße, bitte, ich zahle auch gut,
doch du zahlst mehr, du wirst mehr zahlen, glaub mir! Du zahlst mit
dir, und dann legst du mich noch als Zugabe drauf, und am Ende sind
wir beide mausetot. Der Boandlkramer wird uns beide geholt haben. Du
schwörst, daß du mit mir sterben wirst, Straße, wenn
ich für dich tanze, dann gibst du mir den Tod, dann kann ich ihn
endlich haben, den Tod, den ich nicht erwartet habe, aber ersehne.
Dann bin ich wieder bei meiner Mama, die mir jeden Tag nachgewinkt
hat, seit ich in die Schule gegangen bin mit meinem kleinen
Jausenpaket, darin zwei Knöchelchen, die Boandln, host mi?,
nein, doch, i hob di, darin der Rest von mir, im Sackl mit der
Brotzeit. Soll ich den heute noch etwa herumtragen? Mich selbst
entsorgen, da sich keiner mehr sorgt um mich? Was soll jetzt noch
kommen? Für uns beide nichts mehr, du Straße, deine Lippen
zittern! Also ich werde sie vielleicht doch nicht küssen. Und
wärs die Hälfte der Straße, die mit mir mitkommt. Und
wärs eine Hälfte von dir, ein Ufer, das Steilufer, wo so
viele meiner Kunden leben, du, Straße, das bekomme ich von dir
und das bekommst du von mir. Erst mal muß man raufkommen, man
muß es erklimmen, dieses Steilufer, dort kann nicht jeder hin.
Aufs hohe Roß kommt nicht jeder hinauf. Aber der Tod nimmt am
Ende sowieso alles, das hätte ich dir sagen können, du
Straße, tust du das meinethalben? Ja. Der Gewinner teilt nicht.
Der Gewinn bricht ein wie mein Zungenbein. Verlange, was du willst,
Straße, es wird dein Schaden nicht sein! Ich wäre
unermeßlich schön als dein König, Straße. Ich
habe einen Eid geschworen, daß du meinen kleinen Laden haben
kannst, wenn du mich gehen läßt. Doch wenn er weg ist,
bist auch du fort, Straße, das hast du nicht bedacht, als du
dir das gewünscht hast. Du bist fort. Weg mit dir! Weg mit mir!
Alles fort, alles muß raus. Du wolltest mich nicht haben,
Straße, warum wäre ich sonst jetzt tot?, so, und jetzt
will ich dich nicht mehr. Ich bin tot und will dich nicht mehr.
Ausgerechnet jetzt kommst du mir nach? Was hast du dir ausgerechnet?
Was, du willst nicht tanzen, Straße? O mei, dann tanz ich halt
für dich. Doch ich bin sicher, es wird ein Unheil geschehen.
Fort, Straße! Weg mit dir! Mein Kopf gehört dir, mehr
kannst du nicht wollen, der geht nicht mehr aufs Gestell drauf.
Bitte, ich gebe dir den Rest, da brichst du ein, verstehst!, denn das
Gestell ist auch draufgegangen. Ohne Kopf wird das nichts. Und was
fängst du damit an, mit mir, mit dem Rest von mir, oder mit wem
fängst du dir jetzt was an? Du kannst mit ihm machen, was du
willst, Straße! Du kannst ihn den Hunden vorwerfen, irgendeinen
Kopf halt, nicht meinen, der ist zu klein. Mein Belli zu klein.
Zuwenig dran. Du kannst ihn den Vögeln in der Luft vorwerfen,
daß sie ihn verzehren. Man kann mir nicht vorwerfen, daß
ich nicht großzügig wäre. Man kann mit meinem Kopf
machen, was man will. In der ganzen Welt war nichts so schön wie
mein Geschäft, dort ging nämlich alles nach meinem Kopf.
Der ist jetzt ab. Ohne den geht gar nichts, nicht einmal eine
Verbeugung. Das war das allerschönste in der gesamten Straße
und auf der insgesamten Welt, das Geschäft. Jetzt ist es fort
und die Straße mit. Die ist einfach mitgegangen, obwohl ihr
kein Liebeslohn versprochen war. Nichts war so schön wie mein
Geschäft, und wenn man es ansah, hörte man geheimnisvolle
Musik, nicht von dieser Welt, auch nicht von meinem Rolls, nicht vom
Silver Dawn, nicht vom Silver Shadow, nicht vom Silver Seraph, das
war der billigste, aber immer noch teuer genug, zu teuer für die
Menschen, die er mir eingetragen hat, und als ich ernten wollte,
wurde statt dessen ich vom Leben abgeschnitten. Oh, warum habt ihr
mich nur angesehen, als es Zeit war! Warum nicht danach? Warum seid
ihr lieber nach Kitzbühel zum Hahnenkammrennen, das einmal im
Jahr stattfindet, und zwar in jedem Jahr, wenn der Schnee rieselt,
mein Tod aber fand nur einmal im Leben statt, warum seid ihr eigens
dorthin, in dieses Dorf mit Schnee, geborgen in Bergen, rundherum, da
hättet ihr auch nächstes Jahr noch hinfahren können,
warum also? Warum habt ihr nicht mich geborgen, nicht auf mich
aufgepaßt, nicht auf mich gewartet, nicht erwartet, daß
ich tot war und euch noch ein wunderbares Fest bereitet hätte?
Das hättet ihr doch noch erwarten können! Um euch
aufzublähen, fahrt ihr zur Streif, dort wird euch angesagt, was
das Leben ist, vielleicht hätt ich mitfahren sollen, dann hätte
ich es gewußt, ihr Herde mit euren tausenderlei Gelüsten,
die meisten aufs Fressen gerichtet, ihr!, selber wie junge Hähne,
Küken, denen schon die Hälse umgedreht werden, bis sie
endlich ein Backhendl sind, warum dorthin, lieber dorthin als zu
meinem Begräbnis, welches nur ein einziges Mal stattfand,
exklusiv wie alles bei mir? Man hätte euch nie vergessen, wärt
ihr dabei gewesen. So. Und ich vergesse euch dafür nie, daß
ihr nicht da wart. Warum, warum diese falsche Entscheidung? Ohne mich
wart ihr überall hohl, vollkommen hohl. Jetzt wißt ihr das
auch. Ihr hattet es mit einem Sieger zu tun, doch euch interessierte
nur der Sieger mit dem Hahnenkamm, der auf der Streif! Immer der
Sport. Immer gewinnt der Sport, auch gegen mich, obwohl das schwer zu
glauben ist. Aber der Sport war es ja gar nicht. Ihr wolltet euch
dort bloß gegenseitig anschauen, beim Weißwurstfressen
zuschauen, und ich? Hier hättet ihr das auch haben können,
mit Blick auf meine Leiche, ein Blick, den man nur einmal im Leben
hat! Kitzbühel ist jedes Jahr, außer es ist einmal kein
Schnee gefallen, doch dieses einmal war nicht diesmal. Euer Schnee
wär ich gewesen, dem hättet ihr nicht nachreisen müssen.
Wo blieb ich denn dabei? In meinem neuen Gehäuse, das ich nicht
mehr entwerfen konnte. In meinem nagelneuen Behältnis. Dort
hättet ihr wirklich einmalig sein können, man hätte
sich an euch erinnert, denn mein Begräbnis fand nur ein einziges
Mal statt. Nicht mit euch. Das habt ihr nun davon! Jetzt kennt euch
keiner mehr. Mein Gott, mein Gott, warum habt ihr mich verlassen?!
Wer seid ihr überhaupt? Ich gab euch Leben, wie der liebe
Herrgott meiner Mama, so lang, so lang, lang, lang ists her, sie ist
so schön gestorben, überall Kerzen, Musik, ihre
Lieblingsmusik. Sie ist eingeschlafen, die liebe Mama. Nicht wie ich.
Mein Tod hatte mit Schlafen nichts zu tun. Er war das Gegenteil,
mußte ich erfahren, reichlich spät. Hätte ich gewußt,
was passiert, ich wäre nicht gestorben. Ihr aber, ihr wart nicht
da, nicht als ich starb, nicht einmal als ich begraben wurde! Ihr
wart nicht bei mir, ihr wart zusammen, aber ohne mich, woanders.
Warum habt ihr mich nicht ein letztes Mal angesehen?, das wäre
absolut möglich gewesen, ich war schön und bin es
geblieben, ich war schön, dem Hals war von außen nichts
mehr anzusehen, jetzt sagen sie: Siehe, der Herr ist gekommen. Aber
sie schauen mich nicht an. Sie glauben wohl, ein andrer Herr wäre
gekommen, der wichtiger ist. Sie drehen schon ihre Hälse, die
unversehrten, nach ihm. Der Sieger beim Abfahrtsrennen, ich habe
seinen Namen schon vergessen, vielleicht nie mehr erfahren. Aber auch
der war euch nicht wichtig. Welcher Herr? Etwa ein Prophet? Da
brauchts keinen Propheten, daß ihr wie Aussätzige werdet,
die alles, alles aussitzen können. Immer. Aber meinen Tod nicht,
den könnt ihr nicht aushalten, wahrscheinlich weil ihr nicht
live dabei wart. Ihr hättet bei meinem Begräbnis ins
Fernsehn kommen können, auf ewig! Ihr hättet euch bei
meinem Begräbnis im Fernsehn sehen können und damit euer
Leben ausdehnen, über die Stadt und die Welt! He! Moment mal!
Wieso ist das ein so langer Moment? Ich bin es doch! Ich habe
gerufen. Ich habe mich jungen Männern preisgegeben wie andre
einem Gott. Ich habe mich ausgeliefert, warum spreche ich noch?
Warum? Zu wem? Die Straße ist fort, passen Sie auf, wohin Sie
treten!, die Stadt verfallen, die Menschen, die ich einst liebte,
alle, wirklich alle in Kitzbühel, dabei habe ich alles für
sie getan. Und ich hätte es weiter getan. Jetzt verlassen sie
mich. Ich bin wieder schön wie eine Jungfrau, die rein geblieben
ist. Oder sich nur zu billig verkauft hat. Darauf bin ich stolz! Die
sich nur Männern preisgegeben hat, aber zum falschen Preis. Den
falschen Preis genannt, und schon war er hin, der Kehlkopf,
vollkommen geknickt das Zungenbein! Alles Zusätzliche, das ja
mehr ist als der Kopf, auch weg! Alles hängt doch dort daran.
Warum spreche ich noch? Ich weiß es nicht. Zu keinem, die
Straße ist ja tot. Niemand mehr da, oder doch? Eines Menschen
Sohn ist nahe, er wird mein Unglück sein. Dieser Herr ist
gekommen und will bezahlt sein, aber nicht mit sowenig. Er will mehr.
Ich habe es ihm auch versprochen, ich habe ihm mein halbes Königreich
versprochen, nein, Moment, das wurde ja mir versprochen, nein,
Moment! Ich habe dem Propheten, dem jungen Mann, dem mit dem jungen
Körper, in dem keine Seele hauste, was ich zu spät bemerkt
habe, an meinem Todestag das Zehnfache versprochen von dem, was ich
zu geben bereit war, leicht das Zehnfache, wenns reicht. Ein
verzeihlicher Fehler bei einem Geschäftsmann, der es sonst mit
andren Summen zu tun hat. Habe ich Angst? Nein. Sonst würde ich
ihm nicht den Rücken zukehren. Ich kenne die Menschen aber
schon, sie sind so lächerlich!, warum ihnen ins Gesicht schauen?
Es genügt, wenn sie mich anschauen. Das ist viel interessanter.
Der Tag ist schön in meinem Geschäft. Die Nacht ist auch
schön, aber in meinem Garten. Das ist was anderes, das ist
woanders. Ich will mit Ihnen sprechen! Es ist unmöglich, sagen
Sie? Ohne Kehlkopf, ohne Zungenbein kein Zuspruch? Kein allzu später
Einspruch? Wäre es nicht besser, wieder hineinzugehen? Gut. Wenn
Sie es sagen. Ich gehe. Die Stadt geht mit mir. Es ist keine
Verhandlungssache, sie muß mit mir gehen. Entweder man bringt
mich zur Straße heraus, oder man bringt die Straße zu
mir, eine dritte Möglichkeit gibts nicht. Wir dürfen nicht.
Was? Was dürft ihr nicht? Wir können nicht. Das glaub ich
schon eher. Klar. Bringt die Straße zu mir herein in dieses
kleine Häuschen, das ich für Mama und mich eigens erbaute,
wenn auch nicht mit eigenen Händen, oder ich muß zu der
Straße hinaus, was ich ja öfter getan habe. Jetzt kann ich
es nicht mehr. Aber da ist nichts, wohin ich noch gehen könnte.
Ich möchte die Straße noch einmal sehen, ich möchte
noch einmal hindurchfahren. Das geht noch. Und hier fahre ich
bereits! Für meinen Sarg wird die Straße gesperrt, seht
sie nicht an! Ihr werdet ihr ohnedies nichts ansehen! Oder doch, seht
sie an, ihr werdet sie nicht wiedersehen! Nicht als Straße
jedenfalls. Denn danach ist sie weg. Mit mir gestorben, doch sie weiß
es nicht. Ich möchte ihren Mund küssen, doch sie ist
gesichtslos. Diese Straße hat jetzt kein Gesicht mehr. Ich
möchte ihren Mund küssen, doch da ist nichts, da ist nichts
mehr, nur ein blutiges Loch, wo einst Straße war. Nein, das ist
keine Baustelle, da wird nicht einmal mehr was aufgebaut. Nein,
einmal gehts nicht mehr, einmal mehr geht auch nicht mehr. Was ist
geschehen? Es ist Schreckliches geschehen. Da will ich den Mund
dieser Straße küssen, und sie hat keinen mehr. Ich möchte
den Mund wenigstens einmal sehen, doch da ist nichts mehr. Da ist
kein Loch in dieser Straße, die ganze Straße ist jetzt
ein blutiges Loch, und dann ist sie in sich und durch sich selbst
verschwunden. Sie hat ihr Gesicht verloren. Kein Mund zum Küssen
mehr da. Rote Lippen soll man küssen, dazu sind sie da, aber,
auch wenn man noch soviel von der Straße spricht, wie man von
einem spricht, den man mal gekannt hat, ich kann doch nicht mehr
sprechen. O mei, ich hab meinen Mund noch, aber das ganze Dahinter
ist weg. Hinter dem Mund nichts mehr, das ihn hält. Das war doch
das wichtigste! Das Dahinter. Das ist nicht nur Zierde wie bei meinen
Krawatten. Ausgerechnet dort, wo die hingehören, ist in mir
etwas zerbrochen. Ich kann nicht. Ich kann nicht. Ich weiß, daß
die Straße das Sprechen für mich erledigen wird, ja, auch
daß ich ihren Mund küssen darf, sie wird dafür meinen
küssen, o mei, aber es geht nicht mehr. Sie hat ihr Gesicht
verloren und ich meinen Mund. Auch umgekehrt würde nichts gehen,
o mei, ein bisserl was geht immer, aber nein, diesmal nicht, die
Birne ist wieder kaputt. Hab sie erst vorige Woche ausgewechselt.
Schon wieder kaputt. Ich werde die Straße ansehen, ich werde
ihren Mund küssen wollen, doch sie ist kaputt. Ich werde ihr
zulächeln, wie früher, doch sie wird total hin sein. Ohne
Gesicht. Gesichtslos. Ohne Mund. Sie wird mich nicht mehr ansehen,
weil sie selbst kein Ansehen und kein Aussehen mehr hat ohne mich.
Jedes Aussehen wurde durch mich verbessert, dieses aber nicht. Keine
Zeit mehr. Ich wünsche sofort, diese Straße zu sehen. Ich
möchte ihren Mund küssen, doch da ist keiner, da ist kein
Mund, er funktioniert irgendwie nicht, na ja, meiner auch nicht. Ob
es das Scharnier ist? Da ist sie ja, die Gegenseitigkeit, grüß
Gott, nur herein! Doch es paßt nichts mehr zusammen. Was
beweglich sein sollte, ist wie eingefroren. Mein Mund paßt
nicht zur Straße, das verlorene Gesicht der Straße nicht
zu mir. Mein Gesicht früher wie eine kleine Prinzessin, für
Mama, Mama gewidmet, meiner lieben Mama, wenn auch niemals hinter
einem Schleier, das Gesicht, immer war es ganz offen. Ich habe mich
auch jedem immer gezeigt, auch denen, die mich gar nicht sehen
wollten, wozu sich verstecken?, bringt doch nichts!, jetzt ist ja
doch niemand mehr da, mich zu sehen. In den Wüsten und in den
Häusern der Fürsten und Könige, der Stars aus Film und
Fernsehn, die früher bei mir gekauft haben: nichts mehr. Der
Wind heult durch, die Straßenbahn heult auch, weil sie immer
wieder stehenbleiben muß, wenn sie doch weiterfahren möchte.
Wegen mir heult niemand. Der Wind heult durch das Nichts. Die Straße
ist fort. Ich bin fort. Macht schon mal zwei. Wir gehen zusammen,
gelt, Straße? Weg ist weg, o mei, was soll man da machen. Wohin
soll man da gehen, wenn nichts mehr da ist? Wenn man vor seinem
eigenen Heim nicht mehr tun kann, was einem einfällt, weil das
Heim verschwunden ist und der Rolls auch? Alles wird sterben, wir
haben das vorgemacht, die Straße und ich. Folgen Sie uns, und
Sie werden auch sterben. Zuverlässig. Wie meine Schuldner nicht
immer. Sie alle, ja, auch Sie werden sterben, wo sollten Sie auch
hingehen ohne diese keinmalige Straße? Einmal ist keinmal, so
ist das, und jetzt ist halt keinmal angesagt. Nicht einmal ins
Theater könnten Sie mehr! Da müßten Sie schon fliegen
können über das Nichts! O mei! Besser tot sein als sich
nicht mehr zeigen können. Wie wir, meine Straße und ich.
Ich will ihren Kopf haben, aber sie hat kein Gesicht und keinen Kopf,
genau wie ich. Sie ist gesichtslos. Und kopflos auch, da rennt sie,
dort rennen Sie!, alles wie frisch geschlachtete Hendln. Und hätte
sie einen, einen Kopf, würde sie ihn mir nicht geben wollen,
nicht geben können, denn sie hat ihn mir ja schon gegeben. Das
hat sie wohl vergessen. Das nützt ihr aber nichts. Sie werden
alle sterben, so, und jetzt sage ich: Es sind genug Tote! Mir
reichts! Genug ist genug. Ich aber wollte immer mehr, das war
vielleicht mein Fehler, die Ursache vieler andrer Fehler. Wer jetzt
noch lebt, darf das. Von mir aus. Eine schreckliche Stille, nur hier
nicht, hier redet immer noch einer, und zwar der, der ich war. Sonst
nichts mehr, niemand mehr. Ich höre nichts. Straße! Du
wolltest mich deinen Mund nicht küssen lassen, und jetzt hast du
keinen mehr. Ich will ihn jetzt küssen, doch ich finde ihn
nicht. Ist der auch weg? Ist das Gesicht weg, kann man nichts mehr
küssen. Warum sind deine Augen geschlossen, Straße? Wo
doch alles offen ist, wo doch deine Auslagenscheiben weit offen sind,
jeden Tag außer Sonntag, wo sie doch uns belegen wie
Wurstscheiben, wo unsere Augen belegt sind wie mit Leberkäs,
alles offen, bereit, alles belegt, kein Zimmer mehr frei, alles voll
und voll da, aber nicht hier! Wieso kann ich deinen Mund nicht
küssen? Ach so, ich kann ja, jetzt kann ich es, da du tot bist,
Straße! Da bist du ja! Servus. Ich kann deinen Mund küssen!
Erhebe deine Lider, Straße, deine Geschäfte sind gut
bewacht, hab keine Angst! Hebe, was du hast, heb es auf für
später, aber Obacht, nicht daß es unaktuell wird!, erhebe
dich selbst, steh auf, du kannst dir nichts aufheben und nichts
mitnehmen, das muß alles raus!, ich sage dir: Steh auf, Straße!
Du kannst nicht? Du kannst nicht mehr? Du wolltest mich nicht haben,
Straße, auch du nicht? Das kenn ich schon. Trotz meines
Ansehens sollte mich niemand so sehen, wie ich war, niemand wollte
den Schmerz erkennen, der in meinem zarten weiblichen Charakter lag.
Der sich in jedem Raum breitmachte wie ein seltsames Wort oder ein
wunderbares Stück Stoff, ja merken Sie denn nicht, wie herrlich
schön das ist?, nein, sie merkten nichts, die können sich
einfach nichts merken!, nein, niemand sollte sehen, wie ich mir
selbst seidenweich durch die Finger lief, nichts wie dableiben!
Nichts wie weg! Also sollte mich gar niemand sehen, und jetzt hast du
es! Host mi?! O mei. Ich lebe nicht mehr, aber du bist auch tot,
Straße! Dein Kopf gehört mir, aber so gesichtslos, so ohne
Gesicht will ich ihn nicht mehr. Was mache ich mit einer Straße
ohne Gesicht? Jetzt hab ich sie am Hals! Was macht die mit sich
selbst? Wie soll ich da ihren Mund küssen? Was soll ich jetzt
tun, Straße? Oh, wie liebte ich dich, Straße, fast wie
die Knaben, die so lieb mir waren! Und ich liebe dich noch. O mei, es
nutzt nix. Ich hungre so nach deinem Leib, entschuldige bitte, daß
ich kurz nach einem andren Leib gehungert und gedürstet habe, na
ja, nicht kurz und nicht ein Mal, mehrere Male, aber jedesmal nur
kurz und immer nach Knaben, die ganz einmalig waren!, aber nur kurz,
jedes Mal einmalig, das ist trotzdem zu kurz; du siehst ja, Straße,
was es mir eingetragen hat. Nie wieder werde ich meine schönen
Kleider tragen können, mein künstliches Haar, meine
künstlichen Zähne, meine künstlerischen Züge, die
sind alle entgleist in meinem Tod, alle fort, umgestürzt, die
Körper kullern heraus, die fallen heraus, raus aus der Straße,
in die Geschäfte fallen sie ein, aus den Geschäften fallen
sie raus, für mein Geschäft fallen sie aus, die Straße
hält sie ja nicht mehr, die Straße ist verschwunden,
überzeugen Sie sich selbst!, Sie werden ins Nichts treten, wenn
Sie rausgehen, ein Jüngstes Gericht für diese Straße,
und ich habe es ihr bereitet. Für mich ein Gericht, das ich
nicht mehr essen kann, Straße, nach deinem Leib hab ich
gehungert, und jetzt ist alles fort. O mei, die Birne kaputt, die muß
ich noch auswechseln, fast schon jeden Tag eine auswechseln, Glump!,
das war ein Fehler! Jeden Tag sollte man nicht wechseln wollen. Aber
man muß. Es war nötig. Was soll ich jetzt tun? Verachtest
du mich, Straße? Verachte du mich wenigstens nicht, fahr nicht
nach Kitzbühel, während ich begraben werde! Bleib
wenigstens noch so lang! Wo soll denn mein Sarg sonst herumfahren?
Das kannst du doch für mich tun, Straße! Sonst würde
es mir furchtbar weh tun. Ich hab dich so geliebt! Dann kannst du
gehen, Straße! Für dich bin ich wieder rein geworden, als
wäre nichts, als wäre nichts gewesen, als wäre nicht
Feuer in meine Adern gegossen worden, das dann einmal der Falsche
trinkt. Als hätte ich nicht rausgemußt in der Nacht, auf
die Straße, immer wieder, allerdings eine andre Straße,
nicht diese. Hättest du mich nur einmal wirklich angesehn,
Straße, du hättest mich geliebt! Der junge Mann auch. Der
hätte vielleicht mich geliebt. Statt dessen bricht der mir doch
glatt alle Knochen im Hals! Vielleicht hat er das ja, mich geliebt,
als einziger, für einen einzigen Bruchteil einer einzigen
Sekunde, als er mir den Kehlkopf und das Zungenbein von hinten
zerbrach. Alles kaputt. Alles zerbrochen. So kleine Knöchel,
Knorpel, die halten ja nichts aus!, die sind jetzt alle hin. Muß
man gar nichts mehr abschneiden, ist eh alles hin. Graffel! O mei,
scho wieder eine Birne kaputt. O mei. Das Geheimnis der Liebe ist
größer als das des Todes, doch jetzt ist es gelöst.
Hat es nach Blut geschmeckt? Nein, sicher nicht. Eher nach Parfum.
Sie sagen, daß die Liebe bitter schmeckt, aber ich weiß
es nicht, ich habe keinen Mund küssen können. Ich bin von
hinten angefallen worden. Ich bin dann still gegangen, obwohl das
nicht meine Art ist. Die Straße muß mit, sie muß
mit mir mitgehen, was macht das schon! Gehen Sie halt in eine andre,
dort gibts genau dasselbe wie hier. Diese ist mit mir gestorben, da
können Sie nichts dagegen machen, dort können Sie nicht
mehr hin. Dort ist gesperrt. Endgültig. O mei. Hin die Birne.
Was solls. Ich habe seinen Mund nicht mehr küssen können,
oder doch? Fragen Sie ihn! Fragen Sie nicht diese Straße, die
ist sowieso eine Vielgeküßte, aber wenn Sie sie jetzt
küssen wollen, ist da nur noch ein Loch, nur noch ein Loch. Da
gibts nichts mehr zu küssen. O mei, die Birne hin. Was macht es
schon! Schrauben Sie halt eine neue ein, und küssen Sie weiter.
Aber dort wird nichts sein, wo Sie küssen wollen. Kein Mund
mehr. Sie können vielleicht noch kaufen, aber küssen können
Sie nicht mehr. Man hat getötet, was Sie küssen wollten,
und jetzt ist es ganz aus. O mei, die Birne hin, ja, diesmal meine.
Die Straße aber auch hin. Dort wo es geglüht hat, dort ist
es jetzt hin. Es muß was Neues eingeschraubt werden,
neingeschraubt. Halt! Aufhören! Danke. Es hätte eh nichts
genützt. Wär schad um die Birne, wenn unten nichts ist, wo
man sie reintun kann, wenn keine Straße mehr da ist, die ist
nämlich fort, mit mir. Und aus. O mei. Schon wieder eine Birne
hin. Man töte sie! Ach so, die ist schon gestorben? Dann die
nächste bitte! Und einschrauben. Und sehen. Und schauen und
sehen. Aber dort, wo nichts ist, dort haben auch Sie das Recht
verloren, auch wenn Sie sich im Moment als Kaiser fühlen. Dort
ist nichts mehr. Treten Sie keinen Schritt, treten Sie nach keinem,
denn dort ist nichts mehr. O mei. Alles hin. Man kommt ja mit dem
Schrauben gar nicht mehr nach! Da ist nichts. Da ist nichts dabei. Da
ist niemand bei mir. Da ist nichts. Da ist nichts mehr. Da ist nichts
dabei. Da ist niemand bei mir. O mei. Niemand bei mir. Niemand bei
sich. Niemand.
Benny Claessens als Mosi
Material,
diesmal in homöopathischen Dosen, aber trotzdem muß es
gesagt sein:
Oscar Wilde: Salomé (Übers.: Hedwig Lachmann)
Walter Benjamin: Das Passagen-Werk
Homer: Ilias (Übers.: J. H. Voß)
Roland Barthes: Die Sprache der Mode
Euripides: Bakchen (Übers.: Kurt Steinmann)
Rudolph Moshammer: Mama und ich
Ein bissel Heidegger muß schon auch sein. Wollen täte ers
nicht, das weiß ich genau.
Fotos: © Julian Röder , knkitaly.files.wordpress.com
3.11.2012
Uraufführung am 27.10.2012 in den Münchner Kammerspielen
Alle
Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch
Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags,
der Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,
auch einzelner Abschnitte. Das Recht der deutschsprachigen Aufführung
ist nur vom Rowohlt
Theater Verlag, Hamburger Straße 17, 21465 Reinbek, Tel.: 040 –
72 72 – 271, theater@rowohlt.de zu
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gedruckt. Dieser Text gilt bis zum Tag der Uraufführung /
deutschsprachigen Erstaufführung / bis zur ersten Aufführung
der Neuübersetzung als nicht veröffentlicht im Sinne des
Urheberrechtsgesetzes. Es ist nicht gestattet, vor diesem Zeitpunkt
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Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. © 2012 Elfriede Jelinek
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