Sinn egal. Körper zwecklos

Daß sie auf einer Bühne auftreten, gefährdet nicht nur den einzelnen, sondern alle miteinander, in den Beziehungen, die sie zueinander herausgebildet haben. Ich werde diese Gefährdung gleich genauer beschreiben, denn sie entspricht nicht ganz genau der Gefahr, in der wir alle ständig schweben, wenn wir die Straße zu uns selber überqueren wollen und merken, daß da schon einer steht, dem wir nicht zu begegnen wünschen. Das Hervorkommen der Schauspieler nennt man das Erscheinen. Es macht jeden einzelnen zu etwas anderem, aber nicht so dauerhaft, daß er uns damit in unserem Innersten herausfordern könnte, nur indem er einfach so heraussteigt aus seinem Leben. Jeder einzelne, der auf dem Theater auftritt, drängt sich vor, weil er den stillen Bestand all der Menschen gefährden möchte, die sich damit zufriedengeben, gerade so eben bestanden zu haben und es, darüber hinaus, nicht einmal zulassen wollen, daß einer vor sie hintritt und über sie herausgehoben wird. Die Radfahrer bleiben ja auch in ihrem Feld, auf das sie gesäet sind wie Knochen in den Boden, doch dann reißt auf einmal ein Spitzentrio aus und gewinnt Gold, Silber, Bronze. Sie haben sich vom Feld abgesetzt wie die Schauspieler von uns. Sie irritieren uns mit ihrem angemaßten Geschick. Da ist dieser Raum, und Geschickte stellen Geschicke von ins Geschirr gespannten zweibeinigen Kreaturen dar. Sie haben es gelernt und glauben daher, es immer tun zu müssen. Auch wenn sie gar nichts zu tun haben, verkörpern sie das Fortwährende, weil sie nicht aufhören können, und, wo immer sie sind, ihren Mantel aus Sprache, an dem dauernd einer zerrt, (egal wer, die Autorin nicht, die traut sich längst nicht mehr) nicht hergeben wollen. Dieser Raum ist schon völlig überheizt, aber diesen Königsmantel hängen sie nicht an den Haken. Sie haben ihn von so hoch heruntergeholt, womöglich kriegen sie ihn nicht mehr rauf, auch wenn sie einen Königswurf in den Korb riskierten. Doch die Sprache fällt unten immer wieder raus.

Ich will aber, daß die Schauspieler etwas ganz anderes tun. Ich will, daß die Sprache kein Kleid ist, sondern unter dem Kleid bleibt. Da ist, aber sich nicht vordrängt, nicht vorschaut unter dem Kleid. Höchstens daß sie eine gewisse Standfestigkeit verleiht dem Kleid, das aber, wie jenes des Kaisers, wieder verschwindet, wie Rauch zerfließt (obwohls eben noch fest war), um Platz zu machen für ein anderes, neues. Wie unter dem Pflaster der Strand, so unter dem Pflaster die nie heilende Wunde Sprache. Also noch einmal, aber anders: Ich werfe sie wie Mikadostäbe in den Raum, diese Männer und Frauen, denen noch Fetzen von Heidegger, Shakespeare, Kleist, egal wem, aus den Mundwinkeln hängen, wo sie sich unter anderem Namen, selbstverständlich sehr oft dem meinen, vergeblich zu verstecken suchten; und, ohne berührt zu werden, sollen sie uns berühren, die Schauspieler, aber es darf keiner wackeln dabei, aus der Bahn geraten, Anstoß erregen. Tja, Anstoß erregen darf er meinetwegen schon. Ich sage es, weils eh nicht zu ändern ist. Ich habe schon oft gesagt, daß ich kein Theater von ihnen will. Wenn sie nämlich theaterspielen, dann gefährden sie sich, wie es bei Selbstbegegnungen, im Traum, vor dem Spiegel, in den Augen eines Liebenden geschieht, dann gefährden sie sich in dem Verhältnis zueinander und dem Verhältnis zu dem, was sie sprechen, also denken, also sein sollen. Sie dürfen aber auch nicht sie selber sein wollen. Das Allerschlimmste ist, wenn sie was sie da werden sollen mit dem in Übereinstimmung zu bringen suchen, was sie bereits sind. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, daß sie, wie fleischfarbene Schinken, die nicht nur nach Fleisch aussehen, sondern Fleisch auch sind, aufgehängt in der Räucherkammer, im Schacht einer anderen Dimension, die nicht Wirklichkeit, aber auch nicht Theater ist, uns etwas bestellen sollen, eine Nachricht die Anfänger, eine Botschaft die Fortgeschrittenen. Und dann merken sie, daß sie selber ihre eigene Botschaft sind. Schon haben sie etwas falsch gemacht und müssen noch einmal würfeln, um sich nicht in der Ferne verlieren zu müssen. Wer könnte es besser? Jeder ist er selber. Sie sind was sie sind. Wie Gott, der ist, der er ist. Das ist doch eine schöne und große Aufgabe, oder? Die Schauspieler SIND das Sprechen, sie sprechen nicht. Aber da sie ja zu mehreren, zu vielen sind und mich mühelos ausknocken und auszählen können, muß ich sie verwirren, disparat machen, ihnen ein fremdes Sagen unterschieben, meine lieben Zitate, die ich alle herbeigerufen habe, damit auch ich mehr werden und ausgeglichener punkten kann als bisher, da ich nur eine einzige war. Jedem das Seine, mir aber alles, so, jetzt habe ich mir mich selbst, eine Doppel-, eine Mehrgängerin von mir, unter das Bürzel geschoben, ohne es gemerkt zu haben. So einfach geht das, wenn man auf einem Ei sitzt, das gelegt werden soll, und nicht herauskann aus dem Dunkel der vielen Stimmen, die bereits vorgesprochen haben und in den Abtritt gekommen sind. Ich will natürlich zu mehreren und größer sein als ich bin; so kommen sie daher, so kommen sie mir gerade recht, die Nachbarskinder Fichte, Hegel, Hölderlin, und bilden eine babylonische Mauer mit mir. Müssen sich einfügen, müssen sich mir fügen, da gibts nichts, sonst schneide ich ihnen von ihrem Gestell was ab. Und die Schauspieler sind derart ehrgeizig, daß sie da rüber auch noch hupfen, es ist nicht zu erfassen! Alles häufe ich auf mich drauf wie Schläge auf die von fremden Zähnen ohnehin schon malträtierten Torten, nur um in einen Einklang mit mir und diesen Fremden da auf der Bühne zu geraten, bis wir alle, und zwar ohne jedes Taktgefühl, jeder in seinem eigenen Rhythmus die Wirklichkeit herausfordern, ich sage in einer harmonischen Terz mit Herrn H. hier: bestellen. Und wo haben ich diesen Bestellzettel jetzt hingelegt? Egal. Die Zeugen meiner Anklage gegen Gott und Goethe, mein Land, die Regierung, die Zeitungen und die Zeit solo, sind die jeweiligen Figuren, jedoch ohne sie darzustellen und ohne sie sein zu wollen, weil sie sie ja schon sind! Also nicht im Sinn einer platten Identifikation mit einem Etwas, sondern im Sinn eines Sinns von etwas! Der Sinn läuft überhaupt durch den Schauspieler hindurch, der Schauspieler ist ein Filter, und durch ihn läuft Sand durch Sand, ein anderer Sand, durch den Sand, Wasser durch Wasser. Da stellen sie sich ein, die Damen und Herren Sinnvergifter, saufen aus meinem Brunnen, weil sie da eingestellt worden sind. Von mir und vom Herrn Direktor, der hier nicht auftritt und nichts zu sagen hat. Das wäre ja das letzte! Schein sein! Das wäre ja Betrug an mir! Und daß sie das Wirkliche darstellen, das wäre ja fast so, als glichen sie ihrem eigenen Wesen, das aber demjenigen zu gleichen hat, das ich ihnen vorschreibe. Ich bin verflucht und zugenäht: auch das war jetzt wieder falsch! Auf dem Theater kann jeder sich selbst begegnen und doch achtlos an sich vorübergehen, weil er sich dabei noch immer nicht fest genug getroffen hat. Ich glaube, das Theater ist der einzigen Ort, an dem das möglich ist. Ich bin die Herausforderung, doch es liegt an jedem einzelnen, ob er diese Forderung auch annimmt oder mir den Handschuh ins Gesicht zurückwirft, der noch die Form der Hand, der Finger bewahrt hat. Und so kommen wir wieder zum Kleid zurück: Da ist ein Gerichtssaal, und ein als Mörder Angeklagter spielt, daß er sich diesen Handschuh nicht anziehen kann, obwohl der Handschuh schreit und schreit, daß er diese Hand bereits kennt, daß er sie schon einmal, indem er über sie kam, besiegt hat. Doch er hat sie nicht geschaffen. Wie? Der Handschuh hätte die Hand nicht geschaffen? Das will ich wohl glauben, aber gewiß ist, daß die Hand den Handschuh gemacht hat, indem sie ihn mit Leben erfüllte, nur um Leben dann wieder auszulöschen, so leicht wie man eben einen Handschuh auszieht, ganz nach Belieben. Auf dem Theater - danke ebenfalls. Die Bühne macht nicht den Schauspieler, obwohl man das beinahe glauben könnte, treten die Schauspieler doch leider meist auf einer Bühne auf, weil sie wo anders nicht soviel Raum vorfinden, in dem sie sich produzieren können. Ich schicke sie also hin, damit sie Geschicke darstellen. Moment, jetzt habe ich gerade eine Erfahrung am eigenen Leib gemacht, an der ich es noch besser beschreiben kann: Das meiste, das es gibt, ist naturgemäß das Fernsehen, nur dort versammeln sich die Dinge, auf dies ankommt, ohne daß man die Gegend verlassen müßte, denn die Gegend kommt zu Ihnen ins Haus! Urwälder, Wüsten, Außerirdisches, der Herr der Welten persönlich muß uns diesen Ort aufgesperrt haben, kein Mensch könnte ihn sich auch nur ausdenken, und dann der Engelssturz: Bild unlesbar, Ton unhörbar schlecht! Ich nichts wie hin, und ich muß die ganze Zeit über die Antenne in meiner Hand halten, damit ich überhaupt etwas sehe und höre. Ja, das Sehen und Hören, das kann ich beschwören, vergehen mir sofort, wenn ich die Antenne wieder loslasse! Sie verstehen es jetzt? Gut. Dann vergessen Sie es wieder, denn ich sage es jetzt mit komplett anderen Worten, damit Sie sehen, was das Theater ist. Dort ist es nämlich genau so oder auch nur so ähnlich, doch es ist Ihnen egal: Die Schauspieler erzeugen die Bühne, und wo sie sind, dort ist auch jene. Schön festhalten den Draht zum Schöpfer, durch den das alles hindurchfließt! Es ist ja auch der Anschein nicht mit dem Schein verwandt, nicht einmal verschwägert. Es kann etwas leicht wie etwas anderes aussehen, doch deshalb hat es noch lang keinen Grund, so zu strahlen! Meine Taschenlampe, ist die Batterie leer, scheint immer noch scheinen zu können, ich nehme sie zur Hand, aber oh je, strahlen tut sie nicht mehr! Der muß ich erst etwas einschieben, so viele fremde Worte, die Wesens von sich machen, die Wesen aus sich machen. So auch der Schauspieler. So nicht, Herr, Frau Schauspieler! Ist Ihr Inneres aufgeladen, müssen Sie deshalb noch längst nicht Schein sein! Sie haben zwar die Fähigkeit, Schein zu erzeugen, aber aus irgendeinem Grunde tun Sie es heute nicht. Hole ich mir halt einen andren, eine andre, wir haben ja genug von ihnen! Ja, wir haben genug von ihnen! Also lade ich ihn, den Schauspieler, mit der Herausforderung meiner Sprache auf, mische die unbezahlten Forderungen von mindestens zweihundert anderen Autoren, die groß waren und wirklich gelebt haben, auch wenn sie uns heute unwirklich erscheinen, und mische alsdann auch noch meine eigenen Einkaufsposten, die sich sofort neben mir aufpflanzen und keinen mehr durchlassen, darunter; der Schauspieler erhält die Anforderung, welche jetzt auch die meine geworden ist, habe ich doch auch die Autorität von gespenstischen Hauswesen, Fremden, Geistern, die ich herbeizitiert habe, auf den Block, den Einkaufszettel dazugeschmiert und sie dem Schauspieler dann auf den Körper gedrückt. Na, die kriegt er nie mehr ab, jetzt kann er das Theater verlassen und später wieder reingehen, meinen Stempel trägt er. Meine Forderungen kann er, wenn er sie benötigt, immer vom eigenen Körper ablesen, wohin ich sie ihm gestempelt habe. Techniklärm bitte los! Der Darsteller spürt, daß ich ihn notfalls an seinen Haaren aus dem Depot zerren werde, damit er bei mir einkaufen geht, und was tut er? Was tut er, um auf seinem Weg mit dem Thespiswagerl durch die Regale wenigstens einmal wieder sich selbst begegnen zu dürfen, was ich ihm ausdrücklich verboten habe? Er darf meinetwegen jedem, auch mit seinem Hund Gleichmut, begegnen, nur nicht sich selber. Er muß meinen Anspruch vernehmen und gleichzeitig muß er ihn übersehen können, um einer zu werden, der selber Ansprüche stellt. Und zufällig sind das dann auch die meinen, die ich ohnedies die ganze Zeit gemeint habe! Bravo! Jetzt hat er es richtig gemacht. Jetzt hat ers geschnallt. Er ist jetzt ich, doch ohne darauf zu beharren und ohne auch darauf zu beharren, der zu sein, den er darstellen soll. Er soll überhaupt nicht beharrlich sein, sondern jeden Moment zu steuern. Ich halte seinen Knüppel, der am Ende doch immer wieder nur mich prügeln wird. Er kann nicht so einfach ein andrer werden, aber er kann ein anderer sein! Allerdings wiederum nicht ganz der, den er darstellen soll, sondern einer, den er erschafft, den er aus dem Bergenden seines Körpers hervorzieht, nichts Halbes und auf keinen Fall, bitte!, schon gar nicht was Ganzes. Nicht sich hervorholen bitte und auch keinen anderen. Im Irgendwo hängenbleiben, aber keinen Hänger haben, an dem man ihn an die Wand hängen könnte, daß er einen festen Ort bekommt, von wo das Weiche seines Fleisches herabbaumelt. Bis er wieder zum Vorschein kommen darf, der auch eine Art Schein ist, aber gleichzeitig auch wirklich. Gefährlich. Für alle. Zur Entnahme bereit. Ungesichert, aber gesteuert. In meinen Schriftzügen festgelegt, bis er hervorkommt, mit diesen Zügen entgleist, in den Wald kracht, und als ein ganz anderer wieder zum Vorscheinen gebracht wird. Ich halte mein Licht, um ihm nachzuscheinen, aber jetzt ist er endgültig weg, egal ob ich es will oder nicht.

 

 


Sinn egal. Körper zwecklos. © 1997 Elfriede Jelinek

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