Zur Sicherheit

Sie holen sich, was man weiß, aber man weiß nicht, was sie sich holen. Man sieht es nicht. Niemand kümmert es, außer ein paar Initiativen, die Unterschriften sammeln, deren Besitzer auch längst irgendwo gesammelt worden sind, so hat man sie alle schön beieinander, auch wenn sie sich noch gar nicht versammelt haben. Die deutsche Regierung interessiert das alles nicht, meine, die österreichische, auch nicht. Ich glaube, hier bei uns ist das Heeresnachrichtenamt zuständig, man weiß, daß es sowas gibt, man weiß sogar, wo es zu Hause ist. Aber was es tut, das weiß man nicht. Die milde Strenge des Seinlassens dessen, was ist, wird über uns aufgebrochen, wie eine Packung Leere. Wie das Denken, das sich ja auch an das halten muß, was ist, dabei aber keinen Machtanspruch von außen zulassen kann. Aber was bleibt ihm übrig? Es muß alles zulassen. Es muß auch Zudringlichkeit zulassen. Es beschäftigt sich damit, was übriggelassen wurde. Aber mit allem anderen auch, das kein Rest ist, sondern eben alles. Das Denken denkt, aber es weiß nichts von sich, weil das schon andere wissen. Die mehr damit anzufangen wissen. Wie wenig das ist, was uns geblieben ist, das wußten wir bisher nicht. Es gehört ihnen alles, aber wieviel das ist, wissen wir nicht. Das ist egal, denn wir selbst gehören ihnen ja auch. Sie bestimmen, sie haben sich an uns gehängt, und seither ist es egal, woran wir hängen und an wem. Wissen wollen sie es trotzdem. Die Freude an jemandem, an etwas zu hängen, wird uns vergällt, da an jedem von uns schon einer, etwas dranhängt, ohne an uns zu hängen. Die kennen uns doch gar nicht! Müssen sie auch nicht. Es ist so. Das kümmert viele, aber es ist egal, man wird sich schon um uns kümmern. Ich kann nicht mehr sagen: Wen interessierts?, da alles sie interessiert, was wir als Sinn in uns hegen und pflegen, etwas, das einst in uns gepflanzt wurde, von Mama und Papa, das ernten jetzt sie, unsere neuen Eltern. Wir fühlen uns schon irgendwie gepflanzt, aber das nützt uns nichts. Wen schert es, wenn wir geschoren werden. Es ist egal, wenn man uns nackt sieht. Wer kann sich das schon erlauben? Nur wenige können sich so zeigen. Die Körper sind überhaupt ein Hindernis, müssen aber trotzdem alle betrachtet werden, ob dabei vielleicht was herauskommt. Und wenn jemand sich so nicht zeigen will, ist das auch wurst. Fotos und Filme, wo wir gehen und stehen, es ist immer gegenseitig, aber stets auch für einen Dritten, der uns fotografiert und filmt, während wir genau dasselbe tun. Wir starren in ein kleines Gerät, hat uns wer etwas zu sagen, zu dem wir dann was sagen können? Es gibt nichts, was ihnen nichts sagt. Sogar wenn wir aufhören, etwas zu sagen, sagt ihnen das etwas.

Da lobe ich mir zum Beispiel die ganz persönlichen Hausbesuche der Steuerfahndung. Man muß nicht zu ihr, sie kommt zu uns. Grüß Gott, bitte nicht eintreten, aber sie kommen, weil sie es dürfen. Da sieht man noch, wie Menschen fleißig arbeiten und Maschinen ebenfalls, alle schuften sie, und wie! Die kommen mit ihren kleinen tragbaren Festplatten und saugen sich alles raus. Ob sie es brauchen können, werden sie später schon sehen. Und man kann ihnen selber dabei zuschauen. Nichts ist verdeckt, nichts darf verborgen bleiben. Danach tragen lebendige Menschen das alles fort, die Bilder, die Archivkartons mit altem beschriebenem Papier, die Aktenordner, in denen auch wieder etwas niedergeschrieben ist, das sie unbedingt wissen wollen. Die Konservendosen bleiben zurück, die Armen. Auch der kleine Fernseher darf bleiben. Später werden sie dann schon sehen, was davon sie brauchen können. Und wenn sie nichts brauchen, haben sie doch alles. Ein angenehmer, fast mechanischer Vorgang, zugeschnitten auf den einzelnen und seinen Fall, den sie hiermit anstreben. Individuelle Betreuung für jeden einzelnen, der ihnen wichtig wird, indem sie alles, was sie finden können, von ihm, gegen ihn sammeln. Das macht viel Arbeit, das Sammeln. Alles dient dazu, gegen einen verwendet zu werden, aber auch das sagen sie uns. Sie tragen Sorge um jeden einzelnen; und was sie ihm wegnehmen, das sieht er, dort gehen sie hin, die Bilder! Da sie es nicht allein können, müssen sie getragen werden. Dort gehen sie hin und tragen die Sachen davon, dreißig Männer, sie brechen die Tür auf und schleppen Zeugs, manchmal klingeln sie auch vorher, ich sagte es schon, ich höre es förmlich. Sie müssen hereingelassen werden.

Kein Netz, kein doppelter Boden. Nein, doch, da ist ein Netz!, da ist es ja!, wieso haben wir es gesucht, es ist ja immer dort, wo wir sind! Wir sind nie weit von ihm entfernt. Wir haben es alle so liebgehabt, wir waren so begeistert von ihm, all die Möglichkeiten, die es bietet!, wir haben so viel hineingelegt, bis wir gemerkt haben, daß wir reingelegt worden sind und jetzt selber dort festhängen. So groß hatten wir uns das Netz auch wieder nicht vorgestellt! Mein Gott, dieses Netz war ja die ganze Zeit ein Gitter, und wir haben es nicht gemerkt! Früher warst nur du, Gott, allwissend, jetzt wissen es andre auch, und zwar alles. Im Festnetz hängt irgendwas, zäh und hartnäckig, wo ist der Zahnstocher? Das ist ja unangenehm. Im festen Netz und im beweglichen. Wo sonst? Es gibt ja sonst nichts mehr! Ja, hier, schauen Sie, da hängt das liebe Zellentelefon rum, trinkt Saft und sündigt daher nicht. Wir wissen, wo es ist. Es dient aber natürlich dazu, daß andre wissen, wo wir sind. Das wissen wir. Wo wir sind. Wo das blöde Telefon wieder ist, wissen wir manchmal nicht, sie aber wissen es. Derzeit sind wir also zu Hause und servieren dem Telefon sein Essen. Aber wir werden irgendwann fortgehen und das Mobil in unser Automobil mitnehmen, und dann werden wir alle unterwegs sein, ja, auch gern öffentlich, auch wenn wir öffentlich unterwegs sind, geht das Mobil doch mit. Das war von Anfang an so vorgesehen, es muß mit uns mitgehen, während andre unsichtbar mit uns mitgehen, das ist ganz falsch gesagt, sie sind über, in, unter uns, nein, sie sind wir! Oder nein, sie könnten genausogut wir sein, weil sie alles wissen, was wir sind, mehr als wir es selber wissen, und mehr als alles geht nicht. Die Geräte sind mobil, damit die Menschen befreit werden, und zu ihrem Gefüge gehört nun mal, daß sie überall erreichbar sind, auch wenn sie unterwegs und in Bewegung sind, und sie sind es auch. Überall erreichbar. Man will ja eine Bewegung rechtzeitig erkennen, wenn und wo sie entsteht. Wieviele für unsere Worte Ohren haben, zählt nicht, denn sie sind nicht zu zählen. Sie zählen auf uns, daß sie immer wissen, wo wir sind, wir sind dabei aber sowieso überflüssig. Sie wissen, wo die sind, die wir sind, egal, wer wir sind. Sie wissen es so gut, daß sie, wie gesagt, wir sind. Um wir zu sein, braucht man nicht so viele Personen, wie wir sie sind, das ist doch unpraktisch! Weniger sind wir alle geworden, weil wenige uns vollkommen ersetzen können, weniger als wir, aber auch wir werden immer weniger, denn wir sind wie alle, und dafür braucht man weniger Personen. Das ist ökonomisch sinnvoll. Daß wenige alle ersetzen können. Es ist auch gut für die Erde. Bis es niemanden mehr gibt. Auch wieder nicht gut, dann müßten sie sich selbst beobachten. Der Gewinner nimmt alles, er nimmt sich selbst auch gern mit, er wird dann schon sehen, was er brauchen kann und was andre von ihm brauchen können. Das ist das neue Brauchtum. Zuerst alles sammeln, damit wir in Fraglosigkeit erstarren, denn fragen muß uns keiner mehr. Sie wissen es schon, bevor wir es wissen. Keine Verbergung muß gesprengt werden, das wäre ja Gewalt! Was sagt mein Denker? Er sieht anderen beim Denken zu, das eine Gelassenheit der Milde ist, die der Verborgenheit des Seienden im Ganzen sich nicht versagt. Da hat er versagt, der Denker, er konnte es nicht besser wissen. Er konnte nicht wissen, daß alles gesprengt werden kann, alles, was gewußt werden kann, zerfetzt, aber die Wesen dabei, wenn sie ins Offene können, dort erst recht gefangen sind, registriert, gespeichert, gesichert, in ihre eigene Wahrheit geprügelt, die sie aber nicht mehr kennen, weil die ihnen davor schon weggenommen wurde, vielleicht sogar, bevor sie überhaupt schon da waren, bevor sie überhaupt sie waren, denn davor waren andre sie, und jetzt sind sie andere geworden, ohne es zu wissen, weil sie ihrer eigenen Wahrheit enteignet wurden, weil sie ja schutzlos und ohne Hülle sind, für immer vom Begreifen ausgeschlossen, da andre nach ihnen gegriffen haben, und man kann sich keinen Begriff mehr davon machen, von nichts.

Wer kann etwas dagegen haben? Wir wissen ja, wo wir sind, wir wissen meist sogar, wo unser Handy ist, und unser Wesen schließt unser Unwesen, das wir treiben, in sich ein. Sie bekommen dann das ganze Paket, die ganze Paketlösung, alles in einem, alle gegen niemand, niemand gegen alle. Und dafür kommt nationale Sicherheit über uns, und zwar überall. Eine Nation unter Gott, aber nicht sehr weit darunter. Die Herrschaft des Verstandes endet, die Herrschaft des Verstehens hat begonnen, denn ohne daß sie uns verstehen, wäre das ganze blöde Sammeln ja sinnlos. Der Ton kommt recht gut rüber, die Schrift schafft es ebenfalls, und gar nicht mal so knapp, und ja, auch wohin die Menschen gehen, das kommt alles rüber und wird gesammelt. Wir lassen es rüberwachsen. Was da ist, wird benutzt und gegen uns verwendet werden. Sicherheitshalber nehmen sie alles, dadurch sind sie die Gewinner. Sicherheithalber. Das ist das Schlüsselwort, das sie brauchen, um unsere Türen aufzubrechen, nein, sie brauchen es nicht, sie haben ja die Schlüssel. Sie werden dann, zu unserer eigenen Sicherheit, sehen, was sie gebraucht haben werden. Davon werden wir nicht gebrauchter, aber immer billiger. Doch es kauft uns keiner. Es kauft uns das keiner ab. Ist auch nicht nötig, es gibt uns gratis. Wer sind wir schon, was sind wir schon wert? Sie dürfen alles. Nicht alle dürfen alles, aber die alles dürfen, die dürfen es eben, wozu wäre das alles sonst festgelegt worden? Wozu sich aufregen? Die paar, die sich aufregen, zählen sowieso nicht, und die übrigen können nicht bis drei zählen, und sie können auch nichts machen, wie sie uns ständig sagen.


Fotos: 1) aljazeera.com, 2) welt.de, 3) salzburg24.at, 4) nytimes.com

7.12.2013




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