Ich möchte seicht sein

Ich will nicht spielen und auch nicht anderen dabei zuschauen. Ich will auch nicht andere dazu bringen zu spielen. Leute sollen nicht etwas sagen und so tun, als ob sie lebten. Ich möchte nicht sehen, wie sich in Schauspielergesichtern eine falsche Einheit spiegelt: die des Lebens. Ich will nicht das Kräftespiel dieses "gut gefetteten Muskels" (Roland Barthes) aus Sprache und Bewegung - den sogenannten "Ausdruck" eines gelernten Schauspielers sehen. Bewegung und Stimme möchte ich nicht zusammenpassen lassen. Beim Theater Heute wird etwas enthüllt, wie, sieht man nicht, denn es werden im Hintergrund die Bühnenfäden dafür gezogen. Die Maschine also ist verborgen, der Schauspieler wird mit Geräten umbaut. angestrahlt und geht umher. Spricht. Der Schauspieler ahmt sinnlos den Menschen nach, er differenziert im Ausdruck und zerrt eine andere Person dabei aus seinem Mund hervor, die ein Schicksal hat, welches ausgebreitet wird. Ich will keine fremden Leute vor den Zuschauern zum Leben erwecken. Ich weiß auch nicht, aber ich will keinen sakralen Geschmack von göttlichem zum Leben Erwecken auf der Bühne haben. Ich will kein Theater. Vielleicht will ich einmal nur Tätigkeiten ausstellen, die man ausüben kann, um etwas darzustellen, aber ohne höheren Sinn. Die Schauspieler sollen sagen, was sonst kein Mensch sagt, denn es ist ja nicht Leben. Sie sollen Arbeit zeigen. Sie sollen sagen, was los ist, aber niemals soll von ihnen behauptet werden können, in ihnen gehe etwas ganz anderes vor, das man indirekt von ihrem Gesicht und ihrem Körper ablesen könne. Zivilisten sollen etwas auf einer Bühne sprechen!

Vielleicht eine Modeschau, bei der die Frauen in ihren Kleidern Sätze sprechen. Ich möchte seicht sein!

Modeschau deswegen, weil man die Kleider auch allein vorschicken könnte. Weg mit den Menschen, die eine systematische Beziehung zu einer ersonnenen Figur herstellen könnten! Wie die Kleidung, hören Sie, die besitzt ja auch keine eigene Form,sie muß um den Menschen gegossen werden, der ihre Form IST. Schlaff und vernachlässigt hängen die Hüllen, doch dann fährt einer in sie, der spricht wie mein Lieblings Heiliger, den es nur gibt, weils auch mich gibt: Ich und der, der ich sein soll, wir werden nicht mehr auftreten.

Weder einzeln noch gemeinsam. Sehen Sie mich genau an! Sie werden mich nie wieder sehen! Bedauern Sie es! Bedauern Sie es jetzt. Heilig heilig heilig. Wer kann schon sagen, welche Figuren im Theater ein Sprechen vollziehen sollen? Ich lasse beliebig viele gegeneinander antreten, aber wer ist wer? Ich kenne diese Leute ja nicht! Jeder kann ein anderer sein und von einem Dritten dargestellt werden, der mit einem Vierten identisch ist, ohne daß es jemandem auffiele. Sagt ein Mann. Sagt die Frau. Kommt ein Pferd zum Zahnarzt und erzählt einen Witz. Ich will Sie nicht kennenlernen. Auf Wiedersehn.

Die Schauspieler haben die Tendenz, falsch zu sein, während ihre Zuschauer echt sind. Wir Zuseher sind nämlich nötig. die Schauspieler nicht. Daher können die Leute auf der Bühne vage bleiben, unscharf. Accessoires des Lebens, ohne die wir wieder hinausgingen, die Handtaschen in die schlaffen Armbeugen geklebt. Die Darsteller sind unnötig wie diese Tascheln, enthalten, gleich schmutzigen Taschentüchern, Bonbondosen, Zigarettenschachteln, die Dichtung! die in sie abgefüllt wurde. Verschwommene Gespenster! Produkte ohne Sinn, ist ihr Sinn doch das "Produkt einer überwachten Freiheit" (Barthes). Für jeden Spielzug auf der Bühne gibt es eine so und so große Freiheitsmenge, von der sich der Schauspieler bedienen darf. Die Lacke Freiheit ist da, und der Schauspieler, nehmen Sie sich bitte!. holt sich seinen Saft, sein Kammer-Wasser, seine Sekrete. Daran ist nichts Geheimes. Er klebt seinen Rotz daneben. Aber was und wieviel er sich auch nimmt von seinem Teil an Gesten Herumstolzieren, Plappern muß imitiert werden können, denn er und andre wie er müssen es genauso nachmachen konnen. Wie Modebekleidung: Jedes Teil ist gleichzeitig definiert, aber nicht zu eng umgrenzt in dem, wozu es dienen soll. Der Pullover, das Kleid, auch sie haben ihre Spielräume und Armlöcher. Ja. Und was eben unbedingt nötig ist: wir! Wir haben nicht die Freiheit, falsch zu sein. Die auf der Bühne aber schon, denn sie sind Ornamente unsres Lebens, beweglich, abnehmbar von der Hand Gottes, des Regisseurs. Und dann reißt er einen ganzen Kragen Mensch herunter und leimt uns mit einem andren, der ihm besser gefällt. Oder das Sackkleid Mensch wird einfach kürzer gemacht, indem er den Saum neu absteckt, dieser Filialleiter von einer Spielzeugladenkette. Belästigen Sie uns nicht mit Ihrer Substanz! Oder womit immer Sie Substanz vorzutäuschen versuchen, wie Hunde, die sich mit aufgeregtem Getön umkreisen. Wer ist der Chef? Maßen Sie sich nichts an! Verschwinden Sie! Theater hat den Sinn, ohne Inhalt zu sein, aber die Macht der Spielleiter vorzuführen, die die Maschine in Gang halten. Nur mit seiner Bedeutung kann der Regisseur die leeren Einkaufstüten zum Leuchten bringen, diese schlappen undichten Sackeln mit mehr oder weniger Dichtung drin. Und plötzlich bedeutet das Bedeutungslose was! Wenn der Herr Regisseur in die Ewigkeit hineingreift und etwas Zappelndes herausholt. Dann ermordet er alles, was war, und seine Inszenierung, die doch ihrerseits auf Wiederholung gegründet ist, wird zum Einzigen, das sein kann. Er verleugnet das Vergangene und zensiert gleichzeitig (Mode!) das Zukünftige, das sich nun für die nächsten Saisonen nach ihm zu richten haben wird. Das Zukünftige wird gezähmt, das Neue geregelt, bevor es noch eingetreten ist. Dann vergeht ein Jahr, und die Zeitungen schreien wieder vor Freude über ein Neues, Unberechenbares, das das Alte ablöst. Und das Theater beginnt wieder von vorn, die Vergangenheit kann von der Gegenwart abgelöst, erlöst werden, die sich aber, in ewigem Vergleich, über die Vergangenheit neigen muß. Dafür gibt es die Theater Zeitschrift. Man muß alles gesehen haben, um überhaupt etwas sehen zu können.

Doch nun zu unsren Mitarbeitern: Wie entfernen wir diese Schmutzflecken Schauspieler aus dem Theater, daß sie sich nicht mehr aus ihrer Frischhaltepackung über uns ergießen und uns erschüttern, ich meine überschütten können? Denn diese Leute sinds doch, die sich verkleiden und mit Attributen behängen, die sich ein Doppelleben anmaßen. Diese Personen lassen sich vervielfältigen, ohne daß sie ein Risiko eingingen, denn sie gehen nicht verloren. Ja, sie spielen nicht einmal mit ihrem Sein herum! Sie sind ja immer dasselbe, nie brechen sie durch den Boden oder erheben sich in die Luft. Sie bleiben belanglos. Schließen wir sie als Inventar aus unsrem Leben einfach aus! Klopfen wir sie platt zu Zelluloid! Wir machen vielleicht einen Film aus ihnen, von wo uns ihr Schweiß, Symbol einer Arbeit, der sie im Luxus ihrer Persönlichkeiten zu entkommen trachteten, nicht mehr anwehen kann. Aber ein Film als Theater nicht ein Film als Film! Einfach draufhalten und abdrücken! Wie es liegt, so pickt es. Nichts kann mehr geändert werden und unterläuft damit die ewige Wiederholung des Nie Ganz Gleichen. Sie werden einfach aus unserem Leben verbannt und auf Lochstreifen gestanzt, die wacklige Melodien winseln. Fallen aus unserer Körperbetrachtung und werden zur Fläche, die vor uns abläuft. Werden unmöglich und müssen deshalb auch gar nicht erst verboten werden, denn sie sind nicht und nichts mehr. Oder auch: es werden bei jeder Vorstellung alle komplett ausgewechselt und machen jedes Mal etwas ganz Neues. Sie haben einen Vorrat an möglichen Spielzügen, aber nichts wird, ähnlich unserer Kleidung, ganz genauso wiederholt wie es war. Nur die Zeit bedroht uns alle mit dem Vergehn! Theater darf es nicht mehr geben. Entweder das Immergleiche wird immer gleich wiederholt (Filmabnahme einer geheimen Aufführung, die von uns Menschen nur mehr in ihrer EINZIGEN EWIGEN Wiederholung gesehen werden darf), oder keine zweimal dasselbe! Immer etwas ganz andres! Sowieso dauert nichts ewig, im Theater können wir uns drauf vorbereiten, in die Zeitlichkeit einzugehen. Die Bühnenmenschen treten nicht auf, weil sie etwas sind, sondern weil das Nebensächliche an ihnen zu ihrer eigentlichen Identität wird. Ihr Herumfuchteln, ihre plumpen, verwaschenen Aussagen, von Uneinsichtigen in ihre Mäuler gestopft, ihre Lügen, nur daran kann man sie voneinander unterscheiden. Ja, sie treten an die Stelle der Personen, die sie darstellen sollen und werden zum Ornament, zu Darstellern von Darstellern, in endloser Kette, und das Ornament wird auf der Bühne das Eigentliche. Und das Eigentliche wird,Platz! Zurück!, zur Zierde, zum Effekt. Ohne sich um die Wirklichkeit zu kümmern, wird der Effekt zur Realität. Die Schauspieler bedeuten sich selbst und werden durch sich definiert. Und ich sage: Weg mit ihnen! Sie sind nicht echt. Echt sind nur wir. Wir sind das meiste, das es gibt, wenn wir schlank und schick in unsren eleganten Theaterkleidern hängen. Richten wir die Blicke nur noch auf uns! Wir sind unsere eigenen Darsteller. Brauchen wir nichts außer uns! Gehen wir in uns hinein und bleiben wir drinnen, jeder hofft ja. daß ihn möglichst viele betrachten mögen, wenn er durch die Welt stolziert, von den Zeitschriften und deren Bildern ordentlich geregelt wie eine gut geölte Maschine. Werden wir unsre eigenen Muster und sprenkeln wir den Schnee, die Wiesen, das Wissen, womit? Mit uns selbst! So ist es gut.

 

in: Theater Heute Jahrbuch 1983, S. 102.


Ich möchte seicht sein © 1997 Elfriede Jelinek

 

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