DankredeIch versuche, noch einmal Einar Schleef zu fassen, bevor er ganz fort ist. Er hat allen Ernst, er hat allen Ernstes gearbeitet, aber ich soll jetzt hier irgendwelche Früchte kassieren, für die ich mich sehr herzlich bedanke, jedoch ist Einar Schleef derzeit tot. Ich bin als eine Preisträgerin sozusagen zu sehr anwesend, und er ist zu sehr abwesend, so sehr, daß er die Abwesenheit selbst geworden ist. Er kann den Wald nicht mehr erblicken, er kann die Berge nicht mehr erblicken, er kann die Uferpromenade mit seiner Übungsbank in New York nicht mehr erblicken. Und überhaupt keine Bühne ist hier mehr frei für ihn, und da ist nichts, um das er noch zu beneiden wäre, da ist gar nichts. Es ist schwer, über Schleef zu sprechen, weil er doch immer sich selbst gesprochen hat. Er hat nicht für sich gesprochen, er hat sich gesprochen, und er hat sich dabei immer wieder aufs neue selbst geschaffen. Wie ein Kraftwerk, das Strom erzeugt hat und dann selbst in den Strom gefallen ist, in den Strom, mit dem er wiederum den Strom erzeugt hat. In einer Art Selbstzeugung erzeugt der Strom nun unterirdisch weiter den Strom, aus dem er gleichzeitig gekommen ist. Ein Werk, das aus einem Werk, das aus einem Werk kommt. Ein Erzeuger, der immer wieder sich aus sich selbst macht. Aber ihn selbst kann man nicht fassen, er ist unter dem Wasser, unter der Oberfläche. Strom im Strom. Energie im Fluß. Schleef war einer, der, manisch um sich selber kreisend, immer wieder sich selbst gemacht hat. So wie er immer und immer wieder, in der Bewegung dieser Selbsterzeugung, das fort- und umgeschrieben hat, aus dem er am Anfang selbst gekommen ist: Die Mutter. Und er schreibt Das Werk. Den Strom, der er selbst ist. Den Strom. Dem man sein Alter nicht ansieht. Man dreht ihn auf, er kommt immer wieder neu, aus einem Druck heraus. Wasser zu Wasser, und das Wasser arbeitet. Aber dieses Wasser im Wasser unter dem Wasser treibt jetzt nichts und niemand mehr an. Diese Turbinen mahlen unterirdisch, und was sie erzeugen sieht man nicht, unter und über und neben ihnen eben nichts als: Wasser. Kein Netz, das noch etwas befördern könnte außer dem, was dageblieben ist, und das ist flüchtig. Es ist viel. Es hat viel Kraft und treibt uns, alles an. Es läuft, fließt; mit geringstem Aufwand soll es den größten Nutzen erzielen. Das wird vom Strom, der fließt, verlangt. Aber war es zu Schleefs Lebzeiten nicht gerade umgekehrt? Mit dem größten Aufwand egal welchen Nutzen zu erzielen, weil der Nutzen das Ziel war, das aber letztlich nicht zählt. Der Aufwand, die Arbeit, das Drehen der Turbinen ist die Herausforderung der Natur, der diese sich zu stellen hat, bis sie sich schließlich selbst unterwirft. Und jetzt hat die Natur ihren Beherrscher unterworfen. Da ist nichts mehr zu fördern und nichts mehr zu fürchten. Gefördert werde jetzt vielmehr: ich. Mit diesem schönen Preis. Aber was Schleef zutage gefördert hat, ist viel mehr. Seine Flügel haben sich im eigenen Strom, bevor der überhaupt noch erzeugt werden konnte, pausenlos gedreht. Wenn er geschrieben hat, haben sie Gedankenenergie hervorgebracht, Schrift eben, denn es mußte immer alles nieder-geschrieben werden, was noch aufrecht stehen konnte, und wenn er auf dem Theater war, hat er Menschen herumgeschaufelt, sie aus dem Boden, in dem sie sonst nur nutzlos herumgelegen wären, herausgeholt, und er hat sich vor nichts gehütet, aber er hat das, was diese Menschen auf der Bühne hervorbringen sollten, zu ihrem eigenen Gedeihen gemacht. Er hat sie mit den Turbinenschaufeln aus dem Boden oder dem Wasser herausgeschöpft, und jetzt arbeitet das Kraftwerk halt unterirdisch weiter. Was solls, Hauptsache, es arbeitet. Der Wasserboden ist eine Lagerstätte, von wo aus die Arbeit ausgeworfen wird wie ein Netz, das ja ansonsten ins Wasser immer hineingehängt wird. Aber alle Energie, alle Strömungen, dieses Rudel von Wasserwirbeln, die Schleef jetzt erzeugt, sehen Sie, da kommen sie ja schon herbeigerannt, brüllen schon im Rennen, brüllen immer lauter beim Näherkommen. Ich glaube, ich weiß, woher das Brüllen herrührt. Wir beide haben es in unseren Katastrophenfamilien dauernd gehört, vielleicht schreien wir deshalb immer so laut, wenn wir was sagen, wir kennen es nicht anders, jedenfalls: alldas, das ganze viele große Wasser, das sieht man nun nicht mehr, jetzt sieht man mich hier, und ich fühle mich sehr traurig und auch ein wenig unbehaglich, weil eigentlich immer, und ich meine: immer, eigentlich er dort stehen sollte, wo ich stehe. Aber da sein Kraftwerk jetzt unterirdisch weiter wirbelt, Wasser zu Wasser, man darf ruhig auch Erde zu Erde dazu sagen, da er also unter Wasser seine Maschine kräftig antreibt, kann er, trotz allem Wirbel, nichts mehr an die Oberfläche hervorbringen, wo unsre armen schwachen Boote dümpeln - die würde er glatt umschmeißen. Und da bringe ich mich also selber her, damit er wenigstens meinen Gruß bekommt, er hat ja keine Postadresse mehr. So wie die Pflanzen das Wachstum geschenkt kriegen, kriege ich jetzt auch etwas geschenkt, und Schleef hat dieses unsichtbare Geschenk des Todes, das jedes Fleisch, das ihn empfängt, verändert und schließlich auflöst, bekommen. Das Feld wird bestellt, und der neue Tisch wird auch bestellt, im Katalog, auch dieses Bestellen ist etwas, das Veränderung nach sich zieht, in der Landschaft und in der Wohnlandschaft. Es wird zwar fleißig weiterbestellt, aber es wird nichts mehr geliefert, und es wächst nur noch der Tod, es wächst nur noch die Unordnung, das Maß der Unordnung, bis endlich alles übrige auch tot ist. Genau das haben wir gewollt, und genau so haben wir es bestellt. Und jetzt haben wir es gekriegt, wie man in Österreich sagt, wenn jemand eine reingewürgt gekriegt hat. Schleef ist es jetzt schon: tot. Er hat seine Bühne noch ein letztes Mal bestellt, aber das, was wachsen sollte, zum Beispiel mein Stück Macht Nichts, hat nicht mehr auf die Bühne draufgestellt werden können. Es existiert jetzt nur noch als Schatten auf einem Videoband, als Licht in meinem Kopf, wenn ich sehe, wie er den Wanderer-Text spricht, den Text über meinen Vater, und wie er dann vom Teppich stolpert, mit den kleinen erschöpften Schritten des Herzkranken, gegen die Wand taumelt wie ein Falter ins Licht, nur daß er doch aus dem Licht kommt und in den Schatten hineingeht, sich dort schwer abstützt, atemlos, und dabei ist der Atem sein Produktionsmittel. Was soll er denn herstellen ohne den vielen schönen Atem, der da rund um ihn ist wie jetzt das Wasser? Die Luft ist ja genauso wichtig wie das Wasser. Die Luft ist auf die Abgabe seines Atemstoffes nicht vorbereitet gewesen und hat sich erschrocken vor ihm zurückgezogen, gerade als er sie am nötigsten gebraucht hätte, er hat ja auch ganz besonders viel und ganz besonders mühsam zu sprechen versucht. Es hat ihn so viel gekostet, das Sprechen, er hat eine ganze Technik dafür gebraucht, die er so lang aus seinem Körper genommen hat, bis nichts mehr da war. Die Technik braucht die Natur, sie verwendet sie, weil nichts andres da ist. Und einmal geht dann die Natur weg. Jedesmal, wenn ich dieses Video sehe, auf dem Schleef den Wanderer-Text spricht, stürmt etwas auf mich ein, das mich verdunkelt, obwohl ich ja ins Licht schaue. Nur seine Silhouette ist zu sehen, bestehend aus Licht, das ist nämlich der Stoff, den die Pflanze braucht, nachdem das Feld bestellt und geliefert wurde, aber die Pflanze ist nicht Technik. Die Natur und die Kunst stürzen also, Vorsicht, bitte etwas beiseite treten!, in eins zusammen, und dann kommt noch schüchtern die Fotosynthese und macht hübsches, saftig austreibendes Kleinholz aus dem, was man vorher gar nicht gesehen hat, ein wucherndes, ins Kraut schießendes Gebüsch aus Menschen auf einer Bühne. Das Kraut schießt also und schießt, und endlich ist jetzt einer umgefallen. Kahlschlag bei der Arbeit. Aber dann, wenn die Arbeit fertig ist, sind die Menschen, die Schleef herumgeschoben hat, dann sind sie so da, so anwesend wie sie es nie wieder sein werden. Sie sind da, mehr als dieses Da kann man als Dasein nicht fassen. Da ist die friedliche Nutzung der Kernenergie ein Dreck dagegen, die andre Nutzung will ich mir lieber gar nicht erst vorstellen. Gegen diesen Gebrauch, den Schleef von den Menschen und ihrer Natur gemacht hat, bin ich eine Ahnungslose, Fühllose, eine, die nichts begreift, und ich begreife ja auch wirklich nichts, da muß ich gar nicht so weit wie bis dort vorn, bis zum Tod gehen, um wieder einmal nichts zu kapieren. Das bringe ich jetzt schon, jederzeit. Also, fassen wir wenigstens zusammen, weil wir uns ohnedies nie wieder werden fassen können, auch wenn wir das jetzt vielleicht noch nicht wissen: Die Natur will prinzipiell nicht, daß etwas gefördert wird, nur damit es dann einfach da ist. Die Natur hat das Wasser in seinen anmutigen Bewegungen (und wie oft hat sich Schleef hineinbegeben, sogar bei grimmigster Kälte, da man schon das Eis aufhacken muß, schon das kann ich, die sehr schlecht schwimmt, mir nicht einmal vorstellen! Schon das hätte ich nicht mit ihm teilen können!) , die Natur hat das Wasser also nicht hergestellt, damit es einfach da hergestellt bleibt, aber die Natur hat ihm schließlich auch nicht angeschafft, dieses blöde Kraftwerk anzutreiben, damit wir in der Nacht lesen können. Das ist ihm von ganz alleine eingefallen. Nein. Wir sollen selber gelesen werden von unsren Stöcken, auf die wir uns jetzt schon schwer stützen, und von denen wir noch schwerer herunterwachsen, bevor wir, es soll ja alles einen Sinn haben, geerntet sind. Nicht daß wir da etwa lesen sollten, wo wir doch selber längst ausgelesen und weggeschmissen sind. Das ist für uns nicht vorgesehen. Wir sind vor unserem Anfang schon fertig. Schleef war vor seinem Ende noch nicht fertig. Er war nie fertig. Er war fertig. Wir, die ihr Gedeihen hüten (Schleef hat sich vor nichts gehütet!) wir hingegen speichern Sonne, Wind und das schlechte Wetter, nein, das nicht, das vergessen wir und hoffen auf besseres, und wenn wir es nicht speichern, tut es die Natur für uns, und wenn die Natur nicht will, dann bauen wir eben ein Speicherkraftwerk, so eins wie ich für den Schleef gebaut habe, und das er nun nicht mehr in Betrieb wird nehmen können. Entsetzlich. Doch irgendwann soll etwas Nützliches draus werden, ein Treiben, das aber nur das Getriebe irgendwann mal schädigen wird, und dann kann man uns ohnedies auf den Mist schmeissen, der unsresgleichen ist und schon auf uns gewartet hat. Ja, und manchmal wirft die Natur einen weg, der sie doch so bestellen kann wie keiner, dann bestellt die Natur einfach ihn, weil sie ihn braucht und er ist somit angefordert und verschwindet. Ich kann mich damit nicht abfinden. Aber wer bin ich, mit der Natur zu streiten? Na, wegen Schleef würde ich das notfalls auch noch auf mich nehmen.
Dankrede gehalten am 9.5.2002 im Berliner Ensemble aus Anlaß der Verleihung des Theaterpreises Berlin 2002
Einar
Schleef
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