Schule

In die Schule gehen ist wie in den Tod gehen, ohne diesen zu kennen, aber wer kennt den schon? Vom Tod kann man nachher auch nichts mehr erzählen. Aber auch die Schule kennt man erst, wenn man sie hinter sich hat. Das haben beide wieder gemeinsam, der Tod und die Schule. Man weiß vorher eben nicht, wies ausgeht und ob es sich ausgeht, meist geht es sich aus; das heißt: ich hatte eine Ahnung, weil ich in der privaten Klosterschule, in die ich halbintern (bis fünf Uhr nachmittag) gegangen bin, schon den Kindergarten besucht hatte. Ich habe im Kindergarten schon gewußt, es kommt nichts Besseres nach. Ich bin da also immer hineingestiefelt, meine Seelen klirrten wandermäßig mit andren zusammen, denn die Seelen warens, auf die mehr Sorge und Arbeit verwendet wurde als die Körper, die sogar beim Turnen in knielangen Clothhosen (ein ekliges Material, keine Ahnung wie man das schreibt, aber noch Erinnerungen, wie es sich anfühlt) verhüllt wurden, damit man sie nicht sieht, sondern nur noch die Seele, um die mit dem Teufel mithilfe guter Werke und "Opfer" gerauft wurde. Äußerlich trugen die mit der schönen Seele, je nach der Dicke der elterlichen Brieftaschen breite oder schmale Schärpen als Auszeichnung für Bravsein und Leistung. Heute sagt man mir, das sei eine böswillige Interpretation, das sagen die ehemaligen Trägerinnen der Schärpen, als ob sie noch heute die Hand auf die Brust legen wollten, wo darunter es unsichtbar eine Hingabe an das Ziel dieses Staates und seiner Staatsreligion gibt, unbedingt, koste es was die Rolle wolle, zu seinen besseren Bürgern zu gehören, fast alles Akademikerinnen heute oder Ehefrauen von Akademikern. Na, ich bin das nicht geworden, und das wäre ja der Zweck der Schule gewesen, daß man: etwas wird. In der Klosterschule habe ich gelernt, die fromme Miene heraus- und hineinzuschrauben, je nachdem, wo die Miene explodieren sollte. Was überall in der Schule gleich ist: es heißt aufpassen! Und das Gebet ist im Kloster das was zählt, damit man bei Gott Eindruck schinden und selbst geschunden werden kann. Die Lehrerin wird fleißig und treu angeschaut, damit sie nicht auf die Idee kommt nachzuschauen, was unter dem Pult drunter ist, o Gott, ein Mickymausheft. Bei der Erstkommunion wird das Bild von Gott und dessen Mutti inbrünstig angeschaut. Es wird alles verboten, auch das Mickyheft. Die Schule hat die Macht, alles zu überprüfen und einen dann gleich weiter zu prüfen. Eine harte Prüfung. Das ist mir noch heute ein unerträglicher Gedanke, daß jemand soviel Macht haben soll, von einem anderen etwas, ausgerechnet ein Können, das den Menschen immer so unsanft aus seiner Gemütlichkeit reißt, zu verlangen. Das Können sollte immer aus eigenem Antrieb kommen, stattdessen treibt einen immer wer an, damit es eine Erzieltheit ist, das ist Erziehung: Ziel ohne was dazwischen. Seichte Ergebnisse, tiefste Verflachung, nichts Besseres, das trotzdem nachkommt und an einem klebt. Die erste Schulzeit also, bis zum Gymnasium: spirituelle Leistung, nichts, das was Lustiges an sich hätte, das war alles verboten, obwohl Gott will, daß die Kinder fröhlich sind, aber dieses Fröhliche immer nur Behauptung, vor allem für Kinder, die so viel wie ich gelitten haben. Nur wenige haben mehr gelitten, um ein Gesamtes zu werden. Schlimme Familienverhältnisse dazu bei mir daheim. Brüllende Eltern, tobende Schlachten. Wenn Sie das komplettieren, also die Bilderln, die noch fehlen, dazusammeln wollen, wollen, schicken Sie Ihre Kinder ruhig in die Klosterschule, damit sie mit dem Leben ganz abschließen, bevor sie die Tür überhaupt aufzusperren gelernt haben, mit dem Schlüssel, der an einem Strick um den Hals hängt. Ein Schlüsselkind, aber der Schlüssel ruht nicht still wie die Pflanze in der Erde, der läßt zum Schauen des Grauen immer wieder hinein. Man weiß ja als Kind nicht, wo man sonst hingehen sollte als nach Hause, wo man mit Schritten und Tritten korrigiert wird. Ein Horrorfilm. Das Geschriebene wird auf die Pulte geworfen, das Kind wird um Auskunft gebeten was es gelernt hat. Das ist eine Anmaßung von Leuten, denen keiner je Maß nehmen würde, denn sie gingen in das Kleid, das sie sich wünschen, nie hinein. Heute ist das sicher anders, denke ich. Ich weiß es nicht. Heute sind die Kinder vielleicht Bewohner der Schulen aus freien Stücken. Es ist für mich immer noch undenkbar, daß man freiwillig in die Schule gehen könnte. Sie ist das Gegenteil von Leben und, schlimmer, in ihr kann man das Leben verlernen, weil man lernen muß. Jugendlicher Schwung stürzt ein und ist rasch verstorben, weil er nicht mehr hochkommt.


28.5.2004

 


Schule © 2004 Elfriede Jelinek

 

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