Sinnlos. Zwecklos.

 

Hat es noch einen Sinn, im Namen irgendwelcher höherer Prinzipien die Schotterbaronin, welche unsere Innenministerin ist, anzuherrschen? Es hat keinen Sinn, denn sie herrscht doch selbst über Menschen und weiß, daß sie alle zum Vergessen sind. Was gehen mich die Zogajs, die Komanis oder wie sie heißen, alles ein und dasselbe, was gehen die mich an? Die können gehen. Und wenn ich sage, die gehen, dann gehen sie auch. Und wie schnell! Vor dem Morgen noch. In der Dämmerung.

 An diese Frau kommt nichts heran, und wenn, dann geht es gleich wieder. Sie würde es ohnedies nicht hören. Dafür vergehen uns Hören und Sehen. Sie setzt Menschen Verfolgungen aus, gedeckt, gedeckelt durch das Recht, das man ihr gibt, und das von uns ausgeht, so steht es in der Verfassung, die der Ministerin Recht gibt, so ist es beschlossen worden. Es ist dieser Frau gegeben, um es auszuführen, das Recht, diesen Hund, der, wird er ausgeführt, knurrend an seiner Leine zerrt und immer woandershin will, doch die Schotterbaronin lenkt ihn mit kundiger, entschlossener Hand dorthin, wohin er gehört, und das ist keine Heimat und kein Heim. Es wird dem Hund namens Recht gesagt, was zu tun ist, es wird das Gesetz ausgeführt, das ein Hund ist, beschlossen im Parlament, aber vielleicht ist dieses Fremdengesetz kein Hund, sondern ein Hundling? Egal, es muß exekutiert werden, und wenn es Leben kostete. Es ist ja nicht das eigene. Wir werden dem Recht schon beibringen, daß es recht hat. Das exekutierte Gesetz hat den Sinn, die Zusammengehörigkeit von Menschen nicht herzustellen, sondern auseinanderzureißen. Es hat auch das Recht, egal, wo oder wohin es ausgeführt wird, Familien auseinanderzureißen und, ist ja nur ein Beispiel von vielen: achtjährige Zwillinge mit ihrem Vater in den Kosovo abzuschieben, während die Mutter, akut erkrankt (was niemanden wundern wird), in der Psychiatrie liegt. Schwer Bewaffnete kommen im Morgengrauen und führen all die Menschen fort, denen wir nicht verbunden sind, denn man müßte ja umso mehr Güte und Gnade wirken lassen, je mehr sie zu uns gehörten. Die gesamte Menschheit wird für einen Augenblick sichtbar und zieht sich dann wieder erschrocken zurück, wie sich ein Meer vor einem verfolgten Stamm schon einmal zurückgezogen hat, aber damals zu dem Zweck, den Verfolgten einen Aus-Weg zu eröffnen. Später hat es den für das verfolgte Volk nicht mehr gegeben. Was es damals nicht gegeben hat: Gnade, die vor Unrecht kommt. Und die wird uns auch heute nicht dazwischenkommen, nein, diesmal darf uns nichts dazwischenkommen. Gnade: auch heute nicht im Angebot. Nicht bei uns jedenfalls. Wir können uns in unserem Tun gern vergessen, vor allem in der Kunst oder der Wissenschaft, in unserer Arbeit, aber das Vergessen können wir nicht vergessen, auch wenn wir es uns einbilden mögen.

 Der Vater und seine beiden achtjährigen Töchter sind abgeschoben. Sie sind schon im Kosovo. Egal, was sie können, egal, womit sie sich bewährt und betätigt haben (der Vater hatte Arbeit), egal, ob Kind oder nicht (das steht bei den achtjährigen Zwillingsmädchen wohl außer Zweifel), egal, ob geschützt oder nicht, nein, eine geschützte Art sind Asylanten nicht, Kinder vielleicht schon, nach der Kinder- und Menschenrechtskonvention, aber was schert uns das, wir scheren lieber andre, egal, wer und was diese Menschen sind, sie müssen weg, das Recht ist ausgeführt worden, ja, das Gesetz auch, sie durften überallhin, überall schnüffeln, in allen Winkeln, sie müssen das sogar, sie haben überall fleißig ihr Bein gehoben, sie haben uns markiert, für immer. Und jetzt ist sie weg, die halbe Familie, die man auseinandergerissen hat, sonst wäre sie ja eine ganze und ganz, die Mutter ist noch da, sie wird aber nachgeschoben, das Recht wird sie auch noch ins Flugzeug hineindrücken, ein Platz geht sich immer aus, auch wenn er uns dann fehlt. Nur ist unser Platz schon von uns besetzt. Weg! Weg! Weg!, wo ein Weg, da ist ein Wille, und dieser Wille sagt genau das: weg! Das ausgeführte Recht hat markiert, und mit diesem Geruch, der bleibt, werden wir leben. Aber wir haben schon mit ganz andren Sachen gelebt. Hauptsache, wir leben noch. Die Schotterministerin, die ihren Kies (bitte um Entschuldigung, aber daran kann man nicht vorbeigehen, auch da muß man selber sein Bein heben und markieren!) mit Schottergruben in Oberösterreich gemacht hat, versöhnt sich nicht mit den Menschen, sie versöhnt sich ja nicht einmal mit ihren eigenen Nachbarn in Attnang-Puchheim, so heißt der Ort, wo die Lastwagen mit ihrem Schotter donnernd durch die Straßen jagen und nicht immer auf Gleichgültigkeit treffen, jedenfalls nicht auf die profunde Gleichgültigkeit, mit der Maria Fekter, die Schotterfrau, Menschen ins Flugzeug setzt, von Schwerbewaffneten unterstützt (wen unterstützen die eigentlich? Sie unterstützen das Recht auf Abschiebung), manche stören diese krachenden, ächzenden Schwerlaster mit dem Schotter nämlich, aber wer hat ein Recht? Das Recht studiert keine Menschen, die Menschen studieren vielmehr es.

Und jetzt bäumt sich die Schotterfrau auf, weil sie einmal mehr das Recht hat, wer soll es denn sonst haben?, und dafür geht sie bis in die letzte Instanz, die über der dünnen Oberfläche ihrer Selbstgewißheit anschwellen wird wie ein eitriger Pickel: Sie will die Todesschreie von Tiere nicht hören. Wer will das schon? Neben ihrem Heim in Attnang will eine kleine Fleischerei samt Schlachthof aufmachen, und das soll und darf sie nicht dürfen. Die Schotterfrau will dort, wo sie zu Hause ist, ihre Ruhe haben, das ist ihr Recht, das Recht ist bis nach Oberösterreich gekommen, weiter als Gott, der nicht ganz soweit gekommen ist, ins Gottverlassene kommt er nicht, sonst hieße es anders, und dort hat die Ministerin das Recht, dort, wo sie zu Hause ist, ihre Ruhe zu haben vor den Hilfeschreien von Tieren. Vor der Todesangst von Tieren, die sich im Schreien äußert. Tiere sind nicht so diszipliniert wie Menschen, welche still abgehen, wenn man sie nur ein wenig schiebt und ihnen ein paar Sturmgewehre zeigt. Sie klagt bis ganz hinauf und dann wieder runter, die Frau Minister. Sie hat jede Menge Kies, um jahrelang zu klagen, ein Schlachthof kommt ihr nicht ins Haus, das heißt, er kommt ihr nicht neben das Haus. Dieses Haus hat eine Stätte der Ruhe zu sein, das ist das Recht des Menschen, wenn er zu Hause ist, wenn er ganz bei sich ist und sich ausruhen will, da wird jedes fremde Sein vorher beiseitegeschoben, abgeschoben und vergessen. Wenn nur Ruhe im eigenen Heim ist. Nur Ruhe, mehr wollen wir gar nicht. Kein Gebrüll von Tieren, kein Krachen des Fallbeils (Entschuldigung, des Schlachtschußapparats, aber der ist ziemlich leise, das beruhigt, nur die Schreie der Tiere sind laut, kein Wunder, daß man sowas nicht nebenan haben möchte), alles, was exekutiert wird, soll gefälligst in der Ferne stattfinden, in größtmöglicher Entfernung. Die Menschen, teilweise kleine Kinder, Hilflose, Kranke, egal, sollen weggebracht werden, und die schreienden Tiere, die Angst vorm Tod haben, sollen nicht herkommen. Das ist doch ganz einfach! Alles soll weit fort sein, sonst müßte man selber weit fortgehen, um nichts mehr zu hören, und das wäre unzumutbar. Wer zu Hause die Wahrheit scheuen darf, weil er im Beruf schon genug mit ihr zu tun hat, dem soll sie nicht zur Tür wieder hereinkommen, wenn man seine Ruhe haben will. Das ist kein Versehen, und das wird kein Versehgang, das Abschieben, das ist so gewollt und wird exekutiert wie ein Tier, das man essen möchte, dessen Tod sich aber möglichst weit entfernt abspielen soll. Der Tod von Tieren in der Nähe ist unzumutbar, außer auf dem Teller, dort ist er schon viel angenehmer, da sind auch noch nette Beilagen dabei. Die Abschiebung von Menschen mag eine Härte sein, aber keine unzumutbare, und außerdem findet sie nicht in der Nachbarschaft statt. War da nicht ein kleines Winken für die Menschen, von der Gangway eines Flugzeugs her, oder dort drüben, von einer saftigen Weide, auf der es sich einmal gut leben ließ, ein kurzes Muhen in der Tür zum Schlachthaus, eine Hoffnung, daß es weitergeht, zurück auf die grüne Wiese? War da was? War das ein Wink der Menschen an ihr eigenes Wesen, doch gnädig zu sein, einfach weil man es sein kann? Tiere im Schlachthof, an der Tür zu dem Ort, wo sie sich selbst enteignet werden, Menschen in der Tür zum Flugzeug, weil sie sich in Zukunft woanders enteignen sollen, enteignen von sich selbst, weil sie dort nicht hin wollen, wo man sie hinschickt, weil sie gewählt haben, bei uns zu bleiben? Keine Ahnung. Es ist sinnlos zu schreiben. Es ist alles längst ausgeführt, nur der Schlachthof und die Metzgerei sind es noch nicht, da wird noch geklagt und geklagt, bis zur obersten Instanz. Hört man da ein Klagen? Gibt es da irgendeine andre Wahrheit, die man sich selber schaffen müßte? Aber dann wäre man ein andrer, und das ist keinem zuzumuten, da könnte man in einen Abgrund stürzen, wäre man ein andrer, denn dann weiß man es nicht, man weiß dann nicht, was und wer man ist. Das ist schrecklich. Ich kann das nicht aushalten, aber wer bin ich schon? Was auch immer ich will – ich kann es auch vergessen!

 


Dorentina und Daniella Komani (8)

9.10.2010

Foto: APA


Sinnlos. Zwecklos. © 2010 Elfriede Jelinek

 

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