SCHATTEN

(Eurydike sagt)

Ich weiß nicht, was gleitet da an mir herunter, nein, es scheint eher von unten zu kommen und sich hinaufzuarbeiten, hat es jetzt die Ferse schon erreicht, das Knie? Etwas Weiches, Dünnes, rinnsalhaft Gleitendes, eigentlich Schmeichelndes. Ja, jetzt! Da dringt etwas ein, tut weh, irgendwas hat sich geöffnet in mir, was war das, ich bin ganz offen zu Ihnen: Ich weiß es nicht. Es ist in mich hineingeglitten, mir wird heiß, Moment, habe das Gefühl, ich muß etwas Ballast abwerfen, Kleidung? Da rinnt etwas, vielleicht werde ich nicht mehr am Herd und nicht mehr an meinem frisch angefangenen Manuskript arbeiten können, das vorhin noch so glatt aus mir hervorgekommen ist. Ja. Vielleicht ging alles zu glatt. Mein Schreiben, das rinnt wohl auch, so empfinde ich es, wissen Sie, mein Mann hingegen singt. Auf seinem eigenen Soundtrack eilt er dahin. Das hat ihn berühmt gemacht. Bevor er zu singen begonnen hat, war die Stille etwas Großes, etwas Heiliges, jetzt gibt es sie nicht mehr, mit seiner Stimme hat er die Stille durchdrungen und sie vernichtet. Ich bin stiller geblieben. Ich schreibe, wen interessierts. Wissen Sie, das geht so: Aus meinem Rohr tritt Flüssigkeit aus, es fließt auf ein weißes Blatt Papier, ich rinne aus. Mein Gehen, es ist gestoppt, meine gefestigte Existenz wird irgendwie locker, es kommt mir vor, als würde ich von mir selber fortschlenkern, als hätte ich keine Gelenke mehr, als hätte auch mein Bewußtsein keine mehr, keine Scharniere, in denen es sich bewegen könnte: Ich kann nicht, was ich mir wünsche, und ich wünsche mir, was ich nicht kann: Schreiben. Mein Gehen, erschüttert es die Erde, oder ist es ein Stampfen der Mutter Erde von unten herauf, das ich da spüre? Versucht sie mich abzuwerfen? Ich habe dem nichts mehr entgegenzusetzen. Mir fällt, wenn ich diese Landschaft sehe, etwas ein, aber nichts davon wird mehr aus meinem Rohr rinnen. Ja, seins, das geht irgendwie noch, es funktioniert. Sein Rohr geht, sein Mythos ist schon geschaffen, der kann nicht mehr zerstört werden, er kann sich selbst zerstören, aber zerstört werden kann er nicht mehr, er tutet aus allen Rohren, der Sänger, er wird gleich etwas singen, er wird mit seiner Gruppe etwas singen, aber auch allein, niemand, der so ein junger Mann ist, hat schließlich keine Band. Ich stampfe die Erde, das ist wie die erlaubte sexuelle Handlung, die heilige Wandlung der Ehe. Was erlauben Sie sich?, sagt heute keiner mehr. Es ist alles erlaubt, aber es ist gleichzeitig so, als wäre das Stampfen, das wir miteinander tun, irgendwie verboten oder so. Erhöht den Reiz. Nichts ist verboten. Mein Rohr ist leck, seins aber auch. Sonst würde man nichts von ihm hören. Ich glaube jedoch, bei ihm ist das gewollt. Es tut weh, da rinnt, glaub ich, ein Gift, ich muß mich erleichtern, ich habe zuviel an, ich habe zuviel an mir. Jetzt ist die Frage: Werde ich jetzt Schatten, oder bleibe ich, wie ich bin, und gebe vielmehr den Schatten her? Nein, ich ergebe den Schatten, ich ergebe ein Stück Schatten, und ich ergebe mich den Schatten. Ich bekomme einen Schwindel im Kopf und werfe etwas ab, totes Gewicht. So. Ich dachte, ich hätte etwas abgeworfen, und auf einmal bin ich selbst das Abgeworfene, das zurückbleiben muß. Ein knisterndes Etwas, dessen Uhr stehengeblieben ist und das nicht weiß, was es mit sich anfangen soll. Es kommen Abgesandte, ja, jetzt erkenne ich sie, um mit mir die künftige Einrichtung meines Lebens zu besprechen. Ob mir das recht ist, wenn wir das Sofa dorthin stellen und den Tisch dort drüben. Dort werde ich es mir jetzt einrichten müssen, bei den Schatten, Schatten unter Schatten, dafür kein Baum, kein Strauch. Wir Schatten müssen aus uns selbst leben und für uns selbst bleiben. Wir sollten mehr aus uns machen, wir machen es aber nicht. Ich bleibe doch jetzt schon hinter meinen Möglichkeiten zurück, und jetzt bleibe ich also auch noch hinter mir selbst zurück. Dort, wo ich war, bin ich nicht mehr. Etwas bewegt sich über das Gras, das keine Spur zeigt, kein Halm bewegt sich, der Wind macht sich los, aber er trifft mich nicht mehr, bin das etwa ich? Mein Schicksal und meine Lebensweise werden sich ändern, es wird keine Spur mehr von mir geben, mein Saft wird nutzlos aus dem Federrohr rinnen, ich werde glauben, mich gehäutet zu haben, und auf einmal werde ich selbst meine abgeworfene Haut sein. Schatten. Da ist etwas in mich eingedrungen und hat mich aus mir hinausgeworfen wie ein Meer aus Luft den Fühlenden, den Fühlenden mit Substanz, bloß: welche? Er bekommt jetzt keine Luft mehr, die Luft hätte er dringend gebraucht, so, jetzt aber!, der Fühlende erstickt da am Waldrand und wird eine seelenlose Erscheinung. Obwohl er vorhin doch noch so schön gefühlt hat, und noch dazu so viel, so viel gefühlt. Ich bin eigentlich nur an diesen Kleidern gehangen, modeinteressiert, immer, jemand anderer sein zu können durch Kleider. Ist mir auch nicht wirklich gelungen. Am Morgen habe ich wie immer allzu lange überlegt, was ich anziehen soll. Kaum war ich wach, kamen schon diese Überlegungen. Als ob ich nichts zählen würde. Als ob die Landschaft mich verlassen wollte, sich von mir zurückziehen, damit man mich in meinem neuen Outfit sieht. Als wäre ich meine Mutter, so sorge ich mich um mein Äußeres, mit zärtlichen Regungen gegen mich, wer tut das denn sonst? Der Sänger? Der und seine Fans? Ich höre das Gebrüll, es ist furchtbar. Es verfolgt mich, dieses Geschrei. Ist das Gebrüll etwa hinter mir her? Oder verfolgen die Fans keinen Zweck und verfolgen auch mich nicht? Wenn man etwas zu fürchten hat, dann das Fangeschrei der kleinen Mädchen; die kann einem echt Entsetzen einjagen, diese Mädchen-Meute. Ihre kleinen, vollkommen reglosen Gesichter, von nichts gestreift, sie wissen nichts, ihre Angst vor dem Alleinsein?, kaum!, denn sie treten in Mädchenrotten auf, diese Mädchenzusammenrottungen das Allerentsetzlichste, diese schrecklichen Schwärme, diese furchtbaren Schwärmereien, reglose Gesichter, sehen Sie, völlig unbewegt, die kleinen Mädchengesichter, und dieses grauenhafte Geschrei, immer Geschrei über allem, hängt über allem, den Erzeugnissen des Gebirges, den Ergebnissen der Ebene, todbringende Schwärme in der Luft, wie Ungeziefer, Fliegen, Summendes, ein Schwarm, ein grauenhafter Schwarm! Alles Mädchen! Hurra, Mädchen! Her zu mir! Die können einem das Blut aus der gefestigtsten Existenz treiben! Aus ihren Mündern quillt ein Strom aus spitzigen Kieseln, man sieht kein Wasser, man sieht keinen Grund, man sieht nur sie, man sieht den Mädchenschwarm, ja, mein Mann ist ein Mädchenschwarm!, es schreit, es brüllt, aber die Gesichter reglos, die kleinen Mädchen das nackte Grauen, schrille, furchtbare Schreie aus ihren dummen, aufgerissenen, schnappenden, nach Zahnpasta riechenden Fischmäulern. Diese Kinder!, noch nicht weit entfernt von der Kindheit und ihren Schrecken, als sie hinfielen, nun fällen sie den Sänger, trampeln ihn nieder, die Münder aufgerissen, ja, jetzt sind sie selbst der Schrecken, sie sind ein Stück weit, weit genug, entfernt von ihrer Kindheit und brüllen, wie sie als Säuglinge nie gebrüllt haben, holen das vielleicht nach, furchtbare kleine Mädchen, die machen einem Angst, ja, ihm auch, meinem Sänger auch, das weiß ich mit Sicherheit, da hat er einst einen echten, entsetzlichen Angstanfall erlitten durch die. Die Scheiße vor Angst aus ihm herausgeschüttelt, alles rüttelt und schüttelt, geile kleine Bande, Gabelkörperchen, die Beine schon gespreizt, um wen zu empfangen, sie wissen nicht, wen, aber sie wollen das Eine, das es geben muß, erzählt mal, Mädchen, was ihr so treibt und mit wem! Aber das, was aus ihren Mündern quillt, gleicht einem reißenden Strom, kreisch! Kreisch!, dieser Strom der Erzählung wird bald durch Felsbrocken verlagert sein und sich ein andres Bett suchen müssen und dann wieder ein andres und dann ein neues. Das treibt sie an, das treibt sie an. Sie wissen es nicht, sie halten mit nichts hinter dem Berg, hinter den sie ohnedies nicht sehen, sie sehen ja nicht weiter als der Ton in ihren Ohrstöpseln reicht, das Wasser, das sie nicht mehr halten können, brandet gegen die Staumauer des Bildschirms, in den sie ihre kleinen Titten halten. Ein im Halbdunkel flimmerndes Publikum hat auf der andren Seite nur drauf gewartet. Ekel. Diese kleinen Mädchen zeigen keinen Ansatz, sie haben keinen Ansatz, zu nichts, sie haben einen Ansatz zu Brüsten, den sie zeigen, sie zeigen alles, sie gehen aufs Ganze und zeigen alles, sie zeigen mehr, als es überhaupt gibt, sie setzen an, und dann sind sie die heulenden, brüllenden Instrumente. Kreisch kreisch kreisch, ihr Kleinen! Was macht ihr denn da? Unbewegten Gesichts kreischen und rennen und kreischen und rennen. Diese Gefahrensituation gilt es zu vermeiden, damit sich beim Sänger keine Angst entwickelt, die ihm die Stimme raubt.

Meine Kleider verbergen mich und zeigen mich. Das ist wie mit dem Schreien. Diese kleinen Hockpisserinnen, Breitpisserinnen, öffnen sich unten, öffnen sich oben, können es gar nicht erwarten, sich zu öffnen. Hätten gern noch mehr Öffnungen, damit sie ganz offen und bereit sein können. Platzen schon schreiend aus ihrem kindlichen In-den-Tag-Hineinleben hinaus, platzen mit sich in jeden Raum hinein, die Jugend wird ja ständig neu eröffnet, sie klaffen weit auf, wenn der Sänger, angeheizt von andren Kehlen, andren Scharfmachern, auf die Bühne federt und ein paar Riffe, äh, Riffs wegreißt. Er sagt, er fürchtet sich so vor den Mädeln. Sie reißen ihm die Scheiße raus vor Angst. Reißen sich dann selber noch viel weiter auf. Was da alles rauskommt! Was soll schon drinnen sein in diesen kleinen Körperlein? Wer will das sehen? Wer will das schon sehen, wenn sie ihre Wünsche mit sich unterstreichen, wenn ihre Körper gierig nach allem klaffen, von dem sie gar nicht wissen, was es ist? Sie sind doch nur Dreck unter Fingernägeln! Aber der Sänger fürchtet sich vor niemand mehr als vor ihnen. Gebrüll. Niederreißen von Menschen. Hintrampeln auf Bodenlieger, Draufsteigen auf alles. Wummern, Kreischen. Danke für Ihre wertvolle Teilnahme, danke, daß Sie den Sänger zerteilen wollen, zerfetzen, verschlingen, für jede von ihnen ein kleines Stück Sänger. Runterschlucken und unter sich lassen, was geschluckt wurde. Alles muß raus und rein, die Leibesfenster werden aufgerissen, hier auch noch reinkommen und hier bitte auch noch!, hier hätten wir auch noch ein Loch, und da ist noch Platz! Auch im Kindesalter gebricht es schließlich nicht an sexuellen Regungen, bis man dann selbst gebrochen wird. Das entwickelt sich alles in der Kindheit, entwickle dich jetzt, werde später geschädigt! Abnorme Reaktion auf sexuelle Eindrücke, verkörpert im Sänger, diesfalls im Sänger, jenseitsfalls in jemand anderem. Und später werden diese Erlebnisse dann in der Erinnerung wieder ur-wichtig werden, das ist des Sängers Fluch, ich sagte es schon und werde es noch öfter sagen, da kann man die Sänger nur verfluchen dafür. Und der Sänger verflucht jetzt wieder mal die Kreischerinnen. Reißen mit Haken ihre kleinen Fotzen auf, und die Erinnerungsspuren werden sich, wie fleißig genutzte Busspuren, auf denen sich Großes abspielt, wenn auch ziemlich ungeschickt, nur noch in Erinnerungen äußern können, und das ist unbefriedigend. Wer noch unbefriedigt ist, darf sich jetzt auch melden. Sie melden sich natürlich sofort. Alle. Alle dürfen sich melden. Alle sollen sich melden. Kann es sein, daß hysterische Symptome in diesem Geschrei vorhanden, das eine Erinnerung offenhält, also das Geschrei: die Erinnerung, nicht umgekehrt, kann es sein, daß dieses Gekreische überhaupt erst unter Mitwirkung von Erinnerungen entsteht, oder schafft es erst die Erinnerung? Nicht eins ohne das andere, meine Herren! Herr Sänger, Sie machen diese kreischenden Mädchen krank! Die sind jetzt, da ihre Körper einmal entriegelt, entsperrt sind, offen jedem gegenüber, offen sogar für die Todesangst, die sie noch gar nicht kennen, offen immer für alles, offener im Beiseitesetzen aller Abhängigkeiten, nur hingegeben, immer weiter geöffnet, die sind ja Scheunentore, ohne was Nützliches drin, das man melken oder töten könnte. Alles, auch das, was sie gar nicht haben, würden sie aus sich herausspritzen, geben alles her, noch bevor sie es haben, die Mädchen. Ungeheuer! Trampeln, reißen alles nieder. Mir ist das fremd. Das soll auch Lust sein? Daß denen der sirrende, pfeifende, heulende Atem durch die Stimmritzen saust, als wären alle Geister der Welt in ihnen eingefangen und müßten jetzt unbedingt raus. Dabei ist nichts in ihnen. Diese Mädchen verkörpern das Nichts, denn sie haben nichts als ihre Körperchen. Sie schaffen nichts, sie himmeln den Schaffner, den Schaffer an, sie himmeln an, selber nichts als das Nichts, das trotzdem herauswill, wer versteht? Ich nicht. Auch wer keine Ohren hat, der höre, er kann ja nicht anders. Kreisch kreisch kreisch! Unbewegte Gesichter und loskreisch, rote, unwillkürlich verzogene, schweiß- und tränenüberströmte Gesichter mit nichts dahinter, es spritzt aus Nasen, Mündern und Augen, kreisch kreisch kreisch! Da setzt es Fontänen! Ja, vollkommen neutrale, unbewegte Gesichter, und dabei doch verzerrt, verzogen, ohne was dahinter, und kreisch kreisch kreisch! Körper in höchster Bergnot! Bis das Bett naß wird. Ihr Schmuckkästchen nässen sie selbst, die Liebe macht naß, sie zündeln an sich selbst und löschen sich, und dazu schreien sie, schreien schreien schreien.

Ich persönlich, wenn Sie mich fragen, ich kenne das nicht. Als Dichterin kenne ich das nicht. Ich sollte es kennen, aber ich kenne es nicht. Mein Sänger macht das gut, ja, stimmt schon, der macht das so gut, daß ich mir denke, er kann bei der Geburt die Trennung von seiner Mutter, dieser Muse für Keineahnungwas, keinesfalls als so schmerzhaft empfunden haben, daß es ihm die Stimme verschlagen hätte, bitte, ich bin ja nur ein Nymphchen, ich bin ja ein Nichts dagegen, versuche halt auch, ein wenig zu schreiben, aber bitte, es geht nicht, also von der Mutter, der Muse, als Kind getrennt, Mutter selbst noch ein Kindwesen, also die Trennung von ihr kann er nicht als Angsterlebnis empfunden haben, unmöglich. Sonst würde er nicht dermaßen singen können, daß es die Steine erweicht. Der kennt keine Angst, außer vor den Mädels kennt er keine Angst, so lauthals wie der singt. Nur die Kreischerinnen fürchtet er wie die Hölle. Da gibt es nur ein Entweder-Oder. Da gibt es nur Angst oder keine Angst. Ein Drittes nicht. Und so, wie es da aus mir herausrinnt, macht es mir natürlich auch Angst. Ein Gefühl, das ich bislang nicht kannte und das ich mir untersagte. Und doch, bis jetzt ist es immer wiedergekommen, die Angst kommt immer wieder zu mir, da kann ich machen, was ich will. Ich fühle sie schon, was ich auch sage, sie kommt, und ich kenne kaum etwas anderes. Ich habe lang den Fehler gemacht, sie auf bestimmte Organe zu beziehen, die Angst, und auch jetzt stimmt das ja irgendwie, da hat mich was gebissen, ich glaube, eine Schlange, ich sehe die Wunde, sie ist nicht dort, wo sie sonst ist, eine neue Wunde hat sich aufgetan. Aber da ich auch Angst hätte in einem milden Tal, ob ich auch wanderte dort, ich hätte überall Angst. Sie beherrscht mich ganz. Hat sie immer getan. Was kann ich mehr von ihr sagen, als daß ich sie empfinde, als wäre ich nicht ich, sondern ein Stück Dreck, nein, schauen Sie: mein Garderobenschrank! Den kann keiner Dreck nennen, aber er enthält auch Staubmäntel, Trenchcoats, Swingermäntel, etwas, das man drüberziehen kann, daß man darunter mein Zittern nicht sieht, mit dem ich die Erde stampfe. Kein Gedanke an Koitus bei diesem Stampfen. Alles eher als der, nicht der schon wieder!, alles, was ich über diese extreme Empfindung von Unlust zu hängen versucht habe, befindet sich in diesem Schrank hier. Ich weiß nicht recht. Jetzt bin ich selber eine Art Kleid, unter dem es herausrinnt. Ich bin das, was nur kurz gelebt hat, noch weniger Abdruck im Boden als die Schlange, die sich auf mich gestürzt hat, was nützt mir nun meine Kleiderhaut, meine Kleiderbrut, mein nie gelungener Hort? Mit meinen Waffen, mit den Waffen einer Frau trete ich hinaus und gleite sofort auf mir selber aus, auf dieser abgeworfenen Haut, bin nicht gewohnt, auf sowas zu gehen, gehört die etwa mir? Oder der Schlange? Ich weiß es nicht. Einer von uns beiden gehört diese Haut. Sie haben mir nichts genützt, meine herrlichen Kleider, ich werfe sie nun ab, und da bin auf einmal ich selbst das Abgeworfene. Gerne würde ich wieder am Waldrand stehen, wo es passiert ist. Meine Freundinnen sind fort. Sind Notrufe selbst, weinen, graben nach ihren Handys, wollen eine Rettung, die es nicht gibt. Schon wieder Geheule überall, allerorten. Wo ich doch so lärmempfindlich bin, ach, jetzt ist es gut, ich höre es kaum noch. Bin wohl schon im Keinort, aber nein, doch nicht im Kurort, wo denken Sie hin. Nichts ist mehr da. Nein, stimmt nicht, mein Kleid ist noch da. Ich bin das Kleid. Ich bin ein Kleid! Ist das die Strafe? Wofür? Daß mich immer nur Kleider interessiert haben? Manisch einkaufen gegangen, getrieben von einer Boutique in die nächste, wo es vielleicht noch Schöneres gab: das auch noch!, keine Fragen an Rettung vergeudet, die Hüllen wären meine Rettung gewesen, vor wem? Ich weiß es nicht. Was verdanke ich der Angst? Das weiß ich nicht, ehrlich gesagt, denn ich kenne angstlose Zustände ja nicht. Bei andren: Antwort auf Gefahr. Bei mir: immer. Auch ohne Gefahr. Ich kann diesen Zustand immer herbeirufen, muß es aber nicht, er ist sowieso immer da. Steht mir immer zur Verfügung. Früher mag er einen Sinn gehabt haben, jetzt ist er nicht mehr nötig, Angst auch ohne Sinn und ohne Anlaß. Diese Schlange im Gras habe ich gar nicht gesehen, ich antworte ja auf spätere Zustände mit den geeigneten Maßnahmen gegen sie; während ich sie noch anwende, diese Maßnahmen, merke ich, daß sie nichts nützen, es herrscht, und es bleibt nur: Angst. Ich nehme mich selbst in meiner Angst vorweg, ich brauche nichts mehr, die Angst hat mich, nicht ich habe Angst, sie hat mich. Kleider drüber, lange ausgesucht, denn nur unter meinen Kleidern kann ich gefahrlos ich sein, ohne daß mich jemand sieht, und dann Ruhe, Beruhigung, bis zur nächsten Angst, und die ist immer schon da. Sie wartet, daß ich in mein Schicksal eile. Die Angst ist ein Kleid, das sich bereithält, offenhält, und ich gehe in sie hinein, könnte nicht direkt sagen, daß ich sie mir überstülpe, dann wäre sie ja ein Fremdkörper, sie ist mein Kleid, immer ein andres, immer dieselbe Angst, darauf kann ich bauen, die ist mir sicher. Aber was nützt mir das jetzt? Ich verliere mich, das spür ich. Ich bin schon weg. Ich trauere schon um meinen eigenen Verlust, bin sicher, der Sänger wird das später noch viel gründlicher nachholen, der wird sich Zeit dafür nehmen, Zeit für Trauer, die muß sein, soviel Zeit muß sein, daß man anständig trauert. Der Sänger wird die Realität gründlich prüfen, er wird merken, daß ich nicht mehr da bin, er wird noch einmal prüfen und unter den Einfluß dieser Realitätsprüfung gelangen, total unter den Einfluß der Trauer gelangen, ja, das wird er, und die wird von ihm kategorisch verlangen, daß er sich von mir, seinem Objekt, jetzt trennen muß, weil mein Ich, dieses Objekt, doch gar nicht mehr besteht. Er wird dann die Arbeit zu leisten haben, diesen Rückzug von mir, dem Objekt, seinem Objekt, ja, das ist wichtig, lachen Sie nicht!, von mir, die ich wertvoll geworden, gerade weil ich sein Objekt bin, und er wird diesen Rückzug von mir, dem Objekt, auf allen Ebenen und in allen Phasen seines Lebens durchzuführen haben, ordentlich durchzuführen haben, in allen Situationen, in denen das Objekt, ich, das Objekt also Gegenstand hoher Besetzung war, ich war die erste Besetzung, kein Zweifel, eine hohe Besetzung, vielleicht hat er mich zu hoch angesetzt, mag sein, vielleicht hat er mich falsch angesetzt, vielleicht nur einen Ton, nur einen Ton falsch angesetzt, bei dem Lärm hört das eh keiner, falsch angesetzt und falsch gebracht, das mag sein, aber er wird den schmerzlichen Charakter dieser Trennung akzeptieren müssen, er wird sich fügen müssen, er wird sich dann fügen müssen und die hohe und unerfüllbare Sehnsuchtsbesetzung von mir, die ich weg sein werde, futsch, perdu, abgetaucht, wird er für immer akzeptieren müssen, denn ich, das Objekt, werde eben fort sein, jawohl, fort, und das wird er, fürchte ich, diesem schmerzlichen Charakter, den der Rückzug seines Objekts haben wird, nämlich mein Rückzug persönlich, ich meine natürlich meinen Rückzug als Person, alles klar soweit?, also diesem schmerzlichen Charakter dieser Trennung wird er sich fügen müssen, er wird sich, wer, er?, was wird passieren?, also der schmerzliche Charakter unserer Trennung wird sich immer wieder einstellen, auch wenn er sich gefügt hat, der Sänger, immer wieder aufs neue, und sogar nachdem er sich längst gefügt haben wird, nachdem es sich gefügt hat, daß ich, sein Objekt, endgültig verschwunden bin, wird er das hinnehmen müssen, es wird ihm nichts andres übrigbleiben, und nachdem er das kapiert haben wird (so, wie ich ihn kenne, wahrscheinlich nie!, der ist wie ein Säugling, was er hat, das hält er fest, an dem saugt er, und dann spuckt er es wieder aus, und dann singt er gleich wieder fleißig, weil er eine Erfahrung gemacht hat, die Erfahrung, daß man alles behalten darf, was man hat, weil es einem zusteht, es gehört sich, daß einem möglichst viel gehört, das leuchtet mir ein), nachdem er das geschnallt hat, wird er diese Sehnsuchtsbesetzung von mir, seinem Objekt, in allen Situationen, in allen ähnlichen reproduzierbaren Situationen immer wieder als Bindung an mich, sein Objekt, erkennen, wo er doch lernen sollte, die Bindung an mich, sein Objekt, jetzt endlich und endgültig zu lösen. Da führt kein Weg daran vorbei. Er wird sich von mir lösen müssen, ich für meinen Teil, der aber nicht mehr meiner ist, ich habe mich ja längst gelöst, gar nicht so schlecht, plötzlich leichtsinnig zu sein und unverantwortlich, seine Hüllen liegenzulassen und abzuhauen, aus sich selbst heraus, einfach wegzugehen. Mich zu lassen, mich endlich sein zu lassen, allein zu lassen, was ich ohnedies bin, er hat das nur nicht akzeptiert, mich loszulassen in dieser Landschaft, die mir plötzlich total lustig erscheint, hell, freundlich, da ich endlich gehen kann: Das wird er nicht schaffen. Er wird es nicht schaffen, mich sein zu lassen. Er hat mich nicht gemacht, aber er wird mich nicht sein lassen. Er wird mich in mein Sein wieder hineinstopfen wollen, das sehe ich kommen. Da er nur an sich selbst gebunden ist, wird er in jeder möglichen Situation die Trennung von mir, seinem geliebten Objekt, immer wieder aufs neue erleben müssen, und das wird er beenden wollen, indem er mich wieder holen geht. Vielleicht ahnt er es schon, daß er mit dieser Trennung nicht fertig werden wird, daß diese Trennung immer wieder stattfinden wird müssen, das kann nicht angenehm sein, er kann einem fast leid tun, aber er wird immer dort, wo er endlich die Bindung an mich, sein geliebtes Objekt, lösen wird sollen, diese Bindung erst richtig herstellen wollen, ja zwanghaft immer wieder herstellen müssen. Es geht nicht, daß ich gehe! Das wird er sagen. Er wird mich nicht lassen. Er wird mich nicht gehen lassen. Überall wird er mich sehen, am Waldrand, in den Wipfeln der Bäume, oder was die Natursprache sonst sagt, ich spreche sie nicht, sie langweilt mich, lesen Sie sie woanders, schauen Sie sie woanders an, im Kino, im Fernsehn, wo auch immer, schauen Sie die Natur meinetwegen auch in natura an, aber mich langweilt sie, obwohl ja auch ich der Natur unterworfen bin, was ich grade schmerzlich zur Kenntnis nehmen muß. Bitte, schau ich mir halt brav die Natur an, solang sie noch da ist, glotzen Sie von mir aus stundenlang, es wird sich kaum was ändern, die Natur wird auch verschwinden, nach mir wird sie verschwinden, ja, klar, verschwinden wird sie, schlagen Sie ruhig nach, was sie alles zu bieten hat, noch zu bieten hat, nicht noch alles zu bieten hat!, schlagen Sie sie in Google Earth auf, aber ich mach das nicht, die Natur ist nicht so meins, ich habe das noch nie so gemerkt wie eben jetzt, da sie mich verläßt, meine Natur, baba und fall net!, egal, ich kenne sie, aber gerade weil ich sie kenne, möchte ich die Bekanntschaft mit ihr nicht unbedingt vertiefen, also stellen Sie sich eine Naturschilderung vor, nehmen Sie sie, wo immer Sie sie herkriegen können. Und wo auch immer er in dieser Schilderung gefangengenommen sein wird und zu seinem Instrument greifen wird, mein Sänger, wird er, ich sagte es schon, aber es ist so wichtig, daß ich es noch einmal sage und immer wieder: wird er also die Bindung an sein geliebtes Objekt, nämlich mich, herstellen müssen anstatt sie zu lösen. Immer ankoppeln, auch wenn gar kein Zug mehr dasteht! Immer alles anhängen, alles zusammenhängen, auch wenn es überhaupt nicht mehr da ist! Na ja, ich bin nicht objektiv in dieser Sache, bin nur Objekt, das ist viel weniger, weil es sich nicht entscheiden kann, und fürs Leben kann es sich schon gar nicht entscheiden, aber ich sehe das so klar vor mir, als könnte ich es noch erleben: Die intensive, infolge ihrer Unstillbarkeit stets anwachsende Sehnsuchtsbesetzung von mir, dem vermißten, verlorenen Objekt, wird dieselben ökonomischen Bedingungen herstellen wie die Schmerzbesetzung einer verletzten Körperstelle, also stellen Sie sich vor, es wird ihm so weh tun wie mir der Biß dieser Schlange oder was das ist, das mich jetzt getötet hat, aua! Also das wird es sein, was das arme Schwein immer wieder aufs neue spüren muß!, und diese fortwährende Schmerzbesetzung durch das Fehlen von mir, seinem Objekt, wird es ihm möglich machen, von der peripherischen Bedingtheit des Körperschmerzes wieder abzusehen. Na ja, von meinem Schmerz kann er sowieso absehen, den kann und will er sich natürlich nicht vorstellen, diesen Schmerz klammert er aus unter der blendenden Sonne, die mich nicht mehr sieht, sein Vater, die Sonne, der Apoll in Reinform, nein, nicht in Reimform, das ist wieder ein eigenes Kapitel, sein Vater hat mich von Anfang an ausgeblendet, meine kleinen Dichtungen waren nichts für ihn, den Strahlenden in seinem Wagen, in seinem Himmelswagen, vielleicht ist sein Sohn, der Sänger, deshalb so fad, so träge, die Mädels machen ja die ganze Kreischarbeit, er macht ja nichts, er macht nie was, weils schon mit seinem Vater immer nur rauf und runtergegangen ist, und das möchte der Sohn nicht wiederholen, daß er immer der Sonne, seinem Papa, zuschauen muß, rauf, runter, das ist fast so schlimm wie rein, raus, alles, was von den Männern kommt, ist irgendwie eintönig, und bis sie den zweiten Ton beherrschen, das kann dauern. Ohne Sonne wären wir nicht, gut, das gebe ich zu, wir brauchen sie, aber viel ist das nicht, was wir sind, wie leicht geht einer von uns verloren, und mich gibt es ja nicht mehr, aber viel ist das nicht, was es da nicht mehr gibt, und ich kann behaupten: nicht so schlimm, will der Sonnengott mich etwa kontrollieren?, ob ich auch wirklich weg bin, ob ich Schatten bin, den es ja leider ohne ihn auch nicht gibt? Es ist leider wahr: Nur er kann Schatten erzeugen. Gut, darauf hat er ein Monopol. Aber darauf ist er nicht stolz, wie er da immer wieder auftaucht, wie er (wir hören ein brüllendes Wiehern, dann ein zischendes Erlöschen), sich aufbäumend, bremst, herausspringt, schaut, ob auch alle Schatten da sind und ob die Farbe, die er fürs Licht vorgesehen hat, so funktioniert, und das prüft er in genau dem Licht, das er doch selbst erzeugt hat, wie der da auftaucht und wieder abtaucht, alles in langatmiger Stereotypie, ja, genau wie mein Werk, gut, daß Sie mir das sagen, das wäre aber doch nicht nötig gewesen!, ich weiß das selber, ich weiß, mein Werk ist eintönig, aber sein Weg ist es genauso: eintönig, es gibt ja nur die Himmelsstraße, die Sie sich ruhig als öde Umgehungsstraße irgendwo in der Pampa vorstellen dürfen, und da fährt er, und da gehts rauf und wieder runter, mich hat er ausgeblendet, wie so viele, wie früher oder später alle; mich sieht er nicht mehr, ich bin schon fort, wie er da also auftaucht, der Apoll, der Schweiger, äh, Schwieger-Papi!, weiß er schon, daß ihm nichts übrigbleiben wird als wieder abzutauchen, zu verschwinden, zwar nur für ein paar Stunden, aber immerhin, auf der Erde hat er dann nichts zu suchen. Er muß genauso weg wie ich, wenn auch nicht für immer. Er kommt wieder. Er kommt immer wieder. Im Gegensatz zu mir verschwindet er nie für immer, der Gott der Sonne, er fällt, aber er steht immer wieder auf und fährt weiter. Sonst wäre es doch immer finster. Und nicht einmal sein Sohn, der Sänger, sieht mich noch, das macht ihn ja fertig, ja, das macht den fertig!, denn er kann mich ja nur in Bezug auf sich überhaupt erkennen, klar, das können viele, keine große Leistung, aber aber aber, was wollte ich sagen, der Übergang von diesem Körperschmerz, der sich immer einstellen wird, wenn er das Fehlen seines Objekts, in diesem Fall mein Fehlen, erkennen muß, der entspricht dem Wandel, ach was, der Übergang von Ichweiß zu Ichweißnicht entspricht normalerweise, bei normalen Menschen, die keine Sänger sind, gar nichts, keine Entsprechung, kein Treffer, bei normalen Menschen findet das keine Entsprechung, oder ich kenne sie nicht, die Normalen. Genau! Da rackern sich welche auf der Bühne ab, und die kleinen Mädchen mit ihren Fotzenhobelmündern, die grade nur drei Töne beherrschen, einen oben, einen unten und einen in der Mitte, und keiner davon ist angenehm für den menschlichen Genuß, die kreischen sich aus den strengen, strafenden Mienen ihrer Mütter davon, die einst selbst mit Zelten zu Festivals in den Schlamm eilten, wo die Dixi-Klos überflossen von den starken inneren Rührungen. Wie herrlich diese Erinnerung und diese dort auch! Bei unseren Stars ist das natürlich anders, bei denen ist alles anders, aber was soll der Sänger mit denen anfangen, die da vor seinem Gesicht ihr Geschlecht hervorziehen und aufklappen, und das weibliche Geschlecht ist schon in seiner frühesten Phase einfach überall, man kann schauen, wohin man will, die sind einfach überall, die Mädels mit ihren tückischen Spalten, die sind wie Sandhaufen, Sandbänke, Treibsandlöcher, nehmen jeden auf, geben niemand wieder her, sind bereit für einen, der keiner ist, oder für keinen, der einer ist, wer auch immer, am besten eine Gruppe, viele auf einmal!, also denen die alle halt zujubeln, kreisch kreisch kreisch!, beste Großraum-Disco-Wumme!, wir haben also einen Übergang, was wollte ich sagen?, einen Übergang, der bei einem normalen Menschen nicht nichts entspricht, wie ich einmal irrtümlich anmerkte, sondern der entspricht genau dem Wandel von der narzißtischen zur Objektbesetzung, nicht wahr. Der Übergang entspricht also doch etwas, aber dazu müßte man erst mal außer sich selbst auch noch etwas anderes, einen anderen, wenigstens einen!, sehen. Na, einen sehen sie ja, keine Ahnung, nein, ich habe eine Ahnung, welchen, aber ich habe keine Ahnung, ob das wirklich wahr ist, was der Sänger singt. Ich glaube, jetzt ist er ohnedies ruhig. Der Phantomschmerz eines Verlusts bringt den normalen Menschen dazu, sich ein andres Objekt zu suchen, das ihm dann gleich wieder Schmerz zufügen kann. Ganz neuen Schmerz. Aber immerhin Schmerz. Die Leute verdrängen das, weil sie glauben, sie wollen Spaß, dabei wollen sie Schmerz. Je mehr sie haben wollen, desto mehr wollen sie, daß etwas fehlt. Damit sie dann wieder etwas Neues haben können. Wissen Sie noch, daß es mein Fehlen sein wird, das Fehlen des geliebten Objekts, das zum Zwang des Wandels der Objektbesetzung führen muß? Mein Tod? Mein Fehlen? Aber bei ihm nicht, bei ihm nicht, bei ihm funktioniert das irgendwie nicht, das sehe ich jetzt schon voraus. Ich kenne ihn. Er wird sich nicht damit abfinden. Er wird mich finden wollen. Er wird herausfinden wollen, wo ich bin. Er hat mich, sein Objekt, zu hoch gehängt, das war von Anfang an ein Fehler, ein typischer Sängerfehler, falsche Note, das wird seiner Trauer irgendwie eine falsche Note geben, ich höre das jetzt schon, ich horche in die Zukunft hinein, sie ist definitiv falsch, und jeder seiner Töne ist auch falsch, er wird einen falschen Ton singen, das höre ich jetzt schon, bevor er überhaupt ansetzt, sonst hört es keiner, die hören ja nichts, die Kreischerinnen, die hören nur ihn, aber nicht, was, und was sie hören, ist auch nichts, ich aber höre es, er hat mich als sein Objekt viel zu hoch besetzt, kein Wunder, er war der Besetzungschef von mir, seinem Objekt, und er hat mir eine zu hohe Rolle eingeräumt, bitte, ich sage eingeräumt, weil er mir diesen Platz ja erst geschaffen hat, ich habe das nicht getan, aber er, er hat mich zu hoch gehängt, und diese hochbesetzte Objektrolle, die er mir ausdrücklich einräumte (ich habe nicht darum gebeten, das können Sie mir glauben!), spielt ungefähr die Rolle einer von Verletzung betroffenen Körperstelle, die durch Reizzuwachs nur notdürftig bedeckt ist. Tote werden ja für die Daheimgebliebenen immer reizvoller als sie je waren. Er sieht mich nun als Teil seines Körpers, er kann mich gar nicht anders sehen. Klar. Und die Kontinuität und Unhemmbarkeit dieses Besetzungsvorgangs, die der Kontinuität und Unhemmbarkeit seines Schmerzes entspricht, den er als echten, furchtbaren Körperschmerz erfahren muß, bringen einen Zustand hervor, bringen ihn in einen Zustand, der, wie soll ich sagen, ach ja, es hat schon jemand für mich gesagt, danke, also die Kontinuität und die Ungehemdetheit, äh, die Ungehemmtheit, nein, auch nicht, die Unhemmbarkeit bringen dann bei ihm einen Zustand der totalen Hilflosigkeit hervor. Oder verlängern diesen Zustand, denn anders als hilflos habe ich ihn nie erlebt. Ich sehe das schon vor mir, wo ich doch noch im Gras liege und zusehends verschatte und verschrottet werde, von der Höhe kommt ein Blitz, aber er erhellt mich nicht mehr, vom Berg kommt ein Sturm, aber er bewegt mich nicht mehr, was will ich hier, bin doch kein höherer Mensch, der ein Recht hätte? Was will ich hier? Nicht mehr von Haut bedeckt? Schatten? Nicht mehr wesen und nicht mehr wesentlich, aber das war ich ja nie.

So. Bitte. Betrachten wir es einen Augenblick aus seiner Warte, aber auf die komm ich nicht rauf! Eine Warte ist etwas Hohes, da muß man erst mal raufsteigen. Ich kann das nicht. Mir tut jetzt schon alles weh. Diese Leiter steht außerdem alles andre als fest. Vorhin wandelte ich noch auf einer Blumenwiese, und die Erde unter mir war brav und still, und jetzt soll ich auf die hohe Warte rauf. Da gibts doch sicher bessere Wanderwege, nur finde ich sie nicht. Wo soll ich hin? Hilflosigkeit erzeugt Unlust. Bitte, bei mir nicht, denn Hilflosigkeit ist meine Standardposition, ist meine Stellung, Angst und Hilflosigkeit, ich bin das gewöhnt. Er kennt das ja nicht. Wo schlagen wir jetzt nach, wo schlagen wir jetzt zu? Schlagen wir dieses Kapitel jetzt zu? Also, kurz gesagt: Reaktion auf mein Verschwinden in jedem Fall Unlust, in erster Linie bei mir, aber der Sänger tut so, als wäre er der Beraubtere!, dabei fehlt mir bloß mein ganzes Leben!, aber er ist der Beraubte!, in einem Fall Schmerz, in andrer Reaktionsform Angst, je nach der Stärke des Bindungsverhältnisses zu mir, würde mal sagen: sehr starkes Bindungsverhältnis, klebte der an mir, sieht er nur noch meinen Schatten, erschrickt er, denn er sieht neben diesem Schatten noch einen andren Schatten, sich selbst, und er fährt zusammen, und er fährt fort, und er erschrickt, nachdem ich ihn an meinem Tisch gespeist habe, für ihn gekocht habe, alles ohne Sinn, Welt ohne Sinn, mein Leben ohne Möglichkeit, nachdem er aufstand und schnell um sich blickte, sah er zwei Schatten, einer: ich, der andre: die Wahrheit, die nichts als Müdigkeit verkündet, sobald sie den Mund öffnet und sagt: Alles ist gleich. Aber das kann nicht sein. Er hat seinen Schatten, ich habe meinen, ich BIN Schatten jetzt, aber gleich können wir nicht sein, da steht der Mann auf der Erde und denkt nach, er sieht zwei Schatten, seinen und mich, die ein Schatten ist, nein, nicht ein Schatten ihrer selbst, einfach nur Schatten, einfacher Schatten, einmal Schatten bitte, einfach, und er fährt zusammen und blickt schnell auf, wer ist dieser zweite Schatten, wieso zwei?, wo kommt der zweite her?, kann es neben mir ein Wesen geben, aber wo ist es, wo wirft es den hin, diesen Schatten, da muß doch ein Wesen sein, das mit Schatten wirft, aber ich sehe nur diesen Schatten, den und dann meinen, natürlich meinen, das ist meiner, der gehört zu mir wie meine Haut, wieso, woher kommt das, wer hat das Wesen ausgewischt, das den Schatten neben mir dahin geworfen hat?, so, schauen Sie her, und in unserem Bindungsverhältnis von mir zu Schatten, gleich, wer das ist, leider muß ich noch mal darauf zurückkommen: In unserem zu starken Bindungsverhältnis, wem immer dieser zweite Schatten gehört hat, dieser Mensch ist jetzt fort, aber seinen Schatten hat er dagelassen, wer immer es ist, was wollte ich sagen, in unserem Verhältnis herrscht eben ein zu starkes Bindungsverhältnis, nicht an die Person des Schattenwerfers, wer immer das war oder ist, sondern an mich, an mich, an mich! Ich verstehe nicht: Klebe ich mit mir zusammen? Bin ich Schatten auf Schatten, beide meine, wie man Spielkarten auf den Tisch schmeißt? Und darin, in diesem zu starken Verhältnis, zu stark für mich, läßt jemand seinen Schatten da, läßt ihn einfach liegen, und der schließt sich an mich an, nein, Moment, jetzt geht er, endlich geht er, aber das Bindungsverhältnis war sehr stark, wohl zu stark für ihn, für wen?, für mich?, und in ihm, in diesem Verhältnis vollziehen sich diese unangenehmen bis tödlichen Vorgänge, welche alle unweigerlich, aber ich weigere mich ja gar nicht!, zu tiefster Unlust, ja Verzweiflung führen. Und dann zu gar nichts mehr. Ja, so denkt er mit Sicherheit, wenn er einen zweiten Schatten sieht, wetten? Also nehme ich mich mit. Da mich kein andrer mitnimmt, nehme ich mich mit, mich, den Schatten, ich ziehe mich über, und ich gehe jetzt. Der Sänger wird sich damit nicht abfinden, das sehe ich schon voraus. Der will immer alles. Ich kenne ihn. Der will mich behalten, der will mich nicht hergeben, sogar als Schatten noch will er mich für sich, ohne mich kann er die Morgen- und die Abendstimmung nicht richtig bewerten, ohne mich kann er sich selbst nicht mehr genügend wertschätzen. Der verlangt alles, gut, er verlangt es auch von sich, als Sänger gibt er alles, aber er verlangt dafür wieder mich zurück. Für alles will er mich. Für Gold will er Blech. Da schreit einer? Oder? Haben Sie nichts gehört? Wer bin ich schon! Was gehe ich mich an? Ich gehe halt. Was soll man da machen? Was will man da überhaupt machen?

Mein Sein hat sich abgeändert in das, was es umschließt, in seine Hülle, und die ist flach, ohne mich ist sie flach. Ach, ihr schönen Kleider, so viele hab ich gesammelt, eine Sucht? Kaufrausch? Erwerbssucht? Ja, eine Sucht, alles meins. Ich hätte mich am liebsten umgekehrt, umgestülpt, daß man nur mein Äußeres sah und nicht mich. Ich wollte unter der Hülle aus Stoff, aus einem verschiedenartigen Stoff, aus verschiedenartigen Stoffen, verschwinden, und jetzt verschwinde dafür ich im ganzen, also alles von mir! Wer hätte das gedacht?! Daß meine Leidenschaft, mich zu verhüllen, damit man mich darunter nicht sieht, damit man mir verzeiht, aber was?, mich selbst zur Hülle macht. Daß es mich gibt, ohne daß ich etwas überzuziehen hätte, ohne daß ich etwas überziehen dürfte, nein, ich spreche ausdrücklich nicht von meinem Konto. Na ja, dieses Problem wäre gelöst. Was weiß ich, was?! Damit man diese schönen Umhüllungen sieht, nicht mich Modeverrückte, das muß ich haben, das und das auch! Nein, das nicht, das ist zu teuer dafür, daß ich es dreimal anziehe und dann weglege, gefaltet wie einen Schatten, neuerdings mein eigener, wenn ich ihn nicht brauche, weil es dunkel ist. Nein, das ist doch nicht zu teuer! Wieso zu teuer? Dafür war es gar nicht teuer! Und es kommt nicht aus der Mode, das muß man auch bedenken. Gehen wir weiter, aber wir kommen zurück, wir werden zurückkommen und diese Jacke auch noch kaufen, die paßt so gut zum Rock, zur Hose und zu der andren Hose auch, die Jacke paßt zur engen wie zur weiten Hose, zur Zigarettenhose, zur Skinny Jean wie zur Marlenehose, wir werden es uns überlegen, aber wir werden sofort wissen, daß es da nichts zu überlegen gibt, und dann kaufen wir sie. Es gibt unendliche Möglichkeiten zu kaufen, jetzt auch im Netz, schon lange im Netz, Bilder Bilder Bilder Bilder, und alle mitsamt ihren Beschreibungen. Ich kaufe mir etwas, damit ich endlich verschwinden kann. Das ist meine Wahrheit, das Verschwinden ist meine Wahrheit, und unter dem Verschwinden kann ich meine Geschichte zum Vorschein bringen, die eine Geschichte der Getriebenheit ist, es treibt mich etwas zum Kaufen, das gebe ich zu, im Kaufen tanzt der frohe Mensch vor dem Spiegel, vor der Schaufensterscheibe, vor den Autoscheiben, die ihn zum Gespenst verzerren, doch er tanzt nicht lange, er verwelkt vor seinem Bild, denn er weiß: Kaum war etwas neu, schon ist es wieder alt. Kaum nimmt man etwas in all seiner Wichtigkeit in Gebrauch, schon schafft die Natur mit ihrer Wichtigtuerei – ich weiß schon, warum ich sie so hasse! – schafft die Natur, daß es welkt, verblüht, altert, stirbt. Ein Gleichnis für die gespensterhafte Fernwirkung, nein, nicht für die, für die gespensterhaften Klänge Apolls?, Entschuldigung, aber nein, das ist mein Mann, der da singt, mit Apoll hat der nichts zu tun, er leiht sich von ihm nur manchmal die Gene und den Wagen, in dem schon einmal jemand verstorben ist, dieser blöde Phaeton, man hat den Wagen dann aber wieder hergerichtet, nur in andrer Form, dem Phaeton hat das gar nicht gut getan. Das war wirklich ein folgenschwerer Unfall, meinen hat ja nicht einmal mein Mann bemerkt, nur die Sonne und die Schlange als Täterin waren Zeugen, aber die Wagenkatastrophe eines wirklich Großen, die merkt die ganze Welt, die darauf gleich in Flammen aufgeht, nicht vordrängen bitte, Sonne: obenbleiben!, nicht runterfallen!, bitte, warten!, denn zuerst stürzen die höchsten Gipfel, dann springen die Risse auf und setzen sich nicht mehr nieder, und dann versiegt die ganze Feuchtigkeit, alles weg, alles ausgetrunken von keinem, aber trotzdem weg. Die Wiesen, auf denen ich wandelte, bis ich verstarb, brennen zu weißer Asche, aber was brauche ich jetzt die Wiesen, was brauche ich als Schatten eine Wiese, was brauche ich auch nur den Schatten einer Wiese, um mich zur Geltung zu bringen? Ich brauche sie nicht. Ich brauche eine Höhle, ich brauche den Hades, und den finde ich auch ohne Wegweiser, da die Erde mich weggewiesen hat. Für die Weggewiesenen gibts nur einen einzigen Weg, und der ist keiner, der heißt nur: weg! Die Bäume werden mitsamt ihren Blättern versengt, und sogar das reife Korn geht in den Flammen auf. Folge: Es gibt nichts mehr zu essen, und große Städte gehen mitsamt ihren Mauern unter, und die Völker werden zu Asche und aus. Ja, das würde mir schon gefallen, soviel Beachtung wegen eines einzigen Autounfalls! Aber ich sterbe still. Mein Schatten bestätigt es mir, keiner fragt. Der Sänger fragt auch nicht, der weiß schon. Der weiß es. Keine Ahnung, was. Der Schatten sagt: Ändern Sie jetzt Ihre Lebensweise! Ändern Sie Ihr Schicksal, das darf ich doch wohl verlangen, da Sie selbst jetzt Schatten sind! Und der Schatten kennt nichts Überflüssiges. Alles total straight. Nur, sagt der Schatten, sage ich also, darf ich mich nicht mehr allzu lange an einem Ort aufhalten, sonst merkt man, daß ich keinen Schatten habe, sondern vielmehr einer bin, was ja viel weniger ist. Nur Ruhe, sagt mein Schatten, sage ich, diese drückende Angst werden Sie bald ablegen, da Sie an dem Ort, an den Sie kommen, eh nicht mehr wegkönnen. Alles Überflüssige schneiden wir weg, das braucht ein Schatten nicht. Der braucht eine saubere Kontur. Mein Übermaß, das ich mir selber geschaffen, geht in ein paar Schränke hinein. Außer mir kennt nur die Natur ein solches Übermaß, wenn auch nicht in meiner Person, das Übermaß der Lieblichkeit herrscht hier nicht mehr; mein Kleiderschrank kennt es nicht, er behält sein normales Ikea-Maß, soviel ich auch kaufe. Er behält sein Maß. Das und das und das dort gehen nicht mehr hinein. Ich wollte unverfälscht sein, mich unter den bunten Fetzen bewahren, und dabei bin ich selbst in Fetzen gegangen. Wissen Sie, daß vor allem Frauen, die von ihren Müttern nicht geliebt werden, dermaßen nach Kleidung verrückt sind? Die wollen sich blindlings ein Ansehen verschaffen, und blind müssen sie sein, schaut man sich an, was sie da so zusammengekauft haben. Oft habe ich das beobachtet, daß die starre Majestät der Mütter durch einen Haufen an Kleidern verkleidet und abgemildert, manchmal sogar verdeckt werden konnte. Die Lücken der Erinnerung werden geschlossen, das Loch in meinem Leib wird überdeckt, meine Symptome werden aufgehoben, für später. Man wird ja jedesmal eine andre, die vielleicht geliebt wird, auch wenn die Mutter eine Nymphomanin, äh, eine Nymphe ist, zumindest ich soll ja auch eine sein. Ich merke davon aber nichts. Ich stelle das einmal so in den Raum, denn wer zuviel liebt, dem glaubt man nicht, wer zuviel geliebt wird, der merkt das schon gar nicht mehr. Wer gar nicht liebt, muß sich auch nicht zur Verfügung stellen. Sehr angenehmer Zustand, man kann ohne zu zögern sagen, daß man glaubt, niemand zu sein und niemand mehr werden zu wollen. Es wird heftig widersprochen, denn viele wollen einem Glück versprechen, auf Ausflügen leichtfertig für einen handeln und die Geliebte retten. Die fühlt nichts. Ich wollte mich immer durch diese Kleider ersetzen, die Kleider an meiner statt, so schöne Sachen habe ich mir gekauft, was für eine Freude jedesmal!, an meiner Eitelkeit konnte ich mich immer zuverlässig anhalten, ein Vermögen habe ich dafür ausgegeben. Der Sänger war da auch immer sehr großzügig. Bis er selbst von diesem Strom an Stoffen mitgerissen wurde. Ein Malstrom, ja, das Übermaß schlechthin, und alles für mich! Und wo bin ich jetzt? Ich hätte keinen Schatten werfen sollen, denn einmal passiert es, daß man nicht fängt, denn einmal ist er weg und bleibt auch weg. O Gott! Mein Schatten ist fort, oder nein, bin etwa ich jetzt Schatten, und alles andre ist fort? Könnte gut sein. Ich komme nur deshalb darauf, weil mir vorhin jemand nachgerufen hat, ich hätte meinen Schatten verloren. Sieht der denn nicht, daß ich der Schatten bin und die Andere, die ich war, durchkreuzt wurde und an meiner statt jetzt fort ist? Alles von mir fort, wirklich alles, oder nein, nicht von mir, alles, was ich war, fort? Wolken, Berge von Kleidern, Gebirge an Schuhen, Halden von Schutt aus Stoff, Lehm, äh, nein, Leder, Pelz, sogar Vinyl, verrottet garantiert nie!, deshalb bei Schatten besonders beliebt, aber die sind, auch wenn nicht greifbar, ich meine, wenn man sie nicht greifen kann, unzerstörbar: gewaltige Lagerstätten, Ruhestätten dessen, was mehr war als ich, Sie werden jetzt natürlich sagen: Jeder ist mehr als Sie, alles, was lebt, ist mehr wert als jede Frau, ja, meinetwegen auch als viele Frauen, keine Frauen wiegen etwas auf, sie wiegen sich nur selbst, nein, sie wägen sich ab, sie wägen sich gegenseitig ab, und dann wägen sie sich selbst ab, sie sind immer besser als alle, besser als jede?, besser als jede andere?, aber diesen Schuh zieh ich mir auch noch an, ich hab ja noch mehr davon, nein, ich hab nichts mehr davon, und deswegen kommt er auf die Halde, da sind sogar völlig ungetragene dabei!, leichtsinnig und unverantwortlich von mir, so viel einzukaufen. Alles, weil ich es nicht nötig habe, ich bin ja selber jemand! Der Rest überflüssig. Das ist wie mit dem Schatten: Die Leute glauben, er fehlt mir, dabei bin doch ich diejenige, die fehlt! Ich bin der Schatten! Nur glaubt es keiner. Ich bin zuwenig schön für den, der mich anschaut, aber vielleicht dieser Lammfellmantel?, ist der nicht schön?, kann man mit oder ohne Gürtel tragen, aber wenn mit Gürtel, dann quillt es oben und unten, als ob man darunter verwesen würde, ist der Ihnen schön genug, dieser schöne Mantel? Schauen Sie, Sie werden mich darunter gar nicht mehr wahrnehmen, sie werden mich nicht einmal mehr riechen, wenn Sie sich erst daran gewöhnt haben, das ist ja der Zweck, schauen Sie! Nicht mich hervorzubringen und zur Geltung, sondern darunter zu verschwinden. Den Schatten verschwinden zu lassen ist keine Kunst. Man muß nur konsequent im Dunkeln bleiben. Aber Schatten zu sein, ohne daß die andren es merken: Also ich weiß nicht, wie man das macht. Sich in die Sonne legen? Oder will ich mich etwa zur Gestaltung bringen, mir selbst Form geben, als könnte die Frau wenigstens sich selbst erschaffen?, haha!, nein, könnte ich mich als Existenz festigen durch diesen schicken und dabei auch noch warmen Mantel? Der ist so schick, daß er warm gar nicht mehr sein müßte! Nein. Bitte, sehen Sie nicht mich an, schauen Sie auf diesen sportlich-eleganten Mantel, die Fachsprache würde es heute ganz anders ausdrücken, machte ich mir die Mühe, sie jetzt aus ihrem Fach herauszuholen. Ist der Mantel nicht toll? Und man kann einen ganz ähnlichen auch in Vintage kriegen, wenn man sich Mühe gibt und drei Wochen lang dafür unterwegs ist, aber was ist schon die Zeit!, sie zählt nicht, wenn etwas nicht aus der Mode kommt. Das hat dann vor mir schon jemand anderer getragen, aber jetzt darf er mit meiner Göttlichkeit Bekanntschaft machen, dieser schicke Mantel, und diese Göttlichkeit verdanke ich umgekehrt ihm. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Der Mantel macht was aus mir. Als Schatten kann man ihn leider nicht mehr tragen, er gleitet auf dem Nichts, das ich bin, immer wieder ab. Ich werde unirdisch, ich werde überirdisch durch die Kleider, die sich auftun, wie Schicksale, in die ich hineinrenne, ja, meine Kleider, die ich mir jahrelang gekauft habe, um Beachtung zu finden! Es hat nichts genützt. Und doch! Wie ein Tier schoß ich auf meine Beute zu: Das muß ich haben, das und das auch! Schon schön. Der Abschied von meinen Kleidern ist fast schlimmer als der vom Sänger. Meine Kleider ziehen an mir, ich habe sie längst ausgezogen, dafür ziehen jetzt sie an mir! Schon wieder höre ich die kleinen Mädchen in der Ferne johlen. Gekreisch, kreisch kreisch kreisch!, Handyfoto-Orgien!, die Halle wie immer ausverkauft! Der Sänger zwischen obligatorischen Umkleidepausen, darin unterscheidet er sich nicht von jeder Frau, er unterschied sich von keiner Frau. Die Mädels lüstern am Boden, räkeln sich, kreischen, heulen, unbewegten Gesichts, ein entsetzlicher Schwarm, blitzelnd mit ihren Geräten, ihre Glieder unter den Fetzen hervorblinzelnd, mit den Augen zwinkernd die Kinderglieder, ihre Kinderparaglider, die heben gleich ab!, und bald sind wir erwachsen, bald werden wir erwachen, aber schrecklich sind wir jetzt schon! Wir zerreißen jeden! Er soll nur in unsere Gasse kommen! Kreisch! Brüll! Kleider! Brauchen die gar nicht, die reißen sich sich selbst vom Leibe, wenn der singt, wenn sie den Sänger in seinen eierengen Sängerhosen hören. Erlaubte mir die Macht meiner Kleider, die höchste Macht, die ich je anerkannt habe, dem Tod zu entkommen? Nein, denn tot bin ich nun mal trotzdem. Ich weiß es jetzt. Nichts hätte mich aufhalten können, Schatten zu werden im Reich der Schatten, Schatten unter Schatten, durch die Mühen der Dämmerung hindurch: Schatten. Schatten am Abend und vor der Morgendämmerung, also nichts, was man noch sehen würde. Aus und vorbei. Hätte nie gedacht, daß das so schnell geht. Bin in meinen leichten Joggingklamotten mitsamt deren Symbolen, nichtssagende Hieroglyphen, Wappen von nichts, Abzeichen mit nichts, Warenzeichen, die es gar nicht gibt, Fälschungen von Fälschungen, bin also so, wie ich grade war, schon im Anlaufen, meinetwegen: im Einlaufen, immer kleiner werdend, eingesackt worden, binde mir irgendwelche Schnüre noch fest, die an mir herunterhängen, keine Ahnung, wozu die gut sind, stören eher, ich mag einfache Kleider lieber, ohne dieses Kristallzeugs oder so, also binden wir sie zu, ordentlicher Schatten, der du bist! Nichts hält. Das ist ermüdend, daß nichts auf einem hält. Dabei sollte es mich verdecken, und jetzt bin ich das geschlossene Verdeck, das nichts mehr verbirgt. Muß es auch nicht. Nichts drinnen. Ich bin vollkommen hohl gewesen, und jetzt bin ich auch noch flach. Was bleibt? Ist das Nichts schon das, was bleibt? Mein Schatten, platt wie ein Zitterrochen im Gras? Und, was passiert jetzt? Wieso konnten sie mich nicht bewahren? Mich nicht zusammenhalten? Weil meine Zusammenfassung zu kurz ausfallen würde? Sie alle werden mich überleben, diese Kleider, werden insgesamt alle länger währen als ich. Ab jetzt, ab sofort wird alles und jeder länger währen als ich, sogar die Greise, denn meine Währung läßt sich nicht mehr umtauschen. Meine schönen Kleider. Sie bedeuten mir alles. Um mich plötzlich Betriebsamkeit. Was wollen die? Wollen die in ihrer hinterlistigen, hinterfotzigen, forttobenden Betriebsamkeit mir meine Kleider nehmen und mich etwa in Jeans stecken, die jede Mißlungenheit meiner Figur hervorheben? In bloße Jeans, wie sie alle tragen, bloß nicht auf meinem Körper? Ich Jeans? Niemals! Das hätte die Folge, daß sich meine Oberschenkel zu deutlich abzeichnen würden, und die Vorlage, die sie abzeichnen, war schon nicht optimal.

Was wollen Sie überhaupt von mir? Wollen Sie sich das auch kaufen, was ich da anhabe? Versteh ich gut. Ich würde Ihnen schon sagen, wo ich es herhabe, aber es gab dies nur ein einziges Mal, und das war schon für mich! Was wollen Sie? Mich können Sie nicht wollen, also was dann? Für eine stets gutgefüllte Liebesbrieftasche, aus der mir der Sänger mein Leben jederzeit großzügig austeilt, als gäbe es einen unbegrenzten Vorrat davon, damit ich mir immer wieder neu in meiner Lieblingsboutique kaufen kann, dafür würde jemand wie Sie sicher alles geben. Ich finde es wichtig, daß man gibt! Geben Sie ruhig alles, aber nehmen Sie sich vor dem bösen Erwachen in acht, nehmen Sie sich vor dem bösen Erwachsenwerden in acht! Ich bin eine, die sich gibt, sogar gern, aber dabei immer behält. Sie können mich ruhig entfernen wie einen lästigen Fleck, wenn Sie mir nur meine Kleider lassen. Wenn ich nur meine Kleider mitnehmen darf. Sie sind alles, was ich bin. Sie überdecken alles, was ich sein könnte. Nein, Sie sagen, ich darf nicht? Jetzt ist sowieso nichts mehr da, was überdeckt werden könnte. Keine Spur Selbstgefälligkeit dabei. Wenn Sie mir die Möglichkeit einräumen, noch weitere Kleidungsstücke zu erwerben, können Sie mich haben, ich würde für diese Kleider sterben, muß aber nicht, denn ich bin ja schon weg. Keiner merkt es, ich zähle sowieso nicht. Nur die Fetzen zählen. Überall die Bilder, es sind Bilder fast wie Modebilder, fast so schön, es fehlt nicht viel. Man sieht, daß mir nichts fehlt. Ich bin zwar flach, aber noch nicht einmal ein Bild. Ich nehme den wohlgemeinten Rat eines Fremden an und trete unter die Bäume, wo ich verschwinde, wo sogar der Schatten verschwindet. Ich kaufe, ich gehe von einem Geschäft zum andren und kaufe, und wäre es nur ein Lippenstift, ein Eyeliner, im Drogeriemarkt kostet das faktisch nichts, ich kaufe, ist schon gekauft, ist gebongt. Ich brauche nichts, aber ich nehme, was ich kriegen kann, und das dort, und das auch noch. Dafür würde ich sterben. So. Dafür sterbe ich jetzt, das macht mir gar nichts, ich bin ohnedies schon tot. Ich brauche keine Menschen. Ich will keine Menschen, ich will Kleider. Stummes Sein. Endlich Stillsein! Bild sein. Ich will nicht einmal selbst ein eigener Mensch sein, das ist ganz unwichtig, ich will Kleider, den Schmuck der Gewänder, die Figur betonend, figurbetonend, hervorstreichend. Und wer streicht mich da jetzt wieder aus? Ich fasse es nicht! Und man faßt mich nicht. Wem ist ein Schatten ein Schatz? Wer braucht ihn? Es hat doch jeder selber einen. Ich würde mir sogar jetzt noch etwas Schönes kaufen, dem Schatten, der ich bin, vielleicht eine etwas andre Form geben, zur Abwechslung, ich meine ja nur, nein, nicht die Liebe der Menschen, die will ich nicht, und die will ich auch nicht erwerben. Man sagt mir, diese Phase gehe rasch vorbei. Würde mir ohnedies nicht gelingen, selbst wenn ich wollte. Es ist so: Keiner hat mich lieb. Ich nehme das als Zeichen, daß ich nicht mehr zurückkommen soll. Wenn das jeder täte, wäre längst keiner mehr da. Bitte, vielleicht habe ich einmal mit diesem Gedanken gespielt, geliebt zu werden, da zu sein, dringend gebraucht zu werden, um gebraucht werden zu können, wie etwas, das man sich kaufen kann und dann vielleicht gar nicht mehr will, weil es nicht das war, was man gebraucht hat, man hat es nur geglaubt, man hat immer was andres gebraucht, der Gebrauchtwaren- und wagenhandel jubelt, ihm fällt das alles in den Schoß, und dieser Kunde wird ganz sicher zurückkommen und das Gebrauchte für etwas noch Gebrauchteres eintauschen, das er plötzlich viel nötiger zu brauchen glaubt, weil er nur das dann lieben kann, das von vielen begehrt wurde. Doch etwas blieb, wenn auch nicht viel: ein Gedanke, mehr ist es nicht. Bitte um Entschuldigung. Ich ermächtige Sie, mich zu nehmen und mir dafür die Mittel in die Hand zu spielen, mir endlos weiter diese Kleider kaufen zu können, von denen ich total besessen bin, so besessen wie Sie von etwas anderem, das mir egal ist. Leider immer vom Rechnerischen bestimmt, denn alles konnte ich nie kaufen, ich mußte auswählen, was schwer war, oft schwer war, ich habe nach Vorteilen geschnappt, nach Schnäppchen, wie man sie nennt, nach Schnäppchen geschnappt, dann hat die Schlange nach mir geschnappt und aus! Ich habe immer, eine ewig Planende, mich selbst eingerichtet, um nach mehr auszusehen. Kein Eigennutz ausgeschaltet, denn es war alles für mich, vom Tod mich erlösen? Aber nein, was denken Sie, der Tod sollte meine Kleider doch endlich von mir erlösen! Und die Endlichkeit soll mich auch von mir erlösen. Endlich! Gleich wird sie das machen. Sie werden schon sehn.

Endlich. Was geschieht da mit mir? Was geschieht da mit mir, die ich bald nur noch meine eigene Hülle sein werde? Gar nicht mal so schlecht, ich werde jetzt mein Schicksal erfüllen gehen. Kein Kleid mehr da, das ich ausfüllen könnte. Meine Verwüstung verbreitet sich bereits mündlich und wird noch weiter verbreitet. Ich spüre Schadenfreude. Wegen dieses saphirblauen Satinkleids, in dem ich mir eingebildet hätte, eine Prinzessin zu sein? Warum wird mir sowas übelgenommen? Das ist schon interessant. Da kniet jemand vor mir nieder, das wäre doch nicht nötig gewesen! Aber andrerseits: Ist diese weite Hose, diese stille, stilvolle Glockenhose, in der ich als Klöppel auf ewig schweigen muß, nicht wirklich zum Niederknien? Ja, denn er kniet nieder, wer ist das überhaupt? Ich glaube, der Sänger ist es nicht, aber ich kann es nicht genau erkennen. Da kniet jemand, und mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit tut er was, das muß ich schon sagen, geschickt gemacht ist es, ich sehe nur noch nicht, worauf das hinauswill, hinaus soll, was? Ich soll selbst hinaus? Ich verstehe nicht, er kniet vor mir, und ich sehe, wie er mich, von Kopf bis zu den Füßen, vom Oberteil meines Hosenanzugs bis hinunter zu den Hosensäumen, wie er mich leise vom Gras ablöst, mich ablöst, mich von mir ablöst, wo ich stehe, wie macht der das?, ich sehe es nicht, ich sehe nur, wie er mich ablöst, endlich werde ich abgelöst! Ist meine Ablösung etwa schon da? Was, ich bin es selbst? Jedes Mal ich? Gut. Endlich werde ich von mir abgelöst, aber ohne ich bleiben zu müssen! Ich kann mich bleiben lassen, ohne ich zu sein! Was für eine Erleichterung! Wurde aber auch Zeit! Beendet gleichzeitig die Zeit. Endlich endlich abgelöst, er kniet vor mir und löst mich von mir ab, hebt mich auf, wieso bin ich so weich? Ich bin mein neuer Hosenanzug, kein Zweifel, aber das bin ja ich! Ich bin mein Anzug! Ich bin eigen, nein, ich bin mein eigener Anzug!, ich muß es sein, denn er nimmt mich, den Anzug höchstselbst, da es ein Selbst für mich ja nicht mehr gibt, nimmt mich, hebt mich auf, rollt mich zusammen, faltet mich, und zuletzt – das hat mir noch gefehlt! – steckt er mich ein. Er steckt mich ein. Was hat der vor? Was hat er mit mir vor? Was hat er mit meinem verlassenen Sein, das nicht einmal der Seinsverlassenheit würdig ist, es ist ja schon allein, mein Sein, das seiner selbst nicht wert ist, was hat er mit diesem Anzug, der ja nur durch mein Sein etwas Leben bekommen hat, ein Leben, das endlich erleichtert verschwinden durfte, damit es mich nicht mehr sehen mußte, seiner Endlichkeit endlich bewußt, aber ursprünglich, seinsursprünglich eben doch: da sein mußte, sagen Sie mir endlich, was hat der mit mir, meinem Anzug, jetzt vor? Vorbei zieht er an Bäumen, am Dickicht am Wiesenrand, ich merke, wie er mich trägt, dabei sollte ursprünglich ich diesen Anzug tragen! Jetzt werde ich von mir fortgetragen. Habe etwas Sorge, daß dieser Anzug ohne mich, daß also eigentlich ich ohne mich, daß ich als dieser Anzug nicht bestehen kann. Nicht bestehen vor den Augen der Kaltherzigen, die mich mustern, die mich zur Musterung vorführen, nein, die geht nicht, egal, was die anhat, die geht einfach nicht, die gehört zu uns, die ist ja wie wir, will aber deutlich mehr sein, will aus größeren Fenstern zu uns hinausschauen. Da kann sie sich hundert Anzüge wie diesen kaufen, sie gehört nicht zu uns, obwohl sie grade in dem Anzug ausschaut wie wir alle, auf dem Foto schaut der Anzug aber ganz anders aus, also kann sie nicht sein wie wir, die wir auch alle nicht ausschauen wie auf den Fotos, aber sie gehört nicht mehr zu uns, jetzt nicht mehr, auch wenn sie in dem Anzug aussieht wie wir und nicht wie auf dem Foto, und zwar weil da gar nichts drin ist in dem Anzug, also in dem Anzug wäre schon noch einiges drin, auch mithilfe von Accessoires, Schmuck, Schals, aber sie ist nicht mehr drin. Da ist zwar was dran an diesem Anzug, aber drin ist nichts, auf jeden Fall nicht sie. Wer immer glaubt, da drin zu sein – er mag es ja gern sein, aber sie ist es nicht, der da drin ist. Hallo? Keiner zu Hause? Fühlen Sie sich in diesem Kleidungsstück nicht wie zu Hause? Nein? Genau deshalb haben Sie es ja gekauft, damit Sie endlich nicht in diesem Anzug zu Hause sind? So sprechen sie über mich. Ich höre sie jetzt deutlich sagen: Sie sind der Anzug, der Anzug ist faktisch mit Ihnen identisch, er sieht aus, als wäre er an Ihnen angewachsen, mit Ihnen verwachsen, so gut steht er Ihnen, nicht so gut wie der auf dem Foto, aber sehr gut, immer noch sehr gut! Es werden viele auf Sie stehen, wenn Sie diesen Anzug tragen. Sie werden schon sehen! Allerdings sind Sie überhaupt nichts, Sie sind nicht nur nicht mehr als wir, Sie sind gar nichts mehr. Ja, das sagen sie zu mir, kaum daß ich tot bin. Sie sagen: Das mit Ihnen und diesem Anzug, das wird jetzt nichts mehr. Und genauso ist es auch gekommen. Ich werde jetzt von mir fortgetragen. Bin ich es, die da weint? Etwa um mich selbst? Ordentliche Leute pflegen ihren Schatten mitzunehmen, wenn sie in die Sonne gehen. In der Dunkelheit können sie alleine gehen, aber nicht in der Sonne wandeln, ohne daß man es merkt, ohne daß man sie früher oder später bemerkt. Aber ordentlich war ich nie. Ich schicke mich als Schatten in die Sonne, was sieht man da? Was fehlt? Fehle ich? Was könnte ich daraus erfahren? Ich bin Schatten ja nicht für Geld geworden, sondern weil ich mußte. Es war keineswegs freiwillig. Ich kann jetzt nichts mehr bezahlen, ich kann nur mehr mit mir bezahlen. Dieser Augenblick hat seine Möglichkeit unbegriffen vorüberziehen lassen, in dem Sinn, daß ich noch etwas und dann vielleicht etwas mit jemand anderem erleben hätte können. Aber ich habe nur gekauft.

Ich habe immer nur eingekauft, damit man mich vergißt. So. Genauso ist es gekommen. Jetzt kann man mich aber wirklich vergessen. Endlich. Eine gewisse Befreiung bedeutet das schon. In gestreckter Haltung zu Boden zu stürzen, und keiner merkt es. Es bleibt still, wo einst Mode war und Getümmel, Lärm, Gedränge, Mädchengebrüll, Umzingelung des Sängers durch kreischende personifizierte Wünsche, die sich ununterbrochen auch noch mit sich selbst unterstreichen müssen, Einkreisung und Ereignisse, die sich plötzlich umkehren, und der Sänger stürzt hin unter dem Ansturm aus Geheul, Gejaule, Gebell. Unsichtbarkeit hat ihre Vorteile, kein Zweifel, wenn auch nur für die Prominenten. Es herrscht Geschrei, wo ein Mord ist, es herrscht aber noch mehr Geschrei, wo mein Sänger ist. Aber diesmal nicht. Ich bin allein. Wegen mir würde auch keiner schreien. Eine Schlange kann man wohl kaum eine Mörderin schimpfen. Es herrscht modische Stille und modischer Stillstand. Nur ich und der Sänger, wir halten, jeder auf seine Weise, er, während er seine Weise sogar singt, auf seine Weise singt, wir halten an unserem Verlust fest, wir können von unserem Verlust nicht lassen. Ich nicht von meinem neuen Hosenanzug, den ich hergeben mußte, er nicht von mir. Solang ich ihn trage, den Anzug, kann er mir nicht verlorengehen. Und doch muß ich, als dunkles Etwas, mich früher oder später, eher früher, erheben und die Hülle, diese Hülle, an der ich so gehangen bin, widerwillig alleinlassen. Mein Schatten genügt ihm nicht, genügt dem Sänger nicht, mir auch nicht, aber ich kanns nicht ändern. Er will das Darunter, das auch modisch ist. Ein modisches Darunter, das man nicht sieht. Er will alles, er will alles in jedem Element, er will mich am Boden, im Wasser und in der Luft. Er will das Darunter auch. Will er das Darüber? Ja, das will er auch. Bin ich jetzt das Darüber? Und alles darunter ist fort? Etwas ist fort, das steht fest, nein, es steht nicht fest, es ist verschwunden, aber ist es für ihn dasselbe wie für mich? Wohl kaum. Ich bin mir selber verlorengegangen, doch nur sein Verlust zählt. Der Sänger hat mich verloren. Er ließ mich aus seinem Arm in den Tod sinken. Er kam zu spät. Fazit: Ich weiß, was ich verloren habe. Er weiß es nicht. Er denkt nicht nach. Er kann noch nicht deutlich erkennen, was verloren wurde, ich sage absichtlich nicht: was er mit mir verloren hat, denn er kannte mich ja nicht, nicht wirklich, so können wir annehmen, daß der Sänger gar nicht weiß, was er verloren hat. Und doch ist er verliebt in den Verlust, verliebter als in mich, als es mich noch gab. Das ist des Sängers Fluch. Wahrscheinlich kreischen die kleinen Mädchen wieder so laut, zu brennendem Klavier und Schmachtballaden, daß er keinen klaren Blick fassen kann, aus dem Fundus an Blicken, er hat sich beim Singen einige eingelernt, anderes wieder antrainiert. Den Sprung ins Publikum, voll vertrauend auf die Meute. Und was ist, wenn da einmal keiner steht? Dann wird er erwägen, künftig vorsichtiger zu sein, aber weh wird es trotzdem tun. Jetzt wirft sich ihm keine mehr in die Arme, ich bin ja fort. So wirft er sich hin, er wirft sich seinem Publikum vor. Ich höre schon unzählige Kiefer mahlen, zahllose Schalen, Panzer, Scheren aufbrechen. Egal. Ich schaue ihm nicht zu, viele wollen ihm zuhören, ich aber bin nicht dazu auserwählt. Er kann also nicht bewußt erfassen, was er verloren hat, aber er will es zurück, das immerhin weiß er sicher.

Es arbeitet in ihm, das sehe ich. Die Trauer arbeitet fest in ihm, es ist die Trauerarbeit, wie ich jetzt sehe. Oh, die arbeitet aber, ein Wahnsinn, wie die schwitzt! Ich höre das Stampfen bis hierher, ich höre es schütteln und rütteln. Der Sänger will weitersingen, doch er muß auf einmal schweigen, absorbiert von dieser Arbeit, die Depression, aus der mir sein Singen aber als natürliche Form des Ausdrucks erst erklärbar wird, heißt: unbewußter Verlust, unbewußt – höchste Lust! In der Trauer aber weiß man es. Man weiß, was man verloren hat. Die Melancholie hat ihr Rätsel, man sieht ja nicht, warum dieser Mensch jetzt so depressiv ist. Er kann es auch nicht sagen. Es ist mit einem riesigen Sprung auf ihn gekommen, und jetzt erschafft er seine Kunst, der Weichling schafft die Kunst: oft das Gegenteil von etwas, das einem angenehm auffällt. Auch manchmal schön. Trauer ist anders. Der Depressive ist von etwas total in Anspruch genommen, das aber keiner sieht. Warum verhält sich dieser Mensch so seltsam? Nimmt keinen Anteil? Nimmt nicht teil? Teilt nicht? Der Trauernde weiß, warum er auch nichts tun kann, auch die Trauerarbeit, die seine Pflicht wäre, bleibt ungetan liegen. Es geht nicht. Er kann diese schwere Arbeit nicht leisten. Seine Kunst fällt ihm schon schwer genug, aber er muß für sie erst mal den Abgrund erkundet haben. Daran führt kein Weg vorbei. Wie komisch, daß an seiner Stelle ich jetzt dort hinunter muß, als Schatten. Wo er sich doch so danach sehnt, der Wirklichkeit Tritte versetzt, damit die ihn dorthin versetzt, wo er auch sein möchte: tot. Bei der Trauer ist die Welt leer, entleert, entsinnt, entbeint, entkernt, bei der schweren Depression – und ich sah wirklich lieber diese im Sänger als sein hektisches Herumhängen mit den Groupies, zwei, drei Tage und Nächte hindurch – wird das alles irgendwie krank, es artet aus, die Trauer selbst wird krank, welche ja mit der Zeit in uns gesunden soll, der Kranke schlägt sich an die Brust, hat er den Verlust der Geliebten etwa selbst verschuldet, hat er ihn vielleicht gewollt?, ja, die Depression ist Trauer, die in die Schule gegangen ist und dort auch wirklich was gelernt hat. Die hat mehr Größe, die Depression, vielleicht ist sie ja schon wieder da, vielleicht besucht sie ihn grade wieder?, keine Ahnung, manchmal merkt man es nicht gleich, in welcher Phase er ist. Ob etwas fehlt oder grade gekommen ist. Es geht auf und ab bei ihm, etwas zerrt an ihm, und dann verleiht er seinen Gedanken in lauthalsigen Gesängen Ausdruck. Ich war nichts für ihn, auch wenn in den Zeitungen etwas andres steht, wie kann er den Verlust von nichts spüren? Oder kann er überhaupt nur Verlust empfinden? Wird er je wissen wollen, was einst hinter dem Schatten, der ich jetzt bin, gesteckt hat? Das Große an der Melancholie ist ja, daß, im Gegensatz zur Trauer, in der die Welt öd und leer geworden ist, das Ich des Depressiven, sein Selbst höchstselbst, nein, tiefselbst vollkommen leer wird. Ausgeleert. Wie gern hätte er das öfter gehabt! Und auch ich hätte das schon gern: daß er endlich leer wird durch meinen Verlust, daß er endlich Ruhe gibt und mich in Ruhe läßt. Aber sogar mein Verlust scheint bei ihm, wie soll ich sagen, sein Ich zu stärken. Er würde sich nie entleeren und entwürdigt sehen, als verwerflich und verworfen, als bestrafungswürdig und bestraft, das ist ja so schön bei der Depression: Man wünscht sich Bestrafung, weil man unwürdig ist, und schon bekommt man sie auch. Der Depressive ist die größte Wunscherfüllungsmaschinerie, die es gibt. Er schafft sich seine Wünsche ja selbst, und dann heult er endlos, wenn sie ihm nicht erfüllt werden. Niemand versteht es. Entwürdigung – wird sofort geliefert, auch Ausstoßung aus der Menschheit – bittesehr, kommt sofort!, schon vollzogen, ganz wie Sie wünschen. Selbstkritik? Kein Problem. Machen wir. Nur Selbstkritik und kein Selbst mehr? Auch gut. Kleinheitswahn, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Impotenz? Wird auf der Stelle geliefert. Sie müssen nur noch den Lieferschein unterschreiben! Das können Sie nicht mehr? Macht auch nichts. Wir liefern trotzdem. Was noch? Sie müssen es nicht einmal aussprechen, schon sind Sie impotent! Aber was erzeuge ich, was erzeugt mein Verlust? Nichts als stumpfe, schale Trauer. Das bringt nun wirklich jeder fertig. Das macht mich total fertig. Das ist uninteressant. Der Sänger muß immer angeben, er kann nicht anders. Ich bestätige gern seine Angabe, vollkommen wertlos zu sein. Aber er will ja wertlos sein ohne mich, er will unbedingt ohne mich wertlos sein, ohne mich, die ich doch schon davor nie einen Wert hatte! Das ist wohl ein Witz. Die Wertlosigkeit der Wertlosigkeit! Es spricht jetzt der Mann. Es singt der Sänger. Es sägt die Säge. Es gefällt der Baum, ich meine, es wird gefällt der Baum. Es fragt sich nur, warum er erst krank werden muß, um endlich der Wahrheit zugänglich zu werden, na ja, die Wahrheit ist niemals zudringlich, aber zugänglich ist sie manchmal schon. Indem der Depressive die Wahrheit sagt, tut er sich unrecht, und das ist schön für ihn. Das genießt er. Echt. So sieht er das. Er als einziger hat einen Genuß davon. Das hat er angestrebt. Was soll auf Erden aus ihm werden? Wie dieser Gedanke ihm Freude macht! Sogar ich als Schatten trete da unwillkürlich zurück und verschmelze mit etwas, das ich nicht so genau sehen kann. Tut aber nicht weh. Also eine gefestigte Existenz war ich ja nie, war total von ihm abhängig, vom Sänger in allem und jedem abhängig, natürlich auch finanziell oder was den Neid der anderen betrifft, aber das ist jetzt auch wieder zuviel, daß nicht einmal das, worauf mein Schatten fällt, etwas ist. Nichts um mich her, und ich als Nichts im Nichts. Fraglos über eine Schwelle getreten, die ich vorher nicht gesehen habe. Egal. Seine tiefe Melancholie löscht für den Sänger jetzt die Unterschiede aus, und alle sind ihm gleich wertlos. Für sich wie für andere, und wenn die anderen widersprechen, dem Ausmaß dieser Selbsterniedrigung widersprechen, werden sie böse, die lieben Depressiven. Was will er denn? Mich zurückhaben? Ich glaube wirklich, der will mich wieder zurückhaben. Als wäre ich ein beliebiger Gegenstand, nein, ich meine natürlich: ein geliebter Gegenstand. Beliebt ist er ja selbst, der Sänger. Ich kann doch nicht einmal mit mir klirren! Nicht einmal zwei Tschinellen kann ich gegeneinanderschlagen, nicht einmal mit einem Schellenbaum rasseln. Ich kann gar nichts mit Musik, und Musik ohne etwas kann ich erst recht nicht. Nicht einmal auf ein Lager sinken kann ich richtig. Denn ich bin jetzt selbst ein Lager, für jeden, und keiner merkt es, wenn er sich auf mich gelegt hat und schreit und jammert. Der Sänger sieht diesen Schatten (er sieht natürlich irgendeinen, nicht mich!) und glaubt, der sucht seinen Herrn, Herrin in meinem Fall, seine Herrin, aber dieser Schatten ist doch endlich sein eigener Herr. Er ist und bleibt allein. Außer andere schließen sich ihm an, andere Schatten, aber die spürt er nicht, Schatten ist Schatten, einer allein oder viele, das ist dem Schatten ganz egal. So. Der Sänger ist jetzt böse und geht mich holen, er geht seinen eigenen Schatten holen, er will nur den einen, das ist sehr eigensinnig von ihm, und ich werde ihm natürlich sofort durch die Finger rutschen. Das ist ganz natürlich, daß ein Schatten keinen Körper hat. Er wird meine schöne Zusammenfaltung kaputtmachen, der Sänger, ich als Schatten muß vor ihm die Flucht ergreifen, wenn er kommt, und er wird kommen, das steht für mich fest. Was er vergißt: In der Unterwelt ist es finster, es schmelzen die Schatten zusammen zu einem einzigen, einem Wald aus Schatten, der Schatten verliert im Schatten seine Form. Wie soll der Sänger mich dort erkennen? Glaubt er, ich würde, wie ein Tier, auf seinen Ruf herbeistürzen? Ruhe. Endlich Stille. Wir Schatten – Wesen, die sich endlich selbst in Besitz genommen haben, die zur Deckung mit sich gekommen sind, nicht als Genötigte, Gezwungene, sondern als Wesen, die es nötig haben zu verschwinden, in sich selbst zu verschwinden, mit sich eins zu werden. Sie wären allerdings auch verschwunden, wenn sie es gar nicht nötig gehabt hätten. Da läuft er schon dahin, der Sänger rennt, schießt mit einem gewaltigen Sprung zu uns herunter, fällt unter die Schatten, fällt heraus, sticht heraus, und im Fallen klampft er sich schon an den Saiten seines Instruments fest, als stammte er von einem hartnäckigen Tier ab, dem es ums Fressen, Saufen, Singen und Ficken geht und sonst um nichts. Aber ich weiß, es geht ihm nur um mich, die einzige, die für ihn nicht greifbar ist, die einzige, die nur noch als leichtes Gewicht auf seiner Brust ruht, schon woanders ruht, gar nicht mehr ruht, die einzige, mit der ihm nichts mehr gelingt. Die einzige, die für ihn unfaßbar ist. Ich bleibe ruhig in der Zeit ruhen, eingemummt in mich selbst. Da kann er kommen, soviel von ihm und so oft er will, und was er will, ist egal. Ich bin nur mehr ein Schattenkleid. Ich bin nicht erhältlich, und er erhält für mich auch nichts mehr. Er erhält mich nicht mehr. Mir ist egal, ob er singt, wenn er singt, oder ob er nicht singt, wenn er singt. Ich höre das gar nicht mehr. Hauptsache, er bringt die naßhosigen Kreischerinnen nicht auch noch mit. Die spritzen dermaßen mit sich herum, man kann gar nicht schnell genug zurückspringen, wenn man einen Körper hat. Nein, die sind diesmal nicht mitgekommen, die schieben sich in ihren kurzen Pants und hautengen Tanktops noch hin und her, als könnten sie sich in sich selbst zurechtrücken für einen, für ihn, wenn er sie anfordert, niemals für keinen, immer für einen. Auch gut.

So. Er ist hier. Er singt jetzt für die Schatten, das muß ihm seltsam vorkommen. Da singt er hin. Er setzt sich her und singt. Damit wird er es richten. Glaubt er. Damit wird er mich nicht richten, hoffe ich. Ich richte mich ja auch nicht nach ihm. Ich will meine Ruhe haben, um es einmal klar auszudrücken. Nur noch Entsetzen beim Gedanken an oben. Da liegen wir Schatten brav und friedlich nebeneinander, wir spielen miteinander ein Schattenspiel, friedlich laufen wir dann einen Augenblick später wieder nebeneinander her, können uns voneinander nicht mehr unterscheiden und nicht losreißen, denn im Dunkel sind wir ja alle Schatten, einer für alle, einer alle. Und das Dunkel müssen wir nicht suchen, das haben wir gefunden. Auch den Sänger hören wir nur an seinem Gesang, nur so können wir ihn überhaupt orten. Wir wüßten sonst nicht, wo er ist, wenn er nicht so an den Saiten reißen und dazu laut schreien würde. Mit seinen Stimmbändern herumfetzen, bis sie sich verwirren und zerraufen, und gerade dann haben die kleinen Wichserinnen, die selber noch durchgewichst werden, ihren kleinen Höhepunkt, jede ihren, alle einen. Jede für ihren, alle für seinen. Das verstehe ich jetzt selbst nicht. Hören Sie weg! Wir ziehen uns uns selbst über den Kopf, wir sind Schattenkapuzen, wir hüllen uns in uns ein, wohlig, alles still und dunkel. Irgendwann wird der Sänger schon wieder aufhören. Er hört immer irgendwann einmal auf, nach etlichen Zugaben, die wir Zusammengelegten aber auch nicht zu schätzen wissen. Aber für uns singt er ja nicht. Er sagt, er will mich in meiner eigenen Münze zurückhaben, also auch als Kleingeld, mit dem er klingeln, das er für mich und meine Klamotten ausgeben kann, wenn ich nur mit ihm gehe, wenn ich nur mit ihm losziehe, nach oben, sofort, aber schnell! Wo ist das überhaupt: oben? Wie Nebel ziehen wir über uns hin, in uns verschlungen, vom Dunkel verschlungen, Schatten in Schatten, Rauch im Rauch, von einem Hügel zum nächsten, wir ziehen dahin, keine Ruhe, und sehen tut man uns auch nicht. Wir hören Gesang. Der Gesang wird gehört und erhört, aber mich müssen sie erst mal kriegen! Wer faßt einen Schatten? Keiner faßt ihn, wenn er alleine auftritt oder verflochten in andere. Er ist nicht zu fassen.

Wir sind das Unbewußte, als Schatten sind wir uns selbst und auch einander nicht bewußt. Und froh sind wir, nicht nur unsere Gestalt, sondern auch unser Bewußtsein endlich loszusein, das Bewußtsein hat ja früher immer am meisten gestört, jetzt ist es weg, es müßte hier unten eigentlich Bewußtlossein heißen, das Bewußtsein. Oder Jederbewußtsein, denn jeder hat eins, nur wir haben keins mehr, wir kennen uns nicht und nicht die anderen Schatten, wir sehen uns nicht und einander nicht, nichts kommt uns mehr nahe, nichts macht uns etwas aus, wir waren aus Schatten gemacht, schon als wir noch gelebt haben, aber damals haben wir das nicht kapiert, doch jetzt sieht man es auch. Es kann nicht mehr übersehen werden. Wie Rauch in Rauch oder Wasser in Wasser oder Luft in Luft. Wir zeigen uns als Schatten untereinander vor, aber wir schauen uns nicht an. Gehen Sie weiter, hier gibts nichts zu sehen. Wir haben uns abgelegt, wir haben nichts abgelegt, legen auch keine Versprechen mehr ab. Bei den Lebenden findet man Widerstand dagegen, sich aufzugeben. Sie fürchten wohl, man würde etwas aufdecken. Aber bei uns gibt es nichts aufzudecken. Wir sind schon die Decke! Wir haben die Decke erreicht! Wir streben nicht mehr danach, unser Bewußtsein mit unserem Unbewußten zu vereinigen, etwas zu erfahren, wir wollen nichts mehr von uns und nichts von anderen wissen. Und es ist uns egal, ob die Lebenden noch etwas von uns wissen wollen oder nicht, wir sagen es ihnen nicht. Wir schenken einander nichts, es gibt keinen Anlaß. Den Toten ists egal. Wir sind nicht mehr Bewußtsein, von dem sein Träger nichts weiß, denn wir sind auch keine Träger mehr, wir tragen nicht einmal mehr unsere Kleidung, na ja, Fetzen vielleicht, das, was vom Tage übrigblieb, was vom Leben übrigblieb, mancher seinen Lieblingsanzug, manche ihr Lieblingskleid, ich gehöre natürlich dazu, aber egal, es überdeckt nichts mehr, weil darunter nichts mehr ist. Unter dem Schatten ist nichts. Unter den Schatten kommt nichts. Über den Schatten geht uns nichts. Wir sind das Letzte, danach kommt nichts, danach ist nichts, nicht darüber, nicht darunter. Wenn das Unbewußte der wichtigste Charakter des Bewußten ist, dann sind wir es endlich los, dann sind wir vielleicht Unbewußte; da uns nicht bewußt ist, wer oder was wir sind, kann ich das nicht sagen. Ruhe bitte! Sänger, halt endlich die Fresse! Du bist hier falsch! Du fröhlicher Ungenierter! Du Schreibaby! Du störst uns! Nein, du störst uns nicht, nichts kann uns stören, aber es wäre wirklich besser, du kehrtest zurück, und das bin nicht ich, zu der du zurückkehren sollst, so wie auch ich nicht zurückkehren will. Du bist zuviel da. Deine Anwesenheit ist die reinste Aufklärung des Dunklen, das wir sind, und das brauchen wir nicht. Wir sind schon aufgeklärt, brauchten es aber gar nicht zu sein. Es könnte uns aber auch nicht schaden oder kränken. Es ist eins, ob du dir einen runterholst oder einen Mitesser ausdrückst, siehst du, so ist das für den, der danebensteht, der Irre versteht es nicht, für ihn ist die geringe Sachähnlichkeit zwischen dem Ejakulat, deinem Gesangschreien und einer verstopften Talgdrüse nicht mehr gegeben, genauso wie zwischen den Poren der Haut und meiner Fotze kein Unterschied zu sehen ist. Wie sagte der Denker, bevor er sein Denken abgespritzt hat: Loch ist Loch. Und so ist für uns zwischen den Lebenden und den Toten auch kein Unterschied, denn es gibt für uns keine Unterschiede. Loch ist Loch. Schatten ist Schatten. Nichts dahinter. Kein Mensch dahinter. Keiner kommt dahinter. Also du kannst spielen, bis du schwarz wirst wie wir, aber Schatten wirst du deshalb nicht werden, und was du auch wirst, es ist nichts für uns und zählt nichts für uns. So wie du auftrittst, so spielt die Musik neben dir ohnedies nur eine Nebenrolle, jeder spielt neben dir nur eine Nebenrolle, fungiert bloß noch als Soundtrack für die Sehnsucht Verführbarer mit ihrer üblichen Schwäche für die simpelsten Reize: Schrittgreifen, Kreischen, Schrittausgreifen, Auskreischen. Mehr ist da nicht. Für dich ist es alles, schon kapiert. Aber nicht so sehr störst du uns, wie du die Lebenden aufgestört hast, daß sie selber noch viel lauter schreien als du, kreisch kreisch kreisch! Na ja, alles wie gehabt. Der Sänger kennt das, und weil er es kennt, macht er es immer wieder und immer wieder dasselbe. Er kennt und er kann nichts anderes. In der ständigen Wiederholung liegt das Sängerschicksal, das ist wie beim Ficken, und die schreienden Läppchenzupferinnen lesen in ihren Englischbüchern nach, was der Sager des Sängers bedeutet. Er bedeutet ihnen alles. Kreischbrüll.

Wir Toten aber müssen uns nicht mehr kennen und auch sonst niemand, wir sind befreit, wir sind freie Schatten in einer freien Schattenwelt. Wir wissen nichts mehr von uns, daher könnte das Bewußtsein, das wir von uns aber gar nicht haben, auch ein fremdes Bewußtsein sein, es wäre uns egal, es würde uns gar nicht auffallen, denn wir fallen nicht auf und nicht ins Gewicht, wir sind das Schattenreich. Kein Schattenführer, den gibts hier nicht, bitte, es gibt da noch dieses alte Ehepaar, halb verwest, so daß der Geier irrtümlich schon mal an ihnen zupft, wenn ihm der Weg zum eigentlichen Ziel zu weit ist, und auch den anderen, wer immer es ist, habe ich noch nie gesehen. Hier sieht man ja nichts und braucht auch nichts zu sehen. Nichts los hier. Und das ist schon alles, was passiert: nichts los, aber alles lose, fließend, dahinströmend. Schatten brauchen keine Führung, wenn sie allein auftreten. Aber auch alle zusammen brauchen keine. Sie strecken sich wohlig, denn immer mußten sie ihrem Körper folgen und ihrem Körperbewußtsein, für das es Übungen gibt, jetzt folgen sie nicht mehr. Ob zusammengelegt oder nachlässig ins Dunkel geschleudert wie ein schmutziges Handtuch, es ist ihnen gleich in ihrer ewigen Gleichenfeier. Wir haben keine seelischen Vorgänge mehr, und es interessieren uns auch alle anderen Vorgänge draußen nicht mehr. Waren schon vorher unsere seelischen Vorgänge für uns selbst unbekannt, weil wir sie nicht zur Deckung mit unseren Leben, nicht zu einem Ergebnis bringen konnten, so ergeben wir jetzt das Nichts, es gibt keine Vorgänge mehr, die zur Deckung gebracht werden könnten. Wir bilden eine einzige Schattendecke, und wenn wir einander überlagern, überschneiden, verdecken, so ist da nichts mehr aufzudecken an einem Unbewußten, das wir nicht besitzen. Wir spüren das nicht, wir spüren nichts, wenn wir einander miteinander zudecken oder einander übergeworfen sind, nicht einmal, wenn wir zu Hunderten aufeinanderliegen, uns aneinanderpressen, Schatten auf Schatten an Schatten, so viele, wir sind so viele, und doch sind wir nicht zu viele und nicht zu vielen, wir sind alle, und wir sind allein, weil wir so viele sind, weil wir so viele sind, die schon alle sind, wir spüren nichts, wir spüren es nicht, was auch immer, es hat keinen Platz in unserem Bewußtsein und in unserem Selbstbewußtsein schon gar nicht, haben wir nicht, tun wir nicht, was ist das, Selbstbewußtsein?, dem wir zu oft gehorcht haben, an dem wir gehorcht haben, was wir noch alles tun könnten, um ein Selbst zu werden und uns öffentlich auszuführen und aufzuführen, aus Es soll nicht Ich werden, was für ein Glück, kein Ich mehr zu haben, das ist überhaupt das Beste daran, sonst ist nichts dran, aber das ist das Beste, nichts zu sein, das Ich nicht zu haben und nicht zu sein, das ist alles längst abgegeben, das Ich, ohne daß wir eine Garderobenmarke dafür bekommen hätten. Brauchen wir auch nicht, wir haben uns selbst abgegeben, wir ziehen keine Argumente und keine Bewußtseinszustände mehr in Betracht, ein Ich zieht nicht mehr, icht nicht mehr, brauchen wir nicht, wir betrachten nichts, es ist ja finster, wir ziehen nicht, und wenn wir an uns Schatten ziehen, dann spüren wir es nicht, wenn wir uns berühren, dann berührt es uns nicht. Tonnen von Leibern arbeiten daran, sich endlich zu spüren, wir nicht, wir arbeiten nicht und sind nicht. Wir werden keine unentdeckten Tiefen mehr in uns entdecken, weil wir Tiefe nicht mehr haben. Wir sind flach, endlich flach, weich und flach, zusammengelegt, zerknüllt, weggeworfen, ausgestreckt, in die Länge gezogen, eingerollt, alles eins. Unsere Sinnesorgane erklären uns nichts mehr, alles ist unerklärlich, und niemand will es erklären, denn hier würden unsere Sinne, selbst wenn wir welche hätten, uns nichts sagen können. Es gibt einfach keine sinnliche Erfahrung für einen Schatten. Ob jemand auf ihn draufsteigt, sich auf ihn drauflegt, ob er sich selber hinlegt, das ist keine Reihe von Bewußtseinszuständen, das ist gar nichts, das ist, was es ist, nichts.

Da steht er tatsächlich immer noch und singt! Nicht zu fassen! Wie ein Teppich unter seinen Füßen sind wir. Er merkt nicht einmal, daß er die ganze Zeit schon auf mir draufsteht! So nah wähnte er mich nicht, das könnte er sich nicht vorstellen, daß ihm ein geliebtes Wesen so nah ist, und er merkt es gar nicht! Er hat sich in die schimmerndsten Reize und die glänzendsten Farben gehüllt, er ist hier der einzige, dem das gelingt, aber nützt ihm das was? Hier verbleichen die Farben zu Grau. Ich ruckle probeweise kurz unter seinen Füßen, rücke mich zurecht, er spürt es gar nicht, er ahnt es nicht. Der blöde Hund, der nie gefüttert wird, keine Ahnung, wovon er sich ernährt, wahrscheinlich von den Bestechungsgeldern derer, die nicht Schatten werden wollen, was ihnen aber nichts nützt, denn die Münzen auf ihren Augen hat er schon kassiert, um sich eine Dose Leberaufstrich zu kaufen, der blöde Hund also steht mit offenem Maul, ich sehe ihn nicht, kann es mir aber vorstellen: Nicht einmal saufen will er, und natürlich hat er den Sänger auch nicht nach seinem Handy gefilzt, was eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre. Wir haben hier keine Körperscanner, weil eh nie jemand kommt, den man durchleuchten könnte. Ein Schatten hat ja keine Tiefe, nicht wahr. Diejenigen unter uns, eine Handvoll Leute, mir unverständlich, wie sie sich hier halten können, diejenigen also, die noch etwas Aktivität zeigen, denn tot sind sie nicht wirklich, sie sind Untote, Bestrafte, Überlistete, ja, und überhaupt solche, die auf irgendwelchen Listen stehen, was nicht heißt, daß sie listig sind, sonst wären sie nicht hier, die achten auf die Toten, sind aber selber keine, also sogar sie sind in Inaktivität förmlich erstarrt, in Aktivität, falls gefordert, aber genauso. Da können sie ja auch gleich selber Schatten sein, die Bestraften, die in alle Ewigkeit Bestraften, mit Tätigkeiten Bestraften, die blutlose Schar hier! Meere weichen zurück, Steine rollen, die Brandung, ich weiß nicht, was sie tut, aber sicher tut sie auch irgendwas, ja, bei der Brandung tut sich derzeit was, das heißt: immer, und sogar Steine sind hier ja noch die Tobenden, die durch einen Wald rennen, im Vergleich mit uns Ruhigen, Beruhigten, Stillgestandenen. Womöglich werden die Steine auch gleich zu kreischen anfangen. Im Vergleich zu den Heulenden oben wäre das noch harmlos. Würde mich nicht wundern, wenn die Steine heulen würden wie die Eumeniden, die sich ja grundsätzlich nie verschwiegen. Die können uns gestohlen bleiben, die Steine wie diese Mädels, aber natürlich stiehlt uns die keiner. Die gehören zum Inventar. Die bleiben uns. Da steht, ich wäre bei den neuen Schatten und ginge verzögert, durch meine Wunde behindert. Das ist nicht wahr, möchte ich ausdrücklich betonen. Ich behindere nichts und bin durch nichts behindert. So stellen es sich die Untoten vor, die arbeiten müssen, anstatt anständig tot zu sein. Und sie sehnen sich nach nichts andrem als tot zu sein, die Untoten. Die Gespenster. Sie beneiden uns. Die Lebenden werden die Toten beneiden, die Halbtoten beneiden uns noch viel mehr, denn sie wissen besser, wie schön der Tod ist, wie schön es nachher sein wird, ihnen ewig unerreichbar das Schicksal, nicht geliebt zu werden, das Schönste von allem. Das Größte aber ist, nicht geliebt zu werden und nicht zu lieben.

Wären sie richtige Schatten wie wir, diese Firma Sisyphus und Co., dann hätten sie weniger Arbeit. Sie würden nicht mehr ihre Organsprache sprechen müssen, die bei ihnen Sprache der Irren ist, bei ihrem Halbleben muß man ja verrückt werden; die Sprache der Hypochondrie beherrschen sie, ihre Steine, ihre Flut, ihre Toten beherrschen sie nicht, ihre Sprache sagt ihnen, daß ein Organ für den ganzen Körper steht, so wie für Sisiphus ein Stein für die Welt steht, für Ixion sein Rad, für Tantalus die Flut, für die Beliden die Urnen, die sind alle längst wahnsinnig geworden, weil sie als einzige noch einen Körper haben, den sie fleißig bewegen müssen, während wir von nichts bewegt werden können, nein, nicht noch einen Körper, bitte nicht!, ich meine, nicht einen zweiten, nur den ersten, aber den haben sie noch, schon lange, ich verrate Ihnen: Die Untoten haben noch ihren Körper, schon ewig, ja, unter uns Schatten wird jeder früher oder später wahnsinnig, aber ihre Körper haben diese paar Leute noch. Nichts mehr im Oberstübchen, aber ein Fleisch, wenn man an sich hinunterblickt. Und was sagen diese drei halb lebendigen Körper hier, was haben sie uns zu sagen? Viel mehr als drei sind es ja nicht, aber ich sehe es nicht genau, was sagen sie? Sie sagen, der Sänger muß sich anders stellen, er muß sich sowieso stellen, aber er muß sich anders stellen, er muß sein, als stellte ihn jemand, nicht, als stellte er sich selbst, der stellt sich ohne Gestellungsbefehl, der ist da, was machen wir jetzt? Es ist, als würde er gestellt. Das Leben hat ihn uns gestellt, und es wird ihn auch wieder mitnehmen, wenn es erst sieht, wie es bei uns hier unten ist. Der gehört nicht hierher zu den Schatten, und er gehört nicht zu den Schattenwesen, die arbeiten müssen. Was sagen die drei Irren, die ich derzeit sehe?, ja, der Hund gehört auch dazu, von mir aus, was sagen die Irren zu einem, der plötzlich lebt und hier ist? Endlich einer wie sie! Endlich einer ihresgleichen! Früher war der fein, jetzt ist er ordinär, der Sänger, das sagen sie, die früher in Konzerte gegangen sind. Er wird unsere Schatten ihm ähnlich machen, ähnlich grob und schlächtig, er wird, lassen wir ihn länger hier, alle ordinär machen und laut und lauthälser, singende Schatten!, das geht nicht, das wollen wir nicht, der muß wieder raus, der Schreihals, der tut, als wäre er uns Toten überlegen! Ha! Die Toten, die Schatten werden früher oder später noch werden wie er, sie werden ihn imitieren, das sehen wir schon kommen, weil die Schatten, wir, die Schatten, ja, die Gespenster auch, weil wir, wenn wir ihm noch länger zuhören, genauso werden wollen wie er und dann in der Talentshow auftreten (von Kreischen bekräftigt, das von draußen luftzerschneidend hereinschallt), der hat sich die ganze Zeit verstellt, dabei ist er so unschlächtig, so unflätig, so grob, so laut, daß man ihn hört, daß man ihn überall, wirklich überall, hören kann!, sein Schreien durchdringt alles, und wir werden dann auch so, wenn wir ihm noch länger zuhören, auch wenn wir nur flüstern, werden wir laut sein, diese Sänger sind ja ansteckend in ihrer geilen Ordinärheit, der Sänger verstellt sich bloß, wenn er das Singen nennt, was er da von sich gibt, und er verstellt uns das Licht, das uns unser Schattendasein womöglich nehmen könnte. Nein, das geht nicht. Und wer will das schon? Ist da einer, der sowas will? Also ich nicht! Wir bleiben Schatten, was er auch aus dem Hals spritzen und rotzen mag. Wir würden die Augen verdrehen, wenn wir das könnten. Wir haben aber in jedem Fall, in allen Fällen, keinen bewußten Gedanken bei alldem, was wir hören und sehen (übrigens nichts, denn wir hören und sehen nichts, wir sehen vielleicht, das heißt, wir stellen uns vor, es zu sehen, daß der Sänger sägt, aber wir hören es nicht, andre scheinen es zu hören, aber wir hören es nicht, wir können es nicht hören, doch wir wissen, was wir hören könnten, wenn wir es könnten), und wenn wir einen Gedanken hätten, einmal als Schatten einen Gedanken, dann wären wir nicht imstande, ihn zu äußern, uns seiner zu entäußern. Kein Gedanke! Und er singt immer noch. Würde ich es nicht sehen oder mir vorstellen, es zu sehen, ich würde es nicht glauben. Aber ich sehe es ja nicht, und glauben kann ich auch nichts. Wo kein Psychisches mehr, da auch kein Mangel daran, und auch mit dem Charakter, unbewußt zu sein, hat das nichts zu tun, denn wer kein Bewußtsein hat, kann auch kein psychisches Leben mehr haben. Er hat gar nichts mehr, aber immerhin, er fühlt sich wohl, wenn auch nicht in seiner Haut, die er nicht hat. Wir müssen unseren Weg in den Tod, den jeder irgendwann gehen muß, wir schon jetzt, nicht mehr abkürzen, und wir dürfen ihn nicht mehr verlängern, egal, wie, wir müssen gar nichts.

Der Sänger steht auf uns, es ist hier unten keiner mehr da, der auf ihn stehen würde, so ist das, doch er steht auf unserem Schattenteppich wie auf einer Nadeldecke im Wald, und er spürt nichts, nicht einmal etwas Moosartiges, Flechtiges, Geflochtenes, Feuchtes, Trockenes. Nichts. Er singt. Er glaubt, damit erreicht er was. Selbst wenn er mich durch Singen hier herausbringen könnte, was ich mir nicht vorstellen kann und was ich auch um nichts im Tod will, hätte doch ich selbst es in der Hand, jederzeit wieder zu meinem lieben Schatten, meinem einzigen Eigen, zu werden, nicht zu seinem, ja, der hätte gern seinen Privatschatten, ich kenne ihn doch, er hätte mich gern als seinen Schatten, diesmal jedoch Schatten ohne Grund, Schatten ohne Gewicht, Schatten ohne Körper, Schatten, der nicht bei sich ist, aber bei andren auch nicht, außer bei andren Schatten, ich ich ich! Endlich! So stellt er sich das vor. Ein Schatten ist ja besser als tausend Sonnen, in die arme Affen mit hinaufgeklebten Lidern, damit sie die Augen nicht schließen können, schauen müssen, bis ihnen die Augäpfelchen dahinschmolzen, verschmorten wie die schwarzgebrannte Haut der armen Schweine, die diese tausend Sonnen damals schauen mußten, wo eine einzige schon genügt hätte. Nein. Das wäre nichts für mich. Kein Licht für mich! Für mich bitte kein Licht, nur kein Licht! Nur das nicht! Ich will im Schatten bleiben und Schatten sein und bleiben. Der Sänger stellt sich doch tatsächlich vor, daß ich mich drum reiße, mit ihm zu gehen, daß ich mich seit meinem Tod nach nichts anderem mehr gesehnt habe. Der Sänger glaubt, ich kann es gar nicht erwarten, mich aus meinem Schatten herauszulösen und wieder in die Gewalt zu kriegen, mich wieder einzukriegen, mich endlich wieder einzukriegen. Als Schatten wieder einzukriegen. Nein, in mich möchte ich nicht mehr einkehren. Lieber auf den Totenacker und untergepflügt werden! Ich bin nicht das Wirtshaus, in das ich will. Er glaubt, mein Schatten will nichts als seinen Körper wieder reinzukriegen. Körper? Haben wir heute erst frische reingekriegt, sind aber schon ausverkauft, kommen Sie morgen wieder, da kriegen wir sicher wieder welche rein! Vielleicht gefallen die Ihnen ja. Er denkt, das will ich, nichts sonst will ich, anders kann er es sich nicht vorstellen. Obwohl das durchaus seinen Reiz hätte: Ich sein und nicht sein! Das wäre das Beste, wenn ich mir was wünschen dürfte, was aber nicht möglich ist, glauben Sie mir!

Und er singt, der Sänger singt, und er hat sich keine Tarnkappe über den Kopf gezogen, er ist als einziger sichtbar, kein Schatten, und doch, er sieht mich nicht, er sieht nicht, wie ich jetzt aussehe, das könnte er auch gar nicht, denn ein Aussehen gibt es nicht mehr, das ist gut, ich will auch keinen Körper mehr, aber er findet sich nicht damit ab. Gibt sich nicht zufrieden. Das gehört bei ihm dazu, daß er nicht zufrieden ist. Er ist die Unzufriedenheit in Person, während ein Schatten mit sich zufrieden sein muß, und nicht einmal Zufriedenheit ist ihm gegeben. Er ist ja ein Schatten von nichts, ein Schatten allein, Schatten ohne dazugehörigen Körper, der mit ihm werfen oder nach ihm treten könnte. Nichts ist ihm gegeben, dem Schatten. Dunkelheit, zu der er innerlich gewachsen ist, Schatten ohne Namen, Namen ohne Worte, Schatten ohne Körper, Körper mit nichts, im Nichts. Und der Sänger singt. Ja, er singt. Womöglich immer lauter, er glaubt, so findet er mich schneller, vollkommen sinnlos das. Ein Auftritt zu Bombenkonditionen, wie immer bei ihm. Vorher fängt er nicht an. Er zeigt sein Fleisch und hüftet den brüllenden kleinen Pisserinnen draußen was vor, irgendwo lauern die sicher auf ihn, sie verstecken sich, aber sie lauern, ich kenne sie, die geben nicht auf, nie!, die warten auf ihn, damit er ihnen wieder seinen Schwanz vor die Gesichtchen bockt, damit er seinen Schwanz für sie aufbockt, jederzeit eingriffsbereit, und jetzt tut er so, als wollte er sie wieder vollspritzen, ja, der Sänger versteht das Leid der Ungefickten, der Babymäuse, auch wenn er selber nie auch nur einen Tag ungefickt bleibt, kreisch kreisch kreisch, das können sie, es wird ihnen Kommunikation auf Augenhöhe vorgeführt, eine heilige Kommunion mit seinem Geschlecht, bis die Polizei kommt und es wieder einsperrt, so, da sind seine Hüften und sein Schwanz, sein fast nackter Hintern, greifen Sie zu!, er tut immer so, als dürften sie zugreifen. Jubel, Gekreisch, noch mehr Gekreisch, zum Geheul zusammenwachsend, der ganze Mausiputzihaufen, ja, das macht Hoffnung im Jugendzimmer, aber nicht im Jenseits, Hoffnung auf Mehr, niemand ist perfekt, manche sind ein Mann, aber wir können, wir können zusammen, wir können alle alles zusammen machen, kreisch kreisch kreisch, unbewegte Gesichter, verheulte rote Äpfel als Wangen, geballte Fäustchen, kreisch kreisch kreisch, wir empfangen den Applaus auch in unseren Pussys, der geht uns oben rein und unten wieder raus, oder umgekehrt?, kann auch sein, irgendwo muß es jedenfalls raus, na gut, wir teilen uns den Sänger untereinander auf, anders wirds nicht gehen, vorher geben die keine Ruhe, jede kriegt ein kleines Stück, nein, nicht dieses!, ich will lieber das dort!, brüll! Heul! Wir Menge, lasset die Kindlein zu mir kommen, ja, und hier sind wir schon! In unseren Muschis empfangen wir den Applaus, oooh, tut das gut, tobt das herum und verwebt sich in uns zum Watschentanz, wir spüren das, es kitzelt, es kommt, heul!, sowas haben wir ja noch nie gespürt, das ist einfach super, bitte noch einmal, heul!, nein, unser Gesicht brauchen wir dafür nicht, wir sind unbewegt, aber die Münder stehen offen wie aufgespreizt, unsere Muschimausimünder, und der macht doch glatt schon wieder einen Garderobenwechsel, der Sänger, schrill!, noch weniger ginge immer, aber mehr ginge genauso auch noch; wäre er eine Frau, wäre es weniger, bei ihm ist mehr aber immer mehr, er stampft ganz in sich über die Bühne, kein Gefangener und doch ganz in sich gefangen, und tobt aus dem Mund und aus den Hüften, nein, er knallt aus den Hüften, er rifft und rafft, nein, raftet über das Brett, eins tobt bei ihm immer gegen das andre, und alle glauben, das wäre ein Kampf, es würde etwas in ihm kämpfen, damit es Musik wird. Sagenhaft gute Musik, keine Frage. Super! Heul! Und der Sänger ist bestens ausgestattet, und alles übrige ist auch bestens ausgestattet. Könnte er mich sehen, mich in meiner Schattenwelt, würde er unweigerlich meine Hand ergreifen und auch mich besülzen und beharken. Aber die Musik ist doch nur die Nebenrolle für diese kleinen Mäusekitzlerinnen, Selbstzupferinnen, die manchmal durchaus noch persönlich durchgewichst werden von der Mama, ich wußte es doch!, gewiß sogar, weil sie nach dem Konzert zu lange ausgeblieben sind, kreisch! Das ist die Sehnsucht Verführbarer, die gestillt wird, damit sie nie still sind. Die kleinen Mädchen und ihre Schwäche für die einfachsten Reize, sind ja selber noch einfach, diese Puppenpussies, sehen, wie auf unschuldigen Instrumenten getobt wird, und wollen selber nichts als Instrumente werden, wollen, daß Finger über sie hinschweben, dann zupacken, sie aufreißen wie ein geschlachtetes Huhn, na, da hätte der Sänger aber viel zu tun!, klampf, klampf, heul! So puppelig, diese Mädels, warten, daß jemand, natürlich am liebsten der Sänger, dieser oder jener, das ist ihnen ziemlich egal, einer wird es schon machen, endlich seinen Schwanz herauszieht, jeder würde genügen, jeder andre täte es auch, aber sie glauben, es muß der vom Sänger sein, darunter tun sies nicht. Ein Sänger muß es sein. Sie könnten ihn von keinem andren unterscheiden, aber der muß es sein, der vom Sänger und kein andrer. Bitte Mädels! Diesmal ist nichts damit. Man sagt mir, der Sänger suche mich, nicht euch, schluchz. Er sucht sein Publikum, und das bin nun mal in erster Linie ich. Sein wichtigstes Publikum. Sagt er immer. Öffnet endlich die Augen! Die klebt euch keiner an der Stirn fest, die Lider, damit ihr das Licht seht! Die müßt ihr schon selber offenhalten. Wieso sucht er mich noch, frage ich mich. Ausgerechnet mich! Der hat doch genug, der frohe Ungenierte. Was braucht er ein Ding mit einer Öffnung, was braucht er Augen und Tropfen, die abgeschüttelt werden, Säcke, die weggesteckt werden, Hüften, die nur vorgeschoben worden sind, um die Pussys endlich ins Bild zu setzen, was sie alles nicht bekommen können, aber bekommen könnten, wenn sie anstandshalber von ihren Machtgelüsten, diesen Sänger ganz zu verschlingen, ohne Beilage, nein, mit Beilage!, einmal absehen würden, ja, diese kleinen Mädchen können einem eine Scheißangst einjagen, der Sänger scheißt sich an vor Angst, diese kleinen Mädchen jagen ihm eine Scheißangst ein, so wie vor denen fürchtet er sich vor niemandem, ich weiß es, und was brauchen diese Pussytussies denn überhaupt Machtgelüste? Na, weil sie nicht ich sind! Weil sie keine Schatten sind. Weil sie sich Schatten nicht mal vorstellen können, außer in einem heißen Schulhof zu Mittag, wenn sie ihre verschweißten, verklebten Packungen aufreißen mit etwas, das schon fertig war, bevor sie damit fertig werden können. Das schlingen sie runter, verleiben sie sich ein. Was wollen die überhaupt mit dem Sänger machen, wenn sie ihn in die Klauen kriegen, in ihren mageren Schenkelzwingen, an ihre Babybäuchlein? Werden sie seinen Aufreißfaden überhaupt finden?

Mein Sänger, der alle und alles bekommen kann, und wenn ich sage alles, dann meine ich auch wirklich alles, was macht der?, der horcht nur auf meine sich entfernenden Schritte, und nicht einmal die kann er hören, denn ein Schatten schreitet nicht, er geht nicht, er gleitet, nein, auch nicht, er entgleitet, ich weiß nicht, was der Schatten macht, obwohl ich doch einer bin, das verstehe ich nicht. Der Sänger hört auf das Verklingende, das einmal ich war, doch er ist selbst so laut, daß er nicht einmal hören würde, wenn hinter ihm eine andre Gitarre explodieren würde. Was braucht der? Er hat doch alles! Was braucht er mich, was braucht er sich selbst? Ich bin zu weit fort, und dort bleib ich auch, in der Ferne, begleitet von diesen inneren Schritten, die nicht zum Erfolg führen wie bei ihm, die nirgendwohin führen, ja spürt er das nicht? Endlich erniedrigt er sich so, wie er niedrig schon ist! Sein Ich prüft nichts mehr. Es will nur mich zurückhaben. Er denkt nicht nach. Er würde seine Gedanken allerdings nicht hören, nicht einmal wenn sie auf ihn schießen würden, so laut wie er singt. Er würde mich als Schatten gar nicht sehen, so gut wie der dasteht, so groß wie ein Gott, so hoch wie ein höherer Mensch, so gleich wie der Pöbel, so gleich wie wir alle. Er will mich zurück, kommt mir vor, nein, das scheint mir eindeutig, wie und warum wäre er sonst hier eingedrungen?, für den gibts einfach keine Türen, und ein Nein gibt es auch nicht, der will mich holen, kommt mir vor, notfalls auch als Schatten, der duldet nicht, daß ihm etwas genommen wird. Läge er im Grab, er würde selbst wieder auferstehen, davon bin ich überzeugt. Er findet sich nicht ab. Wir fragen uns, ob er trauert, weil er mich verloren hat, wie er angibt. Aber er ist ja immer ein Angeber gewesen. In Wahrheit trauert er, weil er sich selbst verloren hat, weil er was hergeben mußte, in Form von etwas, egal was, Bescheidenheit ist ihm nicht gepredigt worden. Es geht nicht, daß dem was weggenommen wird. Es geht nicht, daß der etwas verliert. Das geht nicht. Er geht, aber daß ihm etwas wegkommt, das geht nicht. Ich bin jetzt ein Schatten. Daran ist nicht zu rütteln, ich bin das, was geworfen wurde, das Klaffen des Abgrunds, den er wieder schließen will, er will den Tod durch sein Kläffen verscheuchen, sogar der Hund an der Tür schweigt, ich höre ihn schon länger nicht mehr, die Berge kreissen, und meine Zukunft tritt aus dem Schatten, und sieh an, sie ist selbst Schatten, mit andren Schatten, nichts als Schatten, kein Übergang zum Untergang, auch kein Untergang allein, kein Gang, kein kalter dunkler Gang, nichts, nichts nichts, mit dem, was ich bin, kann keiner mehr herumfuhrwerken, aber der Sänger hat irgendwo Pferdestärken stehen, er glaubt, damit schafft er es, mich hier rauszuziehen und abzuhauen, denn jeder ist sich selbst der Nächste, und ich bin seine nächste Angehörige, die ihm aber nicht mehr angehört. Das wird er nicht glauben. Und suchte er seine Herrin, mich, die, die ich war, was ich war, dann würde er sie sogar als Schatten, in Schattenform, noch finden. Kein andrer könnte ihn sich nehmen. Keiner kann sich einen fremden Schatten nehmen, er will mich, er hält mich vielleicht für seinen Schatten, er ist ja so unbescheiden, er ist keine kleinen Leute, er ist egal, was er aber nicht versteht. Er ist ja auch nur hier egal. Er ist nicht Schatten, dazu müßte er den Untergang der Sonne erwarten, aber er kann nie was abwarten. Dann würde er es erkennen: Er hat kein Ich mehr, der Schatten. Er IST ich.

Trotzdem, wir werden uns einander nie mehr annähern. Er kann sich jetzt jederzeit auf mich schmeißen, ja, ich liege unten, aber er wird es nicht merken. Warum will er etwas holen, das ohnedies immer da ist? Ein Schatten immerdar? Will er etwa auch alle Schatten haben, will er die auch noch alle? Hat er sie noch alle? Wollen die alle gemeinsam über mich herfallen? Über ihn? Da werden sie sich aber wundern! Sie werden selber ins Bodenlose stürzen, das dieser Schatten ist. Ins Nichts. Durcheinanderfallen, durch einander hindurchfallen. Der Schatten ist nichts, ich sagte es schon, aber das ist so seine Art. Wir alle hier unten sind nichts, daher muß man sich vor den Toten nicht fürchten. Sie haben keine Macht, sie sind die Nacht, sie sind die Dunkelheit vor dem Fenster, sie können nicht einmal auf- und untergehen. Sie können gar nichts, sie haben und sind nicht das Unbewußte, denn das würde sich ja am Bewußten messen, eins geht nicht ohne das andre. Wir sind schon gegangen. Wir Schatten. Mit uns ist ein Ende gemacht worden. Wir sind Mißverständnisse, die nie verstanden werden konnten, weder so noch so. Wir sind aus verschiedenen Gründen undurchführbar wie Aufgaben, die jedoch keiner stellt. Wir werden nicht geprüft, wir würden gar nicht zur Prüfung zugelassen werden. Keiner von uns Schatten kann zu keinen Bedingungen Objekt des Bewußtseins andrer werden. Nichts, nichts, nichts. Nur schlechtes Wetter, Nebel und Dunkelheit hätte der Sänger hier unten zu fürchten, allerdings nicht von uns, von uns kommt ja nichts, aber das weiß er noch nicht. Er blökt nach mir. Er legt sich genau in den Schatten, der ich bin. Eine Eingebung? Ist ihm endlich was eingefallen? Hat er endlich die kleinen Leute überwunden, die er einmal war und die er jetzt so verachtet? Glaubt er denn, damit könnte er mir mein düsteres Los erträglicher machen? Indem er sich auf mich draufschmeißt und um mich heult? Indem er sich in mir wohlig ausstreckt und die Augen schließt? Indem er sich die Haut nicht verbrennen läßt, damit er keinen Krebs kriegt? Ich spüre nichts, er spürt nichts, aber wiederhaben will er mich. Na, dann viel Spaß! Das wünsche ich absolut jedem. Viel Spaß. Damit der Sänger seine Wünsche unterstreichen kann, aber es wird ihm nichts nützen.

Dort unten wilde Tiere. Sagt man mir. Auf mein schlangenartiges Schleifen im Gras, das sich nähert, werden sie mit lauten Lauten reagieren. Ich höre sie schon schreien, komisch, ich höre was, obwohl ich doch gar nicht hören kann. Vielleicht bin ich ja immer noch in der Warteschleife? Was soll das? Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer? Seltsam, daß man sich nach dem eigenen Tod noch so fürchten kann! Ich weiß doch, daß ich jetzt nichts mehr zu fürchten habe, nicht einmal die Furcht selbst, und nichts da ist, was sich fürchten könnte, nicht einmal die Furcht. An mir ist ja nichts mehr dran. Was sehe ich? Keine Lust, es zu beschreiben. Ein Fluß, oder? Einschläfernde Natur. Würde ich nicht schon den ewigen Schlaf schlafen, schliefe ich jetzt ein. Schieben wir das Vorgebirge halt weg, man sagt, ich soll hier rein, ich soll mich nicht an der Tür herumdrücken, als frischer, frischgefangener Schatten, ich soll endlich rein, ich soll ins Wahre, in die endgültige Dunkelheit, na schön, bringen wir es hinter uns, es liegt ja doch schon alles hinter uns. Der Sänger wird mir aber auch dorthin nachkommen, ich spür das. Ich kenne ihn. Der ist herzhaft! Der hat Mut! Der wird sich sogar noch meines Schattens bemächtigen wollen. Aber das wäre keine große Kunst. Ein Schatten wiegt ja nichts und leistet keinerlei Widerstand. Kalte Seelen beißen nicht herzhaft zu, sie können das gar nicht. Flüchten wir also und bleiben uns dabei übrig, von uns wäre ja sonst nichts übrig als diese weiche Schatten-Spachtelmasse, die alles verkleistert, was man mit sich schließen möchte. Wir sind alles, was am Ende noch da ist, ausgespuckt von der eigenen Schuld, die wie ein Lufthauch an einem vorbeigleitet, zum nächsten. Wer den Abgrund je gesehen, mit des Adlers Klauen dran gekratzt hat, möchte selber nichts als Abgrund sein, aber für einen Schatten ist das absolut kein Problem. Der kommt überall hin. Nichts ist ein Problem für ihn, außer dem Leben. Den Schatten kann man falten, kann man rühren, kann man schlagen, kann man formen und dann loslassen, der fällt sofort wieder in den Ursprungszustand, der kein Zustand ist, zurück. Kann man ihn mit Gesang rühren?, nein, das glaub ich nicht, man kann ihn anrühren oder etwas zukleben damit, ein Schatten ist ja vielseitig, und er kennt keine Hindernisse, im Dunkel ist er halt weg, aber das ist schon alles, nur weil er weg ist im Dunkel, ist er noch lange nicht weg, er ist ja auch im Dunkel vorhanden, aber ohne Besitzer ist er immer irgendwie seltsam. Er will sich unter die Menschen mischen, das müßte theoretisch auch möglich sein, hat aber noch keiner probiert, ist vielleicht nicht ungefährlich, denn bei so vielen Menschen, wie es sie gibt, können sie sicher ihre eigenen Schatten nicht mehr voneinander unterscheiden. Kein Distinktionsgewinn für schattenhaftes Dasein. Aber auch das wird den Schatten nichts ausmachen, sie verschmelzen mühelos miteinander, trennen sich wieder, stellen jemand andren dar, nein, könnten jemand anderen darstellen, wenn auch nur in groben Umrissen, wen interessierts, sie sind nicht gut, nicht böse, und auch wenn das Böse eine Kraft wäre, sie würden es verschmähen, das fade Gute aber genauso. Das ist wahr. Vielleicht sollte ich in ein Popkonzert gehen anstatt in die Unterwelt? Da würde keiner was merken. Ich wäre gar nicht da und doch da. Hände greifen nach mir, Pranken von Tieren? Körperteile? Rein geistige Tätigkeiten? Teile meiner seelischen Anatomie? Nein, da ist nichts weiter. Keine Seele. Wir sind auch ohne die weit genug gekommen. Wir sind jetzt da.

Da ist nur er. Er ist auch noch da. Da ist er nun. Hergekommen. Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Mein Gehirn hat zu keinen Körperteilen oder innerseelischen Vorgängen ein Übersetzungsprogramm. Wären diese seelischen Vorgänge noch in mir, ich wüßte nicht, wo. Ich höre, daß ich nichts mehr höre. Da hat vorhin dieser Hund gebellt. Jetzt ist er still. Dafür höre ich den Sänger, ich glaube, er ist es, er muß es sein, ich kann die einzelnen Gruppen ja nicht unterscheiden, bin keine Expertin, es könnte auch ein andrer Sänger sein. Unwahrscheinlich. An etwas merke ich, daß es meiner ist. Mir ist nicht ganz klar, woran. Sein Gesicht sehe ich nicht, seine Motive kenne ich nicht, seinen Gesang höre ich nicht, höre nur, daß anderes schweigt, das Brüllen des Wassers, an das ich mich so schnell gewöhnt habe, als wäre es immer schon in mir gewesen, ein Tinnitus in meinen Ohren, immer da, nur manchmal kann man ihn ausblenden, wenn das Ohr von etwas Lauterem geblendet ist, gegen das jede andre Lauterkeit verblaßt. Sie ist ja alles, was recht ist. Und recht bekommt man nicht, man hat es. Der Köter schweigt schon die ganze Zeit, schnappt der nach dem Wasser? Weil es sich zurückzieht? Glaub ich nicht, seine Schüssel ist immer gut gefüllt, die haben hier ja sonst nichts zu tun. Mit uns Schatten haben sie keine Arbeit. Wir sind ein Schattenteppich, der nie gereinigt werden muß, denn keiner tritt sich auf uns die Füße ab. Wir sind einfach da. Sie sind es gewöhnt, daß wir anwesend sind, inmitten einer riesigen Abwesenheit, die wir oben hinterlassen, nein, zurückgelassen haben. Küsse sind abzugeben, Blumen auch, wir nehmen nichts, wir brauchen nichts. Das Heulen oben, das Weinen, das wir hören, was ist das? Gegen das Gekreisch der Pissmädels, die meinen Sänger umzingelt halten, ist das nichts, die Pißnelken öffnen sich der Sonne unseres Sängers, wenden sich an ihn wie Blumen an die liebe Sonne, die ihre Post nicht entgegennimmt, die Sonne, die uns Schatten schafft, nimmt nichts, die nimmt nichts an, diese geblendete Blinde, diese taufressende Taube, nein, nicht der Vogel, kreisch kreisch kreisch, wie gehabt. Wenn der Wind günstig steht, hören wir das sogar hier unten, oder wir bilden es uns zumindest ein. Das Weinen einzelner hört man nicht, aber dieses Kreischen, ich glaube, das sollte man doch hören, könnte man überhaupt etwas hören. Der Fels wirft nachlässig den Fluß über die Schulter wie ein paar Körner Salz, die der Abergläubische wirft, dieser Fluß blutet aus, aber bis zu uns dringt das Blut nicht. Weinen da blutlose Seelen? Nein, das kann nicht sein, hier blutet niemand, und auf unseren Teppich, der wir sind, nicht den wir haben, der wir sind und bleiben, auf den blutet es schon gar nicht. Zum Bluten gehen Sie bitte woandershin! Ich höre die Chefs nicht, gesehen habe ich sie auch noch nie, die Toten haben keine Vorgesetzten, wie Sie sich das wieder vorstellen! Wer könnte den Schatten befehlen, die keine Herren mehr haben? Der Sänger will etwas, ich höre aber nicht, was. Vielleicht hat er es auch gar nicht gesagt. Natürlich verlangt er es gleich, er muß es gar nicht erst aussprechen, das ist er so gewohnt. Der ist in seinem Bühnengewand irgendwie hierhergestiefelt, er hat sich als Klirren gespornt, und der kriegt, was er will, darauf wette ich. Wie immer. Hinter ihm steht wie immer die Gruppe, aus der er sich herausschält, eine Frucht, die jeder will. Die sie einander aus der Hand reißen, noch bevor der Lack ganz ab ist, ich meine die Schale. Total veränderte Situation für mich. Das Wasser zieht sich zurück, kein Popfan das Wasser, ganz klar, ich meine, das Wasser ist erstaunlicherweise ganz klar, vielleicht weil es immer unter Schatten leben darf? Oder das Wasser muß eine Art Selbstreinigungsprogramm haben, ein Virenschutzprogramm, eine Firewall, in dieses Wasser kommt nichts rein, nur die Toten kommen hier an, sie kommen an, aber nicht rein, die Toten kommen auf dem Wasserweg. Klar. Wie sonst? Ein Rad steht still, das aber gar nicht da ist, wer würde denn verreisen wollen, wer würde denn verreisen können? Wer, der eine bequeme Schattenexistenz führt, würde hier weg wollen? Wir sind zufrieden. Nach uns greift keiner, nein, doch, einer schon, das ist wieder typisch der Sänger! Glaubt, er kann alles haben, und meist hat er recht. Glaubt, er hat alles, und was er nicht mehr hat, das will er zurück. Er denkt, das steht ihm zu. Ihm darf nichts fehlen. Das wäre eine Beleidigung für ihn, die er nicht auf sich sitzenlassen würde, und er würde auch mich niemals hier sitzen lassen, und zwar weil er glaubt, auch ich stehe ihm zu. Er glaubt, ich stehe immer noch auf ihn. Denkt der, daß die Schatten hier wie seine kleinen Mädels oben sind? Daß er machen kann, was er will, und kriegt, was er will? Wo wir doch gar nichts hören können! Aber irgendwas hören wir, wahrscheinlich kann man das aber nicht hören nennen. Vielleicht vergeht es ja auch. Die Chefs, die wollen nicht hören, und wir können nicht. Den Mädels kann er das verkaufen, daß er sie alle haben könnte, aber doch nicht uns. Und daß er seine Wünsche immer mit diesem Gewummere unterstreichen muß, auch von der Gruppe, die hinter ihm steht, ich erwähne sie nicht mehr, ein sumpfiges Gedröhne, gegen das sogar ein Schatten noch ein Muster an Vielfalt ist, wie ein Scherenschnitt, so aufregend! Er singt immer noch, sie haben ihn nicht gestoppt, das muß was zu bedeuten haben. Sie nützen ihm nichts, die Wünsche, oder doch? Wenn er sie in seinen Nervenzellen speichert und auf sein Handy lädt, als neueste App, vielleicht nützen sie ihm dann schon irgendwie? Ansonsten nützen Wünsche hier keinem, aber vielleicht hat er das richtige Programm? Es wäre sinnlos, etwas zu wünschen, hier hat keiner mehr Wünsche, hier ist ja nichts erhältlich, was sollte ein Schatten sich wünschen? Mehr Licht, damit auch er mehr wird? Nur mein Sänger will wieder mal was, wie üblich von oben herab. Typisch. Oder doch? Was doch? Das kann doch nicht sein! Von oben herab kommt er und äußert, im Grunde unglücklich, was man an der Softeis-Ballade hört, die er jetzt spielt, Wünsche Wünsche Wünsche. Sonst noch was? Das sind so Musiker halt, ich meine, so sind die Musiker halt, das sind so Dingsbums, die brauchen ihre Wünsche nicht zu äußern, weil es aus tausenden klaffenden Mädchenspalten, gierig wie Krebsscheren, immer auf und zu, auf und zu, schon auf den Boden, zum Glück nicht den Teppichboden, der wir sind, heruntertropft und rinnt und sabbert, die haben was geknackt, diese Scheren, schon wieder! Gegen die Geilheit dieser Mädchen, die sich nicht spiegelt, die man nicht sieht, die sich in nichts spiegelt, das man sieht, denn ihre Gesichter sind wie gesagt vollkommen unbewegt und unbeweglich, dafür ihre kleinen Spalten umso rühriger, nein, nicht rührend, rührig!, gegen die ist der Strom, der uns hergebracht hat, ein ausgetrocknetes Bächlein meiner Träume, aber nein, auch Träume habe ich nicht. Ich bin ein Nichts. Immer gewesen. Wie oft soll ich es noch sagen? Meinem Sagen entkommt doch jeder, wirklich jeder! Alles Dreck, was ich bin. Nichts. Wunschlos nichts, denn auch dieses Nichts, das ich bin oder vielleicht manchmal erzeugt habe, ist nicht von mir. Gegen mich sind die Mädels, die ich verachte, doch reich, die haben wenigstens ihre Gier, die an ihren Gliedern zieht, die spüren was, die wollen was, die drehen sich nach dem Licht, das der Sänger ist, während ich mich nicht drehen kann, ich bin eine total Abhängige, ich muß dem Licht gehorchen. Ich bin vom Licht abhängig. Zum Glück ist hier keins. Kein Licht. Für die Mädels ist der Sänger das Licht. Für mich gibt es das nicht. Ich habe kein eigenes Leben mehr. Das Nichts, das ich schaffe, ist nicht von mir. Es ist meins, aber nicht von mir, es ist nicht auf meinem Mist gewachsen, das Nichts. Was will der, der da herabgekommen ist, um zu retten die Lebenden und die Toten? Jesus! Der einzige Auferstandene, berühmter als mein Sänger, berühmt in Taten, Worten und Werken, bewundert auf der ganzen Welt. Weil auch seine Mutter damals kein Kondom benutzen durfte, gibt es ihn, und darauf ist er ziemlich eingebildet. Wir aber, wir aber, wir Schatten sind wunschlos, aber nicht wunschlos glücklich oder unglücklich. Wir sind keine Wünsche, wir haben keine und wir äußern keine, wir haben nichts zu äußern, und wir entäußern uns nicht. Wir sind nicht. Nein, natürlich sind wir auch nicht verrückt, denn auch dazu würden wir ja die Sprache brauchen, der die Verrückten ja besondere Sorgfalt angedeihen lassen. Sie drücken sich gewählt aus, beinahe geziert, sie konstruieren ihre Sätze besonders sorgfältig, die Irren, die wir auch nicht sind, damit es keine Mißverständnisse gibt. Wir sagen nichts. Meine Sprache ist nichts. Unsere Sprache ist gemeinsam nichts. Wir tun nichts und sagen nichts. Wir sind. Die Sätze der Irren, so sorgfältig sie konstruiert sind, zerstören sich in ihrer Satzbildung schon im Aufbau, es sind selbstzerstörende Sätze, wie Raketenbausätze, Treibsätze, die nie etwas antreiben, selbstzerstörend, sie werden so mühsam aufgebaut von den Irren, aber im Aufbau bauen sie sich schon wieder ab. Was für eine ideale Müllhalde die Sprache der Wahnsinnigen! Aber uns nützt sie nichts. Auch Irre müssen mal Schatten werden. Und dann sprechen auch sie nicht mehr. Selbstzerstörend, selbstvernichtend, selbstverrottend, aber konstruiert, diese Sprache, und die Kranken erklären auf Wunsch ihre Reden auch sehr geläufig, und auch die Erklärungen versteht man nicht, sie wollen so gern aufklären, die Irren, aber die Aufklärung ist so kompliziert wie das, was aufgeklärt werden soll: die Rede. Wir wären froh, wenn wir wenigstens ein, zwei Worte zu unserer Verfügung hätten, vielleicht drei. Aber wir haben sie nicht. Ach ja. Die Sprache. Meine Sprache. Auch sie hab ich verloren. Also was sie da reden, die zungenbrechenden Irren, das meine ich, mit dem wäre ich schon zufrieden, mit dem, was die sagen und was keiner versteht, der nicht auch uns Schatten nicht versteht, also absolut keiner, absolut jeder versteht uns nicht nicht, es muß auch nicht nicht sein, es ist nicht schwieriger, das Nichts zu verstehen als nichts zu verstehen, und das sage ich in dieser Ausführlichkeit, um zu erläutern, daß wir Schatten eben keine Irren sind, die ihre Rede im eigenen Schraubstock drechseln können, wie man auf den ersten Blick glauben könnte, sondern daß wir zwar sind, aber nicht irre, nicht wahnsinnig, wir sind einfach nur weg, aber einfach ist das nicht, wie soll ich es sagen, das Weg, das wir sind, ja, das!, das Weg meine ich, das gibt es auch nicht. Es gibt kein Sagen, es gibt kein Reden, auch kein Irrereden oder Irregehen, wir vertreten nichts, nicht einmal uns selbst, wir können nicht über unsere Körperteile klagen, die nicht mehr richtig sitzen, nicht mehr am richtigen Ort sitzen, nicht funktionieren, auch wenn sie sich richtig in uns und an uns niedergesetzt haben, wir können uns weder nieder- noch auseinandersetzen, nein, wir können nicht klagen, die armen Irren können noch klagen, hier nicht mehr, außer sie sind unsere Hausarbeiter, die aber nichts zustandebringen, die können hier nicht klagen, sonst aber schon, nur hier nicht, können klagen, daß der Staat sie vergiften will und daß die Geheimdienste sie ficken und dann, gebraucht, wie sie sind, wegschmeißen wollen, aber wir Ganzkörperschatten sind wunschlos, wir können uns Wünsche nicht einmal vorstellen, nein, Ängste auch nicht, vielen Dank, wir können nicht klagen. Der Sänger kann klagen, der kann alles, und er bekommt auch alles. Aber danke nein, wir können nicht klagen.

Was? Er will, daß ich mitkomme? Geh ich halt mit, ich als Nichts tue ja immer, was man mir sagt. Bitte, wie soll ich gehen, wohin soll ich gehen, ich bin ja Schatten, das ist ein Problem, ich bin ein Widerwort gegen mich selbst, mich kann es in dieser Form gar nicht geben, denn meine Form ist ja von etwas abhängig, das ich nicht kenne, daher kenne ich auch meine Form nicht, weiß nur, ich bin in ganz guter Form. Was ist da angedacht? Wie will man mich dem Sänger mitgeben? Eingewickelt in mich selbst? Lichtdicht verpackt? Folienverschweißt? Wie soll der Sänger wissen, daß ich mitkomme, da ich ja nur ein Schatten bin? Wie kann er sichergehen, wenn er hier überhaupt sicher gehen kann, daß er mich nicht für seinen Schatten hält, daß er seinen Schatten und mich auseinanderhalten kann? Vorher nichts gewesen, nichts seiend, nachher auch nichts, das wird nichts mehr, wir haben es schon so lang probiert, aber die Frau ist ein Nichts, mein Werk ist ein Nichts, das heißt, ich habe gar keins, aber das Ergebnis ist das gleiche, unzählige Male erprobt, das Nichts, das von mir kommt, habe ich unzählige Male erprobt, manchmal habe ich es durch einen neuen Nagellack oder einen Lippenstift zur Geltung zu bringen versucht, aber es war nichts, wieder nichts. Alles Dreck, gibt nach, wenn man draufsteigt, wenn man drauf einschlägt, wenn man ihn stampft, wie soll ich da rauskommen bitte? Was soll denn da rauskommen? Frage nicht. Wie soll ich, die es nicht mehr gibt, mir selbst zur Seite treten und hinaufgehen, bitte, wie gewünscht, ich probier es, aber ich weiß natürlich schon vorher, daß es nicht gehen wird, ich werde nicht gehen können, wie stellt er sich das vor. Bitte nicht wieder meinen Körper! Bitte nicht! Also den habe ich doch wohl wirklich erfolgreich abgelegt, der Tod hat mir gesagt: für immer, er hat es mir ausdrücklich garantiert, daß ich ihn ablegen darf, wie ein Versprechen, niemals wiederzukommen. Soll ich mit mir, meinem eigenen Schatten, handeln, damit ich wieder handeln kann? Das ist mir zu schwer, es war so toll, leicht zu sein, als Schatten war ich wirklich gut, ich habe angefangen, wirklich gut zu werden, will der mich jetzt aus dem Schattenteppich wieder herausreißen?, da bin ich aber gespannt, wie er das machen will mit seinem Eisenmut, der Sänger, will er mich in Empfang nehmen wie seine Trossies, seine Groupies? Geh ich halt mit, wenn er es sagt. Es wird schon etwas dazwischenkommen, bei dem Sänger kommt immer etwas dazwischen, zwischen dem Nichts, das ich bin, und dem Nichts, das ich gemacht habe. Nie etwas gemacht ich. Ein Mensch muß in der Welt einen Schatten haben, aber in der Unterwelt muß er Schatten sein. Ein Schatten darf nichts behaupten, auch sich nicht, er kann es gar nicht, nachdem ihm das Leben verblaßt ist. Ich lehne meine Seele schon mal total ab, die soll da nicht mehr rein, die soll in diesen weichen Schattenstoff nicht hinein, wie soll die denn da drin halten? Die rutscht doch heraus, bitte, vielleicht kann ich sie legen und mich als Schatten darüberfalten, um sie zu schützen? Vielleicht kleben? Probieren Sie es mal mit Sekundenkleber, wenn es überhaupt keine Zeit mehr gibt! Meiner Seel! Allerseelen! Das geht nicht, die läßt sich ja nicht einmal einfangen. Wie der Sänger sich das überhaupt vorstellt, das möchte ich wissen. Der kommt aus seinem Konzert mal so eben kurz hinunter, um mich zu holen, mehr Zeit hat er nicht, die Mädels warten schon vor seinem Hotelzimmer, die sind schon angestellt, bei ihm, sie sind seine kleinen Angestellten, einmal kurz runterkommen, mehr muß er für mich Nichts auch nicht investieren, und das ist schon zuviel!, er sagt, komm mit, ich gehorche, ich kann nicht anders, ich bin nicht, ich bin noch nicht, hoffentlich werde ich auch nicht, ich gehe eben mit, wie mir gesagt wurde, das Nichts, das ich bin, geht mit, und, wie ich schon gesagt habe, dieses Nichts ist auch nicht von mir, nichts von dem, das ich bin, ist von mir. Willst du mit mir gehn, mußt du Worte verstehn! Aber er versteht nur eins, nämlich Bahnhof. Von dort fahre ich nicht ab, ich kann nicht fahren, und es gibt auch keine Züge. Ist das ein schöner Zug vom Sänger, daß er mich unbedingt mitschleppen möchte? In welcher Form will er das machen? Ich will meinen Körper ja gar nicht mehr. Aber der Körper will mich, weil man es ihm angeschafft hat. Der Körper wurde einst geschaffen, und jetzt hat man ihm angeschafft, daß er zu mir kommen soll, weil er mir gehört. Wie soll ich denn wissen, ob das überhaupt meiner ist? Für mich war das aber ein abgeschlossenes Kapitel. Der Sänger will Körper, und er bekommt sie auch. Anders würde er mich nicht wollen. Hätte man es meinem Körper nicht befohlen, hätte der den Befehl nicht an mich weitergegeben. Nichts von mir tut, was nicht befohlen wurde. Werden die ihn mir etwa aufdrängen, den Körper? Das können sie nicht machen. Ich will ihn nicht. Ich würde ja brav folgen, durch allen Dreck, den wir Schatten sind, den wir nicht gemacht haben, aber sind. Ein Schatten macht keinen Dreck, ein Schatten ist Dreck, und ich: alles Dreck, alles Dreck! Die Dreckshöhle, in der wir Schatten wohnen, die wir mit uns und aus uns bilden, Dunkel in Dunkel, Dunkel zu Dunkel, ohne Wonne blutend, ohne Freude aufgerissen, in Fetzen gerissen die Schatten, wir, wir können alles, weil wir nichts können, und da soll ich von hier weg? Wo ich endlich gefunden habe, was ich gesucht habe: die Abwesenheit. Das Fortsein. Von allem. Abwesendsein, aber mit Konsequenz! Von Farben, Bildern, Gerüchen weg sein. Ich wende mich gehorsam dem Falschen zu, der mich holt. Weit wird er mit mir nicht kommen. Ich kenne ihn. Er wird mich ziehen müssen, er wird an meinem Gewand ziehen müssen, das ebenfalls ein Schatten ist, keineswegs geräumig genug für eine weitere Person. Ich bin zu weich zum Gehen, da zerrt etwas an mir, bin das ich, die an mir zerrt? Nein, das kommt von hinten, nicht von vorn. Die Schatten wollen mich nicht lassen, und ich will nicht von ihnen lassen. Ist es meine Gestalt, die da von hinten an mir zerrt, die mich wiederhaben möchte? Die mich holen gekommen ist? Keine Ahnung, wie der Sänger das gemacht hat. Mein Körper zieht an mir, er wurde mir persönlich mitgebracht vom Sänger, er will in mich hinein, der Körper, er will mich züchtigen, er will mich in Ordnung bringen, er ist plötzlich so aufgeräumt!, und ich armer Schatten soll hinter ihm zurückbleiben. Nur weil der Sänger es will? Weil er nichts will? Weil er mich, das Nichts, will? Weil er will, daß sich das Nichts ihm anschließen soll? Vielleicht damit er sich davon vorteilhaft abheben kann? Das braucht er nicht, er klingelt ein wenig mit sich, zupft ein paar Riffs, über die er prompt in sein eigenes Meer der Maßlosigkeit stolpert, und schon kommen die rasenden Scharen der Mädel an, bitte, hier sind sie, hab ichs nicht gewußt!, kreischen wie an den Haaren hervorgezogen, und zwar alle auf einmal. Will er Schatten selbst abheben wie Spielkarten, der Sänger?, will er sie mischen, will er Verdecktes aufdecken, will er ein gutes, ein besseres Blatt? Da muß er aber viele Schatten abheben, um einen küssen zu können. Wir sind so viele. Da sind tonnenweise Schattenschichten, wie soll er mich finden. Man hat ihm vielleicht einen Tip gegeben, einen Quickietip? Das kann ich nicht glauben! Wer würde einen Tip noch nach der Ziehung der Lottozahlen abgeben? Wie soll das denn gehen? Da wird der Schein doch ungültig! Wer würde denn überhaupt etwas abgeben, das er noch gar nicht gefunden hat? Oder etwas, das einen Wert hat, wenn auch nur für den Besitzer, für keinen sonst? Er zieht mich jetzt hinter sich her wie einen gelandeten Fallschirm, da lösen sich Bänder, ich bin offenbar irgendwie an ihm festgegurtet, aha, so will er es also machen! Ich sehe. Wie einen Fallschirm will er den Stoff, aus dem mein Schatten ist, hinter sich herschleifen, wie eine Nachgeburt, wie den blutigen, stinkenden Dreck, der ich bin, das Nichts, das ich bin, das kann ihm doch kein Vergnügen machen, wo ihn doch oben so viele verehren! Warum ich? Warum ich auch noch? Warum diesen weichen Stoff, der ihm doch dauernd durch die Finger schlüpft, den er nicht fassen kann? Ich war vorhin doch noch ordentlich zusammengelegt, Schatten unter Schatten, viele uralt, schon zu Schichten zusammengebacken, miteinander verschmolzen, verklebt, Fetzenbankerte, und jetzt schleift er mich schon wie einen Haufen Fallschirmseide hinter sich her. Da will etwas in mich hinein, mein Körper, er schreit hinter mir, drah di net um, der Kommissar geht um, er könnte auch etwas andres schreien, ich glaube, das Problem ist, daß ich mich nicht nach meinem Körper umsehen will, ich bin es ja, die nichts sehen will! – ich möchte nicht wissen, wie der jetzt aussieht! –, mein Körper jedoch wieder von meinem Sänger dort vorn gewünscht wird, verlangt wird, einer wünscht ja immer den anderen, niemand ist sich selbst genug, wir sind alle voller Wünsche, mein Sänger ist auch so ein praller, fetter Wunschsack, douchebag!, der aber immer leer wird, sofort leer wird und sich gleich wieder füllt. Er läßt sich vor seinen eigenen Augen blicken, die Tränen der eigenen Kindheit längst vergessen, wenn die Mädels kreischen, die saugen ihn aus, und er trinkt von ihnen, er bekommt ja alles, was er will, der Sänger, der bekommt alles, ich höre sie, höre sie jetzt deutlicher, wir kommen näher, ich höre die kleinen Mädchen draußen schon brüllen, nach Blut zahnen, die haben ja noch ihre Milchzähne, zumindest teilweise!, komisch, vorhin habe ich sie noch nicht gehört. Mein Körper wird mich doch nicht eingeholt haben! Ich dreh mich nicht nach ihm um, keinesfalls. Was der Sänger macht, ist mir egal, aber ich dreh mich keinesfalls um! Wenn er mich einholt, mein Körper, dann bin ich geliefert, dann kann ich dem Sänger geliefert werden, dann habe ich eine Figur und eine Struktur, unter dieser Bedingung kann ich in seiner Begleitung, in die ich aber gar nicht will, bleiben, wenn ich eine Form habe, die man vorzeigen kann, das wird von mir gewünscht. Dann komm ich in den Wunschsack, diese vollgefressene Zecke, hinein. Andere wären froh. Alle anderen wären froh, wenn der Sänger sie holen würde. Aber für ihn ist die Hauptsache, er hat mich wieder. Unter der Bedingung, daß ich eine Form habe, darf ich in seiner Begleitung bleiben. Als Schatten nicht. Als Schatten will er mich nicht. Ich kann es mir nicht aussuchen, muß ja tun, was verlangt wird. Mein Körper hechelt dicht hinter mir, wenn der mich erwischt, bin ich geliefert, dieser bestrickende Körper, nein, er ist kein Pullover, der Pullover bin vielmehr ich, aber viel mehr bin ich auch nicht, Schatten ohne Gefäß, Struktur ohne Körper, dieser bestrickende Körper, dieser nicht bestrickte Körper, der will mich, der will mich Nichts, der will aus dem Nichts raus, der will in mich rein. Das geht nicht. Ich gehe nicht. Das geht nicht. Ich: keinen Schritt weiter! Aber wenn ich stehenbleibe, kriegt mich mein Körper! Der Körper geht weiter, stapft unbeirrbar dahin wie ein bergwandernder Politiker. Auch schon egal. Ich gehe nicht weiter. Soll er mich einholen, sein Netz besteht ja nur aus Löchern. Ich setze mich, habe ich nur einen Augenblick Ruhe, in dieser Ruhe hin, um meinen Schatten wieder sauber zusammenzufalten, aber wenn ich mich einen Augenblick hinsetze, dann erwischt mich Körper, dann holt mich Körper ein, der kommt in mich hinein, und dann ist es aus mit Schatten und Schluß mit lustig. Ich schleife über die Steine, ich spüre es nicht, ich spüre nichts, wird es da nicht schon heller, ich höre meinen Körper hinter mir atmen und meinen Sänger vorne Bedingungen stellen, daß er mich nur mitnehmen wird, wenn er mich auch vorzeigen kann, wenn ich vorzeigbar bin, nicht so eine verwehte Gestalt, an die sich keiner erinnert, na, mach schon! Hast du den Körper jetzt endlich?! Wenn du befiehlst, Sänger, muß ich einpacken, muß ich meinen Schatten einpacken und meinen Körper wieder an mich nehmen, und dann kann ich wirklich einpacken, nein, die Wirklichkeit kann ich mir nicht einpacken lassen, die ist eine entsetzliche Drohung, aber meinen Schatten gebe ich nicht her, sonst kann ich einpacken, so, probieren wirs mit einer neuen Rolle, würde mich so gern in den Schatten legen, der ich bin, aber auch das erlaubt er mir nicht, er jagt mich, mein eigener Körper jagt mich!, weg da, Körper!, er hat so lang das Licht verloren, und in mir will er es wiederfinden, ein Witz!, ich rolle mich in mich selbst ein, vielleicht wenn ich mich fest rolle, kann mein Körper mich nicht mehr aufrollen, ich rolle mich wie einen Teppich, ich bin ein Rollenmodell, ich bin ein Modell auf Rollen, mich kriegt man nur eng zusammengefaltet, in immer kleinere Quadrate, nein, eher unregelmäßig oder gerollt oder in der Ausführung mit Rollen, aber immer muß ein andrer dran ziehen, mich kriegt man nicht so einfach wieder auf mich drauf, dabei ginge ich drauf, garantiert. Mein Körper hechelt laut, er keucht vor Anstrengung, bevor der Sänger den Ausgang der Höhle erreicht hat, muß er unbedingt in mich hinein, der blöde Körper, und warum? Weshalb? Damit er mit mir werfen kann? Damit er mit mir, seinem Schatten, der ich noch bin, der ich als einziges noch bin, werfen kann, damit er mich wieder fortwerfen kann? Wieso will er dann unbedingt erst noch in mich hinein? Nur um mich wieder zu werfen? Wie einen Stein übers Wasser? Der ist wohl nicht ganz bei sich! Ich lasse das doch nicht stumm geschehen, aber als Nichts bleibt mir nichts andres übrig. Ich muß alles mit mir geschehen lassen. Nur nicht den Körper ranlassen, nur mich nicht in den Körper reinlassen! Ich passe schon auf! Es kommt schon ein heller Lichtschein von vorn, wenn ich es schaffe, Schatten zu bleiben, bevor mein Körper in mich hineinkann, bevor irgendein Körper in mich hineinkann, bevor Körper mich kreuzweise kann, ich weiß ja nicht einmal, ob das überhaupt meiner ist, bevor ich ich werden kann, muß vermieden werden, daß mein lieber Schatten von einem Körper besetzt wird, wahrscheinlich von meinem, sie werden schon den richtigen herausgesucht haben, ich weiß es ja nicht, sie könnten mir genausogut irgendeinen andren gegeben haben, einen fremden, wer weiß, ich dreh mich nicht um, ich will ihn nicht sehen! Das alles, damit mein lieber Schatten nicht von einem Körper besetzt wird, in Besitz genommen wird, daß mein schöner, warmer, weicher Schatten nicht wieder, nie wieder, verkörpert wird! Und auch wenn er zwangsverkörpert würde, könnte dieser Körper doch nur das Nichts verkörpern, das ich bin und das ich schaffe, so, dieser Satz ist jetzt hin, dem Satzbau habe ich mich verschrieben, und der Satz ist jetzt hin, sein Bau hat nicht gehalten, ein schönes Beispiel für Körper und Schatten, nichts hält, nicht einmal ein Satz. Überall nichts, und mein Körper ginge darin auf. Das Nichts, das ich schaffe, das Nichts, das ich bin. Ich spür was, ich spür da was an der Schulter, ich rinne durch, ich lasse mich durch meine eigenen Finger rinnen, es macht mich fast verlegen, daß da ein Körper, wahrscheinlich meiner, mich dummen Schatten beleben will, nur damit er mich dann wieder fortwirft, bloß, damit er mich dann werfen kann. Warum? Weil er es kann! Es sollte umgekehrt sein, der Schatten sollte den Körper werfen können, aber das geht nicht, der Körper ist der, der Kraft hat, und das ist das Wichtigste, der Körper ist der, der Macht hat. Ohne Körper keine Macht. Ohne Körper keine Waffe. Was macht der Sänger da? Hat er da etwa sein Handy genommen, das muß er doch gar nicht nehmen, es ist an ihm festgewachsen!, will er etwa einen Augenblick festhalten, was ja der eigentliche Sinn von Film und Foto ist, abgesehen davon, daß beide vollkommen sinnlos sind?! Will er etwas festhalten, das er gar nicht sieht, das Nichts festhalten, will er den Augenblick meiner Verkörperung festhalten? Ja, soll er nur! Ist mir recht! Wenn er das macht, in dem Augenblick, da er das macht, wird mein Körper, wird meine Form, wird das, was aus mir erst wieder geformt werden soll, aus mir, dem Schatten, gemacht werden soll, ein Schatten, der endlich was aus sich macht!, wurde auch Zeit!, wird das alles ans Licht kommen. Es wird alles an den Tag treten und dort verdorren und verfaulen, das ist es, was die Sonne macht, was sie sogar am liebsten und mit unseren Liebsten macht. Es wird nichts verborgen bleiben dürfen. Unglaublich, der Sänger glaubt es aber, weil bei ihm immer die Handys so blitzen, tausendfach blitzen, weil er ständig in einem Ring aus Feuer steht, glaubt er, er kann das auch, glaubt er, er kann auch solche Blitze schleudern!, nein, verlangt er, daß ich aus meinem Schatten etwas machen soll, daß ich aus seinem Schatten heraustreten und aus meinem endlich etwas mehr machen soll und daß er aus mir dann auch etwas machen kann, dabei stürzt nur er ab, er stürzt in den Feuerring, er stürzt hinein, die Flammen steigen, die Blitze schlagen aus den Handys, und er muß runter, runter, runter; während die Flammen immer höher schlagen, muß er runter, getrieben von seinen Wünschen, die ihn zu mir hinunterreißen. Dabei tu ich doch gar nichts! Ich habe keine Wünsche mehr. Das sind alles seine! Er merkt noch nicht, daß er fällt, aber er fällt, er fällt in den blitzenden Feuerring. Er kann mir helfen, er kann meine Fotos herumschicken, während die Flammen an ihm schlecken mit ihren kleinen Mündern, er glaubt, die Leute werden ihm dankbar sein, die Agenturen werden sich drauf werfen, äh, stürzen, aber das wird immer Teig werden und bleiben, was ich bin und was zu sehen sein wird, formlos, alles, was er machen kann, nämlich mich, mich kann er machen, von mir kann er ein Foto machen und noch eins und noch eins, aber es wird nichts auf der winzigkleinen Speicherkarte sein, nein, das wird keine Eintrittskarte für Körper in Schatten sein!, und auch die Festplatte seines lieben kleinen Notebooks, wo er sich alles notiert haben wird, was mit mir und meinem Körperlein passiert – und sofort rein damit ins Netz! –, wird am Ende vollkommen leer sein, abspeichern oder verwerfen?, verwerfen!, selbstverständlich verwerfen!, ich bin ja nichts Festes, das mit dem Sänger und mir, das war was Festes, aber ich selbst bin nicht fest, ich werde es auch nie sein, und sogar Teig zu sein wäre schon viel verlangt von einem Schatten, der keine Form hat und keine haben will. Der Sänger will natürlich festhalten, was er gemacht hat, was endlich wieder fest ist, was sein Werk ist, was seine neuen Songs, seine neuen Nummern, seine neuen Titel sind, was seine neuen, fröhlichen, ungenierten Songs und seine geschobenen Nummern sind, mit seinem Marketingtalent will er auch seine Songs festhalten, abspeichern, nicht verwerfen, und er will auch mich halten, er will mich als Figur wieder einführen, er will sein Werk der Belebung festhalten. Aber er will einen Schatten festhalten! Er will einen Schatten festhalten! Dieser Irre, mir fehlen die Worte, aber der ist eh nur mit Gesang erhältlich, will in dem sonnenhellen Raum, in den er geht, einen Schatten festhalten! Das geht natürlich nur mit Licht. Und es muß das richtige Licht sein, in dem man erscheint. Ein Licht braucht man einfach, das einem aufgeht. Auch einen Schatten kann man nur mit Licht festhalten, Blödsinn, ich sehe etwas auf mich gerichtet, das ist gut, von hinten spüre ich eine Körperklammer, eine Körper-Umklammerung, etwas, das versucht, in mich einzusteigen, ich bin doch keine Bahn, da steigt was in mich ein, und von vorne soll das dann auch noch für die Ewigkeit, oder was der Sänger dafür hält, gehalten werden. Abspeichern oder verwerfen? Verwerfen! Ich spüre es, und ich sehe es. Ich rolle mich in mich selbst ein, ich halte mich fest, doch fest kann ich mich nicht mehr halten, ich bin das Weiche, ich bin erweicht, ich habe mich erweichen lassen, ich kann mich nicht lange halten, diese Rolle kriegt der Körper hinter mir nicht auf, da kann er an mir zerren, soviel er will, und das soll alles festgehalten werden? Das will der Sänger festhalten, der sein Publikum fesseln kann, mich aber nicht? Da blitzt etwas. Da hat doch soeben etwas geblitzt! Nein, es ist nicht der Beleber. Das ist er nicht. Kann er nicht sein. Das muß der Verwerfer gewesen sein, das Gegenteil eines Scheinwerfers. Ich höre ein Kreischen, während ich schon zurücktaumle, endlich wieder zurücktorkle, mich schon nicht mehr fassen muß, mich nicht mehr halten muß, mein weicher Schatten zurückfällt ins Dunkel, Dunkel zu Dunkel, nichts zu nichts, von nichts kommt nichts, das Nichts kommt zum Nichts, das macht nichts, aus dem Nichts komme ich nicht zurück, das garantiere ich, der Griff nach mir erlahmt schon, dieser Körper, den sie auf mich losgelassen haben, ist plötzlich weg, wo ist der jetzt hin? Hoffentlich wirklich und endgültig weg, durchs Ende endlich weg, mittels Endes endlich verworfen, eine unaussprechliche Erleichterung, weich rinne ich über die paar Stufen zurück ins Dunkel, Schatten zu Schatten, gleite über die Steine, wie die Schlange, die mich zum Schatten machte. Wir müssen scheiden, ich und ich, endlich, wieder nichts, wieder das Nichts, das ist klar, von oben her das Heulen, Moment noch!, gleich werde ich es nicht mehr hören, gleich wird die Schattendunkelheit mich verschlungen haben, dieses Nichts, das ich bin, endlich wirklich nichts, mit meinen nichtswürdigen Nichtskameraden, endlich kann ich mich meiner eigenen Gegenwart entziehen, niemand zieht an mir, im Gegenteil, ich entziehe mich, ich entzerre mich, vielleicht kann ich mich eines Tages wieder hübsch aufrollen und an die andren Schatten schmiegen, wenn ich mich erst etwas erholt habe, was nichts bedeutet, endlich nichts, endlich nichts mehr in der schweigenden Öde. Vorhin noch in Gefahr, jetzt nicht mehr, der Sänger wird jetzt oben von diesem Heulen empfangen, in Besitz genommen, gespeichert mit zahllosen Sicherungskopien, wenn jemand sicher aufgehoben wird, dann der! Ich höre es nicht mehr, ich weiß es mehr als daß ich es höre, aber das ist er gewohnt, er wird von ungeratenen Außersichgeratenen verschlungen, wird vom Kreischen verschluckt, ich ahne es mehr als daß ich es sehe, alles Dreck, aber Dreck sind wir, und Dreck wollen wir sein, nichts wollen wir sein, nichts sind wir, ich höre es schon gar nicht mehr, das Kreischen dort oben, das durchdringende Gekreisch, das dicke Mauern durchdringt, aber Schatten nicht, Schatten nicht!, ich rinne zurück, noch ein dunkles Rinnsal auf dem Stein, eins mehr oder weniger, egal, spurlos verschwunden, denn ich war nicht Rinnsal, ich war nicht einmal Schatten, ich war Dunkelheit und Leere und nichts und Ruhe, meine Werke Dunkelheit und Ruhe und nichts mehr, ich habe keine Werke, ich werde nie Werke haben, wie schön!, keine Werke mehr, versprochen!, ich hatte ja nie welche und werde keine mehr haben, niemand sieht meine Werke, niemand hat sie je gesehen, sie sind nichts, sie sind Dreck, mein Werk ist Dreck, und ich bin das Dunkel dazu, das über sie wacht, über die Werke im Dunkel wacht, das Nichts wacht über den Dreck, und ich bin das dazugehörige, dazu passende Dunkel, umstanden von noch mehr finsterem Schattengebäu. Alles finsterstes Dunkel. Undurchdringlich, aber wer will es durchdringen? Keiner. Es ist da, aber es ist gar nicht da. Keiner sieht es. Es ist nichts. Alles eins. Alles nichts. Nichts einig. Dunkel. Draußen fernes Kreischen, ich weiß, daß es da ist!, doch schon höre ich es nicht mehr, mein Körper ist weg, alles ist weg, bin schon wieder weg, zum Glück schon über die Steine gerutscht, ein Stück Tuch, nicht mehr, ein Schattentuch, nein, nicht einmal ein Tuch, der Schatten eines Schattens, ich bin weg, schon fern dem oberen Rand, kreisch kreisch kreisch und aus, ich weiß eh, wie das klingt, doch ich bin weg. Ich muß nichts mehr wissen, mich an nichts mehr erinnern, nichts mehr schaffen, was ich ohnedies nicht geschafft habe und auch nie geschafft hätte. Nichts von mir mehr da. Sehr gut. Keiner mehr besorgt um meine Kraft, die ich nicht habe, zurückgesunken ich, nicht einmal gesunken, gerutscht, geglitten und aus und weg. Nie fiele mir ein, die Arme sehnlich zu strecken, ich will wieder zurück, als das Nichts, das ich immer war und wieder bin, nicht rechtschaffen, nichts schaffend, mein größtes Glück, endlich nichts, keiner faßt etwas, keiner wird gefaßt, nein, auch kein Gegenstand kann von mir gefaßt werden, kein Glück mehr, kein Unglück, nur Schwärze, etwas Weiches, das in sich zusammenfällt, das mit sich zusammenfällt, Schatten zu Schatten, Schwärze zu Schwärze. Fern alle Lichtbilder in allen Apparaten, fern die Klicks, die Speicherchips, alle Hits, alle Links, fern alles. Ich Schatten, wie schön habe ich es, nichts mehr, da ist nichts mehr. Die am Eingang, die Neuen, die spürt man noch ein wenig, aber eher wie Rauch, wie Dunst am Morgen, wie Dämmerung, ich durchschreite sie, teile ihre neuen Schatten wie Vorhänge, die noch nicht ganz verschlissen sind, noch irgendwie steif sich anfühlen, wenn auch nur für einen Augenblick, aber weiter drinnen spürt man dann nichts mehr, am Eingang drücken sich ja immer ein paar Neue herum, haben eine Sehnsucht, die verstehen es nicht, aber bald werden sie es verstehen, das dauert nicht lang, und dann machen sie Platz und verschmelzen in uns und verschwinden in uns, denn am schönsten ist das Nichts, am schönsten ist es, nichts zu sein, die größte Verführung von allen, kein Haschen mehr nach weichen Lüften, nach weichen Armen, nach den weichen Lüften der Arme, kein Klagen mehr, was wäre zu beklagen, wenn nichts verlorengeht, nichts verschwindet? Was wäre da zu klagen? Nichts. Kein Gruß mehr für ein Ohr, das sich oben dem Kreischen, dem Heulen, dem Zähneknirschen, dem Schlingen, dem Fressen, dem Schlucken, dem Verdauen schon weit öffnet und mich schon ans Weitere, das es nicht gibt, verliert, kein Gruß mehr, kein Griff nach etwas Knochigem, Hartem, nichts mehr, nur ein Schatten, nur ein kurzer Schatten auf dem Stein, ich werde gerafft, ich werde zusammengerafft, nein, ich raffe mich selbst zusammen, ich raffe mich nicht auf, und ich raffe mich nicht zusammen, ich raffe mich nicht mehr auf, ich raffe mich zusammen, nein, doch!, ich raffe mich mit letzter Kraft zusammen, mit schattenhaften Händen, ohne Hände, ohne nichts, mit Nichts, raffe mich in mir selbst zusammen, raffe mich, die nicht mehr da ist, Schatten zu Schatten, ich bin nicht mehr da, ich bin.

Also, zum Mitlesen:
Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte
Sigmund Freud, absolut alles. Das haben Sie dann davon.
Ovid: Metamorphosen

Fotos: Burgtheater, Abbildung aus Peter Schlemihls Wundersamer Geschichte, Illustrationen von George Cruikshank

4/2011 / 2.6.2015

An English translation by Gitta Honegger is currently in process.
Interested theaters should contact Nils Tabert at Rowohlt Theaterverlag.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der deutschsprachigen Aufführung ist nur vom Rowohlt Theater Verlag, Hamburger Straße 17, 21465 Reinbek, Tel.: 040 – 72 72 – 271, theater@rowohlt.de zu erwerben. Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuskript gedruckt. Dieser Text gilt bis zum Tag der Uraufführung / deutschsprachigen Erstaufführung / bis zur ersten Aufführung der Neuübersetzung als nicht veröffentlicht im Sinne des Urheberrechtsgesetzes. Es ist nicht gestattet, vor diesem Zeitpunkt das Werk oder einzelne Teile daraus zu beschreiben oder seinen Inhalt in sonstiger Weise öffentlich mitzuteilen oder sich öffentlich mit ihm auseinanderzusetzen. Der Verlag behält sich vor, gegen ungenehmigte Veröffentlichungen gerichtliche Maßnahmen einleiten zu lassen.


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