Nachrichten aus der Provinz, II

von Florian Seidl

Mein schönster Ferienausflug

Geschätzter Daniel!

Mein Versprechen bei unserem letzten Treffen bei der BBB einlösend hier mein Bericht aus Salzburg vom gestrigen Tag.

Endlich Ferien! Wie nutzen wir das erste Ferienwochenende? Wir machen es wie die Spitzen der 1000 umsatzstärksten Konzerne und fahren ins schöne Salzburg. Leider kamen auch 5000 PolizistInnen auf diesen Gedanken und so waren die Quartiere ausgebucht. So blieb es bei einem Tagesausflug bei schönstem Wetter. Nachdem die Medien schon Wochen vor dem 1.7. alle Eingeborenen vor uns gewarnt hatten, waren sie alle auf den Bäumen und in den Höhlen geblieben. Was sollen sie auch machen - sind sie doch daran gewohnt, Touristen an den beliebtesten Orten der Stadt zu neppen - und die waren durch Barrikaden nur erschwert passierbar und von Polizei so abschreckend bewacht, dass auch Sonderangebote nichts geholfen hätten.

Die Verantwortlichen waren der Meinung, mit der Genehmigung einer Kundgebung am Bahnhofsvorplatz sei der Demokratie genüge getan, alles weitere wäre Rechtsbruch. Etliche Manifestanten sind aber anderes gewohnt und nicht gewillt, sich gängeln zu lassen, also brach man gegen 15:45 auf.

Zunächst durch die tristen Vorstadtstraßen, dann zum "Viadukt". Diese natürliche ÖBB-Trasse ist nur durch wenige Unterführungen zu (unter)queren, lädt also die Polizei ein, diese abzuriegeln.

Damit ist das Kongresszentrum außerhalb Rufweite.

Am Bahnhof zur Begrüßung angetreten: 300 Mann (acht Frau) in neuesten Körperprotektoren Marke ZX 234 "Starship Trooper", farblich agestimmter Combat-Suit, wahlweise über den Plastikpanzern getragen und ohne jegliche Rang- oder Truppenkennzeichen. Praktischerweise trägt man unter dem Helm die atmungsaktive Sturmhaube "Yassir" mit klug geschnittenen Augenschlitzen. "Sads es durt wo es heakommts olle so schiach?"

Wir schreiten die Reihe ab, ich betrachte die formschönen Panzer. Mir wird versichert, sie seien erst heute aus der Plastikfolie herausgenommen worden. Dann schwitzt mal schön, Leute. Als einen Kommandanten erkenne ich den liebgewonnenen WEGA-Major Hannes A. wieder, der sich schon am Opernball durch Umsicht und Klugheit in der Truppenführung und als diszipliniertes Vorbild für seine Mannschaft profilierte. Das Reuters-Photo von seiner mutmaßlichen Präventivwatschn für renitente Passanten ging durch die Weltpresse.

Nach einigen netten Reden am volksfestlich gefüllten Bahnhofsvorplatz (lausige Getränkeversorgung) und dem üblichen Händeschütteln ("Auch hier!") mit altbekannten STAPO-Aktivisten aus Wien geht die Demo, insipiert von einem geschlossenen SJ-Block, in die dem WEF-Kongress abgewandte Richtung, wogegen die Polizei entgegen vorher verbreiteten Meldungen nichts einzuwenden hat. Die GendarmerInnen haben unter ihren Helmen sichtlich mehr Angst als wir, hat man sie doch auf menschenfressende Brandstifter psychologisch eingeschult. So suchen sie ihr Heil in der Gemeinschaft und entschuldigen sich ernstgemeint für unabsichtliche Rempler. Noch.

Wir müssen uns jetzt kurz in die Geisteswelt solcher aus ganz Österreich abkommandierter Polizisten versetzen: In einer fremden Stadt, tagelang schlecht versorgt, langweiliger Dienst, Unmutsäußerungen der Lokalbevölkerung ausgesetzt, durstig und verängstigt. Manche Landeier sind zum erstenmal in einer Stadt und müssen sich erst an so viele fremde Menschen gewöhnen. Die schweren Geräte drücken, zwicken und zerren bei jedem Schritt, die Sonne brennt erbarmungslos auf die schlecht gelüfteten Overalls, Austreten ist verboten und manche "Kollegen" versteht man nicht.

Wie auch schon die Opernballdemo gezeigt hat: Es kann auch zu viel Polizei anwesend sein. Der Voralrberger versteht den Steirer nicht, der Salzburger versteht den Kärntner nicht, die Cobra mag die WEGA nicht, das MEK hält sich für was besonderes und mit den Eisenstädtern redet erst gar niemand, weil die eh nicht verstehen. Deswegen ist der häufigste Satz am Funk: "Wiederholen, ob verstanden." Leider hat jemand den Tirolern verraten, dass sie in so einem Falle am besten "Varschtandn" anworten sollen, um weiteren Remessuren zu entgehen.

So kommt es, dass der Demozug am oben beschriebenen ÖBB-Viadukt vor einer doppelten Tretgittersperre mit Polizeischutz zum Halten kommt und eingekesselt wird. Auch wenn sich die Polizei nicht versteht - sie sind dreimal so viele, die Masse machts. Der mutige Führer der proletarischen Massen, Genosse Walter Baier, erwirkt eine Abzugsgenehmigung in Richtung Bahnhof zurück. Die Polizei gibt den Weg frei, der Zug marschiert an der Bahnlinie entlang zum Bahnhofsvorplatz. Niemand kümmert sich um den "äußeren Sperrgürtel". Fatal wirkt nun die zu gute Ausrüstung der Polizei: sie lässt keine Hand mehr für den Stadtplan frei. Unbekümmert marschiert ein Robotertrupp an der breitesten Bahnunterführung Salzburgs vorbei. Die jubelnden Demonstranten rennen wie der Teufel und bleiben nicht mehr stehen, denn der Weg zum Kongresszentrum ist - frei.

Wir könnten es noch bis zu den Schlussworten der Eröffnungsansprache schaffen. Strategie? Taktik?

Todesmutig stellen sich am Ende des Tunnels fünf aus dem Wagen hüpfende WEGA-Männer der Masse entgegen. Nun muss ich wieder ein wenig abschweifen, denn nur so kann ich erklären, warum nun was geschah. Die Wiener Eingreiftruppe Alarmabteilung (WEGA) ist aufgrund des guten Futters und der gesunden Luft im Freigehege des Schönbrunner Affenhauses überdurchschnittlich groß und robust (keiner kleiner als 1,85 ohne Stiefel) geraten. Sie dürfen mit Stöcken spielen und haben große Freude am Umgang mit Menschen. Sie haben keinerlei Berührungsängste, nur manchmal überschätzten sie halt ihre Stärke. Da kann ein zärtlich gemeintes Streicheln schon mal zum Knochenbruch führen.

Aber wenn sie gereizt weren, dann kommen in ihnen die uralten Jagdtriebe hoch. So löst eine laufende Menschenmasse in ihnen das "Predator"-Programm aus - sie müssen loslaufen und ihre Opfer greifen. Durch diese an sich evolutionsbiologisch notwendige Vorgangsweise säubern sie die Herde von alten und schwachen Mitgliedern, die sowieso auf lange Sicht sterben müssten und so nicht unnötigerweise Ressourcen für die starken und gesunden Herdentiere verbrauchen.

Deswegen auch in diesem Moment, da die laufenden Menschen von der kleinen WEGA-Gruppe attackiert wurde. Knüppel aus vollem Lauf durchgezogen und ähnlich spezialisiertes Vorgehen kennzeichnen ihren Stil. Leider waren die Beamten in der Minderheit, wodurch ihnen schnell ihre Grenzen aufgezeigt werden konnten. Sie zogen sich ohne Beute zurück.

So wanderten wir relaiv unbehelligt durch die Sperrzone. Die Polizei wusste nicht, wohin sich zu wenden, welchen Weg zu blockieren. Dass von ihnen tausende in der Stadt herumschwirrten, war kaum zu glauben. An manchen Stellen bilden sie unmotivierte eine Sperre und schauen so grimmig, als ob sie einen Bluteid geleistet hätten, diese Sackgasse mit ihrem Leben zu schützen. Einer hat seine Geräte mit Namen gekennzeichnet, er hat den Spitznamen "Olsi". Ich biete den Kollegen an, mit meinem Stift auch ihre Schilde zu kennzeichnen, sie sollten mir dazu ihre Spitznamen sagen. Ich ernte zunächst Gelächter, dann haut einer mit seinem Schild nach mir. Eine humorlose Geste, aber er hat ja geschworen, die Straße zu verteidigen, also tritt er nicht aus der Formation.

An einer anderen Stelle lösen wir uns zu zweit von der Demo und marschieren mit wehender Fahne einer Hundertschaft Gendarmerie nach, die endlich einen Führer mit Stadtplan (!) und einem funktionierendem Funkgerät (!!) und einem verständlichen Befehl (!!!) gefunden hat. Traumhaft, die Anrainer dieses Wohnbezirkes haben den Eindruck, dass hier zwei Kummerln die Polizei jagt. Nachdem die Randale ausbleibt, trauen sich die BewohnerInnen, zumeist Jugendliche, auf die Straße und schauen dem Karnevalstreiben zu.

 

Manchmal bin ich versucht, eine Initiative "Freunde der Polizei" zu gründen, die mit leitenden Offizieren Strategiecomputerspiele spielt. Dann müssten die armen Muschkoten nicht so viel sinnlos laufen.

An einer Kreuzung, wo die erste Kompanie MEK Wels wieder nicht weiß, was der Hauptmann der SEK Wiener Neustadt will und die Demonstranten einfach durchlatschen, will mir ein Gendarm meine Fahne wegnehmen. Ich meine, er solle sie sich doch holen. Welch blanker Hohn, hat er doch alle Hände voll (Knüppel und Schild). Ein Vermummter schiebt mich nach hinten, um den Polizisten vor mir zu beschützen, was ich ihm hoch anrechne, aber unnötig gewesen wäre. Im Moment habe ich viel Spaß mit den beitleidenswerten Polizisten, die die Gelegenheit nicht und nicht fanden, sich fest zu prügeln.

Es wollte keiner zurückhauen.

Wäre nicht der Innere Sperrgürtel (drei Totenköpfe, dick rot unterstrichen) mit Tretgittern abgesichtert gewesen, die ortsunkundige Polizei hätte womöglich die falsche Seite geschützt.

Um doch die Initiative wiederzugewinnen marschierte eine Gruppe mitten in die Demo hinein und rempelte sich an einer Häuserfront entlang. Die Provokation gelang, es wurde zurückgeremeplt und geschubst. Endlich traf Verstärkung ein, es wurde gekesselt und ein wenig mit Pflastersteinen geworfen. Der schwerverletzte Polizist konnte durch die besten Salzburger Ärzte in einer Notoperation gerettet werden und durfte das Krankenhaus noch am nächsten Morgen verlassen.

Glücklicherweise traf ihn der Stein am Kopf.

Geifernde Polizisten mit flammenwerferähnlichen Geräten (Tränengas aus Bayern, so das Gerücht) standen am Rande und waren unter ihren Sturmmützen sichtlich enttäuscht über die Friedfertigkeit der Demonstranten. Während einige rüttelnde Heißsporne gute Bilder für die Photographen lieferten, massierte sich die Polizei und drängte die nicht gefangenen Menschen außerhalb der Sichtweite.

Erneut vermittelte Walter Baier bei der Einsatzleitung. Die Gruppe der Sozialistischen Jugend (SJ) war im Besitz der besseren Telephonnummer und konnte durch Intervention angeblich vom Innenministerium aus dem Kessel abziehen.

Je länger die Einkesselung dauerte, desto lächerlicher wurde das Verhältnis von mordsmäßg bewaffneter Exekutive und Schaulustigen. Während ich mit meiner besorgten Mutter (aus Salzburg) telephoniere, nimmt mir ein Kiberer (MEK Steyr?) meine schöne KPÖ-Fahne ab. Soll er sie haben, er wollte eh nur die Stange, die Fahne darf ich abmontieren. Dienstnummer? "Kennans vom Einsatzleiter haben." Sicherheitspolizeigesetz? "Is ma wurscht." Vermummt obendrein - wer so genau ist, vergast wahrscheinlich auch Juden.

Leider können wir nicht bis zum Ende bleiben, denn der letzte Zug nach Salzburg geht bald.

 

Allgeimeiner Jubel dann im Zugsabteil, auf meine Verhaftung waren schon etliche Biere verwettet worden. Wir trinken sie gemeinsam, aber der Eindruck nach einer Stunde Zugsfahrt ist der eines mittelmäßigen Fanclubs nach einer 0:1-Cupniederlage. Uns bleibt immer noch die Meisterschaft. Im nächsten Jahr demonstrieren wir gemeinsam mit der Salzburger Wirtschaft gegen Geschäftsschädigung durch den WEF. KMU statt WEF!

LG Flose

 



(Bilder aus den "Salzburger Nachrichten")

3.7.2001

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com