Die unendliche Batterie

(für Salman Rushdie)


Mein erster Gedanke: Jetzt haben sie ihn also doch noch erwischt. Nach all den Jahren. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt? Jetzt darf nur der Frömmste leben, und der Nachbar bringt ihn um, wenn er nicht fromm genug ist. Der hat immer so gelacht, als ob er etwas wüßte! Spott ist die größte Beleidigung der Macht, weil er sich über alle Machtbeweise hinwegsetzt. Und die einzige Religion, die es für die Mordbesessenen um einen leichtfüßigen Dichter geben darf, ist diejenige, die sich selbst als die einzige beweisen kann, indem sie sich einfach als solche behauptet. Dann sind Beweise sowieso überflüssig. Ist Religion dieser alles niederschlagende Beweis für das "Dasein der Dinge außer uns" (Kant)? Der Beweis fehlt. Wo hab ich den wieder hingetan? Ah, da kommt er ja, aber Beweis ist es keiner. Daß uns unser eigenes Dasein bewußt ist, beweist, daß es um uns herum Gegenstände, zum Beispiel einen Gott, einen alleinigen Alleinherrscher Gott (alle andren Götter zählen nicht, sie sind nichts gegen ihn, den Mächtigsten unter den Mächtigen), im Raum außerhalb von uns gibt. Das sagt mir der Beweis, der sich inzwischen schon wieder verdrückt hat. Daß es uns gibt, beweist, daß es außer uns noch etwas gibt. Und darum herum spielen wir, das macht Spaß, soll es aber nicht. Es ist ernst. Was um uns herum ist, kann töten und tut es auch. Der Beweis will nicht mehr zurückkommen, wenn das so ist.

Wir werden gepflegt in einem schönen, ruhigen Sanatorium, man kümmert sich um uns, und jetzt reißt alles auf. Länder werden überfallen, Dichter sollen getötet werden (überleben aber zum Glück! Diesmal wenigstens, mit Glück). Schützengräben reißen die Erde auf, Raketen rasen aus ihren Häuschen heraus und zerfetzen ganze Städte, in denen Menschen auch gepflegt werden wollten, wie wir. Aber es war ihnen nicht gegönnt. Länder messen ihre Muskeln aneinander, bald werden auch sie, die Großen, die Erwachsenen, die unsere harmlosen Spiele überwacht, ohne daß wir es gemerkt haben, sich vorantreiben wie die riesigen Bohrer unterirdischer Tunnelbauer. Wir werden vielleicht bald alle unter der Erde leben müssen, die wir kaputtgemacht haben, denn wo ein Einzelner kaputtgemacht wird, ohne daß alle, wirklich alle dagegen aufbegehren, wird nach und nach alles kaputtgemacht. Der Patient, um den man sich so sorgsam gekümmert hat, daß er gedacht hat, jetzt ist er endlich gesund, springt einen Augenblick in die Luft, bleibt dort eine Sekunde in Helligkeit stehen und fällt dann zu Boden. Jetzt ist es wirklich aus. Er hatte noch seinen Augenblick, als er aus dem Schützengraben sprang. Dann hat es ihn getroffen. Bei welchem Griechen oder Italiener treffen wir uns morgen? Wir sind so frei, wir können es. Wir haben die Wahl, welches Lokal. Wir ruhen noch in unsrer Welt. Andre sind schon aufgewacht und kommen heraus und müssen sofort wieder runter.

Salman Rushdie hatte seinen Augenblick, er wollte gerade beginnen, aus seinem Buch zu lesen, als das Messer in ihn hineinfuhr, in einen Tunnel aus Fleisch, der den Dichter in die Erde zurückführen sollte, wohin er für die wohl gehört.

Der Skandal des Denkens besteht nicht darin, daß etwas bewiesen werden muß, sondern daß die Beweise immer wieder erwartet und versucht werden. Religion aber braucht gar keinen Beweis, sie ist das Gegenteil des Denkens, obwohl viel gedacht wird, aber nicht gelacht. Das Lachen ist tödlich, für die Herren der Religion, die wiederum Gott vertreten, und zwar den Einzigen, da haben sie Glück gehabt, daß sie sich ausgerechnet den Einzigen ausgesucht haben und die andren links liegen gelassen haben oder auf ihnen herumgetrampelt sind. Was für ein Glück, daß noch geglaubt wird, das macht uns groß. Die andren wollen Wissen, wir haben den Glauben, der unermeßlich ist. Das bringt uns den Vorteil, daß wir keinen Abstand zu unserem Gott haben, er ist ja überall, wir brauchen auch keinen Abstand zu ihm, wenn wir uns auf die Erde werfen, die er auch hätte haltbarer erschaffen können, die gehört ja auch uns, nur uns. Was die andren so machen, interessiert uns nicht, es gibt sie ja so wenig wie ihre Götter. Und wo sie auftauchen, räumen wir sie weg, mitsamt den Ungläubigen, die sich als unsre Gläubiger aufspielen wollen. Die fragen noch nach der Außenwelt, anstatt daß sie uns fragen, denn wir wissen es ja, es gibt sie nicht. Es gibt keine Welt, und wenn, dann weil unser Gott sie geschaffen hat, nur für uns. Unser Gott hat und braucht auch kein innerweltlich Seiendes, denn das hat ja alles er schon bestimmt. Da gibts nichts zu lachen, dafür können Sie umgebracht werden. Hier wird nicht gelacht. solange unser Gott vorhanden ist, und er ist überall, er hört und sieht alles, ist weder ein Urteil erlaubt noch lacht hier jemand. Sehen Sie hier jemand lachen? Da fürchten wir uns aber! Wir sollen uns auch fürchten. Ein Dichter hat sich ans Schreiben gemacht. Er soll sich fürchten, aber er soll auch schreiben. Das sage ich.


Die Schlacht von Salamis

Komik erschüttert die Despotie und läßt sie in sich zusammenfallen. So wie einst die freien Bürger Athens, der Wiege unsres Denkens, wie es so schön heißt, die Despotie der Perserkönige zerschlagen haben, denn das freie Denken schlägt die Totalität immer. Und die Dichter schreiben darüber, sie schieben das Grauen in wenigen Zeilen zusammen und dann wie Bulldozer vor sich her, die Kriegsschiffe der Perser werden zerbrochen wie Zündhölzer, eins nach dem anderen. Und Aischylos, der Dichter, berichtet von den Leichen, die auf dem Wasser treiben, und auf die, die noch leben oder zu leben scheinen, wird "mit zerbrochenen Rudern und mit Stücken vom Schiffsholz" eingeprügelt wie auf Fische (auf die man nicht mehr einprügelt, man macht Fischstäbchen aus ihnen). Abgang Xerxes, denn solche wie er werden letztlich, von der Geschichte ausgestoßen, immer abgehen müssen. Da können sie vorher noch das Meer verprügeln, das spürt sowas gar nicht, es spürt eher noch leere Plastiksäcke. Man kann für einen anderen oder eine Idee oder die Freiheit sterben, aber man kann keinem das Sterben abnehmen. Jeder muß es selber machen.

Aischylos hatte die Größe, in seinen "Persern" den Gegner, den "Feind" leben zu lassen, ihm Ehre zu erweisen, nicht nur, um damit sich selbst und sein Griechenvolk zu vergrößern, sondern aus einem Impetus heraus, den ich nicht benennen kann. Mitleid? Gerechtigkeit? Menschlichkeit? Nein, dieses Wort hat sich selbst verwirkt. Die Freiheit, zu sagen, was er wollte und konnte und weil er es konnte?

Salman Rushdie hat überlebt und wird hoffentlich wieder gesund werden, vielleicht versehrt (das sagt sich so leicht: ein Auge verlieren... dann hat man doch nur mehr eins!), aber gesund. Wie ist er mit der Despotie, mit der (behaupteten) Totalität einer, seiner Religion umgegangen? Was hat er da gesagt? Kannte es sein Angreifer überhaupt? Unnötig. Die Schützengräben werden eilig ausgehoben, wer weiß, was China morgen einfällt? Was Rußland schon eingefallen ist, wissen wir. Die Erde ist zu hart für diese Jahreszeit, aber irgendwie müssen wir uns dort hineinzwängen,die Oberfläche wird bald unbewohnbar sein, weil wir sie dazu gemacht haben, daß sie uns nicht mehr aushält. "Überall Lärm und Gedränge. Dichter stehen auf Kisten und deklamieren, während Pilger ihnen Münzen zu Füßen werfen. Bald wird ein Wettstreit unter ihnen stattfinden, die sieben besten Verse werden an die Wände des Hauses des Schwarzen Steins genagelt werden. Die Dichter bringen sich in Form für ihren großen Tag. Boshafte Satiren oder gehässige Oden..." Schmähschriften, wie der einzige Gott, den sie kennen und anerkennen, das Geschreibsel dieser Wichte nennen würde. Was er will, das sagt er uns schon selbst. Nicht nur das Wort soll vertilgt werden, auch der, der es ausgesprochen hat. Die Despoten wissen nicht, daß sie schon verloren haben, weil sie immer verlieren müssen. Aber gekämpft wird noch ganz ordentlich.

Aufgabe des Dichters (der dafür sein Leben aufgeben, es zumindest aufs Spiel setzen muß), ist, sich selbst in den Ring zu werfen, ist, "das Unbenennbare zu benennen, Betrug aufzudecken, Stellung zu beziehen, Auseinandersetzungen in Gang zu bringen, die Welt zu gestalten und sie am Einschlafen zu hindern" (auch kein schlechter Grund!), sagt Rushdie. Ich will ihm gern zur Seite treten, nicht in die Seite stechen, wie die Gotteslästerer seiner Religion, so nenne ich sie, es tun oder tun wollen und einander auffordern, nicht nachzulassen in diesem edlen Tun des Umbringens. Die Denker beschäftigen sich noch in Ruhe mit der Frage, ob überhaupt eine Welt sei und ob deren Sein bewiesen werden könnte, eine Frage, die sinnlos ist, denn wenn niemand in der Welt ist, wer sollte diese Frage stellen? Daß es uns gibt, beweist, daß es die Welt gibt. Doch daß es irgendwo dort draußen einen Gott gibt, kann nicht bewiesen, jedoch behauptet werden, denn der wäre jenseits jeder Welt, gäbe es ihn denn. Behaupten kann man alles, auch sich selbst. Daß es einen einzigen Gott gibt, der über allen andren steht und als einziger zählt, und in dessen Namen jeder getötet werden darf, der seiner auch nur spottet, beweist, daß es so einen Gott nicht geben kann und nicht geben darf. War das jetzt eine Gotteslästerung? Und wenn Sie diesen einen einzigen Gott trotzdem irgendwo sehen, töten Sie ihn ruhig! Der merkt das gar nicht. Der blutet nicht wie wir. So, ich habe mich getraut, das zu sagen, und schon ist die Maus aus, sie hat keinen Saft mehr. Die Batterie muß gewechselt werden. Als wäre ich nicht schon gestraft genug. Mit der hätte Gott sich wirklich etwas mehr Mühe geben können. Eine unendliche Batterie, die wäre fein. Die wird er wohl noch erschaffen können.

Zitate: Salman Rushdie "Die satanischen Verse"

Bilder: Wikipedia



Die unendliche Batterie (für Salman Rushdie) © 2022 Elfriede Jelinek

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