Peter
Paul Rubens "Das kleine Jüngste Gericht"
(Alte Pinakothek München)
Der Fall der Körper
Von
den Küssen und Küsten, von ihren Gestaden fallen sie herunter,
Gott weiß, durch ihre eigene Schuld. Sie haben die falsche Ausfahrt
gewählt, irgendwann, obwohl es leicht gewesen wäre, in den Himmel
zu kommen, wenn man nur die richtige röm. kath. Straße dafür
gewählt hätte. Die Gegenreformation entrollt ihre Plakate. Das
"Große Jüngste Gericht" zeigt das kompakte Gebilde,
das die verklärten und die verdammten Menschen formen, in einer vertikal
dominierenden Looping-Komposition. Links schieben sich die riesigen nackten
Leiber hinauf, rechts werden sie gezerrt, gestoßen, getreten, hinunter.
sie sind wie Fleisch gewordene Gedanken aus des Vaters Haupt, und er stürzt
sie hinab. Das "Kleine Jüngste Gericht", in der Kompositionsachse
gedreht, sodaß nur mehr ein vertikaler Körperwasserfall übrigbleibt,
ist eigentlich ein reiner Höllensturz. Die Idylle oben, in der Lünette,
ist später, wahrscheinlich von einem Schüler Rubens' in dessen
Werkstatt hinzugefügt worden, ist nicht viel mehr als eine schwach
angedeutete Skizze. Mürrisch schieben die Verklärten ihr Sein
an den Seilen des irdischen Boxrings entlang in die Ewigkeit hinauf, verdämmernd,
ausdünnend an den Rändern, reines Licht, zu dem sich Gott herabläßt
zur Zeit.
Wissen sie aber, daß es eigene Schuld ist, oder wissen sie nichts?
Sind sie Handelnde, die da herabfallen, von Engeln getreten? Kann Rubens,
Philosoph mit Vorliebe für die Antike, Bruder eines Philosophen und
aufgeklärter, gebildeter Weltmann, wirklich ganz ohne Ironie, wie
sie mir vor allem aus den riesigen engelsköpfigen Nuditäten
des "Großen Jüngsten Gerichts" zu sprechen scheint,-
ein letzter Triumph des Fleisches, der derart Ärgernis erregte, daß
er aus der Jesuitenkirche Neuburg a.d. Donau, für die er gemalt worden
war, entfernt werden mußte,- die Verfallenheit dieser monströsen
Fleischberge an Gott ausdrücken, den Eifer der Himmlischen, den Alleinvertretungsanspruch
der Mutter Kirche? Überdimensionales Heldenspielzeug eines Pfeileschleuderers
sind diese Leiber. Mit wem spielen die Götter und was spricht Gott,
der Eine, wen spannt er an seinen Wagen? Rubens hat nie einen Vorwand
gebraucht, das Nackte darzustellen, aber das Nackte hat seine Geschichte
in sein Fleisch eingeschrieben. Und es gibt zweierlei Nacktes, die Frau
und den Mann, und es gibt Gott, der beide zeugte und uns zeigt.
In dem antiken Sujet der "Amazonenschlacht" (Alte Pinakothek)
sind die Körper in ihrem klassischen Ebenmaß, aus sich heraus,
ein für Sich. Die Frauen sind Handelnde, auch sie sinken zwar wie
Gras, vom Pfeil getroffen, aber sie bleiben für sich, allein, niedergestreckt
im Kampf, doch in niemandes Hand als ihrer eigenen, ehrenvolle Gegnerinnen
ihrer Feinde. Dagegen die Körper im religiösen Bild, sie sind
geworfen von Gott und verfallen diesem Geworfensein ganz. Die auf Erden
in Sünden gewandet waren und gewandelt sind, er wirft sie mithilfe
seiner Engel hinab. Das Mittelstück des Bildes: ein Teppich der Leiber,
ein Verwobensein, das keine Luft läßt zwischen dunklerem Männer-
und hellerem Frauenfleisch. Menschenfluten, Material Gottes, die Seelen
sind in ihm gefangen und ihm verfallen, und an ihrem Verfallsdatum gleiten
sie aus der Packung, ein verknäuelter Haufen. Und das Fallen enthüllt
die Körper, durch das Fallen und erst im Fallen wird die Körperlichkeit
aufgedeckt, vom Maler wieder erschaffen als Fleischmasse auf Leinwand.
Gott hat diese Klumpen geformt und schmeißt mit ihnen herum. Erst
dadurch, daß Gott sie an seinen Fäden hält werden diese
Menschen als von Gott Bedingte und von Gott Besiegte sichtbar. In der
Kontorsion, der Verdrehung der Leiber wird ihr Fleisch erst wirklich zu
Fleisch und verweist auf sich und sonst nichts, wird Wohnung für
sich selbst, nachdem die Seele zu Gott zurückgekehrt ist. Und die
fallenden Männer, in ihrer gebirgigen Muskelmasse verkapselt, sie
behalten auch im Geworfensein ihre Form, bleiben autonom, in der Mitte
des Bildes der eine, dem der Engel aufs Haupt drückt, und an dessen
Fuß schon ein Dämon der Hölle zerrt, da der von Gott Verurteilte
sein Opfer werden muß. Doch die weichen Körper der Frauen,
sogar im Stürzen noch scheint ihr Hinsinken das unausweichlichere,
und es scheint, als schriebe sich im weiblichen Körper die Verfallenheit
an Gott noch stärker ein, als sündigte die Frau nicht als autonomes
Wesen, sondern wäre selbst in ihrer Sünde noch abhängig,
verleitet, zum Übel überredet. Der Körper der Frau ist
in seiner Weichheit der Schwerkraft noch stärker ausgeliefert, die
Frau ist kein gefangener Adler, ihre Schuld steckt ihr im Fleisch. Und
ihr Hinabtaumeln ist kein autonomes sich der Strafe Unterwerfen.
Peter Paul Rubens, Das kleine Jüngste Gericht, Ausschnitt links unten
Das
faszinierendste Paar in diesem Bild war für mich immer der Dämon
links unten, der die nackte Sünderin vorzeigt. In parasitärer,
vom Anderen ausgelöster Bewegung, in äußerster Verdrehung
des Körpers offenbart sich die Nacktheit der Frau als eine Metapher
der Nacktheit selbst. Die Frau wird von ihrem Bezwinger nicht nur vorgezeigt,
sie wird ausgestellt. Während die Männer für sich sind
und sogar an ihrem Geschlecht bestraft werden, aber als autonome Wesen
(eine Schlange beißt den Nackten unten in der Mitte in den Penis),
wird jegliche Bewegung des verdrehten Frauenkörpers durch den Mann,
den Dämon, getriggert. Ich habe lange glauben wollen, diese vom männlichen
Teufel ausgelöste Kontorsion dieses Frauenleibes, der mit gespreizten
Beinen auf dem Boden Halt sucht, weil ihm der Oberkörper vom Mann
zurückgerissen wird (gleichzeitig aber scheint die Frau den Teufel
am Ohr zu ziehen oder am Ohr einen letzten Halt zu suchen, und der Teufel,
der doch kein menschliches Wesen ist und gewiß schmerzunempfindlich,
verzieht das Gesicht vor Indignation, weicht sogar ihrer Hand aus!) ,
wäre ein Vorwand, aus diesem Bilddetail eine quasi pornographische
Darstellung zu machen, die den Blick des Betrachters wie gezogen oder
gezwungen auf die körperlichen Details der Frau lenken sollte. Ich
glaube das jetzt nicht mehr, denn, wie gesagt, Vorwände für
die Darstellung des weiblichen Fleisches hat Rubens nicht gebraucht. (Aber
vielleicht Vorwände, es aufs äußerste zu zerdehnen, zu
verzerren, es zu entstellen?) Im "Venusfest" (Kunsthistorisches
Museum, wien) finden sich im Vordergrund ähnlich gestaltete, wenn
auch äußerst irdische Paarungen zwischen Nymphen und Satyrn,
in denen die Satyrkörper die Frauenleiber "in die Kamera"
zu drehen scheinen, wobei die Blicke der Frauen den Bildbetrachter zu
fixieren scheinen, ihn gleichzeitig aber zurückverweisen auf seinen
Standort, in ewiger Distanzierung, nicht in der Kumpanei von Mann zu Mann.
Die große Kunst Rubens' besteht nicht in der Verbrüderung des
männlichen Betrachters mit dem männlichen Auslöser (Schöpfer!)
der weiblichen Bewegung, der die Frau in ihrer Nacktheit erst enthüllt.
Doch in der weiblichen Glätte der Haut wie in der männlichen
Muskelstrukturiertheit ist die Geschichte des Fleisches eingeschrieben,
und diese Geschichte wird nicht verdeckt, sondern vorgezeigt. Die scheinbare
Unschuldigkeit des Bildes erhält seine Geschichte zurück, wird
politisch, zur Geschichte von Unterschieden.
Die Textur dieser beiden Bilder (des "Kleinen Jüngsten Gerichts"
wie auch des "Venusfests") ist ein intrikates Gewebe, in dem
alle Valeurs gleich sind, das Fleisch springt nicht anbiedernd heraus.
Der Betrachter des Jüngsten Gerichts wird gleichzeitig als Voyeur,
der etwas sieht, das-er-nicht-sehen-darf, entlarvt, gleichzeitig auf äußerste
Distanz fixiert, denn er soll etwas sehen, das-er-sehen-muß, solange
er wandelt auf Erden und Zeit hat, sein Leben zu ändern. Eine Stelle
übrigens, diesmal im "Großen Jüngsten Gericht",
scheint mir aus dieser Gleichförmigkeit der Textur auszubrechen.
Rechts unten, ein Teufel, der eine nackte Frau von hinten gepackt hält
und mit dem linken Arm ihre Brüste anhebt, emporschiebt, daß
deren außerordentlicher Glanz, die außerordentliche Gespanntheit
das Fleisch in seiner Stofflichkeit dem Betrachter keinen Ausweg läßt
als es in seinen Brennpunkt zu rücken.
Der Körper der Frau erscheint in doppelter Brechung. Zwei Schöpfer,
Vater und Mann, fixieren sie in ihrer Körperhaftigkeit und definieren
sie gleichzeitig als Körper, in den die Geschichte seines Geschlechts
eingegraben ist. Vor der maltechnischen Herausforderung des Aufpralls
des ganzen Mittelteil-Fleischhaufens, der jeden Augenblick zu erwarten
ist, hat Rubens einen Augenblick Luft gesetzt, um die narrative Ebene
ganz unten (im Gegensatz zur ästhetizistischen in der Mitte) mit
ihren Körperpaarungen von Teufeln, die sündhafte Frauenkörper
ausstellen, um der Sünde selbst habhaft zu werden, davon abzuheben,
das Auge drauf zu lenken. Hier wird die Geschichte immer wieder neu erzählt.
Die Frauen scheinen an die wie zusammengenagelten Verschalungen der Männerkörper
angeklebt zu sein, auch das Paar in der Mitte, das sich im Profil zeigt.
Es ist, als würde-in einer seltsamen Form der Parthenogenese- der
Mann die Frau gebären, sie von sich abspalten, ein Zweites, das nichts
ist ohne ihn, von dem jedoch er sich wiederum abhebt als das ganz Andre.
Und daß dem Einen das Andre fehlt und ewig fehlen muß. Nur
wenn Gott sie in ihrer Sündigkeit hinabwirft, paßt eins ins
andre.
In: Zeit-Magazin
15 (1989), S. 6-8
Peter
Paul Rubens 'Das kleine Jüngste Gericht' © 1997 Elfriede Jelinek
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