Rosamunde

Der Tod und das Mädchen III

 


(aus dem Bühnenbild von Anna Viebrock zu "Camping 2000")

 

Mir ist da leider Wasser in den Körper eingedrungen. Obwohl ich nur meine Bilder ein wenig tränken wollte. Ich bin ziemlich betroffen, daß ich davon gleich ertrinken muß. Auf Gottes schöner Erde zerreißt der Tiger das Lamm. Nur ich kann mir nicht helfen. Bin von allem betroffen, auch von dem, was mich nichts angeht. So bin ich und so bleibe ich, nur Neues, Trübes seh ich an der Welt. Man sagt es mir tausendmal, was soll ich machen, auch das hat mich dann schon wieder betroffen! Die Feder führ ich unermüdlich, keine fremden Sprachen red ich, und wenn, dann falsch. Eine Badende im scharfen Bikini wär ich gern, die Schmerzensschreie ausstößt, süßes Gift auf ihrer eignen Zunge. Doch aus der Badenden wird plötzlich Ernst, bloß weil ich sie darstellen muß. Ich dränge frech in den Kreis der Lebenden mich ein, ich war vor dieser Dame da, ich warte schon so lange. Bitte geben Sie mir ein Paar Schwimm-Flügel, mich zu tragen und sich dann auch mit mir zu paaren, es tut ja doch sonst keiner. Wer unterbricht den grünen Wogenfall, von dem ich derzeit noch nicht weiß, daß er von Wogen herrührt? Jawohl, jetzt kommts, hier, plötzlich, das Blinklicht von Fluten, die nicht für mich gebremst haben, obwohl sie es sogar für Tiere tun. Und da bohrt sich doch glatt dieser Zinken von einer Flut in meinen Kühlergrill. Scharf gezackt, neinnein, nicht ich in meinem Zweiteiler, wo ich meine Formen abgestellt habe! Nicht ich! Im Purpurstrahl leuchtet meine Motorhaube noch einmal auf, sanft schwingt sich das Tal drüber weg, in elegantem Sprung. Das Tal, von Bergen eingekesselt, hätt auch mich noch bergen sollen, doch, blöde Betroffenheit, du wirfst mich immer wieder raus, wo ich ja froh sein könnte in der Laube meines lieben Landes. Fern ein Glück in goldnen Räumen, ja oder nein? Entscheiden Sie sich jetzt! Wieso hat sich jetzt jeder, auch ich, so eindeu tig für das Glück entschieden? Viel zu früh, Sie hätten auf das rote Blinklicht warten sollen und dann erst drücken! Ist Ihnen Marter etwa eine Lust? Da hat auch schon der Gegenkandidat gewonnen. Jetzt ists erst recht zu spät, nun hat ein andrer Glück. Doch das Unglück, ists nicht auch ein hübsches Kind, von einer andren Mutter? Es muß nicht leerer Schrecken sein! Warum haben Sie nicht das Unglück gewählt? Darüber läßt sich vieles sagen, was die Täler so alles bergen, was ich still ersehne, wo was blüht und wo des jungen Tages Licht jetzt wieder hingefallen ist, wo ichs nicht finden kann. Das Wasserunglück, auch nicht schlecht, ich seh es immer deutlicher, von Wehmut umglitzert, ach nein, das war ein Licht, ein Nichts, auf bloßem Abglanz auf dem Schaum der Wogen. Und doch: Es nähert sich mir immer schneller. Schneidende Wellen, ich schreib und schreib, die Königin der Welt bin ich, nur sieht mich wieder einmal keiner. Ich krieg schon keine Luft mehr, bange Träume schrecken mich: die Schneide dieses Wassers wird doch nicht bewohnt sein? Wo ich so lang gesucht hab, in der Welt herumgeirrt, ohne meinen Schreibtisch zu verlassen, so lang und sowieso allein, da wird doch nicht im letzten Moment noch jemand wohnen, so unbequem wie ich, auf dieses Messers Schneide? Wieso wohnen hier auf einmal soviele Unbequeme? Viel Unbequemere als ich? Das kann nicht sein! Mein hinreißender Schwung hat mich hierher getrieben, und da machten viele andre auch schon ihre Schwünge, wie ich seh, nein, das gibts nicht! Folgende Demütigung: Das Messer ist nicht fest, das Messer ist zwar scharf, jedoch ist es kein Messer. Wasser ist es, hebt das stolze Haupt, die Sterne zu küssen, und erwischt mich! Ausgerechnet mich! Zu dumm! Nein, nicht! Bist du meine Mutter? Nein, die bist du nicht, du Null von einem Messer, harmlos wie das Blau am Himmel, der es selbst ist, ich meine: blau ist er halt, mehr kann er derzeit nicht. Ich sag, da kommt ein Sturm, dann Grabesstille. Entschuldige, Himmel, wollt dich nicht beleidigen mit meinem deutschen Mittelklassemodell von vor sechzehn Jahren. Entmastet irr seit längerem ich auf dem Meer, aber ich kann mich auch bequemer irren, falls gewünscht, hier, diese Wachs- ich meine Wach- und Schließfigur an meinem Schreibtisch, die bin ich, eine Tochter, die sich nähert, damit Huldigungen ihr dargebracht werden können. Später mal, dann ist sie Königin, und ihr Herz wiegt sich erst recht, verurteilt zu sich selbst, so ganz alleine auf den Wellen. Keine Augen blicken freundlich nieder, keine Treibsätze schwimmen nebenher, keine Blitze werden eigens gezückt für sie, keine Umwölkung, extra genäht aus diesem grauen Stoff, den ich mir angeeignet habe, weil er recht billig war. Schreien Sie nicht so, ich habe noch tonnenweise Vorräte davon! Wogen, die mir Liebe spiegeln, wenigstens die schaun mich an, hab ich zumindest geglaubt, doch es war ein Unfall mit dem Wagen. Nicht einmal des Bremslichts vom Vordermann konnt ich mich recht erfreuen. Habs für mein eigen Licht gehalten, dem ich folgt so viele Jahre, flink und faul zugleich, störrisches Licht, das mir vorausgeflattert ist, und dann wars doch nur meins! Einen Weiser seh ich blinken, weist mich auf die Städte zu. Doch einsam werd ich sterben. So. Das tut mir jetzt aber leid, daß meiner gespottet wird, nur weil ich mich an diese Wassermasse klammere, die mich nur hineinziehen will, da wankt ja jede Blume, da fragt mich gar kein Stern. Dem Bächlein will ichs sagen, daß ichs erführ so gern. Ja, genau so habe ichs persönlich erfahren, mit völlig abgefahrnen Reifen, und jetzt dieser schwere, vollkommen unvermeidliche Unfall, geschieht mir ganz Recht. Jeder hätte das sofort gesehen, daß dieses Wasser nur drauf gewartet hat, mich umzubringen. Nur ich war wieder einmal blind. Ich habe behauptet, eine Seh erin zu sein, doch was vor mir dahingeflogen ist, das waren nur die Stunden meines Lebens. Ich mußte zu Hause bleiben wie ein Hund, der kein Lamm hat zum Zerfetzen. Ich lese schöne Bücher dort im Hochtal, aber was mach ich jetzt im Wasser, ich Herrliche, auch wenn ich bitter weine? Also ich wanke trotzdem nicht in meinen unzerbrechlichen Überzeugungen, ich weinend Kind, das es nicht sagen kann, nur: was? Ich schüchtern Reh, das jahrelang die Kugel sucht und dann bloß an jemand andern weiterschickt: nein, die ist nicht für mich! Schauen Sie doch, die Adresse stimmt nicht. Ich bin ja außerdem die einzige, die für mich ist, wie kann da ein Paket ich kriegen? Ansonsten hab ich keine Stimme und habe auch keine gewinnen können. Kann nicht mehr sagen, was ich will oder warum. Ich versuche es also noch einmal, ich trag mich selbst ins Dunkel, denn jetzt sind auch noch die Scheinwerfer ausgegangen, zu dumm! Geben Sie mir bitte noch etwas Wonnen für mein Weh! Wie kalt das ist, kein Mondenlicht so friedlich, kein Traum, der mich täuscht. Keine lichte Welt, die mich umblüht, kein süßer Blick, der mich umstrahlt, nicht einmal der Zigarettenanzünder, wieso, der läuft doch auf Batterie? Ist die etwa auch ersoffen? O je, die erste Wunde in dem Kampf, den ich nicht suchte, ist schon die Todeswunde, obwohl ich die Frage gar nicht richtig verstanden habe. Nun wird mir alles klar. Ich beug mich über mich und sag was über mich und schick es ab und trag mich weg in einen tiefen Raum.

 

Kindermilchschnitte für Zwischendurch:

Der Vollmond strahlt auf Bergeshöhn,
wie hab ich dich vermißt,
du süßes Herz, es ist so schön
wenn Treu die Treue küßt.
Was frommt des Maien holde Zier?
Du warst mein Frühlingsstrahl,
Licht meiner Nacht, o, lächle mir
im Tode noch einmal.
Sie trat herein, beim hellen Schein,
sie blickte himmelwärts,
"Im Leben fern, im Tode dein."
Und süß brach Herz an Herz.

 

The real thing

Der Übergang von Schiene auf Straße
Der Übergang von Wasser auf Straße
Der Übergang von Wasser auf Schiene
Der Übergang von Straße auf Schiene
Der Übergang von Schiene auf Wasser
Der Übergang von Straße auf Wasser

 

(Die zwei machen sich fertig, aber echt!)

Fulvio: Nein, wende den Blick nicht ab, ergibt dich doch bitte der Situation, die sich da neulich ergeben hat, in dieser Bar, wo das Licht sich ein bißchen wehmütig an Verwirrte wie dich geklammert hat. Ich seh dich heut noch, als wärs gestern. Ich nehm dich heut noch, als wärs schon morgen. Ich nehm dich so lang, bis ich dich wiedergewinnen kann aus dir selbst. Dann laß ich deine letzte Hülle fallen. Was beklagst du dich? Die letzten Hüllen hast du doch vorhin selber fallenlassen! In deinem Schreiben, wie du sagst. Das ist der Sonnenschirm über dem felsigen Boden, denn sogar vor der Sonne fürchtest du dich ja. Aber schau, was du für deine letzten Hüllen gehalten hast, das war bloß die Kapsel von deinem Kugelschreiber! Kein Bedarf. Andre haben viel mehr Schicksal, zumindest haben sie ihr eigenes. Du hast ja nicht einmal das. Ja. Du bist dein eigenes Recyclingprodukt. Du warst eine Dose. Du warst der Schrecken der Macht. Dich hab ich gedacht, dich hab ich gemacht. Mein mußt du sein! Ich nehm dich und fühl mich gut dabei. Der Strom fährt dir gleich als nacktes Grauen in die Geräte deiner Glieder. Über mich sprichst du schlecht. Aber ich hab mich wenigstens mit einem einzigen Entschluß aus der Welt herausgenommen, der ich nun nicht weiter abgeh. Kein Schaden. Trotzdem. Ich laß dich lieber unerwähnt, da tu ich dir noch einen Gefallen. Was weiter? Ich bin die Sonne, die auf dem Wasser glitzert. Mich gibt es zumindest zweimal. Ein Trick für die Lampe, die Flamme durch Spiegelung zu verdoppeln. Irgendwie stimmt das aber nicht. Alles wird schwächer. Was weiter. Da geh ich schon den Abhang hinab, die Blumen stürzen sich neben mir zu Tal, ein grünes, luftiges, artiges Gewurle. Noch mehr Arten! Jede Blume will zuerst unten sein. Schau, wie schön sie kopfüber in ihren Gurten hängen, dort drunten im Wiesenrain! Dort baumeln sie, die Köpfchen dicht am Abgrund, aber eben noch nicht ganz drinnen. Sportlich. Was weiter: ach, wär es nie gekommen, dein böses Erglühn! Hast immer nur auf den Ruhm geschaut, der dir angeblich lächelte. Hast mich übersehn, hast lieber die Wucht meiner Bedeutungslosigkeit beschrieben. Weil du hinter einer anderen Bedeutung hergejagt bist! Jetzt hast du es! Selber Reh, große Frau! Die Gejagte bist du! Jaja, klammre dich nur fest, ich bin gewillt, dich zu halten. Doch die Weiträumigkeit meines Herzens führt mich fort, auf einen andren Balkon mit mehr Holz vor der Hütte. Auch irgendwie straffer, fester, eine Stunde nach dem Cremeauftragen: Laufen! Was dann entsteht, darauf könnte man bauen, wenn man ihn nicht vorher verheizen müßte, den Körper. Was? Was sagen Dirndlerotikerinnen? Unüberwindlich hattest du dich gehalten? Hast geglaubt, man kann dich suchen und meiden zugleich, nehmen und verschonen? Damit hast du mich keine zwei Minuten verblüffen können, da mußt du dir schon was andres ausdenken! Ohne Laufen geht gar nichts, die Richtung ist egal. Du wirst dich niemals halbieren können ohne zu laufen. Indem du einen Teil von dir loswirst, bist du noch lang nicht schlanker geworden!

Rosamunde: Ungeheuer! O meine Mutter, vergib mir! O mein Schreiben, vergib mir! O mein Werk, vergib mir! Natur, vergib mir auch! Mein Schreiben, vergib mir noch einmal! Hautenge Hose, vergib mir! Ärmelloses Oberteil, vergib mir! Liebe, schütze mich ein drittes Mal! Wille, vollstrecke dich selbst! Schmeiß dich wenigstens schneller auf den Boden, wenn ein Starker kommt! Schmeiß dich wenigstens auf den Boden, wenn ein Fescher kommt! Tritt auf mich, wenn ein Forscher kommt, nein, kein Forscher, natürlich einer, der forsch ist! Wer denn sonst? Fremder Mann, der mich opfert, vergiß mich danach sofort wieder! Fremder Mann, der mich opfert, vergiß mich danach nicht! Auf keinen Fall! Hörst du: nicht vergessen! Alles vorherige ungültig! Schutz, der mich umringt, vergiß mich ebenfalls nicht, äh, ach nein, das ist ja die Umfahrungsstraße, die das Ortsbild schont, Verzeihung. Ortsbild, das immer eine andre auf einer Plakatwand darstellt, vergib mir, daß ich nicht so aussehe! Oh meine Oberschenkel, mein Po, vergebt mir, daß ich was ihr seid aus euch gemacht hab! Abscheu über Verschmähtwerden, vergib mir! Boden, wo Frauenfuß auftritt, vergib ihm den verpatzten Auftritt! Martern, die mir die Brust durchwühlen, vergebt mir! Daß ihr dort nichts gefunden habt, vergebt mir erst recht! Fremder Mann, vergib mir, daß ich die deine werde! Fremder Mann, vergib mir, daß ich nicht da bin, um die deine zu werden! Ich habe meinen eigenen Weg genommen, der mir bitte vergeben soll, daß er immer schon an eine andre vergeben ist.

Fulvio: Also ich wäre froh, wenn die ganze Welt schnackselt, dann wären alle in a good mood. Den Rest kannst du vergessen. Normal gebraucht hätt ich nur eine, doch die Zeit, da man eine Liebesgöttin aus Leidenschaft und Überzeugung Schlampe nannte, sind vorbei. Nicht daß ich geglaubt oder auch nur gewünscht hätte, eine Ausgezeichnete, eine Herrliche, die durch Klugheit auf sich aufmerksam macht, würde sich mit mir als Möglichkeit begnügen, aber dann tat sies doch, dann tat sies doch, ich sah ganz deutlich ihr Erglühn, ich sah die Lampe an ihrem eignen Stricke ziehn, keine Chance, der Strick war leider um ihren Hals geschlungen. Abgesoffen ohne einen einzigen Gedanken, wie eine bleierne Ente, nein, wie eine Tote. Am Ende doch fest geschlossen wie eine endlose Allee, wenn man zum ersten Mal hineinschaut. Diese Frau mit ihrem Lampionrock, sowas trägt man doch längst nicht mehr. Doch doch, Prada macht ihn heuer wieder, aber nächstes Jahr wird sie wieder etwas ganz andres machen. Was, die Frau sucht immer noch die Reißleine? Damit sie vorgeben kann, an Fesseln zu reißen? Damit sie gleich aufwacht und strahlt, wenn zu ungewohnter Stunde einer dran zieht. Dort die Bushaltestelle. Ich bin dein Mann. Und diesen blöden Strick schneid ich auch bei Gelegenheit durch, wirst schon sehn, ich schneid ihn durch, grad wenn du selber einmal besonders fest ziehen willst. Wasser rauscht. Der Bergquell. Nein, nicht der Bergquell. Wasser von wo andersher. Der Himmel gibt. Mein guter Engel sei. Uns ruft das Fest. Ein Fest ist immer da, das uns ruft. So. Rosamunde: Danach ist ihre Zunge die Rede nicht wert, die sie so lose geführt hat. Alles nur Show. Die Zunge schneid ich dir ab, und wo ist jetzt das Wort? Siehst du, weg ist es! Das Wort wird jetzt ganz bestimmt nicht mehr so schlimm sein wie du es erzogen hast. Es ist nun nichts als ein lästiger Eingeladener, der nicht gehn will. Rosamunde. Ich sag dir ausdrück lich: Alles muß sich jetzt in diesem Augenblick entscheiden. Und wer entscheidet sich wirklich für mich, ist das zu glauben? Dududu! Hätt ich nie gedacht. So oder so, aber sofort! Ruckzuck! Na ja, da hilft nichts, da muß ich halt das Beste draus machen. Weg das Mädchengeschwätz! Mein muß du sein, dein Leben hängt an meinem Augenwink! Bitte fahren Sie mit der Kamera etwas näher heran, ja, ich sehe, sie entscheidet sich tatsächlich für mich und die halbe Million! Wenn sie an ihrer Idee auch noch festgehalten hätte, wärs sogar eine dreiviertel Million geworden! Eine ganze! Aber die Frage in der Sparte Ernste Musik wird ihr wohl zu ernst gewesen sein. Bitte, die Frau ist doch ein Witz! Ich sage immer: Für eine beglückende Fahrt auf dem Traumschiff ist es ziemlich egal, wie viele Passagiere vorher drauf waren. Aber auf der war ja gar keiner. Das macht mich denn doch mißtrauisch. Warum fährt denn keiner auf diese Herrliche, warum fährt denn keiner auf diese Großartige ab? Das frage ich mich schon, betörtes Kind. O sei mir hold, und kosend schmieg ich mich zu deinen Füßen

Rosamunde: Ungeheuer! Unbequemer! Querdenker! Ein Partner für mich! Wer hat mich übriggelassen? Eine fremde Partnersuche? Suche nach einer ganz andren, die dann niemald andrer als ebenfalls ich sein soll? Ich bin alle. Ich selige Erfolgsfrau. Ich fundamentalfeministischer Single aus Überzeugung. Ich bin lang fast nymphomanisch unterwegs gewesen, aber das ist jetzt endgültig vorbei. Ich wende den Blick von mir. Ich fordere endgültig, daß Frauen sich mehr und mehr das Recht nehmen, ihre Sexualität zu leben. Ich fordere endgültig, daß Frauen sich das Recht nehmen, endgültig zu leben. Wenn das bei den Männern gegangen ist, dann sollte dies auch bei Frauen möglich sein. Vorhin beim Abfassen bin ich noch ganz glücklich gewesen. Jetzt beim Anfassen ist das plötzlich nicht mehr so toll. Vielleicht wär das bei einem, ich meine auf einem Berg an der Ostküste Zyperns anders? Wer weiß? Im Urlaub ist es ja immer anders. Wenn man Abschied nehmen muß, ist es plötzlich wie immer. Das Gewohnte. Das Schöne gibt es ja gar nicht. Das Schöne gibt es endgültig gar nicht.

Fulvio: Bleib! Denn alles muß sich jetzt in diesem Augenblick entscheiden! Es hätte sich eigentlich schon im vorigen Augenblick entscheiden sollen. Es kann sich im nächsten Augenblick total anders entscheiden. Ich besiege mich derweil selbst. Aber was mach ich anschließend? Rosamunde. Warum hast du dich so von Frauen in Anspruch nehmen lassen? Mir ist das auch schon an dir aufgefallen: Was bist du so schreckhaft beim Angefaßtwerden durch den Mann? Da geht einer als Eroberer fort und kommt als Eroberer zurück, aber er geht gleich wieder fort. Um als er selbst wieder zurückzukommen. Glücklich springt er dann mit seiner Beute ins nächste Geschäft und macht ein Video davon. Dort gibt es nämlich eine viel bessere, von der er auch ein Video machen kann, und noch ein Handy gratis dazu und die Gespräche auch gratis und die Zunge gratis die Stimme gratis und den Wahlerfolg dann auch gratis, weil er ja schon so viel gewählt hat, da bekommt er eine Wahl gratis. Faß! Füg dir ein Aussehen hinzu und faß! Was, du faßt es nicht? Faßt nicht, daß du mich zum Glücklichsten der Welt machen könntest? Daß es für dich unfaßbar ist, gefaßt zu werden? Faßt lieber in Worte? Befriedigst dich mit Auskünften? Gebrauchst deine Mittelmäßigkeit, indem du sie als Mittel ausgibst, sprechen zu lernen? Haß! Haß! Was anderes fällt dir nicht ein. Fällt dir nicht ein, daß du selbst als einzige unter diesem Haß gelitten haben könntest? Was ruhst du nicht bei mir, anstatt etwas einfach auf sich beruhen zu lassen? Also wir machen jetzt einen sauberen Schnitt, und dann gestehen wir ein, daß wir auf einer merkwürdigen Straße unterwegs waren. Die Medien haben uns beobachtet. Da ist doch nichts dabei. Nein, die Medien haben uns leider nicht beobachtet. Andre Frauen gestehen ein, zwei, mehrere Schnitte ein. Doch du. Doch du, zwisc hen 18 und 80, ich kann unmöglich sehen, welchem Ende du näher bist als mir, du bist jedem Ende näher als mir, du, doch du, eine Frage läßt mich nicht ruhn, seit ich vor dir stehe: Wieviele Sexualpartner hattest du bisher? Nein, sag nichts. Sag was ich gewohnt bin: warum du ein Opfer bist und ein Opfer bringst und zu einem Opfer gemacht wurdest und, dein ganzes Dasein in einer einzigen Hand, ausgerechnet ein Opfer werden willst, ausgerechnet mein Opfer werden willst.

Rosamunde: So muß ich sterben, im verhältnismäßig besten Alter?

Fulvio: Wie konntest du nur wähnen, stolzes Weib, mich habest du besiegt? Bei Gott, 's ist lustig! Ein Bild von Zucker, eine Gliederpuppe, ein schwankes Rohr in dieser nervgen Faust! Alle Fragen: sofort verschwiegen, Gesundheit: plötzlich versagen! Alles zurück auf Anfang, um sich ein zweites Mal stark auszugeben, das sag ich dir. Das kostet was! Niemand darf ahnen, um was für Leute es sich bei uns handelt, sonst sind wir gleich in den Medien. Immerhin, wir sind Leute, die in guter Form sind. Ich sag dir wie sie ihren Kreislauf in Schwung gebracht haben. Ich sag dir, wir schließen jetzt die Blätter. Ach nein, ich sag es dir nicht. Die Leute sollen dich ja lesen. Viele Operationen wären durch Lesen vermeidbar gewesen, auch die, die am Herzen vorgenommen wurden. Also nochmal von vorn, den Ruf, den ich habe: genießen! In Anspruch: nehmen lassen! Von dieser Tätigkeit: abberufen werden! Alles: hinfällig!

Rosamunde: Was Liebe? Liebe ist ein Knabentraum! So. Ein Weh hineingestempelt, der Paß ist gültig, und er paßt mir recht gut. Soll mein Haß jetzt weiter irrlichtern oder weiterflackern? Ich frage ja nur, weil das eine in die Irre führen und das andre einen auch ganz schön nervös machen kann. Sag mir bitte endlich das Resultat meiner Verfehlung! Damit ich weiß, wie weit ich wieder in Sachen Erotik danebengehauen habe. Hab ich diesmal genug Punkte zusammenbekommen? Wieder nicht? Ich werfe meinen Haß auf den unschuldigen Song-Contest und den Musikantenstall und das Welttreffen der volkstümlichen Musik und die Jubiläumssendung von irgendwas, es gibt ja soviel von allem, daß immer irgendwas ein Jubiläum hat, und dann werfe ich meinen Haß auf die zugeparkte Einfahrt und auf dieses Haus, das dich, Knabe, zu meinen Eltern führen soll, aber seit fünfzig Jahren nicht geführt hat, denn meine Eltern sind länger tot als ich selbst. Das ist ein Bild. Hätte ich vielleicht ein Mann sein sollen? Wäre das besser gewesen? Ich werf und werf den Haß, ich werf und werf ihn, den längst veralteten, verfallenen Haß. Was, du nimmst ihn? Er würde sich bei dir eh wohler fühlen. Hat er mir zumindest gesagt. Bitte, wenn dich der Anblick von meinem Haß nicht brennbar macht, nimm ihn trotzdem und wärm dich an was andrem! Nimm dir auch den Reif, der brennend meine Stirn umkrönte, er flackert ja nur noch, bitte, da hast dus, zünd ihn wieder an mir an! Aber egal was du machst - nimm ihn, aber nimm ihn nicht ruhig.

Fulvio: Ach nein. Behalt du ihn ruhig! Aber ruhig bist du ja nie und wirst du nie sein. Zu meinen Füßen sollst du noch dereinst um meine Liebe winseln, die du jetzt tollkühn verschmähst im spröden Übermut! Ich warne dich! Reiz nicht des Tigers Wut! Begleite lieber meinen Ausdruck mit deinem, der nie ganz genau dazu paßt! Du hast jeden Grund, dich deshalb zu genieren. Die zweite Geige. Immer. Schaut aber auch gut aus. Nur mir genügts nicht. Ausdrücke hast du genug, du Anklägerin. Was? Von der Form kannst du dich nicht lösen? Kein Wunder, dann würdest du ja sehen, daß du nichts als ein ordinärer Napfkuchen bist, mit einem Geschmack, der keiner Vorstellung entspricht, jedenfalls keiner, die du je geben könntest. Und wenn, dann müßtest du sie dir erst mühsam von woanders herholen und einrahmen, sonst könntest du sie ja niemals von der Umgebung unterscheiden, deine Vorstellung. Schon machst du den Vorhang zu, Recht hast du. Eine eigene Form hast du ohnedies nicht. Zum Herzeigen bist du eben nicht gemacht. Und du gibst auch nichts her. Wozu also der Vorhang? Nutzlos wie eine blendende Sonne vor einer Landschaft, die man aber gar nicht sehen wollte und die im Prospekt sowieso ganz anders ausgeschaut hat.

Rosamunde: Vorstellung mißlungen. Auch gut. Mach ich. Hebe deine Augen auf zu den Bergen, nein, vorher die Augen aufheben, dann die Sonne wegziehen, dann erst den Vorhang, sonst wird man geblendet, dann zu den Bergen, dann schauen, ob es sich gelohnt hat, diese Augen die ganze Zeit aufzuheben, so lang bis sie total verblichen waren. Schneebleiche Gipfel. Leni R. Was hat sie uns heute zu sagen? Die verfluchte Schönheit klebt an uns wie Mutterkuchen. Jeder wird ihn los. Keiner wird ihn los. Wir wenden die Lasertechnik an und schneiden uns zu einer bessren Form zurecht. Zuerst blaues Licht, dann: Weiß. Gelbliches Weiß. Alt. Farblos. Kein Ergebnis. Dieses Licht hat die falsche Farbe. Und das soll es schon gewesen sein, was wir die ganze Zeit für die Sonne gehalten haben? Es ist zu abgebrüht, um zu erröten, das Licht. Die Form: eventuell ein Zustand, der sich verschlimmert. Nein. Kein Zustand, der sich noch verschlimmern könnte. Es ist alles andere besser, sogar wenn es als Landschaft gemalt oder als Film gefilmt oder als Foto direkt eins zu eins abgenommen und nie zurückgegeben wird: Es ist alles andere besser, und es haben alle anderen alles andere besser gemacht als ich.

Fulvio: Eine Stimme. Eine Stimme. Eine Stimme. Eine Stimme. Sagt.

Rosamunde: Ich glaub, du mußt jetzt hinunter. Grad schlägt der Haß in meinem Herzen Wurzeln, schon wieder, er ist zurück, ich habs ihm doch streng verboten, ach nein, er schlägt nicht andre, er schlägt mich! Ausgerechnet mich schlägt er! Da halt ich ihn mühsam mit zitternden Armen hoch und wen schlägt mein Haß? Mich! Wo ich ihm doch so eine schöne Wohnung vollkommen gratis zur Verfügung gestellt hatte. War ihm nicht genug. Na ja, du wärst keinem genug, der deiner Seele auch nur einen Augenblick gegenübersteht. Du sagst, erholt hat er sich, der Haß? Haß Haß Haß, familiärer Haß, innerbetrieblicher Haß, bilateraler Haß. Haß Haß Haß! Mobbing gegen sich selbst. Ist das nicht ein Lächeln, das, zarter Schaum, meine Lippen umkräuselt? Nein, es ist kein Lächeln. Es sind Falten. Nein, es sind auch keine Falten, die könnens nicht sein, ich hab doch diese Creme verwendet. Der Haß ist es, der über die Felder schreitet, ruhig, gelassen, seiner sicher, die Hand mit den Körnern schleudernd. Irgendwie ist das doch auch wieder positiv, oder? Wälder, ins Feuer! Menschen, raus aus dem Feuer! Ihr seid jetzt gar. Ihr seid jetzt gar viele. Es ist genug.

Fulvio: Sagt. Schlage einen Funken in der Hölle. Völlig überflüssig. Dich liebend konnt ich mir den Himmel nicht zurück erstürmen. Muß hinunter. Also diese Scheinheiligkeit der Gesellschaft regt mich jetzt unheimlich auf. Ich will viel Humor haben und einen guten Intellekt und warmherzig soll ich sein und ich geh mit einer nicht nach zwei Tagen ins Bett. Ich schau sie mir vorher noch einmal genau an und dann noch einmal und dann noch einmal und dann genauer und immer genauer. Und dann geh ich nicht mehr. Dann tu ich nichts mehr. Ist das ein Stück Mensch, was ich da sehe? Ist es ein Bild von einem Menschen? Ist es ein Mensch von einem Bild? Ja, das ist ein Mensch von einem Bild. Den kenn ich doch! Nein, doch nicht. Nein, ich geh doch nicht, ich geh nicht, ich geh nicht! Nein, ich gehe doch. Doch doch, ich gehe!

Rosamunde: Meine Stimme. Meine Stimme. Meine Stimme. Meine Stimme. Sagt nichts.

(aus dem Bühnenbild von Anna Viebrock zu "MACHT NICHTS")

6.7.2001

Rosamunde © 2001 Elfriede Jelinek

 

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com