Herrschen

Was stellt sich uns derzeit dar? Es stellt sich uns derzeit Furchtbares dar, und diese Darstellung scheint sich von Seiten der uns Beherrschenden zu einem selbstgewissen Wollen zu verfestigen, sie ist nicht mehr nur ein Wünschen, sie ist inzwischen ein Fordern und damit das Tun selbst. Und das Tun wird vollzogen.

Die inmitten netter gebräunter Vor-Turner an Kärntens Stränden auftauchende Fratze dieser Regierung zeigt sich in vielen kleinen kaleidoskopischen Momentaufnahmen, die einen schaudern machen und einem langsam ein bestimmtes Bild ins Bewußtsein brennen. Das ist charakteristisch für die Rechte. Sie schränkt überall ein bißchen Freiheiten und Rechte (aber nicht die Freiheiten der Rechten!) ein, und wo sie es nicht gleich schafft, probiert sie es sofort wo anders, irgendwo. Wenn niemand aufpaßt, wird ihr irgendwann schon ein Ergebnis auf Dauer in ihrem Sinn gelingen. Und das wird man nicht mehr so schnell wegkriegen. Das konnte man nach den letzten französischen Regionalwahlen in Städten, in denen die Nationale Front die Mehrheit bekommen hatte,  bereits detailliert studieren, und jetzt sind auch hier bei uns die Zeichen an der Wand zu lesen, in Leuchtfarbe. Vor unseren Augen wird ein unaufhörlich plapperndes Spektakel abgezogen, und unter uns wird derweil der Boden weggezerrt, während wir noch gebannt auf die scheinbar harmlosen Erscheinungen dieser Regierenden starren. Allein in den letzten Tagen, willkürlich aufgezählt: eine nicht untersagte Demo von Neonazis auf dem Heldenplatz (na wo denn  sonst?!) mit anschließendem Ummarsch in der Fußgängerzone unter frohem Rufen von Naziparolen, ungestört von der Wiener Polizei, die muß ja derweil in ihren feschen grünen Uniformen grünen Abgeordneten nachrennen, die schlichtend eingreifen wollen. Daraufhin ein Herr Westenthaler in seinem üblichen dumpfen Drange (und warum sollte er den auch beherrschen, Herr Khol sagt ihm ja: Du darfst. Nimm gleich zwei!): Einschränkung des Demonstrationsrechts verlangen und gleich den Öllinger mit dazu verhaften! Aber bitte sofort! Sie wollen ja immer alles sofort haben, dalli dalli, damit es später nicht mehr so leicht rückgängig gemacht werden kann. Dafür gibt es viele Techniken. Ein Schubhäftling wird langsam zu Tode gefoltert? Na, schuldig sind die Polizisten irgendwie schon, das können wir jetzt nicht mehr so ganz leugnen,  das geben wir auch zu, und das verurteilen wir, aber wir wollen den netten Freunden und Helfern doch nicht ganz die Beamtenkarriere versauen, nicht wahr. Wem macht das schon was. Jugendgerichtshof, eine seit Jahrzehnten bewährte Einrichtung mit einem außerordentlich bewährten Leiter? Brauch ma net. Den lösen mir auf. Da schicken mir ein Fax und weg ist er. Jetzt oder nie, der Herr Jesionek geht eh jetzt in Pension. Zu was brauchma des. Deserteure der deutschen Wehrmacht? Kriminelle. In jedem Staat kriminell, also ganz besonders bei uns. Bitte, die Deutschen haben die Urteile aufgehoben und die Deserteure rehabilitiert. Aber müssen mir alles nachmachen was die Deutschen machen? Und der Herr Kommissar Fischler? Das ist nicht unserer, das ist ein anderer, der muß auch: weg. Da tun wir einen von die Unsrigen hin, merkt ja keiner, wen interessierts.  Die Wehrmachtsausstellung? Verunglimpfung der Vatis und Opas! Weg! Die Aufbaugeneration loben, die Abbaugeneration auch loben. Dafür die Studenten zur Kasse bitten, die Heutigen, wir sind ja keine heurigen Hasen. Wir schaffen das. Und das sind nur Ereignisse der letzten Tage, bzw. Dinge, die in den letzten Tagen diskutiert worden sind. Irgendwann wird es eine Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zu der einen oder andren Frage geben, aber den tun wir ja sowieso nicht anerkennen, gell. In Italien gehen Millionen auf die Straße. Bei uns werden bei der Vermarktung des Sparkurses Millionen ausgegeben, die an unserer Stelle vergeudet werden, die Frau Minister Forstinger hat schon gewußt, wie man das macht. Und der Herr Finanzminister wird das auch noch lernen, wenn ihm nächstes Jahr der Hut zu brennen anfängt. Das Löschen werden wir bis dahin vielleicht schon verlernt haben.

Leserbrief an den Standard (Wien), April 2002

 

 


Herrschen © 2002 Elfriede Jelinek

 

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