Was änderte sich in Österreich

Von Doron Rabinovici

Nicht wenige warnten im Jahre 2000 vor einer Koalition mit den Freiheitlichen. In Österreich konnte eine Fraktion, die dem rassistischem Populismus frönte und mit der nazistischen Vergangenheit kokettierte, mehr als ein Viertel des Elektorats für sich gewinnen. Ja, mehr noch, sie wurde dafür mit Ministerposten belohnt. Hatten jene recht, die sich vor der Liaison zwischen Wolfgang Schüssel und Jörg Haider ekelten, sich fürchteten, ja, gar eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat beschworen? Parlamentarismus und Verfassung wurden nicht angerührt, und dennoch wäre es falsch, zu behaupten, es hätte keine Wende stattgefunden. Neu sind kaum irgendwelche Gesetze, wenn von einschneidenden Maßnahmen gegen Zugewanderte, von dubiosen Strafbestimmungen für Journalisten, von Einsparungen abgesehen wird, die nicht zuletzt kritische Initiativen trafen. Was sich änderte, ist eher das Klima.
Im Großen und Ganzen mag nicht viel bemerkbar sein, doch im Kleinen und Einzelnen kann gespürt werden, wie die Grundfeste einer Gesellschaft ausgehöhlt werden. 1995 veröffentlichte das Freiheitliche Bildungswerk ihr "Jahrbuch für politische Erneuerung". Mehr als ein Viertel der hierin versammelten Autoren waren im "Handbuch des Österreichischen Rechtsextremismus" einschlägig vermerkt; darunter etwa der freiheitliche Mandatar John Gudenus, der vor wenigen Jahren die Existenz von Gaskammern in Auschwitz anzweifelte. Ein Beitrag erschien unter dem Titel "Internationalismus gegen Nationalismus." Der Professor Werner Pfeifenberger erklärte hier, die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Prinzipien sei "eine unendliche Todfeindschaft", die "erst mit dem Einsickern des orientalischen (jüdischen) Messianismus" ins Abendland begann, denn mit diesem "gedanklichen Fremdkörper" wäre die "ausgeprägt sozialistische Weltanschauung (...) durch das Urchristentum in die klassische Welt" gelangt. Im jüdischen Einfluß sah Pfeifenberger den eigentlichen Urgrund der Französischen Revolution. Die Juden spielten, so der Politologe, die entscheidende Rolle in der Ausbildung des Stalinismus, und überall sah Pfeifenberger ihre unheilvolle Macht walten. Nicht Deutschland hätte den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen, sondern: "Schon 1933 hat Judäa ganz Deutschland den Krieg erklärt", fabulierte der Wissenschaftler, um fortzufahren der "internationalistische Hasser", soll wohl heißen, der Jude "Kurt Tucholski (sic!)" habe "den Menschen seines deutschen Gastlandes gesamthaft den Gastod" gewünscht, "weil sie ihm viel zu nationalistisch dachten". Für Pfeifenberger war Tucholsky bloß ein Fremder im Gastland.
"Das ist Nazidiktion", befand der jüdische Überlebende Karl Pfeifer, Redakteur der Zeitung der Israelitischen Kultusgemeinde Wiens. Im Freiheitlichen Jahrbuch werde, so Pfeifer, die "alte Nazi-Mär von der jüdischen Weltverschwörung" aufgewärmt. Werner Pfeifenberger klagte daraufhin Pfeifer, forderte 240.000 Schilling Schadenersatz - und verlor. Das Oberlandesgericht Wien hielt die Wertungen Pfeifers nicht bloß für zulässig, sondern bescheinigte ebenfalls dem Text des Klägers "Nazi-Töne".

Pfeifenberger hatte in Münster gelehrt. Nach dem Wiener Urteil kündigte die deutsche Wissenschaftsministerin Anke Brunn im September 1997 den Professor fristlos. Nun schaltete sich auch die österreichische Staatsanwaltschaft ein und verkündete am15. Februar 2000, Pfeifenberger habe gegen das Verbot der nationalsozialistischen Wiederbetätigung verstoßen. Der Wissenschaftler müsse sich am 26. Juni desselben Jahres vor einem Wiener Schwurgericht verantworten. Doch dazu kam es nicht mehr, denn am 13. Mai starb der Angeklagte.
Seine Lebensgefährtin meldete einen "Bergunfall". Im Totenschein fand sich kein Hinweis für eine Selbsttötung, doch das Wochenblatt "Zur Zeit" wußte es besser. Dieses rechtsrechte Periodikum wird von Andreas Mölzer, einem Parteitheoretiker Haiders, publiziert. Mölzer war auch Mitherausgeber des oben erwähnte "Jahrbuch 1995" gewesen. Im Juni 2000 war in "Zur Zeit" vom "tödlichen Tugendterror" zu lesen; "der jüdische Journalist" Pfeifer habe "eine Menschenhatz eröffnet, die in der Folge bis zum Tode des Gehetzten gehen sollte."
Wohlgemerkt; Pfeifer hatte nicht gegen Pfeifenberger gehetzt, ihn nicht angezeigt, sondern bloß über ihn berichtet. Nun klagte der jüdische Journalist "Zur Zeit", um seinen Ruf zu verteidigen, und gewann in erster Instanz. Die Grenze der Meinungsfreiheit wäre überschritten, meinte der Medienrichter Bruno Weis und verurteilte "Zur Zeit" zu 50.000 Schilling Entschädigung. Gegen diesen Entscheid wurde Berufung eingebracht, und am 15. Oktober 2001 drehte die Richterin Doris Trieb das Urteil um. Karl Pfeifer als Mörder und Hetzer, so ihre Quintessenz, zu bezeichnen, stelle eine "zulässige Wertung" dar, die "auf ein richtiges Tatsachensubstrat" gestützt sei. Ein Jahr zuvor hatte Richterin Trieb die Pressefreiheit noch anders bewertet. Als die Wiener Stadtzeitung "Falter" eine Karikatur Haiders als Teufelchen abdruckte, sah sie den guten Ruf des Kärntner Landeshauptmanns in Gefahr. Studenten, die in einem Leserbrief das Wort "Scheißregierung" gebraucht hatten, sprach Doris Trieb ebenfalls schuldig.
Am 31. Jänner 2002 verlor Karl Pfeifer ein weiteres Verfahren gegen "Zur Zeit". Andreas Mölzer war seine Leser in einem Bettelbrief um Geld angegangen, hatte dabei die Feinde des Blattes aufgelistet, darunter den "jüdischen Journalisten" Pfeifer, der Pfeifenberger "in den Selbstmord getrieben" habe. Diesmal entschied Richter Bruno Weis, der ein Jahr zuvor noch für Pfeifer geurteilt hatte, gegen ihn.
Ist in diesem Fall nicht ein gewisser Wandel der Rechtssprechung erkennbar? Ist es überzogen zu behaupten, ein jüdischer Journalist, der über Rechtsextreme berichtet, werde seit Neuestem vom österreichischen Gericht nur ein Bruchteil jenes Schutzes zugebilligt, der Freiheitlichen zuerkannt wird? Muß nicht festgestellt werden, daß die Wiener Justiz mit einem Prinzip brach, das nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zum Fundament der Europäischen Union gehörte, mit dem Grundsatz nämlich die demokratische Meinungsfreiheit vor Hetze zu bewahren?
Auf jeden Fall dürfen Rechtsrechte im Alpenland triumphieren. Viele kritische Periodika mögen zwar unter Kürzungen der Regierung leiden, doch "Zur Zeit" wird unter der neuen Koalition mit rund 62.000 Euro subventioniert, obgleich einer ihrer Mitarbeiter vergangenen Jahres wegen nazistischer Wiederbetätigung zu zwölf Monaten bedingter Haft verurteilt wurde. Keine Nummer ohne rassistische oder geschichtsrevisionistische Artikel; ein Protrait über Boris Becker erschien etwa unter dem Titel "Der Negerinnenfreund". Das deutsche Schwesterblatt "Junge Freiheit" wertet der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz als "rechtsextreme Publikation". In ganz Wien hingegen werben nun Plakatständer für "Zur Zeit". Der Rechtsextremismus hat in Wien an Macht gewonnen, und so muß es nicht verwundern, wenn heuer, am 13. April Neonazis durch die Wiener Kärntnerstraße ziehen, "Sieg Heil" rufen und die Hand zum Hitlergruß hochrecken konnten, wiewohl dergleichen gesetzlich verboten ist. Den Befreiungstag 8. Mai begingen freiheitliche Parlamentarier mit einem Gedenken für die Gefallenen und betrauerten die Niederlage des Dritten Reiches.
Die Justiz gerät unter Minister Dieter Böhmdorfer, der vorher persönlicher Anwalt Jörg Haiders war, in Mißkredit. Böhmdorfer fand etwa Haiders Idee, Oppositionspolitiker wegen Landesverrat zu belangen, zunächst "verfolgenswert". Er äußerte sich zu schwebenden politischen Verfahren, so zu einer polizeilichen Spitzelaffaire, in die freiheitliche Politiker involviert waren und die nicht zuletzt ihn selbst tangierte. Daß die Untersuchungen letztlich im Sande verliefen, überraschte die Opposition kaum mehr.
Vor wenigen Monaten kündigte Jörg Haider an, den Verfassungsgerichtshof wegen eines Entscheides zugunsten der slowenischen Minderheit "zurechtstutzen" zu wollen. Über dessen Präsidenten Ludwig Adamovich meinte er, man müsse sich bei so einem Namen fragen, ob der eine Aufenthaltsgenehmigung habe. Repräsentanten und Organe des Rechtsstaat werden negiert und herabgesetzt. In Graz bildete sich die erste freiheitliche Bürgerwehr, weitere sollen in anderen Städten aufgestellt werden.
Die schwarzblaue Allianz sei leider notwendig, hatten im Feber 2000 manche gemeint, um Österreich vom Stillstand zu befreien. Was ist mit dem "Demokratisierungsschub" geschehen, den jene versprachen, die einst vom ganz normalen Regierungswechsel plauschten? War nicht erklärt worden, Parteiwirtschaft und Nepotismus würden nun überwunden sein? Nichts dergleichen. Im Gegenteil; die jetzige Koalition betreibt den Postenschacher unverschämter noch als ihre Vorgängerin.
Just von den Freiheitlichen liberale Reformen zu erwarten, beruhte zweifellos auf einem Denkfehler, und wer das bis jetzt nicht begriffen hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Von einer Europäisierung Österreichs, die manch allzu Findiger von dieser Koalition erhofft hatte, ist nichts zu merken, eher noch könnte mit Blick auf die Erfolge der rassistischen Populisten in anderen Ländern, beinah von einer Austrofizierung der Union gesprochen werden. Der Pakt mit rechtsextremen Elementen scheint, wie befürchtet, die Politik der Ressentiments zu legitimieren; nicht allein in Österreich.

Wer gehofft hatte, Haiders Fraktion würde im Regierungsamt gezähmt, würde die jüdische Gemeinde umschmeicheln, zumindest das Zündeln mit dem Antisemitismus meiden, täuschte sich. Der jüdische Überlebende und Journalist Pfeifer wurde etwa nicht geschont. Für ihn charakterisiert sein Fall, "die Richtung, in die dieser Staat geht." Um seinen guten Ruf zu schützen, rief er nun den Europäischen Gerichtshof in Straßburg an. Von dort erwartet er Hilfe, denn Karl Pfeifer, der 1938 als Zehnjähriger aus Österreich fliehen mußte, darf nun in diesem seinem Geburtsland als mörderischer Hetzer verunglimpft werden.

 

Siehe auch die "Süddeutsche Zeitung"vom 17.9.2002


Doron Rabinovici ist Schriftsteller und lebt in Wien. Zuletzt erschien sein Essayband „Credo und Credit“

 

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