Elisabeth - ein Entwurf

Zur Erinnerung an Elisabeth Printschitz

Was kann in Hinsicht auf diese tote Frau gesagt werden, die wir, alle die ich kenne und die sie gekannt, entzückend gefunden haben. Was ist Liebenswürdigkeit, die einem ins Herz fährt, daß es umfallen möchte vor Übermüdung, denn das ist das Herz nicht gewöhnt: Vertrauen zu haben. Das hat es noch nicht oft erlebt, und so erschrickt es, es ist ja kleiner als ein Haus und größer als ein Radiergummi. Das von Elisabeth hat den Betrieb gleich ganz eingestellt, aber unsre gehen noch wie die Uhren, in unseren Herzen ziehen wir unsre Wünsche heran, und dann ziehen wir sie jeden Abend wieder auf. Elisabeth, die Müde, aber gleichzeitig "Nervennervöse" (ihr Lieblingswort, niemanden habe ich es seither benutzen hören, außer denen, die sich an sie erinnern und denen ich dieses Wort sozusagen befehle. Zum Beispiel Sissi muß es immer sagen, wenn ich sie sehe. Dabei weiß ich gar nicht, ob Elisabeth das Wort erfunden hat oder jemand anderer, aber es gehört heute jedenfalls ihr und hat ihr daher immer gehört), wie sehr beklage ich jedes Haus, in dem sie nicht mehr ist. Sie hat Menschen das Herz zerrissen, weil sie gestorben ist. Es sind ihr Menschen nachgestorben, einer zumindest ist es, von dem ich das weiß, buchstäblich, als hätte sie ihren Stempel mit einem Verfallsdatum ihm aufs Fleisch gedrückt, ich denke jetzt kurz auch an ihn. Der Tod ist ihr aufs Auge gedrückt worden, gegen ihren Willen, meist kommt der ja ungebeten, sagt sich selbst auf das Ding herunter, das wir Körper nennen, und indem er sich sagt, sagt er die Anwesenden alle mit und schließt sie damit alle aus.

Verlassen Sie bitte das Spielfeld, hier ist ein andres Match in Gange! Sie, die Anwesenden, sind jetzt bezeichnet, es wird ihnen früher oder später auch so ergehen. Irgendwann einmal spielt dann eine ganz andre Mannschaft. Ohne die liebe Tote, die vorzeitig gestorben ist, hätten wir das vielleicht vergessen. Also der Tod ist das uns Zugesagte, und nachträglich gibt er den Toten wieder Form, vielleicht eine andre als sie zu Lebzeiten hatten, jetzt müssen sie aber die nehmen, die der Tod ihnen zugeteilt hat, und wir backen in ihnen unsere eigenen Kuchen, Lebzelten, unser eigenes Brot, das ein Verhältnis hat mit den Dingen, die noch da sind. Elisabeth aber ist eine, die fort ist, und, obwohl ich sie nicht so gut gekannt habe wie viele andre, empfinde ich bei ihr besonders stark, daß sie fort ist. Warum? Weil sie jung war? Soll ich diesen Tatbestand besonders herausstellen, daß sie jung gestorben ist? Eine junge Ermüdete, die schlafen wollte, weil an ihren Nerven so stark gezogen worden ist, daß sie hingesunken ist, direkt hinein in die Wunschlosigkeit? Das heißt, Wünsche hätte sie sicher noch gehabt, sie schien ja manchmal davon förmlich zu sieden, vielleicht haben ja überhaupt ihre Wünsche sie so nervös gemacht, mit so einer Zittrigkeit, die nichts erwarten kann und nicht weiß, daß sie es wirklich nicht erwarten wird können. Hunger will Essen. Aber die Wünsche werden vom Tod abgenommen, so wie ein fertiger Film von irgendeinem Verantwortlichen "abgenommen" wird, da er abgedreht ist wie ein Lebenslicht. Dafür hat der Herr Tod Elisabeth ein sorgenloses Aussehen gegeben. Das wäre ihr, einer schönen Frau, trotzdem zuwenig gewesen. Es wäre schön, hätte sie ihre Wünsche noch, und auch ihr Aussehen hätte ich ihr noch gern gegönnt. Sie hätte von mir aus gern so schön geblieben sein können wie ein von Menschen erbautes Haus, das einem vors Gesicht tritt und nur mit großer Mühe und viel Sprengstoff, Bomben, Raketen wieder wegzuräumen ist. Der Tod hat mit dem Körper leichteres Spiel, womöglich macht es dem Tod ja sogar Spaß! So sagt man in der Konditorei: heute schlag ich aber einmal ordentlich zu...! Da liegt man also in einem Spitalsbett und läßt den Tod mit sich umspringen wie er will. Der schüttet seine unerbittliche Woge über das Bett und nimmt einen mit, und die Beziehungen zu den andren hängen noch aus dem Körper heraus wie Drähte, Infusionsschläuche, Meßgeräte. Davon sind wir alle zwar mitgenommen, aber nur Elisabeth ist ganz fort. Sie ist heraufgekommen, und dann ist sie abgetreten, dazwischen waren Geschichten, die meisten sind Entwürfe geblieben, denn es war so eine Ungezieltheit in dieser Frau - sie hat ihre Bewegungen vorausgedacht, dann aber ganz andre gemacht, und die waren auch ein Ziel, da sie von ihr gemacht worden sind.

Vielleicht war sie unzufrieden, manchmal ist es mir so vorgekommen. Sie hat Verschiedenes gedacht, andres als andre, dann ist ein Hindernis aufgetaucht, bei dem andre geradlinig geblieben wären, sie aber ist dem Ding, das sie hinderte, anmutig ausgewichen, die Bestimmung, die dieses Ding, wie jedes, hatte, verleugnend, indem sie es sich selbst überlassen hat und halt einfach: herumgegangen ist. Nicht drum herum, sondern überhaupt herum. Denken, aber sich damit nicht eine bestimmte Richtung geben, ja nicht einmal sich selbst eine Bestimmung geben, indem man den Dingen eine gibt. Diese zittrige, nervennervöse Unbestimmtheit, sich heraufholend und gleichzeitig ablegend, über alles hinweg, und dabei nachdenken, aber nicht nachdenken, damit die Dinge bestimmt werden (wie im Botanisierbuch) und nicht damit sie eine Bestimmung erhalten, sondern indem man einfach nervös in sich herumirrt, an Türen rüttelt, Klinken ausprobiert, kurz einen Schraubenzieher am Beschlag ansetzt, nicht damit man endlich etwas beschlagener würde, sondern weil die Tür halt nicht aufgeht, und so probiert man, ob sich das Schloß nicht ganz abschrauben läßt, aber so wichtig ist das nicht, bleibt sie halt zu, die blöde Tür, denken wir eben etwas anderes. Diese Anmut in der Bestimmungslosigkeit, diese körperlose Körperhaftigkeit, keine Bewegung ist ausgezeichnet, auch nicht mit einem Preisschild, jede Bewegung ist ganz ausgezeichnet, egal wohin sie einen führt: Ich denke, das war für mich Elisabeth.

 

 

Der Aufsatz erschien in: Durch 11, Elisabeth Printschitz 1952-1993, Grazer Kunstverein, aus dem auch das Bild entnommen ist.


Elisabeth - ein Entwurf © 1999 Elfriede Jelinek

 

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