Nicht einvernehmlich

Zum "Kinderlieder"-Zyklus von Peter Pongratz

Manchmal braucht man ein Licht, damit man etwas sieht, und manchmal leuchten die Gegenstände von selber. Es gibt auch eine Kunst, die etwas Helles ist, in das etwas eingeflossen ist. Etwas, das ist oder gewesen ist. Dieses Leuchtende muß aber nicht gleichzeitig ein Entgegenkommen sein, auch wenn es einen "anspricht". Es gibt Künstler wie Peter Pongratz, die hell sind, ohne einem dabei entgegenzukommen. Ich glaube, daß er selbst das Helle ist und es gleichzeitig zeigt, und zwar eine Helle, nicht vom Betrachter her gesehen, sondern eine, die vom Künstler her zu sehen ist und seinen Gegenstand immer gleich mit umfaßt. Wenn etwas von woher wohin leuchten soll, muß ein gewisses Einvernehmen mit dem Betrachter herrschen, sodaß der Betrachter mit dem Schöpfer dieser Bilder gemeinsam durch das Bild hindurchgehen kann, in der Übereinkunft, daß z.B. jene Riesenformate an Bildern, zusammengesetzt aus jeweils neun Blättern, die bunten Kinderzeichnungen ähneln ("Kinderlieder") oder diese zum Vorbild haben - die Kunst von Kindern wie die von Geisteskranken, also Kunst, die ihrer selbst nicht gewiß, nicht einmal sicher ist, hat Pongratz ja von Anfang an immer am meisten beschäftigt, wie er sagt - etwas Heiteres, Fröhliches ausstrahlen, aber sie strahlen nicht auf den Betrachter, sondern das Aufleuchten von etwas, das ist und gleichzeitig: sein soll (Kinder sollen nicht so oder so sein, sondern sie sollen einfach nur: sein, so wie in der Liebe der andere: sein soll, bezogen auf einen selber) IST schon in die Bilder wie soll man sagen: hineingegeben worden, und zwar zu dem einzigen Zweck, damit es nicht verborgen bleiben soll. Also jetzt ist es drinnen. Gut. Auf eine Weise, daß diese strahlend bunte Helligkeit (hauptsächlich auch noch in Primärfarben) dann in den Bildern herumrast wie "ver-rückt", ohne zur Ruhe zu kommen, und, wenn sie in ihrem Rasen einmal einen Augenblick Zeit und Muße hat, auf den Betrachter zurückschaut, ohne sich je gegen ihn zu kehren. Doch es leuchtet nicht für ihn, diesen Betrachter, in dem Sinn, daß diese Bilder für ihn gemalt worden sind, damit er etwas zum Anschauen hat. Im Gegenteil, nicht obwohl, sondern da diese Kinder-Bilder hell und freundlich sind (es gibt natürlich auch die dunklen, zum Beispiel den Zyklus über den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, doch das ist ein andres Kapitel, jedoch eins, das diesem nicht widerspricht), kann das Verständnis des Betrachters und das Einverständnis mit diesem (das sehr schnell zustande kommt bei Pongratzs Bildern, aber: Vorsicht!) leicht durch diese Helligkeit, die ihm vordergründig ja keinen Widerstand bietet, hindurchschießen auf etwas, das, hinter den Bildern, eigentlich zu sichten wäre. Und das ist möglicherweise die Erinnerung an ein eigenes Licht, das man selber verloren hat, weit zurück in der Kindheit, und das der Künstler sich hat bewahren können. Da ist vielleicht nicht viel "auszulegen" in den Bildern, doch gerade indem sie alles offen und beinahe naiv dem Betrachter zukehren, kehren sie sich von ihm ab. Das was Pongratz in seinem "Kinderlieder"-Zyklus sagt, kommt von der ständigen Anwesenheit seiner Kindheit in ihm. Und da wir die unsere verloren haben, müssen wir, die wir, obwohl uns alles in diesen Bildern freundlich zugewandt ist, doch "zuschauen", nicht indem wir sie uns halt anschauen, sondern indem wir ununterbrochen auf unser Zuschauersein zurückgeworfen sind. Und man ahnt dabei, daß, wenn man versuchte, sich diese Bilder auszulegen, zu interpretieren, die Fragen erst beginnen würden, indem man von ihnen scheinbar abgeschnitten ist. Also: Da die Kindheit selbst in diesen Riesenbildern da und anwesend ist, ist sie es nur vom Schöpfer dieser Werke her und von seinen Geschöpfen, den Bildern, und die eigene wird zu einem schattigen Zwischenreich. Nicht weil diese großen bunten Flächen so dominant wären, daß daneben nichts mehr Platz hätte, sondern weil sie von der Anwesenheit eines, des einzigen Kindes berichten, das da in sein Bild immer wieder hineingegangen ist, ohne je wieder herauszukommen: des Malers als Kind. Und niemandes sonst als Kind, denn es wäre zu einfach zu sagen: so ähnlich habe ich als Kind auch immer gemalt, doch das ist mir inzwischen leider abhanden gekommen. Da also etwas, das war und gleichzeitig ist, in den Gemälden von Peter Pongratz verborgen, versteckt worden ist wie bunte Ostereier, da er also so offen zu uns ist wie kaum ein andrer Maler (diese Bilder sind ja wie neunteilige Flügelaltäre, die uns in die Arme schließen, aber: Vorsicht!), dürfen wir diese Offenbarung eines fremden kindlichen Seins nicht als das Fremde, von dem uns vieles vertraut vorkommt, ergründen, sondern wir müssen uns schnell davon wieder zurückweisen lassen und diese Zurückweisung auch respektieren, denn seine Kindheit behält der Maler, gerade indem er die Arme uns so weit öffnet und einladend engegenstreckt, für sich alleine, und unsre ist einfach weg und aus.


Peter Pongratz, aus dem Kinderlieder-Zyklus

Peter Pongratz, aus dem "Kinderlieder"-Zyklus

 

Kinder und Fremde. Etwas in uns ist uns fremd, wahrscheinlich sogar das meiste, die eigene Kindheit ist uns fremd geworden so wie wir uns selber fremd sind, und der Irre ist der fremdeste, er ist das Kind unserer Zivilisation. Er wandert neben uns her und wird uns nicht vertraut. Haben wir einen Ort, an den wir gehen können, hat der Irre diesen nicht. Wie der Fremde, doch den wollen wir hier allzu oft nicht haben. Vielleicht sind sie beide das Unterwegssein, das Kind ins Erwachsenwerden, und der Irre ist einfach nur so auf Reisen. Denn der Fremde will ja vielleicht zu uns, aber wir lassen ihn nicht. Wenn da einer ist, der beide dauernd sucht, Kinder und Irre, wie Peter Pongratz es immer getan hat, dann ist er selbst der Fremde, sucht er das, was unterwegs ist und muß daher selber ununterbrochen unterwegs sein (das Unterwegssein kennt er wirklich!) und seinen Standort ändern. Er ist der Fremde an sich, auch wenn er uns gern entgegenwandert. Er kann daher auch Zuflucht werden für beide, gerade weil er das Wandern und Fremdsein kennt, Kinder und Kranke, weil er, selbst immer in Bewegung, sie beide durch sich hindurchläßt und, indem er sie fängt, sie eben gerade nicht einfängt im Sinn eines Bannens auf Leinwand, sondern im Sinn eines ständigen Wohin, eines Durch Sich Hindurchlassens. Wenn Heidegger in seiner Analyse von Trakls Gedichten mit ihrer Metaphorik von Untergang und Vergessen die Seele sieht, wie sie ihre irdische Wanderung beendet und die Erde verläßt, also das Flüchtigste in einem selbst, das in den Untergang gerufen wird, so könnte man von Peter Pongratzs Bildern sagen, daß sie diesen Untergang verhindern, indem sie einen kindlichen, irren, verstörten Augenblick in seiner ganzen Buntheit festhalten, damit es eben nicht schwindet, aber auch nicht gebannt werden kann. Er läßt seinen beinahe zeichnerischen, endlosen Farbsträngen jeden Ausweg offen, nur abstürzen oder verschwinden können sie nicht, aber ganz dableiben müssen sie auch wieder nicht. Diese Bilder haben die Wahl, aber sie können niemals: fort sein. Pongratz läßt jeden und jedes sein wie es ist, ich glaube, das ist das schwierigste überhaupt, und daher sucht er auch keine "Richtigkeit" dafür, die "gültig" wäre, das heißt, er bestimmt nichts, weil er nichts Bestimmtes weiß oder auch nur sucht, sondern es ist ihm alles: selbstverständlich. Und wenn da etwas im Augenblick des Anschauens aufleuchtet, dann: scheint es auch gleichzeitig, weil dieser Künstler niemals behauptet, daß es ist. Er sagt, daß es wird, aber er sagt niemals: Das wird schon werden! Er tröstet uns nicht. Aber er wendet sich an uns.

 


Nicht einvernehmlich © 1997 Elfriede Jelinek

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