Peter sagt:

(aus dem Peter-Monolog)

Sie haben sich also meine Haut angeeignet, darunter ich, riesige Wunde, gräßlich, alles Wunde, Blut kommt überall raus, Nerven und Sehnen liegen einfach blank, das Licht scheint mir schon durch die Rippen auf die Organe, also das kann kein Mensch mehr zunähen, so, und wer hat jetzt meine Eingeweide geklaut? Sofort zurückgeben! Nein, mir, nicht dem dort drüben! Wir sind doch nicht beim Baseball! Wir sind auch nicht beim Vögeln, und trotzdem ist das dort, glaub ich, ein Vogel, ein Adler, dem Sie meine Eingeweide wegnehmen wollen. Aber zuvor können Sie jetzt endlich Ihre Fotos machen! Schnell, drücken Sie drauf, sonst ist er weg, der Adler! Das ist doch eine geschützte Tierart! Sonst glaube ich es ja selber nicht, was der Vogel da von mir mitnimmt, ich glaube es nicht, wenn Sie es nicht aufnehmen. Man kann gar nichts aufnehmen, was man nicht fotografiert oder gefilmt hat. Juchu, das ist die Lust am Schauen und Erleben, eins wie das andre. Wenn man nichts erlebt, kann man wenigstens Bilder schauen gehen. So. Der Raum dehnt sich jetzt, während ich spreche. Zur Großaufnahme. Wenn wir in diesem Bild auch noch Bewegung hätten, könnten wirs zur Zeitlupe ausdehnen und noch länger anschauen.  Aber dieses Bild ist auf einmal so still geworden. Denkt es jetzt nach? Denkt es nach, wie es weitergeht? Das Bild glaubt wohl, es ist ein Film! Wohl größenwahnsinnig geworden, was? Keine Ahnung. Wer hat jetzt, während ich doch noch geredet habe, das ist sehr unhöflich, mich zu unterbrechen, meine Leber, und wem ist der zahme Adler, den sein Trainer, dieser Vordenker und Menschenschöpfer, dieser Erlöser von Prince Waterhouse, nein, diesmal der Prinz von Blackwater, mit Majonäse aus dem Hosensack sorgsam dressiert hat, wo und wem ist dieser Adler jetzt wieder ausgekommen? Aus welchem Freigehege, also würden Sie das ein Gehege nennen, ich würde das einen simplen Käfig nennen, ist er entflogen? Pünktlich einmal pro Tag geht er zuverlässig, der Adler, hier stehts auf dem Fahrplan, also muß er auch kommen, der ist der klassische Pendler, der mit dem Vorortzug zur Arbeit fährt. Er kommt und geht wieder, er fliegt davon, oder er nimmt halt den Zug; nachdem er gekommen ist, fährt er immer wieder weg, dieser Fleischhauer, der sich als Söldner verdingt hat, der meine Leber vertilgt, weils keine Jobs mehr gibt. Andre können das nicht so ohne weiteres. Die haben die Käfige nebeneinander. Das sind sie aber gewohnt. Die haben die Hitze. Das sind sie aber gewohnt. Die haben den Wasserentzug. Den sind sie aber gewohnt. Die haben den Schlafentzug. Den sind sie aber gewohnt. Ach Gott, denen kann man ja gar nichts antun, was sie nicht schon kennen! Sitzen wie Raubvögel in der Volière. Das sind sie aber gewohnt. Wer immer sie beherrscht, der ist ein Herrscher. Wer immer hingegen uns beherrscht, der ist gemein und böse. Er erschafft sich zum Beispiel die Frau und die dort auch, um uns dauerhaft zu quälen, denn vorher war Ruhe. Da hat es nur Männer aus Ton gegeben, die sich nicht bewegen konnten, dafür rücken sie jetzt aber jetzt aber jetzt aber ordentlich vor, gegen die Wüstensöhne, die schon ganz heiß auf uns sind, von mir aus, rücken wir halt vor, egal gegen wen. Meinetwegen.  Das Prinzip dieser sinnlosen Frauenerschaffung ist: außen schön, hui, innen soviele Fehler wie möglich reinmachen, pfui, und unsere armen, total überlasteten Firewalls sollen sie dann auffangen. Warum also erst Fehler machen? Die Söhne, zumindest einer von ihnen wird durchkommen, werden kommen und mich endlich befreien. Sie werden den Adler von meiner Leber fernhalten und die scharfen Getränke auch. Die beiden, der Adler und meine Leber, die gehören nicht zusammen, die gehören schon zusammen, aber sie gehören gemeinsam woanders hin. Dort ist dann endlich Ruhe. Dort ist dann alles gegessen. Wenn Sie mich fragen, fände ich es überhaupt besser, die Menschen wären aus Ton geblieben. Jetzt muß ich den Ton mit meiner Flöte erst mal erzeugen. Schauen Sie auf das Bild: Der läßt sich doch glatt mit meinen Eingeweiden fotografieren, der Unhold dort drüben, auf dem Foto links! Wer hat dem gesagt, die Opfer der Menschen bestehen immer, egal wie sie Opfer wurden, aus Fett und Innereien? Also Schluß jetzt. Wir bringen ihnen das Feuer in erstaunlich vielfältiger Gestalt, damit die Menschen endlich genießbar werden; nein, es ist nicht unsere Gestalt, das Feuer kommt aus vielen Rohren, wir bringen es selbst, und wer sollte uns dafür bestrafen? Es war ja schon vorher unter den Menschen. Wir haben es nur zielgerecht eingesetzt. Das Feuer bringen wir nämlich, damit die Menschen sich nicht mehr erinnern müssen, was einmal mit ihnen geschehen wird, das ist ihnen nämlich nicht zuzumuten. Es genügt schon, wenn wir genügend Feuer haben, um uns für den Krieg zubereiten zu lassen. Entschuldigung, das war ein andrer Vorfall, als sich jemand mit einem Eingeweideglas hat fotografieren lassen und das Eingeweide dann aufgeweckt hat, nein, das Geweide eingeweckt hat, nein, im Glas waren die nicht, diese dunklen Gewebefetzen, die haben sie ganz offen gezeigt,  ein Fetzen Geweih, nein: Geweide und Gewebe, und jetzt, wo wir den Adler einmal brauchen könnten, ist er verreist. Es war angeblich ein palästinensischer Vorfall, das mit den Eingeweihten, wer morgen sterben wird und wem diese Eingeweide heute gehören, mir hoffentlich nicht, aber sicher können wir nicht sein, keiner von uns, wer von den Unmenschen das war. Diesmal habe ich meinen Arzt oder Apotheker gefragt. Die haben es aber auch nicht gewußt.

Wir drei Frauen, Lynndie, Sabrina und Megan, bitte vor unsere Kameras! Die anderen werden dann schon nachkommen, ich meine die anderen Kameras. Mehr Frauen brauchen wir hier nicht, wir haben schon genug von ihnen. Bitte, jetzt  längst vergangene Minuten immer wieder darstellen, damit sie nicht ungenutzt vergangen sind! Also diese Mädels glauben ihren Verehrern einfach nicht, daß sie so attraktiv sind, daß ihre Fotos eine große Verbreitung erfahren werden. Jetzt glauben sie es aber schon. Ja, jetzt, da die Frau endlich erschaffen ist, darf sie sich auch ganz offen zeigen, mit all ihren Fehlern, die sind nämlich gleich dazuprogrammiert worden, auch Sie bitte, yes Sir, stellen Sie sich schön auf, Lynndie darf auch ihren Freund Charles Graner, das ist ein Mensch, der sollte nie mehr einen grünen Wald erblicken, wenn Sie mich fragen, und das Meer soll er auch nicht mehr sehen dürfen, wenns nach mir ginge, und die Zukunft seines Todes soll er ausnahmsweise auch noch sehen dürfen, so sicher wie der Adler jeden Tag kommt, jeden Tag sollte der Charles Graner seinen Tod sehen, wenns nach mir ginge, nach mir, dem unheilbaren Moralisten, also die Lynndie darf ihren Freund Charly mit aufs Foto nehmen, weil sie so weint, daß sie nicht allein aufs Foto will, sie hat zu oft auf Fotos geschaut, auf denen nur Tornados und zerstörte Häuser und aufgewirbelte Autos drauf waren, und sie darf auch dieses Marmeladeglas, das ihr die Mama geschickt hat, mit aufs Foto nehmen, die Lynndie, und sie darf auch einen Lipstick, den sie sich aufgetragen hat, na, das ist doch etwas zu dick aufgetragen, finden Sie nicht, mit aufs Foto nehmen, und warum hat die jetzt eine Serviette oder ein Taschentuch oder ein Normalo-Tuch oder was das ist da unter das Glas geschoben? Also diesmal frage ich Arzt oder Apotheker lieber nicht! Da wird doch nicht das innere Organ von einem Kollegen von mir drin sein, ein Stück Leber oder Hoden oder sowas? Sie hält es so komisch, das Kompott oder was es ist. Ich will es gar nicht wissen. Den Arabern ist ja überhaupt alles zuzutrauen, nicht nur uns, und was ihnen heilig ist, das ist für uns noch lange nichts, das ist uns billig, da fängt es bei uns erst an, bei den Bildern, nicht nur bei uns, auch bei Lynndie und Sabrina und Mega-Megan, die sind ganz bei sich, wenn sie sowas machen. Es könnte aber auch woanders von hinten ganz nach vorn gefallen sein, das Ereignis der Organentnahme. Also das Organ fällt. Das haben Sie kapiert? Gut. Der Totenschein wurde ausgestellt. Jeder, der wollte, konnte ihn einsehen. Ich bin so dressiert worden, nein, nicht mit der Majonäse, von der ich vorhin gesprochen habe, nur so dressiert, daß ich jedem Araber sofort, wenn ich ihn sehe, den Kehlkopf zertrümmern muß. Ich muß einfach, es ist stärker als ich. Ich kann nichts dafür. Vorhin im Supermarkt, da war in der Frischgemüseabteilung so ein arabischer Verkäufer, also dem hätte ich fast in einem Reflex den Kehlkopf zertrümmert, ich kann nicht anders, ich hätte nicht anders gekonnt, hätte ich es getan. Hab mich aus Mitleid mit dem Ärmsten, der ja nichts dafür kann und unter Verkäuferlächeln stand wie unsereins unter Strom, grad noch zurückhalten können. Aber so hab ich es in meiner Ausbildung gelernt, und jetzt bin ich ein Zertrümmerungsautomat, als wäre ich selber das Spiel, das auf dem Bildschirm gespielt wird, dabei bin ich nur der Darsteller.

Nein, trennen Sie mein Bild nicht von mir ab, das wäre eine zu strenge Strafe, ich sagte es schon wiederholt, ich befahl es schon mehrmals! Lassen Sie mir mein Bild! Ich bin doch so froh, daß es überhaupt gemacht worden ist! Von andren mach ich mir schon selber eins! Mir lassen Sie gefälligst meins! Nachher fühle ich mich noch, als hätten Sie mich weggeworfen, und das wollen Sie doch nicht, das geht mit double click, das geht ganz leicht, Wegwerfen und was andres dafür Herholen. Sie brauchen Wegwerfsoldaten, und sie brauchen Wegwerfbilder von ihnen und dem Fotografieren ihrer Menschenpyramiden, in die manche sogar lebend eingeschlossen werden, ja, auch du, teure Aida, vollkommen digital inzwischen, du bist jetzt da drin, und vorher habe ich noch die Anordnung zur Masturbation gegeben und das Herstellen von bizarren sexuellen Positionen angeordnet, während ich mir noch selbst und vielen andren auch Keuschheit vor der Ehe befahl, natürlich umsonst, da gibt es kein Rezept dagegen und keins dafür, wo habe ich das bloß gelernt? Wo habe ich diese vielen Positionen bloß herbekommen, nur gesehen, nie bekommen, immer nur gesehen? Gesehen ist nicht geschehen. Wo ich doch so schwer lerne! Aber das hab ich ganz leicht gelernt, auch die Anordnung, Inhaftierte sollen sich gegenseitig schlagen, auch die hab ich schnell verstanden und weitergegeben an die richtige Adresse, an den richtigen Adressaten, aber der konnte es auch schon immer und mußte es gar nicht mehr lernen,  und das alles trifft die Bildoberfläche, die ein Regenschirm gegen Blut, Urin, Kotze, Sperma und Speichel und sonstwas Ekliges ist, es trifft die Bildoberfläche, den Schirm, den Bild-Schirm mit solcher Wucht, genau mit dem rechten Innenrist, daß medizinische Versorgung für ihn, nein, nicht für ihn, für uns,  nötig wird, nein, auch nicht für uns, entschuldigen Sie, ich habe mich verschaut, ich habe mich in diesen Gefangenen verguckt, in diesen Häftling, für den ich mir extra die Folter des verdrahteten Kapuzenmanns ausgedacht hatte, jedes weitere Wort überflüssig. Ich habe mich in jemand verschaut, den ich gar nicht sehen kann! Das ist wieder mal typisch. Dazu derzeit nur soviel: ich habe mich verschaut, aber ich kann mein versautes Objekt nicht einmal sehen. Wozu also das Ganze? Egal. Der Bildschirm dagegen: unbeeindruckt fest, ganz ohne Eindrücke, dafür bekommen jetzt wir die  Eindrücke, wir sind die Beeindruckten, ist auch besser so, man kann die Eindrücke - sind ja gespeichert -  immer wieder aufrufen, jedesmal neu oder wie neu oder wie mit Wollwaschmittel gewaschen, weich und fest zugleich.


Lynndie England und Charles Graner (Foto: Profil)

 

Die Monologe Peter, Margit und Irm erscheinen Anfang 2005 im Rowohlt Verlag, Reinbek

30.8.2004


Peter © 2004 Elfriede Jelinek

 

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