Erklärung Pereiras

Was
erklärte Pereira, von der populären Zeitschrift news in Peking
(nein, die Zeitschrift ist nicht in Peking, die ist hier) befragt und
auch prompt erreicht, während er grade ein Fahrrad umschmiß,
das sich gegen ihn gewandt hatte? Pereira sprach, befragt, wieso er
Olga Neuwirths Oper "Outcast" erst für die Salzburger
Festspiele in Betracht gezogen, dann aber zugunsten Harrison
Birtwistles verworfen hatte, Pereira erklärte (sich), so steht
es hier, und diese Zeitschrift lügt nicht: "Seit wann
bestimmen die Künstler, von wem sie engagiert werden? Das ist
die Entscheidung des Intendanten!" Das ist die reine Wahrheit,
ich hebe sie vom Boden der Tatsachen auf, schaue sie an, putze
sicherheitshalber ein wenig an ihr herum, dafür ist jetzt mein
T-Shirt etwas dreckig, macht nichts, Hauptsache, es ist wahr, hier
steht es, ganz aufrecht, also muß es wahr sein, und dann
erklärte Pereira weiter: "Es war doch schon ein positiver
Vorgang, daß wir Frau Neuwirth ins Kalkühl, äh,
Kalkül gezogen haben." Sprach Mister fünf Prozent,
oder sind es zehn, die er sich mittels Sponsorengeldern herausnimmt?
(nein, der "Spiegel" sagt: fünf), was er
möglicherweise irgendwem erklären muß, nicht mir, was
er sich herausnimmt von jedem Sponsorengeld, das er auftreibt, damit
kann er nämlich Künstler abtreiben, nein, die gibt es ja,
die Künstler, sogar die Künstlerinnen!, ich meine, er kann
sie auf die Salzburger Alm hinauftreiben und dann wieder abtreiben.
So sprach der Herr, und er sah, daß es gut war. Er hat zwar
nichts geschaffen, aber er ruhte trotzdem irgendwann mal und sah, daß
es gut war. Und die Schöpfer werden wir gar nicht brauchen,
damit es gut gewesen sein wird. Es genügt, wenn wir uns die
Schöpfer holen und sie auch wieder wegschicken. Wir Herren über
die Schöpfer. Damit sind wir mehr als Gott, der geschaffen hat.
Doch wer schafft, ist nichts. Wer entscheidet, der ist es! Das wärs
für uns gewesen: Entscheiden! Nein, nur der Herr Intendant ist
derjenige, welcher. Seit wann entscheiden die Künstler, wer, was
oder wie? Nein, sie entscheiden eh nichts. Sie schaffen nur, und der
Intendant sagt, wann sie geschafft sind. Er schafft sie her, und er
schafft sie fort, und dann entscheidet er, seit wann? Seit er
Intendant geworden ist. Und was immer er auch entschieden hat, er
wird immer sehen, daß es gut war. Zu dieser Macht hat er sich
nicht selbst ermächtigt (entschuldigen Sie bitte, Herr
Heidegger, es ist nicht so gemeint, aber das wissen Sie ja, daß
ich nicht meinen kann, was Sie meinen. Ich heiße ja auch
nichts, obwohl ich einen Namen habe), das gibt ihm die schöne
Möglichkeit, die Künstler ihrer Bestimmung zuzuführen,
und diese Bestimmung bestimmt immer er selber, der mächtige
Ermächtigte, er bestimmt über den Ohnmächtigen, der
zum Glück noch nicht ganz tot ist, er hat nur das Bewußtsein
dafür verloren, wer bestimmt, daher sage ich es ihm jetzt,
jawohl, ich habe auch was zu sagen, und ich sage hiermit: Es bestimmt
der Herr Intendant Pereira. Er bestimmt in vollen Zügen, er
genießt und bestimmt, er genießt, weil er bestimmen kann,
und er bestimmt eine Person, damit er wieder mal sehen kann, daß
es gut war. (Dafür tut er eine Menge und nimmt von dem, was ihm
zusteht, noch etwas, zu dem er aber steht). Er übergibt den
Künstler, die Künstlerin ihrer Bestimmung, die er selber
bestimmt. Was sie geschaffen hat, ist ihm nicht gut genug. In diesem
Fall reicht es nicht. Ein andrer reicht besser, er reicht höher
hinauf. Der Stimmer bestimmt, wann das Klavier stimmt, und ein andrer
Bestimmer bestimmt, daß es bestimmt etwas Besseres gibt, und
das bestimmt er dann zur Aufführung bei seinem Festerl. Das
Beste ist ihm grade gut genug, aber nur grade so eben. Und er weiß,
was das Beste für ihn und daher auch für alle anderen ist.
Da er der Mächtige ist, kann er auch sagen, was grade gut genug
ist (das ist ja noch besser als das Beste! In diesem Sinn meine ich
das, ich meine nicht: grade eben gut genug, sondern Güter genug,
zumindest für ihn, auf den es ankommt), das Beste ist grade gut
genug für ihn und sein Salzburger Fescherl, äh, Feschtl, da
geht es um feine, um feinste Unterschiede, die er natürlich alle
kennt, na ja, vielleicht aber auch um grobe, er würde sie beide
kennen, gegeneinander abwägen, und dann wird er sagen, was gut
genug, was weniger gut und was ungeeignet für ihn ist. Und er
wird es uns verkündigen. Das ist sein gutes Recht, daß er
uns Kunden der Kunst diese Kunde bringt. Ja, das Recht ist gut, es
ist immer gut für den, der es ausübt und ausspricht. Wer
Recht spricht, hat Recht, denn auch er sieht, daß es gut ist,
und auch der Herr sieht, daß es gut ist, und zwar, weil ER es
ist, der es spricht, erklärt Pereira. Recht gesprochen! Das
Recht wird in dem Augenblick gut, in dem er es spricht. Egal, was es
vorher war, das Recht, wo es sich vorher herumgetrieben hat, auf die
Alm rauf, von der Alm wieder runter; für den Salzburger Auftrieb
das Vieh zu bestimmen, das geschmückt wird und die schönste
Glocke umgebunden kriegt, das ist sein gutes Recht, das Pereira
spricht und uns nicht erklärt, aber trotzdem: erklärt. Die
Macht kann offen auftreten, und sie kann auch verschleiern, sagt der
Philosoph, den ich genannt habe (was mein gutes Recht ist, das tut
niemandem weh, anderes Recht, das Recht des Machthaberls oder des
Machthaberers, kann schon mehr wehtun), ja, die reine Macht (so
ähnlich wie die reine Wahrheit, die aber bescheiden zurücktreten
muß, wenn die reine Macht auftritt, die ist immer dran, wenn
sie da ist, und sie verzichtet nie!) übergibt die Übermächtigten
ihrer Bestimmung, und im Fall Olga Neuwirth ist das der Daumen, der
nach unten zeigt, nein, überwältigt sind wir nicht von
dieser Kunst, weg damit!, wir nehmen nicht sie, wir nehmen den noch
viel Besseren, den Besesseneren (denn das muß Kunst ja sein:
besessen, damit sie Besitz werden kann, bestimmt von Besitzenden,
denn auch das bestimmen wir, wir bestimmen, wer besessener ist als
der, der nur wenig besitzt; alles bestimmen wir, ich muß hier
gar nichts mehr schreiben, warum mach ich sowas Sinnloses überhaupt?,
ich habe nichts zu bestimmen und nichts zu erklären außer
meiner Steuer), wer was sagt, ist der, der was zu sagen hat, sagt
Pereira, und wir nehmen den und den und die nicht für unser
Auftragswerk, das aber gar nicht mehr beauftragt zu werden braucht,
weil es dieses Werk schon gibt, ja, Olgas Neuwirths Werk gibt es
auch, ich weiß, ich weiß, in diesem Fall entscheidet sich
die Macht aber (und sie tut recht daran, nehme ich an, ich kenne die
Macht nicht, aber sie wird schon recht haben, sie muß einfach,
sonst wäre sie ja nicht die Macht!) für das Sichere und
Bewährte, obwohl sie das nicht müßte, sie ist die
einzige, die nicht muß, aber dennoch recht haben muß. Sie
könnte ganz frei entscheiden, wozu wäre sie sonst Macht
geworden? Es wurde Pereira anvertraut, daß er entscheidet, und
bestimmt entscheidet er richtig, das ist sein gutes Recht, und das
Recht kann nur besser und rechter werden, so wie es aussieht. Da
müssen wir keine positiven Vorgänge in die Wege leiten, und
wenn, dann leiten wir sie wieder ab, da ist das Rohr, dort ist das
Loch, wir leiten den positiven Vorgang ein und dann wieder ab und
aus. Erklärt Pereira, wenn auch nicht uns, das hat er nicht
nötig, dieses Wesen der Macht über Künstler, das ein
Unwesen ist, wie die meisten Wesen. Wir nehmen es uns von den
Sponsoren, wir nehmen uns unser Teil, denken tun wir es nicht, und
den Rest, der natürlich das meiste ist, den geben wir dem, den
wir bestimmen, das ist die Entscheidung des Intendanten. Was schreibe
ich da? Es ist eh alles in Ordnung. Man kann das, was man verachtet,
die Kunst einer Frau in diesem Fall, auch noch in vollen Zügen
genießen, auf dem Feschtl, das in Salzburg stattfindet und
ausschließlich dem Genuß dient, der dort den Menschen
zugeteilt wird, danke vielmals, es war wieder so schön! Doch es
ist bloß ein Schein, ein Anschein von Freiheit, obwohl: Das ist
schon was!, etwas zu bestimmen, das schon dadurch, daß man es
bestimmt hat, wieder verworfen und verfault ist, verkommen zu einem
bloßen Schein von Freiheit in der Entscheidung, reine
Wesenlosigkeit, die Herrschaft des Nichts über die Vernichteten.
Und indem Pereira sagt, spricht, erklärt, zeigt er seine Macht.
Aber er ist nicht mächtig genug, Gegnerschaft zu dieser Macht
zuzulassen, weil er es nötig hat, jede Alternative (und wählen
kann, soll er ja, sie stehen alle zu seiner Verfügung, die
Künstler) als Teil seines Kalküls zu vereinnahmen und sich
dessen zu rühmen und öffentlich Dankbarkeit zu erwarten,
daß man eine der obersten Unterhosen auf dem Wühltisch
sein durfte, die kurz in Betrachtung gezogen und dann letztlich doch
beiseitegelegt wurde. Indem der in diesem Fall einzige
Wahlberechtigte diese Art Macht ausübt, wird jede Gegnerschaft,
meine sowieso, wer bin ich denn?, vor jemand wie ihm zunichte. Alles,
was ich sagen könnte, ist, schon während ich es sage,
sofort wieder zu Dreck geworden. Mist. Vor der Macht wird alles zu
Abfall, und das Abfallen von der Macht erst recht. So wie Olga
Neuwirths Werk unter den Augen seiner Herrschaft, die er erklärt,
der Machthaber. So wie alles, was er verworfen hat (auch wenn er den
positiven Vorgang in die Wege geleitet und wieder abgeleitet hat, daß
er Frau Neuwirth überhaupt "ins Kalkül gezogen"
hat, stimmt, das Kalkulieren ist seine starke Seite, seine Prozente
kann er immer ausrechnen, da bin ich mir sicher), nichtig ist. Was er
nicht nimmt, das ist verfallen, weil die Macht keine Gegnerschaft zu
ihr selbst zulassen kann. Die Macht muß sich schon die Mühe
machen, das ist aber auch ihre einzige Mühe, sich in der
Unbestimmtheit zu halten und sich jede Möglichkeit jeder
Verfügung über jedes Ziel offen zu halten. Wir zittern
unter ihr, wird er auftreiben oder wird er abtreiben, was erklärt
Pereira? Oder so ähnlich, so sagt es der Denker. Ich sage gar
nichts, das ist dann, ganz recht, Sie haben es erraten: wie nicht
gesagt. Einen Willen zur Macht habe ich nicht, er würde mir auch
nichts nützen, denn Pereira erklärt. Und es wird
unterworfen, was sich aufgeworfen hat, ein Haufen welker Blätter,
ein Strahl aus einer geschüttelten Champagnerflasche, was weiß
ich. Nichts.
26.10.2012

Olga Neuwirth
Foto: Priska Ketterer
Bilder:
Züricher Opernball (www.glanzundgloria.sf.tv)
Olga Neuwirth
Erklärung Pereiras © 2012 Elfriede Jelinek

zur
Startseite von www.elfriedejelinek.com |