Das Parasitärdrama

 

Ich habe schon das Sekundärdrama erfunden, und jetzt erfinde ich meinetwegen auch noch das Parasitärdrama (man kann es auch Schmarotzerdrama nennen), nein, leider habe nicht ich es erfunden. Ich habe es nicht einmal bewußt gefunden. Ich bin auch schon einmal ein bißchen Abfall für alle gewesen, was absolut gestimmt hat, es war mir nur nicht eingefallen, auch nicht entfallen, ich war ja das Entfallene selbst!, denn ich war doch damals schon von allem abgefallen. Man kann nichts erfinden, wenn man findet, daß alles schon da ist und vorhanden. Und alles, was vorhanden ist, ist mir zu Handen. Das ist frei. Im Gegensatz zu mir ist es frei. Ich lese in einer Zeitschrift, daß ein Kollege meine Stücke parasitär nennt, weil sie sich so oft an einen Wirt klammern, ohne den das Drama dann nicht verstanden werden kann. Es ist dann nicht mehr ewig gültig, weil es an das Ereignis gebunden worden ist. Dem Ereignis macht das gar nichts, aber das Drama, das dann kein wirkliches Drama mehr sein kann, bringt es um, weil es nur andauert, solang man sich an das Ereignis erinnert. Die Verderblichkeit der verderbenbringenden Realität, die gehört nicht auf die Bühne (wo eh gar nichts hingehört, nur diejenigen, die sich selbst als hingehörig, nein, nicht als zugehörig, betrachten). Vielleicht aber doch? Was ist da, bevor es entdeckt wird? Wer nicht lebt, wie ich, eine widerwillig Nichtlebende, entdeckt auch nichts, der muß finden. Und finden kann er nur, was ihm vorgesetzt wird, denn die Wirklichkeit ist ja trotzdem immer noch die Vorgesetzte der Autorin, sogar wenn die sie kaum je zu sehen kriegt. Und umgekehrt wird die Wirklichkeit zu sich selbst gebracht, indem sie frißt, was die Autorin ihr vorsetzt. Auch wenn die Autorin bestenfalls ihre Angestellte ist, die sich noch dazu sehr blöd anstellt. Es ist aber immer blöd, wenn man sich anstellen muß. Sie ist ja trotzdem da, die Wirklichkeit, und es wird von ihr berichtet. Der Bericht, die vielen Botenberichte sind die Quellen, von denen ich zu trinken versuche, aber ihr Strahl ist sehr dünn, und es sind so viele Strahlen, ich sage jetzt ausdrücklich nicht: kein Grund zum Strahlen!, aber oje, da steht es schon, da steht es immer schon, noch bevor ich es zurückrufen kann, wegen Mängeln, so mach ich es leider oft. Ich kann nichts auslassen. Es muß alles hinein, und natürlich ist der Teig dann oft ungenießbar. Doch bei mir muß man halt im Ungenießbaren nach irgendwas stöbern, wie ein Schwein, und es ist mehr als genug da, was man beiseiteschieben kann, weil vielleicht darunter was ist, das man noch essen kann, und manchmal ist das Eigentliche drunter, das bei mir immer recht eigenartig aussieht, wahrscheinlich gehts nicht anders. Es muß Vorhandenes entdeckt werden, aber nicht einmal das gelingt mir, denn um Vorhandenes zu entdecken, muß man auf die Suche gehen. Ich probiere also, diesen Quellenstrahl in den Mund zu kriegen, wenigstens einen, aber das Wasser (über das ich in parasitärer Weise viel geschrieben habe, denn ich weiß, dem Wasser tu ich damit nicht weh, dem ist das wurst, ja, der Erde auch, aber versuchen Sie mal, die zu essen, dann merken Sie, daß uns etwas vergällt worden ist, sobald wir den Mund aufmachen, etwas, das wir nicht sehen, weil es alles ist, was uns zu Fall bringt, ohne der Fall zu sein, egal welcher) entgleitet mir, es ist nicht zu fassen, ich fasse es nicht: Jetzt ist da eine Quelle gefaßt und ordentlich benannt, und ich krieg sie nicht in den Mund! Oder ist das schon ein Platzregen, da, genau an meinem Platz? Keine Ahnung. Ich muß auch nicht entdecken, daß es Vorhandenes gibt, ich muß nicht aus dem Haus, ich muß nicht raus, das Vorhandene wird mir geliefert, und es ist alles, was ich habe. Ich muß mir keine Sorgen machen, es kommt immer, wie nicht einmal das Wasser kommt: immer, egal woher.

Das Parasitärdrama ist tatsächlich nicht ohne seinen Wirt, das Ereignis, den Zustand, die Katastrophe, egal, es ist nicht ohne zu verstehen, es ist nicht ohne, es zu verstehen, aber was soll man da denn verstehen? Ich will ja gar nicht, daß man versteht. Im Normaldrama sprechen Personen, die der oder die oder sonstwer sind, als wären die sie selber. Da ich aber nicht weiß, wie Menschen miteinander sprechen, lasse ich, nein, nicht Blumen sprechen, lasse ich alles sprechen, wofür ich Platz finde und was mir selbst wieder Platz einräumt. Und ich räume dann noch mehr hinein, es ist unendlich viel Platz, sogar der Platz, der erst eingeräumt worden ist, ist unendlich groß. Erinnert mich an die Kinderpsychiatrie, in der ich einst war, beim später berühmten Prof. Asperger. Der hat jedes Jahr ein Weihnachtsstück geschrieben, in dem seine beiden Töchter immer die Hauptrollen gespielt haben, und wir übrigen Patienten waren die Staffage, welche die Hauptpersonen, die beiden Asperger-Mädchen, erst richtig zur Geltung, zum Vorschein gebracht hat. Wir haben auf deren helles Leuchten hingearbeitet, indem wir unsere Körper zur Verfügung gestellt hatten. Das war nicht wenig, und so bin ich gleich ein Teil des Hintergrunds geblieben, der den Vordergrund zum Scheinen bringt und als Anschein enttarnt, wir waren die Tarnkappen über uns selbst, während die Töchter des Professors  sehr schön das Erscheinen dargestellt haben. Ich muß auch heute nichts beiseiteschieben, im Gegenteil, es soll möglichst viel vorhanden sein, damit ich mich als Parasit mit meinem ganzen Möbelladen, all dem Kram, den ich zusammengetragen habe, dranheften kann. Ich tackere mich an der Wirklichkeit fest, so wie sie mir dargeboten wird, amalgamiert, gereinigt, durch fremde Meinungen gefiltert (und, im Gegensatz zu einem anständigen Filter, der sie rausholen soll, mit Giftstoffen angereichert, denen ich noch ein paar hinzufüge, denn ich brauche was Saftiges fürs Schreiben, und da ich meist kein Fleisch in meiner Nähe habe, keine Menschen, muß ich halt alles nehmen, die ganze Erde, das ganze Wasser, das ganze Atom, na, das ist wenigstens sehr klein, den ganzen Dreck, Schlamm, Lehm, aus dem ich dann auch keine Menschen mache, ich bin ja kein Gott, der Menschen erschafft, nicht einmal auf dem Papier könnte ich das, denn ich habe keine Vorstellung, warum Sie jetzt ausgerechnet in diese Vorstellung gehen, wo Sie etwas von mir erfahren, das Sie zu Hause bequemer bekommen könnten, von dort habe ich es ja auch her!), danke, fremde Meinung, vielen Dank: Das ist gut, daß sie mir zur Verfügung gestellt werden, denn ich habe keine eigene. Aber sie werden nicht mir zur Verfügung gestellt, sondern immer vielen, es ist wahr, wieso interessiert das Parasitärdrama (vielleicht tut es das ja gar nicht), wenn sich jeder jeden Tag sein eigenes schreiben könnte, sogar viele, unzählige davon? Ich schufte mich daran ab und drum herum auch noch. Ich muß das alles machen! Sie könnten das natürlich auch. Jeder könnte es, wenn es ihm nicht zu blöd wäre und er nicht lieber leben und was erleben würde, womöglich noch vor seinem Ableben. Ich gehe nicht auf den Kern, den ich nicht kenne, ich weiche ihm großräumig aus, und deswegen muß ich immer soviel Text schreiben, weil ich ja von außen an diesen Kern, den ich wie gesagt nicht kenne (aber Sie, Publikum, vielleicht erkennen?) nicht rankomme. Haben Sie den Kern irgendwo gesehen? Dann spucken Sie ihn aus, den kann man nicht essen, was Sie aber natürlich auch schon gewußt haben. Na ja, sicher nicht durch mich, durch mich können Sie gar nichts erkennen, das ist, da ich ja erfahrungslos und beinahe zur Gänze meinungslos bin, aber auch zur Beschreibung unfähig, also das ist, als ob man, ich, um diesen blinden Fleck herum mit dem Bleistift oder dem Kuli — oder was man halt zur Hand hat — etwas ausmale, das ich mir selbst nicht ausmalen kann, denn ich habe keinen Begriff davon. Also muß ich möglichst viele Begriffe verwenden, nur um das Blinde (beim Psychiater: seine hellen Töchter) in der Mitte zum Vorschein zu bringen, das dann im Theater viele sehen können, weil es dort zum Scheinen gebracht wird, der Schein scheint dort, bitte nicht mit der lieben Sonne verwechseln!, aber auch an jedem andren Ort, nur ich kann es nicht, ich kann es nicht sehen, nein, auch den Schein nicht, da ist einfach irgendwas hell und aus. Ich bin ja schon ein Parasit der Wirklichkeit, aber einer, der der Wirklichkeit nicht weh tut, denn ich lebe, da ich nicht außer mir geraten kann, nur in mir, und das ist wenig, weil ich eben nichts um mich herum habe, von dem ich zehren oder wenigstens für andre ein Jausenpaket herrichten könnte. Und doch muß ich irgendwie Fleisch an der Wirklichkeit festklopfen, nein, eigentlich ist es ja eher ein Töpfervorgang (auch über einen Töpfer habe ich schon geschrieben, ohne zu wissen, was er wirklich macht, ich habe nur seine Produkte gesehen, und auch die nur auf Fotos, denn das Eigentliche kommt nicht an mich heran, das werde ich nicht zulassen, und das Eigentliche würde mich nie zulassen), in der Mitte ist es hohl, aber drum herum wird ein Naturprodukt auf eine Scheibe gelegt, die sich schnell dreht; wäre die Erde eine Scheibe, dann wär sies genau, dann wär sie das, aber schon eine Kugel, auf der wir leben, ist für mich unbegreiflich, obwohl da nun wirklich jeder drauf steht. Egal, etwas dreht sich, und die Wirklichkeit spritzt nach außen hin weg, und das ist genau das, was sein soll; nein, das stimmt überhaupt nicht, merke ich, leider wie immer erst beim Schreiben, denn in meinem Hinknallen des Tonpatzens (des Tonklopses) auf die Scheibe formt sich etwas um das Hohle in der Mitte herum, ohne das es aber das Produkt: das Gefäß nicht gäbe. Na, ich weiß nicht, ich sollte nicht Vergleiche mit etwas ziehen, das ich nicht kenne. Aber ich kenne ja nichts. Da dürfte ich ja nie was vergleichen! Ich taumle da herum, nicht einmal die Disziplin, etwas sich auf einer Scheibe formen zu lassen, mit winzigen Eingriffen und Einkniffen meiner Hand, habe ich.

Soll ich versuchen, endlich etwas von diesem parasitären Schaffen zu erfassen? Es wird mir nicht gelingen. Ich versuche, mich als (nicht am!) Drumherum, das bei mir schon alles ist, abzuarbeiten, ich erkenne nicht, daß es Vorhandenes gibt, weil ich mich ja kaum je hineinbegebe, aber etwas in mir hat mir für etwas anderes, das mir (als diese Quellen, die ich mit dem Mund nicht erwische, als Fußspuren Verstorbener, die längst vermodert sind, als Fetzen der Geschichte, als Halden von Kleidungsstücken, deren Besitzer vernichtet worden sind, und nur ihre Kleidung, ihre Brillen, ihre Schuhe, ja, auch Kinderschuhe, denen keiner entwachsen wird, sind noch da) als Vorhandenes gezeigt worden ist, auch als Naturkatastrophe, als Unfall, als Unglück, als geschichtliche Tragödie, als Wasser und Erde, die Elemente, die kennt nun wirklich jeder!, dieses Etwas hat mir also die Augen geöffnet (die meist zu sind oder an einen Krimi oder eine DVD geheftet, schläfrig, wie in einem Aerosol-Nebel existierend, aus dem sich Gebilde herausschälen, für die ich nicht gebildet genug bin, sie zu deuten, ich versuche eben, sie deutlicher zu machen, damit ich selbst sie verstehe), ja, das ist es vielleicht, ein Augenöffnungsvorgang, durch Nebel und Verpuffungen hindurch, so daß ich dieses Vorhandene, an das ich mich klammere, es ist eh so wenig, je schon, seit immer schon, entdeckt habe, weil ich irgendwann einmal eine Verpackung aufgerissen habe, und darunter war es dann, ich habe selbst gestaunt. Einen schwierigeren Vorgang, als den Abreißfaden zur Wirklichkeit zu betätigen, die Fäden an den vielen Paketen Wirklichkeit, die der Parasitärdramatikerin ins Haus geliefert werden, weil sie sie von außen ja nicht anschauen gehen kann, nur von innen, aber auch als Innen kann sie es nicht erkennen, hätte ich gar nicht geschafft. Packungen aufreißen — mehr kann ich nicht. Mich gibt es nur, indem ich Vorhandenes entdecke, das aber immer schon sehr viele andere auch entdecken und entdeckt haben. Bei Heidegger lese ich, natürlich zufällig, denn alles, was ich lese, ist zufällig und bedeutet erst was, wenn ich es mir aneigne: "Auch das Dasein, das während der ganzen Dauer seiner Existenz nie eine sogenannte 'Entdeckung' macht, ist ent-deckend, sofern es sich bei Vorhandenem aufhält." Ja, das ist gut. So hätte ich es natürlich nicht sagen können. Aber anders, indem ich es genauso gesagt hätte. Es gibt einen Film über die Liquidierung Osama bin Ladens, den die Navy Seals in Abbottabad,  Pakistan, gedreht haben, sie haben sich selbst gedreht, während sie den Islamisten-Anführer und einige seiner Leute erschossen haben, und aus diesem Film fehlen zwanzig Minuten. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt fehlen (wahrscheinlich nicht, irgendeine Helmkamera eines Elitesoldaten hat sie sicher aufgenommen) oder ob sie bloß nicht existieren, weil sie uns nicht gezeigt werden. Und auch die Runde im Schockraum des Weißen Hauses, mit Obama, Hillary und den anderen, haben diese zwanzig Minuten (noch) nicht gesehen, vielleicht aber doch, wie gesagt, ich bin auf Berichte angewiesen, und das hat mir halt noch niemand berichtet, obwohl ich pausenlos Zeitungen und das Netz danach durchforste, jetzt kann man ja guten Gewissens durchforsten sagen, weil man keine Wälder mehr braucht, um sich zu informieren. Ich kann mich als Parasit also derzeit nicht an etwas heften, das die andren ebenfalls noch nicht kennen. Ich warte. Ich kann ja nur an dem schmarotzen, das alle schon kennen, und zwar, weil ich die Einzige bin, die aus der eigenen Anschauung nichts kennt. Da bleibt mir leider nichts andres übrig, als Parasit zu sein. Das ist die traurige Wahrheit. Aber wahr ist es trotzdem. Wer soll was schauen? Wer kann was anschauen?, würde ich über mich sagen. Wie heißt es in den Seligpreisungen? Selig sind die, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen. Wenn sie sich trauen. Und auch an diese Seligpreisung bin ich nur erinnert worden (und stopfe sie mir sofort ins Maul und spucke sie hier hin), weil in der Morgenandacht im Radio zufällig (nein, nicht zufällig, sondern weil ich es hier gebraucht habe, dennoch zufällig, ich wollte es ja gar nicht hören, es hätte auch von etwas ganz anderem die Rede sein können, dann hätte ich, der Parasit, halt genau das gebraucht) davon gesprochen worden ist, da wird schließlich immer von Gott gesprochen, egal von welchem, sie wechseln sich ab, und dann folgt stets das Eigentliche, die Frühnachrichten, auf die ich schon warte, ob ich was davon brauchen kann, na, wer das gemacht hat, was auch immer, der tobt jetzt vor Wut, daß es ausgerechnet einem Parasiten, mir, in die Hände gefallen ist, obwohl jeder, der wollte, aber auch jeder andre, der aufgedreht hatte, es hören konnte. Gott. Das ist offenbar das Größte, was man schauen kann, das steht in der Offenbarung und auch in vielen anderen Quellen, denen sich mein Mund verzweifelt schnappend nähert, ohne wenigstens einen Schluck davon zu erwischen, aber man kann es, also das, was Er ist oder Es ist, eben nicht anschauen (oder in einer nebligen Ferne, in die, im Gegensatz zu dem, worüber ich schreibe und das immer ALLE kennen müssen  — sonst verstehen sie es nicht, und der arme kleine Parasit beißt dann ins Leere —, niemand je hineingeschaut hat, es ist einfach zu weit für unsere Verkehrsmittel; doch wer in diese Ferne gesehen hat, dem geht nichts mehr nahe, was geschrieben steht, und dort, wo Der oder Das ist, bleibt ohnedies nichts mehr stehen, kein Stein auf dem anderen), ja, Gott ist natürlich der größte blinde Fleck, weil es ihn nicht gibt. Das ist sehr praktisch, denn dadurch kann man ihn für wirklich alles verwenden, ein Joker, und er kann durch alles Beliebige und Beliebte ersetzt werden, Coca durch Pepsi, Filterkaffee durch Espresso. Es ist auch jede Menge Gefälschtes im Umlauf. Da ihn so viele kennen, eigentlich alle (aber nicht alle meinen denselben und dasselbe, wenn sie ihn aus- oder ansprechen), wagt sich natürlich jede Menge Parasiten an ihn ran. (Natürlich kennt man ihn unter seinen verschiedenen Alias-Namen, aber wer ist wer, wer ist welcher, welcher paßt auf wen?  Wer hat sich welchen ausgesucht, so wie ich mir aussuche, was ich brauchen kann? Vielleicht wird umgekehrt ein Kinderschuh draus, der darf ja ruhig klein sein?) Das habe ich ohnedies nicht vor, so ein Stück zu schreiben, denn bei diesem Herrn ist jeder, der sich ihm nur nähert, schon ein Parasit und will ihn aussaugen, jeder will was von ihm, und wie soll ich mich da von den andren absetzen, um den Absatz meiner Werke zu erhöhen? Nein, benennen kann ich es auch nicht, was ich meine. Das werfen Sie mir zurecht vor. Ich kann auch nicht benennen, was ich sagen will, denn die meiste Zeit weiß ich ja gar nicht, was ich sagen will. Ich hänge da in der Luft. Erst wenn ich es schreibe, merke ich es. Das ist echt parasitär! Hängt mich höher! Aber woran hab ich mich da schon wieder geheftet? Mit den Augen fleißig an die Liebe? Oder heftet die Lieb' auch selber fleißig? Nicht doch! Doch! Dann nehme ich mir den Wirt vor, die Wirtspflanze, und klammere mich dran fest, so, fertig das Parasitenwerk, kaputt die Eiche, jetzt muß ich das nur noch aufschreiben, und dann können wir, mein Wirt, den Sie durch mich gleich deutlicher erkennen werden, und ich selbst, nett gemeinsam auftreten, ich mit meinem Parasitärdrama in meiner zitternden Hand, er, der hinkende Wirt, mit mir an der Hand, denn ich fürchte mich ja immer, nur allein fürchte ich mich nicht, allerdings fürchte ich mich ganz besonders, daß sie mir draufkommen, keine Ahnung, auf was: so viele Worte nur aus Angst, daß sie mir draufkommen, und ich habe noch nicht mal eine Ahnung, worauf. Auf was sie mir draufkommen sollen. Das ist es. Da versagt auch der gierigste Parasit, der eifrigste Schmarotzer, wenn er nicht weiß, was er da frißt, aber er kann nichts andres fressen, sondern nur das, was da ist, weil er grade das gefunden hat. Ich kann auch nicht drum herumgehen, es ist zu groß, zu weit, zu schwierig, zu weit draußen, und alles, was draußen ist, ist mir unzugänglich, aber was trauere ich darum?! Gott selbst ist ja auch absolut unzugänglich, im Gegenteil, wir müssen zu ihm, und was dann passiert, wenn wir sehen, daß da: nichts ist! Überraschung!, genau das möchte ich mir anschauen. Ich möchte mir anschauen können, daß da nichts ist, wo wir alles erwarten dürfen. Ich werde damit dann schon sehr vertraut sein, weil ich ja nichts tue und nichts machen kann und auch nichts dagegen machen kann. Gar nichts. Das ist sehr viel, aber es bedeutet nichts. Der Wirt wird sagen, wo ein Tisch freigeworden ist, ich warte geduldig, daß mir etwas zugewiesen wird, aber das kleckere und sabbere ich dann total voll, bis kein freies Fleckchen mehr übrig ist. Der Wirt bedauert schon, daß er mich überhaupt reingelassen hat. Dann fresse ich wie das Schwein von vorhin, und sogar das, was mir aus dem Mund fällt, wird noch aufgehoben und weiter gefressen, so machen Parasiten das. Sie nehmen, was sie kriegen können, das heißt, sie nehmen alles, was da ist, und nur deshalb können sie es nehmen, weil es da ist, weil es ihnen jemand vorgesetzt hat. Aber sie hatten schon vorher den Vorsatz, es zu mißbrauchen und zu mißdeuten. Machen Sie was dagegen! Es gibt sicher was gegen Parasiten, es gibt gegen alles etwas, aber das wird nichts ändern, weil Sie mich nicht mehr ändern können. Und wenn Sie es hätten können, wäre ich Ihnen sehr dankbar gewesen.


 

12.5.2011

 


Das Parasitärdrama © 2011 Elfriede Jelinek

 

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com