Brief an Florentina Pakosta

Liebe Florentina Pakosta! Danke für den letzten Katalog! Mich interessieren besonders die trikoloren Bilder sehr. Sie, Florentina, sagen, daß Sie sie aus der politischen Erfahrung der letzten Jahre heraus gemalt haben. Ich kann das nachvollziehen. Die Zeichen, welche die Politik uns sendet, scheinen stabil wie Ihre dorthin gemalten Balken, scharf abgegrenzt; man hat gelernt, sie zu lesen, in den Zeitungen, im Fernsehen, aber nicht in der Kunst. Denn dort will man, kommt mir vor, daß eine Art schöpferischer Willkür herrschen soll. Ich lese also ein beliebiges dieser scheinbar leicht lesbaren Bilder, doch je mehr ich versuche, auf etwas zu schließen, das es "bedeuten" könnte, umso mehr entzieht es sich mir. Es scheint ein System dahinter zu stehen, das tautologisch ist, sich selbst bedeutet und sonst nichts; aber je öfter es nicht mehr ist als es ist, umso öfter kann es auch alles andere sein oder, im andren Extrem, vollständig verschwinden. Das Bild ist dann da, aber es ist, und zwar im guten Sinn, "nichts dahinter", weil alles hineingepackt worden ist. Nur kann man es eben nicht fassen. Vielleicht besteht der Trick dieses Dahinter Verschwindens darin, daß der ganze Bedeutungsvorrat, der uns zur Verfügung steht, schon aufgebraucht ist.

 

1989/1, 1989, Öl auf Leinwand, 150 x 150 cm

Eine Erinnerung an ihn mag ja noch da sein, aber da wir über alles verfügen können, bleibt uns: nichts. Aber nicht deshalb, weil nie etwas da war, sondern weil es halt irgendwann einmal verbraucht worden ist. Diese trikoloren Bilder scheinen mir also aus einem Speicher zu kommen, der leer ist, von dem man aber weiß, daß er einmal voll gewesen ist, weil er die Erinnerung daran, nein, nicht trägt, sondern: bedeutet. Das was dahinter ist, das ist es, auch wenn das nichts ist, aber nicht im Sinn von nichts, sondern von etwas, das war. Besser kann ich es nicht sagen, tut mir leid. Es kommt eine Erinnerung, jede Erinnerung, die Erinnerung jedes Betrachters dieser Bilder, komm t einfach daher und will eins der Bilder verschlingen und sich an dessen Stelle setzen, ein beim Betrachten von Kunst doch sehr üblicher Vorgang; doch hoppla, im Einsaugen des Gemalten merkt die Erinnerung, daß sie, obwohl noch viel Platz in ihr wäre, gleichzeitig voll ist von Bedeutungen, die durch die scheinbare Leere dieser vollgemalten Bilder immer wieder gelöscht werden. Ein Nichts, das ein andres durchdringt, obwohl das ja nicht geht. Das sind starke, dreifarbige, heftig konturierte Bilder, die sich in einen hineinbohren können, jedoch der Betrachter muß, im Hineinschauen, die Flüchtigkeit seines eigenen Gedächtnisses, das alles an diesen Bildern und auch wieder nichts kennt, weil er auf nichts in seinem Reservoir dafür zurückgreifen kann, zur Kenntnis nehmen, ob er will oder nicht, und er muß die Bilder wieder vergessen, nicht in dem Sinn, daß sie in ihm verschwinden, die Bilder, sondern in dem Sinn, daß sie dem Verschwinden persönlich begegnen und sich gerade daraus wieder konstituieren, indem sie vom Verschwinden von etwas, das ist wie alles, das man zu kennen scheint, unaufhörlich bedroht sind. Also: eine reiche Welt, aber sie gehört uns nicht, was uns erst klar wird, wenn wir sie uns einverleiben wollen.


Brief an Florentina Pakosta © 1998 Elfriede Jelinek

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