Schweigen
der Attentäter
Warum
entlastet Jörg Haider die "Bajuwarische Befreiungsarmee"
vom vierfachen Roma-Mord?
Die vier
Männer, die am 4. Februar kurz nach 23 Uhr zum Kontrollgang durch
ihre Siedlung aufgebrochen waren, weil sie verdächtigen Lärm
gehört hatten, konnten schlecht lesen. Vielleicht ließen sie
auch deshalb nicht die Finger von jenem schwarz gespritzten, mit einem
Wasserleitungsrohr auf eine Gipsplatte montierten Metallschild mit der
Aufschrift "Roma zurück nach Indien". Gegen 23.45 Uhr hörten
die Bewohner der Oberwarter Roma-Siedlung einen dumpfen Knall. Erwin und
Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon waren Sofort tot, als
die Sprengladung detonierte.

Foto:
PROFIL
Zu dem vierfachen
Mord wollte sich die "Bajuwarische Befreiungsarmee" (BBA) nicht
bekennen. Keine Silbe haben die Terroristen, die in ihren Briefen sonst
noch jedes ihrer Attentate ausführlich kommentierten, zu der heimtückischen
Sprengfalle von Oberwart geschrieben. War irgend etwas schiefgelaufen,
hatte man nicht mit Toten gerechnet, wurde die Sprengkraft der Bombe unterschätzt?
Der vierfache Mord paßte nicht ins bisherige Konzept der Terroristen:
Die Briefbomben der ersten Serie vom Dezember 1993 waren nicht tödlich.
Die Klagenfurter Sprengbombe vom August 1994 war zur Ferienzeit vor einer
Schule hinterlegt warden, und die vier Briefbomben vom darauffolgenden
Oktober hatten die Terroristen aller Wahrscheinlichkeit nach als Blindgänger
konzipiert. Als nicht tödlich erwiesen sich auch die letzten drei
Briefbomben vom vergangenen Juni.
Selbst in ihrem jüngsten, 28seitigen Schreiben breitete die BBA über
das Blutbad von Oberwart den Mantel des Schweigens, wohl in der Hoffnung,
irgendwann würde sich für den heimtückischen Anschlag,
der tiefe Betroffenheit in der Republik ausgelöst hatte, eine andere
Erklärung finden.
Niemand anderer als Jörg Haider begann die Geschichte von Oberwart
umzuschreiben: "Wer sagt, daß es da nicht um einen Konflikt
bei einem Waffengeschäft, einem Autoschieber-Deal oder um Drogen
gegangen ist?" spekulierte der F-Obmann schon vor drei Wochen in
seinem Parteiblatt "Kärntner Nachrichten". Die Provokation
war perfekt: Haiders Aussagen wurden von Regierungsparteien und Opposition
einhellig verurteilt.
Haider dachte laut nach: Merkwürdig sei es doch immerhin, daß
die vier Roma mitten in der Nacht plötzlich ohne Grund das Wirtshaus
verlassen hätten. Vielleicht habe man jemanden treffen wollen? Vergangene
Woche wiederholte der F-Obmann seine Version im "Standard" unter
Berufung auf "wesentliche Kräfte der Staatspolizei".
Tatsächlich geistert Haiders Theorie schon seit einigen Monaten durch
die Briefbomben-Sonderkommission. Seltsam ist bloß: Jeder kennt
die Theorie, aber niemand weiß, woher sie eigentlich stammt und
auf welchen Fakten sie angeblich beruhen soll. Dafür wird das Gerücht
bar aller Indizien seit längerem an Journalisten weitererzählt.
Erst vergangene Woche, da hatten einige Zeitungen die Version schon breitgetreten,
nahm das Innenministerium offiziell Stellung und wies Haiders Behauptungen
zurück.
Fest steht: Die "Bajuwarische Befreiungsarmee" ist auch für
das Attentat von Oberwart verantwortlich. Haiders Theorie von der Roma-Fehde
steht zu allen bekannten Tatsachen im Widerspruch. Richtig ist an Haiders
Behauptungen im Kern bloß, daß einige der in Oberwart lebenden
Roma verschiedener krimineller Aktivitäten verdächtigt werden.
Der F-Obmann unterschlägt das Faktum, daß 35 Stunden nach dem
Anschlag von Oberwart auch in der wenige Kilometer entfernten burgenländisch
kroatischen Gemeinde Stinatz eine Bombe detonierte, die offenbar fast
zeitgleich mit der Oberwarter Sprengfalle hinterlegt worden war. Der Sprengsatz
war als umherstehende Spraydose getarnt und zerfetzte einem Mitarbeiter
der Müllabfuhr die Hand.
In einem kurz vor dem Attentat gefundenen Bekennerschreiben übernahm
der BBA-Kampftrupp "Friedrich II. der Streitbare, Herzog von Österreich,
Steiermark und Vierburgenland" die Verantwortung. Der Kernsatz des
Schreibens, gerichtet an die burgenländischen Kroaten, lautete: "Clans
der Schifkowits, Grandits, Stoisits, Resetarits und Janisch: Zurück
nach Dalmatien." Jenes Metallschild, das die Roma von Oberwart in
die Sprengfalle lockte, trug die analoge Aufschrift: "Roma zurück
nach Indien". Damit ist jedenfalls der Zusammenhang zwischen den
beiden Anschlägen bewiesen: Die Stinatzer Bombe war aber nicht für
Roma, sondern eben für die burgenländischen Kroaten bestimmt.

Haider verschweigt auch, daß parallel zur Hinterlegung der Oberwarter
und Stinatzer Bombe ein neunseitiges Schreiben der BBA an die Rechtsanwälte
der Briefbomben-Angeklagten Peter Binder und Franz Radl sowie an den ÖVP-Politiker
Michael Graff geschickt wurde, in dem die Terroristen die Verantwortung
für die erste Briefbombenserie, den Klagenfurter Rohrbombenanschlag
vom August und für die zweite Briefbombenserie vom Oktober 1994 übernehmen.
Die Authentizität dieses Schreibens gilt als gesichert. Nach dem
gleichen Muster gingen die Terroristen auch bei ihren früheren Attentaten
vor: Zeitgleich mit der Versendung der vier Briefbomben Anfang Oktober
1994 schickten sie das Bekennerschreiben zum Klagenfurter Anschlag vom
August und zur ersten Briefbombenserie ab.
Haider erwähnt nicht, daß sich die BBA bisher zwar nicht zum
Oberwarteranschlag bekannt, ihre Verantwortung für den vierfachen
Mord aber auch in keiner Weise abgestritten hat.
Schließlich bestehen bestimmte, hochsignifikante Ähnlichkeiten
in der Konstruktion der Oberwarter Rohrbombe mit jener von Klagenfurt.
Aber warum will Jörg Haider die BBA im Fall Oberwart entlasten? Aus
welchen trüben Quellen Stammt die Theorie, daß der vierfache
Roma-Mord vielleicht doch nichts mit den übrigen Briefbomben- und
Rohrbombenanschlägen zu tun habe? Und wer flüstert Journalisten
seit rund drei Monaten eine haltlose Theorie ohne jegliches Fundament
ein?
Schon nach der ersten Briefbombenserie vom Dezember 1993 hatte die FPÖ
eine eigentÜmliche Hypothese zu den möglichen Hintergründen
der Anschläge vertreten: Man vermute eine "Verstrickung ausländischer
Geheimdienste", ließ etwa der damalige FPÖ-Generalsekretär
Herbert Scheibner wissen.
Schon wenige Tage nach den Anschlägen wurde eine Hypothese lanciert,
die Haider dann in einem Profil-Interview kurz nach Oberwart nochmals
aufwärmte: die Zusammenenarbeit von Rechtsextremisten mit Nachrichtendiensten
aus dem ehemaligen Jugoslawien. Scheinbar gestützt wurde die These
durch das Faktum, daß die Opfer der ersten Briefbombenserie - Von
Wiens Burgermeister Helmut Zilk über die "Fremde Heimat"-Moderatorin
Silvana Meixner bis zu dem Artikel-VII-Vereinsobmann Wolfgang Gombocz
- gegen serbische Interessen tätig gewesen seien.
In bemerkenswertem Gleichklang mit der Meinungsbildung in der FPÖ
belieferte nach der ersten Briefbombenserie der Geheimdienst des Österreichischen
Bundesheers, das Heeresnachrichtenamt (HNaA), die ermittelnde Staatspolizei
mit Hinweisen auf mögliche Täter aus dem ehemaligen Jugoslawien.
Bruchstücke aus der Fernmeldeaufklärung am Balkan sollten damals
die Verstrickung eines serbischen Nachrichtendienstes in die österreichischen
Briefbombenattentate beweisen.
Heraus kam nichts, außer daß einige ranghohe Staatspolizisten
bis heute der Theorie einer "Destabilisierung" durch exjugoslawische
Geheimdienste anhängen.
Aber woher bezog die F-Bewegung immer wieder ihre Informationen und Theorien
zu den Briefbomben-Anschlägen? Besteht eine direkte Achse zwischen
Haider und dem militärischen Geheimdienst der Republik?
Haiders Mann für die Sicherheitspolitik Wolfgang Jung, ist im Hauptberuf
Brigadier und stellvertretender Leiter der Auswertungsabteilung im HNaA.
Ober den Schreibtisch des ranghohen Offiziers wandern die heikelsten Verschlußsachen
der Republik. Eine in westlichen Demokratien einzigartige Personalunion.
Für die F-Bewegung leitet er zur Zeit einen sicherheitspolitischen
Arbeitskreis, der unter anderem die Zusammenlegung von Innen- und Verteidigungsministerium
konzipieren soll. Schon Wochen bevor Haider mit seinen Roma-Ideen an die
Öffentlichkeit ging, vertrat der Geheimdienstoffizier die gleiche
Theorie.
Profil
(Wien), Nr. 34, 21.8.1995
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