Meine gute TextwurstIm Theater wird etwas aus der Wirklichkeit herausgerissen, das man dort nicht sein lassen konnte. Ich schreibe ja Stücke, weil ich es nicht sein lassen kann und auch das nicht, worüber ich schreibe. Was verborgen bleiben will, wird herausgefetzt, manchmal blutet es noch. Ich schöpfe das, was ich sehe, in mein sehr kleines Maß und werfe es dann in die Zeit, in der Menschen im Theater sitzen. Zwei Zeiten werden aufeinander geschmissen, die, die auf der Bühne abgeht (und niemandem abgeht, es wäre auch in Ordnung, wenn das alles nicht stattfände), und die im Zuschauerraum. Anläßlich der Geburtstagsfeiern des Burgtheaters hat ein Billeteur versucht, auf die Situation der outgesourcten Mitarbeiter, wie er einer ist, hinzuweisen. Ein Krake, Dienstleistungs-Multi, der, unter all dem, was er sonst noch zu tun hat, auch Programmhefte im Theater verteilen läßt, so wie er gleichzeitig, aber auch zu andrer Zeit, Bootsflüchtlinge und Asylanten bewacht, wurde mit dieser Aufgabe betraut. Der Mann durfte sich nicht aussprechen, weil die Zeit der Veranstaltung zu weit fortgeschritten war. Ich kann hier auch nicht für ihn sprechen, ich müßte ihn schon selbst sprechen lassen. Dafür spricht in den Foren jeder von ihm und kaum einer von der Veranstaltung. Das hätte ich ihnen gleich sagen können. Aber sie sitzen doch im selben Boot, das Theater und sein kleinster Mitarbeiter. Eine Schauspielerin hat daraufhin von ihrem schlimmsten Alptraum gesprochen: Sie wolle auftreten, das gehe aber nicht, weil da schon ein andrer stehe. Ich bin der Igel dazu: Ich bin je schon da! Schon vor dem, was davor war. Ich war lange nicht mehr im Theater, aber das kenne ich, daß da zwei beisammen sind, das Publikum und oben auf der Bühne die Schauspielerinnen und Schauspieler, aber irgendwie nicht zur selben Zeit. Sie sind im selben Boot, im selben Raum, aber irgendwie geht es sich nicht aus. Die Aufführung entgleist, weil beide, die Spielenden wie die Zuschauenden, es nicht im selben Boot aushalten können, und man weiß nicht, warum: mein Alptraum! Ich habe solche Aufführungen meiner Stücke schon erlebt. Es driftet alles auseinander. Die Flüchtlinge, die von ihren schwindligen Booten kommen, gerade erst frisch gerettet, sie werden bewacht, von demselben Riesenkraken, der auch die Programmhefte austeilen läßt. Zur gleichen Zeit. Aber die einen bleiben die einen, die andren die andren, und die Zeitscheiben, in denen sie sich aufhalten, Preßwurstscheiben, in denen man die Reste von Schweinsfüßen, Knorpelmasse, Schwarten sehen kann, rollen aneinander vorbei, jede woandershin. Das ist wie gesagt der Alptraum der Autorin. Sie zerrt etwas Widerstrebendes (auch Dinge, die gern mitgehen wollen, aber schaut man sie dann genauer an, merkt man, sie hätten lieber bleiben sollen, wo sie waren) aus dem Dunkel, das oft gar keins ist. Hätte die Autorin nur auf dieses Widerstreben gehört! Wir hätten alle zu Hause bleiben und fernsehen können.
Ich weiß auch nicht. Ich habe, im Gegensatz zu anderen, zuviel Freiheit, mir zu nehmen, was ich will, und es dann zu zeigen, da schon wieder nicht mehr: wem ich will. Jeder kann kommen. Und genau das passiert auch. Ich versuche, mich einzulassen, und dann ist es nur eine Scheibe Preßwurst in etwas sehr durchsichtigem Aspik, in die ich mich eingelassen habe. Ich versuche, der Ungerechtigkeit meiner Zeit in meinen Stücken gerecht zu werden, und dann ist es wurst. So eine Gemeinheit! Jetzt bin ich aber beleidigt! Das alles, was ich mir im Hinblick auf die Wahrheit ausgemalt und ausgedacht habe, die in diesem Moment jedoch leider nicht auf mich geblickt hat, und so wurde sie eben das, was ich mir als die Wahrheit vorgestellt hatte, das Zeugs, das ich erzeugt habe, keine Personen, keine Figuren, denn die muß in meinen Stücken ein Regisseur, eine Regisseurin mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erst erarbeiten, aus der Textwurst herausschneiden und auf der Bühne zeigen, auch das, was meine eigene Freiheit war, es aufzuschreiben, also das alles muß jetzt ans Licht von ein paar Lampen, ja, auch ans Licht der Öffentlichkeit, wie man so sagt, unbedingt!, auf diesen Moment hat es hingearbeitet! Es hat zwar keiner drauf gewartet, aber alles muß raus. Blutige Fetzen ihrer Freiheit müssen von den Akteuren und Aktiven dort hingeworfen werden, die sie aber auch von mir bekommen haben, jedes Fitzel Freiheit, das nicht ihre, aber meine Freiheit war. Freiheit nicht als bloße Beliebigkeit, dies oder jenes zu tun, also nicht absolute Ungebundenheit von allem, es ist das Tun- und Sagenkönnen im Bewußtsein, daß es auch etwas ganz anderes sein könnte, was sie tun und sagen. Das müssen sie in meinen Stücken mitdenken, darauf müssen sie sich einlassen, bevor der Einlaß in den Zuschauerraum beginnt. Zwei Freiheiten reiben sich pausenlos (in der Pause dürfen sich alle davon erholen) aneinander, in unterschiedlichen Tempi, es knirscht dabei ganz ordentlich, meine Schuld, tut mir leid!, nichts paßt zusammen. Die eine Freiheit paßt nicht auf die andre, die eine Zeit nicht auf die andre. Und das Gewinde seh ich nicht, den Mechanismus versteh ich nicht. Das ist der Preis, daß sie überhaupt vorkommen dürfen, die Darstellerinnen und Darsteller, die für ein paar Stunden nicht sie selber sind, nicht ganz bei sich, was ich auch die meiste Zeit nicht bin. Sie werden in dem, aus dem sie herausgerissen wurden, wieder ausgesetzt, nur ohne Boot, nur als sie selber. Das ist ein großes Wagnis. Ich könnte es nicht. Deshalb danke ich sehr für diesen Preis, und ich danke meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf der Bühne, die auch ihren Preis dafür bezahlt haben, daß sie ein Stück Leben für mich hergegeben haben. Sie alle haben das Stück mit mir geschrieben, daher gebührt ihnen auch ein Teil von meinem Preis. Ich muß erst schauen, ob ich mir von dem eine Scheibe abschneiden kann.
Dankesrede zur Verleihung des Nestroy Autorenpreises 2013, gehalten am 4.11.2013 9.11.2013
Fotos: Burgtheater (1,2) aus "Schatten", APA/ORF (3) aus der Nestroy-Verleihung
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