Neid

Privatroman

Viertes Kapitel, b

 


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Die Kultur der Nachhaltigkeit, wenn man sie überhaupt Kultur nennen kann, besteht darin, einen Menschen vollständig in seinen Besitz zu bringen und dafür die Häuser wegzureißen, die man nicht mehr benötigt, was braucht man Häuser, man braucht nur den einen einzigen Menschen, um den es einem geht, dem man nachjagt, bei dem man ganz zu Hause ist, nur damit man dann die Häuser in die Luft sprengen und sich dann auf diesen Menschen draufsetzen darf, der blieb, als einziger, sich draufsetzen, damit der jetzt nicht auch noch wegrennen kann, denn er hat entweder nur eine Montagegrube mit einem Wackerstein als Tür, die gar keine Tür ist, oder er hat leere Wohnblocks, von allen guten Arbeitern verlassen, schon lange, und der Wind pfeift hindurch, gut, und dazwischen gibt es Millionen von Möglichkeiten, sein Heim schön zu gestalten und zu erhalten, auf die wir nicht eingehen können, sonst gehen wir selber ein, weil weder unser Heim, noch der Mensch, den wir uns als Einzigen erwählten, den Normen entspricht, die die Schönheit an uns und alle übrigen angelegt hat, eine RAL-Karte, eine Tralala-Karte, denn der Musikgeschmack muß schon mal stimmen, das ist das Erste, und es gilt zweitens für die meisten, daß der Besitz an Menschen der erstrebenswerteste ist, ja, das gilt für den Schnee, der gern weißer wäre, und für das Licht, das gern heller wäre, alles überstrahlt mich, während ich noch nachzudenken versuche, wie ich vielleicht noch einmal, wenn auch recht spät, sogar für mein Alter reichlich spät, die Aufnahmsprüfung, also ich meine die Eignungsprüfung, sozusagen eine zweite Reifeprüfung ablegen könnte, um endlich etwas gelernt zu haben (nicht einmal


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Theaterwissenschaft wollten sie mich studieren lassen, weil das angeblich zu schwierig für mich gewesen wäre!), das ist mir zu hoch, das ist auch Ihnen zu hoch, was auch immer, den Werksturm in der Erzstadt haben sie ja stehen gelassen, dort können Sie sich hinaufbegeben, aber auch auf den Donauturm, aufs Empire State Building, nein, auf die Twin Towers nicht mehr, es wird alles beschrieben, um es zu besitzen, was man schreibt, auch wenn man manche Menschen, die man beschreibt, nicht einmal im Traum besitzen möchte, die Schreibenden – sie können es sich nicht vorstellen, sie können halt nur darüber schreiben und dafür greifen sie manchmal reichlich hoch, über ihren Horizont hinaus, dabei stehen die teuersten Sachen im Supermarkt immer in Griffweite, sie sind nicht Bück- oder Streckware, der, Sie wissen inzwischen schon wer, der Herr P. hat also einen Menschen in seinen Besitz gebracht und sogleich, auf der Stelle (ja, hier paßt das: auf der Stelle!) zur Bückware degradiert, denn der fremde Mensch wurde in ein Loch im Keller, eine Montagegrube unter der Garage gesperrt (es wurde auch vom Besitzer des Kindes bestimmt, was zu sehen war, denn es sollte ja im Grunde nur er zu sehen sein! Der wird sich doch nicht Konkurrenz ins eigene Heim einladen, wo nur die Mama noch sein darf und einmal ordentlich saubermachen, was man sofort bemerkt hat, wenn man das Haus danach betrat, allerdings von innen, nicht von außen. Das ist nicht so schlimm, wir sehen es ja, und ich sehe auch alles, was ich weiß, nur im Fernsehn, und ich höre es im Radio oder von Ihnen, falls Sie mal kommen, aber tun Sie das nicht, belästigen Sie mich bitte nicht!), das ist also Liebe, staunt der Laie, ich


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staune auch, bin aber kein Laie, bitte, ich spreche keinesfalls nur von mir, deren Bücher nicht mehr gelesen werden sollen, worum ich ebenfalls herzlich bitte, leben Sie lieber!, ich lebe nicht gern, leben Sie bitte lieber!, ich spreche hier doch nur ganz allgemein darüber, was Liebe ist. Ich weiß es nicht, wie bereits ausführlich dargelegt. Ich sehe nur: So weit kann Liebe also gehen, sage ich zu mir selbst. Für mich ist Liebe einfach alles, was es gibt, ich fürchte nur, es gibt sie gar nicht. Stellen Sie sich vor, da steht also die Unbequemlichkeit eines Körpers und will nicht weichen, auch wenn alle Menschen, die ihn je kurz zur Untermiete bewohnten, bereits ausgezogen sind und die Mauern bereits stolz ihre Sprengköpfe tragen, diese Unbequemlichkeit, jederzeit in die Luft fliegen zu können, himmelhoch jauchzend oder vor Betrübnis oder Betrügnis (natürlich immer des anderen) zu Tode gekommen, was auch immer, ich kläre das alles in einem klärenden Gespräch, und erst daraus, aus Härte, Unbequemlichkeit, Dusche keine, erst oben im ersten Stock, unten nur Waschbecken – sowas trauen sie sich heute nicht mal für Ferien am Bauernhof anzubieten –, Luft– und Nahrungsmangel und dem hübschen kleinen Schminkset, das N. später, weil sie brav war, erlaubt wurde, glaube ich zumindest, nein, ich habs mit eigenen Augen im TV und in dreihundertfünfundzwanzig Zeitschriften gesehn, aus dieser Härte, aus diesem Mangel erschließt sich mir, Ihnen vielleicht nicht, aber mir, obwohl ich weiß, daß ich damit auf dem Holzweg bin, und das ist nicht der Weg, den ich vorhin so verzweifelt gesucht habe, erschließt sich mir also, auf dieser Lichtung geht mir ein Licht auf, erschließt sich mir die Liebe, und


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in diesen Gesichtspunkten des Ausschließlichen und Ausgeschlossenseins gibt sie uns uns selbst zurück, bevor wir noch merkten, daß wir uns überhaupt verloren hatten. Hier sind wir. So, von mir aus können Sie sie gern gratis dazu bekommen, sozusagen als Treuegabe, die Liebe, aber wer ist schon wem treu?, doch eine solche Gabe wollen wir immer, weil sie gratis ist, nur keinen Neid, jeder kriegt was, also, kurz gesagt, ich habe keine Ahnung von nichts, und ich lehne alles und jeden ab, keine Ahnung wen, einfach jeden!, ich habe so lang gewartet, und jetzt bin ich einmal dran, um gewartet zu werden, wenn auch nicht von einer Montagegrube aus, naja, wenn man mich schon wartet, dann von mir aus auch von unten, ich spreche aber auch, indem ich von mir spreche, was ich ja immer tue, von der kleinen Gefangenen, dieser  Gefangenen von, wie heißt das Kaff in Niederösterreich, muß ich nachschauen, Strasshof heißt es, nicht einmal den Ort hab ich mir vorhin gemerkt, obwohl ich ihn doch weiß, jetzt aber vergeß ich ihn nicht mehr, versprochen, und doch: Er ist außerhalb meiner Vorstellungskraft, dieser grauenhafte Ort, an dem man einfach nicht mehr zusammenrücken kann, weil sich alles auf einen Punkt zusammengezogen hat, davon wird noch grundsätzlich die Rede sein, ich weiß, ich bin hier leider zu grundsätzlich, statt frisch zu erzählen, frisch von der Leber weg, wie es von den meisten verlangt wird, einfach erzählen, wieso kann ich das nicht? Ich kann nichts und kenne nichts, ich kenne den Ort Strasshof auch nicht persönlich, obwohl er öfter im TV und in den news war, ich hätte hinfahren können und es mir anschauen, aber ich kann


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nirgendwo hinfahren, vielleicht sollte ich mich in Zukunft lieber der Gemeindepolitik, wirtschaftlichen und finanziellen Themen widmen? Nein, lieber nicht! Das lerne ich nie in meinem Alter! Und dorthin müßte ich nur zu Guckigoogle fahren oder zu Wicki und den Starken Männern, zu diesen Pädianern, nicht Pädophilen, um Himmels willen, nicht zu denen (obwohl die nicht ausgerechnet mir was antun würden!), zu den anderen, die alles wissen und es mir selbstlos schriftlich mitteilen. Wozu also selbst etwas wissen, da es doch alle bereits wissen? Oder? Fahre ich etwa schon und weiß es gar nicht? Ich suche derzeit in einem Park, aber keinem bestimmten, nach Themen, die ich mir leichter aneignen könnte als meine süße Sprache und die übrige Sprache der übriggebliebenen Menschen (es ist genau die gleiche wie meine! Also das müßte verboten werden!), die Entsetzliches erlebt haben, von dem sie dennoch so wunderbar zu sprechen verstehen, viel besser als ich, naja, ich bin nun wirklich kein Maßstab, und ich hab auch keinen, es ist ein Wunder, echt, es ist ein Wunder, Wunder sind nur selten echt, dieses aber schon, dafür garantiere ich mit meinem Namen, das ist mein Extra, mein Name, der ein Gütesiegel ist, obwohl ich niemals gütig oder gültig gewesen bin, es wäre ein Mißverständnis, sowas zu denken. Es wäre eine Erholung, etwas andres tun zu können, wenn ich es denn könnte, ich höre Sie schon von weitem applaudieren, lauter müssen Sie gar nicht werden, ich bin ja, wie immer, Ihrer Meinung, gebe es aber nicht zu. Zum Glück unterliegen nicht viele diesem Mißverstehen, daß ihr Name allein schon ein Gütesiegel wäre, obwohl sie das leicht glauben könnten, wenn sie im


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Drogeriemarkt mit dem Finger über die Produkte streifen, in denen allen dasselbe drin ist, wie die Verkäuferin mir erst gestern mitgeteilt hat, ja, sie hat dieses Wissen mit mir geteilt, das mir zuvor verschlossen war. Nur die Aufschriften sind verschieden, die Produkte sind völlig gleich. Denn nur mein eigener Name ist wirklich, was drauf steht, da bin ich drin, und der Name gehört schon mir, drängeln Sie nicht so, suchen Sie sich einen andren! Das Entsetzliche versteht niemand, obwohl viele glauben, sie verstünden es. Kommt drauf an, was man unter entsetzlich versteht. Ich verstehe darunter bereits die hautenge beigefarbene Hose der Frau von vorhin, Ecke Linzerstraße/Deutschordensstraße, die sie besser nie gekauft hätte, die Hose. Ich verstehe nichts. Das Entsetzen ist immer außerhalb jeder Griffweite und Vorstellung, für die meisten ist allerdings sogar das Griffbrett einer Gitarre außer Reichweite, doch nichts gerät aus meiner Richtweite, ich – der Richter! Der dort, wer auch immer, die Zeitung hat ihm seinen Platz zugewiesen, es nützt ihr aber nichts: Der ist kein Richter! Ich akzeptiere ihn nicht. Er maßt sich diese Stellung nur an, er hat sie von mir weder gekauft noch geborgt, er zählt nicht, er kann nichts umfassen mit seinen Händchen, der Schreiber, jeder Schreiber, denn er hat kein Händchen für was auch immer, er faßt es nicht, er erfaßt nichts, mit Schreiben erfaßt man nichts, das steht für mich fester denn je, aber am wenigsten das Entsetzen, von dem die meisten Menschen, zu ihrem Glück, ebenfalls keine Ahnung haben und auch nie eine bekommen. Aber wenigstens wollen sie davon nichts wissen und schon gar nicht drüber schreiben. Ich


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gratuliere. Das Grauen, bitte hierher, ein wenig nach links, ja, so ists gut! Und jetzt in die Kamera schauen! Jawohl, ich sehe, die ersten rennen vor dem Grauen schon davon, als wäre Goethe hinter ihnen her; diejenigen, von denen ich immer spreche, aber nicht sprechen will, hätten also jetzt die Chance und die Gelegenheit zu laufender aktiver Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen, ich stelle ihnen hier einen kleinen Raum, allerdings ohne Abortdeckelknopf aus Beton, diesem Abdeckerknopf, tonnenschwer, zum dran Ziehen, angebracht an einem dicken schweren Türpfropfen, zur Verfügung, damit sie es hier aufschreiben, wie sie es sich vorstellen, was auch immer, hier wäre es ungefährlich, hier wäre es besser als öffentlich, wo sie schweigen sollten, oder schwelgen, von mir aus auch Gourmetkritiken lesen und dann schwelgen, doch hier ist privat, kein Staat zu machen, und das steht auch ausdrücklich für die, die sich ausdrücken können, an der Tür gleich neben der Klotür, ich lade Sie hiermit zu einer laufenden und aktiven Beteiligung ein, selbstverständlich mit andren gesellschaftlichen Kräften zusammen, wir müssen doch zusammenhalten, ich lade Sie ein, bevor Sie weiterreden, mir hier, an dieser Stelle, etwas zu sagen, was derzeit nur Sie wissen, denn was ich zu sagen habe, weiß wiederum ich und habe ich schon dreihundertfünfundzwanzigmal gesagt, ich habe nur keinen Gegenstand, an dem ich es befestigen könnte, und wenn ich es an mir, der einzigen hier, die noch aufrecht stehen kann, befestige, fall ich auch noch um, ich lade Sie demnach ein, hier, an meiner Stelle, nein, nicht in der Zeitung, hier!, sehen Sie denn nicht, wo hier ist?, etwas zu sagen, um vorhandene Chancen, welche auch immer


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Sie für sich sehen, konsequent aufzufinden und zu nutzen, damit Sie ein Ventil für Ihr böses Blut haben, das keine andere als ich gemacht habe, und Ihnen jetzt heimlich zuschiebe, mit dem Fuß, rein in die Lacke, die schon stockt, und tatsächlich, ich fasse auch dies nicht, obwohl es bereits geronnen ist, obwohl sie geronnen ist, auch meine Moralinsäuerlichkeit schon geronnen ist, ich verstehe nur Bahnhof, wie gesagt, aber ich weiß es immerhin, daß Sie derzeit nichts sagen können und auf Ihren Pressesprecher verweisen, ich fürchte, der sind Sie dann selber, nur unter falschem Namen, Sie sprechen ja immer für sich und gleichzeitig für andre (gilt leider auch für mich, entschuldigen Sie bitte, da ist eine gewisse Ähnlichkeit zwischen uns, dem Kritiker und der Kritisierten in der Krise, die ich mit Lidschatten, Rouge und Lippenstift jedoch energisch bekämpfe!): Der Bahnhof ist dort drüben, das Klo ist versperrt (meins dafür nicht! Ätsch!), der Kartenschalter geschlossen, der Automat hin, die Züge auch schon weg, der letzte Zug abgefahren, der Bahnhofsvorstand längst nach Haus gegangen, keine Ahnung, was noch mit einem Bahnhof in Verbindung zu bringen wäre, behindertengerecht ist hier auch nichts, aber wer ist zu Behinderten schon gerecht? Diese ca. 50 cm hohe Stufe schon mal nicht, und ich sehe grade, wie da einer hinrennt und sich vor den Zug wirft, weil er vor acht Jahren bereits den Kopf wegen eines Mädchens verloren hat, er erfüllt hier nur seinen Lebenszweck bis zu Ende, um einer jungen Frau willen, die aber irgendeine hätte sein können, vielleicht aber auch nicht, wir werden es nie erfahren. Das Mädchen weiß es selbst nicht, wie es angibt, warum gerade dieses Mädchen? Wir


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treten ein, in eine Sprache, in eine Sache, und zwar, was kommt als nächstes?, egal, wir treten also ein in die differenzierte Priorität der Erhaltung ländlicher Wegenetze, meinetwegen, von mir aus auch dorthin, damit kann sich von mir aus jeder beschäftigen, der will, da habe ich persönlich gar nichts dagegen. Das kann man nachlesen und dann abschreiben, da kann man die Arbeit eines anderen einfließen lassen wie in eine Drainage, die mühselig gegraben, aber vom Wasser wie selbstverständlich genutzt wird, es geht mit ihm immer bergab, wie mit uns, warum sollte es auch Skrupel haben, das Wasser, es kommt ja grundsätzlich überallhin, bis auf den Grund, vorausgesetzt, der Grund ist unten, tief unten, etwa 2 m 34 cm tief unten, wir wollen nämlich, daß das meiste, das es gibt, unter uns stattfindet. Was suche ich also jenseits seines Horizonts, jenseits des Bodens des Wassers, den man nicht sieht, ja, und was sieht dieser andre Schreiber dort drüben auch? – Bin das etwa ich? Nein, das kann ich nicht sein, ich bin doch viel fescher, trotz meinem Alter, ich trotze meinem Alter, das können Sie an meinem Foto sehen, zumindest bis jetzt konnten Sies, lang wirds nicht mehr so weitergehen, zwei, drei Jährchen noch, wenns gutgeht, wenns mir hochkommt, nein, das auf dem Foto, das kann ich nicht sein!, aber da geht einer und geht und sucht und sucht, bitte, wonach, es ist doch schon alles, was man wissen muß, in der Zeitung gewesen, sogar das Sein selbst, das in jeder Sekunde ein Gewesenes ist, das eine Menge Gewese um sich macht, und das wars dann auch schon!, bitte, suchen Sie halt weiter!, diese Wege sind doch schön und so weit, daß sie zu Fuß in einer Woche nicht begangen werden


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könnten, was begehen Sie also so schreckliche Fehler, über andre Wege zu schreiben, die Sie auch nicht kennen, die Sie aber nicht betreten sollten, falls Sie sie finden, wenn Sie wissen, was gut für Sie ist. Diese Leute, also wirklich! Was machen die alle und alle auch noch dasselbe? Sie können von mir aus oder von mir aus auch nicht ins Kino gehen, ins Theater, in die Oper oder ins Kaffeehaus, alles Wege, die ich nicht mehr begehe, aber Sie können, also bitte, gehen Sie! Gehen Sie endlich, wenn Sie heute noch was Sinnvolles tun wollen, den ländlichen Raum für künftige Generationen erhalten, sich selbst für niemanden erhalten oder was weiß ich, was weiß ich. Auch nichts. Aber einen Vorteil habe ich: Nur was ich weiß und was ich nicht weiß, das zählt hier, an dieser Stelle, von der Sie sich zurecht voll Ekel abwenden. Sie, egal wer Sie sind, Sie zählen woanders, aber ich zähle hier Erbsen, nein, ich zähle immerhin bereits die Erbsenzähler, die Erbsen hat schon der arme Robert Walser gezählt, gewogen und für zu schwer befunden, weil leider Würmer drinnen waren, und diese wurmigen Erbsen aussortiert, da sie leider von ihren lieben Geschwistern getrennt werden mußten. Also ich, ich weiß einfach nicht, worüber ich etwas wissen könnte, zwischen mir und meinem Wissen hat es schon vor Jahren einen herzzerreißenden Abschied gegeben, zumindest rede ich mir das ein, sonst könnte ich überhaupt nicht mehr frei von der Leber weg reden, und ich sage wahr, ich meine nicht, daß ich wahrsage, wenn ich das könnte, würde ich ja mehr verdienen, als mir zusteht, und mit dem hier verdiene ich gar nichts. Und das Virus, das mich gestern unerwartet


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heimsuchte, das habe ich schon überhaupt nicht verdient. Ich persönlich verbinde nun mit diesem unangenehmen Virus der Liebe kein Wollen, daß der andre sei, wie er eben ist, sondern ein Wollen, daß der andre sei, aber so wie wir es wollen (Herr P. hat das sehr konsequent versucht, am lebenden Objekt, aber fragen können wir ihn nicht mehr, was für ein Triumphgefühl man dabei hat, wenn der andre sein muß, wie man selber will, nicht mehr, nicht weniger, und keinesfalls mehr als man selbst. Wenn N. einmal oder mehrmals darüber schreiben wird, wird sie das besser und genauer ausführen können als ich, was im Prinzip jeder könnte, aber sie wird es besonders schön machen), zu wünschen, zu wollen, zu verlangen, zu befehlen, also sowas kann man nur mit einem Kind machen, es so zurichten, es für sich zurichten wollen, ein Erwachsener müßte gleich getötet werden, der würde sonst dort unten in dem Verlies, wo sogar die Luftzufuhr gedrosselt werden konnte, mit einem selbstgebastelten Pracker, einem Stab (ich vielleicht mit einem Stabreim? Aua!) auf den Peiniger warten, sowas geht nur mit einem Kind, deswegen hat er sich ja eins geholt, der später mit Erfolg Geköpfte, zusammen mit einer Kopflosen, wie ich mich neuerdings nenne, aber ich werde nicht mehr lang genannt werden, keine Sorge, wie, ich soll verschwinden? Aber gern! Vielleicht tauche ich, falls ich es nicht verhindern kann, noch ein paarmal auf, aber wenns nach mir geht, überhaupt nicht mehr. Ich bin ganz zufrieden dort, wo ich bin, dort unten, wenn auch nicht in einem Erdloch, nein, auch nicht im Wasser, ich schwimme nicht, mich zieht es eher hinunter, hinab, keine Ahnung. Wer übernimmt jetzt? Sie? Cobra, übernehmen Sie! Aber dazu muß


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man erst mal ein Mann sein, wozu? Keine Ahnung! Aber jeder Mann ist besser, man müßte bloß einer sein und am besten nicht nur einer! – obwohl Frauen das jetzt auch machen, aber was kriegen die? – und sich in die Luft sprengen und seine eigenen Körperteile versprühen, dann kriegt er eine ganze Menge Jungfrauen für eine einzige Person, für sich selbst, mit denen wir Weintrauben im Paradies essen können oder kriegen wir die Weintrauben allein, weil die Jungfrauen Brillantohrringe wollen und sich derweil von einem Scheich für ein paar tausend Dollaros ficken lassen, Jungfrauen für $5000.– das Stück? Sollen die Trauben etwa uns essen?, nein, das kann nicht sein, und ich schweife immer nur ab, aber wieder nicht aus, ich habe meinen Pfad leider vollständig verloren, meine Taschenlampe auch, den Plan auch, egal welchen, ich habe nichts mehr und keinen Sinn, das ist ja immer mein Hauptproblem gewesen, ich weiß ja nicht einmal, wovon bei mir selbst die Rede ist, doch ich habe Preise dafür gewonnen, wenn auch wahrscheinlich nicht für meine Ausschweifungen, für die hätte ich nicht einmal eine Tupperwaredose gewinnen können. Also wenn ich das Badezimmer verfliesen möchte, wie das die arme kleine N. unter den sachkundigen Augen des damals noch nicht geköpften Ingenieurs (was hätte der uns allen noch erzählen können! Ein Jammer, daß der tot ist! Ich kann das nur immer wieder betonen, zum tausendsten Mal: ein Jammer! Damals hatte er noch seine scharfen Handwerkeraugen, und sie waren noch mit dem, was er für sein Gehirn hielt, verbunden!) tun mußte, und dem ist offenbar kein Sprung in der Schüssel, keine Unebenheit in der Glasur entgangen, der wußte, wie sowas ausschaut (was hat das


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mit Nachrichtentechnik zu tun? Das mit der Nachrichtentechnik und ihm war sowieso eine Legende), dann mußte das Mädchen es büßen, daß sein Meister einen Sprung in der Schüssel und die Fliese einen Sprung aus sich heraus hatte (wahrscheinlich wollte die auch wegrennen und hat sich dafür eine typische Lehrlings-Watsche gefangen!), aber ich, ich hole mir gleich einen Fachmann dafür, und wenn der was falsch macht, dann hole ich die Polizei und das Gericht und einen Herrn Anwalt oder eine andre Respektsperson, der man mehr glauben wird als mir. Aber warum sollte man mir denn glauben, da man dem armen gefangenen Kind auch nicht glaubt, so verallgemeinert will ich das nicht stehenlassen, aber viele glauben ihr nicht und sagen das auch, es ist unglaublich. Es ist vielleicht das Unglaublichste, was ich je gesehen oder selbst erlebt habe (null erlebt bisher, nicht einmal Party, aber das ist was, daran krall ich mich fest, auch wenn ich es nicht selbst erlebt habe, nochmal Glück gehabt, aber mich hätte man nicht mal gestohlen, auch wenn man mich nicht hätte kaufen können!), das muß ich registrieren, damit ich es nicht vergesse, das ist sehr wichtig, denn ich selbst erlebe ja nichts (auch wenn ich das ständig herunterleiere, ich habe seit dem letzten Mal, und das ist Jahre her, wirklich nichts erlebt, Ehrenwort!, das ist ein Rekord!), und sowas würde ich schon ums Verrecken nicht erleben, das Verrecken würde ich ums Verrecken nicht erleben wollen (bitte, andre würden vielleicht schon, vielleicht würde ein anderer es als ultimative Erfüllung der romantischen Liebe erleben, was weiß eine Fremde, die ich der Liebe gegenüber bin, den Hl. Schriften gegenüber


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weniger?). Ich könnte mich deswegen aber zerreißen vor Wut, das ist doch krank, oder?, dabei geht es mich gar nichts an, das ist das Kreuz mit den Schreibern, sie toben vor Wut wegen gar nichts, und dieser Schreiber dort, er ist grad als mein früherer Herr Jesus wieder auferstanden, habe ich vorhin gelesen, der hat, glaub ich, auch eine Wut, der schreibt und schreibt, keine Ahnung wieso, aber ich tus ja auch, ich kann ihn gut verstehen, er schreibt ja verhältnismäßig einfach, es geht ihn überhaupt nichts an, und es geht auch sonst niemanden was an, schreib es auf, aber auch dann geht es nicht von alleine und geht niemanden auf den Geist, der traut sich was, der schreibt es doch glatt wirklich auf, da steht es auch schon in dieser schönen glänzenden Zeitschrift, ab heute steht es dort, und ich, wo stehe ich? Ich Hochmütige, ich meine: ich Hochgemute? Ich tue es hier ganz privat und gemütlich und schön weich, obwohl ich lieber hart wäre, aber man kann es sich nicht aussuchen, in meinen eigenen Seiten, und da soll ich auch noch an meine eigenen Geschlechtsteile gehen, wo ich eh keine Zeit habe, weil ich meine Hände fürs Schreiben brauche?, die mach ich dann womöglich auch noch kaputt in meinem rasenden Zorn, meine Muschi, meine arme, jawohl, auch in meinem Alter hat man noch eine, Sie würden sie aber vielleicht nicht als solche erkennen und wiedererkennen natürlich schon gar nicht! Es gibt ja keinen von Ihnen, der sie je gesehen hätte, und einer von denen, die sie sahen, hat gleich weitererzählt, wie sie ausschaut, und sie hat dann sogar einen Auftritt in einem Buch bekommen, ist das nicht fein? Ich nenne das Buch nicht. Es war ein ganzer Roman, meine Muschi nur ein Detail davon. Und sein Autor


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ärgert sich, ROFL meinerseits! Keiner von Ihnen gibt was auf mich, naja, vielleicht einer. Keiner hält auf mich. Keiner hält mich auf. Ich zerreiße mich selbst, wie Rumpelstilchen, das keinen Stil hatte, andre haben aber auch keinen, also wozu? Es ist verständlich, ich verstehe nicht was, aber dieser wiederauferstandene Schriftsteller dort wird es schon wissen, daß man andre Menschen quälen und terrorisieren und beherrschen möchte, bitte verzeihen Sie mir diese banalen Ausdrücke und drücken Sie sich an dieser Stelle anders aus, besser, aus mir spricht nur der Neid, aus Ihnen könnte Besseres sprechen, ja, sprechen, das können Sie sicher mühelos, und es ist Ihnen auch ausdrücklich gestattet, weil ich hab keine Lust dazu, hier dürfen Sie alles, aber ich muß es auch dürfen, daß Liebe ohne so etwas (jetzt hab ich vergessen was, bitte ergänzen Sie auch dies mit Ihren kostspieligen Ergänzungsmitteln, die wir bereits aufgezählt haben, wenn auch nicht alle, sie würden unseren Rahmen sprengen) nicht denkbar ist, denn es stellt sich mir niemand zur Verfügung, den ich quälen und treten könnte, und daher liebe ich niemanden und hasse ich niemanden und betreue niemanden, treu bin ich schon überhaupt nicht, nur gezwungenermaßen, und ich traue auch niemandem (und ich kann niemanden trauen, wunderbare Sprache, aber trotzdem: Ich bin doch keine Standesbeamtin! Ich bin nicht einmal von Stande und zu nichts imstande, also weg damit!), und so muß ichs mit mir selber machen, es besorgt mir kein andrer, was ich brauche. Aus mir spricht nichts als Neid. Hallo, hier spricht der Neid, könnte ich bitte Frau J. sprechen? Danke. Und wenn es das Falsche wäre, was ich kriege, hätte


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ich doch das Recht, es mir zu besorgen, mir was andres zu besorgen, und wenn ich dann merke, daß es wirklich das Falsche war, nachdem ich meine eigene Verpackung aufgerissen habe, aus der es davor schon herausgerieselt ist, denn da war so ein kleines Loch drin, nicht wahr, nachdem ich also, zu spät, zu früh (das meiste ist schon ausgelaufen, ein Schiff wird kommen) dies merke, dann werde ich klagen, auf der Stelle, die ich genau kenne, kein Wunder, sie ist ja sehr klein, jemanden anklagen, das mach ich nun wirklich dauernd; seit ich überhaupt reden kann, hab ich schon jemanden angeklagt, als ich noch niemand anderen kannte als höchstens noch Papa, der mir aber immer fremd geblieben ist, der mit dem Finger auf meine Mutti und ihre Muschy (meine Tante hat so geheißen, echt!) gezeigt und sie genau wie ich angeklagt hat, weil diese Frau wiederum dauernd was von uns beiden was wollte, was wir nicht zu geben hatten, das wir nicht einmal kannten, die ganze Zeit klage ich und klage ich, eine dumpfe Pflicht scheint es mir zu gebieten, und was hat es mir FFS genützt? Papi hielt, sicher aus Furcht, immer zu Mama, jammer, der war doch hochgradig bedürftig, der Mann, aber er hat gehalten, wenn auch nicht sehr lange und keinen Ball, denn einen Schmal– und einen Breitensport hat es bei uns sowieso nie gegeben, außer dem Klagen, das war der einzige Sport, den wir beide uns gegönnt haben. Doch ich seh schon, das Anklagen ist sogar noch besser, als einfach nur zu klagen, vielleicht besorgt es mir deshalb niemand? Weil er Angst hat, daß er nachher geklagt wird oder daß nachher von mir geklagt wird, ach was?! Wer weiß? Und ich habe doch auch den Filialleiter der Raiffeisenbank, die


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mich jetzt vielleicht auch noch klagen wird, nicht antworten lassen auf die Drohung, daß der Schuldner jetzt in den Ausbildungsverkehr gerät oder gleich in den Arbeitsverkehr, mit mir, die ich das aufschreibe und ihm seine Schulden ans Leben vorrechne, solange bis das individuelle Verkehrsaufkommen nachläßt, was derzeit gerade der Fall zu sein scheint, der Schuldner ist mir etwas schuldig, nein, der Bank, mit einer Bank sollte ich mich nicht vergleichen, denn mich besitzt niemand, na, vielleicht ist er nicht mir was schuldig, aber schuldig ist er, nicht mehr, aber auch nicht weniger als mein Leben plus 0, 25% Zinsen zusätzlich, die er mir nicht geben will, der gemeine Hund, und er wird vielleicht verurteilt, weil er es mir vorenthält, er gibt zu seiner rührenden Verteigigung (Weichei! Du mußt ja erst noch hartgekocht werden! Aber dann geht sich das mit dem Teig nicht mehr aus), dieser rückgratlose Mann, ich meine zu seiner Verteidigung an, er, der Schuldner, wie ich ihn in Folge, aber auch diese Folge wird kurz sein, wie ich ihn also kurz nenne, habe das getan, da er nichts mehr zu erwarten ist, äh, da von mir nichts mehr für ihn zu erwarten sei, er könne seine Türklingel genausogut abstellen und den neuen Wohnzimmerschrank im Versandhandel abbestellen, seine ganze Familie kann er noch dazu ausrotten, auch auf Kredit, mort à crédit (das heißt: töten Sie jetzt, zahlen Sie nachher in aller ewigen Ruhe, die sie den anderen als Vorschuß bereits bezahlt haben), und das Haus und dessen neue Käufer dazu kann er auch gleich in die Baugrube entsorgen (endlich keine Sorgen mehr!), und die wird größer sein müssen als N.s gemauertes Erdloch im Garagenbereich, unter


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diesem Bereich, der ihr (N.s) ganzes kleines Reich gewesen ist, lag der Kredit verborgen (unter jener Art Panzertür), den prinzipiell nur Tote bekommen können, so spart sich die Bank eine Menge, auch die Unterschrift des Kreditwerbers, obwohl es mehr Tote als Lebende gibt, nur sind und bleiben die meisten von ihnen still und insolvent, bis sie sich eben aufgelöst haben, und selbst dieser ist ein Bereich, wo sich eigentlich das schöne rote Auto als Decke drüber besser machen würde als eine Panzertür, wie wärs mit einem BMW?, nicht schlecht, hab jetzt die Bauserie vergessen, und dennoch sei von ihm nichts mehr zu erwarten, das ihm noch helfen könnte, gibt der Schuldner an, keine Ahnung welcher, denn wir sind alle Schuldner, und es wird uns immer gerade das Liebste genommen, von ihm komme nichts mehr, sagt dieser Schuldbeladene, im Gegenteil, er erwarte sich etwas von der Bank, die seine Bank ist, und vom Versand, der sein Versand ist, nur verschickt er ihn nie, er schickt ihm nur Sachen, die der Schuldbehaftete schon wieder nicht zahlen kann, doch er will es jetzt ändern, daß er überhaupt Schulden hat, daß er bis zu eineinhalb Stunden pro Tag im Stau verbringen muß und verbracht hat, Zeit, die das Leben ihm schuldig geblieben ist, im Verkehr, wenn er Glück hatte, im fließenden Verkehr, wenn auch nicht mit anderen, denn dann wärs stockender Verkehr, ja, ich sehe mit eigenen Augen: die mittlere Fahrtweite hat sich aufgrund der lückenhaften Kommt-Nicht-In-Infragestruktur, ich meine Infrastruktur vervielfacht, nur die Menschen werden weniger, das ist seltsam, denn wenn es weniger Menschen gibt, fahren auch weniger von ihnen auf den Straßen herum, dideldum, ja, der Personenverkehr


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nimmt zu, kein Zweifel, aber die Menschen nehmen dafür, naja, nicht gerade dafür, ab, wenn sie es nur richtig wollen, doch es ist schwer, so viele Diäten, und so wenig Diäten dafür zur Verfügung!, das alles läuft parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung, die aber auch meist abnimmt, derzeit nimmt sie wieder etwas zu, glaub ich, aber das ist ein seltenes Ereignis, auch wenn die Kredite nicht mehr bedeckt werden können und nackt bleiben müssen, eine Katastrophe für die Banken, nein, doch nicht, man sagt, nächstes Jahr werde sie wieder abnehmen, die Entwicklung, welche auch immer, wenn ich das doch auch könnte!, ich erstrebe Tiefgang für mein Werk, denn Tiefgang macht Spaß, so, ich verstehe nun gar nichts mehr, und wenn ich mein eigen Werk nicht mehr verstehe, dann muß es schon sehr tief sein. Bloß daß der öffentliche Verkehr in seiner derzeitigen Form im ländlichen Raum keine Alternative zum motorisierten Individualverkehr ist, das ist mir klar, und das war schon vor fünfzig Jahren so, da ich den ländlichen Raum so richtig kennenlernen durfte, von seiner besten wie von seiner schlimmsten Seite und Sorte, wenn auch nicht lieben konnte, der Schrift-Leiter (nicht der Schrift-Steller!) antwortete auf all das, was ich beim Schreiben schon aufgegessen und vergessen habe, im Gegensatz zu dem Mann, den ich bereits zu oft genannt habe und mich nun nicht mehr zu nennen traue, Sie wissen, wen ich meine, dem alles, was er schreibt, wahnsinnig wichtig ist, ganz offenkundig, sonst würde er uns ja nicht daran teilhaben lassen: Danke, Herr Dr., daß Sie mich ins Sprachspital überweisen wollen, weil Sie hier in Ihrer Ordination nichts mehr für mich tun können, doch ich bleibe


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hier, das wars dann, mehr Glück beim nächsten Mal! Und grüßen Sie die Frau Gemahlin von mir. Ja, es gibt Menschen, die können sich Höflichkeiten leisten, denn wenn sie nicht höflich sind, verlieren sie ihren Job. Das ist noch nicht das Ende unserer Ausschweifung, und es ist gewiß nicht das, was Sie unter Ausschweifung verstehen, denn es fehlt z. B. die Musik. Also auf die Musik können Sie bei mir nicht zählen. Mit der bin ich fertig. Mich interessieren jetzt Menschen, und zwar das Menschliche an ihnen. Auf dieses Mädchen z. B. kommt es an, ja, die kleine N. ist viel lebenstüchtiger als ich, und das war sie schon mit 10, da hat sie bereits das Geld gekannt, das ich bis heute nicht kenne, und die U-Bahn und etliche Wiener Gemeindebezirke und sogar Ungarn, wo ich überhaupt noch nie war, wozu allerdings nicht viel gehört, ich meine dazu, daß sie das alles kannte, gehört noch nicht viel, denn um etwas nicht zu kennen, dazu gehört wirklich viel mehr, äh, da stimmt was nicht, egal, also: aufgepaßt! Ich schreibe hier sagen wir mal noch fünfzig Seiten mehr oder so, und Sie können mich einfach nicht aufhalten, Sie können jetzt natürlich noch fünfhundert Seiten selber schreiben, aber ich, ich werde Sie dafür zuerst verfluchen und dann beneiden, Sie werden das allerdings gar nicht erst zu spüren bekommen, und ich darf so etwas Negatives über gewisse Personen hier auch gar nicht schreiben, nicht einmal andeuten, dafür können Sie mich nämlich so leicht am Arsch kriegen wie eine Bremse die Kuh oder eine Bremse, die nicht funktioniert, das Auto. Also ich, ich achte jetzt immer darauf, nicht zu sagen, was und wen ich überhaupt meine, wer sollte mich also klagen?, und wenn es


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soweit ist, wird jeder jeden vergessen haben, mich auch, zum Glück, aber Sie ebenfalls, leider werden Sie es kaum spüren, wenn ich Sie an den Eiern erwische, aber nur Stoff zwischen den Fingern spüre, und es wird auch nicht, wie die Hinrichtung Saddams in den kleinen Bildern von Fototelefonen, ich meine Fotohandys, gezeigt werden, wie jemand verflucht wird, hier ein Fluch für Ihr blödes Gewäsch, das sich gewaschen hat, und dort noch einer, extra für Sie, Sie Bade-Waschel Sie, nehmen Sie den Schwamm, gehen mal Sie in die Grube und waschen Sie den BMW von unten, dort hat er es extra nötig, wie jeder, der Boden ist der Erde nah, wo die Leichen wohnen, Sie können auch gleich einen Unterbodenschutz aufbringen (falls es das überhaupt noch gibt, ich hab schon so lang kein Auto mehr) und den Rahmen mit Ihrem Schweiß tränken, damit er schnell wieder rostet, ich meine, Sie können ihm eine schweißen, dem Rahmen und seinen Rahmenbedingungen, und eine feste Dachtel können Sie von mir als Lohn noch dazu haben, mehr aber nicht, die aber dafür gratis, nein, ein Dach kriegen Sie nicht auch noch dazu EOD. Hat die Zeitung Ihnen was gezahlt, daß sie in ihr blöd herumstehen dürfen, antworten Sie? Ja? Die sind auch solche Schwächlinge, daß sie zahlen für etwas, das jeder, der sprechen kann, anders sagen würde als Sie. Ich ärgere mich so über Journalisten, aber aus mir spricht der pure Neid, daß sie immer andere mehr loben als mich. Rein und unverfälscht ist mein Neid, die Natur ist ein Dreck dagegen, was sie sowieso ist. Wir schweifen nun schon wieder leider die ganze Zeit ab, wir parken nicht ein, dafür sind Zeit und Raum schließlich da, dafür ist eine Montagegrube in einer Garage da, der Wagen kommt


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genau darüber, und es kracht so, wenn das Raum-und-Zeit-Kontinuum durchstoßen wird, was physikalisch absolut unmöglich ist, das steht auf diesem Zettel, den man mir grad dargereicht hat; vergessen Sies also sofort wieder, sonst setzts was durch die Physik, und es gibt dann wirklich ein Loch in der Atmosphäre!, so, und trotzdem haben wir jetzt diesen Mazda bei unserem Herumtorkeln und Um-uns-Schlagen, da sich kein andrer um uns schlägt, leider verkratzt, ausgerechnet beim Einparken, da er endlich stehenbleiben und keinen Schaden mehr anrichten sollte, bitte, der war schon vorher nicht mehr neu, also, wir peitschen nun halt nicht mit unseren Schwänzen durch die Stringtangas der Zeit (war das nicht schon? Also das mit den Wurmlöchern war sicher schon, ich vergesse sofort, was ich geschrieben habe, das ist ein seltsames Phänomen, das auch Sie sich nicht erklären können, denn es hat ausschließlich mit meinem Gedächtnis zu tun. Sie wissen nur, daß Sie das nicht mögen, was ich schreibe, und damit haben Sie ganz recht, ich mag das Schreiben an sich schon nicht besonders, kann aber auch nicht ruhig sein, so probiere ich DAU jetzt, das Pferd von hinten aufzustellen, dann hängt es allerdings vorn wieder in der Luft), wir haben nämlich keinen Schwanz, den wir durch ein Wurmloch stecken könnten, nicht einmal einen so dünnen kleinen haben wir, nicht wahr, aber den brauchen Sie ja gar nicht, Sie Kopfloser, den ich gern beschimpfen würde, wenn ich mich nur traute, da man mir nicht traut, egal welcher Kopflose, es gibt so viele, und wir nehmen gern auch alle, denen das Genick vom Leben gebrochen wurde, einer von denen wird sich schon finden, nur damit er hier vorkommen


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darf, er kann sich eh nicht gut bewegen, aber es sind auch Frauen darunter, bäh! Einen Schwanz haben die nicht, was weder sie noch mich ärgert, denn all dieser Ärger ist endlich vorbei, die Geschlechter sind vollkommen gleichwertig, ich will das so, und man kann sich aussuchen, welches man möchte (das war früher anders, da hätten sie noch Männer sein wollen, jetzt hat sich aber endlich herumgesprochen, daß die Frau gar keinen Schwanz braucht, um Unheil anzurichten oder das Essen, man kann Konservendosen nämlich auch mit was andrem aufmachen, mit etwas, das ich aber auch nicht habe), ich zähle also nicht einmal bis drei, und Sie sind immer noch nicht verschwunden, und daß ich weder schreiben (das wissen alle) noch rechnen (das sage ich Ihnen in diesem Augenblick, verpassen Sie ihn bloß nicht!) kann, das ist mir oft vorgeworfen worden. Aber wie kann man einem Menschen seine Natur vorwerfen? Sehen Sie! Das denkt jeder gekränkte und beleidigte Mensch, wie ich einer bin, ich glaube, daß das an seiner Natur liegt, welche die andren nie erkennen, weil sie doch auch diesen Menschen überhaupt nicht kennen, den sie da gröblichst beleidigt haben, nun, ich gebe ihnen die nötige Auskunft und wechsle soeben am Schalter, an dem ich nicht sitze, meine Natur in Bargeld um, die mir so viel Unglück beschert hat. Wenigstens das Geld hab ich. Schau an, da steht ja eine neue Tonanlage, egal für welche Töne, vielleicht sollte auch ich endlich einmal den Ton wechseln, wenigstens den Tonarm, die immer gleiche Leier austauschen, aber sowas wie diesen Arm gibts auch kaum noch, da entsteht vielleicht sogar eine ganz neue Tonlage, nein, doch nicht, möglicherweise zum Zweck der Ausführung


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romantischer Liebe, die wir uns alle so wünschen, es entsteht der wunderbare Sopran von Anna Netrebko und dem, wie heißt der dazugehörige Mann: Rolando Irgendwas, Ronaldo Sowieso, der doch unlängst seine Stimme verloren hat und daher hier nicht mehr vorkommen wird, und es könnte den Liebenden, falls sie von allgemeinem Interesse wären, sogar noch Gemeindebudget vom Herrn Kultur dazugegeben werden, damit die Funktionsfähigkeit unserer Gefühle und darüber hinaus (welches Gefühl will nicht über sich hinausreichen, um ein besseres Objekt für sich zu finden?, und die besten Gefühle wollen schon gar keine mehr sein, weil sie dann reisen müßten wie eine Träne, also ich reise nie) gefühlsecht gesteigert werden kann. Mein Gefühl gilt stattdessen, ja, ich habe mich umgewöhnt, es gilt ab sofort diesen Wegelagerern, äh, nein, den Wegeanlagen, weil sie so schön im Abendlicht erglänzen (davon haben natürlich mehr Menschen etwas als von der Kultur, und diese Menschen haben meist auch ein Mountainbike), diesen Analanlagen, auf denen man sogar mit einem einspurigen Fahrzeug noch verunglückt, weil sie sich zwar Wegeanlagen nennen, aber nicht einmal Saumpfade sind, mit denen die Landschaft eingesäumt ist, damit sie sich nicht auflöst, Anlagen also, die in nichts als ins Nichts und in den absoluten Schrecken führen, damit was gewahrt bleiben kann?, also meine Freundin O. ist nicht bewahrt geblieben, die hätte dort fast ihren Unterschenkel liegenlassen müssen, wenn ihn ihr nicht einer wieder angenagelt hätte. Aber es muß einen Weg geben, sagen der Psychologe, der Arzt und der Apotheker. Damit gewahrt bleiben kann: die Funktionsfähigkeit von irgendwas, das wir unbedingt brauchen, damit


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der andere näher an uns herankommen kann, ja, manche unserer Organe sind auch wichtig, aber sie bringen uns unserem Nachbarn nicht näher, andre Organe wieder brauchen wir nicht so oft (wir brauchen keine Organmandate, und die Milz, die brauchen wir auch nicht, die Galle: brauchen wir nicht, und die Schilddrüse kann durch ein Medikament durchaus vollständig und restlos ersetzt werden), ich sagte es vorhin, aber Sie haben es sicher schon wieder vergessen, wir brauchen diese Anlagen, ich habe selber schon vergessen welche, ich hatte früher selbst ziemlich gute Anlagen, aber die sind jetzt mit was weiß ich überwachsen, und da ich nicht einmal ahne, was das ist, dieses Gebüsch, nähere ich mich ihm lieber nicht, es könnte giftig sein, zumindest Brennesseln könnten drin sein, also wir brauchen sie, unsere Anlagen, vor allem solche, die Frieden bringen, ich meine, die eingefriedet sind, also z. B. Parkanlagen, denn Menschen können anders nicht bewahrt werden als indem man sie einzäunt oder vergittert, Wege aber können schon bewahrt werden, und wir geben eine Menge Geld aus, um sie zu sanieren, ja, meinetwegen auch, damit die Sanitäter darauf zu uns kommen können, wenn wir einen schweren Unfall mit der Fahrerflucht, dem Motorrad oder mit der Kreissäge hatten und uns plötzlich eine Hand fehlt, zur Strafe, daß wir damit soviel Lärm gemacht haben, die Hand kann vielleicht wieder angenäht werden, okay, ich bin ja schon ruhig, nein, noch lange nicht!, das alles liegt Ihnen fern, das obliegt ohnehin zum überwiegenden Teil den einzelnen Gemeinden und den jeweiligen Fangemeinden. Freunde werde ich mir damit keine machen, aber jetzt hat mir jemand endlich den ultimativen Befehl gegeben und mir damit einen


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entsetzlichen Schrecken eingejagt, es ist mal wieder soweit, wie jedes Jahr, ich kann mich also beruhigen, es kommt jedes Jahr, immer ein neues, und ich zahle nie, es kommt daher eine ultimative Zahlungsaufforderung an die Dichter, endlich besser zu erzählen oder gar nicht, uns an einem ungeheuerlichen Schicksal wie dem der kleinen N. ein Beispiel zu nehmen und es an unseren eigenen Leibern anzuwenden, damit endlich ein anständiges Fleisch-Erzählen da ist, in das man hineinschneiden kann, bis es wieder nicht blutet – wieder nichts! Wir bekommen dieses Schicksal nicht und bekämen wir es, bekämen wir es nicht in den Griff, und von uns ist daher nicht die Rede, was die Poster, also diejenigen, die in der oder jener Zeitung posten, fürchterlich erbost, die ja von sich sprechen wollen, indem sie über etwas andres sprechen, und alles, was sie schreiben, ist durch sie hindurchgefiltert, durch diese schmalbrüstigen Hemden, durch die sogar die Sonne noch durchscheint, aber sie taugen nicht einmal als Filter, sie sind Löcher, durch die alles hindurchgeht, folgenlos. Jeder, der schreibt, tut es auf eigene Gefahr, aber zum Glück besteht dabei überhaupt keine Gefahr FO. Erwischt! Zahnbelag! Nein, doch nicht, er hat immerhin den neuen Grünen Veltliner vom Bründlmaier erwischt, dieser Dichter, und jener dort auch, und das kann er sogar auf Deutsch, was dem Griechischen am ähnlichsten ist, aber Griechisch kann ich nicht und mache ich nicht, bitte, das ist mir zuwenig, was ich kann, aber auch zuwenig für jeden anderen. Vielleicht finde ich es noch selbst, um es Ihnen zu zeigen, das Entsetzen, um es zu zeigen, aber da muß ich erst N. fragen, sie kennt es, dieses hübsche freundliche blonde


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Mädchen kennt es, man würde es kaum glauben, wenn man es so sieht, das Mädchen, so lieb ist es, wir bleiben da, wir bleiben in Kontakt, wir halten den Kontakt, und wir halten ihn gern!, den wir noch gar nicht geknüpft haben, wir finden ihn, indem wir ihn halten wollen, nicht mehr, wir stecken den Finger hinein und gehen in Flammen auf, denn es war eine Dose, und keine mit Prosecco drin, es war eine Steckdose, und das ist noch gar nichts. Wir bleiben alle da, hurra.  Sie sind wohl nicht ganz bei sich, also in dieser Kritik, mein schönes Werk betreffend, sind Sie es mit Sicherheit nicht! Was haben Sie da wieder hingeschmiert? Ich kann Sie nicht leiden, doch aus mir spricht bloß der Neid auf diejenigen, die Sie leiden können.  Aus Neid auf die Lebenden verschwinde ich jetzt in das Zwischenreich der Scheintoten, aber den Schein, den brauche ich dann gar nicht mehr. Das Verschwinden kann ich diesem Menschen und dem dort drüben auch nun wirklich nicht anschaffen, aber anlasten kann ich ihnen mein Verschwinden, na gut, verschwinde ich halt wirklich. Ich bleibe demnach genau dort, wo ich bin, nur sehen können Sie mich nicht mehr. So würde ich Verschwinden definieren, die meisten vermeintlich Verschwundenen tauchen ja wieder auf, aber ich fürchte, dann bleiben auch Sie, wo Sie sind, liebe Frau K., und das ist mir zu nahe, aber ich: Woanders kann ich nicht hin. Also muß wohl dieser Kritiker meines armen Werks gehen, wie ich ihm bereits anschuf, oder nicht mehr in der Zeitung schreiben, das verbiete ich ausdrücklich, wer, den ich nicht riefe, hörte mich trotzdem?,  der arme Rilke, der kommt hier


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zu oft vor und woanders auch, das kann er nicht gewollt haben, und weil ich andren Menschen dauernd was verbieten oder anschaffen will, ist nun auch dieses Häuschen letztendlich meine letzte Bastion, also ein Loch ist es nicht direkt, aber viel fehlt nicht mehr. Darin treffe ich mich schlußendlich mit jener Brigitte, die ich noch nie getroffen, die ich aus dem Nichts heraus erfunden habe, und so schaut sie auch aus (Wer isn die? Auf die haben wir ja ganz vergessen! Die ist ja auch noch da, eine Frau im Wartezustand, von mir zur Wartung einbestellt und dann vergessen. Die ist sogar die Hauptperson, das würden Sie nicht glauben nach all dem Schmus einer beleidigten, angealterten, beschirmten, beschimmelten Leberwurst hier, was?! Über alldem nur Brigitte nicht vergessen, wie ich einst, vor Jahrzehnten schon über eine andre schrieb, zum Glück ist es deswegen nicht wahrer geworden, alles völlig überflüssig –  ist das nicht toll?! Seit wir schreiben, vergessen wir die Leute, über die wir schreiben, und müssen sie mühsam wieder zurückholen und mit ihnen Schach spielen, kann ich nicht, ich meine, sie in Schach halten, damit wir von ihnen nicht auch noch träumen müssen, wir haben von ihnen schon genug, bevor wir genug Schrift angehäufelt haben, damit die Pflanzen des Seins es darunter im Winter warm und gemütlich haben und nicht uns mit ihren Wünschen pflanzen. Wo kommt denn diese Klammer schon wieder her?). Bitte beachten Sie nicht: Hier ist mit dem Sich-richten-auf die Hinblicknahme gemeint, nein, schauen Sie nicht hin, es ist AYOR, wie der Diktator da aufgeknüpft wird in seinem eleganten Wintermantel,


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mit dem schwarzen Tuch um den Hals, damit das Seil nicht scheuert, es ist so entsetzlich, daß es das Entsetzen selbst sein könnte, nein, ist es nicht, denn ich kann es noch anschauen, ich kann noch hinschauen, und ich bin hier der Maßstab, der Maßstab für den absoluten Durchschnitt, der braucht ja auch seinen Maßstab, sonst weiß er nicht, wo die Mitte ist, nicht einmal ungefähr, und ich bin immer eher darunter, ein klein wenig unter dem Durchschnitt, so messe ich mit einem Maß, das ich krampfhaft zitternd über meinen Kopf halte wie der Priester die Hostie bei der hl.Wandlung, damit ich größer ausschaue, gleich fällt er mir runter, mein Maßstab, ich kann ihn nicht länger halten, und wenn die Hostie fällt, wird sie unrein, und die ganze Kirche muß anschließend desinfiziert werden,  so hat man es mir berichtet, so hat man es mich einst gelehrt, und meine Mitte habe ich jetzt auch wieder nicht gefunden, ich brauch sie eh nicht; nein, eigentlich wollte ich die Zugänglichkeit bzw. die Zudringlichkeit meiner Quelle messen, nein, Entschuldigung, das auch nicht, schon wieder hat der pure Neid aus mir gesprochen und muß mit Mineral- oder simplem Leitungswasser verdünnt werden, so, ich bin jetzt aber ganz bei meiner Hauptperson, ich bin jetzt ganz bei Ihnen, ich weiß, wie eine Hauptperson kommen Sie sich nicht vor, wenn Sie Ihr armes Leben so betrachten, aber bei mir könnten Sie eine werden, das ist Ihr Vorteil, sonst schreibt keiner über Sie, lieben Sie mich, los, lieben Sie mich sofort! Ich bin die einundzwanzigsunbeliebteste Person in diesem Land, ich kann jede Liebe gebrauchen, die ich kriegen kann. Lieben Sie mich! Dann kommen Sie vielleicht


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hier vor, vielleicht aber auch nicht, Liebe allein ist mir fast zuwenig, kein Wunder, daß ich so unsympathisch wirke, ich will Sie und diese Person, welche ich erfunden habe, jetzt  zusammenführen, kann es aber nicht BS, irgendwann werde ich es vielleicht können, nein, derzeit gelingt es mir noch nicht, das haben Sie natürlich schon vor hundert Seiten gesehen, macht ja nichts, ich habs jedenfalls nicht gesehen, ich hatte damals noch die besten Vorsätze, Ihnen etwas Schönes und Interessantes vorsetzen zu können, aber leider: Also erzählen kann ich deswegen noch lang nicht von ihr, dieser Person, nur weil Sie das von mir wünschen, wie soll ich denn auch erzählen lernen, wenn mir keiner was erzählt, da ich ja keine Erfahrungen mache, kurzum, Sie sagen, ich soll endlich aufhören, nein, gewiß nicht kurzum, Sie würden es mir auch ausführlicher begründen, falls ich oder irgendwer anderer Ihnen zuhören würde: gemeint ist das Auffassen als das „von wo aus“ des Ansehens, und ansehnlich bin ich ja auch nicht mehr, vielleicht schaue ich deshalb so scharf hin, ob ich dann nicht besser aussehe, wenn mein Auge versagt, wenn es mir den Dienst aufkündigt, und daher kommt es vielleicht, daß mein linkes Auge seit Tagen juckt und brennt, aua, und unter dem Unterlid zuckt es beinahe ununterbrochen, da muß ein Muskel sein oder sowas ähnliches, dort muß ich mein Auge festhalten, komisch! Ich habe prompt jedes Maß verloren, indem ich glaube, mein Auge könnte das Maß für irgendwas sein; daß ich das geglaubt habe, kommt daher, daß mir der Maßstab vorhin wirklich, also in natur, echt aus den Händen gefallen ist, wo ist der jetzt hin? Der kann doch nicht weg sein, das Haus verliert ja nichts, und mein


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Haus ist besonders klein, was wollte ich im Grunde aus welchem Grunde sagen, nein, den Grund seh ich nicht, äh: Mancher meiner Sätze beginnt vor der Klammer und endet im Nichts, so wie viele seiner Kollegen, so wie das Gefängnis, die Gefängniszelle, das Verlies, N.s Sache gewesen ist, ob sie wollte oder nicht, endend bereits nach 181 cm, der Länge nach, sie wollte natürlich nicht, aber sie konnte keinen tonnenschweren, nicht übertreiben bitte, es waren 150 kg,  Betondeckel anheben, das hätte höchstens der Höchste, Jesus, gekonnt, wahrscheinlich nicht einmal der, der alles kann und sowas sogar schon gemacht hat, und der hat das, weil er, man sagt es mir gerade auf einem anderen Zettel, den man mir hereinreicht, das ist jetzt schon der zweite, weil er alles kann, der Tausendsassa, der nicht im Grab sitzenbleiben muß, der hat das also doch noch geschafft, über sein Ende hinaus, das soll ihm einmal einer nachmachen! Nur keinen Neid! BRB steht auf diesem Zettel, tja, Jesus ist weg, der Stein ist noch da, diesen Trick hat er gemacht, aber niemandem verraten, leider, nein, auch nicht mir, dieses Häuschen hier, nein nicht dieses, das hat die Mutter des bei der Kopfverlosung leer Ausgegangenen, aber immerhin Ausgegangenen, äh, ich meine die Mutter des Geköpften nun nach der Schienenlegung und der anschließenden Grablegung geerbt, diese weinende Frau, und wird es für Schadenersatzansprüche wieder hergeben müssen, obwohl ihr Gatte es einst persönlich, wenn nicht selber, mit eigner Hand, erbaute, oh, wäre es doch nie erbaut worden, denn wir sind gar nicht erbaut (jawohl, das mußte ja kommen, buh! FG) davon, zu welchen entsetzlichen


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Zwecken, zu welchen schrecklichen Zwecken also es zweckentfremdet wurde, das Einfamilienhaus, das Familiengrab, und wenn oben die Mama gestaubsaugt hat, dann mußte das Kind unten in seinem Gefängnis bleiben, und wenn es verhungert und durch sich selbst ausgeatmet worden und verschwunden wäre in seiner Lebendgruft, ums Verrecken nicht durfte die Mama es zu Gesicht bekommen, was hätte die sich denn dabei gedacht, der Sohn hat eine zehnjährige Freundin!, die hätte sich ja geschreckt, die Mama, aber die Freundin hätte sie vielleicht gefreut, über jede Freundin hätte die Mama sich vielleicht gefreut, daß der Sohn, der so einsam ist, endlich einen Anschluß hat und vielleicht sogar eine Nummer dazu, die er ab und zu schieben kann, sonst hätte er ihn ja selber legen müssen, den Anschluß, für Gaswasser oder für was weiß ich, keine Sorge, das hat er gekonnt, Anschlüsse schaffen, mit Material aus dem Baumarkt von dem bekannten Kunstsammler, ja, genau dem gehört er, der riesengroße Markt mit seinen Herrlichkeiten auf allen Gebieten, auf denen sein Herrchen sich auskennt; und unser Handwerkerschweiß, der Kabel verlegt und Kacheln hinklotzt, der hat ihm sein Museum finanziert, es muß gesagt werden, der Schweiß der kleinen Heimwerker schafft Kunst, wahre Kunst, die aber immer woanders hängt, von einem anderen gemacht, der grade AFK ist, das ist gut, wir wüßten sie auch gar nicht so zu schätzen wie der Inhaber dieser Märkte, der ein Kenner ist, und ein Kenner war auch der Herr P., der hat einen Sprung in der Schüssel gehabt – ich wiederhole mich wieder einmal – und einen in der Kachel schon auf einen Kilometer Entfernung ausgespäht, ausgespechtelt, nicht ausgespachtelt hat, die


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Kachel mußte makellos sein, sonst war sie für die Menschheit verloren (soll ich Ihnen was sagen: In meinem Bad hat ein Vollidiot eine Reihe Kacheln glänzend und eine Reihe der gleichen Kacheln, ich meine von der Farbe her gleich, allerdings matt, verlegt, dasselbe in Matt, wohl Mattscheibe gehabt, er hat das nie ausgebessert, er gab an, sonst müsse er ja alles wieder herausreißen, na, dem hätte ich den Herrn P. ins Haus schicken wollen, das sage ich Ihnen! Bis heute muß ich nun bei meinen Selbstschmückungs- und Hygienehandlungen auf eine Reihe Matt und eine Reihe Glänzend schauen, ist das nicht glänzend, wie ich das beschreiben kann? Nein. Aber erzählen würde ich es noch nicht nennen, es wäre aber vielleicht ein guter Ansatz, oder?!), was sage ich da, dazu hätte er ja aus dem Haus gehen müssen, um einen km Entfernung hinzulegen für einen kritischen Abstand von der Fliese, von dort sieht man es genauer, und genau wie ich hat der Herr P. sein Haus nicht gern verlassen, er hätte ja bei irgendwas sterben können, und dann wäre das Mädchen zeitverzögert dann auch gestorben: endlich ein andres Gesicht, jedes andre Gesicht wäre besser gewesen als dieses, das sie als einziges kennen durfte, das kann ich mir gut vorstellen, die Mama des Täters wäre furchtbar erschrocken bei diesem Anblick, beim Anblick eines jungen Mädchens im Haus ihres Sohnes, die wäre vielleicht vor Schreck gar gestorben, wenn die plötzlich ein halbes Kind dort gesehen hätte (sie hätte sich natürlich gefragt, wo die andre Hälfte ist), dabei war ihr Sohn ja selbst einmal Kind, daran erinnert sich die Mama sicher gern, die vielleicht geglaubt hätte, ihr Sohn habe jetzt selber ein Kind, von dem er ihr nichts erzählt hat,


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aus Angst vor der Mama, die sich ja vielleicht gefreut hätte, und damit muß sie jetzt leben, die alte Dame, daß dieses Kind nicht von ihrem später formlos, ohne Urteil, geköpften Sohn war, denn der Vater des Kindes ist bekannt, er ist den Behörden bekannt, er ist uns allen bekannt, sonst könnte ich doch hier nicht von ihm sprechen, was ich sowieso nicht vorhabe, es ist nicht mein literarisches Vorhaben, über lebende Menschen zu schreiben, denn die klagen einen sofort, naja, dieser Mann ist tot, aber trotzdem immer noch vom Gesetz geschützt, noch auf zehn Jahre oder so, nicht wahr, warum tue ich es dann? Weil ich nichts andres kann und nichts andres kenne als das, was ich gehört oder gelesen oder im TV gesehen habe, es ist doch so, seien wir ehrlich: Ich kann nur von Dingen sprechen, die allgemein bekannt sind, denn andre erfahre ich ja nicht, für eine Erzählung reicht das nie im Leben, eine Erzählung können Sie also AIS von mir nicht verlangen, das sehen Sie sicher ein, und er, der wahre Vater des Mädchens, leugnet es auch gar nicht, dieser rührende Mensch, der immer gewußt hat, seine Tochter ist noch am Leben. Brigitte, von der immer noch die Rede ist, aber schön langsam glaube ich: unter andrem Namen, unter dem Namen N., aber das ist sie nicht, sie ist nicht mit ihr identisch und verwandt auch nicht, schon vom Alter her kommt das nicht hin, so wie die Inspiration ja auch nicht zu mir kommt, es kommt nicht hin, es langt nicht, auch wenn ich noch so viel über sie schreibe, die kann ich nicht zusammenbringen, die beiden, das Mädchen, das alle interessiert, sogar im Ausland, einfach überall,und diese alternde Frau, die keinen interessiert, Brigitte also wird in diesem Häuschen


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enden, da hat sich tatsächlich nicht viel geändert, daß die Menschen enden müssen, bevor sie noch richtig angefangen haben, aber manche fangen eben zu spät an, nach ihrem Ende, im Job des Lebens wird bereits von Anfang an die Richtung vorgezeichnet und dann der Plan an den Mauern, die sie um sich herum errichtet haben, festgenagelt, damit sich die Menschen auch in sich selbst orientieren können: oben oder unten. Arbeiten oder arbeiten lassen. Oder beides. Herr P.: beides! Der hat das geschafft, gleichzeitig oben und unten zu sein. Stellen Sie sich, von seinem Beispiel entmutigt, einmal vor: Auch diejenigen, die arbeiten lassen, arbeiten selbst! Warum? Weil sie es können. Ich nicht, ich schreibe ab, was andre geschrieben haben, aber ich könnte auch selbst schreiben, wenn man mich zwingen und von meinen lieben Büchern, die leider immer mehr wissen als ich, trennen würde, was nur mit Gewalt ginge. So, ich habe jetzt eine meiner Figuren verloren, liegengelassen, fallengelassen, und diese Figur ist, da bin ich mir absolut sicher, sogar zu blöd, um von selber wieder aufzustehen, naja, zu blöd, um aufzuerstehen, was nicht schlecht wäre, denn da wäre er ja wie neu und hiermit ein anderer, das könnte uns allen nicht schaden. Komm nur, komm nur! Steh auf, Kind! Ja, du auch, meinetwegen, Lazarus, steh halt auch auf! Du mußt schon kommen, denn ich kann nicht kommen, ich bin hier angebunden, hier, gleich neben meinem Geist, der nicht einmal so weit denken kann wie ich vor Wut dieses Stück nach Plastik riechenden Käse werfen, weil ich mich an der Raspel geraspelt und schwer verwundet habe. Der inzwischen Geköpfte war in seinem früheren Leben zwar andauernd fleißig am


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Schuften (nein, nicht wie Sie am Surfen), aber er wollte, bitte, das war allein sein eigener Entschluß, und Entschlüsse sind gutes Material für Erzählungen, vor allem solche, die zu nichts führen, denn man kann dann die Verzweiflung und Vergeblichkeit des Menschen darstellen, worin man ebenfalls fehlgehen wird, denn weit kann man bei sowas ja nicht gehen, naja, weit genug, daß man in die Irre geht, der Herr P. wollte also eine Gefährtin beim Arbeiten mit dabei haben, mitnehmen, nie mehr allein!, soso, also beides: arbeiten und arbeiten lassen! Ich bin das Gegenteil, egal wovon, daher verstehe ich ihn ja so gut, denn ich bin auch immer allein, und ich bin es gern, behaupte ich, natürlich aus Neid auf die geselligen Gesellen, die ich mir nur im TV anschauen kann. Mir diese Lüge nachzuweisen, daß ich so gern allein bin, wäre ebenfalls einer Erzählung wert, aber nicht meiner. Naturgemäß nicht meiner, denn es müßte einer schreiben, der mich von außen sieht und von innen gleichzeitig, da ich in die Röhre schauen muß, vielleicht ein Röntgenologe? Solche Alternativen läßt das Leben nicht jedem, arbeiten und gleichzeitig arbeiten lassen, obwohl in kleinen Firmen ja traditionell der Chef mitarbeitet, aber eine Firma kann man den Herrn P. auch wieder nicht nennen, obwohl er eine Art Zweipersonenfirma, eine KEG ja hatte, mit ihm als Kommandantisten und Komplementär in einer Person, ausgeschlossen immer N., die durfte in diese Sozietät nicht eintreten, denn die war ja kein echter Mensch für ihn. Darauf kann man überhaupt und allgemein (das Allgemeine ist der größte Feind einer guten Erzählung!) stolz sein, daß man wählen kann: leben oder tot sein. Und das ganze acht Jahre lang! Acht Jahre


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lang faktisch tot sein und dann auferstehen. Das ist Rekord. Absolut und relativ. So lang hätten wir manchmal gern die Wahl, welchen Kühlschrank wir uns kaufen, welche Geschirrspülmaschine, aber wenn wir in diesen Fragen so lang überlegen könnten (was wir vielleicht gern täten), gibt es längst ein neues Modell, gegen das das alte ausgetauscht werden kann, und manche kommen auf diese Weise nie zu einer Spülmaschine, weil die Modelle zu rasch wechseln und Sie sich allzu lange nicht entscheiden können, manche lassen sich sogar voneinander scheiden, bevor sie die Spülmaschine kaufen konnten, sie muß daher bei der Scheidung nicht aufgeteilt werden, und wer weiß, vielleicht wäre das Mädchen N. dem Geköpften irgendwann einmal zu alt geworden, o je, kein Mädchen mehr, und dann rein mit ihr in die Abfalltonne, in die das liebe Laub kommt, wenn es überflüssig wird, und bevor es flüssig wird und grauenhaft stinkt. Ich habe eher den Eindruck, sie, die kleine N., sollte als eine Art späterer Gattin wieder von einer Art Gatten in die Zivilisation eingeführt werden, sehen Sie, da hätte ihr ihre überaus große Sprachbegabung und all die Mühe des Herrn selbst, ihren Hausmüll woanders als in der Haustonne zu entsorgen, nichts geholfen, sie hätte wieder in die Welt zurück müssen, aber in eine, die auch außerhalb ihres Lochs nur aus ihrem Besitzer hätte bestehen dürfen. Sie wurde im Draußen, im outer space, na, in Wien halt und meinetwegen auch in Wien-Umfahrung, ich meine Umgebung, in Strasshof in Niederösterreich, verglichen mit Wien bereits Ausland, weil man dort niemanden mehr findet, nicht einmal, wenn man nach ihm sucht, als Helferin vorgestellt, als Fliesenhelferin,


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als Betonierhelferin, als Zureicherin, wie man am Bau sagt, aber irgendwann wäre sie vielleicht zur Verlobten aufgestiegen, zum Herrn P. emporgestiegen (sonst hätte seine Mama Verdacht geschöpft aus ihrem warmen Mamatopf heraus, aus dem sie sich selber, als Schöpferin, nein, mit dem Schöpfer austeilt, denn die Mutter ist die einzig Liebende, die es gibt, aus Prinzip, ich weiß nicht welchem, aber keine Liebe ist größer als die, die später in Haß umschlägt, wie meine zu meiner Mama, in Haß, diesen kalten Umschlag für die verletzte Liebe, ich habe es am eigenen Leibe erlebt, es ist ehrlich wahr, wenn hier irgendwas wahr ist, dann das). Und N.s Hygieneartikel mußten all die Jahre selbstverständlich in einem andren als dem üblichen Drogeriemarkt gekauft werden, sonst wäre ein Verdacht entstanden und bald bis zum Grund ausgeschöpft worden. Entschuldigung, die Qualität wie die Qual des guten Erzählens besteht darin, daß man es nie bis zur Neige ausschöpfen darf, es muß immer ein Rest ungesagt bleiben, ich bestehe aber nur aus Resten, dies hier ist ein einziges Resteessen, ich bitte um Entschuldigung dafür, aber leider 2L8. Brigitte, bitte beginne endlich, du hast unsere ganze Aufmerksamkeit, Erzählung, beginne jetzt ebenfalls, nach über hundert Seiten oder so, ich hebe bereits den Arm für den fleißigen Einsatz, was, du willst immer noch nicht?! Brigitte, und das ist vielleicht noch schlimmer, obwohl ihr Essen und Atmen und sogar das Geigenspielen gestattet ist, vorausgesetzt, es   kommt ihr keiner nahe genug, daß er sie hören könnte, und nicht einmal das stimmt (wer, der z. B. mich hörte, könnte nachher sagen, es wäre das


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Mitgeteilte aus unmittelbarer Zeugenschaft gewesen, das wird keiner von mir behaupten dürfen), Brigitte wird hier nie beginnen, und sie wird hier enden, aber nicht im Verlies, nur verlassen, ihr Zug des Lebens, der Zug ihres Lebens wird hier anhalten und nicht mehr weiterfahren, obwohl es auf der ganzen Strecke kein Signal gibt, was gibts da noch groß zu erzählen? Bitte, warten Sie dennoch! AFAIC werde ich es immer wieder versuchen. Naja, Großes würde mir ohnedies nicht gelingen. Es gibt so viele wie eine solche Frau, allein in der Provinz, die stirbt, der Ort stirbt, die Frau nicht, noch nicht, aber eingesperrt werden sie deswegen noch lange nicht, diese einsamen Menschen, diese Kerker ihrer selbst, alle Löcher des Landes wären ja voll von ihnen, dieses Land ist allerdings, wie jedes andre auch, nicht einmal dies hat es für sich allein, voll von Arschlöchern, ich nehme mich da keinesfalls aus, ich will ja auch dazugehören, ich habe eine Karte für dieses Land mit meiner Geburt erworben, und jetzt darf ich dort überallhin, und in mich darf auch jeder hinein, wie es sich für einen guten Arsch gehört, und wie schon Mozart sagt, der gern dort war, wo es finster war, man hätte das von ihm nie vermutet. Inzwischen weiß man es, er hatte ja seine Tage, ich meine sein Jahr. Sehen Sie, kaum will man was erzählen, gibt es schon nichts mehr zu erzählen, dafür jede Menge zu behaupten, eine Menge, die nicht zu messen ist, jeder, der mit dem Maßstab käme, dem würde ich den Stab sofort wieder aus der Hand reißen und ihn weitergeben, diese Lokalbahn wird als unrentabel eingestellt, ja, die Lokalität auch, Sperrstunde! Schade, es war so eine schöne Strecke, den Fluß entlang, die


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Berge links und rechts, wie ein schönes Pochen an der Tür von diesen Bergen, die ihren Boden sanft abwärtswerfen, manchmal auf die Autos der Touristen, wer hätte da nicht mitfahren wollen in Brigittes Leben (nicht im Auto dieser Touristen, das, mitsamt Inhalt, unter dieser gemeinen Steinlawine begraben wurde!) und mitten in ihr Kleinlebewesen, ich meine in ihr kleines Leben hinein? Keiner. Einer, aber nur kurz, bei der dritten Station ist er schon ausgestiegen, er hat seinen Rucksack und seine Skier genommen und ist einfach ausgestiegen, nach kurzem Gruß, von dem ich auch nichts zu erzählen habe. Ein paar achtlose Worte, weiter nichts, aber sie können einen Menschen dauerhaft zerstören, so wie z. B. das Wort Moralistin. Ich jedoch liebe es!, wenn auch nicht unbedingt in meiner Nähe, es kommt aber trotzdem, ein Hund, der überall rausgeschmissen worden ist und jetzt versucht, mir ein paar Stücke, nein, nicht Theaterstücke, rauszureißen und zu fressen, aber nicht einmal der kriegt sie, ums Verrecken nicht, und wenn er verhungern würde. Brigitte, eine erfundene Figur, zum Erzählen in der Erzstadt entwickelt und sofort wieder stillgelegt, wie jene Stadt, da leider von mir entwickelt, Brigitte wird enden, wie alles von mir Erfundene, ich bin längst zu müd, weiter leben zu lassen, was nie gelebt hat, was nie ein lebhaftes Erzählen gewesen ist, sie wird, nach einem vielversprechenden Anfang in Bruck a. d. Mur, ebenfalls enden wie Gras, obwohl sie gern anders geendet hätte, vielleicht auf einem Konzertpodium oder, ein wenig abgelegener, unter einem anderen, unter anderem, abgelegen wie eine ferne Stadt oder wie duftendes Heu in einem schönen


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Stall unter dem Arsch des Christkinds, das am Sonntag kommen wird in diesem Jahr, von mir aus gesehen 06, und nächstes Jahr auch, aber ohne mich, immerhin, was man hat, das hat man, denn ihr, Brigittes, Exmann ist jahrelang der Sachwalter der Tante gewesen und hat es seiner früheren Frau, nach dem Tod der Tante, günstig zuschanzen können, damit sie sich dort für den Rest ihres Lebens von dieser Schanze stürzen kann (hoffentlich! Hoffentlich wird es nicht abgerissen, bis nur noch ein Loch übrigbleibt, in dem sich die Leute verkriechen müssen, weil ihre Wohnanlage abgerissen werden mußte), verschanzen und lebend begraben lassen kann, habe ich vorhin nicht etwas anderes behauptet? Passiert mir ebenfalls dauernd, denn ich erinnere mich nicht, sowieso nicht, ich erinnere mich an nichts, warum auch, ich sage ja doch nie die Wahrheit, und die Erinnerung betrügt sogar besonders gern, schon beim Geben, wenn die Karten ausgeteilt werden, schon beim Mischen kann man sich helfen, die Erinnerung, flieg los, mein Schatz!, weiß, sie kann nicht fliegen, und ich kann nicht rechnen, sie betrügt uns alle, weil wir wünschen, in Ruhe die Zeit mit ihr, der Erinnerung, der lieben Erinnerung, zu Haus zu verbringen, wir werden kein Fotoalbum mehr brauchen, wo wir doch den Computer haben und das Handy, wir speichern alles, auch Hinrichtungen, und das Gespeicherte mit dem ultimativ Gespeicherten, der jetzt tot ist, endlich, nein, neue Bilder kriegen wir von dem nicht mehr rein, verkaufen wir dann, 30 Cent pro Hinrichtungs-Video, das kann sich nun wirklich jeder leisten, auch in extrem armen Ländern, und so eine Anschaffung lohnt sich immer. Dafür, will sagen im Gegensatz dazu, müssen Sie


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bei mir nichts zahlen, würden aber sicher sogar zahlen, daß Sie das nicht lesen müssen, das kostet aber schon überhaupt nichts, im Gegenteil, es spart Strom!, Sie schützen die Umwelt, wenn Sie mich abdrehen!, aber was auch immer ich sage, was auch immer ein andrer, Besserer, Besessenerer, sagt, wir sind nichts, wir sind nichts, nichts, nichts, und wenn man sie fragte, jetzt habe ich vergessen, wen, ach ja, die Erinnerung, sie würde uns darauf ungefähr folgendes sagen: Ich weiß es nicht mehr, dabei weiß sie immer mehr als wir!, ja, die Erinnerung, ein bißchen mehr als dies würde sie uns vielleicht schon sagen, damit wir einen ordentlichen Mehrwert zusammenkriegen: Sie würde lieber ausgehen, die Erinnerung, denn im gegenwärtigen Leben geht sich ja doch nichts mehr aus, ausgehen würde sie und sich woanders Anregungen holen, damit sie anders ausgehen kann, woanders hin, aber dann wäre sie nicht Erinnerung, dann wäre sie pure Erfindung, allerdings noch nicht Erzählung!, es wäre nicht spannend, das muß ihr schon klar sein, und auch ich kriege hier keine Spannung hinein, vielleicht weil ich nicht stärke und daher auch nicht bügle, Blödsinn, nein, ich betrüge Sie jetzt, das ist meine Spezialität, da ich kein Leben habe, habe ich nur noch meine Erinnerungen, aber diese Erinnerung, diese eine, daß ich Papa deportiert (Jahrzehnte nachdem man ihn beinahe wirklich deportiert hätte!) und getötet habe (bitte helfen Sie mir, meine Frau und meine Tochter wollen mich weg haben! Was soll ich denn jetzt machen, sie wollen mich nicht, meine Frau und meine Tochter, beide wollen sie mich nicht! Was soll ich nur machen?), das ist eine schreckliche Erinnerung für mich, deren Kernaussage ich erst


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neulich so nebenbei von meiner Nachbarin erfahren habe, zu der sich Papa damals immer geflüchtet hatte, ich wußte das nicht, keine Ahnung, aber weg mußte er trotzdem, EOD, DND, das hatten Mama und ich so beschlossen, auf sein Jammern konnten wir nicht hören, wir hatten eine größere Aufgabe, nämlich: zu Zweit zu sein und zu bleiben, ja, das war eine große Aufgabe, etwas, das anderen, die das auch, noch vor mir, vor meiner Existenz, vielleicht gern versucht hätten, nicht zustandegebracht haben, sich des Vaters zu entledigen, uns ist das gelungen, Mama, Klytämnestra und mir, dem Elektro Hingegebene, doch diese eine Erinnerung, die ist klug und weise, die betrügt man nicht, und die betrügt auch mich nicht, so war es wirklich, ich habe es jetzt erst erfahren, nachträglich, unsäglich, nein, unsagbar, daher ist es gar keine Erinnerung, aber ich wußte sofort: So war es wirklich, so und nicht wie ich vorhin gesagt habe, als ich gelogen habe! Was übrigens? Keine Ahnung, sondern es wird so gewesen sein, wie ich es nächstes Jahr sagen werde, warum soll ich es erzählen, denn nächstes Jahr wird es so sein wie es voriges Jahr gewesen ist, oder? Erzählen ist wie auf ein neues Haushaltsgerät warten, aber nein, nicht wie das Gerätewarten, das Entkalken, das doch so nötig ist, aber jedes Gerät ruiniert, zumindest wenn ich es mache. Was haben Sie denn da schon wieder nicht kapiert? Kaum hat man es, ist es schon wieder technisch veraltet, das Gerät, und die liebe deutsche Sprache (und ihre fixen angestellten Verwalter, die uns sagen, wie man sie wohin schreibt), die sich in den eigenen Grund-Stücken nicht auskennt, verlangt einen andren, einen viel neueren erzählerischen Grund-Ton, um sich darauf


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abzustimmen, weil die Stimmgabel heute leider Ausschlag hat, ich meine: ausgeschlagen hat, mit der sie in Gourmetrestaurants gehen und sie, die Gabel, bevor sie zu essen beginnen, an der Garderobe abgeben, denn dort kriegt jeder seine eigene Gabel, auf Kosten des Hauses, naja, also das Abstimmen funktioniert trotzdem recht gut, keine Ahnung, wie die das machen, aber es funktioniert, alle spielen jetzt schön und harmonisch und enharmonisch verwechselt (denn sie sind temperiert gestimmt, immer ordentlich temperiert, wie guter Wein, bevor er serviert wird) miteinander und mit unseren Menschenknochen. Der berüchtigte englische Frauenmörder Christie hat schließlich sogar mit dem Unterschenkelknochen einer Frau seinen Zaun geflickt, er hat ihn mit einem Stück Holz gepaart und zusammengespannt, damit die Länge des neuen Zaunpfahls genau stimmen sollte, mit dem er winken wollte, bis endlich die Polizei kam –  probieren Sie das mal mit mir, mit meinen alten Knochen! Es wird Ihnen vorkommen, als hätten auch Sie sich mit einem Stück Holz gepaart. Aber noch spreche ich! Warten wir auf nächstes Jahr, vielleicht ist dann wieder alles anders, dann liege ich vielleicht richtig, aber immer noch wie ein Holzklotz, ein Dreck das alles, so oder so, Bestechung und Amtsmißbrauch und Tennis und Ski, fragen Sie nicht wie, fragen Sie mich nie, es sind immer die Skier, mit denen letztlich abgeschwungen wird, in einem spritzenden Bogen aus Wut, der sich vom Weiß des Schnees vorteilhaft abhebt wie eine Pudelhaube oder ein neuer Ski-Overall, in einem stäubenden Zurück! Jetzt, fremder Reisender! Los! Abschnallen! Ich schnalls


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nicht. Was wollte ich sagen? Egal was, eine Erzählung wird das nie, das steht jetzt fest, was eine Erzählung auch nicht darf, sie soll fließen, aber auch ihre Tief- und Höhepunkte haben, von mir aus. Sonst wäre sie nicht Wasser, sondern eine vollkommen flache Glas- oder Rigipsplatte. Fragen Sie mich nicht weiter, ich antworte nicht, hier bin ich zu Haus und antworte nicht, hier, in Österreich, ganz recht, derzeit wird ein neuer Kurs für Österreich gesucht, den es aber wieder nicht besuchen wird, das seh ich schon!, nein, ich antworte nicht, wenn ich gefragt werde, und zwar deshalb nicht, weil ich schon lang nicht mehr gefragt bin, naja, manchmal bin ich vielleicht schon noch gefragt, aber ich antworte nicht. Ich antworte niemandem. Ich ziere mich. Das wirds sein! Ich verziere mich mit einer Verweigerung. Das, was Sie mir da vorsetzen, esse ich nicht. Soeben erkenne ich mich doch in dieser Verweigerung glatt selbst wieder und fasse es nicht: Ich ziere mich, damit Sie mich noch viel schöner verzieren können, doch Sie tuns nicht. Ich kann mir erlauben, daß Sie hier nichts verlieren werden, kein Stück Lebenszeit, und auch nichts verloren haben. Diese Wahl hatte N. nicht, der nur erlaubt und ermöglicht war, sich als Verlassene in ihrem Verlies einmal umzudrehen, und sogar das Verlies noch hat sie sich eingeteilt in verschiedene Zimmer, einteilen müssen, im Denken, ja, im reinen Denken, das ist ja so wichtig für uns!, damit sie in dem Loch eine gewisse Orientierung in die Weite hinein hatte, dort ein Waldstreifen mit Buchen, hier ein Regal mit Büchern, das leider endenwollend ist, weil ja auch die Wand bald wieder endet, da haben sich Räume aufgetan, die ihr zwar nicht


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aufgetan wurden, die sie sich aber vorgestellt hat, sie hat sich innerlich erweitert, da sie es äußerlich ja nicht konnte, sie hat an ihren Orten und Einrichtungen gearbeitet, und das sollten auch Sie tun, die Sie Ihre Selbstbestimmung lieben und Ihre persönliche Freiheit, welche viel kleiner ist, als Sie es sich überhaupt vorstellen können, kleiner als das Verlies der kleinen N. (die hat sich die Freiheit sicher viel größer vorgestellt, als sie ist, denn als sie sich die Freiheit vorgestellt hat, war sie auch noch kleiner als heute, ein Kind, ich meine die kleine N., der die Freiheit damals größer erschienen ist, als sie ist, das merkt sie jetzt, glaub ich). Da leben viele an vielen Orten und Einrichtungen, sie lernen und lehren, das auch, von mir aus, vielleicht werden Sie sogar mehrere Berufe haben, aber ich erzähle ums Verrecken nicht von ihnen, nein, von Ihnen auch nicht! Lieber würde ich krepieren. Denn ich erzähle gar nicht. Weil ich es nicht kann und aus. Und Sie sind es mir nicht wert. So. Und ich bin es mir auch nicht wert. Weil ich es mir nicht wert bin! Das kommt ja noch dazu.  N. hat nur den einen Beruf, am Leben zu bleiben und im Geist Kontinente zu durchwandern, angeleitet von Ö1, dem wundersamen Sender, der überliefert kein auf Jahrhunderte gebautes Sicherheitsdenken, wie früher vom Radio her üblich, sondern Unruhe, Selbstentwicklung, ja, und auch den Drang zur Unsicherheit, weil das Radio einem alles vermitteln kann, was man alles nicht weiß, wenn man genau zuhört, was kaum einer von uns tut, welcher zur gleichen Zeit auch fernsehen könnte, und das Zuhören lernt man dann vom Qualitätssender,


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nicht von einem andren Menschen, der einem ja nie zuhört, wie N. es gelernt hat, ein Sender, der einem ebenfalls nie zuhört, das ist auch nicht seine Aufgabe, hallo, wir machen heut vielleicht einmal im Fernsehn Musik, na, wie wärs?, damit wir die Musik auch sehen können! Hören Sie uns überhaupt zu, hören und schauen Sie dem Nebel von Frau Carmen nicht zu? Aber der Nebel dient doch dazu, daß Sie eben nichts sehen können, das aber leider sehr genau! Der hört Ihnen nicht zu, also müssen schon Sie ihm zuhören, sie hört also zu, wenn sie ihre Lieblings-CD mit der Anne Sophie Mutter aufgelegt hat, diese andre Frau K., woanders, so anders, nein, so anders auch wieder nicht, was für ein Zufall!, daß diese Frau ihre Gedanken auf Reisen schickt und manchmal mit ihnen, auf der Gedanken Schwingen, bis Bruck a. d. Mur gelangt, wo sie einst, früher, war, was ist passiert, daß sie das Lebensgefühl ihrer Generation nicht teilen kann, denn es ist unteilbar? (Und die Generation ihrerseits will ihr Lebensgefühl natürlich auch nicht mit ihr teilen, mit niemandem, auch mit dieser mutigen kleinen Gefangenen nicht, der ihr Mut aber erst acht Jahre später etwas nützen wird). So geht also wieder bloß ein Gedanke auf Reisen, jede Zehntelsekunde, die Gedankenfahrpläne wären unglaublich lang und unübersichtlich, der Gedanke, der traurige Gedanke, sucht seine Träne, die ihm wie ein Hund auf dem Fuße folgt, eine Träne, die ebenfalls auf Reisen gegangen ist, möglicherweise jedoch in genau die andre Richtung, und dieses Verlies, dieser Kerker in klein (wie die Fertig–Salettln in den Baumärkten ja auch ganze Häuser in klein sind, dort hat Herr P. womöglich gelernt, daß man alles machen


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kann, nur eben sehr viel kleiner und weniger, dafür hatte dann er vielleicht umso mehr davon. Das hat er nun davon! Jetzt fehlt ihm ein wesentlicher Teil, wenn nicht der wesentlichste, den er noch hätte brauchen können), für den wir keine Bevölkerungsprognose abgeben können, denn eine Bevölkerung hätte hier in diesem Loch nie und nimmer Platz. Vielleicht läßt sich da was machen? So, dieser Kerker ist nach einer halben Stunde Geisteswandern endlich mit Wäldern und Seen bestückt, wie diese wunderbare Gegend hier, diese überzeugte Realo, die es wirklich gibt und in die Sie fahren sollten, denn die Einschätzung, die Bewohner dieser Gegend hätten, im Gegensatz zu der Bewohnerin eines winzigen Kellerverlieses unter einer Garage (sogar das Auto hat viel mehr Platz, allerdings ist es auch größer! Nein, das stimmt so nicht, ich muß nachprüfen, ob ein PKW die Länge von 181 cm erreichen kann, wie soll ich etwas erzählen, wenn ich nicht einmal sowas weiß! Hab aber eh schon hundertmal zugegeben, daß ich es nicht kann, ich gebs ja zu, was soll ich denn noch alles tun, Erde essen? Na schön, ich hab eh einen Garten, die Erde ist mir leicht erreichbar), ein relativ schlechtes Bild von ihrer Stadt gewonnen, von dieser ehemaligen Erzstadt, diese Einschätzung ist falsch, aber jede andre würde uns auch täuschen und enttäuschen, da muß noch einiges vom Fremdenverkehrsamt getan werden, bevor wir dorthin fahren! Im Widerspruch zu N.s Erfahrungen, daß es anderswo schön sein könnte (man erinnert sich sogar noch daran, denn man war vielleicht einst selbst woanders), aber keinesfalls dort, wo man gezwungen ist zu sein, und im Widerspruch zu jeder Erfahrung sollte man nicht woanders sein wollen,


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denn nur dort, wo man ist, hat man ein erträgliches Maß an Leiden erreichen können, aber wenn Sie ein unerträgliches Maß erreichen wollen – bitte! Von mir aus. Schmeißen Sie mir nur weiter Ihren Müll in meine Tonne, schmeißen Sie nur weiter Dreck gegen meine Hauswand, werfen Sie mir nur weiter Ziegelsteine in meinen Vorgarten, irgendwann wird dann Ihr Haus nicht mehr da sein, und ich werde lachen! Wir treten hier auf der Stelle. Da ist schon ein richtiges Loch entstanden, aber für einen Menschen ist es noch nicht groß genug, es ist für das Vergraben eines Faserschreibers im Grunde, nein, nicht in diesem Grunde, noch zu klein. Was könnte ich also erzählen? Es ist bei den Bewohnern der beispielhaften (ich weiß nur noch nicht: Beispiel wofür?) Erzstadt gerade die Einsicht in die schöne Landschaft zur Gänze vorhanden, glauben Sie mir, aber es wird Sie nicht weiterführen, was eine Erzählung ja sollte, bitte, die Einsicht ist nicht verschwunden, denn sie ist nie im Leben fortgefahren, und daher fahre auch ich in meiner Erzählung nicht fort, ich bin ja auch nie weggefahren. Das ist meine Rache an mir. So wie das, was ich mache, auch nie gut ankommt, leider, n1, nicht wahr?, wann werden Sie endlich aufhören, sich bei der schreibenden Jugend mit sowas einzuschleimen, Sie Idiotin Sie, die nichts kann und das sogar selber zugibt? Wenn sich das Mädchen N. geziert hat, vor der Arbeit drücken wollte, nein, das wollte es nicht, nie, es wußte, was ihm dann blüht, dann wurde sie, die kleine N., wahrscheinlich, ich weiß es nicht: verdroschen, mit harten Gegenständen beworfen, so denke ich mir das, aber es war sicher viel schlimmer. So denke ich es mir, es ist ja, wie so mancher sagt,


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der nicht dabei war, im Grunde ganz einfach, allerdings dann nicht, wenn es ein anderer sagt, nur eben anders. Wir alle sind Kopflose, und diese doch recht kleine Zeitung führt uns täglich an, sie wünscht sich das so sehr, daß sie uns anführen kann. Jeder, der schreibt, wünscht sich das, aber ich nicht, ich wünsch mir das nicht, denn ich weiß: Wir sind nicht einmal die Angeführten, es hört einem ja nie einer zu, außer dem, der jetzt eine Million von seinem schönen Buch verkauft hat, da wird schon der eine oder andre drunter sein, der auf ihn hört. Da ich ihn nicht kenne, weiß ich nicht, wer er ist, aber ich höre nicht einmal auf meine innere Stimme, die mich warnt, jemanden zu schmähen, und auch von außen benötige ich keine Zurufe. Es könnte jeder sein, der mir dann aber nichts sagt. Ich bin eher fürs Nichtssagende, und einer, der nichts sagt, könnte mir daher prinzipiell gefallen. Das sagt natürlich nichts. Auch wenn ich noch so viel sage, ich kenne nichts und niemanden. Immerhin. Diese Zeitung jedenfalls tut es, sie drückt und drückt, und sowas kommt heraus! Ich kann es gar nicht anschauen. Und diese dort drückt auch, und sie machen einen schönen Haufen, und sie werden von mir verflucht, was sie gar nicht spüren, denn aus mir spricht nichts als Neid. Sie arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander, diese zwei Zeitungen, die alle beide hier vor mir nicht auf den Knien liegen, warum nicht?, sie wollen halt nicht und wer weiß welche noch, die auch nicht will, die das aber abdrucken wird, was ein Schreiber, ein andrer Schreiber als ich und noch einer und noch einer aus einer Wunde in seiner Aorta hervorstößt, nachdem ich ihm den Todesstoß versetzt haben werde mit meinem


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Instrument, das zu spielen ich einmal gelernt habe. Ich kann gar nicht sagen, wie viele ihm (und mir) dafür dankbar sind, daß er jetzt ruhig ist. Er ist ein andrer. Was der da in den Schnee pißt, ist ein Dreck, ist des Drucks nicht wert, den wir in Form von Leserbriefen, aus denen auch nur Neid spricht, und Postings, aus denen der Haß spricht, veröffentlicht sehen wollen, und was ich an Wunderbarem zu bieten habe, das wird nicht gedruckt, das habe ich in meinem Testament bereits verfügt, denn wenigstens über mich habe ich die alleinige Verfügungsgewalt (so wie Herr P. die Verfugungsgewalt über seine Fliesen hatte, au weia, gut, daß das nicht gedruckt wird und bei mir seinen kleinen Koben gefunden hat, unter keiner Garage, obwohl ich sogar eine hätte, aber es wäre mir zu blöd, deswegen extra ein Loch in deren Betonboden zu graben!), und zur Abwechslung verfluche ich mich selbst, denn alles, was ich bewirken könnte, ist (das Mädchen ist ja schon gerettet, oh, wie gern hätte ich diese Leistung für es erbracht! Aber ich bin ja nicht die Polizei, die das ebenfalls nicht tat, obwohl es ihre Aufgabe gewesen wäre), nein, was ich bewirken könnte, wäre, daß wenigstens die Fremdenverkehrsinitiativen nicht miteinander, sondern gegeneinander arbeiten. Es müßte alles unter einen Hut gebracht werden, was wir den freiheitsliebenden und freizeitsuchenden Menschen anbieten. Wer, der mich nicht riefe wie die neue Toilettenanlage an der neuen Langlaufloipe (beides noch nicht erbaut, aber in Planung, die Erzstadt betreffend), wer, der mich nicht dringend brauchte wie die Bevölkerung die Verbesserung ihrer Einkommenssituation (viele habe gar kein Einkommen mehr), und wer, der die


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Mentalität der Bewohner dieser Erzgegend verantwortlich machte für die momentane Situation, die eine touristische Entwicklung mehr behindert als fördert, wer also, der mich nicht riefe, sähe mich denn noch unter all dem Tamtam um dieses zwangsverschickte Mädchen mit dem zugegeben, ich bin leider nicht die Erste, die es zugibt, entsetzlichen, furchtbaren Schicksal, ja, wer, der mich riefe, sähe mich dann überhaupt an, bei dieser erdrückenden Konkurrenz, welche da unter dem Beton hervorgekrochen kam? Keine Sorge, ich komme schon von selber, aber noch viel häufiger gehe ich! Schauen Sie nicht mich an, schauen Sie, dort liegen, wartend, bereits viele, viele andre furchtbare Schicksale zur Entnahme bereit. Greifen Sie zu! Menschen wurden gerufen, und ich war es, die kam, Ihnen davon zu berichten. Nein, ausgeschlossen, ich bin ja gar nicht da. Zum Glück sieht mich keiner oder bemerkt seinen Irrtum noch rechtzeitig, daß er zwar rief, aber nicht mich, jedoch kam ich, kein Problem, vielleicht eins für mich, aber keines in Wirklichkeit, denn man sieht zum Glück derzeit nur auf das arme Mädchen N., das ja nicht einmal eine Mentalität entwickeln konnte, sich dafür aber mental entwickeln durfte, dank dem Radio, den Zeitungen und den Büchern, die es lesen durfte, dieses Mädchen, das so viele für eine Lügnerin halten, also diese Blogs da in der elektrischen Ausgabe einer Zeitung!, gleich kriegen Sie einen Schlag!, ich fasse die lieber nicht an, ich fasse es nicht, aber was fasse ich schon? Wie neidisch die Leute sind, sogar auf dieses arme Kind sind sie neidisch! Sie neiden ihr den Kerker! Nein, danke. Lieb, daß Sie mir helfen wollen. Aber meine Schamlippen sind mir


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nicht zu schwer, alles andre ist es schon, auch wenn es leichter wäre, es wird nicht leichter, nicht so leicht wie die Erde oder die Tüte meiner Lieblingsboutique, die ist für mich so etwas wie für andre ein Lebensmensch, diese Boutique, wo ich mir vorige Woche den olivgrünen Pulli mit dem Rollkragen gekauft habe, für den ich längst zu alt bin. Ich bin zu alt für meine Kleidung, das steht fest. Viele werden angeschaut, aber mich sehen sie zu meinem Glück gar nicht, also kann ich sowieso anziehen, was ich will; manche sehen mich aber leider schon, wenn sie mal zufällig in einem Eisenbahnabteil sitzen und mich, die ich zufällig auch dort bin, ausspechteln, bis nichts mehr von mir übrig ist, nicht einmal das Weiße (keine Made), das sie mir aus den Augen herausfressen wollen mit etwas, das sie hinter ihren sinnlichen Lippen dreieinhalb Stunden gut verborgen halten, ja, sie sehen mich leider, also diese Frau hat mich ganz sicher gesehen, ja, die Schwarzhaarige, genau die, von der ich öfter mal rede, ich wollte, ich könnte es unterlassen, doch ich habe nun mal den Beweis, sie hat davon berichtet, daß sie mich einst da sitzen sah, nicht liegen, mich arme Wanderin, sie hat mich ausgespäht, und sie könnte es wieder tun, obwohl ich gar nicht richtig da bin, was sie nicht gemerkt hat und auch das nächste Mal nicht merken wird, sie hätte wahrscheinlich nicht einmal gemerkt, wenn ein Elefant ins Abteil getreten wäre und ihr einen hätte blasen wollen, ich meine von ihr einen hätte geblasen haben wollen, doch, doch, das hätte sie glaub ich schon gemerkt; was wollte ich sagen, kann es aber nicht, und zwar vor lauter Neid auf die Lebenden, die so gut zu leben verstehen wie


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diese wunderbare, schöne, dunkle Frau im Eisenbahnabteil, die es eindeutig kann, weil sie alles kann, nur halt schreiben nicht, das sieht man ihr an, was sie alles kann, so schnittig und dunkel wie die ist, wie keine andre, Klasse, oder?, ich dagegen, ich bin kaum richtig da, da bin ich schon dagegen, und ich blühe folgerichtig auch daneben, naja, blühen kann man schon lang nicht mehr sagen, aber immerhin, ich bin auch noch da, kontemplativ, das bin ich, würde ich mal sagen, wenn ich ein Wort auswählen müßte, aber ich muß ja gar nicht. Sie lesen hier meine gesammelten Kontemplationen, was schon ein Blödsinn ist, weil man sie ja nicht sammeln kann wie Beeren. Und jetzt warten wir geduldig (ich ungeduldig) auf die üppigen Kontemplantagen der jungen N. Diese junge Frau durfte jetzt so lange nicht da sein, wie ich da war, wie alle übrigen auch da waren, und an ihrer Stelle, nein, an einer andren Stelle etwas anderes in die Tasten hieben, doch die meisten mußten wenigstens keine Angst vor Hieben haben. Arme N.!, keine Sorge, ich war ja da, und wo ich bin, wächst kein Gras mehr, und da wächst auch kein andrer mehr. Ich lasse keinen andren hochkommen, aber wenn ich jemandem entschlossen entgegentrete, ist das für andre ein Grund, ihm entgegenzukommen. Wenn Sie mich sprechen wollten, dann konnten und können Sie das jederzeit, aber lieber wäre mir: nicht! Ihnen sollte es auch lieber sein. Und ich habe sogar etliche Germanisten und andre Lichter in schimmernden Gefäßen (damit sie vor Zuglust, nein, Zugluft geschützt werden und ruhig über mir leuchten können) zur Hand, aber ich haue ihnen mit meiner andren Hand sofort in die Fresse, mit der, die grad nicht mit meinem Körper beschäftigt ist


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oder mit Bodenschrubben, Fliesenlegen oder Wände ausmalen oder Wandverbaue vermessen oder Wandverhaue basteln. Doch all das tue ich eben, Ihnen zu Fleiß, mir mit Fleiß:  nicht. Wenn ich sie nur erwischen könnte, die gemeinen Unmenschen, welche die arme kleine N. beneiden, überall, alle, ausnahmslos alle möchte ich erwischen, und mich seit Jahren verfolgten Gutmenschen an ihre, N.s Stelle setzen dürfen, es müßte mir nur vorher einer ein Loch graben, damit ich eingesetzt werden kann, ach, wäre das toll! Die würden dann alle mich beneiden! Und ich würde sie rachemäßig, wie ein Rachenputzer die Bazillen, hinwegfegen oder hinwegstaubsaugen. Wenn N. nur hätte früher entwischen können! Ich hätte es ihr so gewünscht! Sie beschäftigt mich dermaßen, geradezu maßlos, das sehen Sie ja, wenn Sie es sehen wollen, und wenn nicht: Tastendruck, au, Hilfe! und weg! Sie können sich gar nicht vorstellen wie sehr ich mich nach etwas sehne, keine Ahnung nach was, aber die kleine N. hat immerhin ein Ziel vor Augen gehabt, nicht zu sterben! Selig die, die Verfolgung leiden, und glücklich die, die wissen, wie man da wieder rauskommt. Die wissen, einmal werden wir da wieder rauskommen. Dieser Meinung ist auch das Volk Jehovas in seinem Schlamassel, in das wir es geführt haben, weil Moses keine ordentlichen Straßenkarten und kein GPS hatte. Na, sie wird ihre eigene Geschichte erzählen, viel Glück dazu, liebe N.! Erzähle du! Erzähle du jetzt bitte! Das Schreiben ist wahnsinnig leicht, und es geht auch schnell, das wirst du schon noch merken, und wenn man nichts gelernt hat, dann geht es besonders gut, dann hat man keine Hemmungen, und wenn man Geld braucht, geht es sogar


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besonders schnell, das sehen Sie an mir, denn man hat dann keine andre Wahl, als zu schreiben. Und daß man sonst nichts kann, treibt einen nur noch stärker an, man würde vielleicht untergehen, da man eben nichts kann und nichts dafürkann, auch das werden Sie sich noch merken, liebe, sympathische N.! Ich erkläre Sie hier und hiermit für unschuldig, das ist eine Selbstverständlichkeit für mich, Sie sind die Unschuld selbst, und daher sind Sie es auch ein für allemal. Einmal unschuldig – immer unschuldig, denken Sie an die deutschen Kriegsverbrecher und allgemeinen gemeinen Menschheitsverbrecher! Schreiben Sie darüber! Nein, bitte, bitte nicht, schreiben Sie nur ganz über sich! Was andres wollen wir nicht hören, von den Deutschen wollten wir nie so viel hören, wie sie uns gesagt haben, und es war so öde, mindestens so öde wie dies hier, was sie mit großer Kraft sprachen, mit größerer Kraft als ich habe. Man spricht Deutsch, lernen Sie es also gefälligst! Nicht Sie, liebe N., Sie können es besser als die meisten. Sie wissen ja: Nur als Deutscher sind Sie in Deutschland bzw. in Deutsch-Österreich wirklich unschuldig, und das wollen Sie doch sein, oder? Wie stünden Sie sonst da in unschöner geistiger Nacktheit? Andrerseits – wenn der ehemalige Finanzminister sich nackt zeigen kann bis auf den Grund, dann darf das jeder. Jeder, der kein Minister ist, vom Minister abwärts, der Minister immer aufwärts, aber Minister inklusive, alle nackt!, das ist das Neueste. Ich liebe ihn nicht, ich hasse ihn, den Deutschen an sich, der von seiner eigenen Sprache lebt und alle andren von der Futterstelle wegbeißt, das ist kein Privileg für


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ihn, nichts, was ich um seinetwillen eigens aktivieren müßte, denn ich hasse schließlich die meisten Menschen. Und es gibt ja sogar Menschen, die einen andren nur lieben können, wenn er ein Hund ist, und wenns dem Hund schlecht geht und er ohne Grund, denn es kommt kein Einbrecher, wiederholt kopflos mit dem Kopf gegen die Scheibe springt, holen wir den Tierschutzverein und den Amtstierarzt; wegen der Kinder, die bis zum Hals in ihrem eigenen Dreck stecken, holen wir niemanden, genau, die lassen wir drin, damit sie weiter unter sich lassen können, nein, den andren meine ich, glaub ich zumindest, ich hab jetzt vergessen wen, jedenfalls einen, der kein Hund ist, sonst hätte mein Rufen ja keinen Zweck, weil es kein moralisches Gefälle zwischen den Wesen gäbe, das es aber ohnedies nicht gibt. Daher war es wurst, wen die Nachbarn der in Linz-Urfahr (nein, dort fahre ich nicht hin! Vielleicht kommt dann wieder die dunkle Frau ins Abteil, wer weiß, vielleicht sind wir beiden dann die einzigen, die nach Linz-Urfahr fahren?) eingesperrten Töchter gerufen haben und aus welchem Grund. Der Grund und Boden war von der Pisse der Kinder und Haustiere schon bis zum Erdkern hinunter durchgeweicht, Hilfe!, das ehemals recht fesche, freche Haus in Linz-Urfahr wird bald abstürzen, wenn noch mehr saure Pisse dazukommt, ja, der Hund und die Mäuse, die haben auch hingemacht. Bitte, ich habe oft Hunde gehabt, lange, und ich habe sie auch heute noch herzlich lieb, obwohl ich ihre guten wie schlechten Eigenschaften kenne und obwohl sie derzeit leider allesamt tot sind, sie konnten und können ja nichts dafür, daß sie Hunde und tot sind, aber ich habe inzwischen großes Mißtrauen


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gegenüber Hundebesitzern, die so oft zurückreden, wenn ein Bulli ihren Fido attackiert, aber dafür nur Wesen lieben, die das eben nicht können: zurückreden. Widerreden und widerrufen. Es gibt auch andre Wege in andre Menschen hinein, man muß dazu kein Hund nicht sein. Ich verziere mich mit Farben, die ich mir auf Augen und Lippen schmiere, damit man mich auch ein wenig gern hat, doch die Blicke der Menschen schweifen ab und gehen ins Nirgendwo, wenn sie mich sehen. Nein, das stimmt leider nicht, in zumindest einem Fall hat es nicht gestimmt. Zur Sicherheit bleibe ich aber sowieso zu Hause, denn vielleicht würden sie mich ja doch irrtümlich anschauen, und ich würde denken, sie schauen mich absichtlich an (wie diese Frau, die im Zug leider nicht verschwunden ist, a lady doesn’t vanish) und in den Boden versinken; und wenn ich versänke, wer stellte eine Garage über mich, damit ich mich geborgen fühlen könnte wie ein schönes neues Auto, endlich? Also, die mich anschauen, irrtümlich oder nicht, hasse ich sogar ganz besonders. Alle hasse ich auf meinem Weg zu einer touristischen Mentalität, die alleine herumwandert, ohne mich, denn ich bin die einzige, na gut, also eine der wenigen, die reisen kann, ohne ihr Haus zu verlassen. Obwohl ich die Wahl hätte, auch einmal eine schöne Reise zu machen, bitte, jederzeit, hier spricht das Reisebüro, wir rufen Sie gerne zurück, aber diese fremden Länder haben grade Sie nicht gerufen, das können wir Ihnen jetzt schon versichern, ohne erst im Katalog blättern zu müssen. N. hatte diese Wahl nicht. Hoffentlich kann sie das Reisen jetzt nachholen. Ich habe es beendet, habe auch im Grunde überhaupt nichts gesehen, aber N. soll reisen, now voyager


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– schöner Film mit Bette Davis, falls Sies nicht wissen sollten, aber Sie sollten es wissen! Man hatte ihr, N., verwehrt, das Haus zu verlassen (mit einigen Ausnahmen, die näher– und näherrückten und immer weiter davonglitten, wie ein Nachmittag, der jederzeit ins Nichts der Nacht, in absolute Dunkelheit und Tod münden konnte). Der Häuselbauer P., der Unhold, ja, so sind sie, diese fanatischen Erbauer! Werden von mir mit Preisen versehen wie ich selbst für meine Prosa und meine Dramatik, und sie werden dann abqualifiziert, bis niemand sie kaufen will und sie den Kopf unter die Räder legen müssen. Sie würden aber in jedem Fall unter die Räder kommen. Die bauen wollen, die sind überhaupt meist so, daß es schon gegen Mittag nach Kalk, Leim, Mörtel und Fliesenkleber zu stinken beginnt. Ich werde noch mehr über Häuser zu sagen haben, als hätte ich nicht schon genug über dieses wichtige Thema gesagt, das, ganz nebenbei, auch mein Leben und das meiner Eltern bestimmt und dann zerstört hat, obwohl es sie eigentlich hätte aufbauen sollen, ja, auch das meiner Nachbarn zerstört, die nach der Fertigstellung ihrer Häuschen fast sofort tot umgefallen sind, aber nicht, weil es ihnen an Häusern gemangelt hätte, diesen Hirten ihrer Häuser, im Gegenteil, weil sie endlich da waren und aufrecht stehen konnten, die Häuser!, da waren ihre Besitzer dann recht schnell tot, dem Herzschlag erlegen, eine dem Aneurysma, mitten in der Nacht; für sie, diese Häuschen, wurde alles in die Schlacht geworfen, damit das Letzte aus den Ziegeln und dem Mörtel und den Menschen herausgeholt, damit es endlich herbeigeholt werden konnte, das Einfamilienhaus, das einen Viertelmeter höher und einen halben


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breiter war als das des andren Nachbarn, der aber ohnedies auch daran gestorben ist (vorher hat er noch seinem Vis–à–Vis die Aussicht ruiniert, gründlich mit sich selbst ruiniert, es ist mir eine besondre Genugtuung, daß auch dieses häßliche, verwöhnte, hochmütige Hochhaus in klein, wo ich wohne, einmal eine Ruine wird sein, leider werde ich das wahrscheinlich nicht mehr erleben, die Stahlfenster stabilisieren doch sehr); aus einem simplen Aushub im Boden entstehen Todesurteile und werden sofort vollstreckt, ganze Familientragödien beginnen so, siehe das Mädchen N. und ihr Besatzer in ihrer persönlichen Besatzungszeit; die westliche Normalzeit war dem Herrn P. offenbar zu kurz für das, was er erbauen und erreichen wollte!, bei uns daheim, auf einem kleinen Berg, waren diese ganzen Häuser da, die ich dann auf einmal alle nicht wollte, die ich nie wollte, ist das nicht eine originelle Maßnahme gegen mich? Wer fragt mich schon! Man hatte mich in ein Haus gesteckt und vorher nicht Maß genommen, jedenfalls nicht an mir und an Papa auch nicht, denn Mama hat immer nur an sich Maß genommen, ein andres Maß hat es nicht gegeben, sie war das Maß aller Dinge, und selbst für all diese Dinge war sie viel zu groß, übermenschlich groß, zu groß für mich auf alle Fälle, aber das sagt nichts, denn sogar dieser Aktenordner mit meinen Steuerunterlagen ist zu groß für mich, ich kann ihn nicht fassen, und Mama hat mich nicht gefragt, ob ich eins wollte, ein richtiges Haus mit allen Schikanen für mein armes todtrauriges Schicksal, sogar mit richtigen Fenstern zum Rein– und Rausschauen, nun ja, rein waren sie selten.  Willst du das, so sage Ja, sage


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nicht Nein zu diesem Häuschen, ein Nein würde dir, nebenbei gesagt, auch nichts nützen, nicht einmal Papas Nein, der das alles bezahlen sollte, hat was genützt, ihm jedenfalls nicht. Was, du willst nicht? Aber ich will, es ist der Wille deiner Mutter, mein Kind. Dieser Fragebogen, der keinen wirklich fragt, enthält immer nur ein Ja, es gibt keine Rubrik für das Nein. Ein Nein ist nicht vorgesehen. Auf dieses Haus, das ich schon gar nicht gewollt hätte, und wenn eins, dann nicht dieses, hätte ich gezeigt, wenn es damals schon gestanden wäre, wenn es gestanden hätte, daß es gar nicht zu mir will. Ich muß gestehen, daß dieses Haus eine Katastrophe ist, denn es gibt keinem die Gelegenheit, einen anderen auf Händen zu tragen, dafür ist es nun wieder zu niedrig, es gibt nur Gelegenheit für Zank und Streit und Neid und eine hinabstürzende Entwicklung aller Beteiligten, welche immer ihr Maß an Größeren genommen, die aber leider immer dann nicht greifbar waren, wenn man das Maßband endlich gefunden hatte. Und so hatten diese erbaulichen Menschen kein Maß, keiner von ihnen. Mami! Mami! Du weiblicher Teufel, wenn auch nicht in Menschengestalt! Zum Teufel mit dir, Entschuldigung, dort bist du ja, bitte geh sofort wieder zu ihm zurück! Warum sich immer an Größeren orientieren, warum ausgerechnet du, und warum hast du dich ausgerechnet an Alexander dem Großen und dessen verheerenden Feldzügen, zu denen er ein Heer gebraucht hat, das du nicht gebraucht hast, Mami, am Großen hast du dich also orientiert, hättest dich nicht am kleinen Muck orientieren können?, und so paßt es mir immer noch nicht, das Haus, außer ich werde im Alter kleiner, was allerdings zu erwarten ist,


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also, ich sagte es bereits AFAIR, und ich kann mich daran sogar erinnern, denn es war, glaub ich, nur eine halbe Seite zuvor: Die Maßnahme, mich zu befragen, ob ich dieses Häuschen überhaupt wollte, erfolgte nicht, neben vielen andren Dingen, die auch nicht folgen wollten und nach denen mich auch keiner gefragt hat, dafür antworten mir alle dauernd ungefragt, was sehr unangenehm ist. Ich sage es so nebenbei, obwohl es mein Leben zerstört hat, grade deshalb muß man sowas ganz nebenbei sagen, das ist eine Regel der Erzählung, die ich befolge, obwohl hier nie eine Erzählung folgt, ganz nebenbei, weil dieses Haus sich ja auch nicht sehr hat anstrengen müssen bei was auch immer, beim Erbautsein vielleicht, ich bin nicht erbaut, daher weiß ich nicht, wie man sich da fühlt, wie es sich fühlt, das Haus, das Leben, das ist ganz leicht gegangen, einmal mit Schwung auf den Boden, um die Erd hauen, auf den Putz hauen, und schon ist er drunten, bums, da liegt es, und schon war es zerstört, mein armes Leben, und aus. Das Haus werden wir noch öfter ohne Helm, wie Kinder weder Fahrrad fahren noch reiten sollten, um die Erde hauen müssen, bis wenigstens die Dachrinne abbricht, sie ist eh schon rostig, jetzt laß ich eine neue aus Kupfer machen, das ist zwar häßlich, aber dafür unverwüstlich, die Wüste trage ich nämlich inwendig, in mir, die Dachrinne bewahrt mich davor, mich zu waschen und nicht naß zu machen, weil sie das Wasser daran hindert, zu mir ins Haus hereinzukommen, ohne eingeladen zu sein, was kann ich dafür, daß es so zerbrechlich ist, das Haus, mein Leben, nein, das Haus, ein andres Leben, ich hab es mir bestimmt nicht so gewünscht, aber so bekommen. Andre bekommen ein Loch in der Erde, um zu leben,


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und können es trotzdem und besser als ich. Aus mir sollte vielleicht doch nicht soviel Neid sprechen? Ui, jetzt wirds brenzlig! Ich sollte endlich ruhig sein, schon lange ruhig sein. Unfreundlichkeit ist weder für den Tourismus noch für einen selber geeignet. Wir laden gern uns Gäste ein, aber noch lieber im Fernsehen, in das viel mehr Gäste hineingehen als in uns. Es kommen allerdings immer die Falschen, wir sind nicht dabei, und wir drehen wieder ab, so wie Herr P. der armen N. die Luft abdrehen konnte, das Essen sowieso. Und, obwohl man sich so sehr einen Besitzer wünschen würde, wünscht man doch keinen Besetzer, der einen in seiner Freiheit einschränken würde, damit würde die geistige Infrastruktur zusammenbrechen. Bei der kleinen N. ist, jaja, im Gegenteil!, diese Infrastruktur errichtet und ausgebaut worden, allerdings eine sehr kleine, denn wenn wenig Platz vorhanden ist, muß die Einrichtung besonders sorgfältig erwogen und gewogen werden, sonst ist sie zu schwer für die Erde, die uns doch ± leicht sein soll, Ikea weiß das eh schon lang. Wie wunderbar, daß sie da rausgekommen ist, aus eigener Kraft, die N., ich hätte das nie geschafft, mein Gott, niemand bewundere ich so wie dieses Kind, das in Serviceleistungen, allerdings für eine einzige Person, dermaßen geschult wurde, daß sie sofort im Fremdenverkehr anfangen könnte, aber sie mußte doch ausschließlich ihrem Besitzer dienen, der sie dafür einschloß, die kleine N., aber egal, mit Fremden hätte sie sowieso nicht verkehren dürfen, die wären alle umgebracht worden vom Herrn P., wie dieser angab, nicht einmal mit fremden Blicken durfte sie Verkehr haben, und den Service mußte sie selbstverständlich selber besorgen, kochen,


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putzen, waschen, bedienen, was man als Frau und Kind halt so macht, wenn der Tag lang ist, und in so einem Fall, da sie nichts, absolut nichts andres zu tun hatte, tat sie das vielleicht sogar gern. Es war eine gewisse Abwechslung, stelle ich mir vor, aber sie wird das in ihrem Buch widerlegen, danke. Dadurch neugierig geworden, hinterfrage ich dieses Klischee, daß die Frau sowas immer gern macht und werde von dem Befragten, dem Klischee, wie üblich eifrig bestätigt. Die Unfreundlichen sind immer die anderen, wir Frauen dagegen sind dem Servicegedanken sehr zugeneigt. Nun,  Herr P. hat jemand dafür gefunden, er hat nicht gewußt, woher nehmen, daher hat er ihn gestohlen, er hat den Servicegedanken in Gestalt dieses Mädchen gestohlen, um diesem Gedanken zu seiner schönsten Blüte zu verhelfen. Viel Glück für deinen Schulabschluß, liebe N.! So, bitte, diese eherne, eiserne, ehemalige Stadt zieht das auch in Erwägung, nein, nicht den Schulabschluß, natürlich nicht, und hier haben wir auch schon, was wir stattdessen erwägen, die schöne Eisenblüte, sie ist zwar längst vorbei, aber eine neue entsprießt bereits, allerdings nicht aus Eisen, und sie ist wirklich wunderschön, wieso, das weiß ich nicht, es hätte ja auch ganz anders ausgehen können, ich führe die Prägung durch die Landschaft an, aber das zieht in diesem Fall nicht, denn als N. verschwand, da war die Landschaft der 22. Wiener Gemeindebezirk (oder der 21. ? Keine Ahnung, ist aber sicher schon längst erforscht worden, ich bin ja immer die Letzte, die was erfährt, nicht der Bezirk, die Antwort auf diese schwierige Frage, so, der Satz stimmt nicht, ist


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mir aber egal, ich müßte ihn ändern, meinen Meissel hab ich ja, aber den Hammer find ich nicht, ich habe auch keine Zeit, denn jetzt weiß ich endlich die Antwort, googlegoogle, es war Wien–Leopoldstadt, also der 2. Wiener Gemeindebezirk, und das gilt jetzt und für immer, aber manche glauben es mir nicht, – vielleicht glauben sie es ja der eifrigen Aufspürmaschine, die wirklich mal eine Belohnung verdient hätte, ein Stück Hundekuchen vielleicht? – weil der zu dicht besiedelt ist, der 2. Bezirk, als daß man ihm unbesehen Menschen entnehmen könnte). Sie hat nichts bekommen, die kleine N., außer zu Weihnachten, ein feststehendes Fest, das zu begehen (um die Vergangenheit in einem einzigen Tag bewahren zu können?) sie ihren Entführer gezwungen hat, wie sie im TV ausführlich ausführte, ich glaube, zum Geburtstagfeiern hat sie ihn auch noch gebracht. Da schrumpfte das Gebirge ihrer Gefangenschaft dann zu einem gedeckten Kaffeetisch mit Kuchen zusammen, so stelle ich es mir vor, sicher falsch, ich werde es dereinst noch genauer erfahren, ich brenne darauf wie diese Geburtstagskerzen, und denken Sie an Ihren letzten Geburtstag, dann wissen Sie, wie man sich fühlt, wenn man nicht das bekommt, was man sich gewünscht hat, aber immerhin doch etwas, das Sie nicht wollten, und die Leute faktisch zwingen muß, daß sie überhaupt kommen und was mitbringen. N. hat sich auch den Geburtstag gewünscht, denn ein Geburtstag ist eine Sache, die sich im wesentlichen nicht abändern läßt, er steht eben jedes Jahr bereits fest, bevor das Jahr überhaupt begonnen hat. Kleine Geschenke, die die Freundschaft erhalten sollen, hats auch gegeben. Da sehen Sie, wie unbescheiden andre sind!


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Ich z. B. habe mir früher mal einen fundamentalen Umbruch in ganz Europa gewünscht, und ich persönlich wäre sein Auslöser gewesen, naja, mit ein paar andren Genossen gemeinsam, die hätte ich schon als mother’s little helpers gebraucht, in Tateinheit mit anderen war das gedacht, aber ich hab nicht einmal eine Kamera auslösen können, und wie so ein Fotohandy funktioniert, das weiß ich auch nicht, und wie ich die Fotos dann verschicken könnte, bestehend aus lauter, möglichst vielen, Pixeln, das kann ich daher schon gar nicht wissen, weil ich ja nicht einmal weiß, wie ich diese Fotos herstellen könnte und wie viele Pixel eins ergeben könnte, bis einem das Bild entgegenspringt wie eine Quelle aus dem Boden, keine Sorge, es kann jederzeit wieder gelöscht werden, ohne Wasser, diese Quelle löscht ohne Wasser des Wanderers Durst, das ist nicht viel, aber für den Wanderer ist es oft genug die Rettung, bevor der Bär kommt und die ganze Rettung wieder zunichte macht. Nein, wir schweigen nicht, wir reden aber auch nicht, wir erzählen nichts, wie könnten wir auch, da wir niemand sind und nichts und nichts sehen, nicht einmal, wenn es uns schon die ohnedies blinden Augen zerreißt, die Tausenden starrenden blinden Augen; wir könnten uns gemütlich zusammensetzen und reden, aber wir tun es nicht, wir suchen noch, wir suchen schon seit Stunden und Stunden, aber wir finden nichts, denn Europa, das wir beeinflussen wollten, wir wissen nur noch nicht genau, wie und womit und vor allem warum wir das tun sollten, Europa befindet sich zur Zeit, wie es angibt, nicht in einer akuten Krise, und Grund zum Angeben hat es nun wirklich nicht, oder doch? Nun, wo befindet sich Europa? Es ist im Arsch?


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Nein! Das kann nicht sein, wenn ich an den unerhörten Aufschwung des Euro gegenüber dem Dollaro denke. Doch, doch! Dort ist es, schauen Sie nur nach! Also, gesamteuropäisch gedacht – es geht ihm recht gut, vielen Dank, Europa und dem Euro, den beiden Schlawinern, tja, also unterm Strich zumindest, der sich in der südlichen Slowakei befindet und mit minderjährigen Romamädchen bestückt ist, die den ganzen Tag auf nichts als auf Männer warten, die dann schlechte Freunde sind und nichts für Geschenke zahlen wollen oder zuwenig (N. wurde wenigstens vor ihnen bewahrt, vor schlechten falschen Freunden, zum Glück), und die sich selbst für gut bestückt halten, o je, verzeihen Sie, dochdoch, also auf dem Strich, äh, unterm Strich meine ich,  geht es Europa danke gut, zumindest wenn man es mit anderen Kleinstädten vergleicht, es hat alles, was es benötigt, und mehr, und es gibt alles, was es hat, und mehr! Von dem, was es hat, gibt es freimütig wie die Natur, aber Vorsicht, was uns im Dunkel wie ein Baum vorkommt, ist oft keiner. Und was uns wie ein Mensch vorkommt, ist oft etwas ganz andres, wenn man das Licht abdreht, die Landschaft hat es verdient, daß man ihre Schönheit nicht stört, und wenn es sich um ewig gleiche Getreidefelder handelt. Stören Sie dieses Kind nicht, denn das Kind könnte, ohne Licht besehen, eine Frau sein und das womöglich selbst noch gar nicht wissen! Gut, wir sagen es dem Kinde jetzt, daß es eigentlich eine Frau ist, mit der man doch viel mehr anfangen kann als mit einem Kind. Also da wäre ich mir nicht so sicher. Doch bedenken Sie: Ein Kind muß man betreuen, eine Frau betreut von selbst. Nun, jetzt weiß es diese schreckliche


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Wahrheit, der Gebrauch, den man von einer Sache macht, eröffnet uns ihren Nutzen. Diese Mädels in der Slowakei, in Rumänien, in Bulgarien, in Tschechien, in Kapadokien, in Thrazien, in Illyrien, was weiß ich wo, diese Mädels, ja, meinetwegen die Buben auch, aber nicht in dem Ausmaß, sind ein unerschöpflicher Reichtum dieses Kontinents, seine Töchter, und sie sind so jung, gut, daß sie so jung sind, denn das ist der allergrößte Reichtum für eine Frau, jung zu sein, da kann man noch viel mehr mit ihr machen, als wenn man alt ist oder sie alt ist, aber sogar dafür kann man noch Pflegegeld kassieren, oder?, doch ich schwänze diesen Text, ich schweife ab, also erzählen kann man das schon gar nicht nennen, ich wiederhole es, und ich nenne es ohnehin nicht so, das müssen Sie zugeben, eher, ach, was weiß ich ... es (ich glaube: Europa, now) hat aber wirtschaftliche Erosionen erleiden müssen, Europa wie eine ganze Gegend, die es ja schließlich auch ist, wahrscheinlich aus Bequemlichkeit, denn es kann ja nicht weg, genauso wenig wie ich, und könnte es weg, es wollte Amerika sein, stark wie ein Stier dieses Land, das Europa ASAP ficken möchte, die Raketenabwehr ist bald geliefert, Europa wäre dann also Amerika Nord, nein, jetzt nicht mehr, dort ist es viel zu gefährlich, wir bleiben lieber hier, hier ist es auch schön; dort wandert man nur in Naturparks, aber die Natur ist kein Park, sie wird dazu gezwungen, sie wird zu ihrer eigenen Schönheit gezwungen, sie muß gezwungen werden, sonst ginge doch keiner rein, und genauso ist das mit dem Mädchen am Wegesrand, das einst dort als Blümlein stand, und jetzt steht halt ein ganz andres dort, das vorige wurde nämlich untergepflügt, der Vorrat


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ist einfach unerschöpflich, scheint unerschöpflich zu sein, ich selbst bin, wie immer, viel zu erschöpft, um es zu beschreiben, diese Mädchen an den Abfallstraßen, den Ausfallstraßen Europas, die nehmen es mit dem Abfall und den Ausfälligkeiten Europas jederzeit auf, die kann man gar nicht genug zu schätzen wissen, wenn man mit ihnen umzugehen weiß, diese Mädchen sind unerschöpflich, mir fällt noch immer kein andres Wort ein, unerschöpflich, obwohl sie so gerne aufgetakelt ausgehen, es kommen immer neue nach, auf Pauschalreisen an den Plattensee z. B. findet man ganz viele von ihnen, kann aber nichts mit ihnen tun, weil man zu besoffen ist, und was machen eigentlich die jungen Männer? Die machen auch etwas, doch ich weiß nicht was, außer saufen, ich sehe es nur an den Arbeitslosenstatistiken, sie pfuschen am Bau, wenn auch nicht einmal am eigenen, wie die arme kleine N., auch ein Mädchen Europas, das müssen Sie zugeben, aber nicht repräsentativ, dazu ist ihr Schicksal doch etwas zu ausgefallen, oder, es ist sogar weltweit einmalig, ich schwöre es Ihnen! Nein, ist es nicht, Kinder verschwinden andauernd und überall! Oder nehmen wir ein andres Beispiel: englische Industriestädte, ich meine, das ist ein andres Beispiel für etwas ganz anderes, Orte, die ich aber auch noch nie gesehen habe und nie sehen werde, weil ich gar nichts sehe, Orte, an denen ich noch nie war, aber an anderen Orten war ich auch noch nie, und so bin ich schon wieder dabei, wie die Blinde von der Farbe vor mich hin zu schwätzen, blödes Gewäsch, das sagte Mama immer zu mir, Sie haben es mir auch schon so oft gesagt, also muß Mama wohl recht gehabt haben, was mich heute noch ärgert, recht geschieht ihr,


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daß sie tot ist!, und doch muß ich es jetzt glauben, denn aus eigener Anschauung weiß ich ja nichts, danke, daß Sie es mir endlich verraten haben und daß Sie es mir seit Jahren verraten, so wie ich Papa verraten habe und er mich, denn er hat mich nicht beschützt, meiner Mama allein hätte ich die Anschauung nicht geglaubt, der hätte ich grundsätzlich nichts geglaubt, das ist gut, daß Sie mir sagen, was ich schreiben  soll, denn wenn man mir nicht etwas mindestens zwanzigmal sagt, kapiere ich es nicht, ich war noch nicht an diesen Orten, niemals, geschweige denn damals, als sie noch blühten, die Orte, die Städte, ich aber noch nicht oder nicht mehr, so genau weiß ich das nicht, ich habe ja noch nicht einmal diese Erzstadt gesehen, die, wie das Gute an sich, doch so nah liegt, aber das, was nah liegt, ist für mich noch lang nicht das Naheliegende, und so rede ich Unsinn, Blech wie für Dachrinnen, unsicher und ungeschickt, über nicht Gewußtes und nie Erfahrenes, sogar über diese Eisenstadt (nicht zu verwechseln mit Eisenstadt im Burgenland, wo ich, glaube ich, einmal war, als Kind, aber sicher bin ich mir auch da nicht), und diese Eisenstadt in der Steiermark ist mir so nahe wie meine eigene Haut und gleichzeitig so fern wie eine nicht vom Fremdenverkehr geprägte Münze, die hier keiner annehmen würde, er bekäme sonst Unannehmlichkeiten, denn wir sind schon lang ein Für-Andere, nur eben praktischerweise für uns. Für sich läßt man uns nicht sein, weil wir früher so viele Verbrechen begangen haben, daß man uns sicherheitshalber nicht mehr allein lassen kann, nicht einmal allein mit uns, und schon gar nicht allein mit dem Deutschen, wer weiß, was uns dann wieder


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einfällt, doch wir sind umerzogen worden, umerzogen zu fremdenverkehrsfreundlichen und fremdenfreundlichen Menschen, naja, nicht ganz, ein Stückerl fehlt noch, ach, weil ich mich eben daran erinnere, meine Haut, die ist mir derzeit fast weniger nahe als diese Erzstadt, meine Haut, die inzwischen meinem Körper schon ein wenig ferner ist als sie es einmal war, genauer gesagt: Sie ist mir etwas zu groß, wie kriege ich meine Haut jetzt klein? Das ganze restliche Leben werde ich dazu nicht brauchen, das werde ich dafür nicht zu bemühen brauchen. Das muß doch von selber gehen, ich bin doch selbst schon mühelos kleingekriegt worden, warum dann nicht meine Haut verkleinern, die sich durch Alter erweitert hat, im Gegensatz zu meinem Erfahrungsschatz, der immer kleiner wird, jetzt rangiere ich als Frau unter ferner liefen, eigentlich laufe ich gar nicht mehr, nicht öffentlich jedenfalls, und das Rangieren ist auch nicht so einfach, da ist keiner mehr, da sind keine Leute, die man ordnen könnte, und man kann nicht mehr, wie in der Jugend, in einen andren Menschen beim Rangieren so einfach hineinkrachen und sich wieder von ihm lösen, als wäre nichts geschehn, Metall bohrt sich recht nett in Metall, da es Metall gar nicht ist, oder was andres bohrt sich in was ganz andres, siehe Eschede und ICE, mehr brauche ich wohl nicht zu sagen, rein ins Netz und recherchieren, falls Sie damals noch nicht gelebt haben!, und dann wird wieder sorgfältig entkoppelt. Das ist vorbei, es ist zu dramatischen Schrumpfungsprozessen gekommen, überall in Europa, auf der Welt und in mir, ich lasse nichts mehr in mich hinein, außer Essen, und nichts mehr an mich heran, außer meiner neuen Hautcreme mit Hyaluronsäure und -zig


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TV-Serien, vielleicht hilfts ja. Aber allzu offensiv will ich diesen Rückbau meiner selbst und all der Städte ringsumher auch wieder nicht thematisieren, denn daß ich kein Thema habe, ist noch lang kein Grund, Sie damit, also mit nichts, zu belästigen, was Ihnen wahrscheinlich ganz recht ist. Ich möchte gerne von mir abwandern, was nicht klug ist, aber was ist schon klug, denn ich bin inzwischen das einzige, das ich noch habe, dessen ich mir noch sicher sein kann vor dem triefend feuchten Geburtskanal des Todes, wo ich stehe, ein leises Rieseln in der Luft, das nicht von leise rieselndem Schnee kommt, sondern von dem Nichts, das ich schon fühle, ein leeres sinnloses Rauschen, ach, Natur zu beschreiben hat mir noch nie Freude gemacht, ich brauch ja nur zum Fenster hinauszuschauen, und dort ist alles besser, was geschieht, und dasselbe gilt für Sie, die Sie vielleicht in einer schöneren Umgebung leben als ich, so schwer wäre das gar nicht zu erreichen, wie kann es möglich sein, daß sich in mir, in meiner Person, Subjekt und Objekt gegenüberstehen und einander anstieren, mit blutunterlaufenen Augen, denn es gibt rundherum nur noch Leere, und Erkennen ist bei mir nie Erfassen, vielleicht bin ich gar kein Mensch, wahrscheinlich ist das so, denn wer nie bei sich ist, wird auch das Selbsterkennen lange bleiben lassen müssen, ich erkenne mich gar nicht wieder, kein Funke springt über, ich verstehe nur Bahnhof, wo ich manchmal noch gern hingehe, um mir im Licht der Dunkelheit eine Zeitschrift zu kaufen, nein, mein Erkennen lebt definitiv nicht und hat nie gelebt, das weiß ich jetzt, und trotzdem bin ich da, also muß ich wohl auf der Welt sein, aber ich erkenne


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nichts, und ich will keinen sehen, den ich nach dem Weg fragen könnte, dem Weg der Erkenntnis, der dann schon Erkenntnisvollzug wäre, allerdings mit beschrifteten Bäumen, damit man die Natur auch erkennt, wenn man sie denn einmal wiedersieht, aber auch vollziehen kann ich nichts mehr, nur die Schuhbänder kann ich noch zuziehen, damit wenigstens sie eine Bindung eingehen können, Vorhänge habe ich keine, also mein Sein und mein Da Sein sind geschiedene Leute, die Orte leeren sich rapide, wo aus dem Erkennen der Situation (prekär!) ein Erkennen und vielleicht eine neue Bekanntschaft, sogar Beziehung zur Welt entstehen könnten, naja,  so wie überall in Europa Menschen abwandern von dort, wo sie nicht gebraucht werden, dorthin, wo sie auch nicht gebraucht werden und man vor allem ganz gewiß nicht ausgerechnet auf sie gewartet hat, außer man wäre der Besitzer einer Baufirma oder die Besitzerin eines Haushalts oder eines grauslichen Greises/einer Greisin, der/die gepflegt werden will, wer, wenn man sie riefe, käme denn? Zu viele, ja, es sind nämlich insgesamt zu viele, obwohl wir alle immer weniger werden, wir selber schrumpfen nicht, die Städte schrumpfen aber, weil wir so leicht aus ihnen weggehen wie Brigittes Mann, der Elektrobesitzer, damals aus seiner Ehe, das ist ja nur ein Beispiel, denn ich habe mir hier die große Aufgabe gestellt, von der sterbenden Geigenlehrerin Brigitte K. in einer sterbenden Stadt zu schreiben, aber Ihnen ist das sicher auch schon passiert, daß Sie fast gestorben wären, so wie damals, als Ihnen das Soufflé zusammenfiel, da der Chef Ihres Mannes plötzlich und ohne Voranmeldung Ihre


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Wohnung betrat, um Sie ein wenig aufzubauen, da er vorhatte, die Stelle Ihres Mannes, der nur für Sie unersetzlich ist, aber sonst für keinen, vollständig abzubauen, wie Erz, bis nichts mehr da ist, also wissen Sie, wie diese Städte sich jetzt fühlen, wenn sich schon ein Mensch so entsetzlich schlecht fühlen kann, ohne daß er wirklich schlecht wäre. Jeder Mensch ist verbesserungsfähig, wie gesagt wird. Es kommen nun, in rascher Folge, also in so rascher Folge, wie die jeweilige Stadt es sich leisten kann, der Abbruch überzähliger, ebenfalls schlechter, feuchter, schimmeliger, unansehnlicher Wohnungen und deren Räumung von guten, trockenen, unansehnlichen Mitbürgern (und die bilden sich das nicht ein, daß sie schlecht sind, ihre Wohnungen, sie kippen einen Schalter, und nichts geschieht, sie drücken auf einen Knopf, und nichts geschieht, sie setzen sich aufs Klo, und nichts geschieht, was ohnehin besser ist, denn die Spülung ist kaputt, etc.) und der Rückbau nicht mehr benötigter Infrastruktur (Straßen, Leitungen, Einrichtungen, nein, den Tisch lassen Sie hier, ja, die Sessel auch, die passen doch zusammen, finden Sie nicht, oder, wenns denn sein muß: Können Sie nicht bitte schön die hübschen Sessel, an denen einst jemand hing, ich meine auf denen ich saß, auch noch nehmen, alle zusammen, die sind das gewöhnt, die ertragen es nicht, plötzlich so ganz alleine zu sein, ich seh schon, nicht alles, was zusammenpaßt, darf auch fein sein und beinander bleiben, o je). All diese Dinge folgen, allerdings nicht uns,  sie folgen einem unsichtbaren Gesetz, daß die Leere immer weg muß, wenn sie entsteht. Nach Bewältigung dieses Schocks, daß wir mit den Dingen stets


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mitgehen mußten, manchmal ohne daß wir es gemerkt hätten, so sehr waren wir an diese Dinge gewöhnt, sind wir alle überwältigt, natürlich, auch die Städte, die ausgebeindelten, entkernten (nein, in Kärnten sind wir hier nicht, um Gottes willen! Achten Sie auf Ihre Rechtschreibung und wenn nicht, dann achten Sie bitte wenigstens auf meine!), entbeinten Städte sind bewältigt und überwältigt und übergangen und überfahren (die Loipen sind zwar im Nachbarort, aber jetzt wollen wir auch welche haben, über die wir drüberfahren können, wie ein Mensch über den andren und bevor wir selbst überfahren werden, und wäre es von einer Entlassung aus dem Betrieb, in dem wir aufwuchsen! Wieso soll nur der Nachbarort profitieren, der ohnehin schon seit Jahrzehnten ungebührlich, nein, eher sogar über Gebühr profitiert?, wir wollen auch über die Gebühren profitieren!, ja, der Ort nebenan, der weiß, wies geht, er ahnte es schon, als es den modischen Langlauf mit der modischen Langlaufkleidung für die Gesundheit, nein, nicht die Kleidung, den Sport für die Gesundheit, noch nicht einmal gab?), jene Städte, die eine irrelaufende Verwaltung miteinander kombinierte und für die Öffentlichkeit freigab, obwohl sie doch gar nicht mehr da waren und obwohl die Öffentlichkeit ja bereits aus ihrem Nichts ausgeschlossen war, was man erst gemerkt hatte, als man sie zum Urlaubmachen rief, die Öffentlichkeit, die gesamte, so, nach alldem nehmen wir erst mal einen kräftigen Schluck Nichts, das ist ein Getränk, das einfach zu allem paßt, ja, hier im Gourmet-Guide steht es auch, dort steht, was alles zusammenpaßt. Diese Städte verschwinden nun also, schon bevor sie verschwunden sind. Irgendwas stimmt hier nicht. Macht


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nichts. So. Und wir sind nun mit neuer Kraft dabei, den Turnaround auf neuem Niveau zu schaffen, das nicht unsres ist, und wieder eine neue Zukunft zu entwickeln, die nicht unsre ist, in einer Kleidung, die nicht unsere ist, sondern geliehen (da kriegt man immer das Neueste, es lohnt sich für Sie und für den Händler noch mehr!), und man sollte sich keine Kleidung leihen, solang es die Skipisten noch gar nicht gibt, das Hotel noch nicht und das Stehklo Dixi (nicht, daß man dort nur stehen könnte!) auch nicht, dabei könnte der Fremdenverkehr ein wichtiges Standbein sein, das man sich beim Sport ja jederzeit wieder brechen kann, die Alten werden das nicht mehr verstehen, von den Jungen hoffen wir, daß sie es verstehen, damit da irgendwie ein andrer Geist endlich einzieht, und es wäre auch nicht schlecht, wenn überhaupt ein Geist einziehen würde, egal welcher, der würde gut ankommen, aber blessiert, in Gips gegossen, wieder abfahren, und wäre er der Geist der Zeit, es wäre nicht unsrer, unsere Kasse zahlt nicht für seine Verletzungen, das muß schon seine eigene tun, und jetzt schauen Sie sich bitte mich an, die ich nicht ich selbst bin und die Zeit schon lang nicht mehr verstehe und trotzdem über sie schreibe, was man mir schon oft verboten hat, wie, das wollen Sie nicht?  Dann schauen Sie sich halt die neu entstandene Supernova an, die ich grad im TV gesehen hab, ein Wahnsinn!, die können sie gleich in Tschechien installieren, zur Abschreckung, oder in Polen. Was, Sie wollen sie nicht? Also wenn Sie die nicht wollen, ist Ihnen nicht mehr zu helfen. Aha, Sie wollen sie schon, Sie wollen alles, wenn Sie dabei nur nicht mich anschauen müssen, was


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meine Späherin im Zug, nicht schlecht, Frau Specht!, nun wieder ausdrücklich ausnimmt. Aber die ist an sich schon eine Ausnahmefrau. Sie wollen sowieso am liebsten alles, allerdings mit Ausnahme von mir? Ich will Sie aber umgekehrt auch nicht sehen, das macht schon Ihr Spiegel, der sieht Sie richtig, Sie aber sehen sich falsch, seitenverkehrt, ja, schon gut, die Kamera auch. Sie wollen mich, aber wie eine Melange, aber bitte nicht mit Schlag, ohne den Schlag nach links, den ich habe, alles klar, na schön, wenn Sie es wollen, gerate ich halt nicht mehr außer mir, es ist auch wirklich kein schöner Anblick, wenn ich das tue, die Supernova kann es besser, jeder kann das besser, und schauen Sie sich stattdessen lieber Brigitte an, die ist fast wie ich, nur keine Sorge, sie ist nicht ich!, Brigitte, von der eigentlich die Rede ist, zumindest sein sollte. Aber ich kann es nicht, ich kriege es nicht hin, daß von ihr die Rede ist. Komisch. Ihrem Exmann geht es da ganz ähnlich wie mir. Ich rede und rede immer nur selber, allerdings nur über mich. Das habe ich doch früher nicht gemacht! Es war ursprünglich meine Vornahme, ich meine meine Aufgabe, von ihr die Rede sein zu lassen, aber ich lasse die Rede immer sofort sein, wenn sie mir kommt, aber wenn sie mal durchkommt, dann komme ich Ihnen dumm, aber schon so!, leider, ich komme jetzt doch nicht dazu, eine Rede zu halten, knüllen Sie dieses Papier jetzt zusammen, das heißt, falls Sie es sich überhaupt ausgedruckt haben! Mein statisches statistisches ballistisches Material, balla balla, das ich mir zusammengesucht haben, liefert Ihnen reichlich Gründe dafür, zu entscheiden, welches Kaliber Sie sind und welches ich bin, denn es stimmt


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nicht, es ist zusammengestohlen, besser wärs gewesen, ich hätte selbst Erfahrungen gemacht, aber das ging persönlichkeitsseitig von mir, ja, von meiner Seite aus, wie gesagt, leider nicht, ich liefere nur Hinweise, bin jedoch nicht einmal im Einzelfall wirklich verläßlich, da ich mich mit dieser Stadt beschäftige, die ich nicht kenne, denn wenn ich zu Brigitte, die ich auch nicht kenne, überhaupt je käme, würde ich meine Vorlage aufgeben, die da heißt: nicht mit dem Schreiben aufhören! Keinesfalls! Alles, nur nicht das! Ich weiß, Sie sehen das anders. Bitte, besser wärs ja, aber: keinesfalls! Ich sollte zwar, aber ich will nicht! Ich schreibe nun weiter nur über mich unter dem Namen Brigitte, weil ich Brigitte nicht kenne, und wenn ich mich mit ihr beschäftigen würde, bräuchte ich mehr Zeit, die ich nicht habe, also beschäftige ich mich mit mir. Ich komme immer vor Brigitte, die Bluse kommt vor der Jacke, Hochmut kommt vor dem Fall. Ich komme jetzt allerdings nicht mehr mit: Ich ist ein anderer (oder wie man das besser sagen könnte als ich), ich bin die kleine Waise des In-der-Welt-Seins, und wer sperrt mir jetzt auf, denn ich will das Weisenhaus, äh, Waisenhaus verlassen, in das ich eh nicht hineingehöre, ich hatte Papa und Mama, jawohl, auch ich hatte einen Papa und eine Mama, zum Glück sind sie tot, endlich, Papa schon lang, doch wie erschließe ich mir das Dasein, bei dem Loch, das ich im Auge habe, nein, das ich nicht im Auge habe, wird es nicht möglich sein, da müssen Sie Ihren Schwanz oder Ihren Schlüssel, was Sie halt grade zur Hand haben, schon woanders reinstecken, oder Sie müßten fest arbeiten, so wie ich an mir, denn ich kenne nur


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Verdeckungsarten, keine Entdeckungsarten, und wie weit ist überhaupt die Weite der Entdeckbarkeit? Dort drüben endet sie schon, dort ist die Tür zum Nachbarzimmer, verrate ich Ihnen, im Geheimen, denn dies hier ist privat, wie eine verschlossene Toilette, und zwar ausnahmslos jede. Das steht auch außen drauf. Ich verstehe nichts, und wenn, dann verstehe ich es nur, indem ich es aufschreibe. Vorher weiß ich null. Aber indem ich etwas aufschreibe, bekomme ich einen Schimmer vom Bildschirm, daß dahinter etwas ist, und zwar die Schreibtischlampe, nein, die ist daneben, hinter dem Bildschirm steht das Foto meines herzigen, inzwischen leider verstorbenen Hundes. Sie sehen also, auch wenn es Ihnen mißfällt, was Sie oft zum Ausdruck gebracht haben, da Sie ja ganz richtig erkannt hatten, daß mein Schreiben keinerlei Verbindlichkeit besitzt, da es mit der richtigen Welt ja überhaupt nicht verbunden und also ungültig ist, wie die richtige Welt angeberisch prahlt, während sie aufsteht und sich über mich erhebt, aber sie hat ja recht, sie ist besser, als ich sie beschreibe, oder schlechter, was dasselbe ist (und daher auch alle Interpretationen absolut ungültig, es hat keinen Sinn, sich den Liftpaß zu kaufen, er wäre ungültig, schon bevor ich den ersten mühevollen Schritt auf die Bretter und mit den Brettern tun könnte), schreibe ich und beschreibe ich trotzdem immer noch, und zwar einen Bildschirm, was soll ich denn sonst beschreiben? Das ist es, was ich vor mir sehe. Ich kann, wie gesagt, nur beschreiben, was ich vorher im Fernsehen gesehen habe. Was andres kenne ich nicht. Aber meine Finger tasten auf diesem Schirm nichts, ich kann dorthin


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nichts schreiben, das ist ja kein touch screen, aus dem mein Schreiben nachdenklich und keinesfalls nachdrücklich auf mich herausblicken könnte, da es ja von dort gekommen ist und erst im letzten Moment sieht, was ich mit ihm vorhabe. Ich schreibe es ab, ich geniere mich, doch ich schreibe weiter, auch wenn mir wer zuschaut, mein Schreiben mir zuschaut, auf mich zurückschaut, was ich gar nicht gern habe, es ist so furchtbar, das Schreiben jedoch, das auf mich im ersten Aufglühen des Morgens, bevor er hell wird, zurückschaut, ist noch mehr zu bedauern, es sieht ja nichts als mich, und immer so etwas Schreckliches wie mich sehen zu müssen – schlimm! krass!, und zwar, glaube ich, schreibe ich aus keinem guten Grund, am ehesten noch aus Trotz und aus Neid. Nein, nicht Ihnen gegenüber, die Sie mein Schreiben nicht erwünschen, sondern mir gegenüber, weil ich nicht aufhören kann, genauestens wie Sie sein zu wollen. Wie Sie alle will ich sein, wie jeder einzelne von Ihnen. So wie Sie sich mir gestern im TV präsentiert haben und heute wieder präsentieren werden, ja, morgen auch, so will ich sein! Wenn Sie nie im TV waren – Pech gehabt! (Die Supernova vorhin – Glück gehabt!) Dann kann ich Sie mir nicht zum Vorbild erwählen. Ich würde das nie zugeben, nein, ich gebe es ja doch zu: Ich will wie Sie sein! Aber dazu müßte ich Sie erst einmal, und nicht erst einmal!, gesehen haben. Doch, o je, ich kann es nicht. Ja, ich möchte bitte wenigstens probieren, wenigstens einmal wie Sie zu sein, falls Sie zufällig Iris Berben oder Frau Neubauer oder jemand ähnlicher sind und in den Schemen eines deutschen Films schematisch auf- und wieder abtauchen (Gespenster des


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Deutschen, so schauen sie heute aus!, was für ein bewundernswerter Weg, den sie inzwischen, zwischen Leben und Tod, zurückgelegt haben!), will ich Sie oder wie Sie gern sein, was gewiß nicht ohne Anprobe gehen wird. Erst, wenn auch solche guten und schönen Menschen mich aus einem deutschen Bildschirm heraus ganz genau angesehen und sofort wieder ausgemustert haben werden, werde ich etwas anderes versuchen, werde ich versuchen, eine andere zu sein, weil sie mir doch nicht gepaßt haben werden, diese großartigen Menschen, von denen man was lernen kann, probieren geht schließlich über studieren. So. Wo ist jetzt der andere, der ich sein könnte? Hier ist niemand. Ich schreibe weiter, denn ich kann eben nicht anders, und ich kann nichts anderes. Jedes andere, das aber auch immer ein Schreiben wäre, würde Erkennen voraussetzen (man müßte jemand kennen, der man sein wollte! Man müßte zumindest einen anderen Menschen kennen), nicht meiner selbst, damit fange ich gar nicht erst an, das schaffe ich nie, weil ich ein hohles Loch bin, ein Nichts, ein Hohlkopf, und auch nicht ein Erkennen dieser wilden Tiere, die mich großgezogen haben in ihrer dunklen Höhle, an deren Wänden es nicht einmal Schatten gab (Strom sparen!),  und ich würde nicht einmal im Spiegel mein Gesicht erkennen, und zwar, weil es mir so wenig gefällt, daß ich es gar nicht kennen möchte, sondern lieber ein andres kennenlernen, das mir besser gefiele, nein, denn da würde ich eventuell neidisch. Hey, das bin ich doch schon! Ich komme letztlich immer wieder bei mir an, so gern ich zu einem anderen kommen würde, das kennen Sie ja von mir. Eher zum Atmen aufhören, aber nicht zum Schreiben! Hilfe! Bitte,


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helfen Sie mir doch! Helfen Sie mir doch ins Fernsehn! Ich bin direkt davor, ganz knapp, allerdings immer noch draußen in der Kälte, es fehlt nur so viel, so wenig! Der Leerstand von Menschen (ich, Brigitte K., aber auch noch andre, die ich auch nicht kennenlernen möchte, was mein Problem ist, ich kann ja nicht einmal über Brigitte in Ruhe etwas aussagen und in Bewegung erst recht nicht) kann eine Begleiterscheinung von Schrumpfungs- und Umbruchsphasen sein, Scheidung, Verachtung durch andre, Mißachtung durch wieder andre, Vernichtung durch Dritte, Trennung und Tod von vierten und fünften nicht ganz erstklassigen, nicht ganz lupenreinen Leuten, solche Erscheinungen, zu denen ich auch Gespenster zählen würde, weil und obwohl diese durchsichtig sind, ich wüßte das, hätte ich je eins gesehen, so kann ich es mir nur denken, dieser Leerstand also könnte aber auch eine Chance für eine qualitative Bereinigung und Neustrukturierung der Fluren sein, die wir selber sind, ja, entweder wir liegen brach oder wir werden schmerzhaft beackert in einer Weise, die ein Acker gar nicht spüren würde. Diese Fluren: keine Chance, wer soll denn bitte da reingehen und neu säen und dann neu ernten, das lohnt sich doch nicht. Nie im Leben! Sogar die Vögel würden hier nicht ernten, das Feld ist zu klein, und Vögeln geht dort auch nicht, das Feld ist zu alt, zu kalt und abgeerntet und müde, au, mein Hintern, jetzt sticht es auch dort noch, da muß irgendwo ein Stein sein, diese Stoppeln stechen auch, es ist nicht zu fassen.

29.8.2007, Fortsetzung folgt


 


Bilder: Hieronymus Bosch (1450-1516): Die sieben Todsünden, Ausschnitte

 

 

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