Neid

Privatroman

Viertes Kapitel, a

 


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Es ist nichts gesagt, und es ist nichts zu sagen. Die Tür wird aufgesperrt, der Schlüssel wird auf das Tischerl mit dem Telefon gelegt, dort liegt ein selbstgehäkeltes Deckerl, und dort wird der Schlüssel jetzt hingelegt. Eine Zeitlang ist Brigitte zwischen Gehen und Bleiben, ähnlich vielen Jugendlichen, denen die Anpassung an die örtlichen Gewohnheiten und Gelegenheiten zwar verschiedene Vorteile, aber auch verschiedene Nachteile bringt. Jeder Mensch, der eine höhere Bestimmung hat, handelt so, denn er ist nirgends zufrieden und mit nichts. Sie fahren immer, wer auch immer. Am Land müssen Jugendliche einfach immer fahren, die Mobilität ist eine zentrale Voraussetzung. Insofern ähnelt Brigitte der Jugend noch weniger als andre Menschen, da sie nicht mobil ist, obwohl sie ein kleines Auto hat. Sie ist immobil, aber sie hat eine eigene Immobilie, haha, die ihr gehört. Ihr geschiedener Mann ist zum Teil, aber nur weil er wenigstens ein wenig teilen mußte, dafür aufgekommen, als er die Sekretärin zur neuen Frau ernannte, nahm und nicht wieder hergab, vor allem nicht, als sie recht bald schwanger wurde. Jetzt ist Brigittes Exmann der Vater eines kleinen Kindes geworden, die Welt ist so seltsam, ich verstehe sie nicht, aber von mir aus, sie kann ruhig eintreten, ich erwarte sie am Rand dieser Klippe, die für meine eigene Befreiung zuständig sein wird und dafür auch vorgesehen ist. Brigitte räumt ihre Tasche aus, wie es ihre Gewohnheit ist. Da sind ein paar Sachen, die in den Kühlschrank kommen, stellen Sie sich vor, ich sehe das meiste davon, hier, die Paradeiser sind hinter Plastik, damit man sie sieht, die Himbeeren, die wir


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uns heute geleistet haben, auch, aber unten, am Boden der trüben Tasse, den man nicht betrachten kann, weil oben ein Deckel drauf ist, sonst würden gierige Frauenfinger sogar das Obst noch austauschen, zieht still der Schimmel über sie hinweg, immer dort, wo man ihn nicht sieht. Das ist seine Gewohnheit. Wenn ich mir vorstelle, was alles geschieht, und immer dort, wo man es nicht sieht! Nach mir kann ich nicht gehen, mit mir will ich schon gar  nicht gehen, aber alles, was geschieht, geschieht leider dort, wo ich es von meinem Liegestuhl aus, den ich nur selten verlasse, nicht sehen kann. Warum also nicht die Gespenster herbeirufen? Die haben es schon hinter sich und erleben gleichwohl recht viel. Sie stellen sich nicht unbedingt auf ein Podium, aber sie gelangen in jedes Heim, ob mit oder ohne Musikanlagen. Gibt es keine Musikanlage, dann haben die Menschen eben andre, gute wie schlechte, Anlagen, sonst wären sie doch ganz allein. Es ist vielleicht besser, wenn überhaupt alles, was man sehen kann, auch sichtbar ist, Obst wie Menschen gleichermaßen (und diese drei Mädchen, welche ihre Mutter in Linz–Urfahr verkommen ließ unter Dreck, Exkrementen, Hundi, Katzi – die beiden letzteren extreme Exkrementenverursacher – und Plüschtieren, konnte man nicht sehen, und schauen Sie, was dabei herausgekommen ist! Die drei Mädchen sind nach sieben Jahren wieder herausgekommen, jedoch leider teilweise kaputt, dabei wird diese Bauserie gar nicht mehr hergestellt, es gibt keine Ersatzteile mehr!), und junge Menschen sind immer und überall sichtbarer als alte. Und Tote sind sichtbarer als Lebendige. Glauben Sie, in dem Alter nimmt noch jemand Brigitte,


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und meins (mein Alter) ist sogar noch höher. Nein, ich glaube nicht. Denn sie achtet auch die Erwerbungen von Wissen in Kunst und Wissenschaft, hat populärwissenschaftliche Zeitschriften abonniert, und wer so etwas erwirbt, muß sich selbst ganz dafür ausgeben, sodaß keine Zeit mehr für andre Menschen bleibt und umgekehrt keiner mehr ein Interesse an diesem Menschen Brigitte hat. Vielleicht könnte sie dieses Interesse ja doch noch  erwecken, denke ich mir, doch junge Männer, die inzwischen etwas zu entscheiden haben, denn sie kennen sich in der Popmusik aus, begründen ihre Entscheidungen immer stärker ökonomisch, als wollten sie mit einem Menschen und der Partnerschaft mit ihm einen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen oder gar ein eigenes Haus bauen. Sie haben alles noch vor sich. Frauen müssen ihre Entscheidungen gar nicht begründen, und wenn doch, dann berücksichtigen sie viel stärker die sozialen Aspekte, egal wovon. Sie erwägen die Konsequenzen ihrer Partnerschaft, die sie erstreben, sie berücksichtigen auch die Konsequenzen für Partnerschaft, Freunde, Feinde und Familie. Ach was! Das stimmt nicht, das ist alles einseitig, fragwürdig und parteiisch. Ich glaube es mir ja selbst nicht mehr und muß es meinem unglücklichen Seelenzustand zuschreiben, daß ich es immer noch so sehe. Brigitte empfängt den Anblick ihrer Schüler dreimal die Woche am Nachmittag, von drei bis sechs Uhr, das genügt, und sie hat doch keinen Geliebten, dem sie solang eine unerwünschte Auskunft nach sich geben könnte, bis er sie entnervt wieder verließe. Oder hat sie einen? Hat sie das blitzende Band eines Menschen über oder unter sich, auf dem


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sie schwimmen kann? Ich schaue in diverse Zeitschriften und entscheide, daß sie keinen hat, der denen, die dort geliebt werden, ähnelt. Keiner interessiert sich für sie, obwohl sie doch hier und in den angeschlossenen Gemeinden ziemlich bekannt ist als eine etwas Seltsame. Sie ist hier fast schon berühmt, die Geigenlehrerin, und was nützt es ihr? Aus ihr läßt sich kein Eisen herausschmelzen, das ist aber auch nicht nötig (Eisen haben wir noch genug für etwa zehn Jahre), aber man kann Kenntnisse und Fertigkeiten durch sie erwerben, die nicht von selber kommen, und die man länger hat als zehn Jahre. Die Straßen werden naß, wenn es regnet, aber sie waschen sich nicht. Und so ist diese Frau. Ungefähr. Ich weiß auch nicht. Der Mensch ist immer zwischen Gehen und Bleiben, und ich weiß natürlich nicht, wo dieser eine besondere, wenn auch recht normale Mensch gerade ist. Geht sie oder wird sie bleiben, ich glaube, Brigitte wird bleiben, denn ihr Haus bleibt ja auch. Je mehr die Frau im allgemeinen erwirbt, umso weniger kann sie ausgeben, denn im Grunde hat sie nur sich, und sie verausgabt sich jeden Tag, ohne je etwas für sich zu bekommen. Brigitte jedoch hat jetzt alles für sich und darf es behalten. Keiner macht es ihr streitig. Der Rechtsstreit ist ausgestanden, der Mann war dabei ausgeschlafen, ein örtlich bekannter Anwalt hat dirigiert. Sie ist allein wie jeder, nur weiß sie es jetzt. Sie ist auch gern allein. Dabei verbraucht man nicht soviel Erziehung, kann jungen Menschen etwas davon abgeben und dabei ernsthaft sein, und man kann in unvorstellbarer Aufmachung herumrennen, ohne daß einer einen sieht, denn wenn einer jemanden sieht, dann kann es nicht Brigitte gewesen


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sein.  Da steckt noch was, nein, nicht was Sie denken, da ist noch dieser zerknüllte Zeitschriftenfetzen aus dem Rinnstein, Brigitte weiß immer noch nicht, warum sie ihn aufgehoben hat, und sie weiß genauso wenig, warum sie ihn nicht einfach wegschmeißt. Stattdessen glättet sie ihn und betrachtet das Foto der zwei jungen Leute, daneben noch ein zerknülltes Porträt, nicht auszudenken, wen es darstellt, und die Textfragmente dazu. Wovon ist hier die Rede? Die junge Frau scheint ermordet worden zu sein oder sonst etwas Gräßliches erlebt zu haben, die Buchstaben sind so grell, daß man das erfahren muß, und der Grund, wenn nicht gar der Ausführende, das geht aus den paar Zeilen nicht hervor, scheint dieser junge Mann auf dem Foto gewesen zu sein, oder?, man kann sich auch irren, es sind nur noch ein paar halbe und ein paar dreiviertel Zeilen vorhanden. Kein Mensch würde mit dem leben, was man ihm so einfach ins Haus setzt, und wärs ein Goldhamster, doch kann es sein, daß jemand sich Gesellschaft schon aus Zeitungsfragmenten herbeiholen muß? Wir haben Gala abonniert und auch noch andre Blätter, warum also auf dieses Zeitungsblatt auch nur einen Blick  verschwenden? Man versteht ja nicht einmal, wer oder was gemeint ist. Man sieht kaum etwas. Dieses Foto erinnert sehr ernsthaft an etwas Natürliches, nämlich das Töten, aber wer mit wem? Wer gegen wen? Brigitte schaut, das Papierl immer noch in der abgesunkenen rechten Hand oder wie soll ich das besser formulieren, aus dem Fenster. Die Gemeinde hat folgendes vor: Da die Einwohnerzahl so stark sinkt, will sie immer mehr Arbeiterhäuser an der


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Peripherie entvölkern, die Restmenschen aussiedeln, ihnen neue Wohnungen, näher am Zentrum, zuweisen und die Peripherie anschließend in die Luft jagen. Die Menschen sollen, um ihren beruflichen Handlungsspielraum zu erweitern, ihren Lebensraum verengt bekommen. Wie soll ich es ausdrücken? Es geht schon wieder nicht. Danke, so wie Sie es wollen, will ich es aber nicht. Den Lebensraum also verkleinern? Vielleicht damit es sie rascher heraustreibt, die Menschen, und sie sich auch rascher einen neuen Job suchen gehen. Der Gemeindebau-Richtblock mitten in der Wiese ist schon fast leer, sieht Brigitte, vor kurzem war er noch in Betrieb, man hatte sogar das Empfinden von Größe und unangenehm betrunkenen Männern. Doch bei ihr ist noch niemand eingezogen, der woanders rausgeschmissen wurde, und ihr Haus steht ihm recht nahe, diesem Wohnblock. Es gehört ihr allein. Gegenüber ist noch eine zweite und dann eine dritte Reihe von Einfamilienhäusern, dann die schlecht besprochene Wiese, und anschließend kommt gleich der Wohnblock für die Eisenarbeiter, die auch bisher schon Freizeitangebote wahrnehmen hätten können, hätte es diese gegeben und hätte man ihnen überhaupt etwas angeboten. Doch jetzt kommt Bewegung in die Menschen, ihre Flut teilt sich, jetzt bietet man ihnen an, näher ans Zentrum zu ziehen, wo auch schon wieder Leute von der Arbeitslosigkeit hinausgetrieben worden sind. Und deren Wohnungen sind nun ihrerseits frei geworden. Ich merke, daß ich das schon wieder sehr ungeschickt erzähle, wahrscheinlich, weil es mir gleichgültig ist, noch wahrscheinlicher aber, weil ich es nicht besser kann. Aber die Menschen, und zwar alle, sind mir auch im tiefsten Sinn gleichgültig.


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Doch die Menschen, die hier gelebt haben, seien ihrer Stadt selbstverständlich nicht gleichgültig, sagt der Herr Bürgermeister, aber die Menschen sind schon weg, wem sagt er das also? Man käme nicht auf die Idee, daß hier die Hauptschule der Stadt beheimatet ist. Dunkel und leblos thront das Gebäude über der Altstadt. Nur bei genauem Hinschauen kann hinter einzelnen Fenstern staubiges Schulmobiliar ausgemacht werden, liegengelassen, nicht abtransportiert. Die Schule hat nicht ihr Haupt verloren, ihr Haupt hat die Körper der Kinder verloren. Ihre Tritte hallen nicht mehr auf dem geölten Boden wider, der Turnsaal hallt nicht in seinem gestörten Zeit-Raum-Verhältnis, alle Tritte sind ausgeteilt, eingesteckt und ausgegeben. Verloren. Am Eingangstor klebt ein weißer Din-A4-Zettel, auf dem eine Gratulation für den Olympiasieger zu lesen ist, der vor etlichen Jahren gesiegt hat und aus der Gegend kam. Er war hier Schüler der Hauptschule, damals war noch richtig was los. Heute ist nur noch die Hälfte des Gebäudes belebt, die andre ist stillgelegt und wird nicht mehr aufgewärmt werden können, um wenigstens als Jüngstes Gericht dargeboten werden zu können. Die Menschen sind fort, vor allem die jüngeren. Ähnliche Einrichtungen mußten bereits geschlossen werden, wie der Kindergarten. Die zweite Volksschule wird nächstes Jahr dran sein, in der ersten Volksschule unterrichtet Brigitte noch, sie nutzt deren Räumlichkeiten, aber auch ihre Schüler werden weniger, und was wird sie dann hier machen? Wer spielt noch Geige? Andre spielen hier die erste Geige, und die zweite hört man nicht, die begleitet nur, schrumm schrumm. Diese Stadt ist für 13000 Menschen eingerichtet


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worden, aber jetzt stehen Teile ihrer Möbel sinnlos herum, denn nicht einmal 6000 leben noch hier. Eine Geisterstadt, gegen die man etwas tun muß, wir haben schon so oft etwas gegen den Geist unternommen, also wird uns das auch diesmal gelingen, sagen die Verantwortlichen, die niemand haben, für den sie noch Verantwortung tragen könnten. Das Lachen von Faschingsveranstaltungen und bunten Abenden wäre ein gutes Mittel der Erziehung zur Dummheit, wie der Villacher Fasching, und die Dummen bleiben immerhin noch hier, sie können sich nämlich gar nicht vorstellen, wie es woanders wäre. Niemand lacht mehr, inzwischen lacht niemand mehr, alle denken laut über Rückbau und Abriß nach; die Gegend, in der sie geboren sind und aufgezogen wurden, hallt wider vor lauter Nachdenken der Einwohner über ihr trübes Schicksal. Die Leute haben z. B.  nichts mehr, wohin sie noch ausgehen könnten, doch von Ausgehen ist immer und überall die Rede, wo die Öffentlichkeit mitreden darf, in den Medien der Massen, wo man die Leute betrachten kann, die gern ausgehen und ihre Gläser erheben und sogar live heiraten, ja, ja, die gehen uns nie aus. Kaum noch Lokale hier, obwohl das Saufen das letzte ist, was man aufgeben möchte, da gibt man lieber sein Haus auf. Überschüssige Wohnungen sollen also gesprengt werden, aber mit dem Sprengen kommt man inzwischen kaum noch nach. Wenn das so weitergeht, wird es in fünfzehn Jahren nur noch  4000 Einwohner geben, und der Wohnungsleerstand wird 45 Prozent betragen. Das muß man sich mal vorstellen, wie es hier dann ausschauen wird! Leere. Leere. Leere.


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Der Wind pfeift durch die Gassen, und dann erholt er sich nicht mehr wie früher, da man ihm geantwortet hat, mit Gesängen, in die sich Seufzer einst wandelten und mit den speziellen, lang eingeübten Gesänglereien nach all den Sportsiegen, auf die man hier stets treu gesetzt hat. Der Olympiasieger: Bravo! Wir holen ihn im Triumph auf unsren Schultern heim und sind glücklich. Das gelingt uns mühelos, wenn wir nur einen Grund dafür haben. Einen Grund, der wenigstens notdürftig unsere Beine bis an die Knie bedeckt, bestehend aus Schlamm, in dem wir dann stecken, aus fauligem Dreck. Am liebsten drehte ich mich auf meinen Absätzen herum und ginge weg, aber ich trage niemals Schuhe mit Absätzen, immer nur Turnschuhe. Ich muß Brigitte anschauen, doch sie muß mich nicht anschauen. Das ist das Gesetz der Offenheit, zu der ich Ihnen gegenüber verpflichtet bin, aber ich sehe ja die Tür gar nicht. Ich zwinge sie nicht aufzugehen, ich finde die Klinke nicht. Das Licht geht an. Das Licht geht nicht aus. Alle gehen aus, ich sagte es schon, nur ich gehe nirgendwohin. Kunst, bleib wenigstens du bei mir! Nein, auch sie geht, ich sehe es ihr zumindest an, daß sie im Aufstehen begriffen ist, weil ich nichts begriffen habe, und sich die Schuhe anziehen will, denn ich zwinge sie immer, die Schuhe auszuziehen, bevor sie sich auf mein Sofa setzt und die Beine hochlegt, damit sie mir meinen Mutterboden, den meine Mutter so gestaltet hat, wie er eben ist, nicht ruiniert. Sie geht von mir, die Kunst, macht ja nichts. Ihre Absätze haben so kleine häßliche Löcher in meinen Boden gebohrt, noch bevor sie die Pumps von den Füßen abschütteln konnte, was ich ihr doch ausdrücklich befahl.


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Wahrscheinlich konnte ich mich wieder mal nicht richtig ausdrücken. Sie könnte in jedem Stück blauen Himmels schlummern, die Kunst, wenn ich es ihr befehlen würde, aber heute hab ich sie hereingebeten, es ist schon recht kalt draußen. In Brigitte ist es innerlich auch kälter als draußen. Sie kann nicht einmal von den Verfehlungen ihres Weges bewegt werden, vielleicht von einem Mozartquartett, vorübergehend, falls sie über die kratzenden, scharrenden, schabenden Mißtöne, die ihre Schüler so übermäßig oft produzieren, hinweghören kann, aber vorübergehen kann sie daran nicht. Seltsam die Musik. Wenn man es kann, kann man es, sodaß man glücklich in ihr wird. Ich konnte das manchmal, aber nicht oft. Dem Komponisten kam gerade ein rettender Einfall, nur ist das schon dreihundert Jahre her oder so, und mich rettet er nicht mehr, er ist schal geworden, egal, ich werfe mich in ihn hinein wie in die Herbstsonate, ich meine den Herbstwind. Nicht aufhören! Weitermachen! Egal womit! Ich will jetzt auch einen Einfall haben, der mich verwüstet, aber dann wüßte ich wenigstens, daß es ein guter Einfall gewesen sein wird, ein starker Einfall, ein Sonneneinfall bei 35 Grad plus, was wir bald öfter haben werden, wenn die zerstörte Umwelt uns alles Grüne und Luftige nimmt und das Braune dafür gibt. Aber wir, Brigitte und ich, wir gehören nicht zu den typischen Hausfrauenhänden, ich meine, uns gehören die nicht, diese Hände, die ordnen können, wir gehören zu denen, denen nichts gehört, egal, was ihnen gehört, z. B. dieses Einfamilienhaus und dieses dort drüben ebenfalls, naja, etwas weiter weg ist es schon, ja, meinetwegen, dieses also auch. Wir gehören nicht zu den


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Ordentlichen; was uns antreibt, kommt eines Tages geflogen wie ein Vogerl und geht zu Fuß wieder fort. Ich schreibe um die Wette, aber mit wem? Wer würde denn auf mich wetten? Eben. Es ist sinnlos, und ich bin müde. Brigitte ist noch ein wenig aufgeladen von der Musik, aber auch sie ist recht erschöpft. Wir sind müde, alternde Frauen und nähern uns einander an, wobei wir uns rasch entschuldigen und die Köpfe abkehren werden, wenn wir uns mal persönlich begegnen, mein Gott, ist das peinlich! Jetzt hätte Gott fast mein Gesicht gesehn! Und es schaut inzwischen genauso aus wie das dort drüben. Der hätte ein schlechtes Bild, zumindest ein ungenaues, verwischtes,  von meinem Gesicht bekommen, dabei müßte er es kennen, er hat es ja gemacht. Vielleicht hätte er sich doch das teurere Handy leisten sollen? Diese Bilder kann man nicht herzeigen. Allerdings ist alles auszuhalten, auch das Alter, wenn man das Ende in der Ferne nahen sieht. Wir sitzen ernsthaft zu Haus, wir beide, Brigitte und ich. Das gibt es nicht, ich meine: Nichts gibt es, und das gibt es dann auch wirklich nicht. So ist das mit dem Schreiben, das ungerecht ist und sich an mir bereits mehrmals, ein paarmal zu oft, gerächt hat, ha! Alles Ungerechtigkeiten, die man andren zufügt und die einem doppelt so gemein zurückgefügt werden. Und die Anwürfe erfolgen nicht immer an der Stelle, wo der Putz abgegangen ist und man sie brauchen könnte, da sie, getrocknet, erstarren. Diese Wohnbaugesellschaft  z. B.  besitzt, kein Wunder, daß sie diesen Standort aufwerten will (aber nie den, wo Brigitte und ich stehen), insgesamt 1500 Wohnungen, und die Gemeinnützige


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Industrie–Wohnungsaktiengesellschaft, kurz GIWOG genannt, besitzt nochmal rund 1000, sie mag gemein sein und unfreundlich werden, wenn man seine sehr gerechten monatlichen Beiträge nicht leistet, sondern sich lieber was andres leistet, aber nützlich ist sie sicher, fragt sich nur für wen, na, für den, der ein Dach über dem Kopf hat, ein Giebelkreuz (jawohl, Raiffeisen, Sie sind gemeint, wo Ihnen doch alle Zeitungen gehören, also die meisten schon! Was brauchen Sie da noch zu raffen und zu raffeisen? Das Eisen ist uns doch auch schon lange ausgegangen!) und eine unterentwickelte Landschaft vor der Tür, die man zu meiden sucht, so oft es geht. Naja, die Umwelt ist recht intakt, da kann man nichts sagen, sie wird von nichts mehr verschmutzt, seit das Eisen heruntergewirtschaftet ist, aber sie ist andrerseits wieder nicht so entwickelt, wie sie sein sollte, damit Fremde herkommen. Es gibt neuerdings sogar einen Verein, der, die Umwelt betreffend, bewirken soll, daß innere Zufriedenheit bei den Einheimischen einkehrt – damit ihnen dann endlich die Fremden auf dem Fuß folgen sollen – und sich ein Bier bestellt und ein Paar Würstel mit Senf, den Senf spendiere ich, wenn nur die Fremden nicht kämen und mich verschonten. Die Fremden sollen mich auslassen, wenn sie aus ihren Käfigen gelassen werden. Nein, die Leute identifizieren sich nicht mit dem Image, das diese ausgeronnene, ausgeleerte Metaller-Stadt jetzt hat, es ist das Image vollkommener Leere und Alterung, sondern sie würden sich lieber an ein Image halten, das sie noch gar nicht bekommen hat, diese Stadt, aber irgendwie wollen die Bewohner das auch wieder nicht – die Identifikation der Menschen mit dem


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neuen Image des Fremdenverkehrs, der noch nicht Einzug gehalten hat, ist noch nicht gelungen, der Schritt ist allerdings auch noch nicht getan worden, er zwickt im Schritt, nein, die Spur des Schritts ist derzeit nicht zu sehen, er wird jedoch gesetzt werden müssen. Die Arbeitersiedlung steht noch da, soll aber geräumt werden, die Menschen sollen durch bessere ersetzt, Pflanzen sollen neu gesetzt, Menschen sollen von ihren Bankreferenten gepflanzt und die Häuser ebenfalls durch bessere ersetzt werden, nein, das stimmt nicht, die Menschen sollen ihre Häuser verlassen und in andre ziehen, die von anderen wiederum bereits verlassen wurden. Hier haben Sie das neue Haus, es unterscheidet sich nicht vom alten, also das alte brauchen wir doch gar nicht mehr! Sie werden sich hier garantiert genauso wohlfühlen! Wir schrumpfen uns jetzt gesund und geben Siedlungsblocks auf, die nicht mehr gebraucht werden. Zum Beispiel diesen hier. Wer gehört hierher? Für wen wurde dies geplant, und welcher Plan ist es, in den man am Schluß einen kleinen Menschen einzeichnet, damit er lebendiger aussieht? Man hat menschliche Taten vor Augen, ja, auch beim Schreiben, und die soll man dann in verwackelten Kurven nachfahren, als hätte man Nachfahren (und nicht nur das Nachsehen), die für einen weiterleben und die ich nicht habe und die auch Brigitte nicht hat, Menschen, die einem nachfahren wie mit einem befeuchteten Finger, bis sie mit der Kreide auf der Tafel quietschen, auf der die wichtigsten Daten des Lebens von Personen, die es nie geben wird, aufgeschrieben sind. Ob sie das tun, diejenigen, die uns nicht folgen wollen, hängt von ihrem Ausgangsmaterial ab, einiges rutscht leichter als andres


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hinunter. Und das sagen Sie einer ständig Gekränkten und Beleidigten wie mir? Daß ich drüber lachen soll? Nein, davon verstehe ich nichts, ich gehe selbst niemals aus, aber mir geht dafür mein Stoff aus, ich bin doch keine Materialprüfungsstelle, ich würde deren Prüfung doch niemals bestehen. So, hier können Sie sich davon überzeugen, ich gehe nie aus, Sie werden mich kaum je im Freien sehen, davon können wieder Sie ausgehen! Sie wollen nicht? Macht nichts, es ist egal, wie alles, das sagt mir meine liebe Depression, du schwarzer Hund! Du Notruf auf einer Bergkante, wie gut, daß wir das transportable Telefon mithaben! Du falscher Ton in der Kantate! Ich bin die Saalkandidatin für diesen fadenscheinigen Zustand, durch den jeder hindurchsehen kann, ein Zustand, der auch heute wieder pünktlich eingetroffen ist, wenn Sie das lesen, Sie tun es eh nicht, aber wenn, dann werden Sie vielleicht auch verstehen, warum sie gekommen ist, meine unerträgliche Schwermut, und zwar das Modell für die extrem Mutlosen, warum sie nirgendwo sonst angebracht wäre, diese innere Verdunkelung vor meinem Oberstübchenfenster (ich hab sie nicht direkt erwartet, aber sie ist trotzdem gekommen, und zwar von dort droben, genau aus diesem Fernsehzimmer, wo fröhlich geplaudert wird), und sich soeben die Hausschuhe anzieht, damit sie meine Bodenlosigkeit nicht noch mehr beschädigt, als die schon beschädigt ist, allein von der Anstrengung, einen festen Boden auch nur vorzutäuschen; andre Frauen, haben nämlich diese spitzigen Absätze, von denen ich schon sprach, ich habe keine solchen, aber sie, die anderen, haben diese Bodenabdecker, und die können ordentlich zutreten, kann ich Ihnen schon wieder sagen, daher mache ich


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hier keine Absätze, damit sie mich nicht bis aufs Äußerlichste ins Schienbein treten können. Wer steht mir bitte irgendwie bei? Niemand? Das hat sich auch Brigitte schon gefragt, da sie es gestern in einem TV-Krimi gehört hat, dort hat ein Drehbuch bestimmt, daß ein Mensch wie eine offene Wunde herumläuft und ein andrer wie ein offenes Messer in ihn, nennen wir ihn halt von mir aus Wunde, hineinläuft, nein, umgekehrt. Wie sollen beide zueinanderfinden und glücklich leben, Wunde und Messer? Sie tun es nicht. Sie wollen nicht. Das sind uralte Worte und Gedanken, sie mußten sich schon so oft im Kampf bewehren, daß sie ganz durchgescheuert sind, daß sie total bescheuert sind. Sogar gegen blanke Not würde ich sie noch eintauschen, solche Worte und Gedankenfetzen, nicht aber diesen Papierfetzen, den Brigitte im Rinnstein gefunden hat, Sie erinnern sich, Sie werden sich noch oft erinnern müssen, ich trete es Ihnen gerne breit; wenn eine Erinnerung nicht einträte, wärs kein Wunder, weil soviel dazwischen vorgekommen, aber nicht vorgefallen ist, da fällt man ja selber tot um, wenn man sich das alles vorstellen soll! Brigitte legt ihre Geige auf die dafür vorgesehene kleine Sitzbank im Vorzimmer, auf der noch nie jemand gesessen ist außer der Geige oder sie selbst oder sie beide gemeinsam, wenn sie sich die Hausschuhe anzieht, da quetscht sie sich vor dem Hals der Geige in die Kissen und wechselt das Schuhkraftwerk, das ihr wieder einmal nicht den Antrieb geliefert hat, den sie benötigt hätte, doch wofür auch?, für nichts. Kein Ort, wohin man gehen könnte, hier ist Endstation, lächel, lächel, Mitleiden!, wie der Dichter sagt. Sie tritt ans Fenster und schaut auf den Berg. Der Berg, auf


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dem sie nicht steht, ist der weiße, helle und sehr glänzende Punkt, den sie in der Mitte der zarten Gewebe ihrer gefrorenen Fenster sehen könnte, wäre der Berg nicht rot und aus Erz. Und es friert noch gar nicht. Aber es wird bald frieren, und wir mit ihm, mit wem auch immer. Die Palmenränder, nicht die palmtops, der gefrorenen Fenstertafeln nennt es der gemütliche Dichter, der uns einlädt, weil er es selbst gemütlich hat, und wenn es sehr kalt ist, nehmen wir die Einladung gerne an, bitte, danke, diese Palmenränder werden durch Abbröcklung wegen des Luftzuges oder durch Verschmelzung wegen der Wärme lückenhaft und unterbrochen. Bitte, danke, das Gebirge verwittert ja auch, wenn Wasser auf es einfließt, in es eindringt, auf es draufkommt, Wärme und Kälte es umgeben. Hier ist nicht der Platz, sich an die Entstehung der Erdoberfläche zu machen, hier ist dennoch zuviel Platz, der jetzt verringert werden soll, indem man die Menschen auf kleinerem Raum – einen größeren brauchen sie nicht mehr – zusammendrängt. Ihre vielen kleinen Tatsachen, die sich von einem Höhepunkt zu einem nächsten hangeln und sich an den verschiedensten Stellen zu einer Art erhabenem Ganzen ausbreiten (schon eine Weinverkostung im Nachbarort kann einen Teil eines erhabenen Ganzen und eines festen Grundsatzes ergeben, wenn man sonst nichts erlebt), stellen sich unseren Blicken aus und werden hier mühevoll dargestellt, aber sie bleiben nicht stehen. Sie wollen nicht stehenbleiben, damit ich sie abschildern kann. Jemand hat diese Schilder um ein paar Meter versetzt, jedesmal wenn ich sie zu lesen versuche, um sie dann eventuell auszutauschen, wenn was Falsches draufsteht. Die Mitbewohner dieser Stadt


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wollen aber umgekehrt auch nicht auf einen höchsten Punkt hinauf, um das Meer zu sehen, diese Behauptung ist total falsch, denn hier war jeder schon irgendwo, wo das Meer ist, nur ich seit vielen Jahren nicht, ich war noch nirgends. Ich bin da. Brigitte, leg endlich die Geige weg! Ach so, das hast du ja schon getan, entschuldige bitte! Wenn man nur einen Moment nicht aufpaßt, dann passiert sowas! Kein wertvolles Instrument diese Geige, vor Jahrzehnten bei einem kleinen Wiener Geigenbauer erworben, den sie mit der Stellung des Stimmstocks und des Stegs, die ihre vorläufige in eine Dauerstellung umwandeln und nicht dauernd verpflanzt werden wollten, zur Weißglut getrieben hat, ohne daß diese und jede andere Veränderung den Ton je verbessern hätte können, denn letztlich liegt es immer am Menschen selbst, so hat sie das Instrument letztlich doch behalten, mitgenommen, wie es war, aus dieser Geige wird nichts mehr, aber aufpassen muß man trotzdem drauf, weil sie einem gehört. Man sollte sich zumindest nicht drauf setzen. Diese Gefahr besteht nicht. Eine neue Geige könnte Brigitte sich derzeit nicht leisten, ihr Mann zahlt ihr grade so das Minimum, er hat eine neue Gattin und ein kleines Kind, für welches der ersten Frau, dem Original, Geld abgezogen wird, um es der Kopie zu geben; er hat eine neue Frau und ein neues Kind, die, obwohl das Kind noch klein ist, schon etwas mehr kosten als ein einzelner Mensch, Geld, das nicht gleichzeitig für eine alte Frau ausgegeben werden kann. Geld ist schließlich nur einmal da, und immer woanders, diese Finanzfrage hat der Richter geklärt und erklärt, den wir dafür eigens gebraucht haben. Morgen wird er wieder mit Brigittes Anwalt Tennis


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spielen, der den Anwalt des Ehemannes (der in Streit steht und wieder Vater wurde, in relativ späten Jahren wurde er das) wiederum gut kennt, noch vom Studium her, denn hier kennt jeder jeden, allerdings nur selten vom Studium, wir sehen es, Sie haben es uns oft genug erklärt, und es kennen einander immer diejenigen am besten, die uns reinlegen wollen: Wir werden, obwohl wir ihn brauchen, doch keinen Richter brauchen, die beiden machen sich das beim Tennis alles aus, der Richter und der Anwalt, daß Brigitte nichts bekommen wird als das absolut Nötigste und Vorgeschriebenste, das nicht Vorschrift ist, vielleicht regeln wir das auch beim Squash, aber das dann lieber gleich in Graz. Hier haben wir zwar eine Halle, aber nicht eine solche. Glauben Sie mir und nicht diesen rechtsdrehenden Bazillen! Die Frau hat die Reihenfolge, mit der ihre Bratpfannen ineinandergestapelt waren, nicht gewußt, und zwar die genaue Hochstapelei–Abfolge einer Pfanne in der nächsten, die größte unten, und das mußte sie vor Gericht zugeben, eine bessere Frage ist dem Herrn Richter nicht eingefallen, nachdem er alles andre schon gefragt hatte, ich sagte es schon oder ich werde es noch einmal sagen, denn es ist wichtig, und daher ist diese Frau, ohne das Verschuldensprinzip, das wir nicht mehr kennen, weil wir ja auch die Schuld nicht mehr kennen, dann letzten Endes mitschuldig geschieden worden. Oder so ähnlich, ich kenne mich mit dem Recht nicht aus. Immerhin hat sie weiterhin Geige unterrichten dürfen, das ist doch schon was, es wurde ihr nicht ausdrücklich verboten, das ist doch schon was. Das ist ihr ganzes Leben, die Kunst. Hahahaha! Das muß man sich einmal vorstellen! Wenn die Kunst einem


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ALLES ist, dann strömen Legionen ameisenartig von überall her, bauen einen großen Haufen mit unglaublich vielen Gängen, die metertief in den Boden hineinragen, sie haben ein unglaublich gutes Verbindungssystem untereinander (und da spreche ich noch gar nicht von den katholischen Katalysator–Studentenverbindungen, die hier zulande und zuluft für jede Zukunft entschieden noch viel wichtiger sind!), und alle alle haben sie sich zusammengetan, um Leute wie Brigitte oder mich, aber von mir will ich nicht sprechen, von mir spreche ich dauernd, ohne es zu wollen, zur Sau zu machen. Brigitte liegt die Kunst am Herzen, aber nicht unter dem Herzen, aber es kommen von weither die kleinen Engel, ich erwische sie leider nicht einmal an den Füßen, denn sonst zöge ich sie zu mir runter, sie kommen herbeigeflügelt, um dieser Frau die Kunst mit dem Leben gemeinsam auch noch einzutränken. Die Kunst ist kein Cocktail, sie ist eher ungenießbar: Sie ist mehr, als Sie oder ich tun könnten, um uns zu ernähren. Aber es reicht nicht. Das Leben ist hart. Der Geigenkasten ist auch recht hart, damit der Geige darin nichts passiert, im Grunde könnte man sich ruhig draufsetzen, in jedem Fall: Man käme ans Instrument gar nicht erst ran, wollte man es endlich zertreten wie Ungeziefer. Man müßte erst die Hülle entfernen, so wie die Hülle der Häuser hier zertreten wird, um die Menschen enger aneinander zu binden. Vielleicht haben sie uns dann ein wenig gern, und durch diesen Rückbau an Arbeiterwohnungen könnte man neues Bauland gewinnen, das dann in einem feierlichen Akt gewidmet werden kann, nicht an Elise oder die Gräfin d’Agoult. Nein, nicht denen, da gibt es Größere, es


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gibt immer Größere, egal, wovon man ausgeht, sogar die besagte Ameise bildet riesige Staaten, in denen jeder und jede seine oder ihre Aufgabe hat. Also: Die GIWOG, das ist keine Ameise von vielen, und über deren Intelligenz können Sie ein ganzes Buch lesen und Sie wissen immer noch nichts, die GIWOG, ich entschuldige mich bei ihr, bevor sie mich klagt, also belegt Häuser mit hohem Leerstand, nein, nicht mit einem Fluch, sie belegt sie nicht mehr nach. Was bleibt ihr übrig? Es ist so oder so ein Verlustgeschäft, wenn keine Menschen mehr da sind, die dort wohnen wollen oder können. Diese Gesellschaft wartet also, bis das Haus ganz leer ist (naja, ich könnte mir vorstellen, so lang wie das dauert, wollen die auch wieder nicht warten, da helfen wir ein bißchen nach, nicht wahr, nein, klagen Sie mich nicht, es ist eh nicht wahr, ich widerrufe ausdrücklich und wäre froh, könnte ich mich besser ausdrücken!), um es dann gegebenenfalls abzureißen, und dieser Fall ist derzeit bereits gegeben. Druck wird aber nicht ausgeübt, wie ein Vorstandsmitglied angibt. Die Leute haben zum Teil ihr Leben lang dort gelebt, falls sie überhaupt gelebt haben, gibt das Mitglied weiters an, und wollen das nicht aufgeben. Wir wollen in unserer schönen Aufgabe aufgehen! Wir hoffen auf eine alternative Nutzung dieser Arbeitersiedlung, aber es nutzt nichts. Gibt es den Arbeiter nicht mehr, gibt es auch den Menschen nicht mehr, und wer soll dann hier noch wohnen? Wir sind im Gespräch mit internationalen Ferienwohnungsheimentwicklern, wir haben die Hoffnung auf große Tourismusprojekte noch nicht aufgegeben, und wir setzen damit auf ein erneutes Wachstum der Stadt. Von mir aus, sollen halt gebildetere


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Schichten herkommen, um sich auf Bretter nageln zu lassen, ist doch nichts dabei!, und sich dann in frisch überzogenen Betten gleich weiter nageln zu lassen, mir doch egal, aber mit den Vorrichtungen des Sports, dessen Verrichtungen sowie der Art der Benutzung von Sportgeräten sollte man sich vorher ein bißchen vertraut gemacht haben, auch wenn man im Grunde niemandem mehr trauen kann, wie Brigitte, die einst ihrem Mann vertraute, zu ihrem eigenen Schaden, erfahren mußte. Und so wie der Mensch der Landschaft immerdar zu deren eigenen Schaden gerät, kann er in einem andren Menschen, in einer andren Landschaft, strengt er sich einmal ordentlich an und jagt seinen Puls hinauf ins Unermeßliche, zu den Sternen, zum Himmel selbst, wieder neu oder wie neu werden (man kann nämlich sterben, wenn man den Sport zu jäh angeht, ohne sich vorher anzuwärmen, man kann die Kochplatte nicht gleich auf neun drehen oder welche Zahl da am Ende steht, wir fangen bei zwei an, einverstanden, mir sind schon bei eins Sachen angebrannt? Nur dauerts dann halt entsprechend länger), wenigstens einen kleinen Stapelsatz Gesundheit könnte man doch gewinnen, für die braven Organe, das heißt, wenigstens seinen Einsatz zurückgewinnen in dieser Tombola, über die man zuvor in der Zeitschrift etwas erfahren hätte, wer heute mit Sterben dran ist, wie hoch ist bitte dieser Puls, steht das auch auf Ihrer Karte? Der ist ja so hoch, als würden Sie dreimal auf einmal leben, indem Sie sich dreimal auf sich selbst stellen, so, dann sind Sie aber wirklich sehr groß! Und dieser dort, aha, zu hoch dieser Ruhepuls, dieser Ruhepol für mich! Und dann kann man noch, wenn man will, eine Menge über die


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Gestaltung des Wetters erfahren, das hier häufig schlecht ist, viel Regen, ist das nicht zu dumm für den Tourismus? Zu dumm! Man muß die Art der Benützung der Natur wie der von Haushaltsgegenständen (siehe: Pfannen, Töpfe!) mit fortgesetztem Eifer und nach strenger Ordnung beobachten und befolgen, sagte der Herr Richter damals bei der Scheidungsverhandlung zu Brigitte K. Sie hatte, wie sie aussagte, die Reihenfolgsamkeit ihrer Bratpfannen gröblichst unter–, nicht überschätzt, es gab zwei mehr, als sie dachte, das Butterpfännchen noch gar nicht mitgerechnet (die hat sie alle aber nie verwendet), und da hatte der Herr Richter sie auch schon beim Krawattl, wie man hier gesagt hat, ich glaube, heute sagt man es anders, das ist auch der Grund, weshalb ich mich schön langsam aus dem Schreiben zurückziehe. Ich weiß nicht mehr, wie etwas gesagt werden muß und mit welchen Worten. Weil ich nicht weiß, wie die Menschen es und sich aussprechen können. Ich beherrsche leider die Ausspracheregeln nicht mehr und habe auch keine Lust, mich mit jemandem auszusprechen, das wäre ein Alptraum!, hätte auch keinen Sinn, in mir ist nichts drin, was ich zu geben hätte. Nichts. Nein, auch hinter mir werden sie niemanden finden! Wir sind jetzt geschiedene Leute, ich und die Kunst, wie Brigitte und ihr Ex. Es ist das Ernähreramt dem Elektrohandelsherrn wie dem Neubesitzer einer jungen Frau samt Baby von der alten Frau verleidet worden, und deswegen zahlt er ihr kaum noch das Nötigste bzw. gerade nur das Nötigste. Sonst wird geklagt. Es kamen bei der Scheidungsverhandlung diese unschönen Dinge zur Sprache, und zwar alle, mehr als ich anführen kann, denn Brigitte war doch von Anfang an die Angeführte,


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nicht ich bins, das heißt, ich bins schon, aber anders, nur dieser Frau wurde jedoch alles angekreidet, die Kreide ist jedoch längst wieder von der Flut ihrer Tränen weggewaschen. Jetzt rächt es sich, daß sie ihren ungehobelten, doch relativ wohlhabenden Mann immer auch ein wenig verachtet hat, immer ein wenig von oben herab war sie zu ihm, hochnäsig, nicht wahr, Hochmut kommt vor dem Fall, der zwischenzeitlich erfolgte, beides versucht – kein Vergleich! Sich an einem Fallschirm oder Paraglider aufhängen: unvergleichlich! (und von ihm, diesem Menschen, hat sie andrerseits Bewunderung für ihr Kunstverständnis erwartet, ja verlangt, wir sehen schon: kein Fremdverschulden, nur eigenes), man schmückt sich mit der Frau allerdings, und das ist zu bedenken, nur, solange diese auch wirklich Schmuck ist. Wird sie ein Klotz am Bein und liegt sie wie ein Klotz im Bett, da sie andre Interessen hat, die vorrangig sind, wie das Schulorchester, das aufzubauen wäre aus den Trümmern der Trümmerkinder hier, dann, ja dann kauft man sich halt ein neues Ringelein für die Neue, ich glaube, das war schon, das mit dem blöden Ringelein, dem Ringelrein, das man in die Pfanne tut, damit sie blitzt und blankt. Wenn die Steine aus der Krone und die Zähne aus dem Mund fallen, wird es höchste Zeit für eine neue Hochzeit, au, das tut ganz schön weh, aber nur einem von Ihnen oder zweien von Ihnen. Dann erfolgt der Austausch auf dem Spielfeld, und die Frau muß nun woanders spielen gehen, am besten in einer nahen, doch nicht allzu nahen Stadt, in die man sie schullandverschickt, dort ist schließlich auch eine Musikschule, wer stirbt daran, wenn er übersiedeln muß?, wie schön! Eine neue Musikschule, wenn auch


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eine viel kleinere, eine, die so klein ist, daß sie gar keine mehr ist, und außerdem geht dieser Stadt langsam, wir sagen es Ihnen ständig, wieso merken Sie es sich nicht?, es geht ihr das Menschenmaterial aus, die Begabungen gingen als erstes, die gehen immer als erstes, weil sie als einzige noch gehen können. Und stirbt diese Stadt, stirbt auch diese Musikschule. Es gibt hier nicht so viele Ärzte, Apotheker und Geschäftsleute, die ihre Kinder Geige spielen lernen lassen wollen, und gäbe es sie, wollten die mit Sicherheit etwas andres lernen als Geige, etwas, das ihnen im Berufsleben mehr rutschfeste Sicherheit verspräche. Eigentlich hat Brigitte fast nur noch erwachsene Schüler, die sich ein schönes Hobby suchen, vor allem Lehrer und die Nachzügler von Lehrern, Nachzügler nannte man die Sprengungen, die nach Sprengende noch losgingen, keine Sorge, man hat immer einen Sicherheitsabstand einkalkuliert, als der Berg noch zum Toben gebracht wurde. Lang, lang ists her. Ach, war das schön, lautlose Stille folgte den Sprengschüssen, dann (vielleicht) einige dieser Nachzügler, dann noch ein, zwei Nachkommen von Nachzüglern, und dann zogen wir die Schraube an, der Berg soll ruhen in Frieden, Amen, und dann neun Schläge auf die Stahlplatte, und sogleich wird es auf dem Berg wieder lebendig. Es wurlt nur so. Auch ein Wort, das Sie vielleicht nicht kennen, wenn Sie nicht von hier sind, ja, ja, ich bin ja schon ruhig, nein, doch nicht, wie ich direkt vor mir auf dem Bildschirm sehen muß. Viele hundert Bergarbeiter verlassen ihre sicheren Unterstände und fangen an, wie Ungeziefer auf dem Berg herumzukriechen, der wimmelt jetzt nur so von Menschen! Nein. Der wimmelt jetzt nicht mehr, nie


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mehr. Der Erzberg heute: tot. Mehr oder weniger. Er wird sehr bald ganz tot sein. Ein Museum. Das Schaubergwerk: in Betrieb, die Öffnungszeiten entnehmen Sie bitte, nein, lassen Sie sie bitte dort, vielleicht will noch wer andrer das Werk besichtigen, das keins mehr ist, aber die Öffnungszeiten stehen am Gemeindeamt, an der Kirche, am Spital, an der Aufbahrungshalle vom Friedhof und sonstwo angeschlagen, dort können Sie sie dann abschlagen, wenn Sie Ihren Hammer noch nicht weggegeben haben, weil kein Nachfahre da ist, an den Sie ihn hätten weiterreichen können. Also reich wird man davon nicht. Brigitte hat also, sie erinnert sich kaum noch, aber sie kann es, das Spielen an einer Musikschule und später sogar an einem Konservatorium in einer größeren Stadt erlernt, und jetzt wendet sie das Erlernte eben an, was soll sie sonst damit machen. Ihrem geschiedenen Mann hat es jahrelang sogar gefallen, daß seine Frau einen interessanten und nicht alltäglichen Beruf hatte, denn dadurch hatte er Zugang zu den Honoratioren am Ort, dem Arzt, dem Anwalt, dem Notar, dem Apotheker, alles seine Kunden in Bruck! Kleiner Rabatt: immer drin! Wir kennen uns schließlich durch meine Frau, nicht wahr, aber die Frau braucht er nicht mehr, da er ja die Kunden bereits hat. Und die Stadt hat keine zweite Elektrohandlung wie seine, aber sie hat zwei Kaufhäuser, wo man auch so einiges kriegt. Die Frau hat also diese Menschen alle am Stammtisch zusammengeführt mit ihrer zarten geisterhaften Geigenhand und der Bogenhand, doch letztlich war sie dann die Erschossene, der Pfeil ging mitten durch ihre Brust, was mit der Geige war, wissen Sie ja, sie liegt jetzt auf der kleinen Bank im Vorzimmer des Einfamilienhauses


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(das alles ist ihr bei der Scheidung halt nur total auf den Kopf gefallen, aber da fällt einem jede Kleinigkeit auf den Kopf, die man vorher, stolz wie die Eingeborene ihren Krug zum Brunnen trägt, darauf noch balanciert hat, denn Anwalt und Richter, die mitsammen Tennis spielen, wann immer sie können, ich sagte es schon, und es gibt dafür nur einen einzigen Platz, also müssen sie sich dort treffen, haben sich diese schweren Gemeindeeinheiten, die immer alles und alle nach unten ziehen müssen, um sich selbst zu erhöhen, die haben sich gegen sie, diese Frau, längst verschworen, es ist alles vorher ausgemacht. Sie wurde doch allen Ernstes gefragt, ob sie, als schlechte Hausfrau, die sie angeblich deshalb gewesen ist, weil sie immer nur Geige spielen wollte und sogar Geld damit verdient hat, anstatt alleinig im Haushalt angekettet zu sein, was, als Ketten empfinden Sie diesen schönsten Beruf, und noch dazu wissen Sie nicht einmal, woraus dieser Haushalt überhaupt besteht, nein? Na dann! Dann dürfen Sie sich über nichts wundern! Was Ihre Pflichten gewesen wären, nein? Wenn Sie es jetzt wüßten, wäre es sowieso zu spät. Und was ist jetzt mit diesen Pfannen? Kennen Sie die, haben Sie sie je richtig angesehn, kennen Sie ihre teuren Namen, ihren Klang?, von Benutzung wollen wir gar nicht reden? Haben Sie das vorhin überlesen, da ich unter Mühen etwas schilderte, von dem ich selbst keine Ahnung habe, wie übrigens von den meisten Dingen? Haben nicht, also hätte ich es nicht zu wiederholen brauchen, sehen Sie mir das bitte nach, dies hier ist privat, da kann ich machen, was ich will. Also bitte, Autorin, strengen Sie sich an, stellen Sie sich nicht so an, wer kennt sich denn da noch aus? Daß


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diese Frau ihre Pflicht vernachlässigt hat, ist noch kein Grund, daß Sie jetzt diese Zeilen so sträflich vernachlässigen! Jeder kennt sich hier aus, antworte ich trotzig, denn ich sage doch alles mindestens zehnmal und meist sogar mit denselben Worten. Irgendwann kriegen sogar Sie es mit, bevor Sie mich endgültig abdrehn! Aber wenn Sie sich da auskennen, heißt das noch lange nicht, daß ein andrer sich auskennen muß. Muß er ja nicht, er kann das alles wegschmeißen, löschen, mit Karikaturen verzieren wie einst unser Bundeskanzler persönlich, wenn auch nur am Rande, er muß ja nicht mal hier reinschauen, ist das nicht fein? Er muß nicht reinschauen wie Brigitte K. in ihren Küchenschrank, wenn auch nur am Rande. Hätte sie das nämlich genauer getan, hätte sie gewußt, wo diese zwei Pfannen waren, die sie schon Jahre zuvor aus den Augen verloren hatte – allein ihr späterer Schaden. Aber Sie werden keinen Schaden davontragen, wenn Sie dies nicht lesen, allerdings werden Sie auch mir keinen Schaden machen können, ha! Das ist die Hauptsache! Es ist vernebelt, was Frauen wie ich tun, ich will es nicht noch weiter vernebeln, aber nebulös war es schon, etwa dieses Scheidungsverfahren, bei dem die Frau in die Bratröhre schauen mußte, da war doch noch was drin!, am Schluß dann, wer hat noch Zeit, das abzuwarten. Dann haben Sie nicht gekocht und nicht gut genug für Ihren Mann gesorgt, sagte der Richter, und es stimmt sogar, sie hatte nie so heiß gekocht, wie dann gegessen wurde, die Suppe war immer lauwarm, weil sie nach dem Kochen immer noch was Künstlerisches dringend für die Schule zu erledigen hatte, anstatt die Suppe noch brennend auf den Tisch zu werfen, bumm, mit diesem


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Hammerschlag sind Sie jetzt geschieden, mit diesem Sichelschwung reißen wir Ihnen Ihr Herz heraus, und aus reiner Nettigkeit überläßt Ihr Mann Ihnen in der Erzstadt ein Häuschen, das er von einer Tante geerbt hat und das dermaßen heruntergekommen ist, daß nicht einmal die Tante, die mit 94 im Heim verstorben ist, es noch wiedererkennen würde (hat sie allerdings schon seit ihrem 79. nicht mehr!), aber da kommen eine neue Therme, ein neuer Anstrich, eine neue Heizung hinein, aus reiner Güte Ihres Mannes, welcher ein Gütesiegel der Austronorm, nicht als Astronom, nein, stimmt schon: Austronorm besitzt, und der ja jetzt schon seit längerem eine neue Familie hat, um die er sich kümmern muß, weil das neue Kind doch noch so klein ist, das herzige Butzerl, vielleicht kommt ja noch eins, ja, ja, machen Sie sich nur zum wiederholten Mal darüber lustig: Sie haben keins geboren, dieses Schandmal tragen Sie, da kann man nichts machen, sogar dazu waren Sie nicht imstande mit Ihrem andauernden Geigenspiel, welches Sie einem jeden Kind offenbar vorzogen: Lieber bis nach Graz ins Konzert fahren, und die Lohnabrechnung bleibt liegen, das kennen wir schon und so weiter und so fort, nie weit fort, die Endabrechnung wird Ihnen schon noch präsentiert werden, und zwar genau jetzt und hier, mein Gott, was könnte ich allein darüber noch alles schreiben, aber ich will nicht, ich sage, ich will nicht mehr, aber wahrscheinlich kann ich nicht mehr und will es bloß nicht zugeben, vielleicht muß ich aber, auch wenn ich gar nicht will, wenn das am Ende nicht lang genug wird, daß sogar eine Ratte ermüden würde, wenn sie für etwas Essen von einem Ende zum andern rennen müßte, Schluß, aus, für heute, wir


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haben das alles schon gesagt, nur besser, und werden es vielleicht noch ein paarmal sagen, nur schlechter, obwohl sie es nicht nötig gehabt hätte (zu arbeiten, falls Sie den Faden verloren haben, den die Ratte nicht brauchen wird, die orientiert sich nach was andrem, nach dem Sonnenstand, ach was, meinetwegen gehen Sie vom Hochgebirge gegen das Hügelland hinaus, das werden Sie aber nicht können, weil Sie sich dann am Außerfern, nein, am Innerfern, also eigentlich am Gesäuse, nicht wahr, den Schädel aufschlagen werden wie ein Ei), versuchen Sie einmal, von einem Gebirgszug in den andren zu übersiedeln, sogar das wird noch leichter möglich sein, als von einem Haus in ein neues umzusiedeln, Sie werden schon sehen, was für eine Schlepperei das ist. Der Mann, der das alles verursachte, indem er entschlossen einfach einen Weg durch offenes Land nahm, eine Landnahme, die nicht weiter schwierig war, denn sein Angestellter hat seine Frau sofort freigegeben, als der Chef dies wünschte, der Chef hat nämlich seinen Arbeitsplatz unter Kontrolle, den Arbeitsplatz seines Angestellten, der Herr Chef hat, wie immer wieder betont, obwohl Sie es bereits auswendig wissen und in Reime gießen könnten wie Spachtelmasse in Löcher, den größten Elektrohandel in Bruck a. d. Mur, dieser jetzt Exmann, den Handel hat er immer noch, und der Mann beschafft Ihnen jedes Gerät, jedes Haushaltsgerät, das Sie sich in einem Katalog ausgesucht haben und noch dazu kaum teurer als im Geiz-ist-Geil-Markt, und er nimmt seiner Exfrau dafür das Weiße aus dem Auge und die Hörknöchelchen aus dem Ohr, Hammer, Amboß und den Steigbügelhalter sowieso, der sie ihm einst war, den braucht er jetzt nicht mehr, den braucht ihm keiner


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mehr zu halten, die Frau soll sehen, was sie an ihm, ihrem Elektrohändler, Ihrem Partner in Energiefragen, gehabt hat, höher gings ja schon nicht mehr bei dieser Hochnäsigen, die ist ungefähr so wie jener alpine Vorberg (nein, nicht Vorarlberg!), welcher mit einem schönen Übergang gegen das flachere Land hin ausläuft, und mir kommt echt vor, daß Brigitte K. einen ausgeronnenen Eindruck macht, wenn überhaupt einen Eindruck, blaß, farblos, verwaschen, Worte, die Sie aus der Werbung für Buntes kennen, aus dem die Farbe auszurinnen droht, aber diese Worte wollen schließlich auch einmal drankommen, die sekkieren mich schon so lang, die drängen mich die ganze Zeit zum Hochgebirge des Lebens hinüber, auf das ich endlich rauf soll, weil ich dorthin gehöre, nein, entschiedenes Nein!, das ist ein Vorhaben, das ich längst verworfen habe, so wie wir alle uns von der Vorstellung ständigen Wachstums verabschieden sollten, außer wir wären Bambusstauden oder andre schnellwachsende Sorten, das heißt, wachsen könnten wir noch, falls die Altersstruktur, die wirtschaftliche Basis, die Skimarke und das Aussehen dafür stimmen, bitte, eine Geige kann man stimmen, aber es stimmt nie, wenn man ein Aussehen dazurechnet, stimmt die Rechnung nie, die harmonischen Menschen stimmen zwar etwas an, aber fertig werden sie nie damit, weil irgendetwas sie verstimmt hat, und das gilt auch für das Hochgebirge des Lebens, das ich offensichtlich erklimmen soll, damit ich hier endlich bis zum Ende glücklich leben kann, wo ich das Gebirge des Aufstiegs, ich meine den Aufstieg aufs Gebirge in sonnige Höhen doch ausdrücklich hinter mir ließ, als ich ausdrücklich darauf verzichten wollte, mich ordentlich ausdrücklich


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auszudrücken, es war mir zu anstrengend, und so wird es bei mir auch in Zukunft höchstens Tagesgäste mit Frühstücksanrecht geben, und damit ist niemals ein Tourismus zustandezubringen, schließlich bin ich seine einzige wirtschaftliche Säule, ha! So, und jetzt bin endlich auch ich verstimmt, weil mich keiner hier mag. Ich habe mich auch nie darum bemüht. Etwas wie mich verstehen Sie unter tragender Säule?, und auf mich würde ich nicht setzen und mich nicht setzen (ich muß aber, denn: Ich bin ich, und wenn ich mich setze, dann nur auf mich). Der Exmann Brigittes befindet sich genau dort, wo das Leben im Aufsteigen ist, gemeinsam mit der lieben Sonne, die ihn scharf bescheint und über die Bäume hinwegsieht, denn sie ist nachsichtiger als die Menschen, und der Mann, dieser Frühere, der nicht im besten Einvernehmen geschieden wurde (er verwahrt in sich, was er vom Richter vernommen hat, es war nur das Beste, es wurde ihm empfohlen, wie er sein Sein und das seiner Ex auseinanderlegen sollte, was nicht dasselbe ist wie die Auslegung des Seienden, es hat eher mit Vernommenhaben, Kapierthaben und Sich-sofort-dagegen-Verwahren zu tun, auch noch für seine Unterhaltungen, ich meine für eine inzwischen völlig Fremde Unterhalt zahlen zu müssen), befindet sich in der dazugehörigen Hochgebirgsform, die oft mit einem gewissen behäbigen Breitformat im TV Hand in Hand geht, wenns einem nur gutgeht, den guten Eindruck, in Spachtelgips (täuschend echte Naturholzfarbe, denn es ist Holzspachtelgips! Wenn Hund oder Hacke etwas aus dem Holz herausfetzen, kann man es mit dieser Masse wieder ausfüllen, falls man selbst so unausgefüllt ist, daß man nichts Besseres mit


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seiner Zeit anzufangen weiß und auf Schönheit Wert legt) angefertigt, doch wie fertigt man einen Eindruck an? Den braucht er doch für sein neues Leben, die Verbindungen zu den Gemächtigen im Ort hat er noch aus dem alten mit seiner alten Frau hinüberretten können, was heißt hier retten? Er ist gerettet, auch dank einem Nachfolger, der ihm geboren wurde, nur die Frau ist es nicht: gerettet. Nicht nur sie, viele sind nicht gerettet. Dafür hat er der das Häuschen seiner Tante rein gnadenhalber renovieren lassen und seiner Exfrau zur dauerhaften Verfügung gestellt, irgendwo mußte sie ja hin, ihren dürren nutzlosen Hintern hinpflanzen, die alte Kuh, deren Hörner keiner in Richtung Schlachtschußapparat dreht, weil sie nicht einmal den von alleine finden kann, die schwarze Mündung des Todesrohrs immer scheuen würde, und so findet sie auch nicht einmal den Tod, der muß sie extra suchen gehen; dort also hat er die Ex abgestellt, wir haben sie auch schon gesucht, in dieses Häuschen hat er sie gestopft, das Häuschen der Tante, welche ohne fremde Hilfe im Altersheim verstorben ist, naja, der Tod findet jeden, Respekt!, der muß eine gute Witterung haben, ich glaube, der fühlt sich bei jeder Witterung wohl, was für ein eigentümlicher Reiz, daß man jederzeit sterben kann!, irgendwo muß ja auch die wie ein Mantel abgelegte Gattin hin, dafür legt man schon mal was ab, man drückt was ab, nicht viel, aber oho, und wäre es braune Scheiße, so eine wie sie ein Hund auf diesen neuen Schuh hier von unten her gedrückt hat, ein in ganz Österreich reichlich verfügbares Material, und auf dem Weg in eine Tourismusnation, die man sein möchte, kann man alles brauchen, notfalls nimmt man es als Baumaterial, sogar


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zehn Prozent Russen gehen da mit Leichtigkeit noch rein, wenn man sie und ihre echten Fuchspelze im und am Anorak zusammenquetscht und dann ordentlich auspreßt, vor allem in den Monaten, in denen ein Loch ist, ein Tourismusloch, weil der Boden alle, die er genommen hat, bereits verdaut hat und nach mehr schreit, nach neuer Nahrung. Wenn Sie mich fragen – wir haben noch viel zuwenig Russen verbraucht! Aber wir einheimischen Menschen haben doch auch ein Privatleben, selbst wenn wir nicht wegfahren können, und sehr viele Menschen haben nur dieses und nur eins davon, das heißt, sie haben faktisch nichts davon. Das ganze Stadtgebiet der Erzstadt ist, noch, verbaut mit Arbeitersiedlungen, und dort würde sie nicht einmal begraben sein wollen, die Geigenlehrerin, genau das wurde sie dann aber, lebend begraben, und zwar, wie üblich, ganz allein, doch es gibt Schlimmeres: In den Arbeitersiedlungen dort drüben, da waren früher die Leute auch lebend begraben, doch leider nicht allein, sie waren zusammengespannt wie Tiere, um den ärgsten Wohnungsmangel zu beheben – besser als die Baracke, der Arbeiterstall, wenn Sie mich fragen – und wurden in und auf den Berg getrieben, diese Herde, die auf den Hang hinaufgeht und den Hang wieder runtersteigt, in einem endlosen Strom strenger Ordnung, die nur der Arbeit eigen ist, weil man sonst schlechter funktioniert als eine Maschine, und dann kann man gleich die Maschine nehmen, dann lohnt es sich nicht mehr, daß man leben darf, doch leben: das ist von der Erschöpfung, äh, der Schöpfung so vorgesehen!, schauen Sie, das ist wie mit der Arbeiterbank, wenn die sich in fünf Jahren nicht lohnt, fliegt auch sie, da machen wir keine


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Unterschiede, erst fliegen schon mal, mitsamt ihren Sparkonten, die Kubaner unter uns, Moment, die sind doch schon wieder drinnen, oder?, na schön, aber dafür fliegen die Iraner unter uns, die Iraker unter uns, die Syrer unter uns, die Manichäer unter uns, die Sadduzäer unter uns, der Rest unter uns fliegt auch raus, meinetwegen auch die Händler im Tempel, fliegen auch raus, von dem es (vom Tempel), obwohl manche etwas anderes behaupten, keine Reste gibt, leider, dafür sind unsere Reste aber immer noch da, weil sie Amerika in seiner Größe auf diesem kleinen Arbeiterbankerl BAWAG, bewacht von Cerberus, dem netten Wuffi, hier unter uns natürlich nicht dulden kann, nein, das kann es nicht, dieses große Land, das fürs Dulden nun mal nicht geschaffen wurde. Wie gut, daß der Cerberus jetzt da ist, wer sollte sonst das Blut der armen Arbeiter, die es vergossen haben, vom Boden aufschlecken und seine Nahrung mit diesem Zusatzstoff bereichern? Ich sehe die Vergangenheit, im Vergleich mit der Gegenwart, viel zu negativ, die Gegenwart sehe ich inzwischen aber leider auch sehr negativ. Entschuldigen Sie vielmals! Aber ich kann nicht anders. Diese Lehrerin wieder ist doch eine, die Verbindungen, meinetwegen zur Kunst, schuf und ihre eigene wider Willen dann wieder auflösen mußte, seien wir ehrlich. Nein. Alles erfunden. Zu oft hat sich diese Frau, noch in den goldenen Tagen von Bruck, als sie stolz und ohne die skeptische Sichtweise der Nachbarn zu beachten, mit der Geige schlenkernd, sich selbst hoch aufgerichtet neben ihrer Geige hertragend, das schöne, breit und behäbig angelegte Altstadthaus verließ, (unten das Geschäft mit den hübschen Geräten, oben die Wohnung mit den hübschen


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Möbeln, damit wir uns sogar in der Küche, und zwar auf dem Boden, von dem man essen kann, noch wohlfühlen), zu oft also hat sie sich ihrem schlichten, wenn auch recht wohlhabenden (allerdings nicht sehr ansehnlichen, aber alles kann man schließlich nicht haben) Mann geistig (wie ein im Banne gehaltenes Kind, das sich selbst bannt und damit seine Angst) überlegen gefühlt, über ihn erhaben wie der Gipfel über den Berg, weil an jedem Berg eben nur der Gipfel interessiert, und zwar, um ihn zu überwinden, und das rächt sich jetzt, weil sich grundsätzlich alles rächt, auf das man runterschaut, sowas aber ganz bestimmt, denn man soll sich keinem Menschen überlegen fühlen, bloß weil der unmusikalisch ist und man selbst die Musik bis in die letzten Hautfalten eingesogen hat, als die noch zusätzlich mit einer ur- echten Substanz namens Muttermilch, einer eindeutigen Wohlfühl-und-Wellness-Substanz, geschmiert wurden, was wollte ich eigentlich sagen? Ich weiß es nicht mehr, ich wollte wahrscheinlich sagen, daß diese Frau sich ihrem Mann immer ein wenig überlegen gefühlt hat, aber das habe ich eh schon genauso und nicht anders gesagt, vielleicht sollte ich es noch einmal sagen, aber anders, vielleicht der Frau anstatt einer Geige einen Pfeil zu ihrem Bogen geben? Nein, auch nicht, und wenn, dann sollte ich es hier nicht sagen, aber ich muß immer alles sagen und viel zu oft, das ist meine Krankheit, doch die tut niemandem weh, und außerdem gehört hier eh alles mir, wie fahren wir fort, um endlich von mir wegzukommen? Fahren wir überhaupt? Wer war die Frau, die mit mir in der Eisenbahn fuhr, und dann in einer Zeitung beschrieb, wie mir die Wurstblätter aus dem Mund hingen


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wie die Wedel einer verwachsenen Palme? Inzwischen weiß ich es. Gestern erst habe ich sie wiedergesehen, in einer weit aufklaffenden Gesellschaftsklatsch-Spaltensendung, da ihr Kaviar aus dem Mund fiel vor Schreck, daß sie einen bedeutenden Menschen in aller Öffentlichkeit heiraten mußte, na ja, vielleicht nicht mußte, sondern eher: durfte. Nun, da muß sie sich endlich nicht mehr mit mir und meiner armen Semmelseele und meinen armseligen Semmelempfindungen befassen und hat wichtigere Themen gefunden, die mehr Spaß machen und von besserer Herkunft und Zukunft sind als ich. Mit der Muttermilch habe ich zwar nicht die Wurstsemmel, haben allerdings wir Österreicher – ich meine das ausschließlich in gesellschaftlicher Hinsicht – die Musik bereits aufgesogen, die Flasche ist nun leer, sogar in Salzburg ist sie geleert, dort besonders weit und tief geleert, was kommt als nächstes? Etwas anderes, das uns total abhandengekommen ist, und durch Spaß, Spaß, Spaß ersetzt wurde, den wir nicht aus der Herkunft, sondern für die Hinkunft brauchen, um ein schönes Leben als Wichtige und Wichtigtuer zu haben, und vielleicht ist das ein Ausweg aus diesem Satz von mir, der etwas zusammenzwingen will, das nicht zusammengehört, wie Deutschland früher, also Deutschland hat heute sicher zwei Enden, weil das erste und das zweite Ende ja schiefgegangen sind, nur: wo sind die inzwischen?, diese Enden, und Tod: Wo ist dein Stachel? Das fällt mir jetzt auch noch ein. Ich sollte nicht immer alles sagen, was mir einfällt. Das ist schlecht für meine Kunst. Schauen Sie: Soviel fällt mir ja nicht ein, und so muß ich halt alles verwerten, egal was. Nun, ich


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weiß jetzt nicht weiter, gebe ich zu, doch ich weiß, wir nannten bereits öfter dieses berühmte Allheilmittel gegen Trockenfäule und allg. Faulheit: Die Musik also hat diese Frau in sich eindringen lassen, wir rufen jetzt die Polizei, wenn hier nicht endlich was weitergeht, vielleicht gehts ja nach innen?, was auch immer, ja, genau, nach innen geht es, damit die Menschen sich und mich verstehen lernen, doch vergebens dringt und drängt die Musik in unsere Ohren, manche Eindringlinge ins Ohr sind in Weiß, andre, wie meiner, in Schwarz, das ist definitiv ein Ohrenschlüpfer, so, die Polizei fährt auch unbefugt, ich meine ohne Befugnisse, wieder weg, denn dieses Eindringen war ja auch kein unbefugtes, für den Fugengips war der Mann zuständig, der jedoch untätig blieb, ich weiß nicht wieso, noch einmal, nur unverzagt: Eindringende Musik, die rächt sich leider nur allzu oft, noch dazu am Falschen, der gar nichts dafür kann und nichts dagegen getan hat, allerdings auch nichts dafür. Er hat nur die Ohren, wie jeden Tag, für den iPod aufgesperrt. Manchmal glaube ich, an das Herz der Menschen dringt, außer dem Gejammere seiner Mitmenschen, nur noch Musik, jeder hat sie, jeder will sie, jeder braucht sie, einer in bewundernswerter Trockenheit, andre wollen sie eher mit Trockenfäule behaftet. Diese Frau nicht. Diese Frau, nicht faul, macht selber ihre Musik, sowas findet man nicht oft, vor allem so eine Musik, die sie macht, findet man heute doch nur noch von Profis dargeboten. Laien mögen durch die Nacht wandern und auf der Okarina pfeifen wie der Hirt auf dem Felsen, aber wir Profis, ach, ich weiß auch nicht, was wir machen sollen. Ich weiß es im Moment nicht. Ach ja, Musik, du


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Blaubartzimmer, zu dem jeder den Schlüssel hat, wirklich jeder! Denn es ist nichts dahinter. Hochmut kommt vor dem Fall, Mut allein kommt leider oft gar nicht. Gleichgültigkeit ist schon da, das ist die größte Sünde, nicht der Neid, nein, nein, die Trägheit, dieser Unterkunftsplatz, von meinem Standpunkt aus immer rechts gelegen, aber aus Bequemlichkeit gehe ich nie dorthin und bleibe links von der Mitte wie angenagelt stehen. Ich glaube, das Rechte zu tun, aber ich tue gar nichts. Ich klopfe an, aber das Herein warte ich nicht ab, sondern gehe wieder. Ich habe schon Menschen ermordet, indem ich gar nichts getan habe, ich habe sie in Heime und Spitäler und Irrenhäuser verfrachten lassen, obwohl sie gar nichts getan hatten, jedenfalls mir nichts und dir auch nichts, gar nicht sehr krank waren und sich schrecklich gefürchtet haben. Vielleicht muß ich mich deswegen heute so fürchten, und zwar vor allem und jedem? Das wäre eine furchtbare Strafe, könnte ich bitte eine etwas weniger schlimme bekommen? Die wäre ja längst vorbei! Sogar Gefängnis wäre schon vorbei. Wie lange soll ich denn noch büßen, bevor ich den hellen Ruf des Lebens hören darf? Sie, ja, Sie meine ich, haben vielleicht auch jemanden umgebracht, nur wissen Sie es nicht mehr. Und wüßten Sie es, es würde Sie nicht bekümmern, jedenfalls nicht so wie mich meine Verfehlungen gegenüber Menschen bekümmern. Die gegen mich allerdings noch mehr. So wie ich dürfen Sie es jedenfalls nicht machen. Sie dürfen andre nicht so beleidigen! Sie dürfen Beleidigungen gegen sich nicht dulden! Sie müssen Ihren Müll wegräumen, sonst ruft ein Nachbar irgendwo an, keine Ahnung, wo, muß mir die Nummer selber erst raussuchen! Sie dürfen nicht ewig mit einem


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vergewaltigten, geöffneten Draht-Kleiderbügel nach tiefgelegten Fäkalien suchen, weil das Klo verstopft ist, Sie müssen eben suchen, bis Sie sie endlich sehen, diese menschlichen Hinterlassenschaften, nur um mit den Scheißepatzen dann um sich werfen zu können! Wenn Sie ein Verbrechen an einem anderen Menschen vollbracht haben: Stehen Sie wenigstens dazu! Gestehen Sie! Ich stehe drauf, daß ich hier und jetzt dazu stehe, doch es hat keine Folgen für mich, das ist ja das Gute dran. Es ist folgenlos, sonst wäre ich doch nie draufgestiegen. Meine Verbrechen haben mir nur Gutes gebracht, fast bis zuletzt, da sie mir leider doch auf den Kopf fielen, nein, nicht auf den Kopf, direkt in mein Innerstes, und nur so kann ich sie leichten Herzens bedauern, denn sie haben mir im Grunde mein Leben unterm Strich sehr erleichtert, für lange Zeit, nein, für immer nicht, wie ich jetzt sehe. Und den Verbrechern gegen mich haben ihre Verbrechen nichts gebracht als das Grab, wenn auch reichlich spät (etliche sind sogar noch draußen und laufen frei herum). Zu spät für mich, zu früh für sie. Mama, ja, du bist gemeint, keine Ahnung, wieso du schon wieder, du bist doch endlich tot! Nichts wie weg hier, die kommt sonst zurück, Sie haben leicht reden, Sie, die Ihre liebe Mama nach Jahren des Todes immer noch wiedersehen wollen, aber Sie haben meine nicht gekannt, die würden Sie nicht wiedersehen, die würden Sie nicht einmal gehabt haben wollen! Weiter! Erzählen! Kann nicht, wie oft soll ich es denn noch sagen, das ist zwar mein Hauptgeschäft, mein Flagship Store, aber ich kann nicht, vielleicht wenn ich in die Filiale im Außenbezirk ginge, wo man nicht so auf mich achten würde?


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Vielleicht könnte ich in der Filiale in der Schuhnummer und Größenordnung erzählen, die im Stammhaus, nein, nicht in Stammheim, längst ausverkauft ist? Kaum hat diese Geigenlehrerin also das Haus verlassen, um sich mit ihren Schülern selbst zu verwirklichen, was man muß, sonst wäre man ein Gespenst, kaum hat sie also ihre Selbstverwirklichung in die linke und den Bogen in die richtige Hand genommen, hat sie auch schon, ohne noch zu ahnen, daß sie das Haus hinter sich für eine andre sperrangelweit offenließ, alles verwirkt, was ihr Unterkunft und Taschengeld gewährte, die Unterkunft ziemlich komfortabel, das Taschengeld mehr als ausreichend (grade der Komfort ist es leider, der uns gleichgültig gegen andre werden läßt, deren sanitäre Anlagen ebenso kaputt sind und die, mitsamt ihren Tieren, auf den Boden machen müssen, aber schau!, schon fällt Licht ins Dunkel, ist da jemand? Und Sie können alles wieder ausbügeln, aber natürlich an andren, die Sie nicht kennen, denn würden die Sie kennen, würden sie Ihr Geschenk entsetzt zurückweisen und lieber Schlamm aus der Pfütze lecken, nein, das stimmt nicht, Sie machen es eh richtig, und ich mache es falsch, wie immer, denn ich spende nicht, ich bin in dieser Hinsicht böse, eine Art  Wirtschaftsgebäude, das selber nicht bewirtschaftet wird, obwohl es dafür vorgesehen wäre), kaum also hat die Lehrerin das Haus verlassen (wo bin ich hier eigentlich? Ach ja, im Früher bin ich, aber wollte ich erzählen, müßte ich irgendwie ins Später kommen, was mir sehr schwerfällt, jeder wird Ihnen bestätigen, daß ich immer eher zu früh als zu spät komme), sind ihr Mann und seine junge Angestellte auch schon unter


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einem billigen Vorwand in die höheren Regionen des Hauses abgetaucht, ich meine aufgetaucht, in den ersten Stock, den Vorwand haben sie dagelassen, einen Vorwand haben sie vorgeschoben, damit sie keiner sieht, einen Vorwand, den keiner der Angestellten gebilligt und den der Mann gar nicht gebraucht hätte, die Gattin war ja aus dem Haus, und Kinder waren keine vorhanden, kein Problem die Scheidung, aber natürlich hat die Belegschaft verstanden, daß man selber einmal Belegschaft sein möchte, möglichst mit etwas Knackigerem, Jüngeren, wie meinem lieben Semmerl z. B., das jene hobbyschreibende Dame im Eisenbahnzug beschrieb, das sie festhielt in dem Moment, da es mir grad verzweifelt aus dem Munde zu springen versuchte, und dem Semmerl selbst hing die Wurst auch schon zum Hals heraus, ja, das Gurkerl auch, ich spreche an dieser Stelle aber von einer anderen Belegschaft, einer Buhlschaft, die mit dem Herrn Chef belegt ist, hier ist besetzt, von außen können Sie diese Tür nicht aufsperren, nur von innen, aber besser, Sie rennen gleich offene Türen ein, bei dieser Frau hat es funktioniert, Sie aber werden sich möglicherweise dabei eine entsetzliche Verletzung im Gesicht zuziehen, und dann erkennt Sie keiner mehr, es ist, als wären Sie ein Geist, was wollte ich sagen, naja, der Mann hat diesen Platz, der allerdings noch gar nicht frei war, mit sich belegt, nicht mit seiner Kleidung oder einer Zeitung oder einem Handtuch, er hat gleich sich selbst dafür genommen, es war keine Zeit zu verlieren, denn die Sekretärin war mehr als fünfzehn Jahre jünger als er, da sind die beiden, Herr und Magd, also im oberen Stockwerk verschwunden, vorhin waren sie noch da, nein, verschwunden kann man


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nicht sagen, jeder wußte ja, wo sie waren, und haben sich, wie soll ich sagen, wie sagte es noch keiner?, ineinander an den dafür vorgesehenen Stellen verhakt, ihre Zulänglichkeiten gegenseitig zudringlich erforscht und für zu kurz befunden, nein, für zu lang, nein, eher für mittel, wie üblich, also wir müssen für unser Hakensortiment unbedingt etwas nachbestellen. Ja, das müssen wir, wenn wir die Lust kennenlernen wollen, am besten, wir kaufen uns ein Abo dafür, wir können sie aber auch im Internet studieren, ich gebe Ihnen hier keine Adresse, die finden Sie selber schneller heraus. Was will ich damit sagen, das ich nicht mehr sagen kann, früher konnte ich es, glaub ich zumindest, ja, ja, riskieren Sie ruhig einen vergleichenden Blick auf die Größenordnungen und die Qualität der Veränderungsprozesse an und in Geschlechtsorganen, die könne sich unter der Schmiere der Lust ganz schön verändern, auch äußerlich, sie werden irgendwie, wie soll ich sagen: größer, und sie geben es gern zu, zeigen es gerne her, und sie fühlen sich wohl dabei, ihre Besitzer auch, alles klar, also klar, daß es die beiden miteinander getrieben haben, Chef und junge Angestellte, und klar, daß hier irgendwann einmal Problemdimensionen vorgelegen sind und die rechtmäßige, recht, allerdings nicht fürs Leben, sondern für die Musik begabte ältere Frau, der es nichts mehr nützt, Recht zu haben, es erfahren hat, besonders angestrengt hat sich niemand, das alles vor ihr zu verbergen. Ach, wie schön könnte man das sagen, könnte man es denn! Ich kann es nicht. Menschen, die sich überlegen fühlen, gehen den anderen leicht auf die Nerven, fahren dort herum auf den vereisten und endlich


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aufgetauten Nervenenden, gut, die funktionieren wieder, wurde auch Zeit, und werden in ihr Unglück hineingeschoben, indem man sie aus der eigenen Wahrnehmung rausschiebt wie ein Möbelstück. Das können Sie jederzeit selber ausprobieren, falls Sie Ihren Schrank jetzt diese drei Stockwerke runterkriegen. Es ist hier nicht so, daß sowas toleriert wird. Außer einem Pantscherl mit der Sekretärin wird hier nichts toleriert, vielleicht noch die Tourismusidee, denn sie brächte Veränderung, vielleicht noch Steuerhinterziehung, na sicher, immer, aber die muß nicht einmal toleriert werden, die macht jeder, die ist das Gegenteil von Veränderung, sie ist Realität, wenn ein andrer Elektriker, ein andrer Kachelleger, ein andrer Installateur in der Früh im Baumarkt stehn und das Material für ihren Pfusch einkaufen, der jedem von ihnen bereits eine ziemlich gebrauchte, aber noch fahrtüchtige 8–m–Jacht (was weiß ich, wie lang die Dinger sind) im Mittelmeer eingetragen hat, die sie ja auch dringend gebraucht haben, und manchem von ihnen eine Skihütte in der Schweiz, wenn auch nicht in deren teurem Teil. Tausende Menschen wollen auch leben, nicht nur Sie. Wenn Sie auch leben wollen, fahren Sie in ein Kurinstitut und lassen Sie weniger aus sich machen! Das ist hier so, daß die Menschen leben wollen, nachdem sie so viele Leben ausradiert haben, es kann aber auch einen ganz anderen Grund haben, ich weiß es nicht genau, aber ich rücke dennoch stückweise damit heraus, damit ich die Zeilen schinden kann, bis sie schreien, wer wollte es mir verwehren?, denn das ist die Abmachung mit mir selbst: keinen Augenblick Pause beim Schreiben, entweder ganz


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und gar nicht schreiben oder wenn, dann mit keinem Augenblick Pause dazwischen, nein, auch nicht fürs Leben, das Leben brauche ich nicht, ich wüßte ja gar nicht, was das ist, und ich fühle mich ja selber noch viel mehr geschunden vom Leben, das sicher gar keins ist und je gewesen ist, denn es ist so anders als alle anderen Leben, die ich im TV sehe, und daher schinde ich jetzt einmal Sie, o je, leider kann ich es nicht, hab mich überschätzt, Sie haben sich längst ausgeklinkt, das ist nur ein Klick mit dem Zeigefinger, mehr nicht, es gefällt mir so, daß Sie sich so leicht von mir trennen lassen, von meinem billigen Internetplattform-Plattenvorbau, tja, leider ist meine Form eher platt, denn viel habe ich dort nicht, dort oben, nein, nicht im Oberstübchen, so hoch oben denn auch wieder nicht, allerdings habe ich mehr als andre vielleicht immer noch, Korbgröße B, obwohl mein Niedergang beschlossene Sache ist, nur ich wurde noch nicht von ihm verständigt, also, ich habe schon mehr verloren als andre überhaupt gehabt haben, nein, ich habe gar nichts, und die anderen haben alles, und daher beneide ich sie so sehr, das ist es, auf den Punkt gebracht, nein, sogar auf den Doppelpunkt: Da ist diese Raumnot, welche die Natur geschaffen hat, wenn auch nicht in oder an meinem Brustkasten, da ist noch genügend Raum vorhanden, so einen Kasten werden Sie nicht oft finden, eine Geige geht zwar nicht hinein, der Geigenkasten noch weniger, aber sonst geht er, dieser Kasten, meine ich den auch wirklich?, wenn auch nicht von allein. Wir haben hier keine billigen Plattenbauten von Menschen, solche von solch geringer Qualität, daß sie Qualen leiden müßten, in sich selber zu hausen, sowas wie dieser Bau wird


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heute nicht mehr hergestellt bzw. schon wieder, genau!, ich sehe es mit Staunen, schon wieder, denn es ist billig und gut und praktisch, nein, mein Körper ist nur plattenbauähnlich, das heißt, daß jeder Mensch, hat er ihn einmal betreten, und das auch noch beim falschen Ende, ihn sofort bei entsprechender Gelegenheit geradezu massenfluchtartig wieder verlassen würde. Recht hätte er. Jeder Mensch ist ja mehr wert als ein einzelner, er fühlt sich zu vielen, wenn er einmal kommt und geht. Und er würde dann in einen Neubau mit besseren Formen einziehen, falls er einen fände, der noch dazu meine Umgangsformen hätte, ja, das wäre nicht schlecht. Dann würde er die Hände flehend erheben, daß man ihm den Schlüssel runterwirft, während die arme Brigitte K. irgendwann mal einen Violinschlüssel gefunden hat und seither glaubt, mit dem kommt sie überall rein. Mein plötzlicher Zusammenbruch, der Zusammenbruch meiner tragenden Wirtschaftsstruktur und meines tragenden BHs, den ich aber nicht trage, er soll ja mich, zumindest teilweise, tragen, und will das nicht, wie sollte er auch wollen, ich besitze ja gar keinen BH, dieser Zusammenbruch des Tragenden in und an mir ist längst erfolgt, deswegen will ich mich hier ja erklären, kann es aber nicht, hören Sie mir trotzdem zu!, und auch die nachfolgende Depression hat bereits stattgefunden und auch schon wieder aufgehört, es folgt die nächste, die folgt mir brav, weil ich sie nicht will, aber dafür will sie anscheinend mich. Wer bleibt sonst schon bei jemandem, der ihn nicht will? Die Depression, die dickfellige, hartnäckige Gefährtin, die bleibt natürlich. Lieber würde ich mir die nette Dame aus dem Abteil der


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Eisenbahn wieder einladen, die in der Süddeutschen Zeitung von mir und meiner interessant und vielfältig belegten Wurstsemmel schrieb, aber die hat jetzt diesen berühmten Verleger geheiratet, nein, ich sage jetzt nicht, welchen: Die hat einen wichtigen Austro-Mechaniker, der ein Mensch ist, geheiratet, nein, doch keinen Automechaniker, einen Verleger, während ich immer noch verlegen im Raum herumstehe und nicht gezündet werde, um abzuheben, nein, Schluß!, die hat diesen netten Mann geheiratet und wird jetzt gewiß selber großzügig verlegt. Zu so drastischen Mitteln müssen manche Menschen greifen, bis jemand ihre Erwartungen weckt, ihnen dann aber sofort mit einem Hammer auf den Kopf haut, obwohl diese fesche, elegante Dame sicher selber ein Hammer ist, wow, das hab ich gleich gemerkt. Ich sehe Ähnlichkeiten mit dieser Erzstadt, nein, ausnahmsweise nicht mit dieser schreibenden Dame, die, ohne abgehoben zu haben, mindestens einmal, und ich weiß ja nur von diesem einen Mal, gleich in der Süddeutschen Zeitung gelandet ist, zwar knapp daneben, aber das ist ja auch daneben, die liegt bei uns dauernd am Fußbden, weil der Briefträger das Loch nicht findet; ich vergleiche mich lieber unbescheiden mit einer ganzen Stadt, nein, nicht mit München, ich sehe die Ähnlichkeiten ganz deutlich, aber jetzt weiß ich nicht mehr, welche Ähnlichkeiten, ich behaupte aber, daß ich sie sehe, obwohl ich sie noch nie gesehen habe, das werde ich aber jetzt nachholen, das sieht mir ähnlich!, also: Die Stadt muß sich in ein schmales, längliches Tal zwischen den Eisenalpen, die links und rechts mit seitlich steil aufragenden Klippen, nein, Berghängen einzwicken, hineinzwängen, also faktisch  zwischen sich und sich,


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so stelle ich mir das vor. Ich kenne das, bin ja auch zwischen mir und mir eingeklemmt und komm von mir nicht weg! Dies war bereits die erste Ähnlichkeit, weitere sollen folgen. Das ist ein Schock, wenn man es merkt, manche merken es ja gar nicht und gehen abends aus, um von sich endlich wegzukommen, nur wissen sie das nicht. Und sie glauben, daß sie das können. Ich allein habe es bemerkt, was auch immer, daß das Gehen nicht geht und das Kommen nicht kommt; ich bin jetzt alt, im Herbst meines Lebens, wie eine Freundin mir neulich versicherte, nein, nicht die schreibsame Dame aus dem Zugabteil, die in aller Ruhe auf meine arme Wegzehrung und meinen Krimi gespechtelt hat, mich ausgespäht hat, die ist leider nicht meine Freundin, obwohl es besser für mich gewesen wäre, sie mir rechtzeitig zur Freundin gemacht zu haben, nur gemach!, ich meine eine andre, eine richtige, langjährige Freundin hat mich versichert, nein, mir versichert, als ich angab, gar nicht gemerkt zu haben, in diese Jahreszeit eingetreten zu sein, den Herbst des Lebens, ja, das hat sie mir telephonisch am Festnetz versichert, und daher stimmt es, es war im Festnetz, dran war nicht zu rütteln, da hat sie vom Herbst des Lebens gesprochen, einer Jahreszeit, hinter der sich nicht mehr viel befindet, und daß ich immer noch an die Tür des Lebens pumpere, völlig sinnlos, das kann ich nicht leugnen, ich habe es soeben, vorhin erst, bemerkt, als meine Faust auf der anderen Seite wieder herauskam, ohne meinen Körper, der war und ist derzeit noch hier bei mir, ich spüre ihn, gut für mich, er ist noch da,  doch Sie wissen schon


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viel länger, daß ich zu unattraktiv für den Fremdenverkehr geworden bin und für den eigenen ebenfalls, ich tauge höchstens noch als Abwäscherin der Geschichtsfolgen, an der Rezeption z. B. duldet man mich nicht, wo der inzwischen rechtmäßig verstorbene Multimilliardär seine Frau kennengelernt hat und der Verleger die Seine, nein, nicht den Fluß, er hat sie sich aus einem Zugsabteil geholt und sie inzwischen zur werdenden Mutter gemacht oder auch nicht, keine Ahnung, hoffentlich nicht, aus Altersgründen, ich hasse Mütter, sehe aber ein, daß sie nötig sind, auch ich hätte dort vielleicht meine Chance gehabt, in der Mutterschaft? Nein, dort nicht, und ich hatte sie ja auch, denn ich habe dort im Zug genau diese nette Dame kennengelernt, die über mich laut, aber nicht lauter, in der seit langem weltberühmten Süddeutschen Zeitung geschrieben hat, und leider, nein, vielleicht zum Glück kenne ich sie jetzt nicht mehr, die Frau, die Zeitung kenne ich schon noch, lese sie aber nicht, keine Chance, sie noch zu treffen, die Frau, nicht die Zeitung, die es eher drauf angelegt hat, mich zu treffen, au!, das hat gesessen!, diese Frau, schreib das auf, Frau!, das hat die entschieden beherzigt, bevor sie ihr Austro-Herzilein traf und nie wieder einsam sein mußte, nein, ihr Herzilein muß sie schon davor gekannt haben, die beiden werde ich nicht mehr treffen, hoffe ich zumindest, ein Glück, denn ich bewege mich nicht in Verlegerkreisen, höchstens in Verlegenheitskreisen, bitte um Entschuldigung, aber ich habe hier doch eigens meinen eigenen einspurigen Verlag gegründet, nur für mich allein, kein Gegenverkehr, trotzdem: keine Chance! Vielleicht weil ich solche Menschen


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ablehne? Nicht die Verleger, die auch, sondern vielmehr ihre Gattinnen?, geschieht mir recht, daß ich keinen Verleger, ich meine daß ich keine Zukunft mehr habe, was habe ich sie auch immer so düster ausgemalt, die Zukunft – meine einzige Chance, jetzt habe ich keine mehr, jetzt muß ich das alles wegputzen, weil ich für sonstwas nichts mehr tauge (und auf das Oho, auf das Sonstwas würde es doch ankommen!), auch für den eigenen im Grunde, macht ja nichts, denn ich plane einen fundamentalen Umbruch in mir selbst. Ich plane, selber vollständig zu verschwinden, na, wenn das kein Umbruch ist, dann weiß ich nicht! Ich habe meine eigenen Zyklen, solang ich noch welche hatte, als langfristige Investition in mich selbst betrachtet, in meine Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung, doch da hat sich leider nichts entwickelt, und auch zur Bevölkerungsexplosion, die es gar nicht gibt, und, gäbe es sie, gäbe es sie schon gar nicht meinetwegen, na, meinetwegen soll es sie halt geben, aber es gibt sie nicht, habe ich nichts beigetragen, daher findet diese nicht statt, bei keinem Wetter, und daraus folgte unweigerlich eine erbitterte Siedlungs- und Wohnbautätigkeit, und daraus folgte ein erbittertes Betteln um Wohnbaukredite. Wenn Häuser da sind, werden sich schon Menschen dafür finden. Aber was mich betrifft, ist auch diese Tätigkeit, die Aufbauphase (und jede Aufbauphase in diesem Land hat mit den Nazis begonnen, zum Glück aber nicht mit ihnen geendet, schaut nicht so blöd, ihr Hermann-Göring-Werke, ihr heißt schon längst nicht mehr so, ihr braucht gar nicht so zu glotzen! Wenn man euch so ruft, müßt ihr einfach nicht drauf hören. Und auf mich sowieso nicht), längst


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beendet, doch was Brigitte betrifft, hat sie sich dem inzwischen recht langen Zug der schrumpfenden Städte angeschlossen, indem ihr die Haut, wie mir übrigens auch, was für ein seltsamer Zufall!, zu weit wurde und sich in einen Schrumpfungsprozeß, nein, eher einen Erweiterungsprozeß begab, während darunter die Substanz, der Körper, das Wesentliche, zu schrumpfen schien, nicht schien, da glänzt nichts mehr, da scheint nichts mehr, oh, ist diese Haut etwa etwas zu groß für mich? Zu dünn? Zu faltig? Zu grobporig? Ist diese Stadt zu groß für die darunterliegenden Menschen? Ja, kann ich da nur antworten. Was hilft? Ein Historikhotel hilft vielleicht? Nein, es hilft nichts. Man könnte die architektonisch und historisch interessanten Objekte in dieser Stadt zusammenschließen, wie es die Hauptstadt schon lange macht, die heuchlerisch vorgibt, überhaupt nur aus solchen Objekten zu bestehen, um die lieben Gäste davon abzuhalten, jemals ihren 15. Gemeindebezirk zu besuchen, ja, also, man könnte die Gebäude, die historischen Wert haben, zusammenschließen, wenn man sie nur dazu bewegen könnte, sich zu bewegen und sich für ein Foto und für die Fremden zusammenzustellen, und dann machen wir aus alldem ein Hotel, und dann erhöhen wir den Standard des Hotels, bis er ein hoher geworden ist, ein internationaler. Man bräuchte ja gar kein neues Hotel zu bauen, man hätte schon eins, da die Häuser ja vorhanden sind, die muß man demnach nur noch zusammenschieben, und außerdem würden dann die vielen leeren trostlosen Ladenlokale (die Gegenstücke zu dem schmucken Elektro-Laden in Bruck, sozusagen deren Negative) endlich verschwinden, diese leeren Augenhöhlen der Häuser in deren


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schlampig gesäumten Erdgeschossen, die müßten dann sowieso nichts mehr sehen, denn sie wären ein Hotel und dürften beständig Innenschau halten, ihre Fehler verbergen und wohlhabende Fremde anschauen, die nur Fehler haben, vor allem die besagten Russen, und hätten Abwechslung und müßten nicht mehr so blind sein zu übersehen, daß man in sich investieren muß. Schauen Sie! Sehen Sie diesen oder jenen inneren Wert, den diese Stadt der Unschuld sich vom Marathonlauf der Geschichte an Werbeträgern gekauft hat, die Stadt, dieses zusammenhängende Ganze, dessen Straßen dazumal mit Zahnbürsten gewaschen wurden, nein, diese Straße nicht, aber eine oder die andre andere schon, sodaß sie heute noch funkeln, Handarbeit!, eigens für Sie! Sonst verpaß ich ihnen persönlich eine Brille, wenn Sie das nicht sehen. Mit der können die hohlen Scheiben, ich meine die leeren Augen der Fenster den Ideenwettbewerb begutachten, den wir ausgeschrieben und dann vollgeschmiert haben, danke für das Zukunftsszenario, es ist sehr schön, echt, aber ich brauche es nicht, das Vergangenheitsszenario genügt mir schon und wird mir für alle Zeiten, die ich habe (leider sehr kurz! Würde gern, ich sage es immer wieder, länger klagen und anklagen!), genügen, denn ich persönlich habe keine Zukunft mehr und beneide alle, die noch eine haben. Auch die Stadt hat vielleicht noch eine zweite vorrätig, wer weiß. Doch, doch, hat sie. Die wird länger halten als ich. Ich weiß es gewiß. Sie hofft möglicherweise, Modellcharakter für andre sterbende Regionen und Städte zu erhalten, was mit dem Erhalt von Bundesmitteln verbunden werden müßte, denn diesen Bevölkerungsrückgang verzeichnet nicht nur die Erzstadt, den verzeichnen


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viele, die ich hier verzeichne und die auch was wollen, die verzeichnet sein wollen, wenn auch nicht unbedingt bei mir, ich verzeichne dennoch, verzerre, verzahne, wie es meine Art ist, verzeihen Sie, Sie Stadt Sie, Sie haben mir nichts getan, aber ich habe nun einmal Sie erwählt, um Hoffnungslosigkeit im allgemeinen auszudrücken, ob Sie nun wollen oder nicht, denn mich wollte ich dafür nicht nehmen, mir glaubt man ja nichts. Sie, liebe Stadtgemeinde, können ja Ihre Schwesternstädte anklagen, weil die nicht von mir gewählt wurden, die können Sie wegen Persönlichkeitsverletzung und Intimsphärenverletzung und Wurstsemmel-Rechtsverletzung in Zugsabteilen verklagen, in einem Aufwasch mit Ihrer Klage über mich, und da sind wir schon wieder beim Klagen, und alle Klagen werden am Schluß im Stadtmuseum ausgestellt, mit zahlreichen Studien, wie man es machen soll, damit man nicht geklagt wird, danke, nicht klagen kann und auch keinen Grund zu klagen hat. Das Stadtgebiet in seinen Jugendjahren, wie gesagt: verbaut, versaut mit schwerer dreckiger Industrie, und dabei soll es grade von der nicht zuviel geben, grad nur einer Prise davon können wir vertragen, der Fremdenverkehr verträgt gar keine. Früher: viel mehr! Bauland: rar. Und um mit dem allgemeinen und weltweiten und universalen und genetisch einprogrammierten Trend, nein, Drang nach einem Einfamilienhaus mithalten zu können, hat der Bürgermeister, ein Hoch diesem Mann!, doch noch ein paar weitere Baugründe erschließen können, die er uns aber auf Befragen nicht nennen kann und die er von den Berghängen buchstäblich herunterkratzen mußte, der damalige Bürgermeister, aber der jetzige bemüht sich auch sehr, das muß ich ihm


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lassen, an Raum jedoch hat er nichts zuzugeben, er bemüht sich um dasselbe, die Erschließung von Land, man stelle sich vor und reiche dann den Bauplan ein, er wird bevorzugt behandelt werden. Wie etwas erschließen, von dem so wenig vorhanden ist? Lohnt es sich denn überhaupt, dort noch eine Tür hineinzubauen, damit man zusperren und dann wieder aufsperren kann, wenn auch nicht für sich selbst, sondern für Fremde, die sich erholen wollen, wo früher das Gegenteil stattfand: harte Arbeit? Es gibt hier kaum noch eingeborene, eingekochte Menschen im gemütlichen Teigmantel, der für ihre Fernseher und die dazugehörigen Pensionistinnen maßgeschneidert ist oder im Versandhandel bestellt wurde, Versandhandel deshalb, damit die Menschen endlich eine unendliche Sehnsucht bekommen und endlich selber weggehen. Damit sie dorthin kommen, wo diese schönen Sachen alle ihren Ursprung haben, dieser Speckmantel, Ätschspeck!, nein, falsch, ich sagte Teigmantel, den sie schon seit Generationen tragen, aber Land für Einfamilienhäuser mit barock anmutenden Fassadenlösungen (das gesamte Barock gibts heute schon fertig in Gips zu kaufen, ein echter Fortschritt), aber auch für alle übrigen, soll immer noch erschlossen werden (also mit einem Zipp geht das nicht, mit Klett nicht, mit Klebe nicht, wie soll das gehen, daß wir nicht fortgehen wollen?), denn alles, was zu ist, soll aufgemacht werden, die Menschen drängen ja immer genau dorthin, wohin sie nicht sollen. Sie zerreißen sogar das Absperrband zum Lawinenhang noch, obwohl sie leicht darunter durchtauchen könnten. Nur der zahlende Fremde soll nachdrängen, wo Leere ist, doch wo Leere ist, will auch der Fremde


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nicht hin. Egal. Die Baugründe gehen jedenfalls weg wie warme Leberkässemmeln, und dann gehen sie von ihren Besitzern wieder weg, wenn die Halbfertighäuser, in die man soviel Arbeit und Entbehrungen und Ehekrisen und Krisen mit dem Chef und mit den Kindern und mit dem Auto, das gern hätte größer und schneller oder gar nicht hätte ausfallen dürfen, gesteckt hat, wegen Schulden und plötzlicher, jäh eingetretener Familientragödie und/oder Arbeitslosigkeit versteigert werden müssen, kein großer Aufwand, sie gehören eh schon der Bank, und dort gehen sie jetzt brav wieder hin, sie kennen ja den Weg, nach nicht einmal einem winzigen kurz anhaltenden Rückenwind, der die Wirtschaft angetrieben hat, die bereits wieder steht (das tut sie immer. Kaum daß sie einen Antrieb bekommen hat, steht sie auch schon wieder), einer kleinen Böe, die den Menschen Aufwind zu geben scheint, obwohl sie sie nur umschmeißt, endgültig zu Fall bringt, wo haben wir die Jagdwaffe, das Werk zu vollenden? Es genügt ja nicht, daß nur der Papa sich erschießt, die Familie muß mit ins Nichts, schließlich wollen wir auch dort noch jemanden quälen, und Fremde lassen sich das von uns leider nicht gefallen, ja, die Bank, dorthin gehen sie wieder zurück, die Schulden, die nicht eingelöst werden konnten, die fauligen Kredite, die kilometerweit stinken, die faulig riechenden Münder der Billigesser, wo sie einmal nach Hoffnung geschnappt haben, in die Bank, grüß Gott, bitte nehmen Sie Platz, wir haben Sie schon dreimal vorgeladen, wieso erschienen Sie nicht, wieso kommen Sie erst heute? Zu spät! Da könnten Sie genauso gut fortgeschrittenen Krebs haben, denn jetzt hilft Ihnen nichts mehr. So, jetzt erscheinen Sie endlich, doch Sie sind


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ein Gespenst, sehen Sie das denn nicht, nein, das können Sie ja nicht sehen, weil Sie nicht einmal mehr ein Spiegelbild haben! Also noch einmal: Grüß Gott, auch Ihnen, was sagen Sie? Ich möchte bitte etwas abheben, und schauen Sie diesmal gefälligst, daß meine Lebenskarte das Herz-As ist und nicht immer der Treff-Sechser, sakra! Schon wieder! Glück im Spiel, Pech in der Liebe und umgekehrt. Oder das Pik–As, denn dann muß ich meine gesamte Familie, auf die ich eh schon einen Pik habe, eben, wie von andren Menschen gewohnt, früh gelernt, denn was Hänschen mit dem Matador-Hämmerchen nicht lernt, lernt Hans dafür mit besserem Gerät umso gründlicher, so muß ich sie denn mit der Schrotflinte abschotten und dann wie Schrott wegschaffen, die Familie, denn ohne Haus verdient sie es einfach nicht zu leben, und weil das Haus für sie weg ist, verloren ist, trotz der Arbeit, die wir in diesen Kulturbeutel Einfamilienhaus hineingesteckt haben. Was brauche ich denn noch eine Familie, ich kann es nicht lassen, aktiv zu sein, aktiv zu werden, also weg mit ihr! Ich sage hier: ich (E. J.), das Ganze, welches ich zu schaffen versuchte, ist eine einzige Abschweifung geworden, ich weiß es selber, Sie müssen es mir nicht eigens mitteilen, es ist leider keine Ausschweifung, die ich doch vorhin noch so entschlossen plante, glauben Sie mir, die würde ich Ihnen viel lieber bieten, die hätte ich selber gern, ich versuchs, ehrlich, jeden Tag aufs neue, vielleicht kommt sie ja noch, aber von nichts kommt nichts, die Hand muß schon von selber unter die Hose wandern gehen, nein, vielleicht kommt sie ja noch, die Ausschweifung, sie würde darin bestehen, daß die Frau unter ihrer eigenen


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Hand außer sich gerät, daß sie sich mit ihrer Hand wie eine Banane aus sich herausschält, ich warte derzeit noch und arbeite mit den Fingern meiner rechten Hand, auch genannt: die schöne Hand, an meinen zusammengefaßten Genitalteilchen, den süßen, gebe ich glaublich, wie mein Akt in seiner schönen Sprache sagt, an, ah, ich arbeite noch an mir, ich arbeite noch dran, bitte um etwas Geduld, ich habe noch geschlossen, doch grade habe ich von meinem Genital ein untrügliches Zeichen bekommen, ah, daß es bald aufmachen wird, daß ich bei der Arbeit etwas schneller machen soll, grad hab ich doch was gehört, ah,  daß etwas wie ein Stöhnen aus meinem Mund, dem anderen, erschallt, nein, doch nichts gehört, aber damit will ich Sie nur bei der Stange halten, nein, sie kommt nicht, diese Ausschweifung, was immer ich drunter verstehe, es ist stets weniger, als Sie darunter verstehen, denn Sie kennen sich aus, ich beneide Sie, aber Sie haben gut reden, Sie liegen ja nicht darunter, und wärs unter diesem Lastwagen, ah, glauben Sie mir oder nicht! Ihre Sache. Sie kommt nicht, die Ausschweifung, und ich komme auch nicht. Meine Schamlippen werden, nachdem sie ihre Arbeit verloren haben, vielleicht immer noch neue und interessante Erfahrungen machen, wenn auch nicht mit mir, sie wissen jedoch, daß sie in ca. zehn Jahren, nach ihrer derzeitigen Teilzeitarbeit, endgültig in Pension gehen werden, zur gleichen Zeit wie ich selbst, wir sind uns ja innig verbunden, alles klar, jetzt sind sie noch in Gleitmittelpension, die früher Frühpension hieß, und warten noch auf etwas, in zehn Jahren kann sich viel ändern, und ein andrer könnte sich meines Körpers


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annehmen, aber es ist derzeit nicht anzunehmen, daß mich ein andrer annimmt und mir zeigt, wie man zu mehr Bequemlichkeit beim Leben kommt, ohne daß man sich anstrengen müßte, weil sich ja der Körper stets zuverlässig für einen anstrengen wird. Es kann sein, daß ich früher als geplant in Pension gehen muß und meine Organe mit mir, und Pension, das heißt für sie Tod und für mich auch. Aber andrerseits will ich sie auch nicht ewig für mich arbeiten lassen, sie sollen zumindest ihre faire Chance auf eine Pause bekommen, es ist eine furchtbare Vorstellung für meine Sexorgane, die schon seit fünfzehn Jahren Pause machen, nein, das ist gelogen, sie arbeiten eh brav, aber sie bedauern durch mich, durch meine Stimme hindurch, die so schleißig ist, daß man diese Organe durch mich hindurch sogar sehen kann, ohne mich selbst sehen zu müssen (uff, da hab ich nochmal Glück gehabt! Ansehnlich bin ich ja gewiß nicht mehr), daß sie nun gar nichts mehr von ihrem Leben haben sollen, zu wissen, schon fünfzehn Jahre zuvor zu wissen, daß es die nächsten fünfzehn Jahre nichts mehr geben wird, nach dem sie sich verzehren könnten, ich meine: wirklich zu wissen, daß es Ihnen auch in den nächsten zehn Jahren (Sie sehen, wir denken jetzt in kürzeren Zeiträumen, da wir nicht mehr soviel vor uns haben wie noch vor fünfzehn, zwanzig Jahren) geschehen wird, nämlich: gar nichts. Dem Bergmann geschieht auch nichts, falls er Glück hat und nicht in Sibirien, Polen oder China lebt, aber er hat auch nichts mehr zu tun, der Bergbau wurde früher als gedacht und vorausgeplant: abgebaut. Das hat wieder schlimmere Folgen, als mein Körper zu gewärtigen, zu gegenwärtigen hat, wenn er mir den Dienst kündigt und nicht mehr


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in Rage gerät, wenn ich mir an meine Schamlippen fasse und zu meinem Entsetzen merke: Sie sind ja immer noch da und wollen auch heute wieder ihr Fressen! Ich kann sie nicht hungern lassen! Die müssen jetzt was tun, denn wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wenn sie schon da sind, sollen sie auch was zu tun kriegen. Sie wissen im Schlaf, wie das geht, so oft haben sie es gemacht. War auch irgendwie anstrengend, aber doch entspannend, Arbeit und Freizeit zugleich für meinen Körper, wo sonst kriegt man das schon? Meist muß man die beiden getrennt halten, damit sie einander nicht gegenseitig aus Neid an die Gurgel gehen, obwohl viele es nicht schaffen und in der Illusion leben, sie wären ganz sie selbst, wenn sie glauben, ganz sie selbst zu sein. Dann sind sie es am wenigsten. Sobald man über sich nachdenkt, wird man verrückt und wird danach lang nicht mehr bei sich gewesen sein. Manche schaffen es ja auch nicht, Arbeit und Liebe getrennt zu halten, sie wollen beides und auch noch beides gemeinsam, schauen Sie dieses arme Kind hier im TV an und dort, in der Zeitschrift kommt es auch vor, und aus dem Mund eines verbeamteten Wissenschaftlers, der gefahrlos alles sagen darf und der grade zu seinem Pech in mein Blickfeld geraten ist und den Ausgang nicht mehr findet, quillt es auch schon heraus, und überlegen Sie mal dieses grauenhafte Schicksal des vollkommen Isoliert- und Eingesperrtseins (ach, könnte ich es doch anders sagen, aber sie haben es mir so oft vorgesagt, daß ich es hier einfach abschreibe, ich bin sowieso abgeschrieben, warum sollte ich also nicht auch ein wenig davon haben, indem ich mal von andren abschreibe, egal, von wo ich es hernehme, von einem


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fremden Schicksal, na, meinetwegen), LIEBES TAGEBUCH, auf daß du ein Schicksal, mindestens eines, aber nicht meines enthalten mögest, nimm halt dieses: Das Kind in seinem Kellerverlies unter der Garage; heute ist es bereits kein Kind mehr, tut mir leid, nicht meine Schuld, Kinder kriegen wir zwar immer wieder aufs Lager herein, aber diese junge Frau ist keins mehr, sie war zu kurz eines, sie wurde von ihrem Ritter in seinem schimmernden weißen Kleinbus irgendwie ja auch geliebt, erfahre ich hier in meinem eigenen Bus mit meinem eigenen Bustreiber, der dauernd hinter mir her ist, weil er mir unbedingt die Zeitung ins Haus liefern möchte, erklär mir Liebe, bitte sehr: Liebe kommt, indem man die anfängliche Verweigerung einer Person wegradiert und sich dann, bevor das Pneuma die Tür schließen kann, in diese hineindrängt. Das Lieben, ja, das Lieben, das wäre der kleinen N. geblieben, wer von uns liebte schon einmal so sehr? Jeder würde gern so lieben, bis das geliebte Objekt vollständig ausradiert und nur man selber noch übrig ist, gleich fallen mir die Augen heraus vor lauter Anstrengung, wach zu bleiben und solch ein Objekt ausfindig zu machen, das so etwas, soviel Liebe, verdienen würde, oh, ich sehe gleich drei, vier davon, denen ich das angedeihen lassen würde, wenn sie mich nur ließen. Und danach, da man sein Eigentum im Licht der Richtigkeit erkannt und einen Richtspruch darüber gesprochen hat, daß man Herr über Leben und Tod ist, auch wenn man im Zivilberuf nur alte Wohnungen saniert inkl. deren Herzenskammern, den Naßzellen, welche besonders viel Arbeit machen, danach also ein kleiner Ausflug gefällig?, ein Abstecher in einen selbst? Nein, wir wollen


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die kleine Freundin doch herzeigen, also auf in ein andres Kaff, weg aus dem Herzkammerl mit dem Herzbinkerl und zum Lufttanken in ein andres niederösterreichisches Kaff, auf den Semmering, das macht er, der kleine König Herodes, der er war, er fährt Ski, und zwar mit N. („man töte dies Kind“, Sie werden doch nicht erwarten, daß ich das selber mache?), ja, der hat einst auch geliebt, dieser spätberufene Skifahrer, wie ich, die ich auch einmal geliebt habe und Ski gefahren bin, nein, zweimal, nein, dreimal, öfter!, das schreibe ich hier so hin, andre schreiben es auch, aber denen glaubt man mehr, und ich verschwinde jetzt. Nein, doch nicht. Noch nicht! Haha, zu früh gefreut! Ich will noch nicht! Man töte meine Augen! Will nichts mehr mit ihnen sehen! Man zerquetsche mein Hirn unter einem Schild, auf dem steht: Trutsche, veraltete Trutsche, alte Trutsche! Platz! Kusch!, aber er mußte sich die, die er lieben konnte, erst suchen, der Herr P., hier in Folge manchmal Ritter genannt, nein, Retter denn doch nicht, und das ist mehr Arbeit als ich, wenn Sie mich schon fragen, nein, tun Sie nicht, je für sowas auf mich genommen habe, was kommt jetzt? Ach ja, blinder Haß gegen alles und jeden, ja, ja, spring nur wieder fröhlich über die Lippenklippen, mein kleines Haßbächlein! Es nützt dir nichts und mir auch nichts! Denn die Stromschnelle kommt, sie kommt schon dort vorn und sie ist echt schnell, davon hat sie ihren Namen, das hab ich jetzt davon! Dies alles spielt sich so ab, weil die Menschen in der Liebe spielen wollen, sie wollen nur spielen, diese Raubtiere, denen ich gönne, daß sie nie eingeladen werden und daher Einzelgänger werden, denen was fehlt, was sie sich


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unverzüglich holen, nachdem sie ein privates Gefängnis dafür gebaut haben, und wer wollte, um seine Empfindsamkeit zu beweisen, das geliebte Objekt nicht gern einsperren, zumindest ab und zu wegsperren und den Schlüssel wegschmeißen? Das muß ich irgendwo gelesen haben, denn von selber wäre ich da nie draufgekommen. Wird auch dies etwa behauptet von unseren treuen Medien, durch die alles hindurchgeht und die zu uns gehören wie das Messer zur Butter und der Samnaun-Gletscher zu Ischgl (falls Sie mal wegfahren und runterfahren und danach riesigen Formationen von furchterregenden SängerInnen auf einer FreiluftbühnIn und ihren noch furchtbareren ZuschauerInnen zuhören wollen, bevor Sie in einer GletscherrInnin fortgespült werden) oder der Similaun zu Ötzi, der Mumie, und so mußte auch das Kind, vielleicht um dieser einen einzigen Liebe (daß wir sie danach nicht geliebt haben, gibt ihm ja recht, lesen Sie die Postings in dieser elektrischen Zeitung und in dieser dort auch!) auch würdig zu werden, einer Liebe, die jeder simple Teigwarenvertreter, der vernünftiger ist als ein Tier und seine Nudel nicht ins kochende Wasser steckt (und das sind viele!), in seiner Schläfrigkeit für eine Schlaraffenlandvorstellung des größten Gefühls hält, das es gibt, das Kind mußte seine Liebe also selbst beweisen, sonst hätte sein Besitzer ihm die Liebe doch nie abgenommen, diesen Stein mit den Wesenszügen seiner Macht, zum Steinerweichen und Fliesenverlegen war das, aber den Wesenszug des Liebenden kann ich darin noch gut erkennen, oder ist es mein Spiegelbild, das ich hier erkenne? Oder spricht wieder einmal der blanke Neid aus mir? Danke, daß Sie mir


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das mit der Liebe jetzt erklärt haben, ich glaube Ihnen, obwohl ich Sie nicht persönlich kenne, leider, ich habe das zuvor noch nie gehört, und da wurden sie demnach verlegt, die Fliesen, genau wie die Körper, die man sich ausgesucht hat, die ausgesucht häßlichen Sanitärkeramiken in ausgesucht häßlichen Farben, meist beige in allen Varianten und Hybriden, in einem ganz anderen Geschoß, das es im Haus auch noch gab, ja, Kacheln, Fliesen verlegen, das mußte sie, die kleine N., und jede einzelne mußte sie zuvor, vor dem Hinlegen und Einmauern, genau überprüfen, ob sie einen Sprung hatte, die Fliese, bevor die N., Sie wissen ja, wie sie zur Gänze heißt, das Teil einzementierte oder was man halt mit Fliesen so macht, wenn sie nämlich einen Sprung hatte, die Fliese, dann wurde das Kind  vielleicht verprügelt von seinem Besitzer, je nach Lust und Laune, je nachdem, ich weiß es nicht, wahrscheinlich wurde es sowieso versprügelt, je nachdem, welche Lust und/oder Laune der grade hatte, ich weiß es nicht, das hing ganz von ihm ab, die Laune hängt schließlich an uns wie die Liebe, an der eher wir hängen, um sie jemand anderem anhängen zu können, naja, vielleicht wechselt sie schneller, die Laune,  vergleichen wir sie lieber mit dem Wetter, welches wetterwendisch ist, und hat sie uns einmal heimgesucht, dann sind wir ihr ausgeliefert. Es gibt aber auch Dinge, die fest stehen, ich meine feststehen. In meinem Einfamilienhaus bin ich König, sagte Herr P., nein, eher Prinz und Prinzessin, sage ich, die Liebesexpertin, nein, nicht ich, das sagt ein andrer Liebesexperte, hier, ja hier, in dieser Zeitung steht es doch,


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haben Sie denn keine Augen?, der jetzt aufwendig seine Definitionsmacht entfaltet und merkt, daß die Flügel ein Loch haben und er sich in der dünnen Luft ganz oben nicht lang halten wird können. Aber die Körper halten schließlich auch nicht sehr lang. Vielleicht war das alles auch ganz anders, ich weiß es nicht, aber in Einfamilienhäusern ist nie etwas anders als in anderen Einfamilienhäusern. Fragen Sie mich, ich schreibe Ihnen gern eine Bestätigung, daß das wahr ist! Ich kenne überhaupt nichts so gut wie Einfamilienhäuser und die Mühe, die man mit ihnen hat. Ständig ist was hin.  Und für das Kacheln, das Verlegen und Wiederfinden von Fliesen, ging natürlich viel Zeit drauf, in der das Mädchen aus seinem Loch ein andres Loch nach außen hätte bohren können, die kleine N., um ihr Rapunzelhaar hinauszuhängen, damit jemand als Hilfe an dem Haar zu ihr hinaufklettern hätte können, aber das hat nicht funktionieren können, da sie doch im Keller, genauer gesagt in einer Montagegrube unter der Einfamilienhausgarage,  aufhältig war und die Schwerkraft dem Haar grundsätzlich nicht gestattet, zu Berge zu stehen – nicht einmal unter Einsatz von äußerstem Entsetzen und sehr viel Gel plus Festiger funktioniert sowas (auf dem Werbefoto schaut das so leicht aus fürs Haar, aber wenn es das machen soll, zu Berge stehen, dann hält es das nicht lang aus), obwohl davon schon wirklich überall berichtet wurde. So auch hier. Das Haar vom Kopf herablassen und dann außen vor und herauflassen ins Erdgeschoß, um jemand nach unten, in den Schoß der Erde, um Hilfe zu schicken,


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zu holen, wer wollte das nicht, aber oft ist das Haar außerdem, zu allem Unglück, zu dünn, durch Spliß weiter ausgedorrt, durch zu häufiges Färben von außen her ausgehöhlt und muß durch Schweiß, nein, durch Anschweißen verstärkt werden. Unter der Erde sind allein die Toten, und die sind gern allein, die brauchen keine Hilfe mehr, die könnten damit gar nichts anfangen. Und auf Erden sind die gütigen Freunde und Helfer in Uniform oder ganz ohne, fast ganz ohne, die der Herr Ex-Finanzminister auf diesem schönen Foto, das rein privat ist, diese Freunde und Helfer, wenn auch nicht fürs Bruttoinlandsprodukt, sind auch nicht ohne, ich weiß nur eins, in Strasshof in Niederösterreich sind sie nicht gewesen, die Helfer, es wäre besser gewesen, sie wären dorthin gefahren, aber die wären selbstverständlich sofort gekommen, hätten sie bloß gewußt wohin, hätten sie bloß gewußt, daß sie nach Strasshof in Niederösterreich hätten fahren sollen, na, jetzt wissen sies, viel zu spät, und hätte es eine Spendenaktion gegeben, da würden wir alle gespendet haben, die Kontonummer darf auch ins Fernsehn, es wird gebetet und gespendet, daß die kleine N. gesund wieder zurückkommen möge, nein, weil sie gesund wieder zu uns zurückgekommen ist, die Lage hat sich ja drastisch und dramatisch geändert, und bitte, da ist sie ja schon, wie schön! So ein hübsches Mädel! Wenn sogar für Krüppel und Arme gespendet wird, warum nicht für eine junge und gesunde junge Frau, nur leicht durch Blutergüsse, blaue Flecken und Hämatome beschädigt, das vergeht wieder, eine, die etwas davon hat und sogar etwas davon weitergeben möchte, also ich finde das wunderbar von ihr, wie ein größerer Mensch als ich, der eigene


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Festspiele hat, oft zu sagen pflegt, nein, Sie kennen ihn nicht, da hätten wir uns mit unseren Spenden dermaßen gedrängelt, wenn wir hätten helfen können, daß wir das Loch nicht mehr gefunden hätten, das der tüchtige Heimwerker aber an einer Stelle gelassen hat, die einfach nicht zu finden war, von keinem, nicht einmal von seiner eigenen Mama, die hätte doch nie im Leben gedacht, da dort ein Loch war, aber dann hat der Heim-Werker den guten Eindruck, den er mit soviel Fleiß und uns zu Fleiß gemacht hat, damit wir ihn nicht finden, diesen unauffälligen Mann, der natürlich unauffällig sein mußte, und seine Unauffälligkeit war echt natürlich, echt Natur, der wäre nirgendwo aufgefallen!, zum Glück, zu seinem Glück, aber diesen Eindruck, keinen Eindruck zu machen, hat er wieder ruiniert, indem er diesen Türpfropfen, im Erschwernisgrad von 150 kg Beton, ins Loch hineingesteckt hat, so kommt mir und nicht nur mir das vor. Den Abfluß hat er natürlich verstopft, bevor er das Kind einkaufen ging, sonst hätte womöglich das Kind nachher ihn verstopft, den Abfluß, und er hätte einen Installateur holen müssen, nein, nicht der Abfluß, der kann nicht selber gehen.


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Und hier, in Amstetten, kommt schon die nächste Tür, nein, sie kommt nicht, dafür ist sie zu schwer und ungelenk, trotz ihrer Gelenke, sie trotzt auf unerklärliche Weise der Schwäche des Menschen und wird, diesmal overkill, gleich 300 kg schwer gemacht, um den dahinter Eingesperrten das Leben möglichst schwer zu machen, und mit modernster Elektronik ausgestattet, im eigens ausgebauten Keller eingebaut, die Hochleistungstür, acht Hochleistungstüren, jede versperrbar, dahinter die Tochter eingesperrt und drei Kinder, die gleichzeitig Kinder wie Enkel sind, alle vier daruntergekehrt, streckenweise auf allen Vieren kriechend, denn diese Kellerräume sind nicht hoch, sie sind niedrig. So. Alle wissen es. Jetzt sind aber schon wieder wir dran. Wir haben kurz geatmet, und dann waren wir wieder dran. Wir Spender für eine gute Sache, jedesmal eine andre, wir strömen also in einem nie abreißenden Strom, wie sollte ein Strom auch abreißen können, vorbei, ich spende nicht, nein, aber hier komme ich noch nicht vor, erst etwas später, aber trotzdem gehöre auch ich zu diesem sich erhebenden und erhobenen Wir, und wir unterscheiden uns doch alle wohltuend von den Opfern, finden Sie nicht? Also können wir auch ruhig spenden. Sie finden Ihre Scheidung und das Sorgerecht und die lächerliche Höhe der


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Unterhaltspflicht Ihres Gatten, die immer noch weiter schrumpft, was man von anderen Pflichten leider nicht zu erwarten hat (existentielles Minimum!, pro neues Kind wird Ihnen was abgezogen, und eigentlich verdienen Sie gar nichts, weil Sie den Haushalt nicht ordentlich geführt haben und überhaupt vollkommen wahnsinnig sind, was wir beweisen können, sehen wir doch, daß Sie ihre drei Töchter jahrelang freudlos, lichtlos, im Dreck, dafür aber mit hohen Unterhaltszahlungen, der Papa war gewiß nicht knausrig in diesem Fall, und über 300 Plüschtieren gemeinsam eingesperrt haben!), etwa ungerecht? Stellen Sie sich hinten an, ich bestimme hier, wer was bezahlen muß! Lebend begraben dort unten im Verlies, in der Grube,  eine lebende Tote das Mädchen, folgen Sie nicht seinem Weg, einem Weg, dem es selbst nicht hätte folgen wollen, aber folgen mußte. Aufgrund des schrecklichen inneren Zwangs zu einer vollkommen hermetischen Einkapselung, ein Drang, den der Verbrecher wohl verspürte – ja, liest der denn keine Zeitungen, wo unser Anspruch bezeugt ist? –, haben wir alle nicht sehen können, was er mit dem Kind gemacht hat, ein wahrer Jammer, bis heute wissen wir es nicht, es sagt uns ja keiner, der Verbrecher, der das Kind sich holte, kann es uns auch nicht mehr sagen, bei ihm waren nur er und das Kind, alle andren waren immer schon draußen, er aber wollte endgültig drinnen sein, wenn auch nicht allein, zu zwein, mehr drinnen als draußen, aber nicht allein, nein, ich meine mehr drinnen, als man überhaupt drinnen sein kann in etwas, allerdings nicht allein, er wollte in seinen Fetisch hineinkriechen, nicht damit der Fetisch für ihn


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etwas bewirkte, sondern damit er eins mit ihm würde und allem, was der Fetisch bewirken könnte, Tod ohne Tabu, sterben Sie tabufrei!, weil ihn, den Körperschnapper (immerhin hat er die kleine N. nicht gegessen! Aber das wäre eine andre Eintragung ins Mitteilungsbuch der Öffentlichkeit geworden, dieser anthropophage Mann, welcher einen andren aß, war ganz anders krank als jeder von uns), von draußen niemand nach Drinnen ließ, in ein heiß pochendes pochiertes Kinderherz hinein, in ein liebes, das man ins heiße Wasser gestoßen hatte, und wenn, dann wäre es wahrscheinlich keine Jungfrau mehr gewesen, was er sich da geholt hätte, keine wie er es für sich verlangte und sogar forderte, in seinem In-Sein (also bitte, das ist das Gegenteil von In – Sein! Das Dasein ist Draußensein, wobei man erfährt, was auf der Welt überhaupt vor sich geht, wenn man nicht nach Draußen gehen darf, dann kann man nicht in sein, man weiß nur aus dem Internet oder dem spätbarocken Gesimse des Handys, was angesagt ist und wohin man sofort kommen soll, weil es dort, wie es am Display erscheint, angesagt wird, bitte, Sie Spaßmeute in einer Person, Sie, ich weiß das immerhin, was mich betrifft, es betrifft Sie genauso, nur wissen Sie es nicht, und was man aus dem TV erfährt, ist alt, das ist mindestens zehn Jahre alt oder ein Tier, das in keiner TV–Sendung mehr nach einem netten Besitzer rufen darf, oder doch, ja, es darf wieder!, ein!, es darf seinen Bedarf nach Herrchen und Frauchen aber auch privat an Bäume an- und abschlagen, die das aber auch gar nicht gern haben, die Bäume. Die kleine N. jedoch hätte nicht gut mit einem Anschlag nach sich selbst suchen können, sie wußte ja nicht einmal, wo sie


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gefangen war, oder doch? Vielleicht doch, der Kleinbus hatte schließlich Fenster, und so weit war es ja nicht bis zum Gefängnis, Jesus, wo fängt denn da eine Klammer an? Lassen wir die drinnen?), in seinem sich Aufhalten darf man sich nicht aufhalten lassen, außer es zwingt einen jemand dazu. Dieser Mann war ja wie durchsichtig, ein Fisch im Wasser, unauffällig, den hätte keiner gefunden, denn er war wie alle, wie immer alle sind, wie alle von ihnen behaupten. Er hat sich überall wie in Wasser bewegt, wo Sie den Fisch ja auch nur sehen, wenn Sie sich bücken und draufstarren wie auf Ihren Kontoauszug, auf dem die neue Stereoanlage bereits steht, allerdings als Minus, und Sie haben sich so über sie gefreut!, er hat mit wenigen nur gesprochen, dieser kleine schwache Mann, der aber stark genug für ein Kind war, er hat gesagt, das in meinem Kleinbus ist Schutt vom Bau, von meinem Pfusch am Bau, dafür brauche ich den Bus, er war nicht, es gab ihn gar nicht, den Herrn P., zumindest für andre nicht, man hat ja nur einen einzigen Mann gefunden, der ihn wenigstens ein wenig gekannt hat, und der hat ihn auch nicht gekannt – zu spät erkannt!, so, was wollte der Herr P. eigentlich? er wollte einen andren Menschen nicht an und für sich, sondern nur für sich, dem er zu diesem Zweck jedoch den Aufenthalt in der bereits entdeckten Welt verbieten mußte. Zwei Körper können einfach nicht dieselbe Stelle besetzen, auch wenn sie sich das noch so wünschen, es ist nur eine einzige Stelle frei, für einen, so weit so gut, ich kenn mich hier nicht mehr aus, Sie auch nicht? Kann ich verstehen. Erklären Sie mir jetzt bitte, wenn Sie können, diese schreckliche, aber dabei völlig banale Erkenntnis dieses


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Umerziehers eines doch bereits nett bezogenen jungen Menschen, der ein liebes Plüschpferd, eine Barbie und einen Spielzeugmercedes in seinem verglasten Regal stehen hat, die braucht er unbedingt, dieser junge Mensch, da er ja schon zehn Jahre lang Wirklichkeit über sich gestülpt hatte, bevor er verschwand, das ist nicht viel, aber immerhin etwas, das man weitergeben kann, doch diese Spielsachen, die bleiben einem auf Ewigkeit! Wenn einem das keiner erklärt, versteht man es nicht, sage ich als Verfasserin ganz nebenbei. Auch ich bestehe darauf, daß meine Plüschtiere bestehen bleiben, über meinen Tod hinaus! Und da wird irgendwo gesagt, wo, finde ich jetzt nicht, der Entführer des Mädchens sei einer wie du und ich gewesen, ich hingegen behaupte: nicht wie ich, bitte, vielleicht wie Sie, aber nicht wie ich! Noch einmal rekapituliert, allein für mich, die ich immer so leicht in der permanenten Panik des Schreibens den Kopf verliere und im Voranstürmen alles vergesse, was ich zuvor gesagt habe: Die Innensphäre darf bleiben, muß sich aber nach dem Innen des Entführers richten, der die einzige Sache sein sollte, die zu erkennen gewesen ist, nicht das zusätzlich eingebaute Wohnklo, eigentlich das ganze Verlies ein Klo, nicht das Stockbett, die übrigen Einbauholzkisten, ich will es wirklich nicht abwerten, will sie nicht runtermachen diese ganze Welt in der Größe von 181 cm mal 50 cm mal 50 cm, vollkommen fensterlos und luftlos, dafür, bitte, immerhin mit Innenraumlüftung, nein, echte Fenster können wir Ihnen nicht bieten, das wäre zuviel verlangt, ich will diese Bemühungen um ein Schöneres Wohnen für das Kind nicht heruntersetzen, aber ich habe im Zweithandel, diesmal aber wirklich


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runtergesetzt, sehr billig schon Größeres und sogar Schöneres erstanden, die paar Kleider, die da hängen, oh da sie da hangen!, Entenhausen in groß, nein, doch eher in klein, aber dafür mit weniger Abwechslung in den Geschehnissen dort, wo Schweinefrauen ihre Brillis in Schubkarren vor sich herfahren, weil die um den Hals zu schwer zu tragen sind. Wo war ich, als ich noch Donaldistin war? Genau wie jetzt: zu Hause, wenn auch woanders. Weshalb mach ich mir die Mühe, bitte, danke, Mühe ist es keine, das sehen Sie ja am Ergebnis, es kann keine Mühe gewesen sein. Hier bin ich also nicht, mich kann man nicht so einfach in ein Loch sperren, ich wollte sagen, man kann es nicht, weil ich schon drinnen bin, ohne mich vergleichen zu wollen, sonst würde ich ja den z. B. bei Akademikern beliebten Fehler begehen, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammengehören, und ich bringe eh nichts zusammen, keine Sorge, vielleicht ist es ja kein Loch, wo ich bin, nur raus komm ich trotzdem nicht, ich will es besser sagen, kann es aber nicht, daß das Dasein dieses Kindes aus seiner eigenen Sphäre, aus seinen Schienen, den eigenen Gleisen herausspringen sollte, wie der Entführer angab (wenigstens angeben kann er jetzt ja nicht mehr, er ist schließlich vom S-Bahn-Zug niedergeklöppelt, niedergeköpfelt worden), und nicht mehr in ihrer, sondern nur noch in seiner Sphäre als dem einzigen erlaubten Gegenstand vorkommen darf, sehen Sie, ich hätte nicht „Kind“, ich hätte „Frau“ sagen sollen, jetzt schwanke ich beim Schreiben (Herr M. W., der wunderbare große Dichter, wird in mir hier unmöglich eine Generationenvertreterin für Gebrauchtwagen wiedererkennen können, Unfallwagen, die er schon vor 40 Jahren


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zu Schrott gefahren hat, und klarerweise erkennt er sie in diesem Zustand nicht mehr und mich sowieso nicht, mich würde er gar nicht kennen wollen, der kennt niemand und alle gleichzeitig)  zwischen den Geschlechtern schon hin und her wie ein überladener Kleinwagen, wer ist ihrer?, wer ist seiner? Das Kind, das es ist, das Kind, das eine SIE ist, eine Frau?, wer springt da aus den Gleisen? Ein großer Mensch, der aber nicht alt wird? SRY. Nein. Bestimmen Sie selbst, stimmen Sie ab, aber nicht mit den Füßen, das würde ich hier nämlich nicht merken! Machen Sie es deutlicher! Nun, also N.: Sie darf nur die sphärische Luft einatmen, die er, ihr Herr auf Zeit, ausgeatmet hat (so wie ich jahrzehntelang nur die, die Mama ausgeatmet hat, was also rede ich da von Freiheit? Ich kenne sie doch gar nicht, die Freiheit! Ich wollte sie ja gern erfinden, wenn ich nur gewußt hätte, wo sie zu finden gewesen wäre), mittels einer Umwälzmaschine hat sie eingeatmet, eines Ventilators, einer elektr. Belüftungsanlage, die man regulieren kann, immer schön rauf- und runterdrehen, aber nur von außen, und die kleine N. war leider fast immer innen drinnen. Und selbst ihr Draußensein, zu seltenen Anlässen (ausgenommen schwere Arbeit), das wirklich einmalige Skifahren draußen, am Semmering, ja, es war einmalig für eine, die kaum gehen konnte, weil sie es lang nicht mehr geübt hatte, nirgends üben konnte, während wir nur einfach nicht skifahren können, was wir auch nicht genügend geübt haben, äh, entschuldigen Sie bitte, natürlich können es hier alle, das Skifahren, und daher haben wir jetzt zwei Unterschenkel (allerdings beide Teilstücke kleiner


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als das ursprüngliche große Ganze) anstatt einem (Entschuldigung: gilt nur für mich, vergessen Sies, SCNR!), diese drei Stunden auf der Alm und auf wackligen gehungewohnten Beinen, dieses Draußensein also mußte in jeder Sekunde ein bei Ihm sein, ein Drinnensein bei ihm, dem Herrn, der kein König, kein Prinz war, aber dennoch auf seiner absoluten Herrschaft bestand (nur bei sich zu Hause war er König, ich sagte es schon,  konnte es aber nicht beweisen, ich trau mich nicht, Beweise zu fälschen, ich weiß es nicht), und der nicht gut küssen konnte, wahrscheinlich nicht, ich nehme es an, dieses Dornröschen kann nur unter Anwendung von Zwang seine Rosen auf die Wangen gemalt kriegen, die sich bald blau, dann grün, dann gelb färben, von den Ohrfeigen kommt das wahrscheinlich, was wollte ich sagen?, also in dem von ihm erbauten Wohnklo war er König, Kaiser, Ehemann, kein Wunder, daß der Herr P. von einem Zug geköpft worden ist, das paßt, der Zug ist nicht im letzten Moment aus den Schienen gesprungen, um ihn zu retten, an dem Zug hat er sich dann endgültig die Zähne ausgebissen, der Herr P., den konnte er zu nichts zwingen, aber, im Gegenteil, genau das wollte er ja von diesem fiesen finsteren Zug an den Mundwinkeln des Todes, der schon auf ihn wartete, einer, der es ganz besonders verdient hat, daß er dem Tod ins blau geprügelte Gesicht sehen mußte, so einer war P., Gott, der Herr, allerdings nur für eine Person, und diese erst halbwüchsig. Jetzt kann er sich jeden Tag selber besuchen. Bitte, in ihm, wo ist er jetzt wieder hin?, habe ich vielleicht, ich habe schon lange nach ihm gesucht, einen noch größeren Idealisten als mich gefunden, zumindest kommt es


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mir so vor, nein, nein, es war eh ganz leicht, ihn zu finden, er bot sich ja geradezu an, allerdings war er schon tot, als ich überhaupt von ihm erfuhr, Sie sehen, wie unordentlich es in meinem Oberstübchen ist, doch ich tue keinem damit weh, nicht einmal den Spinnen, ich putze dort nämlich nie. Kein Wunder, daß wir alle die Unordnung selbst sind, welche unsere Mutter ist und in dieser Eigenschaft drei Kinder mitsamt Mäusen, Ratten, Dreck, Abfall, Hundekot und Mäusepisse (Boden von Menschen- und Tierexkrementen dermaßen durchgeweicht bis zum Blindboden, kein Wunder, daß der blind geworden ist!) in ein ebenso ungeplantes Leben entlassen hat. Die Mütter, die größten Liebenden von allen, ach, wie ich mich vor ihnen fürchte! Die Mutter ist der größte Schrecken, und meine übertraf sie alle, die Mama, diese Zeilen widme ich allen Müttern, die so viele Opfer bringen, da haben sie keine Zeit mehr, selber Opfer zu werden und den Dreck wegzumachen, den die Kinder, der gerettete Hund und die gerettete Katze gemacht haben – die Mütter! Fort! Dort ist die Tür! Sie wollen sich an fremden Menschen, die noch leben, erproben und schärfen wie der Lehrling es mit der Feile macht, ja, genau der, der immer im TV auftaucht, wenn vom Handwerk und fehlenden Lehrstellen die Rede ist, es ist immer derselbe, haben Sie das nicht schon gemerkt? Ich habe soeben über etwas geschrieben, das ich mir nicht noch einmal durchgelesen habe, während ich mich innerhalb meiner vier Wände aufhielt, wo ich sowieso immer zu finden bin, die kleine N. hatte auch nicht mehr Wände zur Verfügung, was soll ich machen, kann nur über etwas schreiben, das ein andrer erleben mußte bzw. durfte (das ist das Unwesen der Literatur,


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immer andre müssen ihr Schicksal ausbaden, aber sie dürfen jede Menge Badezusätze verwenden, bis sie sich in ihnen selbst aufgelöst haben, das ist doch fein, das fließt dann alles gemeinsam ab!), bald wird es, unter den Schreien meines Unwillens, in einem Buche stehen, wie es im Buche steht. Nein, doch nicht in einem Buch.  Also wenigstens das werde ich verhindern können. Erhältlich ist es nur hier, bei mir. Vorsicht, Haßbächlein, du Bächlein meiner Liebe, wie bist du wunderlich! Vorsicht beim Springen, liebes Bacherl, nicht zu kalt, mein Vierer oben links ist kälteempfindlich, aber raus mußt du, alles klar. Du sagst es ja selber, daß du raus mußt aus mir! Habs dir daher auch selber angeschafft. Bitte des Analysander Lysander: Lesen Sie mich! Ich bitte Sie inständig, und ich schließe mich dieser Bitte vollinhaltlich an, da sind wir schon einer, ein einziger, aber vielleicht schließen sich ja noch andre an?, denn ich will ja gelesen werden, irgendwie doch, keine Ahnung, wieso ich das noch will, aber eins weiß ich: Sie müssen dazu nicht einmal mehr in die Buchhandlung oder den Amazonen eine Bestellung schicken, die ihnen die andre Brust dann auch noch wegreißt, weil so vieles nicht mehr lieferbar ist. Ui, jetzt muß ich langsam achtgeben, daß ich nicht in ein peripheres Gelände gerate, nämlich wieder mal in mein eigenes, das ich selbst kaum je wiederfinde, hab immer das Gefühl, daß es mich gar nicht gibt, man nennt das Dissoziation, habe ich gehört, als ich wieder einmal bedauernd auf meine Kindheit zurückblickte und sie nicht wiedererkannte, so furchtbar entstellt hatte ich sie, und auch heute ist schon lang keiner mehr


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in meine Gasse gekommen, die total hohl ist, um mir zu sagen wie ich bin, obwohl, man spricht hier Deutsch, immerhin, darauf können Sie wetten, diese wunderbare Sprache, nur bin ich ja das Hohlste, leider, was es auf Deutsch je geben könnte. Aber die drei im Dreck schon fast verkommenen Mädchen aus Urfahr bei Linz wurden ja auch erst gerettet, als der Müll vorm Haus überhand nahm und keine Hand da, die ihn entfernt hätte, genau, der Hund war auch schon weg, abgeholt, und peripher ist es auch, mein Haus in meiner Gasse, es liegt ganz am Rande der Stadt auf einem kleinen Hügel, wo sie in einem Gemeindebau vor ein paar Jahren einen 12-Jährigen erstochen und in den Müll geschmissen haben, ein junger Mann hat das gemacht, selbst noch ein Teenager, ich darf also diesmal nicht „sie“ sagen, ich sag jetzt mal „du“, ja?!, und wenn ich vorbeigehe, sehe ich genau die Mülltonnen, in denen das Kind drinlag, zwischengelagert war (und inzwischen, im Inzwischen des Zwischen, in einer Zwischenwelt, im Niemandsland ohne Menschen, nein, leider mit, mit ohne, nein, ohne Mitmenschen, ist es, das Kind also, ohne Rückstände in der Müllverbrennung am Flötzersteig verbrannt worden und daher in der Folge nicht mehr, nie mehr aufzufinden gewesen, es hat auch keiner nach ihm gesucht, außer der Polizei, wie üblich als es zu spät war, der kleine Bub hatte nichts und niemanden als den Freund, der ihn umbrachte, tötete, mit vielen Messerstichen, ich weiß nicht wievielen, gleich in meiner Reihenhaus-Nachbarschaft (allerdings am Fuße des Hügels ist das gewesen, im Gemeindebau mit dem hübschen Mosaik–Wolfsbild drauf), wie soll man sowas sagen, ein Marterl in der Nachbarschaft, nein, kein Marterl, nur dieses hier, an dem


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ich schreibe, eine Marterung und spurlose Verschwendung eines Kindes, mit dem man noch etwas anfangen hätte können und sich auch angefangen hat, schon recht früh, sogar für ein Kind noch recht früh, das eigentlich nur früh aufstehen müssen sollte, aber ein Spät gibt es für Kinder nicht, dann wären sie keine Kinder mehr und gehörten nicht mehr ins Bett, wenn es spät wird,  gleich daneben, so, die Wohnung ist inzwischen renoviert, frisch ausgemalt, wie ich sehe, sie hat einer Betreuerin vom städtischen Jugendheim gehört, die sie an den Mörder weitergab, den sie sicherlich für besserungsfähig hielt, bevor er das Nichtwiedergutzumachende getan hatte, Gott selbst hätte gesehen, daß es nicht gut war, ich glaub, die Fenster sind auch neu, wahrscheinlich wohnt sogar wieder wer drinnen, die Fenster neu, genau wie meine, die aber viel teurer waren, ja, und gleich daneben ist auch noch was, aber ich schau nicht hin, damit ich es nicht sehen muß, gleich daneben wohne nämlich ich, und bitte sehen Sie nicht hin, wenn Sie mich sehn! Und weil ich mich nicht auskenne und zu stolz bin zu fragen, gerate ich langsam, Hilfe!, wieder einmal in diese trudelnde Abwärtsbewegung, die nur schwer zu durchbrechen ist, auch von einer Drachen–Überfliegerin wie mir nicht, und Sie können mich jetzt, Sie können mich ohne weiteres stoßen, auf mich drauftreten, ich zieh mir zwar extra die Hausschuhe aus und die Bergschuhe an, um Sie abzuwehren, aber Sie kommen nicht, um mir was anzutun, und so schreibe ich zwei glatt zwei verkehrt einfach weiter, es zieht mir die Schuhe aus, doch was soll ich sagen?, was sagt die öffentliche Hand, was tut sie mit der


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Rechten, während sie die Linke hinter ihrem Rücken versteckt hält? Klebt mir ein Plakat mit meinem lieben Namen und noch ein paar anderen Namen, die sie auch haßt, drauf! Kein Wunder, daß ich nur über begrenzte Ressourcen verfüge und mein Gehirn über gar keine verfügt. Was hätten Sie tun können, um eine solche schlimme Entwicklung hintanzuhalten und meinen Fortbestand im Wettbewerb der schreibenden unseligen Geister, die hierzulande händefuchtelnd, damit sie nicht untergehn, über den Wassern schweben, sichern zu können. Was, das wollen Sie gar nicht? Sie ohrfeigen mich mit der öffentlichen Hand? Ja, ist denn das erlaubt? Wann kommt man schon in die Zeitung? Eben! Jeden Tag könnte ich es, wenns nach mir ginge! Ich will aber nicht. Ich könnte genauso gut noch einen Tag warten und das Ganze überdenken, morgen wäre auch noch ein Tag, und morgen will ich dann vielleicht. So schreibe ich also weiter, ohne überhaupt Grund unter den Füßen zu haben, während mein Geist noch oben auf den Wassern über das Wellenmachen singt, damit ich Dramatik und Wirklichkeit und überhaupt das Echte, was Menschen machen, und was meistens falsch ist, in mein Werk mit einbringen kann, eine faule Ernte (die meisten finden es dann erst recht nicht, sie finden keine Wahrheit und keine Wirklichkeit in meinem Werk und das Echte schon gar nicht, welches beinahe ständig von meinen Mißgestimmtheiten überlagert ist) und die Wirklichkeit sägt und sägt (so lange kann es doch nicht dauern, bis da ein Loch im Boden ist!) an dem winzigen Boot meiner Erfahrung, das mich auch ohne Loch nicht länger tragen wird, ein Jammern ist das wieder hier, furchtbar: Man weiß selbst so wenig,  doch gesungen muß werden, unbedingt,


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leider halt auch von mir, und gemessen muß auch werden, dies leider nicht von mir. Es kommt so viel Elend über die Menschen, deren Seinsbeziehung zum Erkannten schon ausgelöscht wird, bevor sie hergestellt werden konnte, und wenn einer es schafft, Aufmerksamkeit zu erregen, dann löse ich wieder, was eine Zeitschrift getrennt halten wollte, und eine andre ebenfalls, weil sie auch noch ein wenig Schrift für nächste Woche braucht und sich die natürlich wieder von jemand anderem holen wird. Nun, man würde einen Germanisten, keinen Richter brauchen, um aus diesem Satz wieder rauszufinden, und ich will keinen, ich lehne ihn ab, ich will keinen Germanisten oder gar einen Kritiker bei mir haben, nur um einen Satz zu vollenden oder einen vollendeten Satz mit Hypotheken zu belasten, das wäre wirklich das Letzte, nicht ums Verrecken, da müßte ich ja schon zahlen, bevor der Satz überhaupt mir gehört, und wieso ist mein Hund jetzt tot? Den würde ich nun wieder gern um mich haben, aber einen Germanisten oder Kritiker will ich nicht, ich will keinen und auch keine Germanistin oder Kritikerin, nicht, wenn ich lebe, und schon gar nicht, wenn ich sterbe. Also mir ist das sehr ernst mit dieser Form von Liebe, was Herr P., im folgenden genannt: der Geköpfte, seinem kindlichen Opfer hat angedeihen lassen, dessen Gedeihen er jedoch nicht gewollt hat, er hat was anderes gewollt, der Herr P., denn wenn diese Blume gedeihen hätte können, hätte sie sich ja von ihm sofort abgewandt und der Sonne zu, das machen die Blumen, alle, ohne Ausnahme, aber sogar diese Option hat er ihr genommen, der kleinen N., es ist unfaßbar, wohin soll ich mich wenden, wenn


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Qual und Schmerz mich drücken, wem künd ich mein Entzücken? Mir selbst, denn es gibt nur mich selbst, antwortete Herr P. auf kein Befragen, wie gesagt wird, denn hören können wir ihn nicht mehr, und zugehört hätte ihm auch keiner, außer zweihunderttausend JournalistInnen, und er durfte ja nichts mehr sagen, es fuhr ein zug über ihn, da gehts mir entschieden besser, ich darf und darf und tue es und tue es; dieser Schreibtischtäter (und der dort auch, und da kommt noch einer, der es auch sagt, hast du Töne? Dann steck sie dir ins Ohr!) hat es nicht zur Verwendung auf einem MP3–Player aufgenommen, er sprach zur Ergänzung, zur Nahrungsergänzung (die einzige, die wir gelten lassen), zur mittleren Ergänzung, nein, zu dieser  Nahrungsmittelergänzung, die wir alle brauchen, die Liebe. Jaja, die Liebe, die wandert fleißig mit den Augen umher, sie richtet die Augen, ich sehe derzeit nicht, wohin, sie schaut, wo ist die Kamera?, wo muß ich hinschauen?, wird sie diesmal mich erblicken?, ob sie was Besseres findet als das, was sie hat, und die Liebe braucht auch uns nicht, denn sie braucht nur den einen einzigen, den sie jeweils eben sucht, was soll sie denn machen, wenn er nicht da ist? (die eine einzige, hier ist die weibliche Form, sind die weiblichen Formen durchaus angebracht, nein, nicht hier, dort drüben!), den sie nicht kriegt,  aber dafür wir, wir, wir, ha!, I did it again!, empfinden die Liebe ja nicht als Ergänzung, wir haben schon, wir  brauchen keine Ergänzung, also ich brauch sie nicht, die Liebe, ich brauche Darwin, den wiederum andre nicht


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brauchen, die nur Gott wollen, weil sie ausschließlich ihn respektieren können, trotzdem, ich glaube, wir brauchen eine Erglänzung, eine Entgrenzung, sogar der Herr P. auf den Schienen hat sie schließlich doch noch gekriegt, damit wir, endlich plattgemacht, nach mehr aussehen, als wir sind, auf das Vierfache geplättet (aber das sind halt immer noch die blöden Schienen, die einen ins Gehäuse, ins Gesäuse des eigenen Bewußtseins führen, aber dorthin wollen wir ums Verrecken nicht, also: verreck schon! Marsch!), aber wir sind auch ohne diese und andre Ergänzungen vollkommen, bitte, unsere Gesundheit braucht sie vielleicht mittels Basica oder einem andren Zeugs, die Vollendung, aber wir selbst sind absolut vollkommen – ach, hätte der Herr Ingenieur, der keiner war, der Fernmeldetechniker, der er auch nicht war, der nicht einmal einen Meldezettel für sein Opfer ausgefüllt hat, sonst hätte man es ja viel schneller gefunden, hätte er das nur rechtzeitig gewußt! Bitte, ich hätte es ihm sagen können, aber mich hat er nicht gefragt – und brauchen höchstens noch einen andren Menschen, ein Stück andren Menschen, eine Nummer 2, zu unserer Ergänzung (wir sind die Nummer 1, klar!), das Schnitzerl ist Nummer 1, dann folgt zur Ergänzung das Mittel, damit wir es auch vertragen und verdauen können (warum haben wir es dann erst gegessen, wenn die Verdauung danach so schwierig ist?), und den Mangel, der durch es ausgelöst wurde, wieder ausgleichen können, eine Ergänzung also, damit wir gesund bleiben oder es werden, was mit der gewöhnlichen Menschennahrung einfach nicht zu schaffen ist. Damit schaffen wir immer entweder zuwenig oder zuviel. Hier spreche ich, ich, nur ich! Wer sonst noch


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spricht, ist falsch hier. Hier gilt mein Maß, dessen kleinste Einheit ungefähr der Dicke eines 80 g Papierblatts entspricht, das ist sehr sehr wenig, fast nichts, eher klein, nach diesem Maß gelten sogar Sie was, und ich sage, allerdings sehr leise, sonst würde ich mein eigen Maß ja sprengen: Der und der und der auch kann es nicht, weil nur ich es kann, er kann es nicht sagen, obwohl die deutsche Sprache doch auch sein Beruf wäre, er strengt sich so an, aber er kann nicht, es kommt nur ein Würgen aus seinem Mund, und er will uns doch sagen, daß dieser oder jener Dichter Gott ist und jederzeit wieder auferstehen könnte, wäre er nicht schon hier, und zwar auf Dauer, für die Ewigkeit, immer für die Ewigkeit – das ist doch absurd, die Ewigkeit ist ja eh für immer! Warum versucht ers zur Abwechslung nicht mit einer andren Sprache? Derjenige, den ich meine, weiß es zum Glück nicht, aber ich frage ihn trotzdem, warum er nicht etwas anderes versucht und mit einer andren Anlage, einer andren Begabung, die er möglicherweise hat (wenn Sie mich fragen: Ich glaub nicht), vielleicht würde die ihm besser gehorchen und mehr bringen? Ach, ist das schön, Menschen anzuklagen und mit Farbe zu beschmieren, die trotzdem keiner sieht, Gotcha!, und die merken es nicht und wissen gar nicht, daß sie gemeint sind! Nur ich weiß, wen ich meine. Und sogar ich wechsle mich in meinen Vorlieben und Abneigungen täglich, ja, stündlich, selber ab. Warum versuchen Sie es zur Abwechslung nicht ebenfalls mit einer Abwechslung? Das tut gut. Aber wenn Sie wissen wollen welche, müssen Sie sich an jemand andren wenden. Ich sage nichts. Herr P. ist einer von uns, und wir sind, anders als unsere N., nicht in seiner


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Verwahrung, er ist ja tot, aber er hat bewiesen, daß man etwas verwahren kann, als einen Gegenstand, aber daß dieser Gegenstand dann mitteilen und bezeugen kann, das hat er von Anfang an mit einplanen müssen, deswegen hat er ihn ja so sorgsam verwahrt, und so sehr etwas für seinen Besitzer Gegenstand werden kann, so sehr kann der Gegenstand aus seiner Rolle herauswachsen, daß das Ding plötzlich Quelle werden kann, die über unsre Köpfe hinwegschießt, einmal in Freiheit, überhaupt eine Frechheit diese Freiheit, eine einzige Frechheit!, und das verstehende Seinsverhältnis zu dem bezeugten Gewesenen, das vom Kind ja bezeugt wird, könnte einem jederzeit genommen werden und wird es auch, so, und wir legen das Kind und was es uns zu sagen hat immer noch aus, doch ich lege mir hier etwas zurecht, das nicht aus dieser Quelle kommt, wie dieser Satzanfang, zu dem hier nichts mehr passen will; diese Quelle, nein, ich meine nicht den Satzanfang, ist mit einem Gitter versehen, damit ich nicht hineingreife, damit niemand hineingreifen kann, wie soll ich deuten, was mir da in der Quelle begegnete, die ich doch immer nur aus einiger Entfernung sehen kann, ich habe keine Wahl, als es aus mir heraus zu deuten, ich fuchtle herum, versuche, auf mich aufmerksam zu machen, lese, was mir unter die Augen kommt und nicht schnell genug wegrennen kann, und damit leugne ich leider den Zeugnischarakter und die Zeugnisfähigkeit des Opfers selbst und setze mich an dessen Stelle. Sicher darf ich das auch wieder nicht, obwohl ich mit Sicherheit das leckerste, schmackhafteste Opfer wäre, ich selbst habe mich dafür ausersehen. Ich frage mich überhaupt, wieso so viele Opfer sein wollen. Ja, und


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ich halt auch! Gern, ach, wie gern! Wenn Sie mal ein Opfer brauchen – ich melde mich sofort freiwillig! Und grade, als ich mich das zum fünftausendsten Mal frage, wieso ich so scharf drauf bin, ein Opfer zu sein, kommt einer daher und will Täter sein, er will einer von uns sein, die wir angeblich alle Täter sind, wie er angibt, aber das ist die reinste Angeberei. So. Nur keine Sorge! Ich schicke ihn gleich wieder fort, Sie brauchen ihn meinetwegen gar nicht zu sehen. Früher war das nicht so, glaube ich, da wollten sie alle Täter werden, es konnte ihnen gar nicht schnell genug gehen in ihrem Tatendurst, den sie beim Biertrinken gelernt hatten, sursum bumm bumm, sie haben einander, beim Anstehen für die Täterschaft, in den Rücken gepufft, damit sie schneller vorwärts kamen, bis dann die Täterspielsteine einmal aus waren. Ausgespielt. Doch jetzt hat es sich endlich umgekehrt, der Wind hat sich gedreht, und ich bestätige es Ihnen bereits, ich schreibe es Ihnen ins Mitteilungsheft, noch bevor Sie mir selber etwas mitteilen können: Im Grunde sind wir alle Täter, weil wir die Liebe so unbedingt haben wollen wie nichts sonst, auch wenn diese Sie nicht will und nicht erwählt hat und nie wählen würde. Aber wenn uns unsere Täterschaft über den Kopf wächst, sind wir eben Opfer, vielleicht taugen unsere besseren Eigenschaften ja was. Auch nicht? Du Opfer, sagt man zu jemandem, den man nicht lieben kann. Das ist furchtbar, am äußersten Rand des Schreckens zu stehen und nicht hineinsehen zu können. Ich muß Schilderungen entgegentreten, die nicht von mir sind. Ich habe alle Schilder im Angebot, aber keiner nimmt sie mir ab. Ich möchte Ihnen auf dem Weg vorangehen, den ich derzeit aber selbst nicht


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sehe, auf dem Weg, geliebt zu werden. Nein, der Weg geht mir nicht voran, ich muß schon ihm folgen, und alles, was ich sehe, bin immer nur ich selbst. Keine gute Voraussetzung, daß die Liebe kommt, denn ich liebe mich am allerwenigsten! Ich lege hier Zeugnis ab, gut ist es nicht ausgefallen, leider, es ist ausgefallen, aber durchgekommen bin ich noch immer. Bitte, legen auch Sie ab! Was, Sie hatten gar keinen Mantel, Sie wollen ohne Umwege und ohne Verdeckung oder Verhüllung auf das Um-Zu zugehen und es uns sehen lassen, aber das ist leer! Der Zweck des Verweisens ist leer, und ich verweise Sie jetzt des Saales, der Sie selber sind, so. Das hab ich jetzt glatt gemacht. Keiner versteht mehr was. Ich kann so etwas auch gar nicht fassen, bitte vergessen Sies wieder!, ich rede und rede, wenn auch nur hier, wo es keiner sieht, denn hier bin ich zu Haus, woanders würde ich nicht reden, obwohl es ja gar nicht wehtun soll (ich meine, es wird einem ja immer gesagt, es tue nicht weh), also ich schaue in dies Loch, wo das Kind N. leben mußte, und kann es nicht fassen, daß man da noch Kraft zum Widerstand hat, in einer solchen entsetzlichen unvorstellbaren Situation, in der keineswegs an einer ausgeglichenen Balance zwischen Wachen und Schlafen, Essen und Hungern, Arbeiten und Erholung (für die andre weit wegfahren müssen, aber hier war die Erholung an genau demselben Ort wie alles andre auch) gearbeitet werden kann, aber gearbeitet wird trotzdem, und zwar schwer, keine Ahnung, wie.

29.8.2007, Fortsetzung folgt


 


Bilder: Hieronymus Bosch (1450-1516): Die sieben Todsünden, Ausschnitte

 

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