Neid

Privatroman

Drittes Kapitel

 

ich glaube, das können Sie auslassen, ich meine überschlagen! Aber bitte, treffen Sie nicht mich dabei! Das wird nie fertig, also mach ich es fertig! Ach, ich glaub, ich krieg das nicht hin.


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Je weniger künstliche Elemente ein Mensch aufweist, desto positiver wird er im allgemeinen beurteilt, man nimmt dann fälschlicherweise an, er könne so, mit der Natur auf seiner Seite, vorausgesetzt, die geht freiwillig mit!, welche für Bezahlungen jeder Art vollständig taub ist und nur Geschenke austeilt, keine entscheidenden Fehler begehen, die ihm für sein späteres Leben die Chancen rauben würden (fatal sich selbst im Wege sind dabei oft die Frau und ihr künstliches Wangenrot. Magentarote Schmiere an den falschen Stellen macht den entsetzten Betrachter, ob er will oder nicht, auf das Materielle aufmerksam, das ihn antreibt, ob er will oder nicht), und ähnlich, im positiven Sinn, ergeht es jeder Landschaft, die es gibt. Sie braucht keine Tünche, weil sie meist eine Naturschönheit ist, und wenn nicht, muß sie sich in den Schutz der Nacht begeben, damit sie nicht gesehen wird, außer beim namenlos wunderbaren Mondenschein oder beim Nachtslalom, doch da wird schon wieder das Licht aufgedreht. Oder sie kann sich schleichen, die Landschaft, falls sie soviel Natürlichkeit nicht aushält. Sie sollte sich überhaupt nicht dauernd so entsetzlich wichtig nehmen, denn sie hängt von unserer Wertschätzung ab. O je, schleichen kann sie sich schon mal nicht, sie hat sich hier gebunden, voreilig, wie sich zeigen wird, denn


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ihr werden zwar Möglichkeiten dieser Region erschlossen, aber sie weiß diese zu oft nicht zu nutzen, die Braut, die sich was traut, dafür jedoch noch keinen Partner gefunden hat, der sie erschließt. Sie kann sich ja nicht aus der Region herausarbeiten, die Landschaft, aber sie kann ihre Stärken herausarbeiten. Hebe deine Augen auf, du wirst sie noch brauchen! Kommen wir also zu den schönheitsmindernden Elementen beim Menschen Brigitte K.: Es sind in der Regel und auch ohne Regel Kunstelemente, und damit meine ich nicht Brigittes künstlerische Tätigkeit an ihren Schülern in der Musikschule, denn diese Elemente sind schon in Ordnung, von mir aus gesehen gleich neben der Mitte, an beiden Seiten wohltemperiert, denn ich bin die Begleiterin auf dem Klavier, ganz recht, und jedes Element, das sich mit Musik beschäftigt, hat das auch verdient, ist mir auch recht; es sind keine Elementarteilchen wie die chemischen, die chemischen können von mir aus bleiben, aber bitte nicht so klein und so dicht in meiner Nähe, wo sie alles Leben bestimmen. Auch wenn nicht viel bei Brigittes Spiel herausschaut, grade zur Lehrerin reicht es, nicht einmal die etwas ausgedünnte rechte Augenbraue Mozarts (ich habe auch so eine, interessant, nicht?, nein, interessiert keinen, sagt das Ökosystem, das auch nach dem Umstieg auf biologische Landwirtschaft die Vermutung zu äußern wagt, daß ihm das nichts bringen wird, was das Angebot für TouristInnen betrifft, oder doch? Es wäre ein Angebot, das nicht direkt, sondern bloß indirekt ausgebaut werden könnte, dann hätten wir alle was davon) kann da etwas bewirken, warum sollte sie auch? Sie konnte doch schon bei Mozart nichts dafür, daß er sich so vorteilhaft herausgehoben hat und jetzt als Star


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am Zenith unserer Anhimmelung steht. Wo bin ich da jetzt wieder hingeraten, ich meine wohlgeraten durch gesunde Kost von der Salatbar? In einen der neuen super Öko–Supermärkte? Ich darf raten, soviel ich will, hier bin ich nie die Gewinnerin, was ich schließlich ursprünglich anstrebte, und zwar auf einem Gebiet wär ichs gern gewesen, auf einem weiten schönen Gebiet, dem Gebiet der Natur, diesem weiten Feld, das zwar mir gehören würde, das ich aber von den Bundesforsten bewirtschaften ließe, denen ihre Mittel seit Jahrzehnten aus voller Überzeugung eingeflößt werden, da gleich hinter ihnen die Aristokraten kommen, die ihr Erbe anständig besachwalten, und außer denen existiert ohnedies nur noch Göttliches, und den Rest, wo keine Bäume stehn, diesen Beserlpark, darf demnach ich beackern?, na danke, den macht mir keiner streitig. Den neidet mir keiner. Das wäre also mein Gebiet, der Wald. Die wollen aber nicht, die Staatsforste, die wollen die ganze Plackerei mit den vielen Sägespänen in meinem Kopf nicht, aus denen man aber doch  Preßspanplatten machen könnte, auch wieder wahr, und so bleibt es also unbeackert, mein Land, mein liebes Land, mein Wald bleibt unbeforstet und unergründlich und unbegrünt, wie der übrige Mensch, auch ich, uff, dieser Wald – auch so ein Naturereignis, das uns Mozart vielleicht nicht kostbarer macht, aber kostbarer immerhin als Teer- und Betonflächen jeder Art, Maschendrahtzäune, Schutthalden, Mülldeponien, Altreifenlager oder Überlandleitungen. Plus Kirchtürmen mit in ihnen tückisch versteckten Handymasten, ja, genau, die sollen auch weg, aber der Herr Pfarrer hängt doch so an ihnen! Der soll sich lieber selber dort aufhängen! All das soll fehlen. Es wird uns nicht fehlen, außer wir drehen den


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Fernseher auf, und es kommt nichts herein ins fahl leuchtende Kämmerlein, falls wir die Zusatzbox nicht rechtzeitig gekauft haben und im falschen Landesteil leben, denn leider fehlen jetzt, analog dazu, wozu auch immer, die Sende-Mastanlagen Patscherkopfl, Pfänderspiel und was weiß ich wer noch, weil sie der natürlichen Umwelt schaden. Nein, sie fehlen nicht, und sie schaden auch niemand, es war ein Irrtum meinerseits, sie sind noch anwesend und gesund. Bitte, von mir aus, Natur soll kommen, und eine so natürliche Schönheit als wie wir sie (wurscht!, das sagt man so nicht!, aber ich kann nicht anders), äh, also eine so natürliche Schönheit, wie wir sie suchen, werden wir nicht finden. Das kann man so nicht sagen, ach, könnte ich doch anders!, man weiß ja erst, was im Berg so alles los ist, wenn man einmal drinnen war in der Attraktion Schaubergwerk, wo man dem Berg bis in den Harz, nein, ins Herz, ins Herz der Unterhose, schaut und sieht, daß er ein neues Herz und eine neue Unterhose brauchen könnte. Bevor man dieses dumpfe Pochen, diesen Herzschlag, an dem man sterben kann (ganz ohne gehts aber auch nicht), nicht gehört hat, kann man gar nicht mitreden, also noch einmal von vorn, wie oben, und dann fortgesetzt den Satz-Untersetzer, nur anders, zum dritten Mal jetzt: Eine so unnatürlich natürliche Schönheit, wie wir sie in Mozarts Musik finden, ist seither nicht erfunden worden, nein, gefunden auch nicht, oder so ähnlich, eine so künstliche, künstlerische  Schönheit wie wir sie also in Mozarts Musik finden, haben wir in der Natur in der Tat (aber die Tat zerstört doch immer nur die Natur, die ohne jede böse Absicht aufgeheizt wird und mit sich und von tappenden Händen erhitzten Bierflaschen zu werfen


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beginnt, dann ist sie erst so richtig heiß, oder?) noch nie gefunden. Ich werde wahnsinnig. Ein viertes Mal geht sich definitiv nicht mehr aus. Was wollte ich bloß sagen? Wenn es Mozart bis jetzt noch nicht gäbe, müßte man ihn erfinden. Aber mir fällt nichts ein. Ihnen vielleicht mehr, doch davon auch später nicht mehr, zumindest nicht hier. Ich bin ganz sicher vorhin wahnsinnig geworden. Wie auch immer, jetzt brauchen wir nur noch etwas Charakter dazu, Senf und einen Führer, einen Gourmetführer meine ich, dann können wir das alles essen, und wir werden auch wissen wo, und wir werden einen Tisch bestellen, ihn aber nicht mitverzehren, obwohl er auf der Rechnung stehen wird. Wir müssen gar nicht lang weitersuchen. Wir müssen leider nie draußen bleiben. Also wir suchen jetzt nicht das kleine Quartett, das Brigitte in ihrer Musikschule aus dem sehr eng begrenzten Menschenmaterial, aus den mit Fleiß gehäkelten Luftmaschen ihrer besten Schüler gegründet hat? Na, dann nicht! (Aber ja, auch ein Volksschullehrer und eine Handarbeitslehrerin spielen mit, die beide gar nicht ihre Schüler sind, wir brauchen trotzdem den engagierten Mitspieler, dieser spielt absichtlich abscheulich die zweite Geige, um den Geigenschüler, der die erste spielt, es aber nicht kann, nicht zu kränken, das ist die Aufgabe des Lehrers, die Schüler nicht zu kränken oder zu demütigen, die Demut lernen die Lehrer selbst, im Umgang mit ihren SchülerInnen, dieser Sorte Mitmensch, die von Egoismus und Markenneid auf immer neue Snowboards getrieben wird, bis ihnen die Zunge aus einer Eisspalte heraushängt, wohin sie eigentlich nie gelangen wollten, so greift einer in den anderen, holt aber nichts heraus, weil nichts drin war). Aber wenn wir es vielleicht


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doch einmal suchen, merken wir: Zu diesem Zweck hat diese Frau sogar etwas Grundlagen-Cello spielen gelernt, das ist zwar nicht ihr Fach, aber ein Cello wird immer gebraucht, wo Musik im kleinen Kreis erklingt und nicht vorhat, diesen Kreis allzu oft mittels Auftritts im nachbarlichen Kurheim zu sprengen, denn keins der Instrumente gerät außerhalb der Norm, das Cello bleibt eher darunter, und so soll es ewig, ewig bleiben, daß einer unter dem anderen liegt; Musik soll Freude bereiten, das ländliche Wegenetz soll erhalten bleiben, Bevölkerungsrückgänge sollen hingenommen werden, und dieser Politiker soll gestürzt werden, das sagen viele, er steht aber immer wieder auf, auf seinem eigenen Grund und Boden,  derzeit allerdings nur noch in Kärnten, aber immerhin, er steht, er steht, das ist nicht selbstverständlich, denn das Große steht immer in Frage, weil es, das sicher gut ankommen würde, wenn auch nicht sicher, so gut wie nie kommt, es hat keine Uhr, wir warten immer noch, außer es kommt im Sturm Graz, das Große, hoppla, da liegt es jetzt, verspielt, alles verspielt wie ein lustiges Tier, weil es jetzt auch die Vereinsgelder verzockt hat (nein, das hat er nicht getan! Neueste Ergebnisse sagen uns deutlich: nein! Er ist zwar an irgendetwas schuld, der gute Große, aber nicht daran!) und in einer Rolle vorwärts weich im Knast gelandet ist, ich wußte doch, daß das passieren würde!, doch er wird bald wieder draußen sein, wenn auch ein wenig verkleinert. Denn viele wollten ihm, diesem wunderbar Großen, Grenzen setzen, das muß man sich mal vorstellen, und jetzt ist es auch gelungen. Der Mann kennt jetzt seine Grenzen, glaube ich. Es war schwierig, denn das Große tritt ja in vielerlei Gestalt auf, und hier tritt es zufällig in Form eines Mannes auf.


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In diesem Falle ist es rund und wohlgefüllt und hat eine Zigarre im Mund, in einer anderen Falle ist es weiblich und hat einen Schwanz im Mund. Und da wollen manche Menschen diesem freundlichen Großen allen Ernstes Begrenzungselemente auferlegen, um eine Ordnung wieder herzustellen, die er so lang zertrampelt hat, um ein Meister zu werden, nun, das ist nicht gelungen. Da fällt mir ein, ich weiß nicht, ob der Große überhaupt groß ist, ich weiß nur, daß er ein wenig dick und inzwischen wieder fast wieder unschuldig ist, doch das macht keinen Unterschied, Kunst wie Natur, Schuld wie Unschuld sträuben sich grundsätzlich gegen jede Ordnung, sie wollen entweder über die Ufer, oder über den Horizont emporsteigen. Oder sie müssen ihren Abstieg in Zahlung nehmen, je nachdem, was grade da ist, was grade angesagt ist beim Sich-gründlich-Ausschnapsen, aber sie sind schließlich kein Fluß, diese Großen, jetzt mal ganz allgemein gesprochen, die sich aus reiner Güte, um Qualität in den Fußball zu bringen, unter uns gemischt haben, die uns die Gelegenheit bieten, sie auf Händen zu tragen und dann gemein fallen zu lassen, bevor sie noch uns fallenlassen können, und wir brauchen keine Dichter, die sowas verhunzen, wer würde nicht grenzenlos schön und grenzenlos groß sein wollen?, denkt sich der Fluß, der keine Ufer kennt und daher die längste Zeit nicht weiß, daß er gar kein Fluß ist, sondern ein über seine eigenen Ränder steigender, überall präsenter Ballpräsident.  Ich will es doch auch, über die Ufer treten, so gern will ich es, und was nützt es mir? Auch andre wollen sicher, aber was nützt es ihnen? Immerhin, sie lernen die Welt kennen, die mir für immer verschlossen bleibt, und sie lernen das Gefängnis kennen, das die meiste Zeit,


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außer für die eine Stunde, in der sie in sich herum- und in engen Grenzen aus sich herausgehen dürfen, verschlossen bleibt, und dann sind sie plötzlich wieder draußen und mitten unter uns, wo sie schließlich und nicht eingeschlossen, ich meine eingesperrt, wohnen. Sie lernen ihr Äußeres nur im Spiegel von Tausenden Zeitschriftenlesern kennen, ein Äußeres, das nicht Stille der Natur, die doch so erwünscht ist vom Touristen, sondern stets eine gewisse Lautheit ausdrückt, wenn auch keine Lauterkeit, denn diese Fremdenverkehrsnatur trickst recht oft mit sich und den lieben Gästen. Sie baut asphaltierte Straßen, damit man überallhin kommt, aber dann sollen sie auf einmal wieder weg sein, denn man sollte eigentlich nicht die Straßen, sondern die kleinen Streusiedlungen abseits dieser Straßen betrachten, in deren Furchen kein Sponsor Geld streut, denn spielen können die hier nicht gut genug, als daß man sie nicht wieder verspielen könnte, wer will denn schon wohnen in demselben Dreck, den er bei der Arbeit einatmen muß?, also soll der Autofahrer den Kopf bitte einmal links, einmal rechts drehen und nicht nur geradeaus schauen, vielleicht findet er einen Fleck, wo sogar er bauen könnte, was sich stets zu großen Unannehmlichkeiten auswächst. Er bedenkt nicht, daß auch andre diesen Fleck ausgewählt haben, er bedenkt auch nicht, daß er mit diesen Nachbarn ausgezeichnet zusammenpassen könnte, sie wollen ja im Grunde dasselbe wie er: keine Nachbarn haben! Er soll wählen, wo er bleibt, der Häuselbauer, der spart und spart, und wenn er nichts mehr hat, spart er an sich selbst und schießt sich in den Kopf, und alles gehört dann der Sparkasse, wo es eh hingehört, denn die Häuser werden heute in Rußland gebaut. Unsere Baufirmen ziehen schon


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hin. Er soll schauen, wo er bleibt, der Sparer und Fahrer (und am allerbesten ist: sparen beim Fahren! Autos mit geringem Hubraum, damit man sich an ihnen nicht überhebt und überheblich wird), diese im Fahrersitz hoffentlich angeschnallte Melkkuh der Nation, wie sie gern genannt wird, die unser Klima dauerhaft erwärmt, wir danken ihm an dieser Stelle. Könnte aber auch wieder ein Fehler sein, wenn er das sich fleißig Umschauen zu oft macht, es kann passieren, daß der Unterbau einer Straße keine Tragfähigkeit oder zu wenig davon hat, und dann fällt der Fahrer wie ein Stein ins Bodenlose, und sogleich wird sein eigener Umbau oder sein Neubau erforderlich, ein Stein wäre schon vorhanden, er selbst mit seinem Paar tüchtiger tätiger Hände, derzeit leider nutzlos, und dann und dann, egal, vergeblich wird er vielleicht zu Hause erwartet werden. Das ist ein negativer Trend, wie jeder Trend außerhalb der Wirtschaft, in der gelogen wird, daß sich die Bodenbretter biegen, auf denen sie doch ruht. Keine Ahnung. Das brauchen Sie mir nicht unter die Nase zu reiben, das weiß ich selbst, daß es unbequem wird, wenn die Wirtschaft sich mal einen Zyklus lang ausruht. Keine Ahnung. Gesamtbetrachtung und öffentlicher Betrug sind angesagt, aber sie sind nur möglich, wenn die Gelder umgeleitet sind, die Taschen der Baupolizisten um ein Entscheidendes vergrößert werden und man dafür von der Straße absieht, die aber gebaut werden mußte, unbedingt, das wollte wieder die weltbekannte Straßenbaufirma, deren Namen ich nicht nennen darf, denn die ist stärker als wir alle und klagt mich in ihren eigenen Boden hinein, wo ich dann rasch untergepflügt werden soll. Ja, vielleicht weil niemand es wagt, ihren Namen auszusprechen und jeder inzwischen


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ein Auto hat, außer mir, soll diese Straße gebaut werden, so wollte es der Gemeinderat, aber man muß von ihr, der netten Straße, absehen, nach links und nach rechts und nach oben, und darin ist noch gar nicht die Instandhaltung inbegriffen, ich begreife ja überhaupt nichts, daher muß ich es immer und immer wieder wiederholen, das Eine, das ich weiß: Dieses Land würde ich am liebsten mit der Axt entzweispalten, das hätte auch den Vorteil, daß die Touristen in zwei Länder zugleich fahren könnten und daher die doppelte Auswahl hätten. Brigitte ist, würde ich mal sagen, nachdem ich sie betrachtet, wenn auch noch nicht begriffen habe, daß sie sich damit die Jugend, nach der sie hungert und durstet, zurückholen will, Brigitte also ist eine Frau, die Lidschatten, Make-up, Rouge und Lippenstift (na gut, na gut, für die Musikschule nimmt sie nur diskret schimmernden Lipgloss, nur Frauen wie ich kennen dieses freundliche Wort, dieses gute Wort, das einem gegeben werden soll, und wenn Sie Erklärungen dazu haben wollen, fragen Sie meine liebe Gucki-Googie, von der ich schon gesprochen habe und die inzwischen sogar von mir spricht! Was wäre ich ohne sie! Ich wäre doch gar nicht da. Auf Basis meiner eigenen Informationen, die ich allerdings bereits habe, könnte ich mir nicht einmal die richtige Großpackung Papiertaschentüchter kaufen und auch nicht diese neuartige Menstruationsblut-Schale, wie hier abgebildet, die ich in der Natur noch nie gesehen habe und zum Glück auch nicht mehr benötige, aber selbst dieser Gloss, der auf den Lippen prangt, ist übermütig, wenn auch etwas gedämpft, auf zarte, diskrete Weise in Richtung Farbe gefälscht), jede Art dekorativer Kosmetik entschlossen verwendet. Sie maßt sich die Macht an, über ihr Alter hinwegzutäuschen


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(und z. B. den Fußballpräsidenten, den Immo-König oder den Herrn Kopekenminister fürs eigene Fortkommen zum Altar zu schleifen, bis er die letzten Haare am Boden verloren hat, nein, der Exil-Minister hat eher zuviele davon, der kann die Hälfte von ihnen hergeben und hätte immer noch genug, und wir haben noch lange nicht genug von ihm, dafür hat er jetzt keine Brille mehr, kommt mir zumindest so vor, denn ich sehe keine, vielleicht ist der ganze Mensch ja vollkommen durchsichtig geworden, denn vollkommen war er ja schon vorher?), sodaß sich das Alter glatt in sich selbst täuschen könnte, sähe es den Tod nicht schon am Nebentisch einen Cappuccino trinken und Kuchen aussuchen, und Täuschung ist ganz allgemein nicht schlecht an einem Ort, den Arbeit und Natur so ausgemergelt haben, daß das Aussehen dieser Frau ganz im allgemeinen nicht hierher paßt, sich aber trotzdem vorteilhaft von dem der Restmenschen dort abhebt, die zu 30,02% über sechzig Jahre alt sind, also sogar noch z. B. über mir stehen, wenn auch nicht turmhoch und nicht dem Rang nach, und ich bin eine Herausforderung für sie, die sie nicht annehmen, doch, doch, ich bin eine!, nein, nicht?, egal,  ich hole sie gewiß bald ein, ich werde schließlich auch älter, immer älter, und schauen Sie, ich habe einen großen Vorteil: Meine Kleidung z. B. atmet für mich, falls das nötig werden sollte, sie hilft mir, sie ist atmungsaktiv, was ich nicht bin, ich atme einfach normal so vor mich hin, aber nicht direkt aktiv, nein, könnte ich nicht sagen –  manchmal ist das gar nicht so einfach, es ist ein Dienstleistungsberuf an mir selber, sonst fiele ich tot um, wie Freund W. letzte Nacht, er starb allerdings angeblich im Liegen, aber vorher muß er doch gestanden sein und nicht nur in


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der Zeitung, doch weshalb werden solche und andre Dienstleistungen wie Atmen dermaßen negativ bewertet, daß niemand sie ausführen will, sie wollen mit ihrem Atem zu Hause bleiben, die Menschen, sie wollen ihn nicht ausführen wie einen Hund, womöglich fehlt er einem dann, wenn man ihn braucht, der liebe Atem, den Bausparvertrag hat man ja schon abgeschlossen, damit man das Geld hat, wenn man es braucht, den Atem hat man bereits, wenn auch nicht für andre Menschen, die das Geld und das Atmen vielleicht auch brauchen könnten, doch an sie wäre das verschwendet, viele von ihnen sind ohnedies bereits verstorben, die Schulden haben sie aufgefressen, was, das Spendenkonto für den Atem ist am Ende dieses Artikels extra angegeben? Wir haben schon, wir geben nichts. In einer Gegend, in der der Bergmann jahrzehntelang dominierte, was das Berufsbild betrifft, hält überhaupt keine Dienstleistung (außer der am Berg, ich sagte es schon ungefähr zweihundertdreißigmal und werde es noch öfter sagen, ich darf das, wenn auch nur hier. Hier kann man mir nichts vorwerfen, ich würde es sofort essen, obwohl ich es in keinem Restaurantführer gefunden hätte. In einem Buch dürfte ich es nicht. Was bin ich froh, kein Buch geschrieben zu haben!) dem Vergleich stand. Deswegen kann ich einfach niemand andren dazu bringen, für mich zu atmen, an meiner Stelle, die ich aber nicht hergebe, denn hier ist es einfach unglaublich wichtig, eine Stelle errungen zu haben. Wer keine hat, muß auswandern, manchmal weit, so weit, bis nach Kapfenberg oder Leoben. Dafür kommen andere her, um eine Stelle zu bekommen, ich huldige ihnen, denn sie sind Schweißer und Dreher, etwas, das ich nie nachmachen könnte, das Schweißen und das Drehen sind mehr


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als blödes Nähen und Haarefärben, das ich auch nicht kann. Naja, gar nicht so wahnsinnig weit ist es, von wo sie herkommen oder wohin sie hingehen, aber für mich wäre das schon die absolute Weite. Allerdings: Was mir wirklich seltsam vorkommt und mich wundert, ist folgendes: daß immer von Frauenmangel in dieser Kleinstadt gesprochen wird, wo es doch viel mehr Frauen als Männer hier gibt, nur sieht man diese Frauen nicht, und woanders sieht man sie auch nicht, außer beim Einkaufen oder beim Friseur, falls sie ihn sich noch leisten können und falls es ihn überhaupt noch gibt (abgesehen davon, daß man es der Frisur nicht anmerkt, ob es einen Friseur je gegeben hat). Und von dort eilen sie dann heim oder auf einen kleinen Braunen in die Konditorei und von dort dann rasch nach Hause, gern auch zu ihrem kleinen braunen Ehemann (so nennen sie sich, die Ehemaligen, aber auch die Neuen, die nachgewachsen sind, in der Steiermark), denn die Zeit für die Torte haben sie sich gestohlen, die Frauen, das neuartige, integrierte und endlich auch bedienungsfreundlichere Modell Frau, dem auf der Straße ein immer noch freundlicheres Modell begegnen könnte, das zwar kein Model wäre, aber trotzdem sehr beneidet würde, weil es noch mehr Frau wäre als man selber, jeder Erwähnung wert, wenn auch nicht gerade im rauschenden Blätterwald, stets auf Gefallen aus, so gehört es sich für unsereinen, so schwer das auch ist. Bis man einmal gefällt wird, und aus ists mit dem stolzen Baum, seine Blätter darf er sich dann als Spülung in die Haare schmieren. Dieses neue Frauensortiment also kann beides: zu Hause sein, nicht arbeiten und doch arbeiten, aber eben zu Hause, wie praktisch, denn Orte, an denen Frauen nicht mehr arbeiten können,


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weil es ja keine Arbeit gibt, solche Orte darf es nun grundsätzlich nicht mehr geben, an solchen Orten darf man morgens gar nicht mehr erwachen, da es sie ja nicht mehr gibt, das ist eine Debatte, die längst abgeschlossen ist, und daher schließe auch ich sie, leider verspätet, es dauert immer so lang, bis ich was kapiere und daran beinah krepiere, ich schließe also meiner kurzen Rede langen Unsinn ab, weil man mich ja auch erst verspätet davon in Kenntnis gesetzt hat: kein Thema! Kein Thema mehr! Über das Gastgewerbe habe ich schon gesprochen, der Mensch des Erzes ist kein Mensch des Tourismus, nur ein dienender Mensch paßt zum Tourismus, und so einer ist die Frau, bitte, hier haben wir sie frisch hereingekriegt, es gibt sie in drei Farben, blond, braun, rot, alles aus der Tube und im Eimer!, sie passen wie angegossen zum Tourismus, wie ein Handschuh, diese Farbe und diese Frau dort (allerdings passen jetzt die beiden wiederum nicht zusammen!), und wir führen sie daher sofort dieser alternativen Nutzung zu, sonst bliebe sie noch zu Hause, und das könnten wir nicht so gut vertragen, falls wir uns ebenfalls dort aufhalten. Wir brauchen hier die Frau. Wir brauchen die Frau hier, wo wir sie brauchen. Bitte, woanders brauchen wir sie nicht, aber hier brauchen wir sie. Sogar emporsenden könnten wir sie, sie würde gehen, um sich oder jemand anderen allein zu erziehen, bevor sie wieder runterkommt und uns auf den Kopf fällt. Wir brauchen sie hier vielleicht sogar mehr als anderswo, wo sie ja bereits ist. Die Bevölkerung, die da ist, ist eine Bevölkerung, die mit der Industrie leben gelernt hat, das ist keine Dienstleistungsgesellschaft. Sehen Sie, und daher benötigen wir eben dringend diese Art Frau, die Dienste


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leisten kann und will. Dienste am Lebendigen. Das liegt ihr bestimmt, sie muß es nur probieren, sie muß nicht erst studieren, sie muß ihrer Erscheinung ein Vergnügen gönnen, nämlich den Fremden zu bedienen. Die Landschaft, die an ihrer Direktvermarktung arbeiten will oder an ihrer Vernetzung, die zu einem Durchbruch führt, falls das Netz wie ein Fußballtor zwischen Latten eingespannt ist, oder an was weiß ich, die benötigt dringend die Frau, es ist ein grundsätzliches Bedürfnis nach dieser hier und der dort auch, und wenn schon sonst keiner sie braucht, hier braucht man sie und gebraucht sie auch,  man sieht nur die Arbeiter im fremden Felde und am Feldesrand und am Berg, das sind Orte, an denen sich die Wogen teilen und über den Frauen zusammenstürzen, bis ihnen die dreckige Gischt wieder zu den Ohren rausrinnt, und dann merken sie, wenn sie die Augen endlich wieder öffnen können und das Salz ausgegangen, nachgekauft und in großen Mengen über den Schweinsbraten geschüttet worden ist, daß sie längst am Sand sind, an den Strand des Lebens gespült und dort selber gestrandet. Diese Geschlechterumkehrung (nein, nicht daß aus Frauen Männer werden, meine ich, das wäre ja nun völlig unerwünscht, denn, wie schon oft, dauernd, gesagt: wir brauchen die Frauen ja als Frau und nicht als Mann, da könnten wir sie hier jetzt leider nicht mehr gebrauchen, wenn die Frauen alle Männer wären, also bitte: keine Geschlechterumkehrung! Kehren Sie selbst dringendst um, wenn Sie sowas auch nur denken, und nehmen Sie die nächste Abzweigung ins Irrenhaus oder gehen Sie zumindest zum Arzt, bevor Sie sowas auch nur vorschlagen! würde ohnedies nur für die unter 40-Jährigen gelten (kein Thema!), denn das sind die Frauen, die ihr Geschlecht noch haben,


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die allerdings schreiend und mit vorgestreckten Armen, damit sie keine andre dabei niederrennen, die auch grad von hier fort will, von hier wegsprinten, in einer Massenflucht, einer Stampede, oder halt still gehen, damit man gar nicht merkt, daß sie weg sind. Sie waren ohnehin nie ganz da. So. Es bleiben von unseren Damen hier nur noch die Älteren über, und wer will wie, wer will mich? Wir müssen leider draußen bleiben, ja, auch wir, Sie und ich sind gemeint. Was bleibt uns übrig? Hat sie es notwendig, die Frau, daß sich schon Jugendliche mit Bierflaschen über sie in rüden Worten, als wäre sie gar nicht da, allgemein und indifferent in Bezug auf die Perspektiven äußern dürfen, die sie hat? Nicht alle Jugendliche sind Frauen, das ist eine Tatsache, die für sich spricht, und es sprechen, obwohl wir sie bald nicht mehr benötigen werden, hier noch die männlichen Jugendlichen, das dürfen sie ruhig, denn die Arbeitsplätze in der Terror-, ich meine in der Tourismusbranche existieren ja noch gar nicht, aber reden wir doch drüber, reden wir mal drüber!, man kann über alles reden, und wartet nur, bald, ihr Burschen und Mädeln, balde werdet auch ihr euch Gedanken über eure Zukunft machen müssen, die jetzt schon begonnen hat, ihr habt es bloß noch nicht gemerkt, und ihr kommt mit euren Gedanken auf jeden Fall zu spät, und ihr werdet sehen: Wenn ihr keine Frauen und über 40 seid oder habt, habt oder seid ihr keine, ich meine keine Zukunft! Ja, das ist dann bitter, bitte, jetzt noch nicht, aber dann, und ein Zuzug von Frauen unter 40, die wieder woanders nicht gebraucht würden oder nur zu Zwecken, die uninteressant sind, weil sie sie schon kennen und mal etwas Neues erleben möchten, ist unvermeidlich, sehe


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ich voraus, er ist sogar erwünscht, nicht zuletzt um die Einwohnerzahl zu heben, wenn auch nicht ihr Niveau. Was Brigitte K. betrifft, von der die Rede sein soll, aber nicht und nicht ist, weil ich sie nicht mit ins Boot kriege, komisch, so sehr ich mich anstrenge, desto mehr entgleitet sie mir, dabei schufte ich mich hier kaputt, meine Hände sind ganz naß und glitschig, was Brigitte K. betrifft, so weiß ich nicht, was aus ihr werden soll, nicht einmal, was sie ist, ich meine als Mensch, wie man so schön sagt, wenn man wieder mal nicht weiß, was man sagen soll, ich weiß nicht, wer sie ist, denn wir dringen einfach nicht zu dieser verschlossenen Frau durch, da kommt man ja leichter zum Herrn Fußball-Präsidenten in den Häfen, obwohl man dort nicht hineingehört und er sicher auch nicht, na, Sie kommen vielleicht durch, aber ich nicht, vielleicht weil ich mir seit vielen Jahren das Lied der Einsamkeit vorsinge und mir nicht mehr vorstellen kann, daß es andre Menschen gibt, die auch singen oder geigen können, während ich mein Leben leider total vergeigt habe, und ich finde den Schlüssel zu dieser Frau noch immer nicht, und sie findet dafür meinen nicht, sie braucht ihn auch nicht, wer will, soll sich bitte schriftlich mit mir in Verbindung setzen, wo ist der Violinschlüssel zu dieser Frau, ich kann ihn immer noch nicht finden, ich suche und suche, obwohl er sich angeblich in dieser hübschen Glasschale auf jenem Telefontischerl befinden soll, mitgebracht aus Venedig, die Schale, aus fast echtem Muranoglas, daneben ein netter Clown, 30 cm hoch, ebenfalls aus diesem zarten Material gebildet, dem hat schon einer einen geblasen, bevor es ihn noch gab, andere Bläser werden erfolgreicher sein, o je, dieses Blasen


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werde ich später für den Elefanten noch brauchen und für die schöne, dämonische, dunkle Frau im Zug, dort paßt es besser, aber es paßt auch fürs Glas so gut, Scheiße, was soll ich machen? Tuten geht mit dem Elefanten, aber Lecken geht nicht, Lecken ginge anstatt Blasen, ich kann nicht was mit Tuten und Lecken machen, Kacke, also diese Glasschale wiederum will, wie bereits erwähnt, eher das geistige und künstlerische Niveau der Einwohner heben, das (hätte man nicht vor, diese Mehrzweckhalle dafür zu bauen) von erschreckender Niedrigkeit bliebe, und außerdem ist niemand drauf, das ist ähnlich wie mit unserem Bankkonto, doch es steht im Gegensatz zum hohen Niveau, auf das sie ja alle fliegen, ja, eine neue Halle wäre den Menschen hier recht gut angemessen, eine Halle für Konzerte und so, die es derzeit noch nicht gibt, und nicht ihre Zahl ist es, die Zahl der Menschen, die zu geringfügig ist für eine ganz neue Halle, die uns dann aber gewiß reichen würde. Was reicht uns jetzt? Die Anzahl der immer mehr zunehmenden Menschen? Was wollte ich damit sagen? Ich weiß es nicht. Es reicht uns jetzt! Aus. Noch eine Generation davor hat man es den Frauen höchstens erlaubt, daß sie grad noch gerade gehen und kochen lernen, dann mußten sie auch schon die Familie mit fataler Überzeugung bedienen (was weniger Arbeit gemacht hat, als ganz allein zweihundert Betten und dann auch noch das Konto straff, bis zum Anschlag ans Jenseits, den fliegenden Wechsel dorthin, zu überziehen) und eine behördlich genehmigte Vorstellung von Familie geben,  in der Öffentlichkeit, ganz ohne Eintritt, Applaus, Applaus. Erlauben Sie mir, daß ich kurz eintrete, mich umschaue und wieder verschwinde: Dieses Land ist entsetzlich. Es ist das


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nackte Grauen. Familie – dieser aufgeblasene Fetisch, dem Genmais äußerst ähnlich, ihre fürchterlichen, äußersten Folgen sehen wir hier schon lange, im milden, warmen Pissestrahl des Kathols, und der Genmais zerstört zudem wahrscheinlich die gesamte Bienenkultur, das war die einzige Kultur, die wir je hatten. Aber jetzt, wo die neue große Feierhalle kommt, wartet nur, wenn die erst einherschreitet, na bumm, die Pummerin wäre ein Dreck dagegen, aber an die große Glocke hängen will ich sowas nicht! Dort leeren wir Tonnen von Musik und die fröhlichen Musikanten, die sie erzeugen, gleich mit hinein, in die Halle, deren Dach ordentlich verklebt sein wird, wasserfest! Jetzt, im wirklichen Leben, wo das wirkliche Leben mit einer nicht wasserdichten Softmütze aus energieloser oder zumindest energiesparender Solar-Populär-Musik bedeckt und gedämpft werden kann, dürfen die Frauen alles übrige lernen, wenn sie wollen, also das, was bislang übriggeblieben ist, sie werden sogar ausdrücklich von der Regierung dazu angeregt und ermuntert, an Krankenbetten zu eilen, bevor fremde Frauen, die ja auch welche sind und auch so bezahlt werden, denn weniger ist in Wirklichkeit mehr, bevor also Fremde ihre haarumflorten Gesichter über die Sterbenskranken, Uralten oder bereits Gestorbenen neigen und kein Wort verstehen und keines sprechen, aber es nützt ihnen nichts, ermuntert zu werden, wenn sie in der Früh gar nicht erst aufstehen mögen, weil sie eben tot sind. Meine Damen, wir sind doch alles Frauen, auch die Fremden, soweit die Frauen sind, also alles, was wir haben und was nicht sich selbst hat, ich meine nicht ganz bei sich ist, ja, wir sind alles Walzer, alles Frauen, was die Wahrnehmung von uns (ich meine die Art, wie man uns wahrnimmt)


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und unser immer noch ausschließlich auf die Männer und deren Autos und deren Geschäfte gerichtetes Verhalten bestimmt, sagt jemand, den ich nicht kenne, der aber zum Glück nicht ich ist. Branden Sie also nicht an mich an, ich bin kein warmer Strand, und ich bin auch kein Schlachthof, auf dem Sie mich zur Sau machen können, nur um mir Ihr Messer reinzustoßen. Ich würde sowas nie sagen, was hier gesagt wird. Das sind die meisten, eine echte Sau, wie der Präsident der zentraleuropäischen Zentralalabank oder wer auch immer von einem machtvollen, allerdings recht kleinen Kanzler der Unsrigen einst geheißen wurde, aber ich bins nicht. Wie ich heiße, das weiß ich, doch ich bin ja nicht einmal oft ich selber, kann es gar nicht sein, vor allem nicht, wenn ich schon wieder so vor Ihnen herumtobe, mich fast zerreiße und immer nur negative Meldungen absondere, die dann eh nur über Sie hinwegrinnen, unerhört, so dünn und klar wie Bäche, sodaß Sie sich danach nicht einmal die Schuhe putzen müssen, und die Menschen meiner Wahl, nein, die nicht, aber alle andren, und das ist eindeutig die Mehrheit, sagen zu den übrigen Mitgliedern unserer Gesellschaft, und das ist eindeutig ebenfalls die Mehrheit (keine Ahnung, wie das möglich ist): Die Medien sind schuld! Das sagen sie alle. Also sage ich es auch, und dabei bin ich gar kein Medium. Ich bin schuld, aber ich bin kein Medium. Ich bin nicht ich selbst, obwohl ich sage, was alle sagen. Aua! Ich bin doch nicht durchsichtig! Was schauen Sie durch mich hindurch, als wäre ich gar nicht da? Ich habe doch den Durchblick dafür, was alle sagen, na, was sagen Sie dazu? Ich bin bloß mittelmäßig, aber kein Medium. Ich bin auch keine Medizin, an der Sie sterben können. Das müssen


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Sie schon von allein, und Sie werden sehen, soviel Schreckliches, wie Sie dann erleben werden, könnten Sie nicht einmal von mir bekommen. Das tröstet mich wieder. Ich habe zwei Drittel meines Lebens bereits hinter mir, wenn nicht mehr (das müssen Sie mir erst mal nachmachen!), wie kann ich da erst medium durch sein? Immerhin, bislang bin ich durchgekommen. Und dagegen können Sie sich überhaupt nicht wehren, wie die Medien Sie darstellen! Seien Sie froh, daß die Medien Sie nie darstellen werden, weil sie unter deren Wahrnehmungsschwelle liegen, aber wenn Sie dargestellt würden, dann zuverlässig mitten im Kuhfladen, wenn Ihnen die Scheiße grad zwischen den Zehen hervorquillt! Sie werden immer unglücklich, aber vorlaut sein, zu allem Ihren Senf absondern, der in Wahrheit Scheiße ist, die Foren des universellen Einkaufsnetzes werden sich Ihnen so weit öffnen, daß Ihnen alles durchfällt, ja, die des Verkaufsnetzes auch (aber entgegenkommen werden sie Ihnen nicht!), daß Sie glauben, Sie wären im alten Rom, und gewiß nicht als Sklave. Als Herr. Natürlich als Herr K., der diesen ganzen Verein mitsamt den Bällen im Casino Austria verspielt hat. Oder hat er dort nur sein Geld gewaschen, weil die Waschmaschine zu Hause kaputt war? Oder der Herr N. N., der Herr XY-Unerlöst und -Unerhört, schauen Sie ihn an, der das ganze Geld der Arbeiterbank in der Karibik verspielt hat, ein luxuriöser Sport, er hätte dort ja auch genausogut ein Boot mieten können, aber das wäre ihm zuwenig gewesen, dem fliegenden Austro-Amerikaner, dem Phantom der südlichen Meere, und da wären die Milliarden nicht mit ihm hineingegangen, die gehen ja überhaupt nicht gern, aber wenn sie sich einmal in Bewegung gesetzt haben, dann nicht in unsere Richtung;


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keiner treibt sie in unsere Gegend, sie gehen im Urlaub auf wärmeren Felder, um als duftendes Heu in irgendwelchen fremden Taschen zu landen und die Heuschrecken einzuladen, das aufzufressen, was sie – heiß, heiß, heiß! – gekocht haben. Und dann haben sie wieder nichts. Oder alles. Ich spreche hier, aber ich finde mein Herz nicht, um etwas zu sagen, vielleicht habe ich ja keins. Ich brauche keins, wozu auch? Überall dürfen Sie sich heute äußern, es wird Ihnen mehr Platz geboten, als Sie einnehmen könnten, und doppelt soviel, falls Ihnen jemand auf diesem Platz entgegenkommen möchte, aber keinen interessiert es. Das stimmt nicht. Dieses Forum ist sehr an Ihnen interessiert, warum melden Sie sich dort nicht an? Ich empfinde tiefe Sympathie für Sie, doch nicht einmal Sie interessiert es, daß ich Ihnen mein Mitgefühl aussprechen und hier gleich posten werde, ohne daß ich es eigens auf die Post bringen müßte. Es geht so schnell, etwas zu sagen, o, wie fein das ist, das ist die neue Zeit, gemeinsame Bestrebungen, guter Geschmack, alles kann auf dem Rücken Fremder ins Haus gebracht werden, so wird man eingemeindet, ob die Gemeinde einen will oder nicht, man wird ein kraftstrotzendes, der allgemeinen Meinung der Gemeinde mutig trotzendes Mitglied. Aber schreiben und lesen muß man dafür schon können. Das ist das Minimum. Diese Kulturtechniken – niemals waren sie so wertvoll wie heute. So, und warum kommen dann von hier, wo ich bin und gleichzeitig auch Sie sein können, immer nur (und schon wieder) negative Meldungen, und von Ihnen auch, Sie Autorin Sie, Nichtmitglied der Auto-Rennversammlung, nein, Rinnenversammlung? Erklären Sie mir Ihre Meinung oder seien Sie nicht zu stolz, den Mund zu halten! Wir wollen das nämlich nicht mehr hören, dieses


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Negative, das wir ohnehin dauernd hören müssen, diese Verhöhnungen von diesen ekelhaften ungerechten Menschen, den Medienzüchtern, ich meine natürlich: dem Gezücht. Also vermehrt haben die sich inzwischen ganz ordentlich, Respekt! Jeder spricht, jeder darf sprechen, damit die Vermehrung der Stimmen für keine Wahl funktioniert, und nicht nur, weil jetzt auch Sie an ihnen teilnehmen und fleißig Post schicken können in diese ständig vor Wut schäumenden und spuckenden Forunkeln! Achtung, hier wird noch gesprochen! Man spricht gerade, wollen Sie warten? Sie müssen nicht, Sie können auch gleich sprechen, gleichzeitig sogar. Bis die Entzündungen wütender Menschen, wie Flammen angeregt (zum Flammen angeregt?), aus den Schirmen herausschlagen, welche die Flammen doch eigentlich eingrenzen sollten. Immer miteinander schön brav gezüchtet haben die, die Stimmen haben die Medien gezüchtet, nein, die Medien die Stimmen, egal, was sie sagen, egal, wer was sagt, es wird alles gesagt, bis letzten Endes dann Sie, eine echte, richtige Sau, im Flammenschein erscheinen, Entschuldigung, nein, richtig sind Sie nicht, eine normale Person halt, bloß in der praktischen Schweineform sind Sie nun entstanden, äh, ich sehe, es gibt Sie sogar in Form eines Lammes, Christ ist inzwischen erstanden, vorhin erst ist er geboren, und jetzt ist er schon erstanden, ja, der auch, da sind Sie in guter Gesellschaft, erstanden aus der Stimme des Volkes, ein Produkt eines Produktes eines Produktes, um das man erst noch werben wird müssen, doch Markenkleidung trägt es jetzt bereits, allerdings von einer sehr großen Marke, die von allem sehr viel erzeugt, es steht also das ganze gute Volk vor den Spiegeln der Medien, wo es sich dreht und spreizt, aber nur selten ins Bild


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kommt, weil immer andre drankommen. Kommt einem zumindest so vor. Und uns gezüchtigt haben sie jahrzehntelang, diese modernen Tyrannen, und jetzt besitzen ganze Medienfamilien, nein, nicht besitzen, beherrschen ganze Sippen, die wiederum mit versifften Politikern versippt sind, unser schönes Fernsehen, und es gibt Namen, die tauchen schon in der dritten und vierten Generation Terroristen dort auf, und es gibt Namen, die tauchen schon in der vierten und fünften Generation als Konsumenten auf, und es gibt Namen, die tauchen schon in der fünften und sechsten Generation als Politiker auf, nein, das ist übertrieben, so lang denn doch nicht, diese Nichten und Neffen, sonst wären sie früher sehr, sehr böse gewesen, was ich mir gar nicht vorstellen kann (und in der Nacht schlafen sie extra nicht, damit sie für uns tätig sein können, das in der Disco gestern, das war schließlich auch Arbeit für den Politiker in den roten Schuhen, die uns immer schon ein paar Nummern zu groß waren, wie er, nach einem Blick nach unten, wo wir uns aufhielten, meinte, bevor er seine Nummer schob, die dann auch prompt gezogen wurde, in aller Öffentlichkeit, denn er tut nichts, aber schon gar nichts, ohne alle Öffentlichkeit. Er wurde in ihnen beobachtet, den volkstümlichen Beobachtern, und, ganz recht, es war Medienarbeit, was da getan wurde und was bedeutet, daß die Töne nur so aus ihnen herausgeweht, zum Glück aber nicht Volkssturm geworden sind). Bloß weil sie es sagen, was auch immer, all diese Leute, die doch nur auf uns runterschauen (dabei existieren sie nur durch uns!), muß es nicht wahr sein, ich fühle, wie es ihnen Spaß macht, ich sehe, wie es ihnen kommt. Alles lacht sich, im Takt spritzend, einen ab, zu


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Bergwanderungen und Wallfahrten nach Mariazell nicken sie eher beifällig als abfällig. Der eine fährt, der andre geht und gibt damit an, daß er noch gehen kann. Er hat sich die Jungfrau Maria mitsamt ihrem Kind hart erarbeitet, während andere wiederum andere wie z. B. diesen Busfahrer hier vor meinem Mikrophon für sich arbeiten ließen, also gearbeitet hat er woanders, dieser Fahrer, nicht vor dem Mikro, so wichtig war der auch wieder nicht. Das ist so lustig. Immer müssen Sie schimpfen, warum nur, schauen Sie, diese Leute haben soviel Spaß, gewöhnen Sie sich das Schimpfen ab, das ist unterste Liga, aber sogar an die Unterliga können Sie jetzt schreiben, in welche dieser oder jener Oberligaklub jetzt zwangsweise absteigen wird, es dauert nur etwas länger, bis es ankommt, was Sie schreiben, nein, stimmt nicht, alles dauert genau gleich lang, das Elektron kennt keinen Dünkel und keinen Neid. Und Sie müssen aufpassen, daß die Herren von schlechter Herkunft, die sich hinaufgearbeitet haben, denen das alles zugestellt werden soll, Ihnen auf der engen Stiege nicht entgegenkommen, denn die sind nicht nur breit wie eine Tür, sie sind auch noch offen für alles, und es gibt daher alles von allen an alle, also Hackfleisch, das aus Ihnen gemacht werden soll, zum Glück haben endlich auch Sie das dazupassende Gerät, einen Wolf?, um endlich reinzukommen, wo alle anderen bereits bereit sind, längst bereit sind und ausgerechnet auf Sie gewartet haben, das Gerät ist ein Brecheisen, kein Wolf, darf ich Ihnen hier mitteilen, ein Gerät, das Sie aber gar nicht brauchen, um ganz klein zu werden, die Tür, jede Tür steht ja immer sperrangelweit offen. Lichter leuchten, Tasten klappern, und auf dem Gerät, das man sogar herumtragen


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kann und keinen Stecker mehr braucht und auch sonst nichts braucht als Ihr Gehirn, das man nur noch zermahlen und mit Ei versetzen muß, dann spendet es uns vielleicht eine schöne Tierseuche, auf diesem Gerät schreiben Sie jetzt schon wieder, wie gestern und vorgestern auch, und morgen werden Sie das auch tun, das seh ich schon, man muß irgendwie den Saugnapf, mit dem sie dranhängen, deaktivieren, und dann muß man fest anziehen, aber alles hält, alle halten an allem fest, weil sie glauben, es gehört ihnen, aber ja doch, gewiß, Ihre Meinung gehört Ihnen, also ich mache sie ihnen nicht streitig, ich habe meine eigene, die viel schöner ist, glauben Sie etwa, ich will Ihre haben?, nein, nicht einmal am Klo sind Sie noch allein, denn auch dorthin nehmen Sie Ihr Zellularphon mit, in diese Zelle, wo es ab und zu gewaltig rauscht, allerdings nur dort, nicht im Blätterwald, denn die Öffentlichkeit interessiert das nicht, zu Ihrem Bedauern, und Sie versuchen seit Jahrzehnten Ihre Hemmungen, an die Öffentlichkeit zu gehen, zu überwinden, und Sie könnten theoretisch und praktisch jetzt sogar sofort ins Netz damit, falls Sie Zeit haben, und Sie haben immer sofort Zeit, also nie. Sie können sich von mir aus auch Zeit lassen mit dem Schreiben, aber Sie lassen es nicht, Sie können es nicht lassen, warum mach ich es eigentlich noch, da es doch alle machen? Weil es niemanden interessiert. Das ist mir neu und ungewohnt, aber leider wahr, Sie schreiben ja auch, Milliarden schreiben irgendwas, überall, vielleicht ist das der Grund, weshalb inzwischen niemanden interessiert, was ich schreibe, es schreiben ja alle, jeder schreibt seinem Politiker und den anderen auch, und die schreiben in vorgefertigten, für mich


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allerdings zu hohen Absätzen (deshalb kippen sie so oft um!) zurück, warum? Sie schreiben einfach, denn die Politiker, die wir uns erwählten, sie uns aber nicht, sind immer da, und heute sind sie im Chat einmal mehr da, obwohl sie ohnedies dauernd voll da sind, und sie haben alles schlecht gemacht, was wir ihnen gleich sagen werden, und sie machen es immer noch schlechter und werden dafür schlechtgemacht, sogar in diesem Moment, wenn auch nicht von mir, von mir dann im nächsten Moment, und das sagen wir ihnen auch in raschen, allerdings schlecht gezielten Äußerungen, die niemanden treffen, doch die Politiker sagen ja selbst, daß sie betroffen sind, wenn auch nicht über sich, sondern es betrifft andere, sie sagen es uns, was wir über sie zu sagen hätten, und sie schreiben es oder lassen es schreiben, daß die Medien sie gründlich mißverstanden haben, als die Beweise schon auf uns herniederprasselten, aber die waren alle falsch! Jeder sagt etwas. Niemand sagt nichts. Es wird alles gezeigt, doch wir sinds nie, was sie zeigen, wer auch immer, denn wir sind selbst mit Aufzeigen beschäftigt. Doch niemand ruft uns auf. Dafür rufen alle uns an, oder wir rufen alle an. Wir könnten auch dauernd im TV gezeigt werden, werden es aber nicht. Wir werden nicht gezeigt. Wir zeigen uns einander, wir zeigen öfter jemand an, sind aber schon wieder weg, bevor wir uns sehen können wie wir sind. Dabei haben wir so oft gesagt, wie wir sind, wir haben es faktisch diktiert. Wir haben erst gestern dreimal gepostet, doch alles wurde eingezogen, weil wir das Wort Arsch und das Wort Scheiße verwendet haben, aber was sollten wir sonst als Adresse angeben, damit wir eine Antwort bekämen? Jeder an jeden! Das ist neu und aufregend. Kein


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Medium zeigte uns bisher in der Zeit und im Bild, denen werden wir es jetzt aber zeigen! Da kommen sie also eigens zu einer Reportage her, wo das Hochwasser wütet und das Schneetreiben, das die Maste stürzt (die Regierung nicht, für die würde man eine Atombombe brauchen oder den falschen Partner, der kann jeden zermürben, allerdings entsprechend langsamer) und den Haushalten den nötigen Strom entzieht, damit sie sich das anschauen können, da sind sie einmal im Fernsehen und können es nicht sehen! Sie können sie nicht sehen, die Züchter auf den matten Weiden des Bildschirms, wo verkleinerte Figuren sich mühsam voranschleppen, weil sie einem Drehbuch folgen müssen, das jeder in einer Sekunde verstehen würde, und die übrigen Sekunden sind dann völlig zwecklos und vertan, das kann man noch nicht einen Züchtungserfolg nennen, daß man diese deutschen SchauspielerInnen dauernd sehen muß, kaum daß das Hirnkastel sich wieder mal erleuchtet, so wie die ausschauen, aber genauso haben wir sie doch gezüchtet, also beschweren Sie sich nicht! Die wollen doch, daß man sie jeden Tag wiedererkennt. Sie schauen immer genauso aus wie das vorige Mal, so weich, daß man sie gleich erkennt, kein Wunder, es sind ja auch dieselben, daher machen sie es uns leicht wie die Erde selbst. Aber auch andre Menschen machen einem zu schaffen, ich meine die, die man nicht sofort erkennt, die aber ebenfalls absichtlich (ohne Absicht hätte das niemand hingekriegt!) erschaffen wurden, ganz offensichtlich, in einem imaginären Erschaffenburg, denn sie waren noch nicht im Fernsehen, wollen aber zumindest in die Ferne, die wir für sie sein wollen. Ich habe längst den Faden verloren, wie so oft, mache aber tapfer und unbeirrbar weiter, wohin auch immer ich damit


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gelange in diesem Labyrinth aus Lycra, ich fürchte, der Eingang wars nicht, wo ich den Faden vorhin angebunden habe, sonst wär ich doch längst wieder draußen bei Ihnen. Haben Sie etwa meinen Faden mit etwas anderem zu einem Miederhöschen verbunden? Das geht nicht, der ist doch keine Wunde, mit der Sie so was machen können, oder vielleicht doch?, wenn, dann ist er höchstens meine Wunde, die Sie gar nichts angeht, Sie sehen sie auch nicht, denn da ist bereits ein Höschen drüber. Diese Wunde ist nur für meinen Abtritt aus der Welt wirklich wichtig, o je, in welchem Raum, der mir zu klein ist, den muß ich gar nicht erst anprobieren, bin ich da wieder gelandet? Ich gehe jetzt woandershin und aus. Da ist ein Mensch, den kenn ich nicht, also kann er nicht im Fernsehn sein. Da sind mehrere Fremde, glaub ich zumindest. Sie sollen zu uns wollen, die Fremden, die man nicht mit Bild und Ton kannte, bevor sie kamen, um den Tourismus in Gang zu bringen, und ein simpler Knopf genügt da nicht, sie ein- oder auszuschalten. Man will für sie auch etwas erschaffen, da es sie ja schon gibt und sie jetzt irgendwohin müssen, aber sie wollen es nicht, du verwöhnst sie mit allem, was gut und schön und nicht teuer ist, diese Touris umschmeicheln wir, da sie nun einmal da sind, und vom Schönen und nicht Teuren haben wir nun wirklich genug in dieser Stadt, die einst dem Erz gewidmet war (der Stahl wird jetzt den Engländern gewidmet, die haben sich für die Filetstücke, die sie unbedingt brauchen, bereits länger angemeldet), und sehen Sie, die Medien haben bereits genug davon, sie haben auch genug von uns, bevor sie uns überhaupt gekostet haben, und suchen immer nur das Negative, und das berichten sie dann! Dagegen kannst du dich nicht wehren!


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Jahrelang, ich möchte fast sagen jahrzehntelang, werden wir hier durch den Dreck Österreichs gezogen, ja, meinetwegen auch von den Dichtern, nein, von denen werden wir gar nicht beachtet, und fürs Ziehen sind sie zu schwach, naja, für diese Spülung reicht es grad noch, aber die zählen sowieso nicht, außer wenn man sie fest hauen kann, weil sie nicht rechtzeitig abgehauen sind, und ich frage mich, wieso man uns überhaupt noch erkennt, uns Dichter, Sie sehen, ich habe jetzt mühelos die Perspektive gewechselt, wahrscheinlich erkennt man uns an unseren Büchern, aber wie sollen wir was erkennen, da man doch uns und unsere Begabung nicht erkennt?, wieso erkennt man nur die Begabung von dem dort drüben, inzwischen verstorben, aber ich beneide ihn immer noch so sehr, weil man ihn rechtzeitig erkannt hat. Woran wollen Sie mich erkennen? Etwa daran, daß ich alleine den Dreck hier sehe, was, das paßt Ihnen nicht? Was, ich bin gar nicht alleine? Hunderte sehen es, Tausende? Dreck über allem, Scheiße in vielfach gebrauchten Versitzgruben, alles Scheiße, wie gesagt wird, also eine Schmeichelei ist das nicht, du grauenhaftes, abscheuliches Land du, sogar etliche Männer und Frauen aus Helsinki, die sich zu Konföderierten einer Zivilisation zusammengeschlossen haben, der wir nie angehören werden und die uns auf ewig fremd bleiben muß, ermahnen dich schon, anders zu sein und nicht so- und so viele Leute zu foltern, und du bist immer noch so wie du bist, zwischen sieben und neun Uhr früh hat sich absolut nichts an dir geändert, da bin ich mir sicher. Werden wir halt weiter auf die Folter gespannt, was jetzt passieren wird. In einer Stunde oder so werde ich nochmal nachschauen, was mir sehr erleichtert werden wird dadurch,


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daß ich mich gerade im Ausland befinde. Und aufgrund dessen, daß wir alle immer so bleiben wie wir sind und uns von uns nicht wegbewegen können, entsteht erst unser Image: tote Hose. Aber das ist nicht wahr. Das ist eine sehr lebendige Region! Ich sage das und führe Beispiele an, ja, auch Sie, kommen Sie her! Mit Ihnen fange ich gleich an! Die Reaktionen waren sicher vorhanden, daß an die Medien geschrieben worden ist, aber leider erst nachher, vorher wäre ja auch schlecht gegangen, es wäre sowieso schlecht ausgegangen, und auch an dieses zu stark angebratene gebräunte Stück Mensch hier, das dies schreibt, weil es was zu sagen hat, haben wir selbst geschrieben, und zwar besser, ja, wir haben faktisch gefleht: Liebe Freunde, so ist das nicht, machts einmal etwas Vernünftiges über uns, das einmal für uns und nicht gegen uns wirksam ist! Keine Chance. Die sehen immer nur das Schlechte. Ich sehe das anders, aber ich sehe inzwischen leider auch etwas schlechter, denn in meinem ganzen Leben haben die Leute noch nie zwischen den autonomen Entscheidungseinheiten von mir als Frau und den Interaktionen mit andren Menschen, meinen lieben Lesern, meinen lieben Kritikern und der übrigen Umwelt, die auch nicht schön ist, unterscheiden können, dabei waren meine Entscheidungen stets dermaßen autonom, fast schon automatisch, daß ich es nicht einmal zu einem eigenen Auto gebracht habe, ja, sogar vor dem Autofahren habe ich schon Angst, obwohl ich es kann und vor vierzig Jahren eine schwierige Prüfung darüber abgelegt habe, und jetzt kann ich es immer noch nicht bzw. nicht mehr! An mir ist alles verloren, an mich auch, und ich bin auch verloren, naja. Aber mich für meine autonomen Entscheidungen verantwortlich machen und auch noch entscheiden, daß


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sie falsch waren – das hab ich schon gern! Das geht zu weit. Das nehme ich meinen Menschenkritikern ja so bitter übel, das lassen Sie sich, als meine Menschenkritiker, die im Grunde unmenschliche Kritiker sind, die nie den Menschen an mir kritisieren, aber immer die Künstlerin in mir, tief in mir, zum Glück unheimlich tief, sodaß sie in mir nicht heimisch werden konnte, nein, umgekehrt, was weiß denn ich?, das lassen Sie sich also gesagt sein. Und das Umgekehrte lassen Sie sich auch gleich gesagt sein, wenn Sie schon da sind! Greifen Sie zum Gerät und sagen Sie oder lassen Sie es sich gesagt sein, das kommt auf dasselbe raus! Sie und kein andrer, liebe Mitmenschen, sind dafür verantwortlich, wenn ich eine Abfolge von Entscheidungen traf, die für mich persönlich gar nicht gut waren, dafür aber wahrscheinlich für Sie, ich wüßte nicht wie, so, jetzt ist mir die blöde Axt zerbrochen, das haben allein Sie zu verantworten, diese Entscheidungen waren doch mein Abfall von allem und jedem, und wer will schon Abfall sein, wenn er nicht muß? Wer will schon in die Tonne, bevor er eh in die Kiste muß? Jetzt kann ich nicht mehr zurück. Einst habe ich einem Freund ein Foto gezeigt, auf dem einige meiner Freundinnen (ich habe derzeit nicht mehr viele und auch nicht mehr viel drauf) drauf waren, auf dem Foto, und er hat so eine Blonde, die wirklich fesch war, autonomer als ich und automatischer als ich und spontaner als ich und was weiß ich noch, wenn auch nicht als ich, dieser Freund also, der sie nicht alle hatte, hat die Blonde also als die Hübscheste auf dem Bilde bezeichnet, aber was er nicht wußte war, daß sie zu klein war, um ein Model zu werden, und erst da, als er das gesagt hatte, war ich über diesen Menschen im Bilde, und


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noch heute, mehr als vierzig Jahre später, kaue ich dran, daß der Trottel nicht mich gewählt hat auf diesem Foto, obwohl eigentlich ich die richtigen Maße gehabt hätte, gelt, Sie verstehn mich? Der Neid spricht aus mir, der pure Neid! Ihnen ist es oft genauso gegangen, und das sagen Sie auch noch? Sehen Sie, genau deswegen war er ein Trottel, weil er nicht mich ausgewählt, sondern mich deutlich zurückgesetzt hat in der Schule des Lebens, dabei bin ich kurzsichtig und gehöre eigentlich ganz nach vorn, und seither, die ganze Zeit, in der ich nicht gewählt worden bin, bin auch ich seiner Meinung: So ein Mensch wie ich sollte nicht gewählt werden, egal wofür, und er soll in Zukunft und in der Gegenwart nicht leben können, und er kann es ja auch nicht. Trotzdem lebe ich weiter, aus Trotz, einfach so vor mich hin, und irgendwas zu suchen, das ist mein Sinn, wenn auch sinnlos, ach, wenn ich nur wüßte, was ich suche, dann hätte mein Leben einen Sinn, und ich müßte nicht immer so neidisch sein, lassen Sie sich das gesagt sein –  bloß weil Sie mich nicht sehen, lebe ich trotzdem, denn ich persönlich habe eine persönliche Meinung, die Sie gar nicht kennen können, außer Sie fragen mich und ich schreibe sie Ihnen hier ausdrücklich auf, das würde ich ja auch gern tun, wenn ich mich bloß richtig ausdrücken könnte, danke, ich weiß selber, daß ich es nicht kann!, was ist das, was ich da tue, auch wenn ich sie dauernd irgendwo hinschreibe, ist das etwa meine eigene Meinung? Die kann es nicht sein, denn die ist mir gestohlen worden und kann auch Ihnen gestohlen bleiben, das Resultat ist: ich habe keine, egal welche – also wie die wieder ausschaut, und eine Meinung ist das auch nicht! Keiner würde die bewirten, da kann ich mich gewählt ausdrücken


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soviel ich will, was freilich noch nicht der alleinige Grund ist, weshalb ich existiere, obwohl ich schon mehrfach beweisen konnte, daß ich Leidartikel herstellen kann – naja, soviel Leid muß auch wieder nicht sein, doch, es muß sein! – ohne selber sterben zu müssen, zumindest nicht sofort.  Es ist meine eigene autonome Entscheidung, daß ich noch lebe, ich kann das auch jederzeit wieder beenden, drohe ich Ihnen, und zwar ausnahmsweise einmal, ohne Sie zu beleidigen oder zu belästigen, aber mein Dasein werde ich nicht ausgerechnet dann beenden oder auch nur ein wenig einschränken, wenn Sie das wollen, nämlich zu den Österreichfeiern in der Europäischen Zentralbank, bei denen ich nicht vorkommen soll, wie der Herr Generalgouverneur dieser kleinen Insel persönlich meinte, sondern ich beende mich selbst erst dann, wenn ich persönlich es will! So. Denn wir sind doch schließlich zwei Stück unterschiedliche Personen mit unterschiedlicher Strahlkraft, und der Mr. Governor (oder wie man ihn nennt) ist selber oft genug vom Licht des Fernsehers erhellt, dennoch genügt ihm das nicht, er will auch noch mein kleines Licht, er will sich meine Tranfunsel ins Gesicht halten, damit auch noch die Kakerlaken und Silberfischchen ihn sehen können, aber mir gönnt er es nicht, von andren gesehen zu werden, er würde es mir nicht einmal gönnen, wenn er dabei wäre und mit seinem Lächeln neben Würdenträgern, denen er ihre Würde dauernd nachtragen muß, herumtänzeln dürfte. So, jetzt hat er es gekriegt. Und was habe ich davon? Nichts. Bitte, er hat aber auch nichts davon, immerhin. Brigitte, eine Frau, ähnlich mir, nein, ähnlich sieht sie mir nicht, aber sie hat ein Wesen, das meinem nicht unähnlich ist (deswegen habe ich sie schließlich erfunden,


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danke, es war nicht sehr schwierig, und sie macht mir alle Ehre, das heißt, sie macht überhaupt nichts, genau wie ich, sie kann doch nicht mehr machen als ich!, bis jetzt tut sie nichts und tut sich nichts, es tut sich nichts, nicht sie tut sich nichts an, sich etwas anzutun macht auch zuviel Arbeit), Brigitte K. macht sich schön, so schön, schön war die Zeit, als sie noch schön war (versuche das ja auch andauernd, und was bringt es mir, da mich doch keiner sieht und sehen soll? Mir bringt es eine neue Lidschattenpalette, gestern erst ofenfrisch beim Hertie gekauft, die haben eine riesige Parfümerieabteilung, eine Palette mit so wunderschönen Farben, mit der ich aber auch keine Plakette für gutes und gepflegtes Aussehen mehr gewinnen würde, keine mehr, aber auch keine weniger, ich habe versucht, meinen Abstieg für einen Nachmittag wenigstens zu stoppen, länger wird es nicht anhalten, das weiß ich selber). Brigitte macht sich nicht schön für einen bestimmten Mann, der so und so heißt, wie ich einst schrieb, sondern sie macht sich so schön, wie sie es eben versteht, und zwar zwangsweise für sich selbst, das stört doch keinen, und sonst ist ja keiner mehr anwesend, der einen Blick richten, einen Blick riskieren würde, um eine Abrechnung vorzunehmen. Keiner mehr, der noch nicht verwest ist. Aua! Aber angewest kann er doch nicht sein. Die übrigen Menschen sind als fehlend bereits gemeldet. Ich habe lange angestrebt, daß die Frau in erster Linie für sich selbst da sein soll, aber wenn sonst keiner da ist, macht das auch keinen Spaß, dieses An-und-für-Sich macht keinen Spaß, und zwar deshalb nicht, weil man in der inneren Sphäre verlassen ist, und die ist ja schon die Verlassenheit selbst, man ist also eine kümmerliche


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Verlassenschaft in der Verlassenheit, die grade nur ein In-Sein ist, nein, kein In-Sein (diesmal weiß ich nicht nur nicht, wie ich das sagen soll, diesmal weiß ich auch nicht, wie ich es schreiben soll), bleiben wir beim Sichaufhalten, das wird demnach gewährt, wenns nach mir geht, meine ich, und wenn man bei einer Sache konsequent bleibt, wie Brigitte bei ihrer Geige, die sie ihr Leben lang so treu begleitete, im Gegensatz zu ihrem Exmann, manchmal sogar mit Begleitung des Klaviers oder eines kleinen Orchesters, kurz, nein lang: Ihr Sichaufhalten bei dieser leicht zu erkennenden Sache (ich habe sie bereits beschrieben, die Geigengeschichte, bei mir ist heute noch der linke Unterkieferknochen etwas eingedellt von ihr) ist nicht etwa das Verlassenhaben der inneren Sphäre dieser Frau, sodaß das Dasein gewissermaßen aus seiner Sphäre hinausspringt, nicht wahr?, wie der Zug aus den Schienen und der Reifen von der Felge, nicht wahr? (nein, auch zu blöd, ich meine, wie das neue Auto aus den verfetteten Fahrspuren springen möchte, die es zuerst ausgiebig eingeregnet und dann wieder ausgetrocknet hat, also das Wetter, der Regen, und aus dem Nichts ist dann so eine Rinne entstanden, die schaut nach nichts aus, aber aus der kommen Sie jetzt nicht mehr raus), und dann nicht mehr in ihr, dieser Sphäre, sondern nur noch als Gegenstand vorkommt. Soda. Sodala. Brigitte, mein altes Ego, ist also in und auf der Welt, aber sie erkennt sie nicht, und sie erkennt sie schon gar nicht als Welt, und sie erkennt sie auch nicht wieder, denn dazu müßte sie sie ja zuvor mindestens einmal gekannt oder zumindest gesehen haben. Diese Welt ist nicht ihre, welche dann? Das würde mich schon interessieren, aber damit könnte ich schon wieder was ganz andres


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meinen, eine andre Welt, in die ich mich doch nie hineintrauen würde, ach, das wird mir jetzt zu blöd und Ihnen gewiß auch schon längst. Das, was Brigitte ist, ist nicht schöner als ich es bin, sowas könnte ich auch nicht zulassen, seit ich einst als Halbwüchsige (schönes Wort, aber ich war damals schon fast ausgewachsen!) mit meinem Aussehen gehänselt wurde, diese Kränkung sitzt tief, aber seither wurde ich so oft wegen meiner Ansichten, aber nicht nur, entsetzlich gedemütigt, daß es inzwischen völlig wurscht ist. Nicht einmal die Rede darf von jemand sein, der schöner wäre als ich, das heißt, jeder spricht von etwas anderem, sogar wenn er von sich selbst spricht, und das kann jeder am besten, ach, ich habe mich schon wieder verirrt, und dabei habe ich mich vor knapp zehn Zeilen doch schon einmal verirrt, wenn das so weitergeht, gehe ich endgültig in die Irre, wohin ich eh gehöre, die hat ein ganzes eigenes Haus dafür; und alle sagen ja, ich irre mich, egal, was ich sage, ich wollte sagen, daß eigentlich von allen Menschen die Rede sein müßte wie bei jenen Kollegen, die Interessantes, Abwechslungsreiches aus der Menschenwelt zu berichten und zu erzählen haben, an der ich nicht teilhabe, was soll ich also sagen, bitte, ich lese das gern, aber dort sein möchte ich nicht und erleben möchte ich dort auch nichts. Andere verstehen es nicht, sich schön zu machen, und sie verstehen Frauen auch nicht, die sich gern noch schöner machen wollen, bevor sie sich für den Modellier- äh, Modelwettbewerb anmelden, weil das immer gut ankommt, wie Brigitte, die nie ankommt, schon gar nicht gut, sie wüßte auch nicht wo, aber daß sie schön sein sollen, diese Frauen, das wollen sie schon, ich meine, das wissen sie schon,


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wenn sie überhaupt etwas wissen, und sie beneiden alle, die schöner sind als sie selbst, und sie begegnen ihr, Brigitte (und andren wie ihr), leider mit Verständnislosigkeit, schade. Vielleicht hätten sie einander etwas zu erzählen gehabt, bevor der Modelwettbewerb die eine ausspie und die andre wegen ihres Gewichts – und die Masse ist doch alles, was sie hat. Die braucht sie für ihre Maße, bitte um Entschuldigung, diesen Buchstaben gibt es gar nicht, vergessen Sie ihn, Sie wissen schon, welchen! – gar nicht erst zuließ, ja, die sind streng zu den Menschen, so streng, wie die Menschen eigentlich zu sich selbst sein sollten. Hier, wo es nur Sinn hat, die Sinne im Fernsehen zu schärfen, wo die ganz scharfen Frauen auftreten dürfen, die sogar singen können, hier ist man landschaftlichere, natürlichere Gesichter gewöhnt als das Antlitz Brigittes, das kein menschlicheres ist als andre, die in die Kirche zum Mütterkreis, zum Kinderkreis oder zum Großmütterkreis oder zum Gebärmutterkreis oder bereits zum Vorgebärkreis oder zum Todes-Vorbereitungskurs, denn dorthin steuert jeder Kurs, gehen, aus dem sie dann nicht mehr ausbrechen können, und den sie daher aufsuchen, auch wenn sie längst keine Mütter mehr (oder noch keine) sind und noch nicht beinahe tot sind und die Kinder in Graz Telefonmonteure sind (beim Telefon nehme  sie immer nur die Schlechtesten ihres Lehr-Jahrgangs, dort haben vielleicht auch Sie Ihre einzige und letzte Chance, probieren Sie es doch, Anreize werden Ihnen geboten werden, die Ihre Reizlosigkeit komplett überdecken werden!), wo waren wir, bei Kindern, die keine Kinder mehr sind und Großmütterlein, die dann tot sein werden, die haben wir alle auch im Angebot; aber Mutter bleibt


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man immer, und auch der Sozialismus erhebt keinen Anspruch mehr auf ein menschliches Antlitz, er hat schon eins ergattert, wenn auch am letzten Drücker, zum Schlußverkauf, und jetzt ist er halt kein Sozialismus mehr, das hätte ich ihm vorher sagen können, da kann man nichts machen, die Totenmaske hat man ihm zuvor noch abgenommen, zum Glück, wer erinnert sich noch?, wer würde sich noch erinnern?, die haben damals doch uns immer so beneidet, oder doch, er ist es, der Sozialismus, hast du den gesehn? Das ist der Sozialismus, wie manche ihn einst kannten, na, der hat sich aber verändert!, also man kann ihn nicht mehr erkennen, weil er ein andres Gesicht hat, mittels Gesichtschirurgie, die kann sich heute fast jeder leisten, ein paar Kissen gehen überall noch in den Körper rein, damit wir weicher liegen, besser ankommen und besser ausschauen und besser schlafen, immer auf uns selbst, und das Soziale wie das Sozialistische, das noch fanatischer wäre, ließe man es gewähren, doch diese Währung wurde nie erfunden, ist eine längst vergangene Spiegelung in einem Glas, hinter dem es leider nicht sehr helle ist, aber hell genug, daß man immerhin merkt, daß man kaum etwas sehen kann, wenn man reinschaut, er hat keine Ansprüche mehr zu stellen, der Sozialismus, nicht einmal an uns, die wir geduldig sind und noch tausend Jahre auf ihn warten können. Der Sozialismus braucht nichts mehr, auch unser Warten nicht, denn das Antlitz, das er im Spiegel sieht, ist zu undeutlich geworden, man sieht ja nicht einmal mehr, ob es überhaupt einem Menschen gehört, da lohnt sich keine Schminke mehr, damit man besser aussieht und um die Narben von der Operation, ja, auch die von der Fettabsaugung an den Schenkeln, zu verdecken, wohin sollte man sie auch


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schmieren, diese freundlich getönte Paste, die nichts als kaschieren soll, mit nichts drunter, was man überdecken könnte? Aufs Brot des Nichts? Aufs harte Brot des Niegewesenen? Eine getünchte Leiche, ein renoviertes Grab, in das keiner rein will, das ist er, dieser Sozi, der alte Spezi. Der offene Bewuchs von Brigittes Haar hingegen ist mit schwachem Rot, das seine Ellbogen nicht zu gebrauchen versteht, recht sorgfältig getönt und geschönt – alles eine einzige Fläche aus Farbe! Das ist gar nicht so leicht, denn das Haar zuckt und ruckt unter dem Strich des Einfaltspinsels, der glaubt, er macht es besser, er macht besser, was Gott aus einer seltsamen Laune und schlechter Tagesform heraus graubraun geschaffen und mit der Rundbürste in eine wundersame Form gefönt hat, die in der Natur so gar nicht vorgesehen ist. Das sagte ich vor vielen Jahren, allerdings über eine andre Frau, aber es gilt heute noch genauso, weil wir eben alle Frauen sind und einander kennen, wenn auch zum Glück nicht mehr persönlich, das ist vorbei, diese Verbundenheit, die einst war, sie ist nicht mehr herstellbar, seit man Frauen in Fabriken herstellen kann, damit sie andre Frauen in den Fabriken der Jugend und der Schönheit notfalls mit dem Messer und dem Pfeilgift von schon von Natur aus giftigen Eingeborenen (sie sagen, ich sei auch so eine! Gift, wo ist mein Stachel, ich meine Stachel, wo ist dein Gift?) wiederherstellen, bis die alle miteinander ihre Geschlechts-Krankheit vergessen haben und ganz straff und endlich wieder gesund sind und sofort wieder andere beneiden können. Ich bringe die größte Sympathie diesem mit Farbe durchgekneteten Haar-Bewuchs Brigittes entgegen, ich töne ja selber, ich töne alles, was Sie mir hinhalten,


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ja, gern auch Eier oder das Erz von Böhler-Uddeholm, das derweil noch uns gehört; wäre er natürlich, er könnte mir nicht besser gefallen als so, wie er jetzt ist, dieser weiche Menschenbewuchs. Und was sehe ich hier: Ich bin bereits bestätigt worden, und zwar von Fachleuten, die mich sonst nur selten bestätigen (leider, dabei würde ich mir das ja so wünschen!), denn es ist erwiesen, daß die Menschen die allergrößte Freude von allen Freuden empfinden, wenn sie sich unversehens (also sehen sollten sie es schon! Es soll kein Versehen sein, daß sie in eine solche Landschaft geraten sind, aber so ein Versehen kann oft gut enden, in absoluter Schönheit) offenem Baumbewuchs auf wiesenartigem Gelände nähern, das nennt man dann Naturnähe, und es stimmt, denn man kommt dort der Natur grade nur so weit in die Nähe, daß die nicht zurückbeißen kann. Das wäre zwar natürlich, eine natürliche Reaktion, aber brauchen tun wir sie trotzdem nicht, wir haben uns neue Wanderhosen gekauft, so hautenge, in Weiß, ein Gedicht, sag ich Ihnen, aber keins von mir. Zu künstlich. Wenn ich allerdings bedenke, welche Strecken allein ein ordinärer Blitz zurücklegen kann! Da kann man sich von der Natur, in der einen sowas trifft, gar nicht weit genug entfernt halten. Weiter ginge es nicht, sonst träte man dem Nichts auf die Zehen. Man käme im Prinzip zwar noch ein kleines Stück näher ran ans Natürliche, aber man sollte diesem gelben gefliesten Pfad (follow the yellow brick road?) lieber doch nicht weiter folgen, sondern den Anweisungen auf dem Plakat, das besagt, man solle die Wege nicht verlassen, welche von des Menschen Hand markiert wurden, damit diese Gebote eingehalten werden. Sonst kommt noch jemand vorbei und schmeißt uns zwei steinerne


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Tafeln auf den Kopf. Darauf stehen wir gar nicht, da steht was andres drauf. Da ist es schon besser, den Ratschlägen eines Merkzettels Folge zu leisten, denn dieser Zettel ist angenagelt, der führt uns nicht in die Irre. Vorsicht! Lawinengefahr! Dabei sollte der ältere Mensch, der dem Erdloch relativ nahe ist, doch mit der Natur schon auf du und du sein, damit er sich dann auch nett mit der Erde unterhalten kann, wenn er endlich in ihr drinnen ist, mit ihr im Abteil, und mit den Würmern, den Maden von Fliegen ebenfalls, die dann seine, des Menschensohns (ja, auch dieser alte Trottel war einmal ein Sohn, gelt, Papa?!), Sprache sprechen werden, tja, in der Natur spricht eben jeder seine eigene Sprache, egal welche, wir hören sie immer gern, aber verstehn tun wir sie nie. Diese Annäherung an die Natur kann in kleinen Schritten, die naturgemäß immer kleiner werden, stattfinden, wenn alle technischen Elemente eliminiert sind aus der Landschaft, und was sagt uns das? Es sagt, daß wir Kulturlandschaften eben doch letztlich, und recht haben wir!, und zwar ausdrücklich solche mit kleinräumigem Wechsel zwischen offener Landschaft (Wiesen, Weiden, eine Beethoven-Sinfonie, und zwar die folgende, die Pastorale, zweiter Satz, dritter Satz, ach was, egal) und Wäldern, eindeutig einer unberührten Naturlandschaft vorziehen, und zwar von Natur aus. Das Künstliche gefällt uns eben besser, das Künstliche mit grad einem Schuß Natur, die bitte abseits bleiben soll, damit der Schuß nicht uns trifft, und so gefällt uns auch Brigitte mit ihren nach außen hin ein wenig schnittig schmaler gezupften Brauen (ungefähr so wie Rallyestreifen an einem Auto, nur anders), dem etwas idealisierenden, irisierenden, irritierenden blauen


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Lidschatten, der sich, wenn sie beim Geigespielen schwitzt, in der Lidfalte absetzt, und den immer wieder abgezogenen, nachgezogenen und dann versiegelten Lippen – alles dazwischen ist Natur, jedoch mit Puder und Make-up bedeckt, wie normalerweise die Oberschicht, aber die Natur befindet sich noch immer darunter, also Vorsicht beim Abschminken! Nie vergessen! Das Nichts nicht vergessen! Dieser gute Rat ist nicht teuer und kann die Haltbarkeit Ihrer Haut verlängern. Hier steht er ja und wartet schon ewig darauf, abgeholt zu werden. Das gilt besonders für jene, die sich das Leben selbst schon längst abgeschminkt haben! –, so gefällt uns also auch Brigitte besser, als wenn sie nicht Brigitte wäre und daher eine andere. Könnten wir nicht Brigitte durchstreifen, müßten wir einen Wald oder ein Stück Kunst durchstreifen, das so schön ist wie Natur, so wie wir uns Kunst vorstellen: als Wege durch die Wildnis, durch die man aber flaniert, nicht klettert oder herumsumpft. Jedes landschaftliche Gesicht ist anders und interessiert einen, aber noch mehr interessieren einen Menschen, mit denen man gemütlich zusammensitzen und saufen und rauchen kann, was, Letzteres, nicht mehr lange möglich sein wird. So, da hören wir sie schon, die Flügelränder des Todesvogels, der auf dem Zigarettenrauch einhergeschwebt kommt, machen Sie bitte den vorgesehenen Landeplatz frei, wir Gesunden wollen auch was sehen! Brigitte ist ein stiller Mensch, und, was allerdings schwerer wiegt: Sie ist Nichtraucherin, sie braucht sich also nicht eigens abzugewöhnen, was sie nie getan hat, und so hat sie derweil Zeit, unter üppigem Grün dahinzuwandeln und die Gegend für den Tourismus zu verkosten, allerdings macht ihr niemand einen Landeplatz dafür frei, sie ist


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ja schon da und kann zu Hause essen. Wenn auch keine Menschen. Doch irgendetwas an ihrer Erscheinung ist lauter, als es hier sein dürfte, das ist eindeutig eine Diskrepanz zum Kurort, in den dieser Ort umgewandelt werden soll, sie müßte leise sein, doch ihre Erscheinung ist laut, eine Lärmschutzwand hie und da, nein, zu beiden Seiten, könnte da Abhilfe schaffen, ermüdet aber den Fahrer, weil sie das Fahren zu gleichförmig macht, er sieht die Landschaft links und rechts nicht mehr, wo es in baufällige, ich meine ausbaufähige, nein, also so Täler halt, in denen man bauen könnte, hineingeht, aus denen man schuldenbedeckt, ein Rohbauskelett hinterlassend, das die Bank komplett abgenagt hat, wieder in die Mietwohnung zurückkehrt. Und er, der Reisende in seinem geheimen Einverständnis mit sich selbst, daß die, jede Familie ein Eigenheim braucht, sieht die heimatlose Brigitte doch auch nicht, um derentwillen das Ganze veranstaltet wurde. Junge Frauen sehen Brigitte schon überhaupt nicht, fragen Sie Christina S., die es als eine Herausforderung sieht, hier zu wohnen, und zwar ohne daß sie Brigitte K. überhaupt zur Kenntnis nehmen muß. Sie befindet sich derzeit in einem festen Anstellungsverhältnis, weil sie sich so geschickt angestellt hat, daß man sie auf der Stelle nahm, und sie betont mehrfach, daß sie auch im Fall der Arbeitslosigkeit nicht aus diesem Ort fort möchte, obwohl: Zukunft hast fast keine da, sagt meine Interviewpartnerin, naja, das ist die Angabe, aber meine ist sie nicht, ein andrer hat sie befragt, doch dies ist ein unwesentlicher Faktor in meinem Dichterdasein, denn ich lasse immer andere die Dreckarbeit machen. Man muß ja nicht alles selber machen. Wenn sie einen andren Partner findet, geht sie weg, gibt die Frau weiters


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an. Keine Zukunft als Angabe, äh, Vorgabe, für keine. Der harte Kern muß aber durchhalten, sonst sterben wir alle aus, denn es wird dann keine Mütter für die Kinder geben, die den Ort hier bewohnen sollen. Also da kanns wunderschön sein bei uns, bitte kommen Sie und kontrollieren Sie das nach! Stille und Schönheit wollen Sie? Vorhin habe ich Ihnen zwei Kilogramm davon gegeben, es durfte sogar ein bisserl mehr sein, weil Sie mich drum gebeten haben, was haben Sie damit gemacht? Haben Sie das alles etwa schon aufgegessen? Sich ins Haar geschmiert? Daß Sie ganz allgemein Schönheit wollen und schätzen würden, obwohl Sie sie nicht erkennen würden, selbst wenn sie Ihnen schon ins Gesicht schlägt, damit Sie endlich aufwachen, kann ich verstehen, daß Sie aber Stille dazu wollen, ist nicht sehr originell, denn sie ist das einzige, was wir zu bieten haben, das haben Sie doch sicher schon vorher gewußt, bevor sie mich befragten, und wenn wir es schon bieten können, dann kann es nichts Besondres sein. Stille wird gern heraufbeschworen, eine dieser Straßenbaugesellschaften, eine ganz spezielle, über deren Namen wir uns ausschweigen wollen (wir haben sie bereits kennengelernt, wir haben uns ihr vorgestellt, aber ihr war das egal, sie kennt uns nur von unten, von unseren Reifen-Seiten her, und ich habe nur noch reife Seiten, schluchz! Was muß ich ihren Namen nennen, es gibt ja nur die eine Gesellschaft, und wie leicht ist man aus ihr draußen und im Jenseits!), arbeitet noch fleißig daran, still zu sein, mittels Flüsterbetons, sie will aber noch nicht so recht, weil die Stille teuer kommt, und außerdem: Man kann es ohnehin keinem rechtmachen, und ist sie einmal anwesend, die Stille, will man sie sofort wieder weghaben,


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man erträgt sie nicht, man erträgt sie nirgends. Seien Sie dankbar, daß Sie das hier rechtzeitig erfahren und nicht, wenn es zu spät ist und Sie bereits in der Pampa sitzen. Und sogar dort werden Ihnen die Ohren fast abfallen, weil irgendwer so Dings, so Lautsprecher montiert hat. Wieso also teure Lärmschutzwände errichten, wenn die Leute Stille eh nicht ertragen können? Irgendwas stimmt hier nicht. Die Stille muß sofort gestillt werden, wo immer sie aufzutreten versucht, in unserem Laientheater (nur die Straßenbaugesellschaften sind absolute Profis), man steckt ihr einen Knebel in den Mund, und ausgerechnet dann singt sie, in einem Lift, in einem Kaufhaus, auf einem Berggipfel, auf der Piste, an einer Haltestelle, in einer Raststätte, aus den Ohren von jungen Menschen spritzt sie heraus, die müssen irgendwo in sich eine Fabrik dafür haben, keiner hat soviel von etwas wie ein junger Mensch von Musik, er hat nie genug von ihr, jeder seine Musik, jeder nach seinem Geschmack, man möchte glauben, soviel Musik und soviel Geschmack gibt es auf der ganzen Welt nicht, außer, konzentriert, in diesem vielbeworbenen Schokoriegel mit extra viel Vitaminen und noch mehr Kalorien, soviel Musik, wie die sich in die Ohren jagen. Musik. Ja. Aber wir wollen hier die Jugend und ihre zunehmende Fettleibigkeit für nichts verantwortlich machen, im Gegenteil, wir Älteren wollen uns die Verantwortung noch nicht aus den Händen reißen lassen, denn wir haben uns selber eine tolle Anlage für unsre eigene, unsre ganz eigene Musik gekauft, für die wir persönlich leider keinerlei Anlagen besitzen, wir könnten nicht einmal Hänschen klein auf der Blockflöte spielen, und das kann sogar mein Bär aus Plüsch von Steiff, welcher recht erfolgreich


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den Rattenfänger von Hameln darstellt, ja, der ist nett mit seinem kleinen bunten Umhang, ein Glück, daß ich ihn einst fand! Man würde eher noch Blüten, die einen umduften, ertragen als Stille. Man würde einen lautlos nahenden Mörder noch ertragen, bis es zu spät ist und er einen erwischt hat, ohne daß jemand einen letzten Schrei gehört und sich danach gerichtet hätte, es wird hier jetzt immer tiefer, falls Sie Nichtschwimmer sind, ziehen Sie sich bitte aus meinem Bereich sofort zurück!, aber Stille ertragen wir einfach nicht. Und, wenn wir schon dabei sind: Auflagen dulden wir nicht. Wir dulden höchstens Slipeinlagen oder Damenwindeln, diese vorbildlichen Vorlagen für einen ordentlich aufgeräumten Unterleib. Also einerseits ertragen wir Brigitte, weil sie Natur ist, aber nicht ganz, Natur, in die man eingegriffen hat, in die was hineintropft, andrerseits ertragen wir sie nicht, weil sie außerhalb der städtischen Musikschule (und auch dort brüllt sie nie rum, sagen ihre SchülerInnen) still und unauffällig ist, auffällig laut aber mit ihrer Erscheinung spricht, die jedoch niemand versteht, also beschwören wir die wunderbare Stille herauf, wie die Dichter es schon immer gern getan, aber auch nicht oft gehabt haben, dafür haben sie immer zu mehreren zuviel Alkohol oder faulige Äpfel konsumiert, versetzen wir uns in Harmonie mit der Umwelt und uns selbst, zumindest zu 45 %, falls die Äpfel zufällig destilliert waren, bis uns die Flammen aus der Esse, ich meine aus der Fresse schlagen, versetzen wir uns, ich meine: setzen wir uns um, und dann schauen wir uns diese Geigenlehrerin noch einmal, noch einmal von vielen öden Malen, an: Sie entspricht ziemlich genau unseren Vorstellungen, wie man nicht sein möchte: einsam und


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still, außer beim Spiel, wo sie aufwacht und zur Völle, zur Fälligkeit erblüht, denn sie ist ja längst fällig gewesen, aber zufriedengeben tun wir uns nicht damit, daß wir nicht sie sind, und mögen tun wir sie auch nicht, soviel kann ich Ihnen schon jetzt verraten. So jemand wollen wir nicht, und mehr ist darüber nicht zu sagen. Und genau deshalb sind wir auch nicht wie sie, weil wir solche wie sie nicht mögen. Und wären wir wie sie, wären wir unerwünscht, in unserer Nähe zumindest, aber dann wären wir ja auch dauernd in unserer eigenen Nähe, eine unerträgliche Vorstellung, lieber gehen wir Brigitte aus dem Weg. Wir können sie ja nicht umbringen, oder sollen wir es versuchen? Niemand mag sie im Grunde, den niemand kennt. Warum? Ich weiß es nicht. Ich wüßte es gern. Ich weiß ja auch nicht, warum man mich nicht mag, aber ich wüßte es gern. Das ist jetzt ein wichtiger Punkt, wenn auch nur für mich, Sie können weiterlesen, ich muß leider bleiben, wo ich bin. Durchstreifen Sie stattdessen meine (oder meinetwegen Brigittes, obwohl ich Konkurrenz schlecht vertrage, da kommt gleich wieder dieser dumme Neid auf) doch halbwegs attraktive, wenn auch durch Alter ziemlich ramponierte Gegend, Sie werden sehen: So schlimm ist es gar nicht! Sie haben es überlebt, ich gratuliere! Auch Sie werden alt oder sind es gar schon. Es können sich immer, wie bei Brigitte, die ein altes, abgelegtes Ego von mir ist, die ich auch schon ziemlich, nein: unziemlich alt bin, überraschende Perspektiven eröffnen, zum Beispiel, daß ich nicht schwimmen kann. Brigitte kann es prinzipiell schon, wenn auch nicht gut, aber wir haben hier leider kein Hallenbad, man muß mit seinem kleinen Japaner (ein flinkes Auto, Respekt!) also bis in den Nachbarort


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fahren, wo der Fremdenverkehr bereits gesprossen ist oder zumindest geknospt hat, und dort schwimmen gehen und vielleicht etwas durchsaunieren den Körper, bis er endlich gar ist, damit er sich gegen all diese  Demütigungen besser abhärten kann und gleichzeitig genießbarer wird, wenn das forschende, doch forsche Interesse der Männer über einen suchend hinwegeilt, aber uns ältere Damen sucht es nicht, auch ich kann mich keinem schenken, ach!, keiner versucht, mich zu nehmen, ich bin zwar kein unbesehenes Gratisblatt, aber zu teuer wäre ich auch nicht, doch es ist alles umsonst, weil keiner mich auch nur geschenkt nehmen würde, was wollte ich gleich sagen, nein, gleich nicht, aber doch? Ach ja, die Menschen lieben es einfach, in die Sauna zu gehen, um an fremden Körpern, und zwar genau an den Genitalien, herumzuschnüffeln und dabei immer neues Bauland zu entdecken, und wenn die Fremdkörper Mönchen und/oder Bischofsvikaren gehören, umso besser, doch es ist ihnen ganz egal, wem sie gehören, sie schnüffeln aneinander, als wären sie Klebstoff und kämen nicht mehr voneinander los, nein und noch einmal nein, ohne einen einzigen flüchtigen Blick flüchtet niemand vor nackten siedenden Körpern, die aufeinander auch schon ganz heiß sind. Und dann marsch in den Seniorenturnverein! Nein, besser vorher! Wir wollen sie uns also mal anschauen gehen, die vielen Körper, die ihren eigenen Verfall entlanglaufen, um ihn eventuell noch zu überholen und sich dann nach ihrem Verfall umzudrehen, ihm eine lange Nase zu drehen, wir sind vielleicht noch jung, vielleicht können wir noch als jung durchgehen, vielleicht finden wir dabei ein Haus, dessen Leerstand nicht nachbesetzt werden kann, und dorthin setzen wir uns eine Weile, dort setzen wir uns dann gemütlich


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hinein und warten, denn das Gehen wird einem anderen Menschen dereinst sicher wehe tun, weil die Anwesenheit zuvor so wohlgetan hat, doch zum Flüchten besteht derzeit gar keine Ursache, vielen Dank, daß Sie gekommen sind! Ich habe zwar nicht viel gespürt, aber es war schön, Sie einmal aus der Nähe zu sehen, auch wenn Ihr Körper eine etwas barsche Art sich mitzuteilen hat. Ich sehe, der weibliche Körper verfolgt einen nicht jedes Mal, wenn man ihn bewohnt, aber die Miete nicht gezahlt hat. Er bleibt, wie jedes gemütliche alte Haus, üblicherweise dort, wo man ihn hingelegt hat und dann manchmal nicht mehr findet. Er findet dafür oft eine andre, lohnendere Aufgabe (Kinder sind wichtig, Kinder sind das wichtigste, das wir haben! Wer sollte sonst für uns bezahlen?), und man hat oft sogar ein paar Körper übrig, die man in diese Zeitschrift und in diese dort auch, die ich noch gar nicht kannte, sieh an, sieh an!, hineinstopfen kann, die und die dort auch gehören schon fast zum Luxussegment, daher finde ich sie bei meinem Zahnarzt nicht, der hat nur die Schrecken der Parodontose und der Karies zu verbreiten, diese Zeitschriften und ihre Nachrichten sind gratis, und das sieht man ihnen auch an, vielen Dank, aber wieso schauen dann Sie nicht so aus? Hier in der Sauna kann ich ganz genau sehen, daß Sie diesem Bild nicht entsprechen und diesem dort schon gar nicht, vielleicht einmal, als Sie jünger waren, aber das sind Sie jetzt nicht mehr, jedenfalls nicht mehr als zuvor, da Sie es auch schon nicht waren, Sie waren es nie, wir haben das Haltesignal vor Ihrem Gesicht und Ihrem Geschlecht sehr wohl gesehen und auch längst verstanden, man sieht Ihnen an, daß Sie selbst es mittlerweile endlich auch deuten können,


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das Signal, das auf Halt steht, rotes Licht, und da stehen Sie trotzdem daneben, obwohl Sie ordnungsgemäß angehalten haben, doch für wen? Einen so großen Teil Ihres Lebens haben Sie in Ihren Körper gesteckt, und jetzt funktioniert der immer noch nicht, nein, gesteckt haben Sie nichts, sagen wir: Sie haben Ihren Körper bezüglich seines Alters so lange reingelegt, und jetzt wollen Sie ihn aufgeben? Nein! Aber Sie müssen! Hier wartet man, bis das ganze Körperhaus leer ist, dann wartet man, bis das ganze Haus um den Körper herum leer ist, um Körper und Haus oder beides in einem gegebenenfalls aufzugeben, nein, nicht aufzugeben, der Nationalbank zu übergeben, falls es noch altes Geld ist, welches unter diesem Tischtuch oder jener Tagesdecke versteckt war, etwas, das keiner mehr nimmt, und ja, doch: aufzugeben und sich gegebenenfalls hinzugeben oder es gegebenenfalls abzureißen, das Körperhäusel. Das wird noch variiert werden, nehmen Sie sich bitte später ein wenig Zeit, die ist das einzige, was ich persönlich noch habe, denn ich tue nichts und mir wird nichts angetan, und so werden Sie immer dasselbe in immer denselben Worten, nur anders zusammengesetzt (wie beim Legobaukasten, und ich höre, die in Dänemark, wo die kleinsten Häuser der Welt herkommen, haben schon Lieferschwierigkeiten, und das vor Weihnachten! Was wir grade derzeit haben oder schon wieder nicht mehr, diese stille Zeit, die stillste Zeit im Jahr, wie man sagt, sie wollen sich in Dänemark, wo es noch viel stiller ist, auf zusammensteckbare Lego-Legebatterien, um ihrem eigenen Namen zu entsprechen, spezialisieren, Sie können aber auch einen Bauernhof oder einen Flughafen bauen) hier immer wieder lesen können, freuen Sie sich, denn Sie müssen nicht, und


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es kostet Sie nichts. Auch dies hier ist eine Gratiszeitschrift, bitte, nichts zu danken. Sie können die Lektüre unbesorgt abbrechen, wie ich mein Leben abgebrochen habe, kracks, und schon waren da zwei Teile anstatt des schicken Einteilers von früher, ohne daß ich doppelt hätte leben dürfen, und jetzt werde ich immer mehr und gleichzeitig immer weniger, das ist ein interessanter Vorgang. Mein Gott, ich bin so verbittert, so zornig, so neidisch, schrecklich, das müßte ich doch gar nicht sein, ich habe es mir ja freiwillig ausgesucht, nicht zu existieren, aber wenn man mich zwischen Buchdeckel pressen würde, könnte man mein Blut herausspritzen sehen wie bei der Entenpresse, deswegen lasse ich das ja auch nicht zu, aber bitte, schneiden bzw. stechen Sie mich nicht auch noch, Frau S.!, obwohl ich Sie schneide und zu stechen zumindest versuche, was Sie aber garantiert nicht spüren werden, denn Sie haben eine mächtige Institution hinter sich, die weit über Ihre Grenzen hinaus ausstrahlt, und obwohl Sie zu glauben scheinen, daß ich Ihretwegen nicht bluten würde, tun Sie jetzt bitte nicht, was immer Sie an Gewalttaten gegen mich vorhaben, ich hasse Sie auch so schon genug, auch wenn Sie nur im Bett liegenbleiben und Ihren Kindern den Mund erlauben, denn verbieten würden sie ihnen nie etwas, verbieten möchten Sie nur mir etwas, keine Ahnung, was, ach so, Sie wollen mir mein eigenes Wort abschneiden, womit denn? Aber das brauchen Sie doch, um es mir verbieten zu können! Vielleicht wäre Erdkunde ein Metier, das zu Ihnen passen würde? Mir wärs recht, denn ich hab eh keinen Platz auf der Welt, keinen, den Sie finden könnten jedenfalls. Hier, die Stadt, bei der wir waren, aber nicht bleiben zu


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können scheinen, schauen Sie, die versucht mal was andres, als sich aufzuplustern (wie Sie das immer machen, Frau S. oder Frau K. oder wie Sie heißen, jaja, ich weiß, Sie haben angewandte Literatur studiert! Aber Sie sind schon viel weniger gewandt, als Sie glauben, Sie sind nur eine einzige Person, und von Ihrem Gewand möchte ich lieber schweigen, na schön, Ihnen genügts, mir ist schon das zuviel von Ihnen ...), sie tut es, die Stadt, weil sie nicht kaputtgehen möchte, denn die Menschen werden immer weniger, also sollen auch die Häuser weniger werden, na, viel Spaß, da wird es Gegnerschaft für die alternative Nutzung geben, fürchte ich, denn ein Teil dieser Siedlungsbewohner, der früher aus Arbeitern bestand und jetzt aus unwilligen unfreiwilligen Nichtstuern besteht, die keine Arbeit mehr haben und dagegen nichts tun können, wird andre Pläne haben, dieser von der Menschheit abgehackte überflüssige Teil von Menschen (nein, nicht Menschenteil, einen ganzen Teil der Menschheit meine ich!) wird keine alternative Nutzung wollen, sondern die Häuser ganz genauso benutzen wie wir alle sie immer schon benutzt haben. Ich will, daß alles so bleibt wie immer, wie vorher, nichts soll sich ändern, und endlich sehe ich mich mit dieser grauen grauenhaften Tatsache eins mit vielen andren, die das ebenfalls wollen. Vielleicht haben die hier Angst, daß neue Häuser dann sie benutzen könnten, aber bitte, immerhin, das wäre immer noch eine Art Nutzen, oder? Menschliche Nutzflächen sind nur leider häufiger zu finden als der Nutzen, den man aus den Menschen selbst ziehen könnte. Die Autos rasen vorüber, und wir stehen dumm herum, wenn die männliche Entdeckerfreude uns wieder nicht gefunden hat, denn man hat uns auch diesmal mit unserem Anliegen


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nicht ins TV vorgelassen, wir sind bei der Vorausscheidung vorausgeschieden worden, wie dieser arme Sänger in seinem blitzartigen Glitzerkostüm auf kein Zeichen der Öffentlichkeit hin abgerauscht ist, nein, das hätte ich nicht sagen sollen, man wird es mir wieder einmal vorwerfen, es ist eine Wiederholung, und ich werde es trotzdem wieder nicht fressen, es gibt ja auch weibliche Entdeckerfreude, nur wo? Nicht dort, wo ich bin, und ich bin eine Frau, ich müßte es wissen. Und wo soll das überhaupt sein, was die entdecken wollte? Vielleicht ist es ja hier, nein, dort, und ich sehe, es ist noch unentdeckt: Sie hätten mich sehen sollen, als ich neulich diesen hellorangenen Lippenstift entdeckt habe! So eine Freude, also nein wirklich! Mehr Freude kanns gar nicht geben, aber es ist doch eher die männliche Entdeckung, die durch die Frau hindurchfährt wie der Wind durchs Genmaisfeld, rauschend, knisternd, wenn die Beeren oder wie das heißt, nein, die Kolben heiß und reif sind, wenn der Wind also ohne Irritation durch uns Frauen hindurchfährt, die aufgrund von Ältlichkeiten an keiner Haltestelle warten, nein an vielen, denn sie haben meist keinen PKW, und auf die keiner wartet, übermütig wie nicht einmal ein Kind, das außer sich geraten ist und vergessen hat, wo diese neue Wohnsiedlung jetzt steht, wo ist die Landkarte, daß ich dieses Land und sein Leid, das es verursachte, wieder einmal vermessen kann, daß ich vermessen genug sein kann vorzugeben, ich könnte sie lesen, die Karte, die das Land mir einst überreicht hat, damit ich mich in und auf ihm auskenne, aber die stimmt sowieso nicht, verdammt, ziemlich unziemlicher Druck wird ringsherum laut, und das Kind ist dadurch noch mehr von seinen Aufgaben


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abgelenkt, es wird ohnehin einmal auswandern müssen und dann vielleicht gleich noch einmal, es wird nie mehr Halt finden, weil es hier keine Leerstellen mehr gibt, dort aber auch nicht, keine Leerstellen, an die es sich dann später setzen könnte, wo es doch jetzt schon keine gibt, womit ich meine, daß Frauen wie unsereins, die sich krankhaft, krampfhaft noch zu den Jüngeren zählen, dem forschen männlichen Forscherblick kein Hindernis mehr bieten, er gleitet einfach hindurch und er geht einfach so weiter, nichts suchend, doch alles findend für seinen Sinn, für seine Sinnesfreude. Aber die Männer sind ja auch schon weg, und ihren Sinn (den Bergbau) haben sie mitgenommen, und jetzt stehn wir da, bitte, die Frauen sind noch da, aber was sind sie ohne Männer? Sie müssen jetzt ganz alleine voll den Standortnachteil dieser Stadt ausgleichen, den solche Industrieansiedlungen ja oft haben, da der Mensch schließlich zum Berg kam (denn der Berg kam leider nicht zu ihm!). Was soll man denn mit einem Industriestandort anfangen, diesem ersten Eisenabbau weltweit, der kontinuierlich in Betrieb steht, jetzt aber bald wirklich und endgültig steht? Es wird noch produziert, aber das ist nur eine Frage der Zeit, und ich antworte ihr auch diesmal nicht. Versagt der Berg seine Gaben, was er nicht tut, er gibt, wenn auch wenig, was eigentlich normalerweise Jugendliche zu geben hätten (und dieser Berg ist ja schon uralt, der ist ja ein Witz!): von schlechtem Sprit angetriebene Bosheit und unheilbare, reißende Zerstörungssucht, diesmal in Freiluft-Betriebsstätten, wo sich die Menschen austoben können, indem sie andre mit ihren Springerstiefeln, nein, leider nicht Sprinterstiefeln (wären weicher!), gegen den Kopf treten. Schau: Versagt der


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Berg, versagt auch der Mensch, ich meine: Versiegt der Berg, siegt der Mensch auch nicht mehr im Weltcup. Der Mensch ist einfach versaut. Für den Fremdenverkehr ist es jedoch positiv, ich habe schon ausgeführt, daß der Fremde manchmal Stille will, aber nur selten, und diesem Moment, da er sie will, muß man halt erwischen, aber wenn er sie dann hat, die Stille, ist es ihm auch nicht recht, er möchte saufen, auf die Wege kotzen, zur Lieblingsmusik abtanzen, bis ihm der Körper von selber abfällt oder aber abgeschüttelt wird, er möchte einen flotten Skibewerb, bei dem ihm andre Körper gefallen können, nein danach, wenn der Wettbewerb zu Ende ist, danach gefallen ihm schon wieder ganz andre Körper, die er wieder aus irgendeinem dummen Grund nicht haben kann, die er nur irgendwo gesehen hat und nicht mehr vergessen kann, die ihm aber vorgaukeln, zum Rhythmus von Tausenden, Zehntausenden von Watt und mehr als 100 dBA oder so (nehmen Sie noch ein paar mehr, und Sie fliegen zusammen mit Ihren Ohren weg!), ich glaube, das ist das Wort, sein Körper könnte einem andren gefallen, unter beträchtlicher Lärmentwicklung an einem Ort wie Ischgl, wo Paris bereits war, nicht die Stadt, sondern ein goldenes, zufällig gleichnamiges Wesen, und für dieses Wesen würden sich manche zerreißen lassen, nur können sie sich das Gold nicht von ihr herunterkratzen und behalten, es geht von der Prosecco-Dose nicht ab, auch wenn sie sich noch so sehr an sie ranschmeißen und anschmiegen, an Paris, nicht an die Dose, ihre Schulter berühren, ihr Kleid betasten, ihre zartschlaffe Hand drücken. Aber sie können von ihr diese goldene Dose kaufen, von der diese Bäris, wie wir sie nennen, ganz besonders begeistert ist. Das sieht man ihr auch an. So ein Spaß!


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Ach, wie ich wünschte, diese Dose wenigstens gewesen zu sein! Und ihr süßer Inhalt erst, mmmhm! Sie versuchen, Paris zu umarmen (sollte nicht ein andrer Paris eher sie umarmen, Moment, ich sehe, er tut es gerade, die Fotografen sind schon da, um es festzuhalten!, und ihr ein Glas Apfelsaft geben, damit sie dann Prosecco draufschütten kann?), was sie gutmütig duldet, dieses Umarmen, denn man soll doch unbedingt diese Dose kaufen. Egal. Die menschliche Berührung ist immer ein Wunder, wenn sie zustandekommt, und diese junge Frau, dieses goldene göttliche Wesen, ist die Güte selbst, und für die Güte ihres Produkts, das sie bewirbt, garantiert sie. Man soll endlich diese Dose kaufen. Nein, geschenkt kriegen Sie sie nicht. Sowas hatten wir ursprünglich nicht vor, als wir die Dose erschufen. Das ist doch immerhin wunderbar, daß man sie kaufen kann! Mehr sage ich nicht, mehr sagt immer ein andrer, der nicht mein Ich ist, aber gut, mein Ich wollen Sie ja nicht. Doch es genügt. Es ist demnach eine Lüge, daß der Fremdenverkehr auch Stille sucht. Im Gegenteil. Die Komponenten von Musik sollen in seine Gefühle einfließen und alles wegreißen, auch solche, die auf der Straße nur einfach hin- und hergehen wollten. Bitte, er mag sie suchen, der Gast die Stille, aber er will sie dann, wie schon gesagt, doch nicht, um keinen Preis will er sie, na ja, vielleicht wenn er sie billiger kriegen könnte, würde er sie schon wollen, doch diese Stille ist unserem Gast dann sicher zu laut oder zu leise, und er schmeißt sie für irgendeinen Song sofort wieder weg, und käme er von einem dicken Kind mit Kulleraugen, das leider nicht sprechen kann, dafür kann es aber sehr schön singen, und wie!, und wie laut!, dieses


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Kind, das den Star-Contest gewonnen hat, dafür schmeißen wir unsere mühsam errungene Stille sofort wieder weg, denn es muß dem Gast etwas geboten werden, das er in seinem Bereich nicht hätte, wo der Bereichsleiter regiert, und das ist immer ein andrer, was man heute aber nicht mehr als Entfremdung bezeichnen darf, weil heute das Ich eh immer ein andrer ist, ein sehr erwünschter Vorgang, denn wer will schon sein, was er ist, sonst würde ja keiner glauben, was da steht, sonst hieße es ja im Prospekt nicht Verkehr und fremd, sondern Stille, Schweigen, Punkt, aus. Wir sind nicht am Hauptstrang der Kabel zur Verstärkeranlage, wir sind am Nebenstrang, doch auch wir können ordentlich Krach schlagen, bis uns selbst die Stimme fehlt, wenn man uns nicht richtig darstellt im ORF und in den angeschlossenen Zeitschriften, die uns immer nur ausschließen, indem sie uns unaufhörlich reden lassen, alles ein- und dasselbe. Wir sehen uns ganz anders, und die Zuschauer sollen uns auch anders sehen, je nach ihrem Blick-Schmollwinkel, weil sie diesmal wieder nicht ins TV gekommen sind, nicht ins Saalpublikum und nicht einmal in meine Blogwurst hier, auch wenn sie sich noch so sehr danach gedrängt haben. Aus. Die sollen wissen, wie man zu uns kommt und von uns wieder weg, und mehr brauchen sie nicht zu wissen, sie sollen sich des Weges kundig machen (das geht schnell, denn es gibt nur den einen Weg, da müssen sie durch), damit Neue nachkommen können, mehr müssen sie nicht wissen. Ja, das meine auch ich gern, und umso lieber, als es sonst niemand meint: Weg sein ist sowieso das Beste, denn ich darf an diesem aufregenden Bewerb Starmania natürlich nicht teilnehmen, schon vom Alter her nicht, ich weiß, ich weiß, aber ich bin es ja


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gewohnt, daß Sie nicht meinen, was ich meine, und Sie meinen eben, daß ich nichts heiße, auch wenn ich meinen teuren Namen auf ein Schild schreibe und, als Werbung für mich, ins Fernsehn hänge. Danke für die Mitteilung. Meinen lieben Namen wollen Sie demnach nicht. Ich könnte aber auch ganz etwas andres meinen, dann wären Sie baff, was, denn ich bin nicht mehr gemeint, Sie können mich heißen, was Sie wollen, ich fühle mich damit nicht mehr gemeint, und ich bin es auch nicht. Da kenne ich mindestens einen Menschen, es fällt mir grade wieder ein, daß ich den kenne, der steht jetzt auf, zeigt auf, hüpft am Platz und schreit: Aber ich bin viel gemeiner, viel gemeiner als dieser Pete Doherty unter seinem feschen, lockeren Hut, der grade noch einen Millimeter an seinem Kopf festhält, und manchmal muß der Mensch ihn halten, da der Kopf es nicht von sich aus tut. Wieso hält niemand an mir fest? Hahaha. Der soll sich nicht ärgern: So ein Leben heißt einfach nichts, wenn man nie da ist, falls die Klingel ertönt, die einen zum Auftritt ruft und dann in den Abtritt wirft, eine zarte Klingel, nein, nicht die vom Christkind, die Sie zu einer positiven Außenansicht meiner Person führen könnte, aber man ist eben leider nie da, außer man ist ein Star, wenn diese Klingel aufschreit wie ein gestochenes Schwein, weil ein andrer gekommen ist, den man nicht kennt und der trotzdem lustig ist (ohne jeden Grund und Anlaß übrigens), vielleicht gerade weil er einen nicht kennt, dafür wieder einen andren, aber der ist dann auch lustig, wie es nur die Ernsthaften manchmal sein können. Was könnte mit alldem gemeint sein? Womit? Keine Ahnung. Ich torkle hier nur so herum, beachten Sie mich gar nicht! Dabei gäbe es an dieser andren Frau,


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die mir nahesteht, an dieser Geigenlehrerin, deren Beruf immer ihr schönstes Hobby war, sodaß sogar ihr Mann es ihr erlaubt hat, dieser Mann, der in Bruck a. d. Mur über ihr gehangen ist wie ein Felssturz, der gleich runterkommen wird (nicht unbedingt an ihr) wie der Erzberg über dieser Stadt, in der wir uns jetzt befinden, es gäbe also so viel an Brigitte K. (und vielleicht auch an mir Überempfindlicher, wie ich oft geschimpft werde, sodaß ich meine Empfindungen gar nicht mehr erkennen würde, nicht einmal wenn sie vor mir stünden und mich auf die Frisur, die keine ist, hauen würden? Und vielleicht sind meine Empfindungen ja auch gar keine Empfindungen?) zu entdecken! Was, Sie wollen nicht? Kann ich verstehen, ich finde es ja selber nicht, äh, mein Befinden ist selber nicht gut. Wo ist das jetzt noch gleich, was man entdecken wollte? Aha, da ist es, nur wo? Vielleicht würde man jahrelang keine Langeweile kennen (mir persönlich schlafen die Füße ein, wenn ich die schon sehe, aber bitte, wie Sie wollen, was, Sie wollen gar nicht? Na, dann ist es ja eh in Ordnung!), gäbe man sich mit einer solchen Frau einmal wirklich ab, denn dann ginge sie einem möglicherweise ab, wenn sie nicht mehr da wäre (Sie können hier immer Ihr eigenes „Nein“ zu einem anderen Menschen hineinschreiben, ja, auch seinen vollen Namen, das läßt die Datei, zu der ich beitrage, durchaus zu, die ist noch lange nicht voll, ich könnte gern auch Platz für Sie übriglassen, wir befinden uns ja in einer shrinking city, einer schrumpfenden Stadt, und Platz haben wir daher genug, bis wir selber so klein sind, daß wir in eine stinknormale Kiste hineingehen, mehr Platz brauchen wir dann nicht mehr, auch in ihrer Umgebung nicht, weil die Kiste bald nach uns stinken wird), nein,


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mit dieser Frau hier müssen wir uns beschäftigen, bloß weil ich es so will, jetzt ist mein Auftritt, er ist nicht öffentlich, er ist privat, aber jetzt spreche ich, und ich sage: Nur diese Frau ist noch unwichtiger als ich, daher habe ich sie ja so lang gesucht und daher halte ich ja auch so krampfhaft an ihr fest, sie ist alles, was ich derzeit erfunden habe, aber sie hat keinen Haltegriff, ich komm nicht näher an sie ran. Aber sie muß es sein, denn alle anderen beneide ich so sehr, daß ich eine Spezialbrille für den Schweiß brauchen würde, eine Schweißerbrille, um ihren Anblick überhaupt ertragen zu können. Ja, das stimmt. Wie war doch gleich Ihre Frage? Sie lautete, unter welchen Bedingungen ein nettes Beisammensein möglich wäre. Wie können Sie mich das fragen, wo ich doch grade, die Füße voran, einen steilen Abhang hinunterrutsche, dem Ende meines Lebens entgegen, denn dieses kommt ja mir nicht entgegen, doch vielleicht ist es gar schon unterwegs, das Ende? Beieinandersein ist das Erste, wonach im Fremdenverkehr gefragt wird, dieses Wunder, das z. B. mich aber immer so  nervös macht, wenn Sie mich danach fragen, aber nein, ich bin auch nicht mehr  gefragt, längst nicht mehr. Ich weiß nicht, wozu ich hier bin, nur um diese Frau zu halten, die mir nichts gibt? Sogar in der Buchhaltung des Geschäfts hat sie, damals noch in Bruck, manchmal ausgeholfen, Brigitte, schauen Sie sie an oder schauen Sie sie nicht an, es lohnt sich, in der kurzen Zeit, bis man dann wieder davonspringt, zur nächsten Frau und zur übernächsten, und mehr Zeit brauchen Sie nicht für sie. Jeder Weidentritt, jeder Elektrozaun, der Kühe abhalten soll, etwas Böses zu tun, sich selbst anzutun, einander oder dem Wanderer, würde mehr Aufmerksamkeit


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bekommen, weil man sich daran wehtun kann. Er gibt einem einen Stoß, dieser Draht, und man fliegt hin. An Brigitte tut sich keiner weh, man muß sie daher gar nicht beachten. Keine Gefahr. Nicht einmal ihre Schüler beachten sie ja in der Regel. Oder doch? Nein, doch nicht. Komisch. Was ist das da für eine Spiegelung an der Fensterscheibe? Meine ists nicht. Sie gleicht nichts und niemandem, den ich aber sowieso nicht kennen würde. Früher, als Brigitte noch verheiratet war und die Geige ihr ein gestatteter und geliebter Nebenberuf (nicht einmal in Bruck ist das ein Vollzeitberuf, warum auch, wenn man ihn doch im Grunde gar nicht braucht?, da ist Teilzeit kein Verzicht, sondern Berufung) und sie eine geachtete, vielbachtete, im Gasthaus aus Augenwinkeln beobachtete Ehefrau war, wurde sie mehr oder anders beachtet als andere, sie wurde sogar beneidet, kommt ihr heute vor. Alles ist anders, nur nicht den Mut verlieren! Wir müssen fort, wo immer wir sind. Liegt es daran, daß Menschen in einer sterbenden Stadt kein Interesse mehr an der Musikkunst haben? Weil sie den eigenen sozialen Tod nicht nur vor Augen, sondern schon hinter sich haben? Die armen Geschäftsleute, die machen ja auch kein Geschäft mehr! Die tun mir echt leid. Die dürften sich gar nicht mehr so nennen. Dabei hat sich die kleine Konditorei eigens neue rosa Tischerln und Sesseln angeschafft, doch wer besitzt sie? Die Bank besitzt auch sie, wie uns alle. Auf der kann man zwar auch sitzen, aber nicht sich ausruhen, und bedient wird man auch nicht, bedient ist man sowieso schon.  Müssen sie nicht wenigstens ein bißchen üben, die Geigenschüler, gut, meinetwegen, also die Schülerinnen und Schüler? Ja, schon. Sogar Brigitte muß ja Cello üben, denn


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dieses Instrument zu bedienen ist neu für sie, die Musik aber nicht, und sie will wenigstens das bißchen Schrumm Schrumm für ein kleines Mozartquartett irgendwie hinkriegen, es wäre ja gelacht, mit trainierten Fingern und gut geöltem Musikverständnis muß das doch zu schaffen sein! Ja, schon. Ein wenig üben sie ja, die Schüler, aber nicht zum Gedenken an ihre Lehrerin, die derzeit aber noch lebt. Also als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, lebte sie noch. Zum Beispiel am Abend, da lebte sie auch, sie tat wochenlang nichts andres, als vergnügt auf einen Schirm, der keinen Schutz bieten kann, zu schauen, dann ein wenig zu üben, ziellos, denn alle Ziele auf der Zielscheibe des Lebens, die sie sich setzen konnte, hat sie bereits erreicht, indem sie immer genau daneben getroffen hat und sich seither weigert, überhaupt noch jemand zu treffen. Dafür läßt sie lieber ein wenig die andren üben, die das immer brauchen können und deren Beschützerin sie sein sollte, die Geringste aller Herrscherinnen. Sie kann dann wieder tagelang abends endlos auf den Bildschirm starren und auf besseres Wetter warten, das in Gestalt des schlechteren irgendwann mal ankommt, wenn man schon nicht mehr erwartet hat, daß es überhaupt noch kommt. Es ist alles trüb und verhangen, die Tassen stehen noch alle im Schrank. Da ist kein Schüler, der in sie verliebt ist, diese Zeiten sind vorbei wie alle andren auch, alle andren Zeiten. Sie sind vorbei, ebenso rasch vorbeigegangen wie die technischen Probleme der Stadtverwaltung gekommen sind. Jedes Vakuum will gefüllt sein. Etwas rückt nach, etwas gibt dafür etwas andres auf. Bitte beachten Sie vielleicht, wenigstens einmal, das Bedürfnis nach Abwechslungsreichtum, dem man nachkommen kann, umso mehr, je


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weniger Häuser noch vorhanden sind, und Abwechslungsreichtum kann man für wenig Geld aus dem Drogeriemarkt auch in den Gesichtern der Frauen sehen, diese hier hat zum Beispiel und zur Abwechslung manchmal auch ein wenig, nein, eher zuviel grünen Lidschatten aufgelegt (was nicht zu ihren blauen Augen paßt, das schlägt sich, der blaue war besser, kehren wir zu ihm zurück, Grün schlägt sich, Grün verträgt sich, leider mit nichts, denn es läßt jedes Auge stumpfgrau erscheinen), und nicht einmal die urtümliche Entdeckerfreude eines echten Mannes erkennt den Unterschied zwischen Grün und Blau, die viele Mühe, all die viele Mühe, für wen? Etwa für die mächtigen Berge? Wir halten uns lieber an das, was wir in Illustrierten antreffen, ich meine: was die uns vorschlagen. Dementsprechend wollen wir ausgefallen sein, aber wir sind einfach nur normal. Wir sind nicht ausgefallen, wir sind normal ausgefallen. Diese Frau, schauen Sie, die ist wie ein Weg durch den Wald, von dem man nicht abkommen kann, auch wenn er fünfmal im Jahr von Freiwilligen von Abfällen, Wursthäuten, Papierln, zusammengeknüllten Sackeln, Leichen, ja sogar Styroporbechern gesäubert wird. Sie ist nicht tot, noch nicht, aber von Kopf bis Fuß finden wir nichts an ihr. In der Totenstadt fällt sie ein wenig auf, aber in jeder andren Stadt sähe man sie gar nicht. Wollen Sie nicht fragen, wie es mir an keiner Stelle, jedenfalls nicht an ihrer Stelle, geht? Nein. Sie wollen nicht. Und Sie können nicht. Sie können mich mal. So entwerfe ich jetzt 14, 15 Seiten, nein, mehr!, und wen interessierts? Zum Glück keinen! Wer will meine Flur durchqueren? Keiner. Auch nach Renovierung: keiner. Mein netter Flur, ich muß mich seitlich drehen und an die Wand pressen


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wie eine zerquetschte Gelse, um überhaupt durchzukommen, aber einer muß ja mal durchkommen, um mich anzuschauen, und falls eben doch niemand kommt: Meine sanfte Turnmatte für die Rückengymnastik hätte ich anzubieten, die würde vielleicht schon wer sehen wollen, was, auch niemand? Na, Sie haben es so gewollt, jetzt sehen Sie eben gar nichts, Ende der Führung, und wenn Sie meine Aufrichtigkeit hier nicht ertragen, ist mir das auch egal. Sie müssen nicht lesen. Keiner muß. Keiner muß Flüchtigkeiten oder gar Dauerhaftes lesen, die Sonne scheint ja auch immer entweder zu früh, zu spät oder gar nicht. Machen Sie doch was Sie wollen! Aber kommen Sie mir ab sofort, diesen Zeitpunkt habe ich willkürlich bestimmt, nicht mehr in meine Nähe! Das war alles nur eine Vorrede zu Ihrem Hinauswurf aus etwas, in das Sie gar nicht hinein wollten, aber eine lange, fahren Sie mit dem Zeiger nach unten oder reisen Sie, es geht immer so weiter, zwei Meter weiter unten wird es immer noch so weitergehen, ach, ist das ein Spaß!, jetzt machen wir uns z. B. schleunigst daran, den Naturraum Mensch zu erhalten, alle Sorten außer mir, ich bin zwar eine alte Sorte und wäre es wert, weiter gezüchtet zu werden, bloß habe ich den rechten Zeitpunkt dafür verpaßt und verpatzt. Wollen Sie mich irgendwie anders nutzbar machen, indem Sie mich alleinbleiben lassen, warum sollten Sie das wollen? Egal, Sie wollen es halt, und inzwischen deckt sich das auch mit meinen eigenen Wünschen. Warum? Weil mir danach ist und weil ich es jetzt so beschlossen habe. Mir ist jetzt zwar etwas unheimlich zumute, weil es so schnell geht, daß der Mensch einmal, ohne daß er viel nachdenken würde, seine Natur ungebremst rausläßt, sich selber Gassi führt, und ich bin


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der Eckstein, an den er sich dann stellt, unweigerlich werde ich angepinkelt, und nein, zu Mute ist mir nicht! Mut ist das allerwenigste, von dem ich nichts habe, ich meine das wenigste, das ich habe, Mut, den ich nicht habe und von dem ich nichts hätte, hätte ich ihn, oder würde ich dann wieder Skifahren gehen oder Autofahren? Werde ich es diesmal schaffen? Nein, sagen Sie ganz richtig zu mir. Diese Antwort ist richtig. Jemand wie Sie schafft und schafft, doch es ist sinnlos. Um mich herum nimmt dafür die Sillageproduktion zu, was ist das?, egal, es wird kaum noch was Eßbares produziert, außer für Tiere, die Artenvielfalt, ich sagte es schon öfter, sinkt bis auf den Grund, dafür steigt die Intensivierung von was auch immer, es kann auch ein Gefühl sein, wenn auch nicht meins, und, o Gott, nein, nur kein Gefühl!, das kann ich jetzt aber schon sowas von nicht brauchen, bitte nicht, o Gott, du kannst nichts dafür, nur wir können was dafür: Es bleiben nur fünf bis acht der produktivsten und schnellwüchsigsten Futterpflanzen übrig, und die sind nicht für uns gedacht, die sind nicht uns von uns selbst zugedacht. Dreck für Menschen, Brot für Afrika, Asien und Südamerika, Menschendreck für sich selber, und der will immer nur weg, ausgerechnet zu uns, die wir selber ein Dreck sind, zu blöd! Die sind nicht für uns, diese Futterpflanzen, egal welche. Sogar die armen Bienen sterben daran. Und Lesefutter gibts schon gar nicht. Es wird nichts mehr vorgesetzt. Wer keine Arbeit hat, der hat auch keine Vorgesetzten. Es gibt kein Essen mehr, weil es so viel Essen gibt, das ist auch richtig so, denn für das Essen wird längst kein Einsatz mehr gemacht, es wird gekauft, im Supermarkt, die Weiden werden vom Vieh genutzt, auch da ist viel


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Arbeits- und Kapitaleinsatz nötig, nur für uns Lebensunfähige, Lernunfähige braucht man keinen Einsatz. Wir sind schon da, nur haben Sie uns früher nicht gesehen. Was hier einsetzt, ist nur das Quartett von Brigitte K., allerdings falsch, es muß noch einmal begonnen werden, und die Freiwillige Feuerwehr setzt dafür aus, denn sie wurde zu spät gerufen, und aus blinder Neugierde würde sie nicht überall herumstierln, wo es gar nicht brennt, weil kein Reisig vorhanden ist, das man in Groß, in Großaufnahme, wenn es grad auflodert, zu sehen wünscht, und die ist ja noch nicht mal freiwillig, diese Feuerwehr, es sei denn, sie käme zurecht zu einer Übung, nach der man saufen geht, dafür wurde die Feuerwehr ja gegründet und dafür, daß die Pyromanen sich einmal so richtig austoben können und die Folgen dann auch mit eigenen Augen sehen und sich nicht weigern dürfen, diese Folgen zu beseitigen. Die sind irgendwie zu beneiden, diese Feuerwehrer, denn wer sieht schon die Folgen seines Tuns, und wer tut es gar selber? Ich erfinde nun für Sie allein eine kleine Geschichte von einem Knaben, der so anders war als andre, doch er war ein Verletzter seiner Seele, leider wurde der Verursacher dieser Verletzungen nie gefaßt, der tief Verletzte aber schon, der Knabe, der freiwillige Feuerwehrmann, den ich nicht kannte, sonst könnte ich nicht so schlecht von ihm sprechen. Ich hätte dann eine Hemmung, ich hätte sofort Mitleid mit ihm und könnte ihn nicht mehr objektiv sehen, diesen von Erwachsenen, keine Ahnung von welchen, Schwerverletzten. Aber ich bin ja kein Arzt, ich besteige nur die Kanzel, um zu predigen, doch Priester bin ich auch keiner, obwohl ich mich manchmal aufs hohe Roß setze, äh, nein, der Priester ist ja der auf der


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Kanzel, egal, von oben herab bin ich jedenfalls, sogar wenn ich sitze. Dieser Knabe, der sorgsam all die Feuer in Oberösterreich legte, manchmal rief er schon die Feuerwehrkollegen, bevor er noch das Feuer errichtet hatte, den Feuersturm entfacht, das Fach selber: leider auch verbrannt. Kaum Spuren, aber dann einmal die richtigen. Es wurde ihm eine Falle gestellt, blöd, wenn man hineintappt, jede Ameise kennt das Gefühl. Kaum war er eingesackt und in der Zelle, der vor innerer Leidenschaft lodernde Knabe, kaum hatte die Mutter zu weinen begonnen über den kranken Sohn, der so und so viele Kuhställe samt Inventar in Feuer und Rauch hatte aufgehen lassen, hat er, der weinenden Mutter nicht achtend, sich schon auf seinen Zellengenossen geworfen, schließlich war der jetzt seine neue Aufgabe, gehen wirs an, dessen Docht mußte jetzt angezündet werden, ich frage mich, womit, denn Zünder wird man ihm kaum gelassen haben, ja, der brennende Knabe, ein Dauerbrenner in den Medien, ich erinnere mich traurig an ihn, der würde sogar Käfer ficken, wenn das ginge, ja sogar wenn diese Apfelstücke, meinetwegen auch Apfelstrudel, im Rücken hätten. Doch diese Tiere sind ihm dann letztlich doch zu klein. Diese notorischen Feueranzünder ficken, leider, muß ich sagen,  grundsätzlich alles, was nicht viel größer ist als sie oder wegrennen kann wie das Feuer, das es zum Glück ja kann: rennen, rennen, rennen. Ich glaube, sie zünden zwanghaft Feuer an, diese Knaben (sie tun es immer schon in jungen Jahren, ja, da fangen sie stets an), weil das Feuer so schnell rennen kann, da zündet man es eben an, und dann rennt man selber los, man kann nie gewinnen, doch man war der Verursacher des reisenden, rasenden Feuers, man war zuerst da, es war


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das Ureigenste, das man schaffen konnte (nur keinen Neid, ich schaffe aber leider viel weniger, und wenn das Geschaffene von mir nicht weg möchte, nun, da kann ich ihm helfen, ich lasse es bei mir, sehen Sie, gleich ist es da! Ich werde ihm schon noch helfen!), und das Feuerlein macht einem doch ziemlich viel Freude, falls man eine Veranlagung und eine Neigung dazu hat, die das Feuer nie vergilt, es ist mit Wichtigerem beschäftigt, doch halt, es vergilt sie schon, und zwar indem es alles wegräumt auf seinem Weg, und welches Kind räumt schon gern sein Zimmer auf? Das Feuer erledigt das recht gut, vergällt einem aber dafür die Freizeit, weil man hinterher alles wieder aufbauen muß, nach der Überschwemmung, die Löschwasser oder andere heilige Wasser angerichtet haben. Nur rennen kann der feuerhafte Bub jetzt nicht mehr, weil dicke Mauern ihn umhüllen, die jedes Feuer ausblasen würden, ersticken. Dafür wird der Knabe nun von innen her von seinen eilenden Wünschen zerrissen, so lang, bis er nachgibt und einen anderen zerreißt, damit er mehr Platz in ihm hat. So schafft eins dem andern Raum, o je, ich bin jetzt selber ziemlich geschafft! Wie komme ich bloß auf all das? Aber es muß eins noch gesagt werden: Anders kommt man nicht in einen andren Menschen hinein. Wir kleinen Geister, die wir uns vorm Feuer irgendwie fürchten und daher keins dulden, auch nicht in uns, höchstens über einer Kerze oder äußerstenfalls noch zum Grillen, wo immer ein eigens dafür abgestellter Mann drauf aufpaßt und irgendwann dann alles an sich reißt, wir haben diese Erfahrung auch, aber zu friedlichen Zwecken, ausschließlich, wir werden gelenkt wie die großen teuren Pershings, die kommen, auch ohne daß man für sie eigens eine Pressekonferenz


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einberufen müßte – doch die schnellen Eurofighter, die brauchen schon eine solche Konferenz, damit sie unter lautem Stöhnen kommen müssen –, egal, Lenken ist schließlich Lenken, obwohl wir deswegen nicht alle gleich Lenkwaffen sein können, und die Tiere, die wir anleinen und anleiten, konzentrieren sich, was das Weiden betrifft, auf die günstigsten Weideplätzen, zu denen müssen sie schließlich nicht so weit wandern. Natürlich sind die dann irgendwann übernützt, die Weiden, während wir immer unnützer werden. Alles nimmt ab, die Tiere nehmen zu, dürfen dafür weit reisen, bis sie endlich tot sind, und werden trotzdem immer billiger verkauft, nachdem wir ihnen eine schöne Reise gegönnt haben werden, das haben sie sich vor ihrem Tod noch gewünscht, eine letzte Reise, quer durch Europa, ohne Wasser. Ich glaube, ich weiß, woran das liegt, daß immer noch letzte Wünsche vorhanden sind, ich sage es aber nicht. Nicht hier! Und außerdem: Sie werden Ihre eigenen Wünsche haben, und bei Wasser wirds dabei nicht bleiben! Ich greife in die Tiefkühltruhe im Supermarkt und hole mir etwas heraus, das mir durch Winken, Bluten und Schreien ein wenig nähergerückt und danach, nach längeren Prozeduren, die niemanden weiterbringen, ausnahmsweise mal nicht durch die Lappen, sondern über die Lippen gegangen ist. Ich konnte es erwerben, weil niemand mehr als ich dafür geboten hat und der Supermarkt seit langem mit betrügerischen Fleischern im Bunde ist. Diese arme Kuh, die gleich zerhackt sein wird und noch so lieb ins Foto hineinschaut, die kommt mir direkt menschlich vor, und umso mehr betrauere ich ihren allzu frühen Tod, der jetzt ungefähr fünfzig Jahre her sein müßte, von mir aus hätte sie gar nicht sterben müssen, aber ich esse


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halt gern Rindfleisch, und wo sonst sollte ich es hernehmen? Wie sonst nimmt man ein andres Lebewesen, jawohl, auch die Frau ist ein solches, mal so richtig her? So ein Fleisch verkaufen diese Fleischbetrüger aber auch heute noch locker als Frischware. Normalerweise macht das mein harmloser Lippenstift aus mir: Frischware, die ich nicht bin. Vielleicht habe ich gerade diese Kuh vorhin zu mir genommen, obwohl ich gar keinen Platz für sie habe? Tierliebe kann recht mühsam werden. Ja, auch Sie können diese Kuh vielleicht heute noch essen, wenn Sie sich sehr um sie bemühen. Sie müssen sich nötigenfalls jahrelang um ein Tier bemühen, bis Sie es in den Schlachthof nötigen, es geht aber auch kürzer, am Ende steht der Tod, am Ende steht immer der Tod. So, jetzt haben Sie schon aufgegessen, bestimme ich. Trotzdem, fürs Trauern muß Zeit sein, wenn man sich nichts andres mehr traut. Zu spät sterben darf man aber auch nicht, sonst braucht das Fleisch mehr Küche und mehr Können, um überhaupt genießbar zu werden.

1.7.2007, Fortsetzung folgt



Bilder: Hieronymus Bosch (1450-1516): Die Sieben Todsünden, Ausschnitte

 

 

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