Neid

Privatroman

Erstes Kapitel

 


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Kleine Lebenswelten stürzen nach außen, die dazupassenden kleinen Lebensweisheiten nach innen. In der Mitte treffen sie einander. Touristische Aktivitäten zur Vermarktung von Kultur und Geschichte sollen, ausgerechnet an so einem Ort,  plötzlich zusammengefügt werden wie kurzgeschlossene Drähte, bis sie, nicht einmal ein Auto in Gang setzend, funkensprühend, zischend zurückschlagen, um den Einzug in unser Fassungsvermögen ordentlich vorzubereiten, was bedeutet: Spaßfaktor! Spaßfaktor! Der wird gesucht, bitte, ich verdiene ja nichts daran, und Sie verdienen es nicht besser. Lesen Sie, daß ich dem Substandard zuzurechnen bin, das heißt, mir wird faktisch nichts mehr zugerechnet, denn ich habe schon alles und brauche nichts. Meine Größenordnung ist nicht alarmierend, aber ich bin doch ziemlich groß geworden, und ich sehe derzeit keine Nachfolgerin. Nein, ich sehe nur noch Nachfolgerinnen und bekämpfe sie entschlossen. Aber diese Gegend und diese Menschen brauchen ihre stille Reserve (ich brauche sie nicht!), die Größenordnungen dessen, was fehlt, sind nicht allzu alarmierend, und man muß ja bedenken, daß ein funktionierender Markt auch eine Mobilitätsreserve in Form von zeitweilig Arbeitslosen und/oder zeitweilig leerstehender Wohnungen benötigt, denn man muß die Arbeitslosen ja irgendwo hineintun, wo es noch leer ist, sonst stehen sie im Eck oder am Eck und spielen Geige, nur schlechter als ich oder Brigitte, von der die Rede ist, nein, noch nicht, aber bald. Was ich benötige, interessiert keinen, das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb ich es nicht bekomme. Eine Gemeindeverwaltung, vertreten durch den Vizebürgermeister in seiner Funktion als Fremdenverkehrsreferent, schlägt der Stadt nun ein neues


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Bild ihrer selbst vor. Ein Bild ist kein Spiegel, daher erkennen sich die Menschen darin nicht.  Diese Stadt ist unter der harten Peitsche der Bergmänner langsam gestorben, unter der Peitsche dieser Alraunmännchen, des Wassermanns im nahen See und andrer sagenhafter Gestalten, nachdem sie unter der Peitsche, welche die Knochen von Menschen freigelegt hat, jahrhundertelang immer wieder zum Leben erweckt worden ist; das ging sehr leicht, es war ja alles da, das Erz faktisch auf einem Tablett serviert, und sie ersehnt jetzt die Geißeln des Tourismus, die Stadt, nach dessen feineren Schlägen, der aber nicht kommt. Sie öffnet jeden Tag den Mund, als begriffe sie sich selbst nicht, die Stadt, die immer kleiner wird und abgebaut wird wie der Berg, der früher immer zuverlässig das Erz geliefert hat, bis andre das Erz billiger gaben, sie öffnet den Mund, aber was ihr hereinkommt, ist nicht: Sie werden es auch noch billiger geben! Nein, was wir heute wieder hereinbekommen haben, ist nur die übliche Nahrung an Verstauchungen, Prellungen, Brüchen, von denen ich schon oft gesprochen habe (man hätte auf den Sport nicht setzen sollen, man hätte lieber sitzenbleiben sollen, nicht in der Schule des Lebens, aber vorm Fernseher, das wäre ungefährlicher gewesen und hätte die Krankenkassen nicht soviel gekostet), und Infarkten neben tränenüberströmten Frauen, von denen ich verhältnismäßig selten gesprochen habe, und die froh sind, an diesem Nachmittag, da der Mann, noch im Rohr des Berges, schwer verletzt wurde (nach den Verletzungen des Berges selbst fragt ja doch keiner), niemanden zum Kaffee eingeladen zu haben und frei zu sein, denn auch der Mann hat ein Recht auf einen Mangel, die Freundinnen haben es sowieso, sie haben in unsren Augen nur Mängel. Aber die


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Infarkte kommen eh rücksichtsvollerweise fast immer zeitig in der Früh. Die Loipen sind ein Geheimtip, da es sie noch gar nicht gibt, sogar Trendsportarten kann man ausüben, wo Platz ist (es ist keiner, aber es muß einer geschaffen werden. Noch findet hier ein Werteverfall statt, aber vielleicht werden wir ihn stoppen können und ein Gasthaus namens Stadl erbauen), und bei genauerem Hinsehen zeigt sich, wie verschieden die Vorstellungen von einer Fremdenverkehrsentwicklung an diesem Ort sind, der Platz wäre ja da, was nicht heißt, daß er schon angekommen ist, aber der Wille fehlt, sagt einer, der Wille sei da, aber der Platz fehle, sage ein andrer, wo immer er ist, hier, in meiner Nähe, kann er nicht sein (denn was er sagt, stimmt sicher nicht oder so, wie er es sagt, nicht). Aber die Stadt stirbt trotzdem, obwohl sie mit solch tiefgehenden Spritzen in ihr Fleisch, das zum Sterben bestimmt ist wie jedes Fleisch, künstlich am Leben erhalten werden soll. Das sind doch alles Eingriffe, das haben die Lokalpolitiker und die Gewerbetreibenden nicht bedacht, als sie verabsäumten, rechtzeitig Lokale zu betreiben und sie abends nicht allzu zeitig wieder zu schließen. Jetzt fahren die Leute noch wo andershin, ist dieser Trend umkehrbar? Nein. Wir fokussieren das öffentliche Interesse auf das Langlauf–Loipenprojekt mit allem Zubehör, das nicht aus simplen Stöcken und Skiern besteht, wir weisen auf unseren Ort, jedenfalls ungefähr in seine Richtung, damit man auf Gemeindeebene endlich fordern kann, daß der Ort vergrößert werden muß, damit die Leute ihre Freizeit, und sie haben nur Freizeit, dort, wo dann Platz wäre, hineinwerfen können (andre werden dann hinzueilen, weil sie glauben werden, hier gibts was gratis, aber sie werden


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schon merken, daß sie einen Skipaß lösen und einlösen werden müssen), denn das, worauf wir weisen, ist dann richtungsweisend für diesen Ort, auch wenn die Loipen etwas außerhalb liegen (noch liegen sie am Boden, aber bald werden sie aufstehen, sobald sie errichtet worden sein werden) und um den Ort herumgehen, anstatt geradewegs und mutig sich in diesen hineinzuwagen. Die Liftanlagen sind veraltet und wenig attraktiv, da müßten doch endlich neue herkommen können und sich auf Dauer ansiedeln wollen! Aber wenn etwas bleiben soll, muß ihm etwas geboten werden, und das ist nicht einfach bei Menschen, die sich um Gebote nicht scheren, und kämen sie von Gott selbst, na, dann wird ihnen halt das Fell (oft von geschundenen Hunden, deren Haar sich sträubte, um schön auszusehen) über die Ohren gezogen, welches sich an einer feschen Parka–Kapuze befindet, ihr Schaden, wenn sie sich nicht selber scheren lassen wollen, sie versäumen soviel! Sie könnten so viel Spaß haben, ich sagte es schon. Das kann doch nicht so schwer sein, etwas Tolles geboten zu bekommen, Paris Hilton in einer Dose, nein, mit einer Dose, oder wen anderen mit einer tollen Stimme und einer tollen Anlage, damit diese Stimme verstärkt werden kann, aber bitte, mit silbernen Löffeln wird es nicht gehen, man wird hart arbeiten müssen in seinem Körperhäusel, das sich am zugigen Gang befindet, Substandardkategorie D minus — kein Wunder, daß die Leute wegfahren wollen, wir könnten davon sehr profitieren, wir könnten nur profitieren, wir alle können nur profitieren, wenn unsre faulen Kredite, aber auch die fleißigen, an die Heuschrecke Zerberus, dieses Heimchen, das uns unsere Heime kosten wird, verscherbelt werden, pauschal und zu einem guten Preis, wenn auch nicht für


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uns! – Hauptsache, unsere Körperwohnung, zumindest die noch vorhandene, wird überwiegend von jemand anderem bewohnt bzw. relativ rasch wieder der Nutzung zugeführt, von jemand andrem besessen zu sein und besessen zu werden! Mit Blei in den Füßen wird es vielleicht gehen, daß man hierherkommt, um leichtfüßig sein Geld auf den Kopf zu hauen, daß es schreit und eingeht, bis es ganz verschwunden ist. Für das gesamte Land ist eine innerhalb der Grenzen erlaubte Neutralität nicht schlecht, man hat Entscheidungsebenen frei, wohin man auf Urlaub fahren möchte, weil man sich nicht entscheiden muß, na, irgendwann schon, die Neutralität ist ein brauchbarer Halt, den einem ein Liftbügel nicht einmal am Arsch gibt, das muß ich zugeben, was braucht es, wozu braucht es Abfangjäger? Na, es braucht sie eben. Dabei brauchte es ja nur den Hut abzunehmen, das Land, damit man auf das Darunter sieht, den Diener, dem Hutabnehmen zur zweiten Natur geworden ist, und jede Frau, zumindest diese Frau und diese dort auch, weiß, wie wichtig das Darunter für den Körper und den Volkskörper ist. Nur Paris braucht kein Darunter, die hat es nicht nötig, gestützt zu werden. Das Darüber ist aber auch wichtig, sagt die zweitgenannte, ich meine die zweitgereihte christliche Partei, mein liebes Tagebuch, dir hier vertraue ich es alleine an, leider wissen es die anderen auch schon!, die erstgenannte Partei organisiert verschiedene Kulturveranstaltungen, sie muß ja irgendwann mal wissen, was auf ihrem Partezettel draufstehen wird, wenn sie verliert, mit Kulturveranstaltungen, um eine Neubelebung des Ortes schonsam vorzubereiten, wird sie garantiert verlieren, und da kommt die Geigenlehrerin Brigitte K. ins Spiel, spät genug, und sie geht gleich wieder, aber sie wird


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auch immer wiederkehren, man muß ja immer wieder kehren, der Dreck kommt zuverlässig zurück, der ist das Zuverlässigste, was es gibt, und auch Musik ist so eine, die setzt sich ein Leben lang fest und ist nicht mehr loszukriegen, und irgendwer muß sie ja vertreten, als ihre Stellvertreterin auf Erden. Brigitte, ja, ob Saite oder Taste, in diesem Fall Saite, sie vertreibt Kümmernis und Betrügernis und die Menschen selbst, die Musik. Versuchen Sie einmal, an dieser Ecke Geige zu spielen, nein, lieber dort drüben! Sicher ist sicher, dort höre ich Sie nicht mehr, und Sie werden bald so allein sein, wie Sie es ohnehin bereits sind. Brigitte K. hat diese Stelle an der Teilzeitmusikschule durch das Teilzeitchristentum (eine Stunde pro Woche, und danach, im Gasthaus, kann man es dann unter Alkoholeinfluß gemütlich wieder vergessen) bekommen, durch die Partei des Christentums, die sie kennt, und umgekehrt, umgekehrt ist wichtiger, das Christentum und seine Partei, das sie empfohlen hat, vielleicht weil es sich von der Restbevölkerung längst empfohlen hat. Das Christentum wie die Musik sind einfach nicht logisch, tut mir leid, ich könnte noch vieles dazu sagen, aber es wird Sie kaum interessieren, doch es ist auch wieder gut, daß es so ist, denn es gibt neben der Logik und der Rationalität auch andre Dinge, die einem die Welt erschließen und sie andren vergällen können. Musik. Aber Moment mal, wir spielen noch nicht! Wir spielen zwar gern, aber jetzt nicht. Jetzt ist es unser Ernst, der spielt, der macht das schon recht ordentlich für sein Alter. Also ich sage jetzt: Musik ist, wie jede Kunst, die keine ist, das Gegenteil von Natur, und sie sagt das, was unfaßbar ist, während die Natur durch Loipen, Pisten und Golfplätze eingefaßt und erfaßt


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werden kann. Das prägt das Gehirn, und zwar für immer, negativ, in seiner Einstellung gegenüber Tönen, aber positiv gegenüber der Natur, in der nur Naturlaute erschallen dürfen, Traktoren, Kreischsägen, Fabrikssirenen, Sprengungen und Todesschreie und Wutschreie, wenn der Golfball im Wasser verschwindet. Immerhin, es sind schöne und gut angezogene Menschen, die ihre Wut hier herauslassen und die Sau ab Mitternacht durchs Dorf treiben, während wir jedesmal schliefen und das Tier in diesen Menschen leider wieder nicht sehen konnten. Es wird aber im TV am nächsten Tag eine Aufzeichnung gesendet werden, dorthin, wo wir sind, mit und in Sicherheit. Erst einmal betonen wir, oder lieber nicht? Nein, wir betonen, da uns nichts andres übrigbleibt von unsrem schmalen Gehalt, oder  wie das Außerberger Forum, nein, nicht der Innerferner Berg, es tut, die landschaftliche Schönheit der Gegend,  den Ertrag, den diese verloren hat, müssen wir dafür vergessen. Und, oh weh: das Gasthaus am See, dem wunderbaren tiefen grünen See, suchen Sie so einen, Sie werden ihn nirgendwo wiederfinden, aber Sie haben ihn doch schon! Sie haben ihn schon, das Gasthaus wird jetzt allerdings wegen allzu vieler Baugefälligkeiten geschlossen (dagegen waren die Umwegsrentabilitätsgeschäfte der Eurofighter ein Dreck, nicht der Rede wert, aber ich rede ja und rede, jetzt schon, da ich ganz am Anfang stehe, kann gar nicht mehr aufhören, werde es auch nicht, dies hier ist privat!, obwohl nichts davon der Rede wert sein wird), Gefälligkeiten waren das, die die Gemeinde an ihm, dem Gasthaus am See, geleistet hat, die aber letztlich doch nichts genützt haben. Es wird noch jemand im Gefängnis sitzen deswegen, warte nur, balde ruhest auch du, oder nein, das kann noch Jahre dauern, wir gehen nämlich in Revision, damit wir wieder wie neu werden, wie


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unschuldig. Aber bis es soweit ist, werden noch viele sterben. Das Haus wurde bereits gestürzt, bevor es selbst stürzen konnte. Ich könnte es aus Mitgefühl und Zartheit auch unterlassen, das zu sagen, aber: Diese Stadt stirbt, und ich frohlocke, weil mir das ja auch bevorsteht, und zwar bald, balder als bald. Diese Stadt nehme ich dann mit, doch vielleicht macht sie es nicht einmal so lang wie ich, was auch immer! Derzeit sorgen allein die Betreiber von zwei Kiosken für das leibliche Wohl von Besuchern, die nicht kommen, im Grunde sind also auch diese Kaufstände überflüssig. Hohe Investitionen sind nötig, um Aufstiegshilfen auf den neuesten Stand zu bringen, nur die Menschen bleiben liegen und stehn nicht mehr auf. Wer hilft ihnen? Also ich helfe ihnen schon mal nicht. Wo ich doch schon bald sterben muß, helfe ich niemandem. Es bringt nichts, ihnen zu helfen. Sie machen nur umso gelassener im Liegen und Lügen weiter, wenn sie nicht stehen können, was viele Gründe haben kann und viele zusätzliche Möglichkeiten der Betätigung bietet, letztes Jahr war es der Kirtag im Nachbarort, der noch naturbelassener ist, weil niemand auf die Idee gekommen ist, an ihm herumzuhämmern, zu bohren, zu sprengen und die Reste dann unter noch mehr gigantischer Staubentwicklung abzutransportieren, und es kommen, Geduld bitte, sie kommen gewiß!, die Innerberger Kulturtage – Kulturtage gibt es inzwischen ja überall, auch innerhalb der Berge, denn irgendwas muß die Kultur ja endgültig umbringen, damit nicht wir sie in unserer Umarmung ersticken, doch wenn sie bloß ihre Tage hat, stirbt sie deswegen noch nicht – Kulturtage also, die wiederum dagegen ankämpfen, in der Natur belassen zu werden und am Ende, mittels Getränken, die bei manchen das Stehen verhindert


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haben, eine weitverbreitete Nebenwirkung von Kulturveranstaltungen, welche aber stets danach kommt, nach der Kultur, den Menschen, der so viel genossen hat, endlich endgültig  flachzulegen. So, da haben wir nun eine industriegeschichtlich gewachsene Arbeiterkultur, aber erst hinterher weiß man, daß es eine war, weil sie längst verlorenging. Was verloren wurde, muß ganz sicher Kultur gewesen sein, denn uns fehlt ja nichts. Es fehlt uns ja nichts. Und dann haben wir noch die Kultur als solche, sie trägt den Triumphbogen des Fernsehers,  sie traut sich nur sehr spät in der Nacht ans eigene Licht, und sie braucht den Arbeiter schon mal grundsätzlich nicht mehr, und der braucht sie schon lange nicht. Ich würde hier, an dieser Stelle, die ich mir selber ausgesucht habe, Brigitte K. benötigen, die Geigenlehrerin, um an ihr etwas demonstrieren zu können, doch das mag sie gar nicht, und deswegen kriege ich sie derzeit nicht in die Finger. Sie will, denn sie ist so bescheiden, daß ich noch etwas über ihr Umfeld berichte, wo sich Unheimliches im Feldversuch abspielen wird, und da ist sie dann dabei, Brigitte beim Abspielen von CDs, die vorführen, wie Musik im Grunde, seien wir ehrlich, wirklich erklingen müßte, um ihren Namen, nein, nicht Brigittes Namen, überhaupt zu verdienen. Ein Kleid, nein, ein Kleinod aus der Renaissance in den Alpen (nicht die Alpen sind es, die eine Renaissance erlebt haben! Die kann nichts und niemand wiedererwecken), wer hat denn seinesgleichen schon gesehn, lachts wie dem Bräutigam die Braut entgegen? Kultur kommt immer von oben, und wenn sie von unten kommt, wird sie ausgerissen wie Unkraut oder den Touristen vorgeführt, bevor man sie in den Müll gibt, die fressen ja jeden Dreck. Reißt


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man sie nicht aus, die Kultur, mit der man Geld verdienen könnte, aber nicht viel, außer man ist in der Hauptstadt und ein Luxushotel, wuchert sie unkontrolliert und kommt ins Fernsehn, ohne Umweg über die Menschen selbst, und das ist auch gut so, denn bei dieser Kultur hat man besser eine Mattscheibe zwischen sich und ihr, egal, in welcher Gestalt sie heute wieder auftritt und posiert, auf dem roten Teppich, Moment bitte, anhalten für die Fotografen mit ihrem Gewitter und das Fernsehen mit seinem Seich, den ich nicht Regen nennen will, denn der Regen ist sogar noch verschmutzter. Oder man ist sogar zu faul, es auszurupfen, das Unkraut des Volks und seiner Bräuche, die das Volk im Grunde doch gar nicht braucht, aber trotzdem eingerext hat, vielleicht braucht es sie später, die Bräuche, man kann ja nie wissen, man will es nicht wissen, es ist wie es ist, aber dann ist mit einem Mal alles Unkraut. Vorsicht, es findet hier ein Werteverfall statt! Treten Sie zurück, sonst trifft Sie noch ein Trumm! Bumm! Hören Sie mich klagen? Nein, kein Wort! Es ist versäumt worden, was auch immer, der Schuß im nahen Wald ist verhallt, mit dem sich dieser Banker aus Wien vor Jahren hier umgebracht hat, keiner weiß warum, hatte er doch eine eigene Dienst–, eine Drittlimousine, um hierher, in den Urlaub (oder war es eine Besprechung mit dem süße, aber harte Teilchen–Zulieferermilliardär? Dem Mann für die harten Bandagen?), gebracht zu werden, als Gast beim Milliardär in dessen Anwesen, wo der Banker offenkundig gebraucht wurde, bevor er tot war, aber um hierhergebracht zu werden, mußte er erst mal von woanders weggebracht werden, o je, ein andrer erhielt danach sogleich seinen Posten, ein Umweg um ihn herum hätte die Bank Millionen gekostet,


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der Posten muß verkostet, neu verkorkt (damit einen der Geruch nicht ohnmächtig werden läßt, was man ohnedies schon ist und immer ist) und dann wieder besetzt werden, und er war nichts, dieser einst mächtige Mann, auf dessen Befehl der Chauffeur gehupft wie gesprungen ist, ein Nichts in einem lautlosen schwarzen Wagen mit getönten Scheiben; der Zustand des Schlafens ist wie der des Erwachens, also kann man von Schlaf nicht sprechen, die Menschen sind unruhig, das Jagdschloß des inzwischen verstorbenen Milliardärs steht jetzt auch schon länger leer, fällt mir auf, nur sein Viehzüchter lebt noch und züchtet Biorind, damit die Weiden nicht brachliegen, sondern im und mit dem Tier und im Verein mit dem Tier Ertrag bringen, er hat sein Revier aber ohnehin nur einmal im Jahr besucht, der Besitzer, um Tiere von Einheimischen, die hier nichts besitzen als ihre Häuschen und vielleicht noch ihre Hände, falls ihnen die von der Sprengung nicht weggerissen wurden, vor sich hertreiben zu lassen, und das nur, um sie schließlich und endgültig vom Erdboden zu entfernen, was noch? Also so eine Gegend ist etwas ganz Spezielles. Das hängt mit dem Eisenunwesen zusammen, mit dem sich lebende Menschen über Jahrhunderte hinweg intensiv beschäftigt haben, bis sie selbst, nicht nur ihre Wohnungen, mittels Intensivnutzung zu jenem Substandard D geworden waren, das ist ein sehr hartes Wort und ein sehr hartes Wesen, aus Eisen eben, aber wenn man es einmal kennt, tut es einem nichts, denn es ist ja: wesenlos. Und mit dem Eisenhandel nach Italien hängt es auch zusammen, überhaupt hängt alles zusammen, wenn auch nicht mit allem, aber nur, falls man es durchschauen kann, hier, bitte, der Kulturverein durchschaut es bereits, sonst sieht man


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nur den roten Faden, zu dem man, wie ich hier, jetzt schon!, verzweifelt zurückzukehren versucht. Wer will mit?, nein, keine Sorge, nicht mit mir! Ein Auto hat ein jeder, wenn auch nicht unbedingt eine solche Limousine, eine Dienst–Limo mit Chauffeur, die ihrem Herrchen aber auch kein Glück gebracht hat, die schöne junge Frau, die er besaß, hat sehr geweint, sie war untröstlich, und ein kleines Kind war, glaub ich, auch übriggeblieben und hätte seinen Papa gebraucht, der jedoch ein Loch im Kopf hatte. Diesen Job dermaßen voreilig hinzuschmeißen und sich selbst gleich nach, als wäre das Leben ein Roulettetisch, also wirklich!, ja, was wollte ich noch sagen, und ein jeder ist froh, einmal mit besserem Essen bewirtet zu werden, ich weiß nicht, warum ich das jetzt gesagt habe, aber sagen mußte ich es offenbar. Und diese reichen Radmeister von dazumals, heute gibt es sie nicht mehr, denn heute werden es die Hermann Göring Werke, die guten Werke dieses großen dicken Menschen, gewesen sein, und jetzt sind es auch irgendwelche große dicke Werke, die aber keine Namen tragen, damit man sie nicht findet, nur Abkürzungen, damit man sich nicht an sie erinnert, Gesellschaften, corporations ohne identity, denen das hier gehört und die es daher abstoßen wollen, damit man sie nicht selber abstoßend findet, bloß weil sie kleine Teile für EADS und DaimlerChrysler produzieren wollen, aber es ist egal, was wollte ich eigentlich sagen, na, mir ist das nicht egal, was ich grade sagen wollte, ach ja die Radmeister damals, das waren die Besitzer der Eisenschmelzanlagen, und die haben damals nach der Mode ihren Ort und ihre Häuser so herrichten lassen. Was wollen Sie machen? Wir müssen heuer zumindest den Sockel neu verputzen, da kommt schon


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überall Wasser rein und sprengt, zusammen mit der Hundepisse, die Ecken vom Haus einfach weg, macht auch nichts, es wohnt eh keiner mehr drin (das kann auch passieren, wie es mir passiert ist, wenn das äußere Fensterbrettl nicht um die Ecke gebogen ist, umgepertelt, sagt der deutsche Fachmann, sodaß das Wasser direkt in die Mauer hineinrinnt, welcher Idiot hat dies erschaffen? Und, als er sah, daß es nicht gut war, dann mich selbst? Ich wäre lieber nie erschaffen worden! Wer hat das arme Eisen, das Blech so mißbraucht, ich meine so falsch gebraucht, wer hat vergessen, es, wie eine Stoff–Falte, einmal umzuschlagen, damit das Wasser auf der andren Seite wieder rauskann, was soll es denn machen, wo soll es denn hin, wenn man es einsperrt? Es macht was kaputt, das macht man immer, wenn einem nichts andres mehr einfällt, und so rede auch ich Blech, beschweren Sie sich beim Salzamt, nicht bei der Eisenschmelzerei für Rohr–, Winkelzug– und Biegeeisen! Und wenn man Menschen einsperrt, so müssen sie vorher schon etwas kaputtgemacht haben, sonst wäre das ungerecht, so, Ende der Vorstellung, nein, das ist noch lang nicht das Ende, ich fange erst an, o Gott, wer hält mich auf, so ein Mißbrauch von einem Stück Blech ist nichts andres als ein Mißbrauch, wie die meisten Menschen den Genitiv oder ihre Genitalien mißbrauchen, weil sie sich damit nicht richtig auskennen), so, die Hausecken sind demnach weg, so wie die Ecken vom Berg weggesprengt worden sind, nein, eigentlich kann man das so nicht sagen, ich werde mich informieren und es sagen, wie man es sagen muß: Der Berg besteht aus Stufen, ich muß mich erkundigen, wie die dort hingekommen sind, aber von nichts kommt nichts, und von selber kommen solche Stufen nicht,


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sie sind das, was man ihnen von weitem schon ansieht: das Gemachte, und sie führen in irgendein Menschengemach, das man im schlimmsten Fall dann mit jemandem teilen muß, das steht fest, und feststeht auch, wie sie gemacht wurden, aber warum gerade hier? Weil es angekurbelt wurde, daß hier etwas entstanden ist, es lag ja für den Tagbau zutage, daß in dieser Gegend etwas entstehen sollte, etwas Produktives, damit sie nicht einfach nur daliegt wie ein gestürzter Herkules, der ja meist andre gestürzt hat, um sie zu ficken oder zu töten oder beides hintereinander. Und jetzt ist es tot oder angeschmiert oder abgefickt, was entstanden ist, ich glaube, es war in gewisser Weise, auf die ich pfeife, immer schon tot. Totes Erz hat hier Leben erzeugt und erhalten. Gut, aber dieses Kleinod der Alpen, wirklich hübsch, so wie es ist, mündet in jenen Schandfleck von Einfamilienhaus, auch das stimmt leider schon wieder mal nicht, wie das meiste, was ich hier behaupte, nur um mich selbst mühsam zu behaupten, denn was Brigitte K. betrifft: Sie besitzt ein hübsches, schmuckes Haus, da kann man nicht meckern. Das hat sie ordentlich hingekriegt. Es hängt als erstes schon mal ein Kranz aus getrockneten Blumen mit einer Schleife an der Tür und trotzt, in Lebensgemeinschaft mit dieser, den Gemeinheiten des Lebens und des Wetters, eine Schleife ist das, die sich endlos wiederholt, nur anderswo, in einer andren Dimension, zu der nur die berühmten Wurmlöcher zwischen Raum und Zeit führen, probieren Sie es aus! Brechen Sie jetzt sofort auf, reisen Sie, allerdings müssen Sie dazu auf Lichtgeschwindigkeit schalten, das ist der ichweißnichtwievielte Gang, ich kann ja kaum fünf auseinanderhalten, habe den Schaltknüppel bereits seit Jahrzehnten aus der Hand gegeben, und wenn


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Sie durch ein Wurmloch zwischen Raum und Zeit vorstoßen, dann kommen Sie zum Ausgangsort zurück, bevor Sie überhaupt abgereist sind, sehen Sie, und genauso fühle ich mich beim Schreiben. Bin ich nach Jahren endlich fertig, dann ist es für mich so, als wäre ich noch nicht mal losgefahren, und ich bin es ja auch wirklich nicht, denn ich hab solche Angst, mich von der Stelle zu bewegen, vielleicht damit ich nicht in so ein Wurmloch falle und die Zeit aufhebe, vielleicht hebe ich deswegen auch alles auf, auch ausgespuckten Kaugummi, mit dem könnte ich das Loch eigentlich gut zukleben, wer weiß, ob ich das dann überhaupt wollte, ich kann nichts auslassen und nichts wegschmeißen, aber aufheben kann ich vieles, ich kann fast alles brauchen, während andre herumfahren und sich interessante Sachen anschauen, und keineswegs solche, die sie vom Boden aufgeklaubt haben, sehen Sie: Ein normaler Mensch, der mit normaler Lichtgeschwindigkeit reist, wäre nach seiner Rückkehr in die Welt schon viel weiter in der Zeit (warum sollte er das wollen, frage ich mich? Damit er das entsetzliche Fernsehprogramm in dieser Zeit nicht zu sehen braucht?), aber wir nehmen ja das (gedachte, denn vorstellen kann man es sich nicht, und geben tuts das auch nicht) Wurmloch, und an dessen andren Ende wartet immer eine wesenlose Gestalt, ein Gespenst, ein Untoter, zumindest eine Tragbahre mit Rollbeinen und zwar mit Belag, also mit jemand darauf, der grad nicht so gut drauf ist, und die Bahre werden wir dann schon brauchen, wir rufen sie an, die Geister der Vergangenheit, die wir nicht loswerden, dafür sorge ich schon, und wenn ich die einzige bin, nein, bin ich nicht, es sind sogar mehr als alle übrigen und gewiß mehr als alle,


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die übriggeblieben sind, die diese Geister offiziell rufen, wenn wir sie benötigen, die Geister und die Bahre dazu, um die Toten wegzuschaffen und sie gleichzeitig wieder herzuholen, damit wir sie nicht vergessen können. Menschen werden wir nicht benötigen, wozu auch. Die Toten werden uns ernähren, zumindest wenn wir JournalistInnen oder SchriftstllerInnen sind. Also wenn man heute zu meinem eigenen Haus, meinem eigenen Haus (E. J.), das mir gehört, so hinschaut, ich weiß nicht, ja, wie schaut denn das aus? Ich bin eine eingetragene patentierte Einfamilienhausbesitzerin und gleichzeitig, in derselben Person, und zwei Personen fehlen mir noch, daß ich Gott bin,  Rächerin von Besitzlosen, das geht gut zusammen, die beiden können gut miteinander, die Besitzer und die Besitzlosen, bei mir können sie das,  ich weiß, wovon ich rede, eigentlich sollte ich danach trachten, rasch wieder selbst in Nutzung zu kommen, damit sich mein Häuschen rentiert, weil, wenn ich benutzen kann, was da ist, die action dann endlich dort stattfinden wird, mit vielen Freunden, Essen, Getränken und so, denn das Gros meines Leerstandes fällt schon vielen Leuten auf, und sie wollen, nein, nicht in mich hinein, nicht in mein Haus hinein (wer würde dorthin schon wollen? Na, einen Trottel mindestens kenne ich, der würde dort wohnen wollen, also eigentlich kenne ich nur einen einzigen, denn meine Mutter ist zum Glück inzwischen eingegangen, wenn auch nicht zum Herrn, denn die hat nie einen Herrn über sich geduldet und selbstverständlich auch nicht unter sich), sie wollen so gern bewohnt sein, die meisten Leute, egal von wem, wenn sie nur nicht allein sind, ist das komisch, ich wälz mich auf dem Fußboden, das Gros meines Leerstandes fällt also nicht auf, auch gut,


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das Gros meines Leerstandes fällt nämlich in bessere Wohnkategorien, vielleicht sogar in die besten, denn ich habe nicht meinesgleichen, zum Glück gibts mich nur einmal, seien Sie froh, daß ich kein eineiiger Zwilling bin, sonst müßten Sie das alles noch einmal lesen, und zwar ganz genauso wie beim ersten Mal. Und auch mein Haus, doppeltes Glück, gibt es nur einmal, und zwar ausschließlich für mich, und ich verzeichne keinen Anstieg der Wohnbevölkerung, ich bin und bleibe eine, ein Stück Mensch, ganz ähnlich wie Brigitte K., aber doch irgendwie anders. Genau deswegen wählte ich sie aus. Weil ich anders bin, aber irgendwie ähnlich. Sie will es nicht, von mir erwählt werden, aber sie muß, ich will es, und  hier, nur hier habe ich etwas zu wollen und etwas, mich aus und in Wolle zu verstricken, diesen Satz habe ich mindestens schon zehnmal benutzt, aber er ist immer noch gut, oder? Er rennt schnüffelnd die ganze Zeit herum, der Satz, und wenn er einen andren Zusammenhang findet, einen neuen, dann frißt er ihn auf und setzt sich dorthin, wo der Zusammenhang hätte mit etwas andrem zusammenhängen sollen. Das ist so einer von den vielen Sätzen, den ich mir aufgehoben habe, obwohl schon ausgerissene Haare, Wollfasern und Brezelbrösel darin verfangen sind, so wie sich Menschen in andren Menschen verfangen. Wahrlich, ich sage Ihnen, mein Haus schaut so aus wie ein Bett im morgendlichen Zustand hinterlassen wurde, nein, natürlich nicht wie Hitler uns alle hier hinterlassen hat! Hier in dieser Industriegegend, wir schwenken wieder um, zu Brigitte, nach der sich, außer mir, normalerweise keiner mehr umdreht, weil jeder sie kennt, es gibt hier ja nur noch ungefähr 6 000 Menschen, im Gegensatz zu vor zehn Jahren, da es das Doppelte von ihnen


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gab, wie soll ich sagen, die doppelte Menge, also 12 000 halt, hier im Erzgebiet war ja alles rot, was die politische Frage betrifft, nicht vom Blut, da können Sie jeden fragen, und bitten Sie höflich, daß ihm ein Wort dazu ohne Aufstiegshilfe aus dem Mund steigt, heutzutage sagt ja keiner mehr die Wahrheit, weil er von vorneherein weiß, was er sagen muß, mit Wahrheit hat das nichts zu tun. Es ist vorbei, daß etwas wahr gewesen ist. Es ist nun vorbei. Der See ist schön. Das ist so. Im See der Hecht. Der See ist echt, der ist natürlich echt, der ist echt natürlich, seine Oberfläche ziert sich noch manchmal, aber dann gibt sie wieder Ruh. Der ist hier im Original entstanden und geblieben, der ist kein primitiver Stausee, von Baggern ausgehoben, und ich kenne seinen lieben Namen, aber ich sage ihn hier nicht, und wenn, dann ist er mir rausgerutscht, sonst klagt auch der See mich noch, ich wahre deshalb seine Persönlichkeitsrechte, sonst klagt mich die gesamte Gegend mitsamt ihrer gesamten Bevölkerung, und es klagen hier schon genug Leute, die ebenfalls Menschen sind, aber bald werden sie das woanders sein müssen. Es klagen viele, aber wir, wir werden keinen Richter brauchen. Wir werden auch keinen kriegen. Also hier klagen schon viel zu viele die Menschen an, die vor ihnen gelebt haben und Nazis waren, Nationalsozialisten, sagt der Dichter, der korrekt bleiben und zitiert werden will, alles Nationalsozialisten, manche katholische Nationalsozialisten, ich will das nicht, doch ich falle in seine Einfälle prompt mit ein und klage ebenfalls an, da sind wir schon zwei, plus zweihundert andre, zusammengebunden in Vereinen, das ist viel zu viel, das sind viel zu viele, doch wenn dieser große Dichter es schon sagt und der


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dort drüben auch, und zwar genau dasselbe wie ich, nur anders, wenn so viele das sagen, da wollen wir doch vorsichtig geworden sein, wenigstens mit unseren mündlichen Äußerungen, nicht wahr, weil wir das nicht so gut können wie der und der und der dort auch, meinetwegen auch die da?! Es wird jetzt so viel über diesen Todesmarsch geklagt, nein, wird es nicht, kennen Sie den schon? Gesprochen, geklagt, aber nicht von mir, ich werde nur geklagt, weil ich die Persönlichkeitsrechte von einem Menschen verletzt haben soll, ich werde angeklagt, die Klage wird zurückgezogen, dann wird sie wieder eingebracht, alles nicht von mir, ich habe bereits zu oft gesagt, was ich gesagt habe, was denn nur, daß alle so böse sind?, andre haben es sogar noch öfter gesagt, es muß ein Ende mit uns haben, und wir müssen davon, naja, sterben müssen wir alle, aber doch bitte nicht so wie die, das will doch wirklich keiner, wer würde sowas wollen?, daß noch im März und April 1945 (bitte das Wort nicht aussprechen, nicht das Datum, nicht den Sinn, den es nicht macht, nichts nichts nichts!) dieser Spießrutenlauf der Tausenden jüdischen Arbeitssklaven – solche Worte will ich hier aber schon gar nicht mehr wiedersehen, ich sagte es doch, warum sehe ich dann noch diese Worte? Wo ist der Schwamm, wo ist die Tafel, wo ihre lieben Namen aufgeschrieben sind, daß ich sie endlich lösche, Entschuldigung, ich finde diese Tafel jetzt nicht, wo soll die bitte sein? Da waren 150 österr. Gemeinden samt Gemeindeämtern, wo die Gemeinde auf den Punkt gebracht wird, auch heute noch, und dort blieben Erschossene und vor Erschöpfung Verstorbene erst mal zurück, aber es blieben immer noch welche übrig, also was tun? Ich klage an und werde geklagt, die Klage


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wird eingestellt, die Klage wird zurückgezogen, ja, das mache ich jetzt, ich ziehe die Klage zurück, aber o Schreck, da steht es schon, da steht es schon wieder dumm herum, obwohl ich es doch unterdrücken wollte, ich habe eine Löschtaste, die sollte eigentlich recht gut funktionieren, die funktioniert praktisch immer, und wenn der Server crasht oder das Programm abstürzt, nein, dann nicht, aber ansonsten funktioniert diese Löschtaste delete immer einwandfrei, nur ich funktioniere leider nicht so, wie Sie das von mir wollen und wünschen, und ich funktioniere sowieso nicht, auch wenn Sie das gar nicht von mir verlangen, ja, Sie auf Ihrem hohen Roß, wer immer Sie sind, ein Denker, der das Dressieren von Haselnüssen und Fischgräten zu seinem Hobby gemacht hat, neben dem Denken, mit dem er nicht ausgelastet ist, ich sollte endlich ruhig sein wie die Toten, aber ich will noch nicht, was, ich muß trotzdem? Na schön, einmal noch klage ich, und dann ist Schluß, Ehrenwort, gilt sowieso nicht, denn ich habe meine Ehre doch längst verloren, da sind sie nun, die Gespenster des nennen wir ihn Bichlsteins (das ist der Berg, man muß ja nicht immer nur vom See reden, die Berge sind auch noch da, unübersehbar, ich meine, man kann sie gar nicht übersehen, aber den Namen dieses teuren Berges mußte ich verändern, sonst klagt auch der mich noch wegen Verletzung seiner wiederum ganz eigenen Rechte, ich habe wenig Schmeichelhaftes über ihn zu sagen, und er will ja groß in den Fremdenverkehr einsteigen mit seinem riesigen Bergfuß, so will ich ihm denn keinen Grund zur Klage geben), das Massaker der Bichlsteiner Blutmännchen, von Erzer Volkssturmmännchen, diese bösen Gesellen, der Blutrausch wurde entfesselt von ihnen und konnte dann nicht


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mehr eingefangen werden, so versuche ich nun, ihn, nach vielen Jahrzehnten, wieder einzuholen, aber auch mir rutscht er durch die Finger, durch die Zeilen, durch die Zellen im Hirn, ich hab eh so wenige, und die können es nicht fassen, was ich sagen will und nicht sagen darf, und zwar nicht, weil man es nicht sagen dürfte, es wurde ja schon so oft gesagt, sondern genau deshalb, weil es so oft gesagt wurde, und es ziemt sich nicht für den Dichter, etwas in den Mund zu nehmen, was andre längst ausgespuckt haben, und das Bereuen ziemt sich nur für andre, nie für einen selber, da haben sie sich also diesen Blutrausch angesoffen, die eisernen Männer vom Bichlstein, und über 200 Menschen getötet, also dieses Wort werden Sie mir schon nachsehen, es ist eh besser, Sie sehen eine Frau in meinem Alter von hinten, und Sie werden mich auch nie mehr sehen, versprochen, es ist zu Ende mein Weg, aber deren Weg war es nicht, er war es nicht, bevor nicht noch eine Menge action, die man damals anders nannte, passiert ist, Wacheskorten durch lokale Volkssturmeinheiten verstärkt, also das ist so, als ob Sie Ihr Dach, unter dem aber nichts ist, verstärken wollten, mit Dreck, mit Lehm, verklebt mit Scheiße, solche Leute waren das, genannt Polizei, Gendarmerie und SS. Sonst werden wir entlarvt. Und das darauffolgende Verdrängen (auch ein Wort, das nicht von mir ist, sondern vom Wasser und dem Tempo, das man darin entwickelt, und wie schwer der Gegenstand ist, den wir darin versenken, der Auftrieb in einer Flüssigkeit ist gleich dem Gewicht der Verdrängung, ich meine der verdrängten Flüssigkeitsmenge, jawohl, Herr Sturm mit Ihrem Banner, es weht eh in die richtige Richtung, nur keine Angst, es weht in Richtung Koalition, und zwar der richtigen,


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was, doch nicht? Da bin ich aber froh, für vier Jahre kann ich jetzt wieder froh sein, das gilt vom Datum des Schreibens an, ab morgen gilt was ganz andres) und Verschweigen hielt einige Jahrzehnte an, bis hierher und nicht weiter, komisch, mein Schweigen auch, das heißt, ich wollte, es hielte endlich, aber es fliegt immer wieder aus der Wand, ich glaub, ich hab den falschen Kleber verwendet, ich hätte den nehmen sollen, für den jetzt die lustige TV–Werbung gemacht wird, damit hätte ich Ihnen locker eine kleben können, aber das sind Sie eh von mir gewohnt und halten daher einen Sicherheitsabstand ein, so ists gut. Mein Schweigen ist im Grunde keins, denn ich sage zwar immer, jetzt bin ich ruhig, aber ich bin es nie und werde gedemütigt, gedemütigt und aufs Haupt gehaut, welches doch meine Hauptsache ist. Ich sollte nicht so empfindlich sein. Was hat man denn im Alter sonst noch von seinem Körper? Gut. Soweit, so gut. Und die übrigen Täter haben, während ich alte Frau noch gedemütigt werde (reine Zeitverschwendung!), genügend Zeit, sich in ihre Unterkünfte zurückzuziehen, in die Geschichte, die Übersetzung des Wortes: Schutz der Anonymität, wohin man sich zurückziehen kann. Da haben wir eigene Leute dafür, die entlarven, und andre, die diejenigen entlarven, die grad erst in ihre Larven gekrochen sind, damit sie ein zweites Mal herauskommen können, in Blitzlichtgewittern. Sie sollen sich entscheiden: rein oder raus und aus. Und wären sie dann Schmetterlinge, wir würden sie, nachdem wir jetzt umfassend über ihr künftiges Tun informiert sind, erkennen und ein zweites Mal  nicht aus den Raupen rauslassen. Wir würden uns davorstellen, damit sie nicht schon wieder aus unserem gesamten Volk emporsteigen und drei Finger zu irgendeinem


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Gruß heben, dessen Namen ich vergaß, nein, es ist gewiß nicht der Hitlergruß, am besten wäre, sie würden  endlich verschwinden, abhauen, sich verpissen, und wir fänden sie dann nicht mehr, falls sie wieder kämen und nach irgendwelchen flotten Puppen verlangten. Beim zweiten Mal erwischen wir sie gewiß nicht mehr. Versprochen. So. Die Jugend wird routinemäßig informiert (bevor sie sich noch unversehens uniformiert wiederfinden kann), im Zuge der Vergangenheitsaufbewahrung, die viele schon schließen wollen, denn die meisten Fächer sind aufgebrochen, aufgewölbt, verworfen, verlassen, die Schlösser gehen nicht mehr, wir gehen auch nicht fort, manche Fächer sind schlicht zu klein, andre sind wieder zu schlicht, als daß sie irgendwas fassen könnten, geschweige denn dies, diesen dunklen Punkt in unserer Geschichte hoch am Bichlstein droben, aber es gibt so viele Punkte, wir haben andre, nur keine Sorge, solche dunklen Punkte schaffen wir jederzeit herbei, da müssen wir nicht erst lang und tief herumgraben (und sie gruben und gruben und gruben, und wer andern eine Grube gräbt, fällt selber hinein, und der da, der besonders eifrig gegraben hat, ist sogar in einen richtigen Fluß hineingefallen, der war für ihn vorgesehen, für andre ist andres vorgesehen, jedem das Seine, manchem die Seine, o Gott, o Celan, verzeiht mir noch einmal! Mea culpa, sagt meine Religion, die nicht einmal ahnt, was Schuld überhaupt sein könnte und wie man sie verwenden und wo man sie sogar zur Zierde benützen könnte, wenn man ein wenig basteln kann, hier, dieses alte Stanniolpapier eignet sich noch für manches, von dem Sie überhaupt keine Ahnung haben, und sehen Sie, wie schön das auf einem Christbaum ausschaut, was wollte ich jetzt sagen? Ich


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weiß es nicht). Ja hallo! Der See ist auch noch da, die Schulen werden eingebunden, wenn sie sich das Kreuzband gerissen haben, nein, eingebunden, um im See oder auf dem Berg Sport zu treiben, die Schulen haben sich schon vorher verletzt und werden jetzt soeben eingebunden, um Verletzungen erst recht aufzuzeigen, jetzt erst recht!, ein bemerkenswertes Wendeprojekt im Jahr 2000, sieh an, diese Wende war anders gemeint, aber hier nun wendet sie sich einmal gegen ihre Bestemmbogenfahrer, bravo! Ein beispielhaftes Gedenkprojekt der Schulen, dankeschön, getragen werden von der Stadt die Schulen, die Schüler, die Toten, hübsch und neu aufgebahrt hinterher, nein, die muß man nicht tragen, gehen können sie zwar nicht mehr von selber, aber sie sind aufgenommen, ohne Aufnahmsprüfung, die ist eh schon lang abgeschafft für die höhere Schule des Lebens und die Klippschule des Todes, all diese Orte an der Marschroute des Todesmarsches Richtung Eisene Stadt konfrontieren einen, getragen von einem Personenkomitee, welchem ich nicht angehöre, und da ich keine Angehörige bin, kann ich ganz offen sprechen, mit diesen unsagbaren Verbrechen, die zahllose Verletzte und Tote forderten und auch bekamen, wie soll ich es sagen, ich sitze am Krankenlager dieses Landes und tupfe ihm den kalten Schweiß von der Stirn, daß noch was rauskommen könnte, aber es kommt nur der Schweiß allein, daß man die Gedenkfeier nicht guten Fußes übersteht, sie findet nämlich am Berge Bichlstein statt, von wo Moses die Gesetzestafeln herabgetragen hat, nein, das stimmt nicht, das meiste, was ich sage, stimmt nicht, Sie brauchen es nicht zu überprüfen, dies aber stimmt ausnahmsweise, das mit dem Todesmarsch, Schwamm und Gras drüber, ein Eislaufplatz ist nicht


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nötig, obwohl der Fremdenverkehr gut einen vertragen könnte, der Fremdenverkehr ist für das leicht Verdauliche (womit ich nicht den Speck und das Geselchte und das Skiwasser meine), ich meine den damit verbundenen Gesang, die damit verbundene Musik und die Fröhlichkeit, humpa humpa hurra, es wird scho glei dumpa, humpa humpa tätarä! Da kann man ja auch viel tun an so einem unschuldigen See, in ihm und mit ihm und auf ihm, wenn man die Luftmatratze nimmt oder das Boot. Aber diese eingebundenen Schülerinnen und Schüler haben in ihrem einmaligen großartigen Experiment nicht den See gewählt, sondern den Berg, der Todesmarsch Eisenstraße wurde von ihnen lückenlos dokumentiert, wenn man von den Lücken absieht, die die Toten gerissen haben, egal wo, nicht hier, keinesfalls hier, das steht fest, die waren ja nicht von hier, hier haben wir nur Löcher, keine Lücken, und wir haben die Berge und Seen, und wir haben diese berührende Zeremonie anläßlich einer Denkmalenthüllung am Bichlstein, alles von Schülerinnen und Schülern gebastelt, ein ganzes Denkmal, herrlich, wunderbar, ihr jungen Menschen, ich kann euch gar nicht genug danken, daß ich euch ein paar Zeilen hier bis aufs Blut schinden darf, um nicht von den Geschundenen reden zu müssen, gähn und aus. Erinnerungsarbeit und aus. Arbeit am Erzberg: auch aus. Die Esse ist ausgegangen und kommt nicht mehr zurück. Der Berg ist tot, die Menschen sind tot, die Erinnerungsarbeit aber lebt, ich bin so froh, es wurde sogar ein eigenes Theaterstück über diese entsetzlichen Ereignisse verfaßt, who cares. Das ist schön gemacht und gut ausgeführt worden, meinen Respekt, ja, wirklich, meinen Respekt diesen jungen Menschen, die der Vergangenheit gedachten, als es diese


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nicht mehr gab, vorher nicht, vorher hätte es auch keinen Sinn gehabt, ihrer zu gedenken, denn vorher gab es sie ja noch, die jungen Menschen aber nicht, allerdings hieß sie anders, jedenfalls nicht Vergangenheit, da mußte sie nicht stellvertreten werden von jungen Menschen, da mußte sowieso getreten werden, in den Kuhfladen und auch sonst. Diese Initiative ist exemplarisch. Exemplarisch ist aber auch die Einführung des Fremdenverkehrs in den Arsch der Menschen, aaah, tut das gut, man hat ja gar nicht gewußt, daß es in dieser Öffnung auch angenehm sein kann, gefickt zu werden! Aber das ist privat. Der Fremdenverkehr jedoch lebt davon, daß er öffentlich stattfindet und die Leute einander betrachten und abschätzen bzw. abschätzig betrachten können, bis sie so besoffen sind, daß sie einander nicht mehr sehen können und sich verbrüdern, denn so ist es doch, seien wir ehrlich, alle Menschen werden Brüder, das muß sein. Das verlange ich einfach. Glauben Sie, ich schinde mich hier umsonst? Brüder müssen sie werden und aus! Dafür müssen sie erst mal herkommen, sonst können sie sich nicht verbrüdern, und eine gewisse Zeit muß auch verstreichen, damit man sich nicht mehr wirklich erinnern kann, wer aller kein Bruder war: Jugend gegen die Gewalt, das hat natürlich Folgen, wenn man aus dem Wirtshaus torkelt und Gewalt ausüben möchte, und da kommt die Jugend und verbietet uns das. Der Fremdenverkehr ist schon die halbe Miete, aber wenn betrunkenen Menschen Gewalt verboten wird, macht er nicht mehr so viel Spaß. Dabei könnte man gerade hier, wo soviel Gewalt gegen Fremde stattgefunden hat, doch eigentlich Gewalt gegen Fremde zum Thema des Verkehrs machen. Das gibt es noch nirgends. Da könnte man echt punkten, da würde man in eine Leerstelle


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vorstoßen, Gewalt gegen Fremde als Fremdenverkehrung, denn da Gewalt gegen Fremde nicht ausgeübt werden darf, erklärt man die Fremden zu unseren Brüdern, zu Einheimischen, zu Einmaligen, zu Ehemaligen, was weiß ich, und dann haut man sie in die Goschen. Das wäre der Clou. Die Hälfte der Bevölkerung ist inzwischen bereits im Ruhestand, die könnte leicht, die Betroffenen sind ja noch gar nicht so alt, wieder in den Unruhestand versetzt werden und zur Gewalt abkommentiert, abkommandiert werden, die sie ja bereits einmal ausüben, nur andre, gegen wieder andre. Daran hat man nicht direkt was verdient, was man beim Fremdenverkehr ja möchte, was verdienen, das haben wir uns aber wirklich verdient, wo wir doch so an dieser Stadt gearbeitet haben, hätte es hier kein Erz gegeben, wäre diese Stadt immer noch ein Dorf, jetzt ist sie stattdessen ein Teil des globalen Dorfes und lockt mit Hilfe einer mit Honig beschmierten Globalisierungsfalle Menschen an, die nicht mehr wegkönnen, so schön ist es hier, ich glaube, ich habe etwas nicht richtig verstanden. Nein, Sie verstehen mich nicht! Diese Stadt ist ein Opfer, auch wenn Sie hier diesen Eindruck nicht gewinnen, glauben Sie mir: Die Stadt ist auch ein Opfer, wie Sie. Bloß interessiert mich eine ganze Stadt natürlich mehr als Sie. Zuerst wuchs die Stadt mittels der Arbeitsplätze am Berg, dann schwand sie dahin, einst: 4 000 Bergleute, gestern nur noch: 210 (wegen Technisierung werden Menschen geschlossen, leider müssen sie geschlossen werden. Nein, erschießen ist nicht nötig, das ist nur was für die wohlhabenden Bankdirektoren, damit sie nicht zu viel Wohl haben, glauben sie, sich töten zu müssen), heute: niemand, nur noch die vom Schaubergwerk, dafür nimmt man die ansehnlicheren Exemplare,


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die mit Fremden, die aber nicht kommen, halbwegs umgehen können. Nur der Todesmarsch konnte die Eisenstraße nicht umgehen, er fand mitten drauf statt, der Tod auch, jawohl, das ist bezeugt und wird hiermit auch vom Wirten und mir persönlich bezeugt. Wo ist der Stempel? Hier ist er. So, ich bin abgestempelt. Ich habe den neuen Stempel auf die vielen alten draufgetan, man sieht mich vor lauter Stempeln gar nicht mehr, aber dafür bin ich legal hier, während vom Gesetz her legal, legistisch?, egalistisch!, gegen mich vorgegangen wird, weil ich Personenschützen verletzt haben soll, bevor die noch auf mich schießen konnten, verletzt durch mein ureigenes Urheberrecht, das dann keins mehr ist, wenn es fremde Rechte beschränkt, und das Recht des Fremden geht vor. Beschränkter als ich können die gar nicht sein. Hier stehen Fenster und Ladenlokale leer, hinter denen kein Licht mehr brennt, und auch die vielen Lebenslichter der Todesmarschierer sind längst ausgeblasen, das kann man auch mit Eiern machen, bevor man sie schön bemalt, ein jedes Osterei ein eigenes Gedenken, wenn auch innen hohl, aber außen: oho! Außen hui, innen pfui, hat mein Papi immer gesagt, und recht hat er gehabt. Diese Stadt erwartet, nein, erhofft sich von den Zuziehenden, die aber keine Todesmarschierer mehr sein dürfen, das ist ihre Bedingung, außer sie machen den Tod zu einer Tourismusattraktion (darüber wurde im Stadtrat aber noch nicht abgestimmt, ich kann Sie beruhigen, die Stimmen der einen erschallen immer, die andern hört man gar nicht mehr, zum Kuckuck!, so erschallts aus Feld und Wald), einer BELEBUNG DES ORTES. Gut. Was aber bedeutet Belebung? Ist diese Stadt eine Sterbende oder sogar Tote? Also nur,  weil sie damals Tote en masse


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produziert hat, ist sie selber noch lang nicht tot, die hat floriert, die Stadt, mittels Eisens. Mit dieser Aussage tue ich ihr keinesfalls Unrecht, denn die Stadt ist, wie gesagt, ein Opfer. Doch heute? Was ist heute? Erst recht Opfer! Wenn man am Abend, im Sommer, wo es die schönen berühmten Sommerabende gibt, in die Altstadt kommt, die ist wie ausgestorben. Tot. Keine Menschen. Es jammert mich, es dauert mich, es dauert und dauert, und dieser Eindruck wird noch verstärkt durch das völlige Fehlen von Jugendlichen im Stadtbild und auf dem Stadtbild. Die Jugendlichen sind teilweise, aber wirklich nur teilweise, mit dem Gedenken an die Verbrechen der Vergangenheit beschäftigt, die können nicht so mirnichts dirnichts auf der Straße herumrennen, wenn sie doch gedenken müssen, einer muß es ja tun. Und umso schöner, wenn es die jungen Menschen tun! Da zählt es doppelt, die haben nämlich noch so viel vor sich, aber dem Fremdenverkehr hilft das Gedenken überhaupt nicht, denn dieses richtet sich auf die Vergangenheit, und wir wollen doch in die Zukunft schauen und uns dran gewöhnen, im Hotelgewerbe unterzukommen, wenn wir keinen andern Unterstand mehr finden. So viele Leute braucht man dort aber nicht, nicht wahr, ja, was Serviererinnen und Putzfrauen sind, die braucht man immer und überall, wer soll sonst das Blut wegmachen?, da braucht man die Frauen, das kann ich mir gut vorstellen, die Frauen dürfen also bleiben, aber was ist mit den Liftbügelhaltern? Braucht man die? Ja, die braucht man, und das machen unsere Männer, die können einander die Steigbügel halten, diese Obersteiger, da werden sie wohl auch noch Liftbügel halten können, und zwar an die richtige Stelle am Arsch, da wird ja nicht so viel zu tun sein! Typischer Fall von denkste.


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Räumen Sie mal die Reste von 200 verstorbenen Menschen weg, und die sind nicht säuberlich verstorben, die haben ihr Blut um sich herum verteilt, ziemlich rücksichtslos, andrerseits hat es Beschäftigung gebracht, allerdings zu Zeiten, da noch niemand Beschäftigung brauchte, denn damals hat man noch eine ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht, das müssen Sie mir jetzt aber verzeihen, ich werde es nie, nie, nie wieder erwähnen, aber ich konnte es bisher immer so gut brauchen, wie das meiste, das nicht von mir ist, und das meiste hier ist ja nicht von mir, das kann ich Ihnen flüstern. Der Fremdenverkehr ist also nötig, er benötigt minderqualifizierte Arbeitsplätze, die er auch noch selber geschaffen hat, sie sind nicht sehr gut geworden, finde ich, aber immerhin, es sind Plätze, die, wie selbstgebastelte Denkmäler, sehr berührend ausgefallen sind, und kaum berührt ihr Ohr, nach einem langen Tag auf der Piste, das Kissen, sind Sie auch schon weg. Die Leute haben einen Abstieg genommen, nicht vom Berg, sondern von ihrer früheren Beschäftigung im Bergwerk, einen Abstieg in Kauf genommen, damit Touristen kommen können und ihnen den Ort leerkaufen und ihnen die Schneid auch noch abkaufen, wer keinen Abstieg in Kauf nehmen kann, ist jetzt sicher enttäuscht, ja, auch von mir! Man muß die Leute nur von der Unmöglichkeit überzeugen, ihre wunderbaren Reize der Öffentlichkeit einfach so darzubieten, und auch wenn die Bremse kaputt ist, der Körper aus dem Lot (deswegen fährt er immer um eine Kurve, obwohl gar keine da ist), treten wir aufs Gas, nein, es heißt: Geben wir Gas, geben wir mehr Gas (im Zusammenhang mit Umwelt und Sport sehr oft gebraucht: der muß jetzt aber Gas geben, na, der gibt jetzt aber Gas! Angasen! Abgase! Etc.), stoßen


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wir uns zum Nordic Walking mit unsren Stöcken ab, um endlich vorwärtszukommen und dabei Muskeln zu betätigen, die das gar nicht brauchen und die auch wir nicht gebrauchen, nur keine Sorge, sie werden eh nicht betätigt, irgendwas machen wir falsch, doch wir werden auf alle Fälle in unserem lächerlichen Tun  bestätigt, probieren Sie es mal aus, es stehen Trainer zur Verfügung, damit Sie es nicht falsch machen und die Muskeln gar nicht anspannen und entspannen, Trainer brauchen wir und haben wir (nein, keine Heimtrainer, wir befinden uns ja mitten im Fremdenverkehr, wenn auch nicht in der Fremde, und dieser Verkehr findet bei schönem Wetter natürlich nicht im Saal statt, sonst hätten wir ja zu Haus bleiben und miteinander verkehren können, nein auch nicht im Heim, der findet daheim bei uns statt, wo es am allerschönsten ist, irgendwas stimmt hier nicht, aber das Fremdeste ist ohnehin das Eigene, denn sich selbst will man ja nicht kennenlernen, man will andere nette Menschen kennenlernen, die nicht grade ein Ungeheuer sind, um sich mit ihnen zu amüsieren, dafür nimmt man ungeheure Anstrengungen in Kauf, Reisen, Warten, bis auf die Schuhsohlen  Untersuchtwerden, also ist es egal, was auch immer, man hat jemand Neuen kennengelernt und kann ihn, egal wo er sich befindet, jederzeit anrufen und zu einer Schlemmermahlzeit einladen, so sprechen die Menschen auf den Straßen vor sich hin, und man glaubt, sie wären irre, dabei sprechen sie mit einem lieben Mitmenschen, einem Parasiten in ihrem Ohr, den sie aber schätzen gelernt haben, sie schätzen ihn nach dem Modell seines Irrenhauszellentelefons ein, mit dem man auch fotografieren, kochen, pürieren und püriert werden und sich das Hirn pürieren lassen kann, das ist heute der


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erste Eindruck, den man von einem Menschen bekommt, nämlich der Eindruck, den man auf ihn machen wird, wenn er wieder fort ist und man endlich wieder mit ihm telefonieren kann, was rede ich da die ganze Zeit, ich brauch wohl dringend sofort selbst ein Telefon, was?!), ich sage Ihnen hier, wofür, so, wo waren wir, bevor wir in Bewegung gerieten?, bei den Nordic–Walking–Trainern waren wir, die in einer Viertelstunde angelernt wurden, obwohl das die lächerlichste Sportart ist (die Stöcke berühren ja kaum den Boden, für den sie gemacht sind!), die ich je gesehen habe, außer eben telefonieren, und doch muß man sie lernen (außer jener, bei der man – Verzeihung! Das Schreiben, das Beschreiben ist nicht meine starke Seite, das ist sogar meine Schwäche – ich versuche es mal und dann noch einmal mit sandgefüllten Röhren in den Händen, forsch  voranschreitet und diese Röhren, in denen der Sand unserer Lebensuhr, nein, nicht der, langsam abrieselt, einmal vor– einmal zurückschleudert, das hat schon einen Zweck, eigentlich hab ich keine Lust, ihn zu erklären, aber schauen Sie, wenn Sie feste Gewichte nehmen, um auch den Oberkörper zu stählen, damit er zu Ihren Füßen paßt, kann es passieren, daß sich die Muskeln zu ihrer eigenen Rettung verkatern und entzünden und sich immer wieder neu ansaufen müssen, weil die Gewichte starr sind, aber wenn Sand in dem Getriebe ist, dann können sich die Muskeln drauf vorbereiten, weil der Sand ja langsam einmal nach vorn und dann wieder nach hinten rinnt und der Muskel sozusagen ein Voraussignal erhält von den ersten ankommenden Sandkörnern, ach was, das ist mir jetzt zu blöd, mir fehlen einfach die Worte, wie soll man da etwas beschreiben! Ich wollte, es gäbe das alles gar nicht in


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meiner Nähe, sodaß ich ein Muß fühle, diesen Schmus zu beschreiben, um mich zu vergewissern, daß es das alles wirklich gibt!), ich versuche es noch ein weiteres Mal, es geht nicht, ich gehe nicht, komme was wolle, fehle, was fehle, jaja, wir kommen ja schon!, wir kommen sogar dann noch, wenn andre bei unsrem Anblick zur Salzsäule erstarren, wenn sie uns kommen sehen. Dann nehmen wir halt die Hände zu Hilfe, um endlich zu kommen.  Es ist nun einmal so, ganz allgemein gesprochen, daß der Anblick von Wasser, zumindest im Sommer,  jeden aufzufordern scheint, sich zu entkleiden, so wie das Leben einen auffordert, sich zu entscheiden. Aber Moment, da sind keine, da sind Menschen schon vorhanden, aber nicht ihre Reize, denn sie haben etwas falsch gemacht, das sie einem retuschierten Foto nachmachen wollten, und die Retusche haben sie nicht hingekriegt; wie sollen Menschen auch Reize ausbilden können, wenn sie doch alle gleich aussehen, und zwar genau so wie sie glauben, daß sie aussehen sollen, weil man ihnen zuvor Fotos gezeigt hat, die sie mit sich selbst nachmachen mögen, damit ihnen endlich wer nachstellt? Es folgt die Wende von Fleiß zu Industrie (ja, mein wunderbarer Dichterkollege, dies ist ein kleines Denkmal für dich, von mir persönlich aus Apfelbutzen zusammengebastelt, die langsam immer stärker gebräunt werden, bis sie zusammenfallen!), zum endlich mal richtig Leben, arbeitslos, ich meine ohne zu arbeiten, lose wie ein Vogel oder ein zusammengeknülltes Papierl in den Tag hineinzufliegen und nicht wie eine Fliege im Abfall zu landen, dem viel Sorgfalt zufließt, denn er muß getrennt werden, es muß einfach! Nein, einfach ist das nicht, aber es geht. Wir sind da unerbittlich, sogar zum Abfall noch. Die Lebensmittelindustrie


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hat zusammengefügt, was nach dem Tod sauber getrennt werden muß (eine Paradoxie zum Abfall, wie ich finde), welcher Mensch bekommt soviel Sorgfalt wie Abfall, der vom jeweiligen Nachbarn mit Argusaugen beobachtet wird: zuwenig, zuviel, das Falsche in der falschen Tonne oder gar nichts, weil wir tot sind? Moment: Öffentlichkeit haben sie hier schon, aber die ist nicht interessiert, in touristischen Berufen weitergebildet zu werden, nein, sie ist schon interessiert, die Öffentlichkeit, aber es gibt doch noch gar keine touristischen Berufe, die müssen von uns erst geschaffen werden, damit wir lernen, was fremd ist, nicht alles Fremde ist uns nämlich wirklich fremd. Wir müssen geschult werden, damit wir eine regionale Differenzierung bzw. eine internationale Indifferenzierung vornehmen können, denn wir selber haben ja historisch gewachsene Altlasten, die weder alt sind noch eine Last, wir empfinden sie nur so, und was mir noch aufgefallen ist: Die unmittelbare Nähe der Wohnorte zu den brüllenden Stahlwerken, den hämmernden Hämmern (zum Glück haben wir die schon vor zwanzig Jahren abgeschafft, aber es gellen uns immer noch die Ohren von diesen endlich und keine Sekunde zu früh – obwohl das Sensen am Berg recht elegant ausschaut, im Frühtau zu Berg, fallera, bumms, runter, und schon steckt die Sense tief im Oberschenkel – die Ohren gehen uns also über von all dem Lärm, doch für die Fremden nähmen wir sie, falls gewünscht, gern wieder in Betrieb, die überflüssigen Sensenschmieden, wo sie doch schon einen Rasenmäher für faktisch nichts im nächsten Baumarkt bekommen können und das Nichts sowieso überall, und da fährt dann die Autobahn drüber, ich meine der Spindelmäher, vorbei die Zeit, schön schön schön war die Zeit, da der Eßmeister,


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also der Herr, welcher die Esse betätigte, nicht einer, der Gourmetkritiken schreibt, liest oder beim Gewerken persönlich zu Tisch sitzen durfte, als einziger, und nicht aufgefressen wurde, heute werden wir von unseren Raten aufgefressen und sitzen nicht zu Tisch bei den Göttern, wir sitzen beim McDonalds und kaufen beim Spar, beim Metro, beim Lidl und beim Hofer, weil wir ja nicht beim ursprünglichen Ausgeber der Waren, für die wir so viel ausgeben müssen, kaufen können), den sägenden Sägewerken ist heute kaum noch von Vorteil, denn die Menschen fliehen die Arbeit und die Arbeit flieht die Menschen, die beiden kommen nicht mehr zusammen, jedenfalls nicht mehr so jung wie sie sein müßten, um überhaupt eine Arbeit erhaschen zu können. Dort, wo die Arbeit ist, erfolgte ein Niedergang der Wohnqualität, und zwar unter Qualen, wie schon der Name sagt, während woanders gute Beispiele der Stadterneuerung gelangen. Aber dorthin muß man erst mal gelangen, mit Öffis nicht, dazu sind diese Orte zu klein, nur zweimal im Tag der Postautobus, halt!, den gibts ja auch nicht mehr, der Bahnautobus, eine Absurdität an sich, aber wir nehmen das Auto, wenn wir eins haben, und haben wir keins, nehmen wir uns eins, dafür ist jetzt endlich die ganze Stadt erneuert worden, wie schön, wir bleiben, wo wir sind, das ist etwas, das ich sehr empfehlen kann, aus eigener Erfahrung. Oder nein, die Berufe, die im Werk gleich nebenan ausgeübt werden konnten, gibt es schon urlang, manche seit Jahrhunderten, aber es muß der Ort geschaffen werden, wo sie sich entfalten können. Vielleicht doch besser neue Berufe schaffen? Im Fremdenverkehr? Diese Stadt ist ein Opfer, nein, nicht meins, ich sagte es schon, ich kann es gar nicht oft genug sagen. Ich kann nichts dafür.


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Wir werden jetzt alle Serviererinnen und Servierer, um den Prinzessinnen und Prinzen, die zu uns kommen, um ihre Rolle zu spielen, zu servieren, bis wir selber bedient sind. Schöpfer, bitte melden! Schöpfen Sie bitte hier den neuen Beruf, hier brauchen wir ihn, jawohl, genau hier!, hier haben wir nicht einmal ein Klohäuschen von der bekannten Firma dixi, Elfriede dixit. Hier wird noch ein Falter gebraucht! Ich meine ein Mensch, der sich entfalten kann und will, er muß es überhaupt wollen, sonst geht gar nichts, sonst wird aus dieser Raupe nie etwas, er bleibt eine Made im Speck der Sozialhilfe, da kann er gleich Erdäpfel fressen mit nichts dazu. Mein geisteskranker Vater hat das gemacht, wenn man ihn gewähren ließ, weil er geglaubt hat, er verhungert sonst. Einen Zusammenfalter von Damastservietten brauchen wir auch nicht, das geht von alleine. Dafür sollen sich andre entfalten, bevor sie sich noch aufheben konnten, vor allem Frauen müssen schauen, daß sie sich konservieren können, damit man ihnen ihr Alter nicht ansieht. Sie sind nicht Schöpfer geworden, sehr geehrter Herr, um zu schaffen, sondern um Arbeitsplätze zu schaffen, also Leerstellen, wo einer hinkann und hin sein darf und auf der andren Seite wieder raus, wie diese Wurmlöcher zwischen Zeit und Raum, aber das sind gedachte Löcher, oder doch nicht? Muß fragen!, hab schon mal über sie geschrieben, aber das Falsche, ja, meinetwegen, nochmal fragen, wieder nix kapieren, raus müssen Sie sowieso, von mir aus auch bei diesem Loch, das ist nun mal da, wozu hat der Zimmermann, ich meine der Sohn des Zimmermanns, der das noch nicht wirklich gut konnte, es geschaffen?, egal wo, wo er halt wollte, meinetwegen dürfen Sie auch Lehrstellen schaffen oder gleich fertige


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ganze Arbeitsplätze, zu denen man fahren muß, damit man ihren Lärm nicht abends beim Fernsehen vernehmen muß, da wir endlich mit uns selbst im besten Einvernehmen sind, auch ich lasse ja nichts aus, wie Sie sehen, aber ich schaffe nicht, ich lasse nichts aus, jedoch schaffe ich nicht, versuchen Sie doch, mir in den Arm zu fallen, ich werde Sie nicht küssen oder streicheln, ich werde Sie fallen lassen! Ich werde Sie extra fallen lassen, vielleicht sogar einmal öfter, als andre Sie fallenlassen würden!, jedoch schaffen, nicht schöpfen Sie jetzt sofort, wir hätten Sie schon gestern gebraucht, schon vorgestern, schaffen Sie also auf der Stelle Stellen, ich meine Arbeitsplätze und planen Sie in Richtung Gesundheitstourismus und Gerechtigkeitstourismus (einfach jeder kann wegfahren, wenn er will, auch halb analphabetische Landsknechte und Mägde waren schon auf den griechischen Inseln und an der Costa Fatala Brava, bravo! Sie können aber auch dort, wo Sie sind, Neubauprojekte  vom Meer an Land ziehen, damit Sie gar nicht erst wegfahren müssen und es auch zu Hause schön haben. Nur ich war noch nirgends), sonst werden die Leute alle noch krank, anstatt daß die Kranken herkommen und sich in der Therme Loipersdorf oder Oberlaa oder was weiß ich wieder erholen können, alle in gebührendem gehörigem Abstand von hier, wo es stinkt, von hier nach dort, wo es nach Tod stinkt, und dort werden Sie sich von den noch nicht Kranken bedienen lassen können, um auf der Stelle zu gesunden und noch mehr von sich auszugeben und sich selbst, jetzt vollkommen nackt, mit Schlamm verpackt, in Dreck gewälzt, erstickt, dafür zurückzuerhalten, bloß ein Teil des Gehalts ist dann weg, als Prostituierte könnten Sie mehr erhalten, aber nicht regelmäßig, doch Sie werden


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schon nächsten Monat einen neuen Gehalt, wenn auch keinen  gehaltvolleren, aber dafür vierzehnmal im Jahr, erhalten. Kein Bedarf, für gar nichts, also wird geschafft, fleißig, aber es wird leider nichts geschaffen, was ein Fehler ist, auch meiner. Wieso eigentlich? Warum nicht z. B. im Bikini am Seeufer liegen? Genau das könnte ich z. B. tun, wenn ich nur wollte. Nun, das kann sich nicht jeder leisten, aus den unterschiedlichsten Gründen nicht. Das kann sich nicht jeder Körper leisten, der mit dem dazugehörigen Menschen aber nicht identisch sein muß, denn manche können es sich leisten, ihren neuen Badeanzug mit dazupassender Sonnenbrille, dazugehörigen Flipflops (selber ein Flop, aber die Flipflops dazu sind eh beinahe gratis) zu zeigen, ihre Körper können es aber nicht. Wo und wie sollen wir uns der Sonne darbieten, wenn es hier nicht einmal eine Umkleidekabine oder ein besagtes besungenes Toilettenhäuschen gibt? Sollen wir uns im Wasser darbieten, mit all unseren Endausscheidungen, sollen wir ins Wasser pinkeln? Ja, was bleibt uns übrig. Was übrigbleibt, muß raus. Alles muß raus. Es gibt doch so viele Sorten von Körpern, diesen Menschenkörpern, in denen sich alles abspielt, ob am oder unter Tag, manche veredelt, andre ganz im Naturzustand, den kaum einer erträgt, der die Besitzer des Zustands der Natur einmal in natura genauer betrachtet. Nur weil Sie für nichts mehr in Betracht kommen, soll man Sie nicht betrachten? Doch doch, Sie wollen, daß man Sie wenigstens am Strand von einem See oder einem Meer betrachtet, dort zählt nämlich mehr als das, was man ist, dort zählt, wie man ausschaut. Nur sie selbst, die nicht mehr in ihre Badekleidung passen, weil sogar die Kleidung sie schon längst aufgegeben hat


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(wie sie sich selber), sie zählen nicht mehr, diese Leute schauen offenkundig, ausgerechnet hier, wo sie für uns vollkommen offen daliegen, nicht mehr in den Spiegel, und sie sehen sich daher selten, aber sie sehen sich immer noch recht gern, bitte, danke, das heißt aber doch wohl nicht, daß wir sie auch anschauen müssen, oder? Es wäre eine Zumutung, die haben Mut, auf die Straße zu gehen! Einmal in der Auslagenscheibe ein verwischtes, vorüberzitterndes Abbild, neben zuwenig andren Menschen, wo eine jahrzehntelange, ungebrochene Abwanderung gebrochener Menschen nach der Blüte des Bergbaus zu eklatanter Überalterung geführt hat, sodaß die Zahl der Menschen wie der Haushalte, die diese führen sollen (das ist aber auch schon das einzige, was die je führen werden und geführt haben, seit sie einen lieben Führer hatten!), massiv absinkt, bis auf den Grund des Sees, der völlig grundlos hier ist, oder etwa, damit die Luft mit ihm spielen kann und wir uns in ihm spiegeln können? Allein, immer allein, als Frau sowieso allein, treten Sie zurück von mir, wenn Sie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sehen wollen und nicht bloß eine Pseudogleichheit zwischen Ihren Angehörigen, nein, zwischen den Angehörigen einer Kategorie, die brauchen Sie, um überhaupt vergleichen zu können! Ich ordne Sie und mich einem Geschlecht zu, den Rest einem anderen. Diese Ordnung habe ich mir persönlich zu eigen gemacht, da bin ich eigen, ich brauche so eine grobe Kategorisierung, damit ich überhaupt etwas über Menschen aussagen kann. Mehr fällt mir dazu nicht ein, als daß ich unbedingt von der Selbstverständlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit ausgehen möchte, um endlich woandershin zu kommen, aber wohin? Wird nicht schon gewußt, wonach man


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fragt, bzw. wird nicht schon gesehen, wonach man sucht? Das ist mir so oft vorgeworfen worden, daß ich es gar nicht mehr zählen kann, Sie können daher auf mich nicht mehr zählen, wenn Sie wissen wollen, welches Geschlecht denn jetzt gewonnen hat. Sie waren vorhin extra im Wettcafé und kehrten gewinnlos zurück. Ich zeige darauf: dieses, denn es hat durch das neue Make Up und den neuen Pulli ungeheuer gewonnen! Mehr gewinnen kann man gar nicht. Wir verlassen also unser Geschlecht und wenden uns dem anderen zu, das uns aber auch nichts zu sagen hat (wir wüßten die Antwort je schon), denn wir können ihm einfach keinen geordneten Fremdenverkehr bieten. Dieses Geschlecht von Arbeitern will ja nicht einmal mehr mit sich selbst verkehren, aber es muß. Es gibt kein andres. Das andre Geschlecht ist inzwischen zu weit weg, als daß sie es erreichen könnten. Es denkt die Lehrerin Brigitte K. nicht solche Gedanken, weil ihre Gedanken schon längst woanders sind, sie sind ihr vorausgeeilt, sie sind dabei, für eine Schülerin eine Mozart–Sonatine auszusuchen, ob die nicht noch zu schwer ist für die Patricia? Was hat das damit zu tun, daß eine qualitative Veränderung des Geschlechterverhältnisses zumindest theoretisch möglich sein müßte? Wenn man fest übt? Wenn man sagt: Dieses Geschlechterverhältnis ist ja viel schöner als der Verkehr zwischen den Geschlechtern, der oft in ein Verhältnis ausartet, aber noch keines sein muß. Das ist ja das Schöne, alles kann sein, aber nichts muß. Es kann etwas draus werden. Die Geschlechter sind nun mal eine Realität, und hier ist es verdammt schwer, Realitäten zu verkaufen, wo die Bevölkerung doch so massiv abwandert. Die Preise für Realitäten sind nicht sehr hoch. Finden Sie nicht, daß die geschlechtlichen Differenzen, ich


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meine Differenzierungen, und die damit verbundene Ungleichheit gesellschaftlicher Realitäten und gesellschaftlichen Realitätenbesitzes eine alltägliche Erfahrung sind und daher verändert werden können, ja, verändern Sie Ihre Erfahrungen, wie real auch immer sie sein mögen, verändern Sie sie! So. Nun sind sie verändert. Ich mach das schon. Ich habe nie gelernt, die mir zugewiesene Geschlechterrolle auszufüllen, aber Ihnen werde ich das schon noch beibringen, diese ewige Wunde, diese Amfortaswunde, die schließt sich nie, verrate ich Ihnen, wo hab ich das schon mal gesagt? Wahrscheinlich schon öfter, wie ich mich kenne, denn ich bin immer schon von den in der natürlichen Einstellung verharrenden und den Menschen selbstverständlichen Wirklichkeiten ausgegangen, das heißt, ich gehe so gut wie gar nicht mehr aus, damit ich kein Verhältnis mit dem andren Geschlecht beginnen muß und das dann wieder endlos beschreiben, entsetzlich, entsetzlich! Ich erspare es Ihnen. Ich versuche, mich Frauen zu nähern, und da ist schon eine, Brigitte, die Geigenlehrerin, die ein schweres geschlechtsinduziertes (ausnahmsweise mal nicht industrieinduziertes) Schicksal hatte, schon dieses kleine Schicksal fasse ich kaum, ich glaube, ich habe den falschen Beruf, danke, daß Sie nicht applaudieren und mich damit stören, doch wir sind derzeit ausnahmsweise nicht im Theater, und wir machen auch keins. Brigittes alltägliche Lebenswelt ist privat. Vielleicht fällt mir noch was ein, das ich dazu oder dagegen sagen könnte. Ihr Lebenszusammenhang ist ein völlig andrer als er einst in Bruck a. d. Mur war, wo sie mit einem wohlhabenden Geschäftsinhaber verheiratet war, bis die junge Sekretärin ihn ihr weggeschnappt hat, und die Sekretärin


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spielt kein Instrument, dafür spielt sie alle Stückln, das können Sie mir glauben, die Figur ist gut, der Körper ist jung, der Mund ist brav, das Kind ist klein, der Vater ist stolz, Brigitte ist weg. Egal, es hört ja doch keiner, so denkt Brigitte K., die jetzt an dieser örtlichen Musikschule unterrichtet, die im Hauptberuf vormittags eine Volks– und Hauptschule ist, mit angeschlossenem Hort, falls jemand seine Kinder für länger abgeben möchte, die ihm keiner freiwillig abnimmt, und wenn nicht, dann überfallen sie Menschen, die keinen Schutz und Hort haben, von keinem Drachen Fafner bewacht. Doch halt, die Bewachung ist ja überhaupt die Überhauptsache, denken Sie an die liebe Mama, die sich mit ihren drei Töchtern zwecks Bewachung mitsamt ihrem eigenen Müll in Linz–Urfahr eingesperrt hat! Eine Ur–Erfahrung, verzeihung!  Und nur dies wollte ich eigentlich sagen, die Bewachung ist sehr wichtig, weil nur unter Bewachung die Kinder den gewünschten Verlauf nehmen und sich nicht mehr in die Disco verlaufen können. Mich bewacht jetzt keiner mehr, auch kein Mutterdrachen, der mich verwahrlosen ließe am Berge der Reichen, Kontrolle ist besser, das mit dem Vertrauen schenke ich mir, das kenne ich nicht, ist mir noch nicht vorgestellt worden. Eine Frau ist und bleibt eine Frau, weil ich von Anfang an, seit ich zum ersten Mal ein Blatt Papier erblickte, dem Geschlecht, siehe oben, falls Sie es überheblich überlesen haben, eben den Vorrang vor anderen Differenzierungsmerkmalen gegeben habe. Das war vielleicht ein blöder Fehler gegen den mündigen Leser. Aber jetzt kann ich das nachträglich nicht mehr ändern. Ich wäre ja den Rest meines Lebens mit Änderungsarbeiten beschäftigt! Das Bleibende muß halt noch etwas länger


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bleiben, bis ich tot bin. Die zwanzig Jahre, wenn ich Glück habe, wird es wohl noch aushalten können. Wird es müssen, denn es ist kein Klo in der Nähe. Noch einmal: Daß die Frau einen Beruf hat, fällt ihr bei der Scheidung vom Mann auf den Kopf, welcher ihr Besitzer ist, Manna vom Himmel, die Stelle vor dem Komma, die er hat, sie aber nicht, sie hat keine Stelle, halt, grade hab ich doch gesagt, sie hat eine, aber Geigenlehren ist keine Stelle, auf der Sie oder ich stehen wollten; ein Beruf fällt der Frau also manchmal auf den Kopf wie ein Dachziegel, auf dem drei Meter hoch Schnee plus liegt, wenn sie vom Manne weg will, der doch längst schon von ihr weg wollte. Plus Eis an den Rändern, das dem Kopfi wehtut, mehr, als jeder Kopf vertragen könnte. Sie soll es nicht. Was soll sie nicht? Keine Ahnung.  Ich habe ihr nicht vorzuschreiben, was sie soll, und deswegen höre ich auch auf zu schreiben, daß mein Beruf das Schreiben ist. Es ist mein Hobby, das mein Beruf ist. Sie soll gar nichts, die Frau, Entschuldigung, es kann doch nur in ein hierarchisches Verhältnis gesetzt werden, was zuvor unterschieden worden ist, und zwischen Männern und Frauen gibt es doch überhaupt keinen Unterschied mehr und keine Hierarchie, nein, auch nicht in der Unterschicht, ich meine, es gibt keinen gewerbsmäßigen Unterschied. Privat gibt es schon einen, aber im Privaten ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen Privatsache, wie schon der Name sagt. Okay, ich habe mich geirrt, kein Unterschied, vierzig Jahre schreibe ich jetzt über den Unterschied, und da ist gar keiner, alles komische, kosmische Vogelscheuchen–Vergeblichkeit, ich habe das jetzt erst erfahren müssen, zu spät für mein Lebenswerk, bitte um Entschuldigung dafür, und hat sie mal


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einen erwischt, eine Frau einen Beruf, dann braucht sie ihn auch, weil sie das Jugendamt als Akademikerin damit blenden kann, nachdem sie sich selbst, die Kinder, den Hund und die Katze und den ganzen Dreck, welchen das alles macht, eingesperrt hat, auf daß ihr niemand etwas von diesen wunderbaren Dingen wegnehme, die alle ihr allein  gehören.  Manchmal sitzt die Juristin auch im verdreckten Auto und ißt etwas, manchmal dürfen auch die Kinder was essen. Ja, auch den Müll. Den dürfen wir nicht vergessen. Die Nachbarn können ihn eh keinen Augenblick vergessen, rufen allerdings an, wenn er sich vorm Haus stapelt und stinkt. Wer so bedürftig ist, der geht nirgendwo mehr hin, außer ins Irrenhaus, aber wer noch kann, weil er nicht eingesperrt ist, der geht gleich weiter zur Caritas, welche der größte private Konzern im deutschsprachigen Raum ist, Scheiße, jetzt finde ich den Wirtschaftsteil nicht, wo das nachgewiesen wird, ah, Gott sei Dank, da ist er ja, ich kann es also beweisen, daß Deutschland nicht Österreich ist, ich weiß auch nicht warum, denn es war einmal so, und war das schlecht? Nein. Hier stehts: Gegen den gern erweckten Anschein, grad steht er auf, dieser aufgeweckte Anschein, dem wir leider zu oft glauben, spielen Spenden und Zuwendungen privater Natur zur Finanzierung der Wohlfahrtspflege eine sehr untergeordnete Rolle, jawohl, da stehts. Schätzungen zum Spendenaufkommen schwanken in Deutschland (hier ist es ähnlich, aber, wie üblich, kleiner und überhaupt nicht ähnlich, nein, seien wir einmal kleinlich!, keine Ähnlichkeit, bloß herrschen hier andre Umweltbedingungen, deswegen werden Sie ja nie erfahren, wer hier herrscht). Der Umsatz der Gesamtbranche, wie gesagt in der Deutschen Bundesrepublik, die


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noch nicht so lang unschuldig ist wie wir, aber auch schon ein paar Jahrln, liegt aber bei 55 Milliarden, irgendwer hat das mühevoll ausgerechnet, und es stimmt, denn es steht in der Zeitung, in einer, der ich vertraue. Über 80 Prozent der Einnahmen der Caritas stammen aus dem Füllhorn des Sozialstaats, aus dem sich die professionellen Wohltäter meisterhaft zu bedienen wissen, meisterhafter als Brigitte je die Geige beherrscht hat bzw. sich beherrscht hat, jetzt bin ich schon so oft abgeschwiffen, daß ich Brigitte an dieser Stelle, die sie hat, festhalten muß, sonst fallen die letzten Menschen wie Maschen von mir ab, weil ich immer dieselbe Masche stricke, aber das sind nicht mehr viele, die noch da sind, die andren sind längst weg, Brigitte hat sich an ihrer Geige nun wirklich beherrscht, lange genug,  bevor sie sie auf dem Schädel eines Schülers beinahe zerschmettert hätte. Brigitte K. ist als Geigenlehrerin beschäftigt, so, ich bin jetzt ganz bei ihr, dafür aber leider nicht ganz bei mir, sie hat vor vielen Jahren die Staatsprüfung in Graz erfolgreich absolviert, bravo.  Sie bringt eine gewisse Eleganz mit einer Schüssel selbstgemachter mit Kürbis gefüllter Ravioli auf den Tisch, eine Anmut, nein, eine Anmutung, die nicht viele hier kennen, daher begegnen die Leute ihr mit Mißtrauen. Da ihr aber längst kaum noch Leute begegnen, zählt das nicht. Ist es nicht lächerlich, wie die sich hier in diesem Kaff anzieht? Als ginge sie immer noch über den Hauptplatz von Bruck a. d. Mur, die stolze Stadt, die Perle der Mur, das Juwel in der Murarmbeuge – keine Ahnung, ob sich die Mur dort verbeugt, aber ich nehme es an, obwohl es keinen Grund dafür gibt, ich war noch nie dort, bin immer nur durchgewunken


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worden (und hat diese Stadt überhaupt einen Hauptplatz? Brigitte müßte es wissen, sie stammt von dort, besuchte das örtliche Gymnasium und das örtliche Spital und die örtliche Tischlerei und die örtliche Musikschule, die sogar regelmäßig), einst war diese Frau mit dem größten Elektrohändler am Platz verheiratet, kinderlos, schweres Los, über zehn Jahre lang, bis dieser seine Sekretärin an ihrer Stelle, nein, aus ihrer Stelle nahm, die Angestellte, die jünger war. Sogar Sie müssen zugeben, daß ich keinerlei Fanatismus zeige, wozu auch, wir sind doch alles Frauen, und daher wird alles, was ich sagen könnte, in den Augen der Menschheit den Charakter von Gesprächen unter Frauen annehmen und einfach nicht zählen. Ich sage es zum letzten Mal: Als Frauen erkannt und anerkannt, wird sofort ein uns verbindender Erfahrungshorizont und Bewußtseinshorizont angenommen, aber das ist falsch. Ich habe mit Ihnen, auch wenn Sie eine Frau sind, nichts gemein, warum also sind Sie dann so gemein zu mir, Frau R., oder vielleicht Sie, Frau C.? Das wissen Sie wohl selber nicht, was?! Ich wäre so gern gemein zu Ihnen, nicht wahr, aber dazu müßte ich ca. 800 km lange Arme haben, leider. Aber zum Wesentlichen, was es auch ist, bei dem man doch ein bißchen abgeschieden sein möchte, solange man das Musizieren, das Tuten und Blasen und Leserbriefschreiben noch nicht richtig kann, was auch für andre Tätigkeiten gilt, wenn die Leute einmal, wenigstens einmal, versuchen, das Versäumte nachzuholen, in der Öffentlichkeit etwas zu zählen oder wenigstens ganz für sich allein ein Instrument zu erlernen, was manche sogar schon mehrmals erfolglos versucht haben, oder wenn sie versuchen, das Leben zu verlernen bzw. ihre Kinder dazu zu zwingen, falls sie welche haben,


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auf die sie das Verlernen abwälzen können, bevor die noch was gelernt haben, dann, ja dann sehen sie vielleicht ihre Grenzen, ich hoffe wirklich, all die übrigen Mütter sehen ihre Beschränktheit ein, denn diese Juristin, ebenfalls eine Mutter, sieht sie derzeit nicht, sie hat ihre Töchter eingehaust, kaputtgemacht, wenn auch nicht weggeschmissen, und danach erfolgreich allesamt durch samtige Plüschtiere ersetzt. Was folgt daraus? Daß wir den Menschen ihre Grenzen zeigen müssen, wenn sie sie nicht selber sehen können, und so ist dort, wo eine hingehört, folgerichtig bereits eine Randbegrenzung angebracht worden, allerdings für Fahrzeuge, aber die Menschen darin profitieren auch davon, ich muß fragen, wie man die nennt, ach ja: Leidplanken (nicht schon wieder, das war schon mal, als ich das Wort noch von alleine wußte!), also neben dem Straßenbankett dieses schwarzweißgestreifte Metallgeländer, das niedrige, aber, auch da liegt ein Problem: Kaum sieht ein Mensch seine Grenzen, will er sie auch schon erweitern, möglichst zum Nachbarn hin, den das immer stört, vor allem, wenn dabei Müll im Spiel ist, und diese Straße will zum Abgrund, das seh ich schon, sie will das Auto zum Abgrund hin lenken, aber man erlaubt es ihr nicht, deswegen hat man ja dieses kleine Geländer, diese Seitenbegrenzung, die Leitplanke  angebracht, damit man sich zumindest den Gips am Bein erspart, wenn nicht mehr, und was man sich da erspart, das kann man dann für das neue Auto ausgeben, keine Ahnung, warum alle immer dorthin wollen, zu jener Seite, wo einem Fremden, der ja ebenfalls immer angeleitet werden muß (doch hier wird er begrenzt, nicht geleitet!), etwas gehört, das man selber haben möchte. Ich verstehe diese Mutter. Immerhin wußte sie: dieses


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Kind gehört mir, dieses auch und dieses auch. Bis drei konnte sie zählen. Dafür hat mancher eben was andres, aber Sie glauben mir nicht, das sehe ich schon. Sie glauben mir vielleicht doch, weil auch Sie dasselbe wie ich in der Zeitung gelesen oder im Fernsehn gesehen haben. Aber jetzt zu Ihnen, was von Ihnen erwünscht und angestrebt ist: Sie sind der Meinung, daß Sie, was immer Sie haben, zuwenig davon haben, außer Krebs und/oder Arthritis, ja, können Sie auch haben, aber dann kann es plötzlich gar nicht wenig genug sein. Die Sekretärin, ich meine die zweite, viel jüngere Frau des Elektroladenbesitzers,  war ursprünglich, aber nur ein Jahr, mit einem der Installateure der Firma verheiratet, ist aber so schnell geschieden worden, wie der Geschäftseigentümer schauen und sie begehren konnte, nein, noch schneller, so rasch war sie frei für ihn, kaum gebunden, schon von einem andern gefunden, und so viele Jobs für Elektriker gibts nicht einmal in Bruck, der verhältnismäßig großen und bedeutenden Stadt, nein, ist sie nicht. Keine andre würde ein Verhältnis mit ihr haben wollen. Sämtliche Beteiligte ließen sich demnach ruck, zuck (eine zuckt noch heute, was für ein langer Todeskampf, der dauert Seiten und Seiten und verbraucht eine Menge Saiten! Verzeihung!) scheiden und stiegen auf oder ab, je nachdem, von welcher hohen Warte aus man es sieht, jedenfalls um sich neu verbinden zu können, aber auch die neuen Verbände sind schon wieder blutdurchtränkt, und Brigitte ist seither immer allein geblieben, einsam, nicht zweisam, wenn auch nicht freiwillig, ein flüchtiges, verzerrtes Spiegelbild in einer Scheibe, das nicht zu Vertraulichkeiten einlädt, eine solche persönliche Verarmung kann haarsträubend sein. Alles, was


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sie tut und spricht, zeugt von großer Einsamkeit, muß ich leider sagen, lieber sagte ich etwas andres, und dabei ist sie zweimal die Woche aktiv bei ihren Kammermusikabenden, zusätzlich zum Unterricht. Was könnte man sich nicht alles einverleiben, den andren Leib, ja, sogar Jesu Leib, im handlichen Kleinformat, das man keineswegs nur lesen kann (für die Ausländer unter uns: Ich spiele hier auf die Kronenzeitung an, was kann ich dafür, so wird sie hier seit Jahrzehnten schon genannt), jeden Leib, den andren Besitz, und notfalls unter Denkmalschutz stellen! Ja, schauen Sie nur kräftig und fleißig um sich und gehen Sie dann aus sich heraus, wenn Sie sicher sind, wen oder was Sie wollen und wozu Sie sich veranlaßt sehen!, Sie werden merken, jeder hat mehr als Sie, zumindest jeder, den Sie sehen können!, ja Sie, jeder von Ihnen, aber viele sind Sie trotzdem nicht, wird etwas finden, was er haben möchte, was aber schon ein andrer hat,  denn ohne Zwang denken die Menschen nun einmal nicht nach, ich glaube, das sagte ich auch schon oft, und zwar immer dann, wenn ich mich selbst persönlich hervorstreichen wollte, leider ohne zu denken, geistig barfuß, und ohne daß dabei je ein Ton hervorgekommen wäre, wenn man nicht eigens auf einen Glasscherben tritt, sie denken nicht nach, die Menschen, und es stößt mir schmerzlich auf, daß ich selber am wenigsten denken kann, glauben Sie mir, das ist mein Problem, ich wüßte auch nicht, an wen denken, woran oder worüber nachdenken, und dabei würde ich so gern Auskunft geben, über irgendwas. Und meist zwingen sie sich, nein, sie müssen sich nicht einmal zwingen, die Menschen, es bietet sich ihnen an, daß ein andrer etwas hat, das man selber so viel besser brauchen könnte. Der andre kann mit


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dem nichts anfangen, was er hat, also fangen wir uns mit ihm auch nichts an. Denn wenn er etwas hätte, das wir brauchen könnten, dann wüßte er, das können Sie mir glauben, was er hat, und gewiß nie an uns. Daher sucht er uns nicht, er macht uns keine Avancen, die macht er immer jeweils anderen. Doch wenn wir wollten, könnten wir mehr mit dem anfangen, was andre haben! Wenn wir könnten, fingen wir uns sogar mit dem Nachbarn, dem lieben Nächsten, was an, vorausgesetzt, er entspräche uns überhaupt, wir wissen es nicht, wir haben, außer grüß Gott und auf Wiedersehn, noch nie mit ihm gesprochen. Tatsache ist aber, daß diese Frau, Brigitte K., wie gesagt und noch mehrmals, wenn Sie Glück haben, oft, wenn Sie Pech haben, gesagt werden wird, eine gewisse modische Eleganz aufzubieten hat, was für eine Geigenlehrerin irgendwie, wie soll ich sagen: irgendwo angebracht ist, obwohl die Kleider nicht fix an ihr angebracht sind, man will ja Abwechslung, nicht wahr, das ist eine Frau, die eine Haltung braucht, und zwar eine gute, und hätte sie keine, müßte sie sich rasch was einfallen lassen, damit sie nicht umfällt, das lange Stehen (bequeme Schuhe, in diesem Fall elegante Sneakers, die jünger sind als man selbst und auch zu Jüngeren gehören wollen, denn Jugend gehört zu Jugend!), das stammelnde Begleiten der Schüler, die auf ihrem musikalischen Weg ihrerseits unwillig und schwer beladen dahinstolpern, denn wer lernt hier an diesem Totenort der Industrie, auf diesem Industriefriedhof, wo kaum einer sich in finanziell abgesicherter Position befindet, schon Geige, sogar in Bruck a. d. Mur haben mehr Menschen Geige, Gitarre oder dieses Nordisch–Gehen, von dem bereits die Rede war, gelernt (dabei haben sie sich aber nicht einmal den


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Stockeinsatz geleistet!), als ich an den Fingern beider Hände abzählen kann, die meisten bei Frau Brigitte, der beliebten Musikpädagogin, der ihr Mann das Unterrichten in einem ihm fremden Fach, in das er nie hineingegriffen hat, ausdrücklich gestattet hat, obwohl viel im Geschäft zu tun gewesen wäre, was die Sekretärin dann schließlich ja auch getan hat, ihr ausdrücklich gestattet hat, jawohl, das war der neue Mann, und er hat erlaubt, daß seine Frau sich persönlich so ausdrücken darf, wie keine andre Person es könnte, denn der Mensch ist einmalig und unverwechselbar, egal welcher, keine Ahnung wer, also dieser nicht, den ich grad sehe, der hat genau dieselbe Windjacke an, die ich schon an fünfundzwanzig anderen allein in den letzten fünf Minuten gesehen habe, du bist nicht allein mit dieser Jacke, das liegt daran, daß das einzige Kaufhaus am Ort einen Ausverkauf gemacht hat, ach, wie gern würde ich z. B. mit Angelina Jolie tauschen, aber ohne die Kinder (künftige Generationen bitte einen Namen nach freier Wahl einsetzen, aber ich werde dann ja weg sein, künftige Generationen werden dies nicht zur Kenntnis nehmen, nicht einmal diese tut es, und sie sollen es auch nicht, die Künftigen, es ist für den raschen Verzehr, aber es ist total ungenießbar, das werden Sie bereits gemerkt haben, oder sagen wir besser: zum alsbaldigen Verfall, am besten wäre es, die Zeilen lösten sich unter meinen Fingern auf, wie Tricktinte, aber falls ich wider Erwarten doch durch die Maschen der Zeit rutschen sollte, durch welche schöne Frau könnte man dann mich, die es nicht mehr geben wird, in der Hinkünftigkeit, wenn ich hin sein werde, ersetzen?, das würde mich jetzt aber auch echt interessieren), es geht aber nicht, denn ich sehe mich nicht


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in der Lage dazu, mich mit ihr auszutauschen, sie würde mir nicht zuhören, und ich habe ja nicht einmal die Grundvoraussetzung dafür, eine andre zu sein, ich weiß ja nicht einmal, wer ich jetzt bin. Überhaupt: Wer ist schon schön? Niemand ist noch nicht schön. Entweder man ist es oder nicht. Brigitte nicht, wen kümmerts, nicht einmal sie selbst, die immerhin etwas aus sich machen kann, wenn auch nicht unbedingt mehr, sie macht, was der Hamster im Laufrad macht, sie rennt, aber sie bleibt immer am Ort. Also, gestatten: J., das ist mir jetzt zu persönlich, und so spiele ich die Ablehnende, aber nicht gut.  Gestattet wurde  Brigitte K. vom Ehemann ausdrücklich das Unterrichten der Geige, wovon er bei der Scheidung aber nichts mehr wissen wollte und womit man nicht einmal automatisch zu den wohlunterrichteten Kreisen gehört, aber Brigittes Unterricht war didaktisch gar nicht mal so schlecht, sie hat dazu neueste Erkenntnisse aus einem neuesten Buch verwendet, das sie sich eigens gekauft hat, nach einem Jahr sollte der Schüler, die Schülerin bereits Bach–Solosonaten spielen können, wer kontrolliert das schon nach?, wer erträgt das schon lang genug, um es überhaupt kontrollieren zu können? So manch stolzer Elternteil hält das gut aus. Doch es gibt keine Kontrolle der Kontrolle, es gibt nur Gott, also ich glaube nicht, daß es ihn gibt, er hätte das Vergnügen der Mächtigen, aller Mächtigen, des Allmächtigen, Gott, der zumindest versucht, uns zu kontrollieren und alles zu untersagen, was Spaß macht, ich sage weiter unten, was das ist, es gibt keinen Bezirksmusikschulinspektor, oder doch? Hier nicht, die Musikschule ist zwar offiziell, doch wurde sie vergessen und aufgegeben, wie so vieles hier, sie fristet, wie man so sagt, ein kärgliches


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Dasein. Dabei wäre grade an einem solchen  verlorenen Ort Musik so wichtig! Glauben Sie mir! Denn wenn Menschen gemeinsam etwas machen, und damit meine ich nicht, einfach mit einem Hammer auf was draufhauen, wenn sie aufeinander hören oder einander kommen hören, und damit meine ich nicht, daß die Regierung aus lauter Arschlöchern besteht, die auch noch laut sind und uns stören, wenn sie auf den anderen, wie in der Musik, und nur in dieser, auch emotional eingehen müssen, bis der selber eingeht, nein, vergessen Sie das, ich meine es todernst, wenn sie das müssen, dann schützt sie das davor, den anderen bei nächster Gelegenheit auf den Kopf zu hauen, allerdings leider nicht davor, selber auf den Kopf gehauen zu werden. Muß ich auch nachschauen, ich meine, ich muß nachschauen, wie, wo und warum ich diesen Satz begonnen habe, das möchte ich jetzt selber gern wissen! (Man darf nur nicht vergessen, sich vor dem rauschenden Bach, den einfach jeder gernhaben muß,  Wachspfropfen in die Ohren zu stopfen, sonst hat man die Hosen so voll, daß man sogar beim Musikunterricht, dem Schönsten, was es gibt, mit einem universellen Generalschlüssel jederzeit erreichbar, ganz schnell raus muß. Aber auch dort, wo immer man ist: Die Musik ist schon da, man kann sie sich heute jederzeit herunterladen, wer sollte es einem verwehren?). Na, wer sagts denn, da kommen noch ein paar Ladungen, na, wer kommt denn da jetzt noch, läßt man sich dort ruhig nieder, wo man singt? Wieso singt dann hier keiner hollario? Tun sie doch, haben Sie es denn nicht gestern im TV gesehn und vorgestern auch und am Tag davor? Es sollen doch die Fremden endlich kommen, damit wir ihnen etwas zu bieten haben. Musik kann auch sehr böse machen, denken Sie an


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Horst Wessel, der weiterlebt in seinem Lied, aber böse wollen wir nicht werden, obwohl die Menge in dieser Stadt so stark reduziert ist, allerdings nicht durch Musik, die weniger Einsame am Computer und mehr Gemeinsame mit Brigitte K. bedeutet, also dann lieber den Computer, denn was ich persönlich um keinen Preis in diesem Leben noch einmal erfahren möchte (im früheren habe ich es zu oft erfahren müssen), ist, wie schön es ist, sich nicht einfach nur eine CD reinzuziehen, sondern selber Musik ziehen zu lassen, fort, nur fort, fort von mir, weg mit Gestank!, wie schön, wenn die Mutter ein Wiegenlied singen kann, ja, das finde ich auch schön, und dazu ein wenig mit dem Säugling tanzt, doch ich schweife ab, es wird noch vier Jahre dauern, bis das Kind in die musikalische Früherziehungsanstalt kommt (Brigitte hat so einen Kurs eingerichtet, für Vorschulkinder, damit die schon eine musikalische Grundschulung erhalten, aber bereits vor der Grundschule sind alle ihre Schüler weggeblieben, obwohl es gratis war), in der Gruppe hat man ein Gefühl, und das nennt man Musikausübung, und Menschen, die daran teilgenommen und über ihre Teilnahme keine Bestätigung vom AMS erhalten haben, denn diese Teilnahme zählt für gar nichts, diese Menschen, die teilnehmend der Musik lauschten und sie auch auszuprobieren versuchten, äh, nein, das ist doppelt, wurscht, also solche Menschen werden sich scheuen, so ein Gemeinschaftserlebnis in sein Gegenteil zu verkehren und die Musik von hinten nach vorn zu hören, die Gemeinschaft von hinten nach vorn aufzurollen, was ist da gemeint?, sie werden sich vor allem scheuen, die jungen Musiker, weil sie sich ja scheuen müssen, sich selber zuzuhören, sonst würden sie vor sich selber wegrennen, doch was zählt ist, daß man etwas


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tut, etwas Ganzheitlicheres als eine halbe Sache (Musik hören, und zwar nicht die eigene); vor dem Computer zu sitzen, lähmt den Menschen, deswegen steht er von dort nicht mehr auf, aber halt, es lähmt ihn nur in seiner Kreativität, und auf die pfeife ich, kreativ, wirklich kreativ war nur der Schöpfer selbst, Jesus, so etwas Entsetzliches wie wir würde der Musik, ich meine einem Komponisten nie einfallen, mein Gott, ja, du, mir fällt grade ein: Womöglich hast du Bruck an der Mur gar kleiner erschaffen als die Erzstadt, ich muß auch das umgehend nachprüfen, nein, doch nicht, mir ist das genauso egal wie mein eigenes Glück, doch erst mal macht es Spaß, das einfach hinzuschreiben, man kann alles hinschreiben, Du Tarzan, ich Gott, ich benütze diesen teuren Namen, der der billigste überhaupt ist, wie er in diesem Buch, das zum Glück keins ist, beschrieben ist, ich beschreibe Gott mit mir, könnte aber jeden andren auch nehmen und so benennen, Bruck und Kapfenberg, äh, also die andre Stadt halt, mit der ich Vergleiche anstelle, die Erzstadt, aber beide Städte sind so klein, daß man sie genausogut per pedes mühelos umgehen könnte, zu Fuß, aber wer macht das schon, wir bauen Brücken von Mensch zu Mensch, nur damit wir sie wieder einreißen können, von Ufer zu Ufer, damit das Wasser sie einreißen kann, aber zu Fuß gehen tun wir nicht, nicht einmal über unsere eigenen Brücken, die ohnedies nicht sehr haltbar sind. Nicht einmal Menschen mit Erzieherberufen, wie Brigitte, machen das, sie erziehen die Leute lieber zum Besseren und nicht zur Sinnlosigkeit des in den Tod Wanderns, was von alleine kommt und allein auch geht. Das ist ein Problem, über das wir im Verband einmal bis aufs Blut nachdenken sollten, wir sollten nachdenken,


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welche Kultur wir wollen, eine, die nur zuhören kann (wäre nicht schlecht, wenn Sie mich fragen), oder eine, wo man selber etwas produziert (schlecht, wenn Sie mich was andres fragen), eine Gruppe, die herstellt, nein, nicht Sensen oder Messer oder Sicheln, das hat man früher gemacht, nein, etwas Immaterielles herstellt, wollen wir ein Kind, das brav in die Geigenstunde zu Frau Lehrerin K. geht, oder wollen wir Musikziergruppen, in denen jeder mal mitklatschen darf, und wir freuen uns daran, und wir machen das massenhaft im Musikantenstadl, den es immer noch gibt, obwohl ich jetzt jahrzehntelang gegen ihn angebrandet bin, mit Schaum vorm Mund, der nach Parfüm geduftet hat, wie in der Badewanne, mehr war da nicht, wollen wir einen Fortschritt im musikalischen Prozeß, oder wollen wir nur hirnlos miteinander, aufeinander einklatschen, als wären wir Kanaken? Man glaubt nicht an uns, man liebt uns nicht. Wir wollen nichts dergleichen, wir wollen beides miteinander verbinden, die Disziplin der Geigenstunde mit der Lockerheit des Mitklatschens, das Spaß macht, alles ist sinnvoll, was einen Sinn hat, und der Geigenschüler, der die Kreutzersonate spielt oder die Frühlingssonate (was er nie können wird, keine Sorge, deshalb wählte ich ja dieses Beispiel, denn es ist so folgenlos wie Ihr ganzes Leben!), lernt ja mehr, als dieses Stück zu spielen, das er, wie gesagt, eh nicht erlernen wird. Aber man muß ja nicht zu hoch greifen, es genügt, sich an die eigene Nase zu fassen, und so wie die Toselli–Serenade heute geklungen hat, ist auch entsetzlich. Die Kreutzer–Sonate könnte, hätte er sich mehr Mühe gegeben und sie erlernt (total unmöglich!), sein Verhalten prägen und seinen Geist schulen können, und ich persönlich finde,


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nein, ich sehe, jemand andrer findet das auch, sonst wüßte ich ja nicht, was ich persönlich gefunden habe, daß Musikschulen mehr die geistige Dimension der Musik ins Bewußtsein rücken sollten, daß sie den Kindern beibringen sollten, daß es nicht darum geht, ein Stück perfekt zu spielen, sondern auch darum, Musik zu verstehen. Ich verstehe nur Bahnhof, aber ich fahre nie weg, leider, ich kenne nur zwei Bahnhöfe oder drei. Und so ist es auch mit dem Geigenspiel, man versteht nicht, wie man das Dings halten soll, damit es ertönt, und man kommt auch nicht dorthin, wo man hin möchte. Der Löffel wird abgegeben, der Stuhl wird gradegerückt, der Herd ist ausgeschaltet und aus.  Von irgendwas muß ja die Rede sein, und ich wähle nun dies, gehe aber nicht hin. Bruck ist halt einfach großstädtischer, glaube ich, doch ich weiß es nicht. Aber Brigitte hat auch hier, wo sie inzwischen notgelandet ist, in der ehemaligen Erzstadt, ein paar ganz ordentliche Stück junge Menschen zusammenscharren können, wie Blätter, die keiner aufhebt, weil sie so alltäglich sind, daß man sie nicht einmal in ein Buch pressen mag, und im Grunde ist alles alltäglich, mit Ausnahme dessen, was die Menschen im TV so treiben, deshalb wurde das Fernsehn ja eigens erfunden; Brigitte hat nette junge Leute als Schülerinnen und Schüler, die schon ganz ordentlich ihre Stückln spielen, am Klavier kann man wenigstens sitzen und sich nach vorn sinken lassen, wenn man es nicht mehr aushält, das Kreuz wehtut und kein verantwortlicher Agent in der Nähe ist, der einen engagieren könnte, denn keiner käme ausgerechnet hierher, auch er kann sich nämlich ausrechnen oder nachlesen, daß es hier kaum noch Menschen gibt (wenn Sie hier wohnen, müssen


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Sie sich schon bequemen, woandershin zu fahren, was natürlich wieder unbequem ist), auch wenn wir die Eltern der Schüler mit ins Boot holen, damit sie kräftig rudern und Pionierarbeit leisten und ihre Kinder ebenfalls in die Musikschule zu Brigitte K. oder einer Kollegin, einer Klavier– oder Cellokollegin (bei der lernt Brigitte selbst privat, da haben Sie gleich Qualitätskontrolle!) schicken. Frauen, nichts als Frauen sie alle, also nichts und niemand. Keine. An jeder Ecke ein Pensionist steht in der Stadt, an keiner Ecke ein junger Mensch, nirgends eine Frau, außer sie wäre schon alt und müßte einkaufen gehen. Ja, die Jugend fehlt. Und wenn sie fehlt, wird sie nicht ausgerechnet Geige lernen. Wenn man woanders hinkommt: Da ist überall alles, auch Jugend, aber hier fehlt sie uns. Überall stiftet sie Schaden, aber bei uns fehlt sie. Die Musik stiftet überall Nutzen, doch bei uns: Schaden ohne Schadensbegrenzung, ohne Schadensleitplanke. Es kommt, wie beim Geigen, zuerst mal auf die Haltung an, die schwierig ist, und noch schwieriger, wenn man über den See blickt, an dem man sich so viele Freiheiten herausnehmen könnte, wäre jetzt nicht Winter, nein, Herbst im Winter, beim Geigen muß man sich leider aufrecht halten, auch wenn man fast einschläft, es ist die aufrechte Haltung einfach die freiere, wieso Haltung und wieso einfach? Einfach ist es nicht, das Geigen, es ist sogar sehr schwierig, das mußte ich nicht erraten, das weiß ich aus Erfahrung, probieren Sie es nur in Ruhe, bitte noch nicht in Bewegung, erst mal aus, Ihre stählerne Industrieseele aus einer Zeit, da es hier Industrie noch gab, wird daran zerbrechen, denn sie ist für die Kunst nun einmal nicht geschaffen, trösten Sie sich, das ist kaum eine Seele,


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auch wenn sie sich noch so sehr sehnt, vom Simplen zum Komplizierten überzuwechseln! Diese Frau hat eine, nein, sie hat keine, nein, doch!, sie ist eine Erscheinung gewissermaßen, die Lokalpolitiker von den Lokalen her kennt, die ihnen ihren Namen gegeben haben, aber auch von kleinen Empfängen und Zusammenkünften, die im Gemeindeamt oder in der Volksschule stattfinden, und auch mit ihnen nett plaudert (mit uns reden die ja nicht!), als wären die Politiker sie und ihresgleichen. Dabei sind sie ohnegleichen, und nur die Gleichenfeier ist wichtig, da kommen dann alle, weil was los ist, wenn Menschen gleich und gut drauf sind, aber hallo, da geht die Post ab und der Bär steppt und die Glöckchen – klingelingeling – weigern sich, vor dem Altar zu bimmeln, weil die Hand des Ministranten vielleicht grad dermaßen erzittert, daß er das Erz kaum halten kann. Das ist ein so unerhörtes Ereignis, das alle gleich sind (naturgemäß, denn alle andren, die Ungleichen, sind längst weg von hier), daß noch nie davon gehört worden ist. Ich komme, wie die Geigenschülerin, die ich einst war, nicht voran, ich trete hier kilometerweise Wasser in meiner homepage, ich wandere durch das Wasser, denn oben drauf wäre es mir zu anstrengend (alles hier meins, da können Sie sich auf den Kopf stellen, was Sie nicht tun werden, Sie werden nur einen Fingerabdruck abgeben, das Ix, das Kreuzerl dort oben rechts erwischen, und schon bin ich weg, ich bin weg, verschwunden, und mit mir mein Textkörper, durch den ich leben muß und er durch mich, ich Arme, ich muß ja gar nicht, Sie erhalten mich dort, aber ich will nicht, es passiert nichts, es passiert auch mir nichts, und jetzt haben Sie mich ganz entfernt, wunderbar, genau das hab ich mir mein Leben lang gewünscht,


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und Sie ermöglichen es mir, endlich weg zu sein, ich danke Ihnen! Ein Buch hätten Sie zahlen müssen und eigens in den Papiermüll schmeißen, hier können Sie mich total rückstandslos entfernen, aaah! Ich fühle mich wie neugeboren, weil Sie mich ausgelöscht haben, wie 29 Stück von meinen Verwandten anno dazumals ausradiert worden sind, oder waren es 49?,  oje, das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen, es ist wie nicht gesagt, ich bin doch kein Opfer!, so, es ist jetzt wie nicht gesagt. Aber Sie verblenden, ich meine verschwenden mich und meine Toten hier sowieso hinter Ihren strahlend weißen aufgehellten Zahnkränzen, bitte fressen Sie mich nicht! Ich weiß von Ihren Zähnen: auch die tun bloß ihre Arbeit und sehen noch dazu im TV, wo Sie aber nicht sind, schön aus, ja, und doch ist das alles vergeudet, alles, obwohl ich Arbeit darin investiert habe, und zwar Arbeit z.B. heute, am Sonntag, dem 10.12.06, prima, das hat mir der Rechner sogar klein oben draufgeschrieben, als ich Sonntag schrieb, danke, der gibt mir was, Sie geben mir nichts, Sie nehmen mich weg, noch besser, Arbeit von sieben bis acht Uhr früh bis jetzt, bittesehr, nichts zu danken, die Arbeit ist aufgebraucht, meine Arbeit ist aufgezehrt, und das nie von dem, der sie schuf, immer von andren), ich glaub, vor der Klammer war folgendes, schauen wir mal, was kam als letztes? Hier stehts: kilometerweise homepage auf der Stelle, wo nicht einmal Wasser ist, in dem ich herumgehen könnte. Ich sagte, daß ich nicht auf dem Wasser schreiten könne. Sogar das haben Sie sicher bereits zuvor gewußt. Doch dazwischen – auf das Dazwischen kommt es manchmal mehr an, damit etwas beim Leser ankommt –  habe ich alles erklärt, was zu klären war, in meiner privaten Kläranlage. Wer


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wollte es mir verklären, ich meine verwehren? Niemand kann mir hier irgendwas verbieten, niemand! Ha! Ha–Halt, da gehen gerade im Rahmen des geplanten neuen Hotelbetriebs, der etwas schief hängt, noch bevor der Haussegen eingezogen ist, soeben wieder, ich kann nichts dafür und nichts dagegen, ein paar Arbeitssuchende aus der Region vorüber, vorbei, denn sie sollen im Extrazimmer des größten Wirten am Ort von qualifiziertem Schulungspersonal in den touristischen Berufen aus– und weitergebildet werden, bis es weiter nicht mehr geht und sie über den Rand der Natur hinausschießen, ohne Jagdrevierbesitzer samt düsterem Schloß mit angeschlossener Hobby–Viehzucht zu sein, wer kümmert sich jetzt eigentlich um die? Pächter? Ja, Pächter, nein, eher Angestellte, nicht Angstgestellte, Angestellte, wovor jetzt noch Angst haben? Kommt schon noch! Der Jagdbesitzer ist neuerdings tot, aber das Vieh wird immer noch von Flaschen gezogen, nein, im Ernst, das ist Bio–Rind der obersten Preisklasse! Klasse! Das Vieh wird dann sogar vermarktet, es ist Bio–Rind der besten Qualitätsstufe, das geht Ihnen glatt zum Plachutta in Wien–Hietzing rein und bei Ihrem andern Ende wieder raus. Hier ein altes Foto, mit einem andren Tier, das leider noch nicht Bio war, naja, vielleicht doch, eins aus einer andren Zeit, auf dem eine nette Kuh mit ihren Mördern posiert, alle schauen sie in die Kamera, der Gehilfe hält sich am rechten Horn der Kuh fest, nein, er scheint eine Art Besitzanspruch auf sie zu demonstrieren mit dieser zum Horn greifenden Geste, als wollte er seine eigene Seele damit hinaustrompeten in den nach Blut stinkenden Hof,  Hauptfleischer (der Meister selbst, nicht identisch mit unserem Schöpfer!) und sein Gehilfe haben schon eine Art Werkzeug


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in Händen (eine Spitzhacke, die durchs Fleisch fahren und dort ordentlich  herumschauen wird, aussortieren, was wohin kommt), das scharf–spitze Werkzeug ist es, das die Kuh kapores machen wird, und die Kuh schaut neben ihren Henkern freundlich, aber mit der Ergebenheit, nein, der Ergiebigkeit von zur Verwertung bestimmten Tieren ins Objektiv, das nur kurz einen Lidschlag zusammengezuckt ist und das Bild dann endgültig in die Welt hinaus freigegeben hat. Trink, oh Auge! Die Knie der Kuh sind noch schmutzig vom letzten Hinknien und Hinlegen vor dem endgültigen. Was sage ich hier? So, das lese ich jetzt nicht noch einmal durch, das geht mir zu nahe. Es sind so viele Menschen gestorben, und seit 1914 ist ihr Tod überhaupt Programm, er kann so schnell hergestellt werden wie nicht einmal das Eisen, das ja erst mal geschmiedet werden muß, bis man es biegen kann, aber seit damals sind Myriaden, Schwärme von Maden, ich meine Menschen eingefallen, abgebrannt und ausradiert worden, seither können wir das, warum also einer armen einsamen Kuh nachweinen, die soeben am Gras noch ihre Freude hatte? Der Mensch ist Gras und hat nur wenig Freuden, solange er lebt. Aber im Tod, oho, da geht es erst richtig los, die Post und den Bären hatte ich schon, da laicht mein Lachs, da pfeift mein Schwein, wenn Sie einmal tot sind, da sind Sie unter so vielen Menschen, da ist dauernd Partytime, nicht so viel Party wie für all die Maturantinnen und Maturanten, die ich zum Glück nicht kenne, ich weiß genau, warum ich hier beide Geschlechter verwende, obwohl ich nicht einmal eins für mich allein habe, aber nicht so viel wie diese riesigen Menschenmengen an jungem Fleisch kotzen, ficken, rattata abtanzen, noch mehr abficken, abpinkeln, abscheißen


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und wieder von vorn, soviele Menschen, jung und knackig, kann ich mir an einem einzigen Ort, außer dem Abort, wo ich wirklich und erwünschtermaßen allein bin, überhaupt nicht vorstellen, hier ist mein Ernst! Grüß Gott, Ernst, ich verdiene hier nichts daran, und Sie verdienen etwas Besseres, aber Sie wissen es nicht, und Sie und ich, wir bekommen, was immer wir verdienen, bei mir ist es nicht grade wenig: den Tod, und dann wird es endlich echt lustig, dann ist endlich mal was geboten, man muß sich nicht an die Geige, den Schmelzofen, den Baum bei der Heimfahrt von der Disco stellen. Man kommt dorthin, keine Ahnung wohin, aber es wird spannend, das kann ich Ihnen versichern, denn die Zukunft bricht auf, und Sie sind nicht dabei, Sie sind nicht allein, aber Sie sind nicht dabei!, nicht mal als Zuschauer, aber wer weiß, vielleicht doch, das ist ja eben das Spannende, niemand kann es wissen. Aber es ist der Leerstand hier, wo die Menschen ja noch leben könnten, ich hätte nichts dagegen, hier also ist der Leerstand unübersehbar, es mangelt nicht an Häusern, aber an Einkaufsmöglichkeiten, weil es an Menschen mangelt, nicht weil es an gebrechlichen Menschen mangelte, sondern weil es an Menschen gebricht, die noch nicht gebrochen worden sind. Wo Einkaufsmöglichkeiten mindestens zehnmal geboten sind, aber hier gibt es nur drei Geschäfte, dort flanieren, auch wenn sie es sich nicht leisten können hineinzugehen, die Menschen, sie lernen einander kennen, verabscheuen, töten oder mit Bierflaschen wenigstens aufeinander einprügeln. Sie lassen Begegnungen stattfinden, in unterschiedlichen Brutalitätsgraden, aber immerhin; zu größeren Einkäufen müssen sie in die nähere Umgebung ausweichen, wer weiß, vielleicht sogar in den Elektroladen von Brigittes


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Ex in Bruck a. d. Mur, wer weiß? Er hat Trockner im Sonderangebot, es ist ein Weihnachtsangebot, und wer kann, nimmt es an, es sind wenige, denn die meisten hängen ihre Wäsche noch auf und sich manchmal daneben. Hier wird es leer, merke ich, umso besser kann ich mich auf Brigitte K. konzentrieren, man verliert sie hier nie aus den Augen, es wäre eine alltägliche Begegnung, wäre Brigitte nur alltäglich, aber zum Glück, wenn auch nicht ihrem, gibt es nicht viele frauliche Erscheinungen wie sie, und im Alltag laufen wir einfach an ihr vorbei, ohne in ihr Inneres zu schauen, wo Reichtum herrscht, nicht Armut wie beim Kind in der Krippe, das baldigst zur frühkindlichen Musikerziehung antreten muß, obwohl es noch nicht einmal richtig gehen kann. Jesus! Du singst jetzt sofort: Am Brunnen vor dem Tore! Was, du kannst es nicht? Wenn du es nicht kannst oder kennst, dann existiert es gar nicht, und wir müssen uns in der Folge nicht mehr damit beschäftigen und richten dafür eine Sambagruppe im Kindergarten ein, damit die Kinder moderner denken lernen. Macht  alles nichts. Nähern Sie sich trotzdem der Musik, mit Ihren Kindern oder auch alleine, in diese Sambagruppen z. B. strömen fast ausschließlich Erwachsene, in der Gitarrengruppe geht es altersmäßig und auch sonst schon gemischter zu, und dann gibt es ja noch die Zuckerpuppen in der Bauchtanzgruppe in der Volkshochschule, dieser wesentlichen Schule des Volkes! Die Menschen werden Sie fliehen wie eine Naturkatastrophe, wenn Sie die Richtung zu einer aktiven Kultur einschlagen und sie alle dabei niedertrampeln, natürlich gehen die Ihnen dann schon vorher aus dem Weg, wenn Sie ihnen so auf die Nerven gehen! Aber daher kommt der Mangel nicht, daß Menschen Musik fliehen,


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ganz im Gegenteil, wieso hörten wir denn sonst Musik, im Lift, im Kaufhaus, im Kaufhauslift, auf der Skipiste, am Strand, auf Bergeshöhn und im Verkehrsgedröhn, wenn wir Musik fliehen würden? Also daher kommt es nicht, daß es hier an Menschen gebricht und wir sofort wegen dieses Gebrechens einen Gas–Wasser– und Existenz–Installateur rufen müssen. Dabei sollten wir uns seit etwa hundert Jahren an den Menschenmangel, egal, wo er sich grade aufhält, gewöhnt haben, seit wir gelernt haben, sie wegzuschaffen, abzuschaffen, die Leutln, zu Millionen, Menschen als Schmelzwasser, das die Gletscher aufweicht, weil ein Klimawandel stattfindet, das ist kein unerhörter Gedanke für mich, daß Skifahrmöglichkeiten verschwinden, weil die Gletscher schmelzen, das ist gar nichts für mich, über dieses dreckige Häufchen steig ich einfach drüber im Erzählen, das keins ist, wie Sie natürlich längst gemerkt haben. Also es ist irgendwie unnatürlich, wenn man nicht erzählen kann, damit hört die Schicksalhaftigkeit auf, die Schicklichkeit auch, und da sich niemand in sein Geschick schicken will, in dieses Narrenkastl, weil alle lieber nach Ischgl fahren und vor einer riesigen Freiluftbühne vor Kälte und Ehrfurcht erstarren, was ist dann? Was da? Was denn? Da das niemand will, wird er ausgewiesen? Nein, er wird auf seine Ausgewiesenheit hingewiesen, muß seinen Ausweis zeigen und sich dann den Machenschaften des Seienden preisgeben, der heute Christina Aguilera oder was weiß ich wie heißt, dort oben auf dem Podium. Sie sehen: Es fehlt einfach alles, es fehlen mir einfach alle Kenntnisse, warum soll ich also über fehlende Menschen klagen, bloß weil die sich in zehn Jahren alle halbiert haben? Nein, auch halbe Menschen erschrecken mich nicht, solang ich nur zu Haus bleiben darf,


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immer zwischen zwei Ereignissen schwebend, die nie eintreten, auch ein dreckiges Dutzend schreckt mich dort nicht, nein, auch Gespenster erschrecken mich nicht. Manche schöne Häuser werden halt nur an Menschen vergeben, die Haustiere gewerbsmäßig halten und züchten und dafür weniger Steuern zahlen, weil das Haus ein echter Bauernhof ist, in dem man aber auch nebenbei wohnen kann, erklärt der einstige Finanzminister an alle, die es wissen wollen, aber er und seine liebe schöne Familie und die lieben schönen Hunde dazu, das sind doch auch Tiere, oder?, tun es dann doch nicht, sondern behalten das Haus und schließen die obligaten Tiere aus ihrem Leben aus, außer es sind, wir sagten es schon, nette Hunderln, die dürfen rein, die müssen nicht draußenbleiben. Aber das geschieht meist woanders, im Kotzbühel zum Beispiel, wo ganze Häuser der Landwirtschaft gewidmet wurden, aber von Nichtlandwirten in schönen Kleidern bewohnt werden, herzlich für jede Form von Kampagne bereit, sind sie doch ganz ungefährdet vom Willen des Volkes und der Gemeinde, die sich an diesem Ort Tiere wünschte, was wollen Sie, wir haben doch hier diese vier, nein, sechs Hunde, die haben wir uns eigens angeschafft, damit wir in einem echten Bauernhof wohnen können, Tiere sind Tiere, Kinder sind doch auch Kinder, nicht wahr, nein, sechs Kinder, nein, sechs Hunde, einer davon dreibeinig, und der dreibeinige Pudel, äh, dreieinfältige Gott hat gewollt, daß dieses Tier eine gute Unterkunft bekommt, das ist landwirtschaftliche Unnützung, nein, Umwidmung. O Gott, die landschaftliche und meine Qualität nehmen so stark ab! Man kann gar nicht so schnell schauen, wie sie alle beide abnehmen. Ich glaube, sie hat bereits mehr gelitten als ich, die landwirtschaftliche, Entschuldigung,


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die landschaftliche Qualifikation, schon vor dem ersten Axthieb! Das wäre mir jetzt gar nicht aufgefallen, und es tut mir echt leid. Die korrekte Haltung meinerseits wäre hier jedoch ganz unnötig, und es ist auch für Brigitte K. unnötig, eleganter als nötig zu sein, ich würde sogar behaupten, sie muß nicht einmal so elegant sein wie die Frau des Ex–Ministers, so schnell kanns gehen, vorhin war er doch noch sehr aktiv und jetzt zieht er sich schon öffentlich aus bis aufs Hemd und das auch noch, so schnell gehts und kommts, daß man etwas zweimal sagen muß, einmal als Minister, einmal ohne, eleganter als nötig, auch wenn er fast nackt ist noch eleganter als wir, das würde sie, Brigitte, ohnedies nie schaffen, aber nötig ist es schon, auf sich zu achten, sich zu pflegen, sich nicht gehen zu lassen, sondern selber zu gehen, sonst kommt ein andrer, sonst kommt der Tod, er hat vorhin schon angerufen, er kommt, er kommt gleich, egal wohin, man soll ihm nur sagen, wo, er kommt überall hin, egal auch, auf welche gewisse Weise, die man selber singen darf, nein, muß. Aber wenn man das gewisse Etwas als Frau nicht hat, dann hat man immer noch das Andre, das man stattdessen benützen kann, vorausgesetzt, man findet es, man bebt und leidet an sich, aber man ist doch man selber, indem man auf das Aktuelle, das Neueste pfeift und sich auf Klassik auch in der Kleidung verläßt, nötig ist es für sie als Lehrerin, in gewisser Weise elegant zu sein und es so lang wie möglich zu bleiben, auch wenn die Jugend verschwand, sehe ich da eine Chance? Nein, da sehe ich keine Chance, höchstens, daß vielleicht, ehrlichkeitshalber muß ich sagen, daß ich mir das nicht vorstellen kann, aber nur vielleicht die Bevölkerung


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dieser Stadt Fremde in Anspruch nimmt, um wieder aufgefüllt zu werden, vielleicht irgendwelche Leute von auswärts, die dafür zahlen würden, einfach nur da zu sein, was in ihrem Fall: woanders heißt, nicht wahr, ich trau mich das kaum sagen, aber vielleicht bringts ja durch diese dann hier Beschäftigten, keine Ahnung, wo die beschäftigt sein könnten, aber vielleicht in der Altenpflege, das ist das einzige, wovon wir reichlich, überreichlich haben: Alte und Kranke, also vielleicht kommen dann durch diese Beschäftigung neue Familien hierher, die wieder andre neue Familien züchten, wie das geht, haben wir in der Viehzucht einst gelernt. Menschen bekommen und erziehen Kinder, das weiß Brigitte von ihrem Ex, der ein Kind züchtete, weitere sollen folgen, werden aber auch nicht folgen. Trotzdem: Man darf sich nicht gehen lassen, weiß die geschiedene Frau, die finanziell von ihrem Mann leicht, aber gehässig, nachlässig und immer zu spät des Monats unterstützt wird, das hat sie sich mühevoll erstritten bei der Kampfscheidung, aber sie verdient doch immer wieder gern ihr Geigenkörberlgeld dazu (wie man hier sagt, wenn die Frau was beiseitelegen kann, doch wer sollte sie jetzt noch danach kontrollieren? Und Macht braucht nun mal Kontrolle, das hieße aber, daß die eine Hälfte die andre kontrolliert, aber nur, wenn die Hälfte der Bevölkerung überhaupt Macht hätte, dann könnte die andre Hälfte sie kontrollieren, nein sie die andre, ach was, das ist Quatsch mit Soße aus der Tüte, in die sowas nicht hineinkommt, wer würde das denn fressen?), was ihre eigene alleinige Entscheidung ist, wer sonst würde sowas tun? Vieles kommt zu oft, wenn auch nicht unverhofft. So. Hier ist es im Grunde nur wichtig, daß man überhaupt lebt. Was nicht für


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Tiere gilt, dieses Gesetz kann ja nicht für jeden und alle gelten. Ur–Unsummen müssen dafür nicht ausgegeben werden, sogar ein Schnitzerl hie und da geht sich aus, und die kleinen Geschäfte im Ort sind längst gestorben, wie das Fleisch, das einst gelebt hat, wenn auch in andrer Form, auf einem Teller, nein, damals noch nicht auf einem Teller, sondern auf einer Wiese. Bitte, die umgebenden, jählings aufragenden Berge laden zwar noch ein, die ganze Spannbreite von einfachen Wanderungen für Ungeübte bis zu den anspruchsvollen Touren für alpine Bergsteiger, die aus ihrer bloß passiven Konsumentenhaltung entschlossen entfernt wurden und jetzt nicht mehr recht Tritt fassen können, mit dem eigenen Körper zu erproben. Die Geige lädt ja genauso ein, vom Volkslied bis zum Adelaidenkonzert von Mozart, das unsereins seit Generationen spielen muß, obwohl es vielleicht nicht einmal von Mozart ist (ich glaube, sie haben es ihm nur zugeschrieben, damit die Schüler ermutigt werden, damit anzugeben), um es dann, wenn sie erst mal damit angefangen haben, von Anfang an wieder zu zersägen, zu  zerstören, das Große zu zerstören, macht ja viel mehr Spaß, auch wenn es in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so groß ist, wie man lautstark angegeben hat, aber echt! Es macht überhaupt keinen Spaß, dieses Große will man noch nicht einmal zerstören, man will es überhaupt nicht, man will nicht selbst gestalten, man will nicht einmal mehr selbst zerstören, man will nicht, man will auch nicht in diese Sambagruppe oder zum Gitarrenunterricht, Brigittes absolut stärkste Konkurrenz, aber das begrenzt sich übrigens nicht auf bestimmte Stilrichtungen, die ich jetzt nicht alle hier aufzähle, ich bin ja keine gewaltbereite Jugendliche mehr, die Amok laufen will, ich will lieber,


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ja, was will ich denn? Z. B. Kooperation zwischen Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen (ich glaub fast, das will ich auch nicht!), aber wer hört schon auf mich, und wenn ich sägte, ich meine sänge, ich meine schriee?, wenn wir es nicht können – dann spielen wir es halt nicht, wer wollte uns schelten?, außer wir werden dazu mit einer vorgehaltenen Glock, einer als Lätzchen vorgehaltenen Glock, damit das Blut der Musik nicht auf uns spritzt, gezwungen. Ich nehme hier auf nichts mehr Rücksicht, denn auf mich ist ja auch nicht oft Rücksicht genommen worden, auch wenn ich über Gebühr  ausgezeichnet wurde, das muß sehr einfach gewesen sein, sonst hätte ich es nie gekonnt: ausgezeichnet werden. Ich lenke gleich von diesem Weg ab und schwärme hier von Musik, um Sympathie nicht für den Teufel, sondern für Brigitte K. zu erwecken, meine Hauptfigur, aber das scheint sie nicht sein zu wollen, immer kommt ihr was dazwischen. Musik ist etwas, das man eigentlich gar nicht fassen kann, deshalb scheue ich mich ja so, etwas über sie auszusagen. Sie prägt das Gehirn, wieso ist meins dann so dauerhaft leer? Wo habe ich den Schlüssel hingetan, auch jene zu erreichen (meist Kinder und Jugendliche), die sich immer nur volldröhnen und trotzdem leer sind? Die meinen Wert nicht erkennen, Brigitte K.s Wert nicht und den Wert der Musik nicht? Was soll ich nur machen? Ich werde doch sonst anfällig für linke oder rechte Rockmusik, und das will ich nicht, und ich will auch nicht, daß Sie das werden, falls Sie ein Jugendlicher sind, aber das lesen Sie dann sowieso nicht. Sie lesen dann lieber alles andre, was es gibt. Nur das nicht! Was es sonst noch gibt, außer mir – das schon. Gut. Welches ist denn nun das


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Spitzeninstrument bei jungen Leuten? Spitzenreiter ist immer noch das Klavier, aber nur wenige können es reiten, es ist dafür auch nicht gedacht. Es ist daran gedacht worden, es zu zertrümmern, viele Male, aber es ist schwierig. Ich hab einmal eins zertrümmert, und als es auf die Knie fiel, weil ihm die Beine abgehackt wurden, und als der Metallrahmen aus dieser Stahlstadt, ich meine aus dem Klavier gerissen wurde, mitsamt den Saiten, da hat es laut  aufgeschrien, wie ein Tier, wovon ich hier schreibe, es drängt mich dazu, nein, lauter noch hat es geschrien, mein Klavier, sicher lauter als die arme Schlachtware Kuh von vorhin, es hat aufgeschrien, irgendwie klangvoll, aber dumpf, es hat gewußt, das ist der letzte Ton, den es auf Erden von sich geben wird, bin schon gespannt wie eine Klaviersaite, wie es sein wird, wenn es bei mir einmal soweit sein wird. Aber von mir soll nicht die Rede sein, jedenfalls nicht zu oft. Warum also, warum rede ich so viel? Weil Sie mich hier nicht dran hindern können! Und wieso ist Brigitte dann, im Gegensatz zu mir (schon im nächsten Satz spreche ich natürlich wieder von mir, das ist ja unnatürlich, das hab ich ja noch nie gemacht, ich bin hier unverbesserlich, falls Sie sich fragen, wieso ich das hier nicht verbessert habe, als noch Zeit dafür war, aber das ist das Gute an dieser Art Zeilenschänderei, Sie können mich jederzeit verbessern und von sich selbst reden! Ja, tun Sie das! Reden Sie von sich, hier ist genug Platz, und Sie tun es eh andauernd, nur bin jetzt ich dran! Ich tu es erst, seit ich hier bin, flach wie eine Scheibe, kopflos wie nach drei Minuten abgespülte Haarkur), so voll von vielem, kann aber nichts draus machen oder damit anfangen, denn es ist niemand mehr da, mit dem sie etwas


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anfangen, ich meine, mit dem sie sich etwas anfangen könnte: Brigitte. Wenn man musiziert, ist man fast ein Gott, weiß sie, dann durchschaut man komplizierte Zusammenhänge, das differenzierte Auseinanderhalten von Violin– und Baßschlüssel und verschiedener Tonarten z. B., das kostet ja schon Jahre, bis man das kann! Also bei mir hat es so lang gedauert, andre kapieren vielleicht schneller. In der Musik ist Leistung zwar nicht meßbar wie im Sport, aber es sind immer welche da, die sie messen und sagen: Das hat gut geklappt oder: Das hat nicht so gut geklappt. Das bestätigt den Menschen, sich Ziele vorzunehmen, und könnte man von der César–Franck–Sonate nur den ersten Satz spielen, machte es auch nichts, Hauptsache, sie spielen überhaupt. Der spielende Mensch ist einfach schön anzuschauen. Die andren Sätze nach dem ersten sind eh Nebensätze, bitte den Beistrich nicht vergessen!, aber auch irgendwie nötig, fürchte ich. Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit, denkt Brigitte, deren Sicherheit aber noch nie in Gefahr war, denn der Ort ist wie ausgestorben, nein, er ist wirklich ausgestorben, was wäre da denn noch zu schützen. Wer sollte hier noch angreifen, und wer würde Brigitte denn noch angreifen? Sehen Sie! Jedenfalls nicht der, der den Bogen angreift und die Geige, die dazugehört oder umgekehrt, der würde nicht angreifen, der würde lieber geigen was das Zeug hält, bis das Ohrwerk reißt. Ans Werk, ans Werk. Das Klavier wäre unschlagbar, denn was man anschlägt, das hört man auch, au! Auf der Geige macht das alles viel mehr Arbeit und ergibt wenig Lohn, was die Menschen der Region aber seit langem gewöhnt sind. Aber das alles, ich weiß nicht was und sage es daher auch nicht, weil ich es bereits


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hundertmal gesagt habe, zu Ihrem Schaden, aber wer liest das schon (ich tue aber so, als wüßte ich es, als wüßte ich, wovon ich überhaupt spreche!), eben alles braucht Zeit oder auch nicht. Und die Veränderung der Fähigkeiten eines Menschen, ihre Veränderung zum Besseren, braucht weniger Zeit als das Herumhackeln auf diesem armen Berg, der jetzt endgültig abgebaut ist und immer noch abgebaut wird, obwohl er es schon ist, mitsamt seinen Bauern, nein, mitsamt seinen Abbauern. Das sind Gegner, hören Sie, die Bauern waren immer für die Schwarzen, die Hackler für die Roten. Mehr kann ich dazu beim besten Willen nicht sagen, denn beide Parteien stehen uns für unser informelles Handlungs– und Interaktionsfeld mit lebenden Menschen, dessen Teilnehmer wir aus einem lokalen Zusammenhang rekrutiert haben, immer noch besser als wirkliche Menschen, die früher wirklich rekrutiert wurden, fürs Wüste Deutsche Reichsheer, für die Wurstmaschine des Krieges, und dort meist sterben mußten, zum Gruppentarik, zum Massentarif, jedoch ohne Begünstigungen, diese Menschen also stehen nicht mehr zur Verfügung, für die lohnt es sich ganz einfach nicht mehr. Für 6 000 Menschen (rechnen Sie sich selber aus, wieviele davon wahlmüde sind, weil sie überhaupt wählen dürfen, aber nicht wollen) lohnt es sich nicht. Er ist jetzt ziemlich erschöpft, der Berg, es zahlt sich nicht mehr aus, ihn noch mehr, noch weiter zu erschöpfen, denn es zahlt einem keiner was dafür, dieser Berg ist restlos gegessen, und die Reste haben wir uns für den Hund einpacken lassen, nachdem er, der Berg, nicht der Hund, Generationen von Menschen ernährt hat, jahrhundertelang, besser eine städtische Initiative zur Planung eines Hotels am See, na, der See ist schön, da gibts nichts, das


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zu sagen könnte ich mir sparen wie alles, was ich über Schönheit sagen könnte, also mir persönlich steht eher eine wärmere Farbe als Lippenstift, etwa braunorange, rosa eher nicht; ein Bauunternehmer, der schon viele ähnliche Projekte ähnlich erfolgreich durchgeführt hat, bevor er dieses durchführen wird, will als Investor und künftiger Betreiber der Anlage die restlichen Millionen übernehmen, damit hier Millionen vom Sport und vom Alkohol bereits Übernächtige endlich echt übernachten können, was sie danach auch dringend nötig haben, und der Unternehmer gibt seine guten Millionen für dieses gute Ziel und einen guten Zweck weiter, damit seine Baufirma etwas verdient, was wir gar nicht verdient haben. Ich möchte gern noch den Gesundheitstourismus erwähnen, aber nicht hier. Ich bitte mich selbst: nicht hier! Nicht das auch noch! Es hat keinen Sinn, dauernd zu sagen, daß man dieses Land haßt, und es ist uns schon so oft verboten worden, daß man sich schämt es zuzugeben, wie oft. Ich hasse es nicht, weil ich das nicht darf. Sonst bin ich noch daran schuld, daß es hier so gräßlich ist. Einfach furchtbar, häßlich und gräßlich. Mit der echten Ramsau (nicht zu verwechseln mit der Eisernen Ramsau, aber vielleicht doch zu verwechseln? Hat man ihnen die gleichen Namen gegeben, damit man sie verwechselt und irrtümlich in die falsche fährt? Vielleicht sind die gar ein und dasselbe, nein, ich glaube nicht? Wählen Sie also die richtige!) habe ich schon einmal deswegen furchtbare Schwierigkeiten gehabt, ich schreibe das hier so hin, aber lustig war es nicht, rasende Bauern, die alle Hoteliers und Millionäre geworden waren, und dann sind alle gegen mich, mit all ihrem Geld, ihren Liften, Pisten, Schiställen, Après–Ski–Ställen, Hüttenzauberern,


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Faschingshexen in Dirndlkleidern samt Kopftüchern, damit man nicht gleich sieht, daß sie im Grunde, tief unten, ein Mann sind, und auf Faßdauben und wasweißich, mir bricht ja schon beim Aufzählen der kalte Schweiß aus, und die sind alle gegen mich aufgestanden, bis ich, schlotternd vor Angst, abgezischt bin. Das sagt nicht viel, denn ich fürchte mich vor allem. Und dennoch sage ich trotzig trotzdem (wie die Arbeiterbewegung!), weil ich es muß: Da ist der Wurm drin! Ich muß ihn nur noch finden! Und weil Sie schon fragen: Nein, ein Golfplatz ausgerechnet hier hätte doch gar keinen Sinn und nur wenig Platz (wegen der Berge ringsum), wenn auch vielleicht einen Zweck, nämlich den, daß dieses schöne Gesellschafts–Spiel mit immer wieder neuem Schwung gespielt wird und die Menschen in den klatschnassen Kolumnen, die vor Scheiße und Pisse noch triefen, denn der Kolumnist hat sie ganz frisch aus dem Aborthäusel gezogen, der erstaunten Öffentlichkeit gezeigt werden können, diesmal allerdings mit ihren Schlägern, obwohl man ihnen den Unterkiefer auch mit der bloßen Faust zerschmettern könnte. Ich persönlich würde mich nie mit einem Schläger zeigen wollen, und wenn die Öffentlichkeit noch so staunen würde, es genügt, daß er mich trifft und ich an den Auswirkungen fortan still leiden muß. Schauen Sie: Seine Stelle, die Stelle des Berges, von dem so lange gelebt wurde, bis er selber tot war, wird nicht neu ausgeschrieben, er steht noch da, aber umsonst wie der Tod, und der kostet das Leben. Das habe ich am öftersten von allem gesagt, hätte ich natürlich auch nicht sagen sollen. Dieser Berg hat uns das Leben spendiert, dafür haben wir es ihm sukzessive wieder genommen. Wir haben sein Erz spediert und daran


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verdient. Dieser Berg lohnt nicht mehr, uns dafür Lohn zu zahlen, daß wir ihn permanent kaputtmachen, ihn abbauen im Aufbau, nein, ihn abbauen zu unserem Aufbau. Seit Jahrhunderten, ich sage es immer wieder! Doch das nutzt ihm nichts, es geht nur noch darum: Wer will ihn heute? Und wer will überhaupt diese Stadt, in der Leerstand von Häusern und Wohnungen ein Phänomen ist, aber ein vorübergehendes sein sollte, das aber immerhin eine Arbeit, eine Aufgabe hat: uns zum Handeln aufzurufen? Sie muß entschieden verkleinert werden, die Stadt, sie ist sich selbst zu groß geworden, und nur, wenn die Sanierungswürdigkeit nachgewiesen werden kann, kann die Stadt etwa durch Sanitäranlagen saniert und aufgewertet werden, wobei sie bei null anfangen muß, und diese Null ist jetzt erreicht, der Tiefststand, das sagen viele, die schon früher da gewesen sind und die Stadt in ihrer Vollblüte erlebt haben in ihrer Volleisenblüte. Oje, das wird ein einmaliges Experiment der Raum– und Städteplanung! Ein zweites Mal wird es das nicht geben! Die Stadt hat jetzt ihre einzige Chance auf gänzlich andre Nutzung, bis hin zum totalen Rückbau. Die Stadt wird wieder Land! Die Stadt wird wieder Landschaft, das Land wird dafür wieder Landsmannschaft, es muß ja Platz machen! Wenn man eine Stadt nicht umgehen kann, weil sie zu groß ist, muß man sie eben klein machen, und wird sie nicht von selber klein, muß man sich eben selber klein machen, aber so klein, wie man schon ist, kann man sich ja gar nicht mehr machen, man wäre unsichtbar und könnte kein Geld mehr da lassen. Dann kommt man drum rum, dann kommt man um alles rum, was man in die Stadt hineinstecken müßte. Und man muß um die Stadt nicht mehr herum, weil es sie nämlich gar nicht mehr


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geben wird. Was wird es an ihrer statt geben, anstatt der Stadt, verzeihen Sie mir noch einmal, ach nein, Sie werden das noch öfter müssen? Schon früher, als hier noch echte Menschen wohnten und nicht nur PensionistInnen und andres unnützes Pack, das sich mit der falschen Partei auf ein Packl gehaut (zusammengetan, wie es in der Hauptsprache Lateinisch heißt) hat, als das Pack noch gelebt hat, haben alte Wohnungen an hochfrequentierten Verkehrslinien oder Knoten ihre Qualität als Wohnort verloren, könnten wir, ich sage theoretisch: Könnten wir jetzt nicht die ganze Umgebung gleich mit einbeziehen (wo nur Leere herrscht, kann man Den Ort und Die Umgebung nicht mehr unterschieden, sowieso nicht) und aktive Dienstleistungsstandorte daraus erzeugen, damit etwas Produktives dort erzeugt werden kann? Schauen Sie auf den ehemaligen Österreichring, wo die wunderbaren kreisförmigen Autorennen waren! In Spielberg, glaub ich, nein, nicht Rennberg, und wenn das kein Verkehrsknoten war, einmal im Jahr, dann weiß ich nicht, dort hat sich der ganze liebe verspielte Verkehr verknotet und nur langsam wieder aufgelöst, gut, und wäre das nicht der ideale Dienstleistungsstandort für die Menschen hier? Wo an ihnen Dienst getan würde bzw. sie an anderen Dienste tun könnten? Vielleicht ein gigantisches Freiluftpuff mit allem inkl.?, keine Ahnung, was alles ist, ich weiß ja nicht einmal, wie es auf Teneriffa und/oder Ibiza und/oder Mallorca ist, und das weiß nun wirklich jeder. Wenn das keine Dienstleistung wäre, dieses Puff, diese Dienstleistungsbehörde am Mann, die die ganze Umgebung mit einbezieht (selbstverständlich wäre der Skipaß, ich meine der Skispaß, also der Spaß solo oder zu mehreren für die Anwohner der Region billiger, eh klar, die ganze Umgebung müßte mit einbezogen werden,


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auch die Damenwelt, die Welt der Dienstleisterinnen an sich, Image– und Attraktivitätsverluste müßten diese Damen zwar hinnehmen, dafür hätten sie aber eine daunenhafte, eine dauerhafte, nein, nicht dauerhafte, aber doch langjährige Einnahmequelle, immer noch besser als Dänemark, wo es überhaupt keinen Kündigungsschutz, dafür aber bessere Sozialleistungen vom Staat gibt), ich schweife sehr weit ab, ich gebs ja zu, aber häufig erweist sich die planmäßige Umsetzung solcher Pläne, wie ich soeben einen gefaßt habe (das Umgehungs– und Hineingehungs–Puff), solche aktiven Erneuerungsstrategien also, als äußerst schwierig. Alles, wo Menschen hineingepreßt werden, bzw. ihre Körperteile hineinzupressen wünschen, erweist sich immer als schwierig, da die Körper oft nicht passen. Paßt einem einer, dann stimmt die Farbe nicht, und paßt er nicht, dann würde einem die Farbe schon gefallen, die einem bei einem Asylsucher (ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir! Ja, das singt er, vorausgesetzt, auch er ist musikalisch und war in einer Musikschule, er sucht, er sucht, sein Laternderl schwankt im Sturm, der alles in Frage stellt für diesen Menschen aus Afrika, aus Kosova, aus Bosnia, aus Georgia oder was weiß ich) wiederum gar nicht gefallen würde, deswegen sofort ins Gefängnis mit ihm und den Schlüssel weggeschmissen und erst wiederfinden, wenn wir ihn ins Flugzeug setzen, mit Klebeband umwickeln (das ist blöd, man muß ihn ja an seinem Zielort wieder auswickeln, das Paket auswickeln, und dann wird man merken: Der Mann ist ja tot! Er ist erstickt! Oje, das macht uns eine Menge Scherereien, dazu gehören auch Ärzte, und die machen ja immer Schereien, aber sie protestieren nicht dagegen, daß jemand tot ist, immerhin) und ab ins


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sichere Drittland oder gleich noch weiter weg mit ihm! Damit er auch ja nicht wiederkommt, ich glaube, wir sind das einzige Land, wo diese armen Menschen sofort ins Gefängnis kommen und dann erst irgendetwas gefragt werden, nicht umgekehrt, ja, wirklich, mir kommt vor, es sollte umgekehrt sein, aber bitte, die wissen es besser, und das ist nur ein Beispiel für alles andre, denn etwas kann schließlich auch zu eng (oder zu weit) sein, egal, wir sind zum Glück woanders, wir gehören hierher, wissen aber trotzdem nicht, wohin mit uns, es wird uns gesagt: hierher mit uns, denn diese Stadt wird jetzt entwickelt, indem sie schrittweise abgebaut wird, das ist originell, und es gibt dadurch zumeist ein hochkomplexes Geflecht an gegensätzlichen Interessen von Eigentümern, Stadtplanern, Entwicklern und Mietern und Besitzern und Beiwohnern von Menschen sowie komplizierte rechtliche Rahmenbedingungen, bei denen jede, die hier beschäftigt werden könnte, rasch alt aussehen kann, daher nehmen wir gleich 14–Jährige, die halten sich länger, weil sie früher angefangen haben, dort, an der schnell ausfälligen Straße z. B. nach Prag stehen sie ja schon, unglaublich, kaum sag ich es, wird es schon gemacht, da stehen sie, die kleinen Zigeunerinnen, wir müssen sie nur noch pflücken, altern werden sie dann schon von selber. Bevor ich ausgeschweift bin, ich meine abgeschweift, weiß ich ebenfalls nicht, wovon ich gesprochen habe, doch egal, welchen Betrieb wir hier ansiedeln, um Dienste zu leisten, und wären es meinetwegen Dienste an Personenkraftwagen, und sämtliche Dienste, die an PKWs, Zähnen oder den ganzen Gesichtern als Verschönerung und Glättung und Straffung geleistet werden müssen, diese Dienste sind praktisch und kommen praktisch uns allein


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zugute, wie gut! Und sie gehören hier einem einzigen mächtigen Menschen (naja, fast einem, viel mehr als zwei sind es sicher nicht), und ich wage nicht einmal, seinen teuren Namen auszusprechen, es ist nicht der, den Sie meinen, und der, den Sie meinen, ist nicht der, den ich meine, das sage ich, um mich gegen ihn abzusichern, obwohl er nicht einmal meine nackte Existenz zur Kenntnis nehmen würde, als die nackte vielleicht schon, aber nur, um mich zu verspotten, wie es alle tun, tun Sie sich also keinen Zwang an, so, wir haben also festgestellt: Es müssen Dienste sein, die bei jedem Wetter geleistet werden können und daher auch im Saal stattfinden, also bitte nicht voreilig Häuser einreißen, die baut Ihnen doch keiner mehr auf! Im Saal, das ginge theoretisch doch das ganze Jahr hindurch, daß solche und andre Dienste geleistet würden. Wir können das also, und jetzt komme ich auf den Punkt, auch in der Stadt machen, die keine mehr ist, weil kaum noch Menschen in ihr leben, und was bringen uns Menschen? Dienstleistungen. Dienstleistungen – der neue Fetisch der unerwachsenen Heiterkeit. Künstliche Erlebniswelten tun sich auf, aber erst mal müssen sie gebaut werden. Tut mir leid, Menschen bringen das auch nicht mehr, diese Leistungen, die bringen sie jetzt woanders, im Sport zum Beispiel. Früher haben sie Leistungen gebracht und Leitungen gelegt, jetzt zahlt es sich nicht mehr aus. Nur für Freiluftbühnen müssen noch Hochleistungsleitungen verlegt werden. In jedem Fall müßten sie, wollten sie Dienste verrichten, das, was sie sich vorher beruflich erarbeitet haben, als Aufstieg begreifen, im nachhinein, und das, was vor ihnen liegt, als Abstieg, ja, einen Abstieg müßten sie schon in Kauf nehmen, damit sie sich


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wenigstens ihr Essen kaufen können, das wäre enttäuschend, so ein Abstieg. Vielleicht bringt es der Fremdenverkehr? Er bringt es, aber nie uns. Menschen riefen wir, und sie sind nicht gekommen! Nicht einmal Ausländer, Fremde, die schließlich gar keine Menschen sind, kommen! Das wird ein böses blödes Erwachen geben, falls es überhaupt genug Leute gibt, die davor noch werden schlafen können. Ich sehe keinen, der aufzeigt, warum man eine Stadt wie diese wollen sollte. Außer, daß man persönlich dort lebt, und das Persönliche will ich keinesfalls geringschätzen. Aber es ist kein Grund für gar nichts, daß man lebt. Sie können auch woanders leben, wenn Sie nur wollen! Daß er da steht, der berühmte Berg, der jetzt ebenfalls keine Arbeit mehr hat, denn stirbt der Berg, stirbt auch der Mensch, das kann man vielleicht noch nutzen, daß jemand stirbt, und nicht nur als Bestatter kann man es nutzen, finden Sie nicht? Gestorben wird immer. Man kann Arbeit für den Berg beschaffen? Indem man ihn vielleicht einbalsamiert für die Fremden, die ins Schaubergwerk geworfen werden, wo sie persönlich mit dem Hammer etwas schmieden können, das sie dann der Gattin zum Geburtstag schenken, iiieh, was soll denn das sein, das schaut ja furchtbar aus, es ist ein Ringelein, ganz für dich allein, Liebste! Aber diese Form ist niemals, aus keinem Blickwinkel, die eines Ringes, Liebster! Ich habe ihn, kurz von einem ehemaligen Werksmeister bemeistert, von ganz alleine in der lodernden Esse geschmiedet wie ein junger Siegfried, Liebste! Den Rest des Geldes habe ich für eine andre Dienstleistung ausgegeben, dafür habe ich diese selber geleistet, nur für dich, meine liebe Gattin! Na dann, dann nehme ich ihn gerne an, vielen Dank! Das wäre nur gerecht, wenn jetzt der


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Berg für uns arbeitete, denn früher haben wir für ihn gearbeitet, jetzt soll gefälligst er was für uns tun. Also finden werden Sie diesen Berg doch noch, er ist schließlich das einzige, was man hier sieht, von weither, aus dem tiefen Tale, aus der hohlen Schlucht, egal, da brauchen Sie keine Karte, da schicken Sie eine, und zwar von überall hier aus der Gegend, denn er ist schön und die Gegend ist es auch, überall gleich schön, sie ist nicht gleich schön, aber wenn man einen Blick dafür hat, dann ist alles hier gleich schön, Stadt wie Land, immerhin ein Fortschritt zu den meisten Menschen hier, die unterschiedlich sind, welchen Frauen können wir uns nähern? Diesen: die Verkäuferinnen und Friseurinnen oder arbeitslos sind und auch nichts andres wollen, das heißt arbeitslos wollen sie nicht sein, sie wollen in dem von ihnen erwählten Beruf arbeiten dürfen. Aber meist dürfen sie es leider nicht. Auf diesem Handzettel, der nicht laufen kann, sonst wäre er ein Laufzettel, he, Sie da! Ruhe!, können Sie in groben Umrissen einen Plan irgendeines Schöpfers sehen, wie Menschen gedacht waren. Und hier sehen Sie die Wirklichkeit: was draus gemacht wurde.

3.3.2007, Fortsetzung folgt


 


Bilder: Hieronymus Bosch (1450-1516): Die Sieben Todsünden, Ausschnitte

 

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