Neid

Privatroman

Fünftes Kapitel, f

 


1

auch, an und über wen. So ist es nicht. So ist es anders. Es ist anders, und ich sollte nicht schreiben, ich weiß ja nie, was passiert ist, oder ich erfahre es viel zu spät. Da ich es nicht sehe, bin ich auf Informationen, am liebsten schriftliche, damit ich die dazugehörigen Menschen nicht auch noch sehen muß, angewiesen, aber ich bin leider immer die Letzte, der man was erzählt (wahrscheinlich, weil ich immer alles weitersage). Kein Wunder, wenn man nie jemanden trifft und einen so viele treffen mit ihren harten Schreibtischkantenschlägen. So, jetzt haben viele schon wieder in Bezug auf die Regierung und deren Untaten Leserbriefe geschrieben und gepostet, statt sie auf die Post zu bringen, wo sie eine reelle Chance hätten zu verschwinden, spurlos, denn dort herrschen Unwissenheit, Leseschwäche und Personalmangel, diese Chance hatten sie, die Postings der Menschen, ihre Poststücke, die Chance zu verschwinden, aber die Menschen wollen ja dableiben und ihre Hinterlassenschaft schon zu Lebzeiten genießen, sie wollen sozusagen doppelt genießen, und sie wollen sogar, daß andere sie genießen sollen, anstatt ihren Erben auch noch was zu gönnen, aber die Schreiber wollten unbedingt, daß das auch ankommt, was sie zu sagen haben. Möglichst viele, alle sollen es wissen, was sie sich gedacht haben. Und mir wollen sie auch öfter was hineinsagen, was aber beim andren Ende bald wieder herauskommt, auch wenn es mich dabei schmerzhaft zerreißt, und dann wundern sich wieder alle, daß es herausgekommen ist. Nur ich ziehe Nutzen aus dem, was Sie mir gesagt haben, weil ich es verdauen kann, obwohl was Sie sagen prinzipiell unverdaulich ist. Es ist nur


2

für mich verdaulich, nur ich kann etwas daraus machen, nicht viel, aber immerhin. Es ist keiner mehr da, der es mir persönlich mitteilen würde, was auch immer, denn ich lasse ihn nicht in meinen Dunstkreis unter meine schicken Dunstabzugshaube, ich könnte es aber, denn die Haube reißt alles empor, was Dampf gemacht hat, den vielen Dampf, den Menschen erzeugt haben, alles hat sich mittlerweile recht nett in heiße Luft aufgelöst, ich darf mich doch darüber freuen, oder? Es ist zuerst durch mich hindurchgegangen, und dann war es weg. Darum bin ich so geworden, wie es mir jetzt gefällt, aber eben leider nur mir. Damit kann ich Sie verblüffen, obwohl ich ja nur aufschreibe, was Sie, werte, wertvolle, mehrwerte Lebendige, getan und gesagt haben. Aber Sie waren schon dreimal in den USA und zweimal in der Karibik und zigmal sonstwo, und dieses Privatflugzeug mit dem Bankdirektor an Bord mußte auf den Azoren für die Notdurft des Hundes notlanden, für 10.000.-, egal in welcher Währung, na ja, ganz egal nicht, der Dollaro ist ja faktisch nichts mehr wert, aber es mußte, weil der Hund mußte, der Hund mußte scheißen, und so sind schon wieder zehntausend Minus am Konto dieser Bank, die eh schon nichts mehr hat. Die tut mir ja so leid! Wie könnte ich Sie da noch verblüffen, da sogar dieser Hund, ein Labrador (oder Golden Retriever?), es besser kann als ich? Nicht einmal wenn Sie sich dort hätten einzäunen lassen, zusammen mit Hunderten anderen, ja, gern auch Hunden, könnte ich Sie verblüffen, denn diese Hundertschaft plus Hundestaffel an Menschen auf Urlaub wäre ja mindestens hundertmal interessanter gewesen und verblüffender (jeder einzelne Mensch ist ja schon interessanter und


3

undurchschaubarer) als ich, die mich schon ein Starkregen dermaßen verblüffen kann, daß ich zu Hause bleibe, aber dort bleibe ich sowieso immer. Nur mein Hund ist tot. Arme Floppy, und ihr armen andren, die ihr vor ihr gestorben seid, Saitschik und Wutzl, ja, ihr, längst Seife und zwischen Menschenhänden verwaschen, verschwunden, habt mir doch soviel Freude gemacht. Aber Sie lassen sich einfach nicht beeindrucken, ich schon, ich bin mein eigenes Hindernis auf meinem Weg, den aber keiner sehen kann, mich wollen sie ja auch nicht sehen, zumindest hier nicht, wo sie sind, aber sie sind überall! Nun, wir werden auch dafür eine Lösung finden. Wäre Ihnen ehrlich damit gedient, daß ich weg bin? Aber das bin ich doch! Ich bin nur wohltemperiert und angenehm, ich habe keinen absoluten Ton, da ich ja temperiert gestimmt bin. Kein Ton, den nicht ein andrer auch gefunden hätte. Ein für allemal: Ein ges ist nun mal kein fis, das ist sein Schicksal, sehen Sie, und mein Schicksal ist sogar noch kleiner, also auf der Geige sind die beiden bombigen super Töne jedenfalls nicht ein- und dasselbe, es greifen ja verschiedene Finger danach, doch dem Klavier ists egal, der Geigenlehrerin nicht. Es ist alles vergeblich, aber man muß sich die Zeit nehmen, das zu sagen. Macht ja nichts. Es hört eh keiner. Nachdem mir Mama jahrzehntelang gesagt hat, was ich zu tun habe, ist jetzt keiner mehr da, der mir den Takt angibt, vorgibt, der mir den Takt schlägt, obwohl ich grade jetzt so schön wohltemperiert gestimmt wäre und Schläge gar nicht brauchen würde und den Rhythmus endlich draufhabe, nicht einmal ein Metronom könnte mich jetzt noch schlagen oder behindern (oder besser: Alle schlagen mich, auch dieses


4

Metronom schlägt mich, das an die 40 Jahre alt ist, immer noch jünger, als ich selbst es bin), wie soll ich denn wissen, was Takt überhaupt ist? Sie können mich ebenfalls schlagen, egal, auf welchem Feld, auf das es mich gestreut hätte, aber ich weiß es nicht. Aua, Sie haben das jetzt wirklich gemacht, und zwar hinter die Ohren! Dorthin wollte ich es mir doch selber schreiben, aber jetzt will ich nicht mehr. Sie hätten somit nämlich alles ausgelöscht, was ich mir zuvor dorthin geschrieben gehabt hätte. Und ich weiß immer noch nicht, was immer ich wissen sollte. Ich höre Sie Ihre gewöhnlichen Dinge sagen, halb nackt, wie es sich im Sommer an einem Fluß- oder Seenufer gehört, ja, du bist gemeint, Leopoldeinersee, den ein Unwissender neulich Leopold-Steiner-See genannt hat, Ihre Trümpfe im Gewand ins rechte Licht gerückt, damit Sie sehen, wohin, wenn Sie einmal raus wollen, Sie, liebe und liebende Menschen, trinkend und plaudernd, aber es ist anders. Ich will, daß alles anders ist. Aber was ich will, das zählt ja nicht. Nicht, daß es nicht so gewesen sein könnte, aber so ist es nicht. Ich glaube, sie wurde vergraben, die Leiche, nicht meine, die andre, von der ich nicht erzählen kann, es ist gewiß nicht dieselbe, die auch wir im Keller haben, aber ich kann ja mal nachschauen gehen. Genau: Es ist eine andre. Meine, nicht meine Leiche, aber trotzdem meine, ist, wie ich schon oft ausgeführt habe, mein Papi, aber der war noch da, als ich zuletzt Nachschau gehalten hatte, unsere Leiche ist ein andrer, jedem die Seine, nur wissen es die meisten nicht, daß sie jemanden getötet haben, oft ganz nebenbei, sie lächeln, trinken, plaudern, ziehen an ihren Zigaretten, ziehen sich aus, ziehen


5

sich wieder an, da, im Keller, sehen sie das denn nicht, die Säue?, die sich dauernd ausziehen wollen, am liebsten vor einer Kamera, die eigentlich ein Telefon ist, dieses Ziel, hören und sprechen zu dürfen, aber verleugnet, das ist schon gut so, wenn man soviel kann wie dieses kleine Gerät, dann hat man leicht großzügig und feinzügig, feingängig sein, nur den Finger sollte man nicht vors Objektiv halten, sonst sieht es ja nichts, und der Empfänger des Bildes sieht naturgemäß genauso wenig, also da liegt eine Leiche vergraben, das ist dann wohl Ihre? Nein, mir gehört sie nicht. Die muß Ihnen gehören, sonst ist ja keiner da. Wo meine ist, weiß ich. Also meine ist es ganz sicher nicht, wo meine ist, das weiß ich, äh, das hab ich schon gesagt, also nein, das muß Ihre sein, es ist ja sonst niemand da, sie liegt neben dem Stellplatz fürs Auto, aber andre liegen im Keller, auf Flaschen gezogen, lauter Doppler!, zweifache Flaschen!, zwei in einer!, wir haben sie vorhin, als wir von unserem hohen Roß runtergestiegen und im Keller angekommen sind, gleich gesehen, so, wo ist jetzt Papi, der sollte eigentlich hier sein, damit ich ihn meiner Kundschaft zeigen (selbstverständlich nur meinen Privatkunden, die von mir persönlich betreut werden!) und Kunde von ihm geben kann? Wer sind all diese Leute hier, wo es privat ist? Wollen die in ihrer übergroßen Schlauheit dies hier lesen, für das sie keinerlei Schlauheit benötigen würden? Und keiner ist nachsichtig mit uns, mit mir meine ich, und gibt uns, ich möchte mich jetzt zu mehreren fühlen, das besitzt den Reiz des Wohligen, wie mein geliebtester Dichter sagen würde, Auskunft, da wir aus eigener Anschauung ja nichts kennen, aber an unserer


6

Anschauung von Nichts trotzdem festhalten wollen. Sonst wüßten wir ja, wo sie ist, diese ganz spezielle andre Leiche, die wir uns für den Schluß aufgehoben haben, der jetzt aber noch nicht stattfindet, da können Sie weinen und schreien und mir den Strom abdrehen, so oft Sie wollen, und Sie, die Sie drangeblieben sind, haben sich schon so gefreut, weil das alles schon nach Ende klingt, aber bitte warten Sie, für weitere Infos über mich drücken Sie bitte die Eins, für keine Infos bitte das Rautezeichen, was? Keiner? Dann drücken Sie halt woanders, denn wie eine Süchtige stelle ich jetzt schon sicher, daß es nach dem Schluß weitergehen wird, so wie der Süchtler schon während des Schusses an den nächsten denkt, er fällt in sich vor, er fällt sich selbst vor die Füße, daher kommt es mit Süchtigen zu so vielen unangenehmen Vorfällen. Während er etwas tut, denkt er schon daran, wann er es das nächste Mal tun wird, da hätten wir auch etwas, das jede Erzählung irgendwann einförmig aussehen lassen würde, doch erst einmal muß ich sie doch endlich auskosten dürfen, die Gegenwart, nicht die Erzählung, pfui Spinne, also die eß ich nicht, meine Einlagen in Form von Buchstaben eß ich erst recht nicht, ich dürfte sie auslöffeln, aber ich will nicht, ich kann nicht, obwohl ich sie mir selber eingebrockt habe, die Buchstaben, noch sehr hart reingeschmissen, diese Buchstaben, in der Hoffnung, die Suppe werde sie endlich erweichen, aber das ist nicht passiert, obwohl mir etliche dabei geholfen und ihre Buchstaben dazugeschmissen haben, damit vielleicht auch ich endlich einmal weicher würde; ich brauche das Wort von Fremden, mir fällt so wenig ein, daß ich das wenige wirklich ausschlachten muß


7

wie Armin M., bis auf den stinkenden Rest, den man nun wirklich nicht mehr essen kann, da sogar ich es ausgespuckt habe, und ich bin wirklich nicht verwöhnt, nur mein Haus ist inzwischen ein wenig verwohnt, weil ich ja immer da bin und mich nie wegbewege, man muß faktisch um mich herum staubsaugen, ich besitze dieses Haus, um bewegt zu sein, nicht um mich selbst zu bewegen, und jetzt geht das alles zu Ende, aber immerhin, es kann noch gehen. Ich kann es nicht. Hier haben wir, und auf diesem Foto könnten Sie es sehen, doch es ist total zerkrumpelt und von Sportschuhsohlen überzeichnet wie diese Aktie der Deutschen Post AG vor Jahren, da sie aufgelegt wurde und noch gute Laune machte, denn die Post bringt allen was und den Aktionären ein bisserl was extra, die Leiche einer jungen Frau (auf dem Foto ist sie natürlich noch keine Leiche! Dieses Foto ist privat aufgenommen, was auch auf dem Bildnachweis steht, hinten müssen Sie nachschauen!), eines Mädchens, kaum 16, eigentlich erst 15 und ein paar zerquetschte Monate. Eine Mädchenleiche. Nicht die erste, mit der ich mich beschäftige, und vielleicht nicht die letzte, an die ich mich, eine Verwirrte, eine inzwischen schwer Gealterte, klammere, als könnte sie meine Erzählung noch retten und mich dazu, mich wenigstens ein wenig verjüngen. Kein leisester Laut von ihr, den ich aufschreiben könnte oder aufnehmen, aber ich bin nicht aufnahmefähig und nicht aufnahmebereit, wäre ich denn überhaupt fähig. Warum sagt sie nichts, die süße kleine Maus? Jetzt hätte sie mal die Gelegenheit, ich würde hier aufschreiben, was sie mir erzählt. Wie viele Lügner glaube ich nämlich alles, was ich erfahre, vor allem das aus der Zeitung und


8

meinem lieben Fernseher, das ganz gewiß nicht meins ist, ich würde mich genieren, wäre es meins, und in eine weitere Ferne als diese kann man gar nicht sehen. Habe ich Ihnen nicht vor einiger Zeit gesagt, daß das, was Sie für Wahnsinn halten, nichts anderes ist als eine Überschärfe der Sinne? Die meisten sind ziemlich scharf, die sich an diesen künstlichen Strand mitten in der Stadt begeben, aber manche sind eben überscharf und geben sich mit diesem Sand nicht zufrieden, sie wollen zu einem anderen Sand reisen, als ein andrer Sand, hindurch, ununterscheidbar. Eins nach dem andren. Diese Sinne müssen einfach auch noch auf diese Summerstage beim Kanal, das steht mal fest, unsere Sinne haben uns nämlich was zu sagen, oder in den Sand, meinetwegen, dorthin dürfen sie auch, den man eigens aufgeschüttet hat, um einen Strand vorzutäuschen, aber keinen Strand könnte man damit täuschen und keinen wahren Reisenden, der ich sowieso nicht bin. Ich, ich halte das für einen echten Strand, ich bin eine Getäuschte und Enttäuschte, denn ich habe noch nicht viele Strände gesehen, mir kommt nur seine Lage etwas komisch vor, am Donaukanal, aber meine auch, so hat man es mir nicht erklärt, lauter, bitte lauter, Musik, egal welche, es wird schon für jeden etwas dabeisein, White Christmas bei 40 Grad im Schatten! Gut, so ist es an der Grenze des Erträglichen, daher gerade laut genug, aber lauter müßte es wirklich nicht mehr sein. Gern Gehörtes sieht man auch gern wieder aus den Ohren fortgehen, keine Angst, es kommt ja wieder, und wir gehen doch alle gern am Abend fort. Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß meine Nerven reizbar sind und von dieser Musik mehr gereizt werden, als überhaupt nötig wäre? Habe ich


9

gewiß. Ich bin nervös für zwei oder gar drei. Nur Stille und die Abwesenheit jedes Menschen ertrage ich gerade noch. Es ist Wirrtum, daß wir uns manchmal im Schoß eines andren aufhalten wollen, muß auch diese Frau Lehrerin, die einzige Geigenlehrerin in der Erzstadt, immerhin, eine unter nicht zweien oder dreien, eine unter keinen, sie muß jetzt aber wohl einsehen, nachdem sie das Mädchen bereits zur Hälfte zerteilt hat und sich blutüberzogen über ihm mit aller Kraft, hackend und sägend, bewegt, die Mutter dort schnippelt ja auch immer noch am Hals ihrer Tochter herum, sie hat noch nicht den richtigen Dreh gefunden, nicht wie jene andere recht zarte Frau (Armin M. würde sicher meinen, daß sie besser schmecken würde, interessierte er sich denn überhaupt für Frauen), woanders, andres Bundesland, die ihren Geliebten zerteilt hat, der es ihr anhand eines oder mehrerer Schweine zuvor selber beigebracht hatte, ohne das zu ahnen, der Schwachkopf – und verlieren wird er ihn auch noch, den Kopf! –, der hat sich nicht vorstellen können, der hat es nicht voraussehen können, daß die Kenntnisse des Schlachters an seiner Person, in Gestalt eines Schweins – ich meine, ihn als Schwein, das mußte man sich erst mal vorstellen! – , zur vollen Blüte gebracht werden würden, danach würde jede Großschlächterei diese Frau mit Sicherheit sofort einstellen und ihr den Meisterbrief verschreiben, ich meine verleihen, daß sie diese Beschäftigung, die ursprünglich nicht zu ihrer Bildungsbemühung gehörte, ab jetzt und auf Dauer durchstehen werde, ganz gewiß. Ihre Kräfte werden trotzdem einmal schwinden, sie ist diese Arbeit nicht gewohnt, so wie sie das Glück nicht gewohnt ist, mit dem sie sich aber nicht zu


10

beschäftigen braucht, denn sie hat es nicht und bekommt es nicht, sie ist beim Schicksal nämlich nicht gut angeschrieben, sie steht bei ihm in der Kreide, die man zum Glück aber leicht wegwischen kann. Nur in der Musik hat sie es manchmal, das Glück, weil sich die Musik nie an den Menschen bindet, sie will immer zu den anderen hinüber, wo sie grade nicht ist, aber die Menschen wollen sich dauernd aneinander binden, und damit benachteiligen und behindern sie sich gegenseitig. Was wollte ich damit sagen? Ich weiß es selbst nicht. Sie gehört dort nicht hin, versteht Brigitte K. noch, und diese junge Frau gehört dafür hier nicht her, und sie gehört dort nicht hin, ins Haus gegenüber, wer gehört wem?, ich glaube, ich phantasiere, ich spinne wohl, ich habe es doch gar nicht nötig, daß meine Meinung hier ausgesprochen wird, noch dazu von mir selber, bitte, andre können meine Meinung gern überall propagieren, ich halte mich lieber zurück, aber ausgesprochen untersagt ist es mir auch nicht, sie auszusprechen. Dieses Mädchen gehörte nicht hingerichtet, auf jeden Fall gehört sie auch nicht neben meinen Garagenstellplatz zum Transport oder was weiß ich hergerichtet (danke, liebe Ria, für diese schönen Ausdrücke, ich hätte es niemals so gut ausdrücken können!), aber dort ist sie ja gar nicht, sie gehört logischerweise darunter, aber das kriegen wir irgendwie nicht hin. Ich kriege das im Erzählen nicht hin, weil es gar kein Erzählen ist. Ich kriege es auch nicht her. Keiner würde es so nennen. Jeder Zeitungsbericht beschreibt sowas besser, weil er in einem anonymen Telefonat auf die Täterin hört, die sich bedroht gefühlt hat, die Zeitung hat nur leider mit ganz jemand anderem


11

gesprochen, und dieser Mann hat verhindert, daß die Mörderin fortan Nutzen aus ihrem Leben zog, und so mußte er, nach dem Muster des Schweineabstechens und –zerteilens, weg, fort; genau, und wenn wir schon dabei sind: Weg mit den Menschen!, fort mit ihnen!, ich habe eine vorgefaßte Abneigung gegen sie, doch hätte ich mich vorher erst mal fassen sollen, bevor ich so einen Unsinn schrieb. Ich bin so besorgt um mich, ich kann gar nichts mehr, ich fühle keine Tiefe mehr in mir, in der ich graben könnte, um etwas zu sagen. Nein, das Graben ist nicht gerade eine angenehme Form der Beschäftigung, das ist aber nicht der Grund, weshalb ich es sein lasse und der Erde selber leicht bleibe, oben, an der Oberfläche, der Erde gewogen bleibe (Fontane hat die Kurve mit der schweren Erde Unterm Birnbaum noch recht gut, wenn auch grade so auf zwei Rädern, gemeistert. Der Herr Professor Asperger hat uns das seinerzeit laut vorgelesen, und ich habe ihm meine Dummerhaftigkeit schon als Kind schlagend, nein, nicht schlagend, das war gar nicht nötig, er hat sie auch so erkannt, beweisen können, da ich auf seine diesbezügliche Frage antwortete, der Tote, wäre er überhaupt dort begraben, müsse wohl daneben ruhen, neben dem Franzosen, anstatt darunter, und der Herr Professor sprach verachtungsvoll, da ich seine Denkprüfung, dazu angetan, noch mehr kleine Professoren zu züchten bzw. ihre Züchtung zu überwachen, nicht bestanden hatte, daraufhin ungefähr wie folgt zu mir: Aber wie kann man denn vorher wissen, wo man überhaupt graben soll?, ja, das hat er mich mit vor Verachtung verengten Pupillen gefragt; immer wieder diese leise, beinahe unhörbare Verachtung wegen absoluter Denkunfähigkeit ganz


12

meinerseits, vollkommen zurecht, schon damals, leise, aber ehrlich und lauter, komisch, was wollte ich sagen, ja, auch dieser Alt-Autor Fontane, der noch keine Autorenn-Metaphern verwenden konnte, hatte sich ebenfalls einen wahren Kriminalfall als Vorlage ausgesucht, nur war die eigentliche Leiche bei ihm im Keller vergraben, um einer beliebten Redewendung zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Leichen sind oft im Keller, ja, da sind noch welche vorrätig, ich bin eher am Sand, und er war natürlich ein Titan, der alte Mann T. F. , ich bin leider so gar nicht wie er, ich bin nicht Titania, ich bin nur eine einfache Frau, keine Prädikatsfrau, und für Titania bin ich sowieso viel zu nüchtern), wie lautete doch gleich die Frage?, wie dieser Satz jetzt weitergeht? Also ohne mich geht schon einmal gar nichts weiter, egal, ich erinnere mich nicht und kann sie ohnehin nicht beantworten oder einen weiterführenden Satz herstellen. Und sie kann auch etwas ganz andres verstanden haben, die einsame Lehrerin, die es satt hat, ein Leben lang brav gewesen zu sein, und jetzt einfach so einen Mädchenmord begeht, ganz ohne Frage, also einfach ist das nicht, so ein Mädchenmord, denke ich mir, das ist etwas, das normalerweise eher Männer tun, die sich nicht genügsam geben, weil sie es nicht sind, sondern alles wollen, am besten gleich das ganze Leben der Partnerin, roh oder gekocht, gebraten oder gegrillt, das ist ihnen im Prinzip egal, Hauptsache, es geht, wenn sie ordentlich nachspülen, irgendwie runter und sie haben mit ihrer Grillzange ja überall Zugriff, jeder einzelne von ihnen ein Niederflur-Hephaistos, da kommen schon etliche zusammen, die alle irgendwie süchtig nach Feuer sind, aber von


13

irgendwoher müssen sie es sich holen, und das soll dann ihr Teschek machen, dieser Promi-Prometheus mit seinem Leberleiden und dem Adler, dessen Fesseln ja ebenfalls vom Grillkönig, vom Grillhendlkönig, geschmiedet worden sind. Achtung, aufgepaßt!, wir grillen hier nur Biofleisch, alles übrige Fleisch schmeißen wir erbarmungslos weg, obwohl es von einem besonders unglücklichen Tier stammt, doch es verdient nicht die Ehre, von uns post mortem gefressen zu werden, denn jenen Bauern, der das Tier erzog und dann tötete bzw. von fremder Hand  (vor seinem Tod soll das Tier wenigstens noch einmal einen Fremden kennenlernen!) töten ließ, wollen wir natürlich auch persönlich kennenlernen, deshalb ist das Fleisch ja so natürlich, das von ihm mit Ursprungszertifikat bezogen wird (ursprünglich war es allerdings mit Fell bezogen und ist herumgesprungen). Natürlich! Daß ihn nicht einmal jemand vom Grillplatz stürzt, da habe ich eine gewisse Sorge, ihn stürzt, den Chef, der hier kocht, das ist ein reines Wunder, so wie der sich aufpudelt, und daß die Frau, die er sich ausgesucht hat, im Augenblick des Fickversuchs einfach so verschwindet, weil ihr graust vor diesem Behinderten, dem seine Behinderung nicht genügt oder nicht genügend klar ist, und der dazu auch noch zündeln muß, ein paar Gemüsestücke zum Grillgut dazu, die können schließlich nicht schaden, im Gegenteil, daß seine Frau im Augenblick der Vergattung und Vergatterung einfach verschwindet, ist für ihn sicher nicht angenehm gewesen, aber er wendet sich gleich wieder dem Essen auf Rädern, nein, dem Essen auf dem Grillgitter zu, das er davor und dafür eigens geschmiedet hat, Hauptsache es rutscht, und da rutscht es auch schon, das Essen, mit einer Beilage wird es das zumindest schon


14

bald. Darauf lächeln sie froh den eigenen verstreuten Samen an, war doch die Tat soweit vollbracht, als die Frau das Fleisch, nein, nicht ihr Fleisch, endlich hinüberreichte und gleichzeitig verschwand. Was für eine Schufterei für diese oder jene schwache, aber liebevolle Frau, die sich eigentlich in der nebligen Zwischenheit (die Zeit ist ja immer dazwischen, die drängt sich dazwischen, wenn man sie nicht beachtet) mit der Beilage hätte beschäftigen sollen! Zum Lächeln hat sie keinen Anlaß, sie kann sich ein Danach gar nicht vorstellen. Sie ändert jede Sekunde ihre Meinung beim Schneiden, doch sie muß sich beeilen, das Feuer brennt, und dieser kleine Gott des Feuers auf dem frisch geschmiedeten und mit irgendeiner Art Öl eingeschmierten Gartengrill (nein, er selber sitzt natürlich nicht drauf, er ist ja nicht blöd) wartet auf sein bestes Stück, auf seine Bestückung mit zahmer Kohle, die bereits praktischerweise paketiert verkauft worden ist, damit man sich die Finger nicht dreckig machen muß, zumindest nicht mehr als nötig. Sie denkt noch nicht daran abzudanken und abzutreten, die Frau, dazu wäre noch Zeit genug gewesen, als ihr Exmann ihre Undankbarkeit vielleicht noch zu schätzen gewußt hätte, doch jetzt schuldet sie niemand mehr Dank, die Frau, nicht Dank und kein Essen mehr, Undank ist der Welt Lohn, doch auch Undank schuldet sie niemand mehr, und eine Umschuldung kann auch nicht gewährt werden, da sie ihrer Neigung nachgegeben und sich wieder einmal hingelegt hat wie ein Stück Fleisch auf den Gartengrill, das ist der eingeschlagene Weg, den ihr jemand brutal eingeschlagen hat, den die Frau aber trotzdem hier beschreitet, obwohl er eben brüchig ist oder ganz


15

zerbrochen, wer weiß, wie oft sie das noch darf?, wie oft ich das jetzt sagen darf, bis es Ihnen selber wie Flammen aus dem Mund schlägt, denn das Feuer ist nun mal von dem besagten Promi geholt, was sollen wir jetzt damit machen, wenn wir keine schadhafte oder einfach zu alte Immobilie besitzen, die wir warm abtragen könnten, wir fachen die Esse an und machen ein Essen damit!, das ist gut, und der Erzeuger wird es nicht mehr zurücknehmen, hoch, die Flammen!, flamme empor, flamme empor, steige mit loderndem Scheine, steige, du leuchtende Reine oder was die Nazis hier halt gesungen haben aus ihrem Liedgut, aus ihrem Liedschlecht, das sie direkt in die Schlacht geführt hat, es lodert also, da Sie soviel Benzin beim Billigstanbieter (wer das ist, das kann sich sogar innerhalb eines Nachmittags schon mehrmals ändern, und während Sie noch herumfahren, um die billigste Tankstelle des Tages zu finden, haben Sie schon den ganzen Mehrwert, ich meine den Wenigerwert, verfahren) getrunken haben, bloß um mal selber auf jemanden abzufahren, der Sie aber nicht will, das hat er Ihnen schließlich deutlich genug und sogar mehrmals zu verstehen gegeben, aber Sie haben es nicht verstanden, Sie können sich nicht vorstellen, daß dieser Mensch Sie nicht will, vielleicht aber auch aus einem ganz andren Grund, es muß ein andrer Grund sein als der, den er vorschützt, daß er Sie nicht schießen will, denn etwas Wertvolleres als sich selbst kennen Sie ja nicht, Ihr Partner neuerdings aber schon, was völlig unmöglich ist, von Ihrer Seite aus gesehen, von seiner aus ist es schon plausibler, und außer Ihnen sieht es eben niemand von Ihrer Seite, nein, von Ihrer Warte aus, denn eine Warte ist etwas, das sich


16

erhöht hat, das erhöht wurde auch von anderen, er hat es soeben kennengelernt, Ihr Partner, etwas, das ihm besser gefällt als Sie, und einen Entschluß gefaßt, der Entschluß steht fest wie die Hohe Warte in Wien (die, wo das Wetter herkommt), und zwar richtet er sich gegen Sie und für die andere, die aber nichts wert ist, was Ihr Partner nicht weiß oder noch nicht weiß, nur keinen Neid, er würde Ihnen auch nichts nützen, der Neid, ich kann ihn gut brauchen, aber Ihnen nutzt er nichts, er macht Sie nur häßlicher, als Sie eh schon sind, er laugt Sie aus wie jede Tätigkeit, die keinem erkennbaren Zweck dient, beispielsweise die Musik, es nützt Ihnen gar nichts, die Wiener Philharmoniker zu beneiden, bloß weil die so schöne Musik mit Mund und Händen oder sonstwie verfertigen, und jetzt geht die Post trotzdem nicht ab, denn Sie haben für dieses Konzert keine Karte mehr bekommen oder sie war Ihnen zu teuer, denn die Philharmoniker haben heute bei den Salzburger Festspielen gastiert, diese lieben Gäste, die überall willkommen sind, im Gegensatz zu Ihnen, nur kein Neid, die Bank gewinnt immer, sie gewinnt immer neue Kunden und unterstützt auch noch diese Festspiele voll und ganz, wie die Autofirma Audi, die die Festspiele überall herumfährt, um sie den Leuten zu zeigen, die nicht mehr hineingekommen sind, oder so ähnlich, das sage ich dieser Frau ja schon die ganze Zeit, die demnächst von der Bank aus dunklen Altersgründen entlassen werden wird, denn die Bank benötigt ja mehr Kunden als Angestellte, nicht wahr, das leuchtet Ihnen doch ein?, nein, nicht diese Bank, die hat schon, danke, die braucht nichts mehr, die besteht immer, sogar die BAWAG besteht ja immer noch, obwohl


17

sie einmal schon gar kein Geld mehr gehabt hat und somit eigentlich gar keine Bank mehr war, wo sich das Geld ja eigentlich aufhalten und wohnlich einrichten sollte mit immer neuem Zinsenkrempel, bis wir uns die Hosen aufkrempeln müssen und kürzertreten, weil uns das Wasser schon bis zur Mitte der Oberschenkel steht, ähnlich wie an diesem Ort Ackerhitze, wo die Kinder schon sehr früh schwimmen lernen müssen, weil es keinen Grund gibt, warum sie es nicht lernen sollten, und viele Gründe, weshalb sie es lernen sollen, denn die Menschen sind dort sehr vernünftig, ja, dort regiert Vernunft; und unsere ausländischen Freunde verstehen hier und jetzt nur noch Bahnhof, doch der ist ganz woanders, wie mich das freut!, ich meine, wie mich das freut, daß sie mich nicht verstehen!, das bringt mich in einen wahren Jubel und ein Tirili, wenn ich nicht verstanden werde. Wenn ich nicht verstanden werde – dann aber richtig! Dann sollen Sie einen guten Grund haben, mich nicht zu verstehen, und ob dieser Grund jetzt gut ist oder nicht, das ist mir ganz egal! Ja, diese Bank hat auch vielleicht zuwenig Aktien in die Publikumsstreu eingestreut, also ich hab meine verkauft, ich habe sie an eine Heuschrecke verkauft, die mich nicht schrecken kann und die Bank auch nicht, die ist ja auf dieses fleißige Tier inzwischen total angewiesen, die Arbeiter und Angestellten treten mitsamt ihren fauligen Krediten jetzt auf, singen ein Auftrittslied und gehen wieder ab, beides vollkommen unbemerkt, denn die Gewerkschaft hatte eine Bank, doch das war einmal, jetzt hat sie keine mehr, was wollte ich sagen, da doch längst alles dazu gesagt ist? Und was wollten die dazugehörigen Arbeiter sagen? Ich höre


18

nichts. Wieso sagt mir das Schicksal der Gewerkschaft keiner voraus und auch sonst nichts?, damit ich es weitersagen kann, so, die Frau hat sich, wo waren wir?, ja, hier, aber wann, weiß ich nicht, die Frau also hat sich mit dem Mund über das Geschlecht des jungen Nachbarn, des Nachbarinnen-, des Gottessohns von gegenüber gestülpt, eines Gottseibeiuns, macht ja nichts, sowas sieht man dauernd in einem Film, nein, nicht immer im selben, und das hat sie gestern auch schon getan, Ehrenwort, sie beugt sich mit weit geöffneten Lippen über das Geschlecht des jungen Mannes, des jungen Nachbarn, des Sohnes der Bankbeamtin (die bald in eine verfrühte Pension wird gehen müssen, das setzen wir in Klammern, weil es nun wirklich niemanden interessiert, nachdem dieser, jeder Jemand es inzwischen schon zweiunddreißigmal gehört hat), der sich nun doch bequemt hat, sein Auto mit Zuverdienst etwas rascher zu verdienen, am Bau wäre es anstrengender, beim Bundesheer ganz unmöglich, und beim Zivildienst kann man glatt verhungern, daher hat der Bursch sich, was nur logisch ist, folgsam ins Bett einer älteren Frau gelegt, welche sich davor, jedes Mal aufs neue ein Davor!, Mut antrinken mußte, ist ja gleich wieder vorbei!, ach!, das Davor ist gleich vorbei und wird vom Danach abgelöst, soviel Alkohol für ein so mageres Ergebnis!, um den Weg zu sich zu bahnen, man muß nur ein paar Grashalme und dürre Äste beiseiteschieben, und schon sieht man den Weg zum Geschlecht dieses jungen, begehrenswerten, beneidenswerten, unbescheidenen Nachbarn, ach, da ist er ja!, gestern war er auch schon da, oder nicht?, vielleicht hat er vorhin etwas zu lange im Haus nach seiner Freundin gesucht, die eigentlich schon um


19

vier hätte kommen sollen, um ihn zum Schwimmen abzuholen, mit ihm beim Musikhören abzuheben oder zu sonstwas, den Sohn aus der Nachbarschaft, dem man grundsätzlich besser mit Heiterkeit kommt anstatt mit Vorwürfen, wie jedem Menschen, nur schafft man das bei einem älteren nicht, und bei Mama habe ich gar nichts geschafft, angeschafft hat vielmehr sie, so, und dann kann man methodisch darangehen, wenn man sich traut, diesen Weg für sich freizumachen, ist es der Weg zu einem Herzen?, irgendeinem, bevorzugt dieses Herz, in dem Musik zu Hause ist, aber nicht soviel Platz einnimmt, als daß nicht noch etwas andres Platz hätte, nur keine Sorge, der Bursch geht schon noch hinein, vielleicht wenn man fest schiebt, so wie diese japanischen Schnellzugschaffner? Der geht uns noch in dieses Herz hinein, wetten daß? Er muß! Ich sehe es nicht, ich sehe nichts, ich fühle mich wie befreit, denn wenn ich nichts sehe, kann ich auch nichts sagen, ich habe nichts zu vermelden, die Scheiben spiegeln, wie schon mehrmals gesagt, ohne daß ich wüßte, was das zu bedeuten hat, komisch, und was könnte ich sehen?, das alles ist doch längst geschehen, der Belag der Zeitscheibe ist sogar schon schlecht geworden, soviel Zeit hatte er, mir jedenfalls ist jetzt auch schon ganz schlecht. Da ist Bewegung hinter dem Glas, als wäre jemand im Haus, als wäre die Vergangenheit zum zweiten Mal gekommen, diesmal als Gegenwart verkleidet, denn in der Provinzstadt passiert ja, wie ebenfalls und genauso ungenau gesagt, nie etwas, daher können wir ruhig die Kleidung vom vorigen Jahr tragen; diesmal ist aber schon etwas passiert, das keine vorübergehende Stimmung war, eher eine Verstimmung, ich glaube, es ist


20

sogar schon geschehen, nur weiß es noch niemand außer mir, sehen Sie, so übernimmt eben die Gegenwart das Vergangene, auch wenn ich es nicht gut ausdrücken kann, es geschieht aber ohnehin erst, sobald es in der Zeitung steht, nur keine Sorge!, spätestens dann erst ist es wahr, weil es damals, als wir die Meldungen akut und aktuell hatten, nicht wirklich beachtet worden ist, da ist doch einer! Hallo! Da ist jemand! Die Vergangenheit kanns nicht sein, die würde keinen so langen Schatten werfen, eher gar keinen, aber ist das überhaupt ein Schatten? Und überhaupt: Tod, wo ist deiner? Wer hat dir deinen Stachel rausgezogen, wer war der anmutige Dornauszieher? Da sehe ich schon einen, einen Dorn kann man nicht direkt sagen, der sich unbedingt ausziehen muß, ich glaube, die Lehrerin hat ihn auch gesehen, sie wollte es ja so. Das kann doch nicht sein, schon vom Sonnenstand her nicht, die Scheiben spiegeln, als wäre das Glas nicht plan oder als wäre es mit Fett eingeschmiert worden, als würde es sich verziehen. Ja, es ist schon ein Weg, wir wissen nur noch nicht wohin, aber das sollte sie nicht laut sagen, sonst legt ihr wer einen Bye-Bye-Paß (war das nicht schon mal? Es kommt mir vage bekannt vor, vielleicht habe ich es im Inneren meines Kopfes schon einmal gesehen, das vielleicht, aber ich erinnere mich nicht, es schon einmal hingeschrieben zu haben), und sie fliegt ins Bodenlose, die Frau, die sich aber schon gar nichts traut, und auch diesem Boden traut sie mit Recht nicht. Sie hat in der Vergangenheit nur getan, was nicht bemerkt wurde, bis sie einmal etwas tat, das zwar auch nicht bemerkt wurde, aber doch bemerkenswert gewesen wäre, so groß, auch in der öffentlichen Meinung groß wäre es gewesen,


21

und jetzt ist sie nicht gezwungen, das zu wiederholen, die Wiederholung wird ihr geschenkt, manche Dinge funktionieren nur einmal, das genügt aber auch meist; es existiert nur, was öffentlich ist. Was im Geheimen geschieht, macht Angst, aber nur, wenn man es weiß, und dann ist es nicht mehr geheim. Ich deute hier alles nur an, fällt Ihnen das nicht auf?, das ist ganz im Gegensatz zu meiner sonstigen Art, alles brutal auszuwalzen und mich dann drunterzulegen, unter meine eigene Walze, damit meine Kritiker mich nicht sehen können oder in vierfacher Größe, dafür platt wie eine Flunder, nicht mehr erkennen. Damit sie es mir nach dem Verursacherprinzip nicht zuschieben können. So wie die Geschichte selbst uns die Vergangenheit geschenkt hat, wir haben ja alles gratis bekommen und auch wieder zurückbekommen, was uns nie gehört hat, die Unschuld. So ist es jetzt derzeit nichts wert, noch nicht, noch werden keine Interviewwünsche geäußert, noch will keiner etwas erfahren, noch gilt nicht, was diese Frau getan hat, noch kann sie es verschenken, doch sie hütet sich, und sie hütet ihre Tat, sie wird es wieder bei sich behalten, was sie getan hat, aber was war das? Wollen wir es wirklich von Bedeutung werden lassen? Es macht soviel Arbeit, das alles aufzuschreiben, können Sie es mir nicht ersparen und es mich bei Andeutungen belassen lassen? Ich weiß ja, Sie wollen es mir ersparen, doch höre ich nicht auf Sie. Äh, ich verdiene ja eh nichts damit, also können Sie in diesem Punkt und auch ein paar anderen Pixeln nachsichtig mit mir sein. Was glauben Sie, warum ich das alles hier mache? Damit mir niemand mehr was tun kann! So einfach ist das. Ich bleibe im Verborgenen, damit


22

Sie mich nicht finden und mir nichts antun können. Also hier lege ich einmal keinen Wert auf das Beschreiben, hier nicht, denn es geht Sie nichts an, wie ich mich fühle, hier werden Sie gewiß nichts finden, das einem Gefühl auch nur ähnlich schaut, es schaut etwas auf Sie heraus, es ist mein Schreiben, da können Sie ruhig oder zornig mit der Axt auf Ihren Bildschirm losgehen, Sie werden keinen Tiefgang finden, weil ich mir sicher bin, daß auch Sie längst einen Flachbildschirm haben, so flach wie Ihr Kopf oder noch flacher, was technisch aber noch nicht ganz ausgereift ist, und außerdem: Flacher als flach ist durchaus denkbar, aber es geht irgendwie nicht, denn wenn etwas flach ist, dann geht es nicht weiter, dann ragt es nicht weiter in den Raum hinein, auch meine hervorragende Dichtung kann das nicht, nein, hier finden Sie nichts, nicht einmal hinter dem Schirm, weil ich nichts eine eigene Bedeutung verleihen kann. Die Frau schweigt mich aus, sie schweigt mich an, sie schweigt über mich hinweg, sie bremst mich aus, sie hindert mich, dieses Ungenügen, dieses Unvermögen hier zu vervollständigen, damit endlich ein wenig Vermögen zusammenkommt. Bis man es ihr nachweist, der Frau, meiner Heldin, deren Wirklichkeit ich nur in Andeutungen beschreiben kann, sonst kapiert noch jemand, wer gemeint ist. Die Frau also kommt ab vom Weg zu diesem unvergleichlichen Geschlecht eines jungen Mannes, von dem sie seit langer Zeit, seit ziemlich genau drei Jahren, besessen ist, ich glaube, schon seit er 14, 15 war oder so und zum ersten Mal bewußt sein Gesicht vor den Spiegel trug und es danach enttäuscht wieder mitnahm. Seither findet sie keinen andren, der sich


23

ihr preisgeben würde, die Frau Lehrerin, und den Preis für Jugend forscht, Jugend singt, Jugend lacht und Jugend spielt gewinnt auch immer ein anderer, der kein Schüler der Frau Lehrerin wäre. Das ist eine Frau, die jemanden seit langem heiß begehrt (so sagt man es doch gleich besser, oder? Ja, danke, auch Ihnen gute Besserung!) und der dabei ein Hindernis in den Weg gelegt wird, das sie nicht zu entfernen vermag. Es ist ihr eigenes Alter, das Hindernis, es ist ein verwaistes Nest, in das sie einen Kuckuck geholt hat, weil der gar kein eigenes Nest baut, und schon wieder ist jemand drübergeflogen und hat die Vorausscheidung für den Endlauf in den Tod verpaßt. Sie findet keinen besseren Weg, diese arme Frau, als sich einfach draufzusetzen, auf das Hindernis wie auf das Alter, damit wenigstens ihre natürlichen Augenlider in dieser Form noch ein Jahr verbleiben dürfen. Vorher ist sie auf ihren Ersparnissen gesessen, die ursprünglich dazu dienten, sich verschönern zu lassen und damit ihrem Ursprung wieder etwas näherzurücken, Lebensersparnisse (also man sieht eindeutig jünger aus, wenn man weniger lebt als andere und sich nicht so abnützt, aber einmal muß geschnitten sein, um das Gesicht im Sinne dieser oder jener Schauspielerin so zu verändern, daß nun keine von beiden mehr erkennbar ist), die karg genug sind, was erspart sich schon eine geschiedene, kaum alimentierte Geigenlehrerin, die sich auch gleich vom Leben hat scheiden und dann das Leben aus sich herausschneiden hat lassen müssen, ich verkneife mir zu sagen, daß ihr nichts erspart bleibt, das überlasse ich dem alten Kaiserzausel, von dem ich aber schweigen will, sonst verklagt mich sein Urenkel schon wieder, zum zweiten


24

Mal bereits, und ich muß ins Gericht von St. Pölten, denn der Gerichtsstand ist dort, irgendwo muß er ja stehen, wie die Sonne, aber wir haben keinen Richter gebraucht, der Urenkel und ich, wir haben uns verglichen, ich habe Kaiser mit Kaiserin verglichen, sie beide öffentlich gelobt und Erde aus einem Blumentopf mitsamt den Totenwürmern gegessen, zur Buße, und gelobt, sie immer nur zu loben, also ich sage nie wieder was gegen den verstorbenen gütigen Kaiser, ein paar hunderttausend oder Millionen Tote, was ist das schon, pssst, Feind hört mit!, und mehr werdens sowieso nicht mehr, ich wende mich wieder meinem viel kleineren, bescheideneren Thema zu, das mir wie auf den Leib geschneidert ist, wobei mir gleich ein paar Stücke Fleisch mit herausgeschnitten worden sind, ich wende mich der Frau Lehrerin zu, die da vorn hinter dem Nachbarssohn hergiert, hergeiert, aber dieser Roman heißt nicht Gier, das hatten wir schon, das haben wir mit mehr oder weniger Anstand (damit wir es von oben her sehen konnten, mußten wir uns auf diesen Anstand, welcher fürs Wilde eigens gebaut wurde, begeben) hinter uns gebracht, er heißt Neid, dieser Roman minus Novelle, die ich nicht ausführen kann, weil ich das Nylonsackerl dafür vergessen habe, und der Neid ist ein vielschichtigeres Laster, es kommt viel öfter vor, denn sogar wer nichts hat, kann noch jemand beneiden, aber jemand, der noch weniger als nichts hat, aber dafür eine Jugend, die etwas zählt, die das meiste ist, was zählt, der hat grundsätzlich keinen Grund zum Neid, nicht wahr?, auch wenn er so wenig hat und womöglich Sandler auf der Parkbank umbringen muß oder eine Frau umbringen muß, um zu sehen, wie das aussieht, wenn sie stirbt, hat er


25

immer noch seine Jugend, die man nicht kaufen kann, und Jugend forscht, so gehört es sich, man soll sie richtig auszukosten, die Jugend, man sollte zumindest einmal von ihr gekostet haben, was wollte ich sagen? Ja, jetzt weiß ich es wieder, sogar wenn man alles hat, vor allem die Jugend, kann man Neid empfinden, und da ist schon eine, die Ihnen das bestätigen wird. Die Frau hat ihn sich sogar in ihr Bett gelegt, den jungen Nachbarssohn, damit sein Geschlecht, sein männliches Geschlecht, gegen das sie im Grunde und im allgemeinen eine tiefe Abneigung hegt, weil es nur Ärger macht, ihr wenigstens diesmal zugutekommen und Wohltaten erweisen möge, die Frau hat ihre innere Abwehr dagegen jetzt schon ganz aufgegeben, sie kann sich nicht zügeln, die Abwehr bestand ursprünglich, weil dies Geschlecht ihr schon einmal, früher, soviel angetan hat, was nicht mehr gutzumachen ist, nun, die Abwehr steht nicht mehr, nein, sie steht auch nicht im Fußball-Nationalteam, sie steht nirgendwo, und dieses Geschlecht soll der Frau also jetzt, da sie das alles überwunden und hinter sich hat, noch viel mehr antun, mehr, bitte mehr!, mehr vom Immergleichen, das ist ohnegleichen, auch wenn immer dasselbe passiert, und das kennt man schon, da weiß man, was man kriegt, sie will es wieder haben und immer wieder, sie will es haben, die Frau, die ein ganz andres Geschlecht hat, ich habe eine Ahnung welches, eines dazwischen, nicht eins weiter, sie will gestalten, sie will ein andres Geschlecht gestalten, sie will, daß dieses sich am eigenen Leibe aufbauende Geschlecht, an dem sie lang gearbeitet hat, nur noch von ihrem darüber aufragenden Körper in den Schatten gestellt werden kann.


26

Man kann auch andre Sachen damit anstellen, um unbeschreiblich zufriedengestellt zu werden, aber man darf sich nicht davor scheuen, selber mit Hand anzulegen, wenn das Aussehen der Begehrten, der Ersehnten, allein nicht mehr ausreicht, daß es sich gegen sie erhebt, dieses schreckliche Geschlecht, gegen das auch ich eine gewisse Abneigung habe, leider brauche ich es noch ab und zu, dann wärme ich es mir halt auf, obwohl ich von vorneherein weiß, daß es ungenießbar sein wird, der Kannibale hat das schließlich an meiner Stelle schon ausprobiert, und die Zufriedenheit, auch die der Geschlechtsteile selbst, denn die empfinden schließlich auch etwas, ist sowieso prekär, denn kaum sind sie zufrieden, wollen sie schon mehr davon, sie wollen immer mehr, obwohl es ja immer wieder dasselbe ist, ich sagte es schon, sie wollen es trotzdem immer wieder, damit sie was davon haben und damit sie beim nächsten Mal vielleicht, hoffentlich, mehr davon haben, immer mehr, und daß sie schon einmal was davon hatten, das vergessen sie dann gern, sie geben sich nie zufrieden, denn das nächste Mal werden sie noch viel mehr davon haben und noch zufriedener sein, bitte, kommen Sie doch herein und wogen Sie wie eine Welle, sagte die Spinne, die eine gewisse Spannung in ihrem Netz verspürte, zu der Fliege, ganz gewiß, kommen Sie endlich!, und jedesmal denken sie schon ans nächste Mal und vergällen sich selbst den Genuß, ähnlich dem Süchtigen, ich sagte auch das bereits, wie das meiste, auf ein Neues!, auch der Süchtige will ja immer mehr, mehr, mehr, und während er sich noch befriedigt, denkt er schon daran, wann er sich als nächstes und das übernächste Mal befriedigen wird können, was das


27

kostet und wie er es bezahlen soll, das sind nämlich große, klaffende Bedürfnisse, die ich hier jetzt noch mehr aufdecke, bis ihnen kalt wird, bis sie sich, aus Ekel, vor mir wieder verschließen, aber vielleicht nicht endgültig, mal sehn, ob wir diesen Hebel ansetzen können und das Geschlecht damit wieder aufkriegen, ich wende mich von meinen Lesern ab, von Lesereisen habe ich mich schon längst abgewandt, und öffne mein Geschlecht, von dem ebenfalls schon mehr als einmal die Rede war und nicht einmal bei mir, auch bei einem anderen, bei mindestens einem anderen, nur Sie bemerken es nicht, daß da was auf- und wieder zugeht und beißt, geifert und schnappt und sich über wieder andre setzt oder als Feuchtgebiet unter andre legt, das könnte so manches sein, da ja überall unaufhörlich alles aufgedeckt wird, viel interessantere Dinge als mein Geschlecht, wobei ich nicht gesagt haben will, daß mein Geschlecht das aller Frauen ist, denn es ist nur meins, wir sind jetzt schon fasziniert, daß es etwas nur einmal geben soll, daß das etwas Einmaliges sein soll, aber in die Zeitung kommt es mir nicht!, in die Zeitung kommt, daß Herr P., der sich vom Zug hat köpfen lassen, in das Verlies der kleinen N. endlich Sanitäranlagen eingebaut hat, plus eine eigene Senkgrube, das wird Ihnen berichtet, aber nicht von mir, mein Geschlecht braucht keine eigene Senkgrube, denn es ist bereits auf natürlichem Weg versenkt, nein, sehen können Sie es nicht, Sie müssen sich mit der Beschreibung zufriedengeben, behalten Sie Platz in Ihrem Gehirn für P.s Wohnbereich, in dem sich nicht einmal eine Faserspur seines jugendlichen Opfers finden ließ, nicht einmal ein Haar, so gründlich mußte das Opfer selbst putzen,


28

es mußte sich quasi selbst wegputzen, sein Müll wurde dann in den Wäldern auf die wilde Weise entsorgt, der Müll von N.,  ihre Wildheit im Verlies gebändigt, ihre Nahrung weit vom Wohnort entfernt eingekauft, lesen Sie, lesen Sie, halten Sie sich mit mir bloß nicht auf! Mein Geschlecht kriegen Sie ohnehin nicht zu sehen, nein, seien Sie froh!, nein, auch kein andres, ärgern Sie sich nicht!, denn da kommt sicher noch mehr, was uns zusteht und was uns steht und für uns steht und wofür wir den Platz benötigen, keine Frage, wir benötigen, was wir auch haben, immer noch Platz für mehr, wenn auch nicht unbedingt mehr davon, jetzt habe ich alles vergessen, und mehr Vergessen geht nicht mehr. Also ich würde nicht sagen, daß Sex ein Grundbedürfnis ist, oder doch, ich sage es, es hat ja keine Folgen und verursacht keine Folgekosten, was ich sage, außer man müßte dafür bezahlen, was hier nicht gegeben ist, dies ist Ihnen umsonst gegeben, nein, echt, ich sehe: Niemand hat das Bedürfnis, sich wieder zu besinnen, aber besinnungslos werden, das wollen dann wiederum alle, nein, das stimmt nicht, sie wollen alles ganz bewußt erleben, auch die Besinnungslosigkeit, auch das Erleben selbst. Und alles wollen wir anschauen. Was auch passiert, jede Kränkung, jede Gemeinheit, jedes Verbrechen, wir wollen immer dabeisein oder zumindest dabei zuschauen. Daher lasse ich Sie hier an meinen Kränkungen ebenso bewußt teilnehmen, das heißt, bewußt bin dabei nur ich. Ihnen ist es nicht bewußt, seien Sie auch diesmal wieder froh! Nun, setzen würde ich auf diesen jungen Mann nicht, der da liegt und kein Gehalt bezieht, er ist ja noch Schüler, aber die Frau würde ihm glatt ein ganzes Auto für seinen Körper zahlen. Nur um einen Nutzen von ihm zu haben,


29

nicht für den Körper selbst. Auch ich würde mir, wenn ich ehrlich bin und er so ist, wie ich ihn mir vorstelle, von ihm seinen Körper gegen Geschenke erbitten, aber über den Weg trauen würde ich ihm nicht, das macht aber nichts, denn spazierengehen würde ich, im Gegensatz zu dieser Lehrerin, mit ihm sowieso nicht wollen, das würden alle in dieser Provinzstadt ja sofort mitbekommen, und der junge Mann, dem das dann gar nicht recht wäre, hätte außerdem beim Gehen ein zu schnelles Tempo drauf, wie auch beim Schwimmen im Hallenbad, wo er alle überhallt, auch die lautesten Schreier und Springer, wenn er sich vom Brett stürzt, besser, man läßt sich auf einen Vergleich gar nicht erst ein, allein wie diese Frau im Bikini aussehen würde! Na und ich erst! Im Bikini und mit einer Geige!, nein, die Geige wäre dazu nicht unbedingt nötig, die muß ja nicht immer dabeisein. Aber wie soll ich hier etwas beschreiben, wenn nicht einmal ich selbst die Personen auseinanderhalten kann und auch noch mich selbst, lieber als überhaupt keine, ins Geigenspiel mit einbringe? Gelernt ist gelernt. Nein, das stimmt nicht. Was will ich denn damit wieder sagen, ich habe es sicher schon öfter und besser gesagt? Sie streben immer wieder zusammen, diese Körper, ja, immer zwei verschiedene muß man dazu nehmen, unterschiedlicher könnten sie gar nicht sein, kaum daß ich sie mit zitternden Geistesmuskeln gebändigt und in mein eigen Bett geleitet habe. Mein Bett ist ein Fluß, ich meine durch mein Bett geht ein Erzählfluß, der aber alle paar Meter aufgestaut wird, ständig schmeißen irgendwelche Kinder Steine hinein und türmen sie aufeinander, und dann geht wieder nichts weiter. Aber wenn es oben drüberrinnt


30

– servus, dann geht aber die Post ab! Sie wollen immer in ein andres Bett hinein, die Menschen, nicht die Erzählflüsse. Mein Erzählfluß will sicher weg von mir, ich kann ihn verstehen, aber er kommt nicht weit, dafür sorge ich schon. Er wird sein natürliches Ende finden, und zwar ungefähr alle zwei Minuten. Bitte haben Sie Verständnis für diesen ruckartig sich fortbewegenden Strom, ich werde bald tot sein und möchte noch so viel sagen, und ich habe keine Zeit mehr, es vorher noch sorgfältig zu ordnen. Und dies ist sowieso nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, die Öffentlichkeit bestimmt vielmehr selbst, daß sie grundsätzlich immer viel mehr möchte als ihr zusteht, allerdings nicht vom Unglück, nur vom Unglück anderer, sie allein bestimmt, was ihr bestimmt ist, und das möchte sie dann nachahmen, wird aber sofort von allem ausgeschlossen, es ist ausgeschlossen, daß ich eine solche Figur, wie ich sie mit 20 hatte, in diesem Leben noch einmal bekommen werde, doch ich fürchte sehr, ich hatte sie nie. Als passender stellt sich heraus (fragt sich nur: passender für wen?), wenn Sie sich dieses Foto anschauen, ja, hier können Sie betrachten und begutachten und daran verzweifeln, wie eine schöne Bikini-Trägerin aussieht, nachdem sie alle ihre Träger fallengelassen hat. Jedenfalls sieht sie nicht aus wie ich. Aber wie diese Lehrerin auch nicht, da schaue ja ich noch besser aus, kein Grund für Neid. Nein danke, irgendjemand wird schon auf diese Frau zählen und bitter enttäuscht werden, aber ich scheine es nicht zu sein, ich kann ja nicht bis drei zählen und vor Fremden schweige ich oder spreche aus Verzweiflung zuviel, aber nicht hier, ich kriege dies hier


31

nicht hin, ich kriege es nicht klein, und ich kriege es nicht groß, ich kriege es überhaupt nicht in Scheinen, nicht in bar, und ich kriege es nicht ins Fließen, ich bringe es oder ihn, wen auch immer, nicht einmal zum Stehen, und ich werde auch nicht in Naturalien ausbezahlt. Ich werde für dies hier gar nicht bezahlt. Ich habe schon längst bezahlt, wenn auch für etwas anderes, für mein nacktes Leben, aber nicht etwa, damit ich nackt wäre, und bis heute bin ich mit meiner vorgefaßten Meinung, ja, vor allem der gegen die Männer, nicht weit gekommen, weder bei Männern noch bei Frauen, an denen mir meist mehr lag, daher vertraue ich diese Meinung jetzt einer Geigenlehrerin in einer ehemaligen Erzstadt an, mal sehen, was sie damit machen wird, nein, nicht die Stadt, obwohl die auch verzweifelt darauf hofft, etwas aus sich zu machen und jede Hilfe gebrauchen könnte. Hoffentlich etwas Schönes, denn ich hänge an meiner Meinung, die mir schon soviele andere wieder mal reingesagt haben, daß auch ich selbst sie wenigstens hundertmal sagen und aufschreiben mußte. Irgendjemand zählt immer, falls er in der Zeitung steht und einnehmend genug dafür ist, aber in der Dichtung zählt niemand, es zählt nur das Datum der Unterschrift, und unterschreiben, das kann ich, so, Sie wollen harte Tatsachen, nicht weiche Erfindungen?, und auch weiche Empfindungen wie den weichen oder harten Schanker, ich meine, harte, heitere Erfindungen wie die Atombombe oder, kleiner, die Autobombe oder, ohne Auto, die Leibesbombe, wollen Sie nicht, an sowas wollen Sie nicht erinnert werden, aber wenn die Frau in der Zeitung steht, dann geht es sofort an die Faltenzählung oder die Straffung des gesamten


32

Körpers und des gesamten Sichtfelds, damit man nie mehr, nie wieder so ausschaut wie auf dem Foto, das man von sich hat und an andere verschenkt hat, denn alle dürfen alles beurteilen, und sogar der französische Präsident, und der ist doch nun gewiß jemand, ein Jemand meine ich, hat sich deswegen die Falten am Bauch wegretuschieren lassen (Straffung ist eins der wichtigsten Wörter der Gegenwart, daher verwende ich es nur sparsam, sozusagen als Würze, aber wenn das Gericht nicht stimmt und das Gewicht ebenfalls nicht, nützt die Würze auch nichts mehr), die Firma Dove zum Beispiel, die sich seit neuestem auf Alterskosmetik spezialisiert hat, denn auch der alte Körper ist schön, fragt sich nur für wen, für die Firma Dove gewiß, aber die wird auch die einzige bleiben, ach, wir haben kein Geld, nicht einmal etwas zum Setzen im Casino des Lebens, wo immer die Bank gewinnt, in der die Mutter des jungen Mannes vorausschauend heute bereits arbeitet, bis sie mit ihrer Frühpensionierung zwangsbeglückt werden wird, obwohl es diese vorzeitige Lebensbeendigung vor der Beerdigung gar nicht mehr gibt oder nicht mehr geben sollte, Hauptsache beglückt, wieder mal Glück gehabt, was?, der Bursch, ihr Sohn, hat nur Geld im Auge und überall sonst auch, wie der Geliebte des berühmten Wurstvertreters der menschl. Gattung Professor für Kinderheilkunde (eine Obergattung der Kategorie Menschenskind!, der scharf auf Kinder war, Knaben bevorzugt, Knaben eigentlich ausschließlich, Mädchen ausgeschlossen, wahrscheinlich, um Menschen aus ihnen zu machen, was man aus einem Mädchen ja nicht machen kann oder nicht viel, aus einem Buben aber schon, doch ist das


33

eine Mühe, die ihm ein andrer, Größerer, abgenommen hat, ich weiß nicht, was soll es bedeuten, er weiß es auch nicht mehr, er hat nämlich inzwischen seinen Verstand verloren wie sein Herz, das zuerst gehen mußte, zu einem schönen Knaben, wo sie ja alle hingehen, die Herzen, doch dieses Herz wurde verloren, obwohl es als Organmandat wichtiger ist als das Gehirn, das man eigentlich nicht unbedingt benötigt und nicht einmal einem anderen schenken kann), ein Medizinprofessor also, und zwar aus Klagenfurt, woher sonst, aber von dort kommt keiner, von dort kommt nur ein einzigartiger Mensch mit einer einzigen Sprache, dafür steht er dann aber auf allen Straßenschildern, Entschuldigung, ich schweife ab, wie üblich, zurück zum Weiterschweifen!, den Schwanz des jungen Mannes in den Mund nehmen und mit einer Belohnung winken, falls sie die Hände frei hat, das ist schon alles, was die Frau zu tun hat, das kann doch nicht so schwer sein!, so, die Hände hat sie frei, das sehe ich jetzt, zumindest eine Hand (beim Geigenspiel hat man keine einzige frei, aber das ist man dann gewohnt!), das tut die Frau, und falls sie noch einen Nachschlag möchte, hoffentlich nicht, stellt sie noch Extras fürs Auto in Aussicht, jene Extras, die der jeweilige, eigenwillige Gebrauchtwagen halt grade hat, aussuchen kann man sie sich nachträglich leider nicht mehr. Was es wiegt, das hat es. Pech gehabt, dieser hier hat grad noch einen Zigarettenanzünder und ein Handschuhfach, und extra hat er die nicht. Die waren Standardausführung. Der junge Mann, der Nachbarssohn, von dem hier die Rede ist, schließt seine Augen auf, wir sind heute ja noch mit der Neuen, diesmal mit echter sporlicher und


34

dabei vollkommen natürlicher Figur, natürlich natürlich!, verabredet, die uns für all das wieder entschädigen wird, also halten wir das locker aus, Augen auf beim Autokauf, aber jetzt noch nicht, wir haben ihn uns noch nicht verdient, diesen Kauf, der uns das, was wir uns verdient haben, wieder nehmen wird. Die Neue in seinem Leben, eine Mitschülerin, läßt den jungen Mann in Gedanken immer fester und tiefer und öfter durchatmen, beim Sport noch fester, noch tiefer, noch öfter, seine Mitschülerin, mit der er auch zum Basketballtraining geht, die so häufig wie ein Lüftchen mit ihren Freundinnen durch die Stadt, diese windy city, weht, das ist ihre Gewohnheit, wehe, wenn sie losgelassen (wird)!, dann passiert nämlich gar nichts, denn dann ist es schon passiert, und morgen werden wir sie bereits vermissen, sie wird ganz plötzlich verschwunden sein, so erfrischend, wie dieses Mädel ist, mindestens wie eine Flasche Mineralwasser der richtigen Firma und mit etwas Geschmack, grad einer Spur Geschmack nur, und was nützt es ihm jetzt? Dieses Mädchen ist auf einmal verschwunden, vielleicht nicht auf einmal, vielleicht nicht einmal im ganzen, aber auf einmal hat man es gemerkt. Man schloß die Augen, es war noch da, und man öffnete sie wieder, da war es nicht mehr da. So plötzlich kommt ein Ereignis, dessen Charakteristikum ist, daß es so plötzlich kommt, das ist sein Wesen, das Wesen seines Seins, dessen Anfang das Wort war, bei Gott, da können Sie bis auf den Großglockner steigen und in eine Gletscherspalte fallen, auch dort werden Sie keine Spur Gottes finden, obwohl Sie sich so bemüht haben, und mein Wort werden Sie dort zwar ebenfalls nicht finden, aber das haben Sie ja auch nicht gesucht,


35

jedenfalls hätten Sie es dort oben niemals gesucht, sie hätten sich instinktiv eher gebückt nach meinen Worten. Die Höhensucher mußten die Segel streichen, sie sind in zu feinen und glatten Schuhen aufgestiegen, aneinandergebunden, ohne daß einer gesichert hätte, und Gott war dafür auch zu beschäftigt, so hingen sie gestern noch in der Gletscherspalte am Glockner, zwei davon bereits tot, sie mußten mit Bergescheren aus dem Eis herausgeschnitten werden. Andre hängen mit einem festeren, sichereren Band an einem anderen Menschen, aber bitte nicht so kraftlos wie ein gebrochener Halm, unter Bewahrung ihres eigenen Wesens und ihrer Eigenart, wie diese ältere Frau, die aber noch gar nicht sehr abgenützt ist, wovon auch?, also von der Kunst gewiß nicht!, Abb. 45, nein, Abt. 53,  die da auf einen herabhängt, auf den Buben aus Eis, wie aus Eis zumindest – so stelle ich mir menschliches Eis nämlich vor, ganz normal, keineswegs schockgefroren, normal gefroren – , herunterhängt mitsamt ihren verwelkten Titten, na ja, Titten kann man das nicht nennen, was sie da hat, im Stehen verbergen sie sich nämlich scheu in ihrer Bluse, viel ist das nicht (sonst dürften sie ja zumindest teilweise raus, wie bei den TV-Sprecherinnen), dieser Schutz aus Baumwolle mit Beimischung, mit Beilage (diesmal nicht eßbar, versuchen Sie es lieber nicht!), das muß sogar ich sagen, und ich bin ausgesprochen frauenfreundlich und spreche das auch dauernd lauthals aus, nicht nur, um Ihnen damit auf die Nerven zu gehen, auch um meiner selbst willen, aber bei Betrachtung dieser Trauerweide von einer Frau, die nicht mehr weiß, worum sie trauert oder um wen, die eigentlich zart und fein


36

veranlagt ist, unterste Steuerklasse (welcher der Staat nur noch zögernd etwas wegnimmt und manchmal sogar etwas zurückgibt), diese Veranlagung aber gern vergißt, wenn sie, wie meist außerhalb des Unterrichts, fast ständig betrunken ist, also bei der vergeht es mir, den Dank, Dame, begehre ich auch nicht, bei der vergeht mir jede Frauenfreundlichkeit und jede deutliche, ernste Aussprache, aber da hätte ich mit dem Vergeben ja viel zu tun (mit dem Vergehen gar nichts, das geht von selber, die Vergehen vergehen von selber), denn es ist schrecklich, wie viele Fehler die Menschen haben. Das kann man so sagen. Ich suche sie immer bei anderen, denn dort sieht man sie einfach besser. Und nicht nur bei mir, bei mir aber auch. Bei dieser Frau vergeht mir alles, nur nicht das Schreiben. Fürchten Sie sich! Machen Sie von mir aus in diesem Fall eine Ausnahme und die Augen zu!, ich kann es nicht, ich kann das alles nicht, tue es aber, vielleicht deshalb, besonders gern. Es ist mir schon zum Vorwurf gemacht worden von diesem oder jenem Poster und Blocker und Rangierer und Arrangeur im Netz, der das Netz gern anders zusammenstellen würde, am liebsten ohne mich, nur mit ihm, daß ich immer noch weitermache, obwohl ich schon lang nicht mehr kann. Aber schauen Sie, auch der vollständigst Ausgerüstete kann seine Ausrüstung verlieren, und dann kommt er nicht mehr vom Fleck. Das Vergehen, nicht das Schreiben, kann einem vergehen wie das Leben, wie schnell das manchmal geht, kann ich Ihnen jederzeit bestätigen. Nein, ich vergehe mich an niemandem, außer an Ihnen, aber Sie spüren es ja nicht, Sie können jederzeit abschalten, ich kann es nicht, obwohl ich es sollte, mein Computer hat dafür


37

eigens einen Knopf angebracht, ich kann aber trotzdem nicht abschalten, denn ich verachte die Zeitlichkeit als solche, die fürs Erzählen unerläßlich ist, die ich mir aber selber ausgelassen habe, weil die Röcke so kurz wie zu meiner Zeit, zu meiner großen Zeit, als ich jung war, von mir heute einfach nicht mehr zu tragen sind (und nicht einmal damals war es einfach), das ist der Verlauf der Zeit, in die sich ein Geschehen verlaufen hat, das auch ich nicht mehr finde, wie soll ich da das Wesen der Zeit erkennen, ich halte mich doch in ihr auf und sehe nichts von ihrem Wesen, da müßte ich mich schon außerhalb hinstellen, aufstellen wie die freud-, angst-, sorglos und dennoch lauthals heulenden, kreischenden Girlies, die unermüdlich und nicht ein einziges Mal das Gesicht verziehend, und wenn, dann zeigt es immer nur dasselbe: wie verzogen sie selber sind (interessant, diese äußerste Äußerung eines Gesichts, in dem absolut nichts passiert), wie rasende Mänaden, die sich aber überhaupt nicht bewegen, das ist ja das Komische, eine Boygroup erwarten, es geht mir durch und durch, wie sehr und wie laut sie diese Gruppe erwarten, ohne sich zu rühren, vielleicht Tokio Hotel, dessen Leadsänger derzeit leider defekt ist, kann z. B. mit dieser Gruppe bewiesen werden, daß Zeit einen Wesensbezug zur Wahrheit des Seins hat? Nein, durch alles und jedes kann nicht bewiesen werden, daß die Zeit einen Wesensbezug zur Wahrheit hat, da müssen Sie schon in der Waschmaschine nachschauen, ob Sie ihn dort hineingelegt haben, Ihren Wesensbezug, aber da ist nur der von Ihrer Rheumalind-Decke, kein geringerer, und ein roter Socken hat noch dazu auf ihn abgefärbt, der zweite ist leider weg, wie es oft passiert,


38

und im Winter brauchen Sie den nötiger als den Wesensbezug, den zweiten Socken würden Sie jetzt auch brauchen, aber der ist eben verschwunden. Ihr Wesen kann jederzeit auch ohne Bezug auftreten und wirken, ganz frei, alle machen sich ja immer frei, wenn gewünscht, das habe ich noch nicht bewiesen, ich habe von Freiheit ja keine Ahnung, nicht einmal den Schimmer einer Ahnung, also muß ich es anders versuchen, das zu beweisen, aber was soll hier ein Beweis? Was soll hier die Wahrheit? Sie wissen es auch nicht? Und dennoch ist es wahr! Und soviel steht für mich immerhin fest: Alte Frauen sind einfach Dreck und Abfall, da können Sie jeden fragen, das sagen alle, mich eingeschlossen (und das Alter schließt wiederum mich ein, daher weiß ich das ja), und wenn nicht, dann lügen sie bewußt, das ist nämlich wahr, mich können Sie sowas immer fragen, müssen es aber gar nicht, Sie wissen es wahrscheinlich selbst. Und jeder haßt das Opfer, lesen Sie das elektronische Forum zur kleinen N.! Dort stolzieren die Menschen umher, denen bislang niemand einen Teil ihres Seins erlassen hat, die Wiener Polizei möchte wissen, was sie so machen, denn auch sie sind wichtig, und die Polizei schickt ihre Trojaner in die Computer, um das Sein dieser Leute auszuschlürfen bis auf den Grund. Die haben gar nicht gewußt, wie wichtig sie sind, aber jetzt wissen sie es und freuen sich darüber. Jede halbe Stunde zählen sie es durch: Alles noch da! Nur die Polizei hat eine Kopie, sonst niemand, außer den hunderttausenden, denen unsere Meinung so wichtig ist wie die eigene. Hören Sie schon auf zu schreien, es nützt ja nichts! Alle anderen schreien doch auch! Das habe ich vor kurzem erst wirklich begriffen, daß Opfer verhaßt sind,


39

man sieht ihnen ihre Naturhaftigkeit nämlich so deutlich an, daß es nicht mehr auszuhalten ist, während diejenigen, die die Opfer hassen, eher naturunverbindlich sind, da sie sich doch immer freiwillig aus der Natur, die das Andere für sie ist, wieder zurückziehen können, wann immer sie wollen, bitte, jederzeit; diese Menschen glauben, Natur sei etwas, das man sich jederzeit anziehen kann, wenn man Lust dazu hat, aber dann fährt man wieder nach Hause, jederzeit, bitte, danke, nur das Opfer ist auf tierhafte Weise, obwohl Tiere ja nicht mehr oder kaum noch als Opfer dargebracht zu werden pflegen, im Gegenteil, es ist Standard, daß Tiere gepflegt werden sollen und sogar Transporte zu Schlachthöfen zu rasten haben, wenns nicht mehr weitergeht und wieder ein paar Tiere vor Schreck oder Durst oder Erschöpfung tot umgefallen sind, das Opfer jedoch ist uns auf tierhafte, naturverklebte Weise verhaßt, siehe die kleine N.! An der hab ich das gründlich studieren können, obwohl ich doch nie studieren konnte. In zwei Jahren zwei Interviews im öffentlichen Gucker, und schon wird ihr Profitstreben mit sich selbst und nach sich selbst vorgeworfen. Das Opfer stinkt. Pfui. Jedes Opfer stinkt, und zwar schon bevor man es anzündet. Nur ich allein möchte eins sein, und hast du keins, dann bist du eins, dann kauf dir eins, meinetwegen ein Edelweiß, mit dieser Farbe haben wir uns ja immer reinwaschen können, mit Edelweiß, ich kaufte mir viele Opfer in meiner Familie, die von den Nazis umgebracht worden sind, was gar nicht nötig gewesen wäre, ich hätte sie auch umsonst bekommen, aber ich, ich lebe noch, ich lebe hoch!, es wäre sich gar nicht ausgegangen,


40

daß auch ich umgebracht worden wäre, nie wäre sich das ausgegangen, schon von der Zeit her nicht, die auf einmal ganz eine andre war, aber ich schwöre ja auf die Toten in meiner Familie, ich hefte sie mir an den Pulli, denn politisches Entgegenkommen, welches ich zu jedem passenden und unpassenden Zeitpunkt den Gegnern dieser und jener Regierung gegenüber zeige, fängt mit einer Kränkung an, auch Politik fängt immer mit einer Kränkung an, daß einen Leute regieren wollen, die dafür nur unvollständig ausgerüstet und ausgebildet sind, nur ungefähr fürs Gefährliche ausgerüstet sind, wie diese Kletterer am Glockner, das ist eine Kränkung, solchen Menschen gehorchen zu sollen, die man eher überwinden müßte (ich meine eigentlich eher: die Kränkung überwinden), so wie ich meine Empfindlichkeit gegenüber Kritik. Kritisieren Sie mich daher bitte nicht, ich bin ein Opfer wie die halbe Familie meines Vaters, was schimpfen Sie mich Opfer, wo ich doch keins bin, nein, nur ein Vierterl davon, und schon sind sie umgefallen, meine Angehörigen, welche dies Schicksal betraf, nein, ich bin gar kein Opfer, glauben Sie mir nicht, glauben Sie auch anderen nicht! Ich darf Ihnen aber nicht sagen, was hier noch kommt. Sie müssen selber lesen, auch wenn es genügt, den Anfang zu lesen, denn dieser verschließt bekanntlich schon alles, er erinnert an dieses Wort, das bei Gott ist, also bin ich Gott oder was? Will ich mich denn unbedingt ins Gespräch bringen wie N.s Mutter und N.s Vater, N. sagt, nein, sie nicht, N. sagt nein, sie sagt nichts, sagt sie, ich verehre sie so, damit gleiche ich aus, daß andre sie hassen, weil sie zum Opfer wurde. Du Opfer, das ist das schlimmste Schimpfwort überhaupt auf den


41

Pausenhöfen des Lebens, wo man sich vom Leben eigentlich ein wenig ausruhen sollte, anstatt geschurigelt zu werden. Da kann man nichts machen. Oder lesen Sie besser nicht, dies ist keine Zeitschrift, in der man gern herumblättert, und ich bin ja so besorgt, weil ich es jetzt nicht hinkriege, was Sie dann später lesen sollen, das heißt, eigentlich steht das für mich schon fest, für Sie soll es aber weitergehen, und es soll sich doch dabei auch ein wenig weiterentwickeln, also vom Gartenzaun bis zu meiner Haustür sollte ich schon vorausschauen können. Was sagt mein Dichter dazu, wie immer besser als ich, aber besser als ich beim Texten und Vertonen von Tonnen aus Altpapier sind ja sogar schon die Meister Austropopper, wenn auch nicht in ihrer draufgespachtelten Musik, die sie nach dem Verspachteln von Wörtern auch noch an die Musik fest drangeklebt haben, damit es für die Ewigkeit zusammenhält? Die Sanftheit selbst, sagt der Dichter, und alles, was mit ihr verbunden ist, Unschlüssigkeit, Wankelmut, Spiritualität, Feinsinn, Scheu, irgend etwas richtig anzupacken (hab ich alles, Bingo!, super!, trifft ganz genau auf mich zu, sowas findet man in der Literatur nicht oft, daß so vieles auf jemanden zutrifft, das aber natürlich nicht auf alle Menschen zutrifft, sondern nur auf diesen Jemand, der man selber ist, während ich ja dauernd behaupte, das, was auf mich zutrifft, treffe auf alle Menschen zu, die ich damit natürlich treffen möchte, ich permanent in Wut Eingelegte, in Wutfesseln Gelegte, meine Wut ist wie eine Dauerwelle, aber sogar die läßt einmal nach), dazu gehört Mut, das ist eine aufrichtige Ansprache an Sie, Menschen, ich sage halt einfach Zutreffendes


42

im Sinne von Verletzen, nicht von Begegnen, darin besteht eben mein Mut, der da zu meiner eigenen Überraschung vor mir zutagetritt, allerdings nur, um mich zu treten. Mut einen ordentlichen Tritt kriegen. So, dies hier ist schon mal nichts geworden, aber es war was, es war die tragische Geschichte meiner Familie, Gott hab sie selig, außer Mama, die nicht, die bitte nicht selig machen!, in der hänge ich doch noch immer fest wie ein mißgebildeter Embryo, der das Licht der Welt hartnäckig scheut, und ich dringe nicht zum Wandel vor, nicht zum Wechsel des Flußbettbezugs, denn es geht nichts weiter und es wandelt sich nichts, weil es zu sehr verallgemeinert ist, was ich sage, vielleicht mit Ausnahme der Spiritualität trifft das alles aber allgemein ungemein zu, na ja, nicht alles, und außerdem muß das Sein meiner Figuren erst noch begründet werden, es ist zwar seit langem in Gründung begriffen, nur ich begreife es eben noch nicht, nein, mein Horoskop für heute auch nicht, obwohl das nun wirklich in einfachen Worten abgehandelt wurde, doch Handlung hat auch mein Horoskop keine, und die Spiritualität habe ich jetzt auch verloren, ehrlich, die hatte ich mal, auch wenn Sie es mir nicht zutrauen, ungefähr bis ich 14 war hatte ich die, als ich mich fürchtete, eines Tages stigmatisiert zu werden und die Wundmale Christi aufzuweisen, ausgerechnet am Karfreitag, an jedem Karfreitag, jedes Jahr, wann denn sonst?, an dem man sich ja nicht mit Essen ablenken kann, jetzt hab ich sie nicht mehr, diese leicht erhöhte Spiritualität, keine Ahnung, wo ich die verloren habe (vielleicht war ja auch das Thermometer kaputt?), und die normale gleich mit, vielleicht hat Gott sie sich schon genommen,


43

einkassiert und den Einschreibzettel unterschrieben, weil ich so gar nichts von ihr höre und von ihm, Gott, auch nichts, aber ich werde, außer von Menschen oder Dingen, die man nicht sehen kann, von niemandem mehr verlangt, außer am Telefon, und das nicht oft, niemand fordert mich an, nur dieser Herr Redakteur, der einen Artikel von mir will, aber nicht bekommen wird, das ist gut, darauf bin ich stolz, ich bin stolz ohne jeden Grund, meine armen Füße tasten ihn nicht, den Grund, während sich Europa noch abmüht, mit seinem wirtschaftlichen Gefälle auf gleich zu kommen, zumindest auf du und du, aber das funktioniert niemals, denn Europa besteht ja nicht aus gleichen, es ist ohnegleichen, daher werden wir letztlich ohne Europa auskommen müssen, denn wir wollen nichts, das uns gleicht, wir wollen einmalig sein, und zwar jeder, wirklich jeder will das. Jeder will was Besseres, aber Europa kriegt immer nur was Schlechteres. Alles, was zu Europa dazukommt, ist schlechter. Fürs Geschäft ist es aber wieder gut. Schluß, aus, und keiner hat seither diese Leitung durchgecheckt, durch die der Geist fließen soll, wohin er will, dies stellt die schrecklichste Drohung dar, die knallige Peitsche der Jugend, unter der wir alle kriechen, geduckt, um kleiner und daher notgedrungen, aber wirklich nur aus Not, jünger auszusehen, als uns zusteht. Damit kann man niemanden lange täuschen. Ich mache hiermit auf Macht, nein, nicht des Weiblichen, das Weibliche hat zwar eine große Macht oder eher eine kleine, keine Ahnung welche von beiden, aber ganz gewiß hat es sie, die Macht, vielleicht inzwischen schon eine größere als ich denke, doch ich will sie nicht kennenlernen, ich kenne sie nämlich schon seit langem, meine


44

liebe Mama hatte die Macht und war die Macht, ich weiß, wie die Macht aussieht, sie trägt das Zeichen des Beifalls zu allem, was wir selber tun, und gleichzeitig das Flammenzeichen der Verachtung für andere, für jeden anderen, und damit leider auch für mich. Sie hat auch mich verachtet, die Mama, jawohl. Das ist widerwärtig anzuschauen, aber da müssen wir durch, und auf einmal sehe ich, daß nur ich allein da durch muß, hätte ich nur das Eis gestern nicht gegessen, dann wäre es leichter gegangen durchs Nadelöhr, es ist abstoßend, wie sich eine Frau in mittleren Jahren vor der Verachtung ihrer eigenen Mutter verlegen krümmt, für die Mutter ist die Frau Tochter einmalig unfähig, verachtenswert, aber immerhin einmalig, sie hat keine Ahnung, ihr gegenüber wird die Mitleidspflicht vernachlässigt, sie ist so ein Trottel, so eine Idiotin, diese Tochter, und kann unter Umständen, die ich mir wieder nicht vorstellen kann, sehr gefährlich werden, weil man irgendwann dann grundlegend, doch ohne Grund, böse wird als Tochter und ins Nichtgeschehen hinübergleitet, fast unmerklich, als Sonntagsfahrerin ins Nichtgeschehen, was dem Geschehen, sagen wir der Geschichte, gegenüber den Vorteil hat, daß es eben nicht geschieht und man auch gar nicht schießen kann und nicht fahren kann, nicht einmal am Sonntag, daß es keine nachvollziehbare Begebenheit ist, da sich ja nichts begibt, vielleicht in Bethlehem begab es sich, daß ein weiblicher König geboren wurde, nein, ich glaube, dort auch nicht, aber jedenfalls nicht hier, und ich begebe mich, es begab sich, daß ein Kindlein geboren ward, nein, ich begebe mich doch lieber an meinen Arbeitsplatz, wo sich nichts abspielt und nichts begibt, nachdem ich


45

mich meiner Mutter vor Jahrzehnten bereits ergeben und komplett ausliefern mußte, so, da steh ich jetzt, jetzt steh ich da, wo das Mächtigste, das mich erwartet, die absolute Verlassenheit ist, denn die Verlassenschaft meiner Mutter habe ich bereits kassiert, hoppala, nichts passiert!, und wirklich ist nichts passiert, so, ich spreche jetzt lieber nicht von mir, ich spreche lieber von der Macht des Schicksals, nein, ich nehme mir doch lieber die Macht des Beifalls, der angenehme Empfindungen in jedem Menschen weckt, auch in mir, bloß kriege ich ihn so selten, aber nein, wie können Sie fragen?, wie können Sie sagen: immer noch oft genug! Die alte Frau an sich, na ja, klar hat sie sich dauernd am Hals, das ist ja der Jammer, ich meine die alte Frau als solche hat natürlich überhaupt keine Macht. Mama hat nämlich keine mehr für sie übriggelassen. Hat alles für sich verbraucht und mich dazu auch noch, gleich in einem Aufwaschen. Sie hat nichts, die alte Frau an sich hat nichts. Sie hat Krankheiten und Ausfallserscheinungen, aber sonst hat sie nichts. Sonst fehlt ihr nichts. Sie hat soviel nicht, ich meine: soviel Nichts, daß ich über soviel Nichts gar nicht schreiben könnte. Es wäre mir zuviel Nichtigkeit, ich suche mir lieber ein wichtigeres Thema. Eins, das mir nicht wegrennen kann, vielleicht bin ich dann entschuldigt, wenn ich es nicht erzähle. Die liegt da einfach herum, diese leider ältliche Frau, sie könnte alles machen, ich könnte nichts davon beschreiben, aber was macht sie da, ehrlich, was macht sie da? Sieh an, nein, bitte lesen Sie: Die Frau hat ja einen Schwanz im Mund, einen jungen, der noch was leisten könnte, sogar außer Haus, der noch viel mehr


46

leisten könnte, würde er nur ein wenig sinnvoller eingesetzt, es ist nicht zu fassen, der Schwanz ist gefaßt und in den Mund genommen worden, und aus Vergnügen hat die Frau den Mund schon vorher weit wie ein Scheunentor, so weit wäre gar nicht nötig gewesen, geöffnet und einen Knorpel über die Luftröhre geschoben, bevor er ihr noch hineinspritzen kann, nein, einatmen will sie das Zeugs nicht, was seinem Leib bald erlaubt sein wird, ihr hineinspritzen, diese Frau ist so unvorsichtig, diesen Mann auch noch zu lieben, doch dieses reichste aller Geheimnisse des Seins, an dem nur leider überhaupt nichts dran ist, kein Fleisch auf den Knochen, der Schwanz, wie gesagt wird, ungenießbar, verschließt sie derzeit noch in sich, denn erklären könnte sie es nicht, niemandem, und ich könnte es auch nicht, mach schnell, Alte!, denn danach ist der Bub womöglich noch schneller wieder weg, als sie zur Tür schauen kann, und, wie halt so üblich, muß man ihrerseits dann sofort ans nächste Mal denken und wie man diesen Körper wieder herbeischafft, zu seiner Stelle schaft, an diese Stelle herbeischafft. Hoffentlich hält er diesmal etwas länger durch und macht mich fröhlich wie das Oktoberfest in München, nein, nicht fröhlich, oh du Fröhliche du, das macht die Weihnacht, jedes Wort von mir ein Hammer, finden Sie nicht?, nein, das finden Sie nicht, Sie finden Ihre eigenen, besseren Worte dafür. Sie schon, Sie haben leicht reden!, aber leider hab ich das rechte Wort zur rechten Zeit noch nicht gefunden, und leider befindet es sich daher nicht in meiner Faust, ich armes Schwein muß das ja schließlich aufschreiben, und das macht so viel Arbeit, die ich nicht gewohnt bin. Also besser, ich stelle mich hier auf


47

und bin der Amboß, auf den sie einprügeln dürfen. Das mit dem Hammer ist mir zu anstrengend, ich habe keine Kraft, mich zu erheben. Ich bleib einfach da stehen und mach die Augen zu. Bitte warten Sie! Wer waren Sie, als Sie noch gelebt haben? Waren Sie nicht auch einmal jung? Dann wissen Sie, wie man sich gemeinsam mit 2.000 andren in den Pool oder den Hotelkorridor kotzen fühlt, oder Sie können erfahren, wie man sich fühlt, wenn man mal die andre Seite betrachtet, auf der man unweigerlich einmal landen wird, die dunkle Seite, die trostlose Seite, die andre Seite, so, die betrachten wir jetzt einmal in Ruhe, wieso? Da steht ja nichts drauf!, die ist ja vollkommen leer!, doch, doch, Ihre Augen könnten schon lesen, sie sind aber zu schwach geworden, wie mein linkes, das im Prinzip eigentlich noch recht stark ist, aber einen Faden im Ausguck herumschweben hat wie eine Wasserleiche, die von Damien Hirst in Gallerte, Pudding oder Formaldehyd  eingelegt worden ist, gut, wir betrachten nun gemeinsam diese andre Seite, na ja, Sie müssen nicht, Sie können derweil von mir aus gern ruhen in diesem Tafelaufsatz, der hier angerichtet wurde, unter großen Opfern, es wurde ja echt eine junge Frau zum Opfer für diese Liebe gebracht oder sie wird bald dargebracht werden, das ist wahr, ich weiß nur die Einzelheiten noch nicht, keiner hilft mir, sie zu ergründen, und trotzdem steht fest, daß endlich einmal etwas wahr ist, was ich schreibe, das macht mir gute Laune, so deutlich hätte ich das aber auch wieder nicht zu sagen brauchen, weil Sie mir die nicht gönnen, und wo bleibt jetzt die Spannung (die Anzeige wird sicher kommen, wie das Amen im Gebet)? Ah, da ist


48

sie ja! Nein, das war eine Steckdose, die keinen Saft hat. Muß eine andre suchen. Irgendwas behaupten kann schließlich jeder. Wo soll die Spannung denn sein, wo soll sie sich aufbauen so hoch da droben, höher als ein Steinadler über Herbert v. Karajan dahinfliegen könnte, wie und wo bitte?, da ich nicht einmal weiß, ob dieses Ereignis schon stattgefunden hat oder erst stattfinden wird? Also ich weiß nur eins: Es hat stattgefunden, beruhigen Sie sich wieder, denn mehr weiß ich nicht. Ich verstehe nichts von Zeitlichkeit, ich komme immer und überall zu früh. So nahe werden wir dem Sein nie mehr kommen, auch nicht, wenn wir uns bei ihm, da wir es endlich haben, länger aufhalten und erst später auf den Weg machen wollen, um uns über die Gnade der späten Geburt freuen zu dürfen, wie der Vorsitzende der recht aufrechten Partei, die er irrtümlich auch für die richtige hält, in einer Rede verwertet, bis seine Rede ausgemolken ist, er brüstet sich dieser Gnade, solange es geht, neulich hat er es schon wieder gemacht, und uns Resteverwerter der Geschichte tadelt er, da wir uns mit deren gemeinen Opfern (nur uns zu Fleiß wurden sie Opfer!) gemein machen, aber dieses Mädchen, nein, diesmal nicht die kleine N., ausnahmsweise nicht, Sie beschweren sich ja dauernd, daß ständig von ihr die Rede ist, es war sogar schon zweimal, daß sie persönlich von sich selbst geredet hat, wer weiß, wie oft noch, aber der Baumeister L. aus Wien macht das im TV jeden Tag wieder gut, wenn man ihn läßt, und der Polier poliert es nach, aber sie soll sich nicht so aufspielen, nicht so aufpudeln, die N.!, also ich meine ein andres Mädchen, eine andere, sie ist kein Opfer der Geschichte, sie ist das Opfer von Machenschaften, welche


49

ich hier aber nicht nachvollziehen kann, die aber schließlich auch einmal gemacht werden mußten, leider an diesem unbekannten Mädchen, das auch durchs Fernsehen nicht bekannter geworden ist, doch bekannter könnte man gar nicht werden, und keiner begreift etwas davon. Sie bleibt nicht, diese Stunde bleibt nicht, diese Minute auch nicht, wir gebens eh schon billiger, nicht einmal diese Sekunde bleibt, alles weg, wir betrachten nun gemeinsam, denn in der Jugend tut man alles gemeinsam, im Alter ist man aber allein, was? Sie sind alt und ich bins auch?, bitte, dann betrachten Sie eben alleine diesen jungen Mann, der sich einen blasen lassen muß, aus der Tülle vom Schlagobersautomaten, nur weil er eine gehörige Portion Auto dazu will, das ihm dann ganz allein gehören soll, und auf das er, jeder Bursch, vielleicht auch jedes zweite, inzwischen doch jedes erste Mädel, mit mindestens 17, abfährt, auf irgendeins, Hauptsache Auto samt Probeführerschein für die Problemfahrer, für jede Null eins, ich meine für jedes null Promille darf man es schon fast behalten, das Auto, zumindest bis zur nächsten Kontrolle. Darauf fährt die Frau jedenfalls nicht ab, null komma null Promille, das ist nichts für sie, für sie ist sogar der Zug schon abgefahren, den sie eigentlich hätte nehmen sollen und den Wagen stehenlassen, alles abfahren!, ein Auto braucht man schon irgendwie in dieser Gegend, wo der Postautobus nur zweimal am Tag fährt und nie, wenn man ihn braucht, aber dieser Lehrerin ist es doch wirklich sehr wichtig, daß sie diesen Schwanz jetzt in ihren Mund überhaupt hineinkriegt, er ist ziemlich groß, den von ihrem Ex hat sie nie in den Mund genommen, das wäre ihr nie in die Sinne


50

gekommen und auch sonst nirgendwohin, kein Wort mehr!, jedes Wort wahr! Und heute kriegen Sie es sogar billiger, Sie kriegen es umsonst, sie hat auch kein einziges Wort in den Mund genommen, die Frau, das nicht alle bereits zuvor gekannt hätten, nur manchmal am Stammtisch hat sie sich einen Spaß draus gemacht, fremde Worte in den Mund zu nehmen, die ihr nicht gehört haben, und sowas gehört sich hier nicht, doch das hat sie sich ohnedies längst abgewöhnt, das geht jetzt nicht mehr, alle kennen ja alle Worte und alle Bilder aus der Zeit im Bild dazu, und sie kennen noch mehr Bilder, dafür aber die Worte dazu nicht mehr, und mit fremden Worten kann man sich nicht mehr aufspielen, das wäre ja lächerlich, nicht nur im Vergleich zum Tod, denn Worte zählen nicht, nur Bilder und Töne zählen noch, hast du Töne? Ja, ich habe sie mir vorhin gratis runtergeladen, ja, ich habe sie mir vorhin auch runtergeladen, allerdings ganz andre, war dabei aber in einem fremden Netz, ohne es in meinem ländlichen Grenzbereich gemerkt zu haben, das in Wirklichkeit eine ganze Landesgrenze war, und jetzt kostet mich das mehr als 10.000 Euroticons, und wenn ich die Worte nicht mehr weiß, dann begrabt mein Herz an der Drohungsstätte, nein, dreht die Lockung meines Fragens ein zu Locken, nein, dreht die Fragen in die Wesung der Geschichte, oder gebt es auf, gebt ein paar Meter Physik, nein, gebt die Metaphysik durch das Eindrehen des lockenden Fragens auf, laßt das zu Locken eingedrehte Fragen in das Wesen der Geschichte als jener Drohungsstätte, nein, Drehungsstätte einfach eingehen!, es ist sinnlos, sinnlos, sinnlos, hör sofort wieder mit der blöden Heidegger-Verarschung auf, E. ! Jedes zehnjährige Kind


51

könnte das besser!, wo ich ihn doch in Wirklichkeit so maßlos verehre (und ich kriege den Ton nicht hin, ich höre auf, ich blödle hier nur so herum, dazu wurde ich verführt, weil keiner dieses Buch, das eben keins ist, kaufen kann oder muß, und weil keiner es kritisieren darf, zumindest nicht mit meinem Wissen. Was er und wo er es sonst tut, ist mir wurscht). Ich kriege keinen richtigen Ton hier hinein, das weiß ich selber, obwohl ich das Tönen können sollte, ich habe es schließlich gelernt, bin schließlich nichts als eine klingende Maulschelle, und sogar das habe ich schon gesagt, ich eiserner Erztrottel, ich bin keine dieser kleinen Professorinnen vom Professor Asperger, weil die so gut wie immer männlich sind, also sagt man: Professoren, alles, was gut ist, ist ja männlich, aber ein andrer war das, so ein Professor in klein, ein echtes Genie war der, ich habe ihn erst kürzlich wiedergetroffen, nach fast 50 Jahren, das war nett, und wähnte ihn doch die ganze Zeit, die seither verging, als Atomphysiker in Amerika, oder als Austrophysiker in Kanada, und jetzt ist er Filialleiter einer Bank in Wien, fünftausend Tonnen Talente einfach weggeschüttet, aber er ist zufrieden; ich weiß, aber Sie sagen ja immer, ich kann es nicht, den Ton hinkriegen, hier haben Sie einen, aber hin ist er nicht, nicht einmal ich werde ihn hinmachen können, weil ein lebender Mensch dahintersteckt, und es stimmt, ich kann mich nicht überwinden, zu was auch immer, das Auto ist im Moment zweitrangig für mich, rausgehen wäre schon zuviel für mich, ein andrer hat es, das Auto, ich habe es nicht, und für sie, die Lehrerin Brigitte K. , zählt es auch nicht viel, und nur der Moment zählt


52

schließlich und der nächste und der Moment morgen, da sowas wieder geschehen wird, genau das, was man sich wünscht, das kostet aber was, das kostet was, sich zu einem Menschen herabzulassen, aber sich zu einem Menschen zu erheben, das ist einfach unbezahlbar geworden; und so fahren sie alle ab, einer aber nicht und auf den andren auch nicht, doch das Fahren ist das Wichtigste überhaupt, es ist ein Grundsatz aus dem Grundgesetz, aber nicht meiner, ich habe mein eigenes Gesetz und keinen Grund, das Haus zu verlassen, um dagegen zu verstoßen; die Seufzer zittern der Lehrerin von ganz tief unten bis hinauf, wo sie aus dem weit geöffneten Mund hervordringen, in den der Bub auf einmal, nein, mehrmals, hineinstößt, so würde das der Laie formulieren, der ich bin, denn ich bin keine Könnerin, Hermes, der Götterbote, würde es anders sagen, besser, weil er es schon erlebt hat oder sich gerade danach sehnt, wie immer, er stellt sich das viel zu toll vor, ich habe es zwar auch schon erlebt, sogar mehrmals, aber ich habe keine Sehnsucht mehr danach, ich giere nicht mehr danach, daher sind achtlos meine Worte gewählt, eigentlich gar nicht gewählt, ich habe nicht die Auswahl, aber ich übernehme jetzt von einem total versauten Jeansboy, der sich aber gar nicht angesprochen fühlt, weder von Hermes, der ihm nichts bringt, allerdings auch nichts nimmt, noch von mir, ach, Hermes, dessen Sprache ich mir hole (ich weiß schon, daß Sie nicht wissen, wovon und von wem ich überhaupt rede! Aber das ist mir scheißegal), weil ich mir jede Sprache nehme, derer ich habhaft werden kann, denn ich habe keine eigene, ich wollte, ich könnte dafür etwas für dich tun, statt dir dein nettes y zu klauen, Hermy,


53

was verwerflich ist, denn du hast ja selber nichts, aber dein y ist jetzt dran und aus. Gut, ich sehe also, daß dieser Schwänzy Eindruck bei der Frau macht und sage es auch, ist ja nicht so schwer, wie es schon viele andre vor mir gesagt haben, sogar ich selbst habe es schon, nur besser, gesagt, als noch jünger, jedoch nicht so gut wie Hermes, leider, der ist unvergleichlich (aber fliegen kann er trotzdem nicht, die Flugfortsätze an seinen Fersen gehen immer ab, sie halten nicht, das meiste, was man über diesen Schnellkleber hört, ist überhaupt gelogen), wie dumm von mir, daß ich mit dem Sagen des Unsäglichen einst angefangen habe, daß ich angefangen habe zu sägen und mir jetzt selber die Beine vom Sessel abgesägt habe, auf dem ich sitze, und jetzt auch keine eigenen Worte mehr finde, nicht die richtigen jedenfalls, die habe ich alle schon in vorhergegangenen, in vorvergangenen (nicht einmal ihre Vergangenheit ist original, die hat mir jemand vorgekaut!) Werken vergeudet, ich hatte die Worte mal, ja, ich war am Wort, aber ich bin jetzt zu müde, sie abzuholen, die Worte, und bis zu mir zu begleiten, damit sie nicht woandershin gehen, wozu sie halten wollen?, sie gehören mir eh schon längst, sie sind ursprünglich gestohlen gewesen, jetzt aber gehören Sie mir, ich habe ein Zertifikat, das können Sie jederzeit besichtigen, ich denke sie Ihnen zu, diese Worte sind Ihnen gewidmet, doch es sind Worte, die Ihnen ohnedies nie so recht gefallen haben, schon kommen die ersten wieder zu mir zurück, von wo ich sie ausgesandt habe, ich lese das in der Zeitung, nein, nicht das eine, nicht das andre Wort, aber ich, ich soll doch hier eine schöne Geschichte erzählen, obwohl unsere


54

Geschichte gewiß nicht schön ist, ich präzisiere das hier nicht weiter, das habe ich schon viel zu oft getan, doch mit dem Erzählen könnte ich die Scharte wieder auswetzen, keine Worte zu haben, außer jenen, die freiwillig wieder zu mir zurückgekommen oder mir zurückgeschickt worden sind, zurück an Absender, da kommen sie schon wieder angekrochen, die kleinen Deppen, die albernen Wortverdreher, so habe ich sie nicht weggeschickt, in diesem Zustand nehme ich sie nicht zurück, aber ich habe doch keine andren!, na gut, nehm ich halt die, aber in dieser Verfassung will ich sie nicht mehr, vielleicht mit ganz andren Worten?, in einer demokratischeren Verfassung?, ich sollte es wenigstens versuchen, da mir die Chance gegeben wird, leider nur von mir selber,  aber meine Vorräte sind erschöpft, mein Schlafzimmer ist leer, dort könnte sich keiner verstecken und kein Wort, vielleicht sind das ja gar keine Worte, was ich da angreife, habe ich in die Scheiße gegriffen?, ich glaube ja, aber immerhin, ich mußte, um in die Scheiße zu fassen, nicht unbedingt in Berlin-Mitte sein, aber im Mittelpunkt möchte ich schon stehen, zumindest dem von Hamburg-Mittelweg, oder?! Nein, das geht nicht, denn Hamburg ist schon selber der Mittelweg, es ist die Verkörperung des Mittelwegs, oder: ja. Oder doch eher nein? Wer nicht beachtet wird, wird auch nicht beschimpft und gedemütigt. Das ist jetzt meine neue Masche: äußerste Zurückhaltung in Worten und Taten (ich finde es gemein, daß die Nazis alle Worten und Taten schon für sich verwendet haben und jetzt keine mehr für mich übrig sind – Worte heute nur noch in den telefonischen Liebes- und Mehrwertdiensten erhältlich, die aber ein Schweinegeld kosten – , ja soll ich etwa Abfall


55

fressen?, soll ich mir die ganzen Vorwahlnummern merken, die was, sogar ziemlich viel extra kosten?, das hätte die Gräfin B. jedenfalls nicht getan, die hat wahrscheinlich Schampus inhaliert, um selber besser atmen zu können, als nach dieser SS-Orgie fast 200 Juden erschossen wurden wie das Wild aus der Gegend von Rechnitz, Burgenland, kein Wort mehr, es ist auch keins mehr da, keins mehr vorrätig, doch, diese Zeitschrift hier hat noch ein paar (ich hab auch noch welche, viele!, Sie werden schon sehen!), sie sagt, die wären eh alle erschossen worden, wie alle Marschunfähigen, das war damals überall so üblich, jawohl, überall üblich, Rechnitz ist da nichts Besonderes, es darf keine Sonderrolle für sich beanspruchen, nein, die Gräfin auch nicht, Geraune und Hörensagen und Sagenhören das Ganze, und auch das Massengrab dort haben sie schließlich immer noch nicht gefunden, obwohl sie viel gegraben haben, sie gruben und gruben, vielleicht gibt es ja gar keins, kein Grab, doch jetzt gibt es einen neuen Anhaltspunkt, an den ich persönlich mich aber nicht halten möchte, vielleicht finden sie das Grab gerade, während Sie dies nicht lesen? Wenn Sie dies nicht lesen wollen, schauen Sie halt in den Spiegel hinein, dort können Sie auch nichts lesen und noch viel mehr als nichts, ich meine natürlich viel weniger) und auch in meiner äußeren Erscheinungsform, die Sie deshalb fast nie draußen sehen werden, auch wenn man mich einmal aus meinem Heim rausläßt, das bald ein Altersheim sein wird! Und da nehme ich mir halt die heimatlichen Worte mit, die dafür bereits vorgesehen sind und die ich irgendwo gefunden habe, das sind dann nicht meine, meine lehne ich ab, in diesem Zustand lehne


56

ich sie ab, ich meine: In dem Zustand, in dem sie jetzt sind, will ich sie nicht, und deshalb benutze ich neue Worte besonders gern, falls ich welche erwische, was so gut wie nie passiert, sie würden mich wieder unschuldig machen wie nach einer Beichte, ich finde sie, diese wenigen Worte, sogar manchmal bei mir selbst (also im Gegensatz zu anderen hab ich bei mir noch nie abgeschrieben, Ehrenwort! Ich erinnere mich nur manchmal an vergangene Freuden des Schreibens, die ich leider nicht zu bewahren imstande war), gegen eine kleine Gebühr kaufe ich mir dieses bunte Heftl (meine Bücher liegen eh überall gratis oder erniedrigt, ich meine zu erniedrigtem Preis, herum) für Frauen über 40, deren Mutter ich sein könnte und die selber schon ältlich sind und eine Zielgruppe für giftige Pfeile bzw. schon viel zu alt in den Augen dieses Filmregisseurs, der inzwischen auch tot ist, juchu!, jetzt hat er endlich sein Millionenpublikum, nach dem er immer gehungert und gedürstet hat und nach Amerika gedüst ist, dieser Antel-Tod freut mich echt, der ist ein Triumph für mich, und keiner weiß es, mein Tod wird leider auch einer sein, aber nicht mehr meiner, andere werden ihn genießen, und ich schreibe gleich noch ab, wer oder was kommt und wieder gehen muß, z. B. daß dieser junge Mann kommt bzw. schon da ist, damit kenn ich mich aus, bin doch selbst längst abgeschrieben, er aber ist da, von Ewigkeit zu Ewigkeit Amen, der junge Mann, was, der ist schon da?, der ist schon gekommen? Hab ich gar nicht gemerkt, schluck, das kommt bei mir daher, daß ich nie komme, daß ich an den Worten zweifle, die andre benutzen, und an denen verzweifle, die für mich selber übrigbleiben, was ich nicht


57

sollte, verzweifeln, denn diese, alle Worte sind schon so oft benutzt worden, daß es dämlich wäre, einfältig, mir bessere suchen zu wollen, sogar die Worte, die mir hinsichtlich des Massakers von Rechnitz, arschknapp vor Kriegsende, sodaß man nach der Flucht noch ein paar vereinzelte Schamhaare fand, bevor das Schloß in Brand gesteckt wurde, die paar armseligen Worte also, die mir zu diesem absolut orgiastischen, höhepunktmäßigen Massenmord-Festerl vom Feinsten einfallen konnten, diese Worte, die ich schon  hatte, sie waren aber der Mühe sie aufzuheben kaum wert, kaum wert der Mühe, mich zu bücken, sind mir sofort wieder aus der Hand gefallen, es wären eh keine Kaviarperlen gewesen, die Festgesellschaft wurde eingeladen, ein paar nackte Juden zu erschießen, das muß aber überhaupt nicht stimmen, und diese Worte sind gar nicht meine, ich würde ja meine nehmen, aber es geht nicht, das Worteklauben ist so mühsam, ich würde sogar Abfallholz nehmen, feuchtes, das höchstens matt glimmt und glost, nicht brennt, denn brennen tu ich auch schon lang nicht mehr, so, ich gehe nicht, ich gebe jetzt auf, ich finde keine Worte, doch ich behaupte mal: Beim Erzählen muß man auf seine Worte eh nicht achten, die achten schon auf sich selbst, die brauchen keinen Hütehund, meiner ist sowieso gestorben, leider, arme Floppy!, das geht so dahin, das Leben geht so dahin, und wenn es nicht mehr gehen kann, wird es manchmal gewaltsam beendet, wie in Rechnitz von der Gräfin B. (geborene Thyssen, gekaufte Bornemisza) und ihrem Gefolge, oder aber von ganz anderen Leuten, keiner der noch lebenden Ortsansitzern (ich meine Ortsansässigen) auf ihren Hochständen weiß etwas, keiner hat etwas gesehen oder gemerkt, wie soll dann ich was wissen oder es mir


58

gar merken?, ich habe schließlich auch das Recht zu vergessen!, nein, nicht dahin, Leben!, das ist nicht die Richtung, die ich dir vorhin gezeigt habe, dort hinein!, na, mach schon!, und der junge Mann kommt also in ihr, der Frau, in ihrem Mund, diese Kraft wollte sie ursprünglich erleben und erlebt sie in diesem Augenblick auch, oder hat sie es verpaßt?, nein, das konnte sie gar nicht verpassen!, ja, sie erlebt das sehr bewußt, wie damals die Gräfin, die auch nur ihren Spaß haben wollte, da die Russen schon im Anzug waren, ich meine im Anmarsch, so wird es, ich habe keine Ahnung, von wem, von den Menschen verlangt, daß sie persönlich antanzen, wenn sie sich schon die Mühe machen wollen, bei der Sendung Dancing Stars etwas zu erleben, dann wollen sie bitte auch bei Bewußtsein sein dabei, um es ganz auskosten zu können, während der junge Mann sich ein wenig unter seinem Mastbaum aufbäumt, unwillkürlich, von einer Kraft mitgerissen, der Kraft des Seins, die man aber gleich wieder vergessen kann, in diesem Fall ist es eher, würde ich sagen, die Kraft des Werdens, weil nachher wahrscheinlich nichts mehr davon übrig ist, es wäre aber eh nicht viel mehr geworden als Schlatz und Schleim, diesen Ausschnitt aus dem Seienden kann man sich nicht ausschneiden und aufheben, leider, man könnte vielleicht, aber man sollte nicht, der Saft verdirbt, außer man kühlt ihn tief, so, da kommt einer, der eigentlich erst noch wird, der im Werden ist, und gleichzeitig trennt sich sein Sein auch schon wieder vom Werden (also ich möchte nicht wissen, was aus diesem Werden einmal werden wird, dem sein Sein nicht genügt hat! Das Werden wird sich nach dem Sein noch sehnen, das sage ich


59

Ihnen!), während die Augen wohlweislich geschlossen bleiben, um das alles nicht auch noch sehen zu müssen. Der junge Mann wird sich also mit einer gewissen Anstrengung selbst entrissen, für einen Augenblick des Unentschiedenseins gefällt ihm sogar diese Frau, die da über ihm hockt, eine formlose Silhouette am engen Horizont, eine, die in ihm Zuflucht gesucht und nicht gefunden hat, einen Moment ist er nicht mehr er selbst, er ist nicht der, den er kennt, und wünscht, der Frau wirklich ergeben sein zu können, statt sich nur ergeben zu müssen (der ist wohl nicht ganz bei sich!), er, der ursprünglich, aber was heißt hier Ursprung?, ihre Nähe nur gesucht hat, um mit einem Auto zur Belohnung wieder von ihr wegzudüsen, er wünscht, daß sich diese Dinge wenigstens ein wenig anders zugetragen hätten, mit jemand anderem oder gar nicht. Bedeutet es, daß sich seine Vorstellung hier entfalten und er eher die robuste Kraft eines Motors erleben will als dauernd diese weiche, gierige, klaffende Spalte? Bei einem ruhig und rund laufenden Motor weiß man, was man hat, es steht auch in der Gebrauchsanweisung, wie man ihn der Tätigkeit überführt. Lieber unter einer andren Haube als dieser will der Bursch das alles erleben, einer schnittigeren, und die Haare sollen auch irgendwie anders sein. Beim Abspritzen denkt er eher doch schon ans nächste Mal, da er das wird machen müssen, aber dann gehört immerhin das Fahrgestell schon ihm, die Räder samt Aufbauten muß er sich allerdings noch verdienen. Eine Kraft stellt er sich vor, viel stärker als die Kraft vom Motor, er stellt sich die Kraft vom Motor eines Sportwagens vor, aber jedes Auto ist ja schon stärker als ein Körper, was für


60

eine Binsenweisheit, die da grad am Bankett dieser Bundesstraße in die Binsen gegangen ist, zwei Schwerverletzte, doch was solls, hier finden Sie sie, die Kraft, die stärker ist als jeder Antrieb samt Kraftstoff, bitte, greifen Sie zu!; die Erquicklichkeit, hier ruhig daliegen zu dürfen und auf ein Darlehen zu warten, das keins ist, macht keine Mühe, und billiger als umsonst kann man ein Auto gar nicht bekommen. Dazu gehört, alles inklusive, sogar exklusiv, daß in ihrem Mund ein Zeitpunkt, ein Kulminationspunkt, ein Evokationspunkt, nein, ein Eruptionspunkt, nein, ein Ejakulationspunkt stattfinden wird, und der ist recht schnell gekommen, dieser Zeitpunkt, da man so jung ist wie nie zuvor und nie mehr danach und sich selbst entspringt wie eine Quelle, kein Wunder, daß man danach oft deprimiert ist, weil man dann nur noch Durst hat, noch mehr Durst als zuvor, na, meinetwegen auch Hunger, und was Stärkeres braucht, aber was Stärkeres finden wir nicht, und älter wird dieser Augenblick auch nicht, nicht in meiner Gegenwart jedenfalls, die aber nur vorübergehend ist, und nein, dem Leben entsprungen ist er auch nicht, er ist einfach vorbei, einfach so, so einfach, und während man jung ist, denkt man doch nicht jede Sekunde daran, daß man älter wird und wie man die Jugend wieder zurückkriegen könnte, nein, der junge Mensch denkt, solange er jung ist, niemals an das Alter, meine Aussage hier gilt, alle andren Aussagen gelten ab sofort nicht mehr, ich lehne jede ab, die nicht gilt, sonst müßte ich mir die Mühe hier ja nicht machen, hier hat keine andre Aussage als meine allerneueste Platz, die den Platz erst unter andren Worten freiradieren oder mit einer Taste freilöschen mußte, damit jene Lichtung


61

entsteht, die wir schon ziemlich gut kennen, nein, nicht die in Rechnitz, auf der 200, nein, nur 180 Menschen abgeknallt wurden wie Hirsche, viele sind auserlesen zu wissen, von wem all die Ausgelesenen, die Ausgesonderten umgebracht worden sind, einer ganz besonders, ich gehöre jedenfalls nicht dazu, mich lesen nur wenige aus und, bevor Sie fragen: Nein, auch die ewig Junggebliebenen zählen hier im Moment nicht, später werde ich sie vielleicht wieder holen, ich wiederhole mich ja ständig, aber jetzt nicht, die ewig (das glauben auch nur sie!) Junggebliebenen sind zwar geltungssüchtig, weil sie sich Jugend kaufen können, aber sie sind jetzt nicht dran, und jeden Moment, da sie sich beim Apotheker oder, billiger, im Drogeriemarkt, oder teurer, beim Arzt, ihre Jugend kaufen, haben sie schon verloren, sie haben den Augenblick verloren, und sie haben überhaupt verloren, auch in den Augen des Operaters, welcher Frau Sacher-Masoch (und mir auch bald, hoffentlich bald, wenn ich mich traue) die Augenlider in der Mitte entzweigeschnitten und auf diese schlichte Weise ein ewiges Erstaunen auf ihr Antlitz gezaubert hat, weil er, glaub ich zumindest, auch ihre Augenbrauen und Wangenknochen erhoben hat, ich meine ihr Darüber, kein Wunder, sie steht ja auch darüber, über allem, der Arzt hat ihr also ihr Gesicht über jedes Maß hinaus angehoben, ja, jeden Moment kann man sich jetzt eine neue Jugend kaufen, wenn man diesen Moment bezahlen kann und in Kauf nimmt, ihn sofort wieder zu verlieren, ihn zu verlieren, auch wenn er eh schon vorbei ist, nein, der Augenblick verweilt nicht, und er kommt auch nicht zurück, wie ich fürchte, nützen wir ihn also gleich, dann ist es billiger!,


62

genießen wir ihn!, o je, dieser Moment ist bereits vorbei, ich glaube, er ist wirklich nicht wiedergekommen, sowas gibts nur einmal, das kommt nicht wieder, außer man zahlt dafür und nicht zu knapp, aber denken Sie schon an den nächsten Moment, da Sie sich schon wieder neue Jugend kaufen werden müssen, da gehen sie hin, da gehen sie ins Netz und suchen sich einen günstigen Schönheitschirurgen, statt den zu nehmen, der gestern und vorgestern im Fernsehen war und sich an- und ausgepriesen hat, die Brüste, die er mit eigener Hand verfertigt hat, schauen nach außen, jede in eine andre Richtung, er muß wohl einen kleinen Fehler gemacht haben, nein, zwei, aber mich geht das nichts an, denn diese Junggebliebenen suchen ihn trotzdem in ihrer Panik immer wieder auf, eine wahre Stampede ist das, und sie haben ihn hiermit gefunden, ausgefressene Menschen, die teuer dafür bezahlt haben, die hab ich schon gefressen!, von denen bin ich total angefressen!, auf die bin ich neidig, denen bin ich neidig, daß sie jung aussehen, ohne jung zu sein, das sind Menschen, die eine Rundung an der Taille, am Bauch und zwei Rundungen an den Oberschenkeln haben, die sie nie wieder wegkriegen werden, außer man saugt eben an ihnen, was zu diesem Zeitpunkt, da der junge Mann zwei Minuten älter geworden sein wird, das ist nicht viel, auch fleißig geschieht, es wird an dem jungen Mann vollbracht, der das gar nicht nötig hätte. Alles Blödsinn. Doch es ist vollbracht, Vater, in deine Hände begebe ich mich, gebe ich zumindest meinen Geist, bitte abnehmen, waschen und einlegen oder eingraben, dort liegen schon Hunderte, Tausende andre, da fällt mein Geist gar nicht auf, viel ist es eh nicht! Und auch heute wieder wird der


64

junge Mann recht schnell, die Jugend forscht, ist forsch und macht alles schneller als wir, er wird also gekommen  sein, wenn auch nicht zu sich, das nie. So. Ich gebe auf, ich weiß, daß Sie mir darin recht geben. Ich kann nicht ganz bei mir sein. Ich komme aber auch nicht, ich kann gar nicht kommen, weil ich mich an meinem armseligen häuslichen Sein dermaßen festkralle, daß ich nicht einmal ein Gegenüber zulasse, wie könnte ich also ein derart schönes Erlebnis haben wie diese Lehrerin, die ich eigens und eigensinnig, mich selbst dabei unaufhörlich erniedrigend, erfunden habe, gemeinsam mit diesem jungen Mann? Es geht nicht. Ich gebe von nun an das Erzählen vollkommen freiwillig, wie ich alles tue, Mama ist ja endlich weg, das eigene Ende ist nah, und es kann mir niemand mehr etwas anschaffen, ich gebe es auf. Ich gehe, denn auch wenn man im Kreis von lieben Menschen sitzt (sie müssen nicht unbedingt einen Kreis bilden), sollte wenigstens noch ein zweiter mit dabei sein, damit man, wenn man endlich einmal kommt, nachdem man so lange an sich gearbeitet hat, auch gebührend empfangen wird. Ich weiß nicht, was ich mit diesem Satz sagen wollte, ich ahne es zwar, aber ich weiß es nicht genau. Aber da meine Erzählung zwar dauernd verlangt, aber nirgends willkommen sein wird (so wars in der Vergangenheit, und so wird es immer sein, glaube ich, obwohl ich in jedem Augenblick, in dem ich erzähle, mich schon vor dem nächsten fürchte, in dem ich es wieder tun werde müssen, also süchtig bin ich definitiv nicht), gebe ich jetzt auf. Ich sagte es schon. Ich sagte alles schon. Ich kann es nicht, das Erzählen. Es wird wie fast gar nichts gewesen sein, nachdem es gewesen ist, und eigentlich wäre meine Aufgabe


65

gewesen: den Ablauf einer Handlung festzuschreiben und gleichzeitig fortzuschreiben, das Vorher und Nachher festzulegen und auf dem Teppich festzunageln, auf dem ich geblieben bin, und den mir jetzt einer unter den Füßen wegzieht, da die Handlung ja auch nicht stehenbleibt, das ist ihr innerstes Wesen, aber irgendwie erwische ich den Moment des Einstiegs nie, ich meine, nicht einmal den Einstieg erwische ich, wie kann man in einer fortlaufenden Kontinuität, auch einer behaupteten, ich weiß, das klingt unsinnig und ist es auch, etwas fortschreiben, wenn man keinen Tritt faßt, auch keinen im Leben, man kann nicht fortfahren, wenn man nicht vorher gestanden ist, und ich stehe immer noch, ich komm nicht vom Fleck, um chemisch eine Wesensbestimmung zu machen, man will ja schließlich wissen, womit man es beim Sein zu tun hat, Hauptsache Eiweiß und Fett, Kohlehydrate werden automatisch umgewandelt, wahrscheinlich auch in Fett, und damit das Sein auch selbst etwas zu tun hat, nicht wahr?, man will einen Übergang finden, über das brausende Nichts des Lebensflusses, denn auf der anderen Seite ist es sicher besser, wenn auch eben nicht automatisch, man muß was tun dafür, nein, man muß nichts tun, man darf sich endlich zurücklehnen und nichts tun. Was dort passiert, wird man vielleicht erzählen können, deswegen schreibe ich ja andauernd vom Tod, je mehr Tote desto lieber, um zu üben. Das enthebt mich jeder Verantwortung, da ich ahne, daß ich aus dem Jenseits nicht viel zu berichten haben und vom Schreiben endlich entbunden sein werde, wenn schon von sonst nichts. Dabei ist doch das Schreiben bereits Sterben. Man ist nie bereit genug dafür. Anläßlich der fleischlichen


66

Niederschrift in Brigittes K.s Mund hinein (der Junge braucht kein Wort, das Fleisch wird, der ist schon im ganzen Fleisch, der braucht kein Wort mehr, kein einziges, ja, der Menschenfresser hätte seine Freude an ihm), ist es nicht einmal richtig zum Anfang gekommen, man muß dem Sein seine Geschichte lassen, aber niederschreiben kann zumindest ich sie nachher nicht. Diese Erzählung fängt nirgends an und endet am Ende, das keines ist. Und ein Danach gibt es nicht mehr. Vielleicht mache ich dereinst einen neuen Versuch, aber da können Sie warten, bis Sie schwarz werden, und ich bin eigentlich ziemlich froh und erleichtert, daß ich weiß, Sie warten nicht. Ich gebe Ihnen hier jede Möglichkeit, nicht zu warten. Vielleicht sollte ich mich selber warten lassen?, ich hätte es dringend nötig. Sowas sagen Sie mir, sowas lassen Sie mir in Leserbriefform im Forum ausrichten? Im Ernst? Sie warten nie, die Leser, und wenn, dann nicht auf mich. Ich kann aber schon warten, nein, eigentlich nicht, bin sehr ungeduldig, aber ich komme dennoch nirgendwohin und werde, wo immer ich hinkomme, schon geringgeschätzt, bevor die mich dort überhaupt sehen. Oder ich werde bewundert, was noch schlimmer ist, denn die Leute werfen ihren eigenen Schmerz dann auf mich, damit ausgerechnet ich ihn erhöhen soll, wo ich doch kaum aus meiner Hundehütte vom Baumarkt herauskriechen kann. Ich würde sofort alles sein lassen, wenn ich mich nur trauen würde, ich würde ja sogar dem Sein seine Geschichte lassen, ich sagte es schon, laß, oh Welt, oh laß mich sein oder nicht, ganz wie du willst, ich glaube, ich sagte das weiter oben, und nicht nur einmal, aber bemühen Sie sich nicht, die Stelle zu suchen, die Stelle


67

des Massengrabs im Burgenland, für die es jetzt neue Anhaltspunkte gibt, wir werden noch alle den Halt verlieren, wenn wir diese Stelle dereinst finden, oder auch nicht, doch bei mir ist jede Stelle leider wie jede andre Stelle, aber diesmal müssen Sie nicht weit gehen, ich habe es sogar auf diesem Bildschirm grade noch im Blick, aber gleich ist es weg, es wird nach oben wandern, nur ich gehe, wie üblich, nirgendwohin, denn ich finde diesen blöden ortsüblichen Übergang mit dem Zebramuster am Fußboden derzeit nicht. Ich habe meinen Ausweis als Dichterin zusätzlich verloren, den ich dort am Checkpoint vorzeigen müßte. Die Kritiker warten ja auch, daß man mal vorbeikommt und sie einen töten können, die sind da recht geduldig, denn einmal kommt man in ihre Gasse, ich aber nicht, ätsch, ich habe meinen Identitätsausweis vergessen, stehe jetzt am Übergang, aber man läßt mich gar nicht erst rüber, wahrscheinlich deshalb nicht, weil man in Europa solche Grenzen gar nicht mehr gewöhnt ist, na ja, aber die Leser warten nicht, die vergessen einen, bevor sie einen noch richtig gekannt haben, und dabei kennt doch jeder mindestens einen andren Menschen, manche sogar mehrere. Das stimmt nicht. Jeder kennt nur sich selbst und meist nicht einmal das. Und wenn die Mutter tot ist, ja, meinetwegen der Vater auch, nein, bitte nicht meinetwegen, mach dir meinetwegen nicht die Mühe, Papi!, dann kennt man überhaupt keinen, und leider kennt einen wieder kein Schwein. Ich aber, ich aber, wenn ich mich mal überwunden habe, mein Haus zu verlassen, ohne freundliche Einladung, dann kennen mich trotzdem noch immer zuviele, etwas muß meinem Auftreten anhaften, daß man mich sieht. Man wurde


68

zuvor doch eingeladen, vielleicht zum Bachmann-Wettbewerb, wo alle strengstens gleichberechtigt sind, die zum Mahl Geladenen sind alle gleichzeitig vollkommen gleich zur Entgegennahme des Preises berechtigt, so gleich wie im Tod alle gleich sind, aber man ist nicht hingefahren, und trotzdem kennen einen die Menschen, rasch gewöhnen sie sich an einen oder auch nicht, und dann wieder kennt einen kein Schwein, wenn man mal ausnahmsweise erkannt werden möchte und den Fahrausweis zu lösen vergessen hat, das heißt, falls man aus diesem Nahkampf Mann gegen Mann, bei dem der eine gar kein Mann ist, lebend hervorgegangen wäre, warum auch nicht, man ist ja auch aus dem Mutterleib lebend hervorgegangen. Meine Mutter hat mich erst nachher umgebracht, nach der Geburt. Es endet recht bald, das Leben nach dem Tod, das ich derzeit führe; zumindest was mich betrifft, ist es zu Ende, mich haben schon zuviele getroffen, ohne mich je gekannt zu haben, und noch mehr, indem sie mich erkannten, was noch schlimmer war und das Herz in der Brust pochen ließ, damit was weitergeht, denn trotz Tod muß irgendwas weitergehen, nur man selber nicht mehr, Geduld bitte, dieses Ende werden wir gewiß auch noch abwarten können, ich habe keine Ahnung, welches, denn von meinem habe ich ja schon ausgiebig berichtet. Der Schredder auf dem Lastwagendeck, der mein Werk verschlucken und als lustige Papierschlangen oder als melancholische Dämmplatten wieder ausspucken wird, ist bereits geboren, mit Öl geschmiert und mit einer Flasche Benzin aufgezogen worden, ein Tännlein grünet wohl, wer weiß im Walde, ein Rosenstrauch, in welchem Garten? Sie sind erlesen schon, denk es o Seele, oder


69

so ähnlich, mein Lieblingsgedicht, und ich kann es trotzdem nicht auswendig, bin zu faul nachzuschauen und dem Hugo Wolf mit meinem Singen eine aufs Maul zu hauen, was er nicht mehr spüren wird, was wollte ich sagen?, mein Werk muß insgesamt vernichtet werden, stellvertretend für viele andre Werke, die besser gar nicht erst entstanden wären, jedenfalls den Schredder gibt es schon und auch die Firma, die ihn besitzt und zu mir herfahren wird, um mein gesamtes Werk zu verschlucken, lassen Sie mir die Zeit, das auszuführen, was da vernichtet werden soll, es ist ein so schöner Gedanke, da ich die Vernichtung von Millionen Menschen doch immer so kritisiert habe, jetzt bin einmal ich dran, nein, ich natürlich nicht ich als Person, nur meine Hervorbringungen, und endlich darf ich ihn äußern, den Vernichtungsgedanken gegenüber meinem eigenen Werk, und nicht nur äußern, ich kann zur Tat zwar nicht schreiten, aber die Tat zu mir schreiten lassen, in einem LKW mit progressiver Dieselentzündung, endlich und so ähnlich wird es funktionieren. Es wird sogar ein Zeuge (hoffentlich ich selbst, wenn ich dann noch stehen kann!) neben dem Lastwagen Wache stehen dürfen (absolut unnötig in meinem Fall, denn es gibt vom Papierwolf keine Firmengeheimnisse zu verschlingen! Aber schön, stellen wir uns halt an, wir sind schon an sinnloseren Schlangen angestanden, um den Wert von Sein und Haben zu erlernen!), ob der Schredder auch alles aufgegessen hat, der Brave, der Gute, ich liebe ihn jetzt schon, er ist bereits erbaut, und er wird noch viel erbauter sein, wenn er mein Werk auffressen darf und die Trümmer ausspucken. Die Verwendung dieses Werks wird Nutzen stiften, die Vernichtung


70

der 200 oder bloß 180 ohnehin schon vorher halbtoten Menschen in Rechnitz hat nichts gestiftet, noch nicht einmal das Grab, welches wir schließlich nicht gefunden haben. Und wenn, dann hätte es gewiß ausgerechnet an dem Tag geschlossen. Hallo, Ort, willst du es mir nicht sagen, nur mir, damit ich damit angeben und es allen weitersagen kann? Hallo, Ort? Keine Chance. Der Ort schweigt. Er ist für meine Fragen nicht zugänglich und für mein Werk nicht nützlich. Macht nichts, das Werk selbst ist nützlich, ich sagte es bereits. Ich hab ihn jetzt schon sehr gern, den netten, freundlichen Schredder, der zu mir kommen wird, ein großer, ein teurer wird es sein, nicht wie der kleine, mit dem dieser arme Kameramann gehäkselt (ganz andres Prinzip! Und Prinzipien muß man schon haben) oder geschnetzelt werden sollte, was naturgemäß nicht funktioniert hat, der Trottel von Mörder war zu geizig, einen größeren zu kaufen. Es soll von mir aber alles verschwinden, alles, was ich je gemacht habe, auch dann, wenn es einen Wert hatte, den es aber nicht hat, gerade dann!, weg damit! Alles, was ich gesagt habe, mußte ja nicht unbedingt gesagt werden, nein, andersrum, nichts von dem, was ich gesagt habe, mußte gesagt werden, es ist heute und wird morgen und übermorgen sein: überflüssig und muß daher verschwinden, ich bestimme das so. Während das Ende also auf uns zurast, auf jeden von uns, bei mir wird es Tonnen von Papiermüll produzieren, na ja, vielleicht nicht gerade Tonnen, aber ein paar hundert Kilo werden da schon zusammenkommen und ordentlich feiern, die danach aber sinnvoll verwertet werden können. So, das wäre geschafft, es ist beschlossen. Denken wir einen Augenblick


71

wehmütig an den Anfang zurück! Er ist schon so weit weg, zu weit. Das letzte Wort auf diesem Schirm ist „hervorgegangen“, bald wird es Papa, papa, baba, see you nevermore! sagen, das Wort, das Wort des Vaters (gemeint ist nicht mein Papi, sondern der österreichische, österliche Gruß, der sogenannte Englische Gruß, was von Engel kommt: Ein Engel kam und brachte Maria die Botschaft, good bye und auf Nimmerwiedersehn, denn der Engel ist nur dieses eine Mal gekommen: Papa! Na servus!). So, das mußte ausnahmsweise gesagt werden, wobei alles, was ich sage, eine Ausnahme ist, es hat ja sonst niemand genauso gesagt. Aber jeder könnte es so sagen, so ist das leider mit der Dichtkunst. Und nun zurück auf Anfang. Alles auf Anfang! Verbergen wir uns halt derweil im Anfang, woanders ist ja kein Platz mehr, am Anfang aber schon, weil alle von dort weggerannt sind, nein, da habe ich mich geirrt, es drängt sich alles am Anfang zusammen, weil es nicht älter werden will, also ein sicherer Anfang wird uns hier nicht geboten, und auch das Ende kennen wir noch nicht, aber das Ende ist ein ungewisses Schicksal, denn in diesem Anfang bleiben wir (es geht hier ja nicht weiter), und irgendwann wird uns dort einer finden und nicht lieb zu uns sein. Es gibt kein Ende, der Anfang ist es schon: das Ende. Das wars schon. Das wars dann. Vielleicht hätte ich mit einem anderen Anfang anfangen sollen, vielleicht wäre es dann weitergegangen? Vielleicht hätte ich einen anderen Anfang verlassen können (verfassen?), um über ihn hinauszugehen? Das ist nicht zu wissen. Es ist nicht einmal ein Ende, da es ja auch keinen Anfang hatte bzw. nur einen Anfang, einen unendlichen Anfang, und daher kriegen Sie jetzt auch


72

kein Ende. Vielleicht kriegen Sie es in einem Jahr, vielleicht nie. Der Reißwolf kriegt am Ende aber alles. Ich bin auch am Ende, aber mich kriegt er nicht. Er wird dennoch der Gewinner sein, glauben Sie mir, und er wird alles nehmen. Aber erst am Ende. Wenn ich fertig bin. Was bin ich froh, daß Sie das nicht kümmert. Sie sind von meinem Anfang bereits abgesprungen, aber das war kein Sprung, mit dem Sie einen Wettkampf hätten gewinnen können, nicht einmal einen zwischen Heuschrecken (also der Floh ist überhaupt der Größte, nebenbei bemerkt, der kann Eiweißverbindungen erschaffen, mit deren Hilfe er sich selbst als Katapult, als Zwille, als Zwille und Stein gleichzeitig, abstößt, davonschnellt, mit Muskelkraft könnte er das ja nie), nein, auch den Schrecken hab ich hier nicht hingekriegt, obwohl ich ihn mir doch so fest vorgenommen hatte, der Schrecken hat stattdessen mich erfaßt, und jetzt läßt er mich nicht los, er läßt sich, da er mich umklammert hält und nicht loslassen will, nicht in die Handlung hineinzwingen. Zwingen wir Weiß raus und Bunt rein!, nein, Grau raus und Weiß rein, wie man früher sagte, als Waschmittel noch für die Entwurzelten


 

 

 

 

Sämtliche hier wiedergegebenen Texte sind urheberrechtlich geschützt und dürfen ohne ausdrückliche Erlaubnis in keiner Form wiedergegeben oder zitiert werden.

 

 


Neid © 2008 Elfriede Jelinek

 

zur Startseite von www.elfriedejelinek.com