Neid

Privatroman

Fünftes Kapitel, e

 


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mit dem Tempo des Umbaus, der ein Abbau ist, mithalten. Der Abbau darf aber nicht so langsam ablaufen, daß keine Dynamik mehr drinnen ist. Die Dynamik gehört in den Abbau, aus den Werkswohnungen sollen Ferienappartements werden, in die Siedlung sollen Investoren kommen, die Anlagen sollen geschleift und durch alles, was spannend und extrem ist, ersetzt werden. Wo sollen wir das hernehmen? Bitte, da sehe ich so einen spannenden und extremen jungen Menschen, würde Sie bitte einen Augenblick an mein Mikrophon treten, sind Sie Kletterer oder Klette an einem andren Menschen oder Mountainbiker, diese Gottseibeiunse?, doch Gott hat die verlassen und nur sie übriggelassen, Kletterer und Mountainbiker wohnen lieber in einer Wohnung als in einem Hotel, ihre Ausrüstung ist zu groß für ein Hotelzimmer, aber zu klein für die gesamte Natur, welche aber sowieso dableiben darf, weil sie hier eine Wohnung hat. Spenden Sie uns ein paar Worte, Sie Sportler, Sie sind doch gewiß Sportler, oder? So befrage ich ungeschickt (und ein Mikro habe ich in Wahrheit ja gar nicht, das hat er natürlich gleich gemerkt). Den Sohn, der nicht grüßt, kein Zeichen gibt, daß er uns kennt, uns ältliche Lehrerinnen, wir alle ältliche Lehrerinnen, denn alle Menschen sollten gute Freundinnen sein, wie O. W. gesagt hat, dessen Tochter angeblich so toll kochen kann, den Sohn also zu kennen, geben auch wir nicht vor, trotzdem könnte er uns doch ein paar Worte sagen, wir kennen den Menschen nicht, wollen ihn aber vielleicht kennenlernen, durch seine eigenen Worte, aber man beobachtet doch jeden Augenblick, den er nicht bei uns ist, wie er ein- und wieder ausgeht in seinen überweiten oder, was die Frau als solche betrifft und trifft, überaus


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engen Jeans, wenn es sich ausgeht, zwischen die kein Blatt Papier paßt, zwischen Haut und Hose meine ich, zwischen Baum und Borke (man sieht bei den überweiten des weiteren, ich meine bei den weiteren, den Bund der Unterhose oben herauslugen und fleißig herumschauen und den Gummi heften, lieb!, nein, dafür haben wir später immer noch Zeit), zwischen Fuß und Turnschuh, ja, sogar auf dem flachen wie dem bergigen Land weiß man inzwischen, was sich gehört und wo man hineingehört, die Hose gehört über die Unterhose, und das soll man auch vorher wissen, um sich sehen lassen zu können, ins Große, vielleicht ins Zu-Große, wenn es uns paßt, die Unterhose schaut oben fröhlich heraus, ja, oft auch das Arschgeweih, und inzwischen reichen die Jeans, wie ich sehe, wie ich lese – denn sehen und lesen fallen bei mir in eins zusammen, und zwar in ein Betrübliches – wieder hinauf bis unter die Rippen, umsonst gequält fürs Tatoo-Geweih, geschissen auf den Hirschen, dafür sind sie auf einmal so eng geworden, die Jeans, eng wie die zweite Haut eines armen Frankfurter Würstchens, dem die erste leider geplatzt ist, wo ist ein Mensch, den ich umschließen könnte, ich würde ihn nie wieder rauslassen und das, was diese Hose umschließen muß, auch nur höchst widerwillig. Wie gesagt, alles, was spannend und extrem ist, Klettern und Biken, ist hier, ähnlich wie in Venedig, wo der Putz genauso bröckelt wie hier, erwünscht. Kletterer wollen sich in die Berge einhaken, die Mountainbiker auch, für die die Haftung bei Unfällen aber noch nicht erklärt und geklärt ist, und bis dahin dürfen sie nicht fahren, sie dürfen ihren rasanten Sport noch nicht ausüben, aber hoffentlich bald, denn was


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andres kann man mit dieser Landschaft eh nicht machen. So. Diese Hose ächzt in ihren Nähten und Fugen, das sieht man ihr förmlich an (hören kann man es nicht), denn lieber umschlösse sie etwas anderes, und lieber täte auch ich etwas anderes, Sinnvolleres, als Zustände mit Zeichen zu umschließen, die ich selber nicht verstehe und die außerdem viel zu rasch vergehen, als daß ich sie verstehen könnte, schon morgen werden sie andere Zustände sein, für die Art von Tourismus, die uns vorschwebt, und es geschehen noch Zeichen und Wunder, gewiß, es könnte sein, daß man inzwischen was andres trägt, woandershin fährt und es dafür andre Zeichen gibt als den Zeiger der Waage, der ausschlägt und mich tritt und dann davonrast. Diese Waage trägt mich kaum noch, na ja, ich übertreibe, sie gewiß auch, die Waage, und so ist es ja auch, das ist wie mit dem Schicksal, das man aber ertragen muß wies grad kommt, und alles, alles trägt den Ablaufstempel, der Alte, der Kranke, der Arme, der Arbeitslose, jedes Fleisch, das verfällt, und auch mein Schreiben, das leider bereits verfallen ist (immer fest ins Offene hinein, was die Mädels und ihre Kurven betrifft, die aus diesen neuen Hosenrohren fast herausfallen, aus denen sie herausfeuern, aber eben nur fast, Schrumpfen ist der Normalfall für gewisse Städte, für den Menschen aber nicht, nur keine Angst, die Hose, die hält, und der Wagen, der rollt, und das Schicksal, das kommt, und die Widerlegung, die legt sich wieder hin, laber, laber). Das steht, nicht nur für mich, fest: Die Discounter haben durchs Netz großen Erfolg, aber auch durch Plakate von H&M, wo Menschen wie unsereins vorkommen, nur viel reizvoller – grade nur eben das Menschsein haben


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sie mit uns gemeinsam, na, wenig ist das aber auch nicht gerade – zu sehen sind, und durch Zeitschriften sofort eine rasante Verbreitung erfahren, auch durch diese, wo diese Bloggys immer vorkommen und einander überschreien, und man kann auch sonst alles erfahren, was man möchte, wenn auch nicht immer von ihnen, sondern von der Modeseite her, die uns Tips gibt, nur kann man leider nicht einmal danach endlich derjenige sein, der man sein möchte. Ich wäre auch gern anders. Ich bin doch sogar auf die jeweilige Gegenwart neidisch, die ich nicht ändern kann, aber gern ändern würde, weil sie mein Zeug hier derart rasch veralten läßt, so schnell kann ich gar nicht schreiben, und schon beim Korrigieren muß ich falsche Tatsachenbehauptungen ändern, hört denn das nie auf?, ich habe eine Ahnung, daß das Schreiben nie aufhört, weil ja dauernd was passiert, was man schon wieder aufschreiben möchte. Ist es nicht eine Gemeinheit, daß ich und mein Schreiben dermaßen schnell altern, denn dieser Kanzler z. B. wird schon in drei Jahren möglicherweise nicht mehr stimmen, weil er eine quintessenzielle Wahrheit nicht gehört, nicht gesagt oder an der Quint nicht richtig gedreht hat, und auf einmal ist er weg, der Kanzler, weil viele nicht mehr für ihn stimmen werden, so wie meine Schrift nicht mehr stimmen wird, also sein derzeit sehr bekannter Name zumindest wird nicht mehr stimmen, in zehn Jahren, wenn ich tot sein werde, wird man nicht einmal seinen Namen kennen, dafür einen andren, vielleicht schon nächstes Jahr wird man ihn nicht mehr in den Mund nehmen, diesen berühmten Namen, der uns noch teuer zu stehen kommen wird, nicht mehr teuer, sondern billiger, wenn die Abfangjäger


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rechtzeitig abgefangen werden können, zumindest ein paar von ihnen, und wusch, schon sind sie da, allerdings ein paar weniger, anstatt abgefangen worden zu sein; ihre arme reduzierte Zahl zumindest ist jetzt da, ein Teil der Zahl ist schon da, leichter verderbliche Ware als mein gesamtes Schreiben, und der Kanzler ist immer noch derselbe, wenigstens heute, aber das Schreiben ist nicht zeitlos, jedenfalls meins nicht, ich bin wahnsinnig neidisch und weiß inzwischen nicht einmal mehr, auf wen, es ist zeitlich begrenzt, das Objekt des Neids kann sich ändern, ich meine, es kann sich nicht ändern, aber es kann wechseln, es ist eine Qual, nein, es ist keine Qual, er, der Kanzler, wird vielleicht schon, ja, er wird abgefangen werden können, aber erst in ein paar Jahren, dafür tritt dann ein anderer an seine Stelle und auf der Stelle. Die Verlängerung der Legislaturperiode, auch eine echte Gemeinheit, welche uns untergejubelt wurde, ohne daß wir überhaupt Zeit zu jubeln gehabt hätten, vier Jahre sind ein Nichts, angesichts der Ewigkeit, fünf Jahre sind schon mehr, aber diese Verlängerung greift diesmal noch nicht, sie greift noch nicht nach uns, die wir verschaukelt werden sollen, und uns ist jetzt schon schlecht, Er, Gott?, der Papst in Mariazell? Der freundliche Kanzler, dessen Kleidung sich niemals auf einem Plakat sehen lassen könnte, denn sie würde, wie Blei, vor Scham in den Boden versinken und sogar dort noch entsetzlichen Schaden bis tief in die Nahrungskette hinein anrichten, denn er ist doch letztlich verantwortlich, der Chef, den Halbmonde nicht stören, im Gegensatz zu anderen, die absolut und prinzipiell nur für Vollmond sind, aber derzeit gilt noch, was


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dieser Kanzler sagt, und er sagt, was wir uns als Essen (wird alles teurer, weil auch die Chinesen Milch trinken wollen, die sie aber gar nicht vertragen, sie können sie nicht verdauen, ich verstehe nun gar nichts mehr) noch leisten können und was nicht mehr, wenn wir ebenfalls so eine hautenge Wanderhose in Weiß anziehen wollen, was nicht der Fall ist, das ist sein Besorgen, ja, das Essen muß der Kanzler uns besorgen, auch wenn wir mittellos sind, auch wenn wir uns unserer Mittel nicht sicher sind, nein, muß er nicht, aber es ist ihm trotzdem egal, na ja, vielleicht nicht sehr egal, aber doch egal, und außerdem noch den ganzen Plakat-Ständer mitreißen, auf dem er zeigen wollte, was er kann, wie groß er ist, nein, nicht der Ständer, keine Ahnung, wer, jedenfalls einer, der sich so mühsam aufgebaut hat, und jetzt ist kein Untermann in Sicht, denn wir alle sind ja die Untermänner, wenn wir auch bei weitem nicht alle Männer sind, nicht Manns genug, um dieses liebe, vertraute Bildnis zu tragen, wir wollen nicht, wir wollen lieber ein anderes, um uns in diesem Bild ein wenig, wie zur Probe, zu bewegen, warum soll das nur der Kanzler dürfen, ein wenig bewegt ist sie wohl schon, fürchte ich, vielleicht fällt sie ja auf mich drauf, diese aus dem Nebel, nicht aus dem Nebeneinander mit Mitmenschen, auftauchende Menschenpyramide, die ihr Pyramidenspiel derzeit an der Börse noch probt, doch bald wirds ernst, bis dahin halten wir sie weiter brav in Bewegung, diese Pyramide, bei der wir leider immer ganz unten landen und vieles ertragen müssen, mit dem wir nicht gerechnet haben, denn rechnen können wir nicht, wir bewegen sie, die Pyramide, sich weiter zu bewegen, damit wir endlich ein wenig


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höher raufkommen, ach, ist das mühsam!, wir bewegen die Pyramide, da wir keine Sklaven mehr zur Verfügung haben, sie zur Probe zu bewegen, ob sie es noch kann oder ob die letzten von den Hunden gebissen werden, die auch ihr Geld in Hypno-, nein, Hypo-Alpe-Adria-Aktien, äh, nein, in Hyper-, nein in Hyper-Immofonds anlegen wollten oder sich in Amerika ein Haus ganz ohne Grund, ich meine ohne Grundkapital erbauen wollten, nur um es dann wieder rasch abzuschütteln bzw. um abgeschüttelt zu werden vom Antlitz der Erde, das ist doch stets das Los der Armen, die überhaupt nicht oder in Immobilienfonds investiert haben oder gleich oder bald oder irgendwann eine richtige Immobilie haben wollten, die sie dann nur leider nicht bezahlen konnten. Bestellen auf Einsatz, Mausklick und aus, Musik kann man sich ins Telefon bestellen und herunterladen, ohne zu bestellen, ohne seinen Acker zu bestellen, unverschuldet verschuldet sich der Gymnasiast beim Telefonanbieter, der hat es ihm aber auch zu verlockend hingehalten, Preis des mobilen Zellulartelefons: null Euro, denn eigentlich hat sein Handy schon das ganze Geld aufgegessen, bevor es sein Besitzer überhaupt hatte, nein, bevor er noch die Rechnung für seine ausufernden Gespräche bekommen konnte, es hat nach der Leberkässemmel oder dem Big Macker geschnappt, die man zu jedem Sprechen als Download-Beilage dazu essen durfte, aber nicht so gratis, wie das kleine Tely es war, nein, das nicht, was einem vorher keiner sagt, während selbst das Gewissen schweigt und irgendwas mampft, was man ihm halt zu fressen gegeben hat, und für das neue T-Shirt mit dem neuen Gothic-Aufdruck auf Englisch, aber in altdeutschen Buchstaben, aus


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dem Internet-Shop wird es nun nicht mehr reichen, genau jenem, das man sich so lang gewünscht hat und das der TV-Moderator, der auch heute wieder seine Meinung ausgesprochen hören möchte, derer er sicher sein kann, er hat sie ja selber gesagt, die Meinung, trägt, jeden Tag ein andres, das man sich dann aber auch wünscht, jeden Tag eine andre Meinung, die man zum Glück nicht benötigt, so gehört es sich, wir haben zuviel mit der neuen Freundin gesprochen (diesen Verdacht hat Brigitte K., die niemanden mehr interessiert, warum sollte sie also mich noch interessieren?, schon seit einiger Zeit, er muß eine neue Freundin haben, der Bub von gegenüber, der prachtvolle Feind in ihrem Bett, wohin sie ihn endlich gezerrt hat, halb zog sie ihn, halb fiel er hin, die Automobilzeitschrift noch in der von einer halben Flasche Obstler starren Hand, doch auch sie mußte fallen, sie, die Frau, nicht die Autozeitschrift, nicht jetzt!, hat diese Neue, die sicher jünger ist, nein, nicht die Zeitschrift meine ich, obwohl es genau dort, wo die Jungen das Heft in der Hand halten, auch immer eine Jüngere gibt, immer mindestens eine, Brigitte hat die Neue zwar noch nie gesehen, aber es muß sie, wie Gott, einfach geben, kein Beweis vorhanden, aber es muß sie geben, die Gläubigen gibt es ja schließlich auch, und wer wäre sonst das Mädchen auf dem Zeitschriftenfötus? Man sieht grade nur, wie unentwickelt das Foto, daß es ein junges Mädel ist, der Intelligenz nicht grade gewogen zu sein scheint, aber das ist ein Vorurteil, und zwar meins, aber es werden, außer mir, schon noch ein paar dazukommen, die auch diese Meinung haben, dieses Vorurteil haben wir alten Frauen nämlich sehr oft, aus Neid, daß


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Schönheit mit Dummheit gleichzusetzen sei, denn wir sind es gewohnt, daß das Sein nicht ist und das Wirkliche nur vergegenständlicht auftritt, das ist seine Wahrheit, es ist auch die Wahrheit der Technik des Schreibens, die ich aber nicht beherrsche, mich beherrscht der Wille zur Macht, aber was nützt es mir?, dafür dieser helle, frostige Lippenstift, frosted melon, der ist ihr, der alternden Frau, mehr als gewogen, nein, er ist ihr nicht mehr gewogen, er ist ihr so gewogen, daß er schon zuviel wiegt, und genau den können auch wir uns kaufen, wir alle, er sieht nur jedesmal anders an uns aus, an jeder von uns anders, trotzdem, der wiegt irgendwann einmal alles auf und mehr, so hoffen wir, und der Push-up-Bra ist ihr ebenfalls äußerst gewogen, der Kleinen dort drüben, die da unter der Türdacke herumwühlt, in dem Push-up-Bra wiegt einfach alles mehr, als es hat, und das zählt dann auch mehr, wenn auch nicht für jeden, aber es zeigt, daß manche Menschen eben mehr haben, als sie sind, daß es in ihnen mehr scheint als regnet, aber das ist natürlich tendenziös gedacht (und von Neid diktiert) von einer Frau wie mir oder Brigitte K., die auch eine Frau ist, das sind wir beide in unserer Seinsverlassenheit, in der wir uns noch gegenseitig dauernd aus den Augen verlieren, wie soll ich denn über Brigitte K. schreiben, wenn ich sie jetzt schon, sie, die ich selber erfunden habe, dauernd verliere?, wie soll ich diese Geschichte sagen, wenn sich nichts ereignet?, also holen wir uns eben ein Ereignis, das werden wir auch noch schaffen und uns aneignen, und das Sagen dieser Geschichte, die wir nicht schaffen, weil sie keine Aussage hat, nicht einmal eine Satzaussage, so wie wir unsere ganze


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Geschichte nicht gepackt haben, wir haben sie gemacht, aber wir packen es nicht (wir derpacken es nicht, we are from Austria), daß wir sie gemacht haben, und kaum habe ich sowas gesagt, steht es auch schon in einer langen Tradition des Mißdeutens von Ihrer Seite her, der Mißdeutung meines Berichtens und Verkündens, wogegen mein Wort nur gilt, indem es dem Sein gehört. Und nehme ich es dem Sein weg, behauptet dasselbe Wort, das mir vorhin noch zutraulich folgte, allen Ernstes, gar nicht meins zu sein, sondern Ihres, und ich hätte es Ihnen gestohlen, so wie sie vom Schriftsteller M. B. sagen, er habe ein fremdes Sein gestohlen, hat er ja auch, hab ich ja auch, aber ich muß es jetzt immerhin austragen (M. B. muß es eher ausbaden), während Sie frei bleiben, frei, frei, frei, wenn auch nicht neun Monate lang, ich muß sie nämlich austragen, die Namen, das Wort, das irgendwann mal ein wenig Fleisch auf die Rippen kriegen wird, ich plane nämlich eine Entgegnung, noch bevor jemand mir etwas vorgeworfen hat, indem ich das, was sich ereignet, aufs innigste in meine Entgegnung hineinlege, ohne daß mir, wie gesagt, etwas vorgeworfen worden wäre, in meine Entgegnung und in meinen Austrag lege ich also alles hinein, in mein Austragshäusel, neidisch wie jede Frau, die von Natur aus alle andren Frauen verachtet und die jungen ganz besonders. Was wollte ich sagen? Egal. Ich lege mich ordentlich ins Zeug, denn mit meinem Aussehen werde ich nicht mehr punkten können. Punkt. So, die Älteren unter uns (sie befinden sich immer unter uns, wenn sie mit ihren Befunden zum Arzt gehen) bekommen eine Extrascheibe Einbildung dazu, man sei doch selber auch noch jung, allerdings relativ


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gesehen, von mir aus, nein, nicht von mir aus gesehen, von mir aus gesehen sind alle jung, außer mir, und ich bin eh bald tot, wo kommt denn jetzt diese Klammer her, trari, trara?, na, Sie werden sie schon finden, ich meine diejenige, die dieser fröhlich voranschritt. Jetzt ist sie weg. Vielleicht gab es sie aber gar nicht. Würde mich nicht wundern, aber da ist sie, und ich weiß nicht, wohin mit ihr), wir haben also, so endete der Satz vor der Klammer, glaub ich zumindest, mit der neuen Freundin bereits gesprochen, eine neue Freundin hat der Bursch von gegenüber jetzt, das ist ja ganz was Neues!, das wissen wir positiv, die Optik des Opernguckers hat sie uns gezeigt, ohne jeden Optimismus, ja, das muß sie gewesen sein, die Neue, und nein, googeln konnten wir das nicht, unser Gehirn klammert sich daran fest, obwohl es nirgends geschrieben steht, klammert sich fest an dieser schrecklichen, willenlosen Vorstellung, denn gegen eine neue Freundin wäre einfach kein Kraut gewachsen, gegen keine Neue, höchstens vielleicht ein Gebrauchtwagen, als letztes Lebensmittel, das aber leider nicht wachsen kann, nein, der wächst nicht so einfach wie ein Pilz aus dem Boden, und er wird auch von selber nicht größer und/oder schneller, aber kein Atompilz, der wächst noch nicht, jedenfalls noch nicht in Iran, wenn, dann in der Tschechei, aus diesem hinigen Kernkraftwerk, das wir dort nicht haben wollten, wir haben es ja gesagt!, wie oft haben wir das gesagt!, und daran klammert man sich, daß man immer was haben will, das man sich nicht leisten kann, oder etwas nicht haben will, was man sich leisten könnte, allerdings ist es billiger, etwas nicht haben zu wollen, nützen tut


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beides nicht, ich bin verwirrt, es heißt doch: Augen auf beim Autokauf!, was man bei einer Pflanze nicht versuchen sollte, jetzt habe ich vergessen, was, doch sogar stabil aussehende Gewächse verlassen die Erde wie der Mensch, wenn man zu heftig dran zieht oder von oben her brutal draufhaut. Die Lehrerin sollte dem, wem?, sie sollte ihrer eingepflanzten Abneigung gegen junge Frauen nicht dermaßen nachgeben, die, solang sie jung sind, die Erde über den Umweg durch den Mann regieren dürfen, ungefähr wie Cécilia Sarkozy bald nicht mehr ihren Mann regieren muß, sondern eine andere das jetzt darf, die jünger ist (das Aktuelle hier läßt meine Dichtung erbleichen und verfallen und verfaulen, bevor sie überhaupt fertig ist, und genauso will ich es auch haben, alles muß raus, alles muß weg und dann verschwinden, weg!), nein, immer seltener über diesen Umweg Mann werden sie etwas erreichen, die Frauen, sie können es schon ganz allein, alle sagen das, sie strengen sich an, dem Mann seine Männlichkeit zu nehmen, und endlich haben sie das erreicht, die Ärmsten, die sich damit nur ins eigene Fleisch schneiden, denn jetzt gibt es gar keinen Mann mehr. Sie haben vorhin einen gesehen? Wo bitte? Ich schreibs gleich auf, ich schreibe alles auf, jeden Blödsinn, vor allem die Adresse von diesem Mann, den es angeblich gibt, gib, so wird dir gegeben, damit ich wenigstens von Anfang zu Anfang komme, ein Ende finde ich sowieso nicht, aber schon für einen Übergang in eine echte Geschichte wäre ich dankbar, das wäre mir entschieden lieber, als immer nur übergangen zu werden. Wir müssen dieser betrüblichen Tatsache, jetzt habe ich vergessen welcher, ins Auge sehen, suchen Sie sich eine aus, ich


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schreibe hier ja nur über Tatsachen, aber es sind zuviele, ich kann sie nicht alle gleichzeitig im Auge behalten, dort befindet sich, wie gesagt, schon dieser Wollfaden, und er nimmt fast den gesamten Platz ein, wahrscheinlich meine ich, wie immer, die Tatsache, daß wir nicht mehr jung sind, außer denen, die es sind, der junge Mann ist es aber schon, jung, aber auf den Mann kommt es jetzt nicht mehr an, da die Frau ihm bereits grundsätzlich vollkommen gleichgestellt ist, anders als bei den Muslimen, endlich gleich!, nein, noch einmal: Wir müssen dieser Tatsache einmal ins Auge schauen, bevor die Abneigung sie zuschüttet, wie eine Einbildung, die wirklicher ist als die Wirklichkeit, und dann sollte sie es lieber gleich vergessen, daß eine ältere Frau nicht einmal bis drei zählen kann, bevor sie neben einer Jüngeren aus jenem strotzenden Blickfeld verschwindet, das immer andre eingesät haben, das vollkommen zerfurcht ist, wie ein Acker, und das sehen alle, alle schauen auf dieses Feld, es ist ein glänzendes Feld, mit oder ohne Sonnenblumen, ach!, die Pizza Paula konnten Sie einst wählen, nun können Sie es nicht mehr, es ist zu spät dafür, die Blumen können Sie sich immer noch aussuchen, denn dort auf dem weiten Feld scheint immer die Sonne, nur wir müssen zugeben, daß eine von uns Älteren jetzt verschwunden ist, so schnell geht das, daß sie ein Schatten ist, die Ältere, und immer nur die Jugend im Schweinwerferlicht steht, was man bezüglich einer Rivalin aber nie so genau wissen kann, denn wenn man sie umbringt, steht man selber ganz sicher in der Zeitung und in noch strahlenderem Licht. Nein, vergessen kann man da nichts, die Jugend regiert, egal, ob in


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männlicher oder weiblicher Form, die Jugend ist es, die uns regiert, wieso ist dann aber die Regierung so alt?, nein, ist sie ja nicht. Sie schaut nur so alt aus, vom ersten Tag ihrer Geltungssucht an schon alt, aber das ist jetzt ganz egal und vollkommen gleich, sofort aufhören mit dem Quatsch!, wir wollen doch erzählen, also ich hebe an, aber leider nicht ab: Eine Freundin hat er also neuerdings, der steirische Bub, so, so, ganz was Neues, daß er jetzt eine hat!, nicht so alt wie wir oder gar älter, wieso hat der überhaupt eine neue Freundin, wo er doch uns hat und unsere Lebens-Ersparnisse noch bekommen wird, um sich ein Auto zu kaufen, wie ihm verheißen ward, so oft, daß er es schon nicht mehr glauben kann? Es wäre von jeder hohen Warte aus viel vernünftiger, er hätte eine neue Freundin, nachdem er unsere Ersparnisse bekommen haben würde, das leuchtet sogar mir ein, die energisch völlige Lebensunkenntnis für sich beansprucht und auch einfordert, wo nicht vorhanden, das ist aber auch alles, was ich zu beanspruchen habe, und nicht einmal das gönnen Sie mir. Sie gönnen mir meine Einwände nicht, Sie gönnen mir wahrscheinlich nicht einmal meine eigenen vier Wände, aber was soll ich machen, meine Wände sind ja ohnedies schon längst zusammengestürzt! Ich bin inzwischen dazu übergegangen, das Leben anderer zu beeinspruchen, doch in meinem Hochmut alles zurückzuweisen, was sie mir stattdessen zur Auswahl anbieten. Darfs ein bisserl mehr sein? Nein, nicht mehr, nicht weniger. Obwohl der Bursch das Auto doch noch gar nicht hat, denn es war ja als Köder für ihn gedacht, der möglichst lange vorhalten sollte (wie der etwas zu schwöre Ingeniöre aus Berlin für den


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Menschenfresser aus Wüstehagen bei Rotenburg, dieser Inschenör wollte nichts andres, als sich auf Lebenszeit, die von ihm selbst kurz bemessen worden war, in den Zellen seines Kannibalen müßig herumtreiben zu dürfen), obwohl er also das Auto noch nicht errungen hat, der Knabe, das Gegenüber der Lehrerin, geht er schon fremd, geht er schon in die Fremde, wo die fremden Menschen mit ihrem Wesen laut stampfend wie eine ganze Herde und stroboskopierend wie ein ganzes akut kopiertes Gewitter aufzeigen, bitte alle herschauen! Bitte jetzt einmal zu uns schauen! Bitte uns zuschauen! Und wo treibt sich nun dieser andre Knabe hier im ländlichen Raum, der irgendwo ein Röslein stehn sah, herum und vor allem: mit wem?, etwa mit einer anderen? Wer stößt den jetzt schon wieder nicht zurück? Welches Mädchen öffnet ihm ihr Fensterlein und tritt ihm die Tür ein oder holt, geschmeidig gebückt, geschmiedet, nein nicht eingeschmiedet in die Jeans, sondern weich eingeschmiegt, hineingeschmiegt in das, was ihr sowieso schon wie angegossen paßt, den Schlüssel unter der Türmatte hervor? Es ist eine unabweisbare Tatsache, daß das, was er Welt nennt, etwas Rasanteres sein soll als Brigitte K., eher jemand, der sich an hellichten Tagen zu blitzen traut, mit sich zu blitzen wagt, und man sieht ihn immer noch, wenn er blitzt, obwohl es draußen eh schon taghell ist. Er, der Knabe, dem man jetzt seit Monaten Lebensratschläge gab, daß er, hätte er erst sein neues Auto, keine gleichaltrige Freundin mehr benötige, weil er dann immer in die Disco fahren und eine neue, die noch neuer wäre als die letzte neue, die aber nicht wirklich die letzte wäre, äh, eher das Allerletzte, kennenlernen könnte, denn eine viel


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ältere habe er schließlich schon länger, zu lange. Die Königin sprach, der Knabe lief, der Knabe läuft manchmal, aber er spricht nicht, und er hört nicht zu, die Frau weiß nicht, was er hat, aber sie sagt ihm, daß sie beide es gemeinsam haben. Und das ist: keine Eile, nur keine Eile im Aufsuchen des Neuen, da einen das Auto jederzeit überallhin bringt und einem sagt, was es Neues gibt, falls man das Autoradio eingeschaltet hat und das Benzin bezahlen kann.  Und die Zeit, ihre Zeit, hat sich, wie ihre Geduld, nicht die Geduld der Zeit, die Zeit der Frau, hat sich bereits so sehr gedehnt, daß man sie weder als Leben noch als Zeit erkennen kann, damit zeigt die Zeit den Menschen, wie strapazierfähig sie ist, wie dehnbar, aber nur an einem Ende, nämlich am Anfang, dehnbar die Zeit, die Zeit, pompös kommt die immer daher und, wie ich finde, niemals kleinlaut, sondern sogar ziemlich laut, und sie kommt auch immer später, jedesmal später, doch am Ende kommt sie wieder zu früh, das Ende der Zeit kommt immer zu früh, weil die Zeit so gierig ist und alles frißt, was man ihr vorsetzt, am liebsten Fleisch (sie weiß ja, daß sie immer weitergehen wird, auch wenn das Ende gekommen ist, dann wird sie mit einem andren weitergehen und weiterfressen, egal was, egal mit wem), und daher als einzige nicht auf ausgefeilte Kulinarik (ausgefeilt deshalb, weil immer etwas darin fehlt, was raffiniert herausgefeilt wurde, allerdings und grundsätzlich, und ich sage es ausnahmsweise nur einmal: der Penis ist ungenießbar, das hat Herr M. in einem Menschenversuch ein für allemal bewiesen und seinem Kastraten auch vor dessen Tod und Verklärung und Verzehrung noch


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handgreiflich beweisen können, also den Penis lassen wir mal weg), auf Do & Co, Du & Du und wie sie alle heißen, angewiesen ist, aber dennoch wie neu ist, immer noch, die Zeit und das Zimmer, das ist nicht unser Thema, das ist das Thema eines anderen, die Zeit und diese Lehrerin, das ist schon eher unser Thema, dem wir jedoch nicht gewachsen sind, bis jetzt jedenfalls waren wirs noch nicht, wie Sie ja sehen. Die Lehrerin: offenbar zu wenig gebraucht, weil man ihr das Alter gar nicht ansieht, das heißt, wenn man sie überhaupt einmal ansieht. Die Zeit: Also ich weiß nicht, es ist alles gesagt, mein Boden ist mir unter den Füßen verlorengegangen, und jetzt vergeht nur noch die Zeit allein, und natürlich rennt sie mir, wie allen Menschen, davon. Daher ist sie auch so schwer zu beschreiben, ich sehe sie ja kaum noch, höchstens von hinten, genau wie die Lehrerin, die nicht einmal Gebrauchsspuren trägt, sie ist ein ewiges Mädchen mit einem Gebrauchtwagen, der auch nicht ewig fahren wird. Man sieht ihr ihr Alter nicht an, wenn man sie ansieht. Man sieht ihr nichts an. Es geht hier um Reife, die zwar zu keinen Darstellungen mehr Anlaß bietet, aber der innere Wert wäre auch nicht zu verachten, man sieht ihn allerdings nicht und verachtet ihn daher, er ist aber auch gar nicht für den Handel bestimmt. Was sollte man sonst mit ihm anfangen? Wer will schon in einen anderen Menschen hineinschauen? Nur noch sein Arzt, Apotheker oder Leichenbestatter, sonst niemand. Als ältere Frau wird man der Verachtung preisgegeben werden wie jede andere ältere Frau, es wird keine Ausnahme und keine Aufnahme gemacht (da zwischen Mann und Frau ja endlich kein Unterschied mehr besteht, und man kann


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sie beide fotografieren, man kann vollkommen frei wählen, welchen Mann oder welche Frau), das heißt, falls man sie überhaupt ins Auge faßt, die beiden Schlawiner Mann und Frau, die es beide faustdick hinter den Ohren haben, und aus dieser Fassung fällt meist eine Person wieder heraus, und zwar in diesem Fall diese ältere Dame, die öffentlich gegrüßt wird, das ist aber schon alles, was mit ihr geschieht. Was sie auch besitzen mag, von außen sieht man es ihr nicht an, ich habe keine Ahnung, was. Das sind die Wechselfälle des Lebens, ich selbst wechsle ja nur noch meine Kleidung, etwas andres bleibt mir zu wechseln nicht mehr übrig. Aber es sieht mich eh keiner. Bitte, mir persönlich gefällts, ich will gar nicht angeschaut werden, das Angeschautwerden tut mir weh, ich will lieber meinen Auftrag erfüllen, der darin besteht, meinen Platz nicht mehr auszufüllen und fort zu sein, weg zu sein, mich selber wegzuräumen, aber andren gefällt so etwas vielleicht nicht, die noch etwas erleben möchten. Ich habe ja nichts andres, mit dem ich eine Einführung in mich geben könnte, die keiner hören will. Man will mich vielleicht etwas fragen, was halte ich vom Iran?, den ich vorhin kurz erwähnt habe, na?, nichts?, doch mit größter Vergnügtheit versage ich mir und Ihnen das. So. Die Kunst ist jetzt auch weg, Sie sehen es ja seit langem, und jetzt sehe ich es auch ein, ich habe eine dermaßen lange Leitung, Sie sagten es mir ja seit langem, seit ewigen Zeiten, schon bevor ich überhaupt angefangen hatte! Es ist einfach, das so zu sehen. Sie ist weg. Wir wollen uns nun mit dem beschäftigen, was keine Kunst ist, da haben wir ein weites Feld vor uns, das sich nicht sträubt, es bietet, wie jeder Acker, gern


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seine Ehren dar. Man muß sie sich nur noch abschneiden. Es ist hier in der Kleinstadt z. B. üblich, daß die ältere Generation grüßt, die jüngere aber schon gar nicht mehr, falls sie überhaupt noch vorhanden ist. Die Geburtenrate wird niedriger, die Kulturangebote werden kleiner, der Schwund ist am Leerstand von Gebäuden abzulesen, das Konsumverhalten ändert sich, Schulen und Kindergärten schließen, Arme, Alte, Arbeitslose bleiben, Jüngere und Gebildetere gehen, es findet eine massive Wanderung weg von hier statt, oder es wird gar nicht gewandert, weil die Kraft dafür nicht mehr vorhanden ist, und das Problem ist nicht, daß die Bevölkerung weniger wird, sondern daß man sich in dem Wenigen erst einmal zurechtfindet, bevor es noch weniger wird, das Wachstum wird eingestellt, Schrumpfen ist der Normalfall geworden, die Jüngeren und Gebildeteren sind überhaupt die ersten, die weggehen, deswegen sehe ich sie nirgends, und ich bin die Erste (ich muß ja immer die Erste sein!), die schon weg ist, vielleicht kann ich auf diese Weise mein eigenes Alter überholen, aber in die andre Richtung, ich probiers mal. Wo soll das alles hinführen? Weg, nur weg soll das führen! Er wird ohnehin bald in Leoben das Montangewerbe studieren, der Sohn der Nachbarin, den wir ebenfalls beinahe verloren hätten, in der Lehre von den Schätzen der Berge wird er unterwiesen werden, die verhüttet werden sollen, einst von 4.200 Menschen, heute jedoch, dieselbe Menge an Eisen-Gestein von gestern und vorgestern und der urgeilen Urzeit von nur 200! Wo soll das hinführen? Das soll uns von hier wegführen. Wie froh ist man nach einem langen Aufstieg, so eine einladende Hütte und davor einen Mann mit


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einer Ziehharmonika und auf dem Tisch ein Teller mit Speck, Brot und ein Stamperl mit Schnaps zu sehen!, wir sind schließlich Genießer, und ein schreckliches Raunen (das klingt anders als das Heulen, von dem bereits die Rede war, Vorsicht, nicht verwechseln, schulen Sie Ihr Ohr, bevor Sie noch ganz taub sind!) geht auf einmal, da ihr bewußt wird, daß sie sich in der menschlichen, allzu menschlichen Gesellschaft gar nicht mehr bewegen kann, durch die Lehrerin, der Wind kann das nicht sein, der mit den Blättern spielt, der Arbeitslose kann das auch nicht sein, der die viele Zeit und den vielen freien Raum nützen könnte, aber nicht tut, weil er zu introvertiert ist, die Arbeitgeber fallen einer nach dem andren weg und damit die wertvollen sozialen Kontakte, die Vereine verschwinden, man kann sich mit niemandem mehr vereinigen, weil man nicht mehr die Auswahl hat, und warum soll ich ihn nicht bis dahin für mich behalten dürfen, den süßen Buben?, denkt die Frau Lehrerin, die noch da ist und diesen letzten Freiraum, einen lebenden Menschen, zu besetzen versuchen möchte, um jeden Preis, viel kann sie nicht zahlen, sie muß ja auch aufs Altenheim sparen, das eine Minimalversorgung der weniger werdenden Bewohner gewährleisten soll, naja, die Alten werden mehr, aber die anderen nicht, und das Heim muß, ob es will oder nicht, also die, die übrigbleiben, irgendwie und irgendwo entsorgen, bis alles aufhört, da hört sich ja alles auf! Du bist mein Bub, sagt die alte Frau (wieso nenne ich sie immer alt? Weil das alle machen, es ist so üblich, daß eine Frau über 45 alt ist, auch wenn sie es nicht glauben mag, und für den mit 98 verstorbenen Filmregisseur war die Grenze


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sogar noch enger gezogen, sie lag bei ungefähr dreißig Jahren, ein paar mehr wollte er sich selber aber schon zugestehen, und er hat sie auch gekriegt), ihre Stimme läuft nicht wie ein Laufbursche zu den Salzburger Festkrächen, um dort einen von der Sorte Octavian anzubrüllen, aber so etwas Liebes sagt man besser nicht, man sagt im Zweifelsfall, aber auch, wenn man nicht zweifelt, besser nichts, und zwar auch dann (und das verlangt Überwindung), wenn man sich auf eine gewisse Weise, die nicht mit gewisser Weise verwechselt werden sollte, mit einem Menschensohn, der gern auch unmenschlich sein darf, wenn er nur bei uns bleibt, wenn er uns nur nicht verläßt!, näher einlassen möchte. Was soll überhaupt damit gesagt werden, daß sich hinter den Scheiben des Einfamilienhauses gegenüber etwas bewegt? Zu welcher Zeit soll die Bewegung stattgefunden haben und von wem? Hat es hier überhaupt eine Bewegung gegeben? Was für ein herrlicher Gedanke, Herrin der Zeit, Herr seiner Zeit zu sein, in der Zeit vor- und rückwärtsgehen zu können. Ich sollte mir diesen Gedanken besser zu eigen machen, unbedingt besser, damit Sie sich hier in der Zeiteinheit auskennen, aber ich weiß nicht: Ist es bereits Vergangenheit, als die Frau auf die bewegliche Spiegelung in dieser Fensterscheibe starrt, als wäre die Zeit selbst erstarrt, oder ist es genau jetzt? Ist das eine Zeit-Beilagscheibe, die man beliebig herausnehmen kann, um sie neu zu belegen? Also ich weiß es nicht, es ist schon so lange her, daß ich soviel wie und mehr als nichts gesagt habe, was fragen Sie mich? Weil ich Ihnen immer Antworten gebe, ohne etwas zu sagen? Ist da jemand im leeren Haus? Hallihallo! Hänsel und


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Gretel, bitte zu Hause melden und das Handy wieder einschalten! Zuerst wird ja der Hänsel eingesperrt von der Hexe, diesmal kehren wir das Schicksal aber um und stehlen uns die Gretel, weil wir den Hänsel zum Fressen gern haben und nicht an eine alte Hexe verschwenden wollen; der Kannibale von dem wüsten Feld hat ja auch nichts von Castor, nein, von Cator, dem aus dem Fleische Geborenen und zu Fleische Werdenden, verkommen lassen, aber er ist nicht mehr dazugekommen, alles brav aufzuessen. Da bewegt sich doch was hinter den Fensterscheiben dort drüben! Aber nicht mehr lange! Wir bevorzugen Schatten und Stille, und wenn jemand gegen unsere Wünsche verstößt, wird er selber verstoßen, er geht verloren und gibt sich damit völlig preis. Hat dieses Mädel sich doch den Schlüssel unter der Türdacke geholt! Als wäre sie dort schon ewig zu Hause, ja, die dort mit den Flip Flops an den Füßen und einer so hautengen Jeans, daß sie aussieht, als würde ihr Körper jeden Augenblick aus ihr verstoßen werden müssen, weil dort kein Platz mehr ist, oder diese Hose gönnt ihn ihr einfach nicht, diesen Platz, so sieht es für mich aus, die Hose will ihn für sich allein. Ich habe keine Ahnung, was eine so enge Hose bewirken kann, vielleicht ist sie nicht unpraktisch, um einen Menschen, der noch unfertig ist, zusammenzuhalten, bis er endlich fertiggemacht werden kann und unendlich befreit im Freien steht, um sich der Öffentlichkeit zu zeigen, doch ich sehe die huschende Spiegelung auf dem Glas, es ist unmöglich, daß die Kleine, diese Schülerin (Mitschülerin?, neue Mittelschülerin?) oder was sie ist, sich dort drinnen aufhält, das ist eine Unmöglichkeit, die wir aber durchaus für möglich


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halten, im Gegensatz zur Lehrerin, die das alles nicht glauben kann und nicht glauben will, obwohl sie es sieht. Das muß eine fatale Morgana sein! Sagen wir es so, die Wahrheit liegt nicht immer in einem Brunnen, aber bei mir liegt sie zumindest sehr tief. Manchmal liegt sie aber auch auf der Hand, man muß immer dafür bezahlen, doch für das Geld ist dann auf der Handfläche kein Platz mehr frei. Das Geld muß stehen und sich fest am Konto anhalten und warm anziehen, und da kommt eine Menge Kurven! Oder nur noch für das Geld ist Platz, und alle andren müssen stehen. Sie können es sich aussuchen! Diese Hand ist verödet, diese Stadt auch. Und die wichtigeren Aufschlüsse gewinnt man nur, wenn man möglichst genau die Oberfläche der Dinge betrachtet, dann weiß man auch, was sie wert sind und ob es sich lohnt, für dieses Entzücken auch die Börse zu zücken und etwas abzudrücken, das dann nicht mehr in die Tube zurückgeht. Dunkel ist es in den Tälern, wo wir sie die ganze Zeit gesucht haben, nicht aber auf den Berggipfeln, wo sie zu finden wäre, sagt der Dichter. Was noch? Einen Stern mit den Blicken grade nur streifen (die äußeren Teile der Netzhaut sind für schwache Lichteindrücke empfänglicher als die inneren), das heißt, den Stern deutlich sehen, seinen Glanz am besten in Gewahrsam nehmen, diesen Glanz, der immer trüber wird, je mehr wir ihm unseren vollen Blick zuwenden. Denn sobald eine größere Anzahl von Strahlen direkt aufs Auge trifft, wird unser Wahrnehmungsvermögen schwächer, doch in der Streife, auf die unser Blick geht, ist unsere Wahrnehmung viel schärfer. Unangemessene Tiefgründigkeit irritiert und schwächt das Denken (sagt z. B. Poe, einer von den ganz wunderbaren


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Dichtern, Sie kenne ihn eh, es hat sich gelohnt, daß er gelebt hat, unbedingt! Das finden Sie doch auch? Das finden Sie bezüglich andrer Menschen eher nicht, aber Poe darf, von Ihnen aus, und andre dürfen auch, aber nicht viele? Bravo. Ich jedenfalls beharre beharrlich darauf, daß es solche und solche gibt, keine Ahnung, was ich damit meine, keine Ahnung, was das soll), und es ist möglich, daß ein Gestirn verschwindet, indem wir es allzu beharrlich und konzentriert, allzu direkt mit dem Fokus unserer Augen aufs Korn nehmen. Was sagt uns das kleine Leben, wenn wir unseren direkten Blick darauf richten? Nichts. Wir sind keine kleinen Dichter, wir sind große Dichter, nein, vielleicht doch lieber gar keine, und dennoch leben wir und machen ab und zu einen kleinen Spaziergang, und den machen wir immer wieder nach, wir gehen uns selbst nach, irrende Fremdlinge, aber unser Weg ist vorgezeichnet, und zwar von uns selbst, wir sind ganz wir selbst, oh je, und wir sind eben selber schon groß und können flott marschieren, ein Dichter marschiert in dem anderen herum und nimmt sich, was er braucht, oder er geht in einem andren Menschen herum und nimmt sich, was er braucht, nur in den Dichtern gehe ich persönlich noch spazieren, da ist auch noch einiges zu holen, ich kann ja nicht mehr raus ins Freie, vielleicht werde ich auch mal eine von ihnen, denn sie schreiben Tagebücher und wissen auch warum, sagen es uns aber trotzdem noch einmal extra, so. Ich mag nicht mehr in mir selber, an meinem tödlichen Rand, spazierengehen, wenn keiner mitkommt und auch sterben will, nur wer auch sterben will, darf mit mir gehen, aber er muß sich eine andere Methode ausdenken, zur Vorsicht sage ich meine hier nicht,


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sonst geht noch einer mit, willst du mit mir gehen? Bitte nicht! Und wie geht es danach weiter?, irgendwas mit Regenbogen, oder?, wer sollte diesen Uraltschlager denn noch kennen?, so gut wie keiner war damals schon auf der Welt, und wenn, dann ist ihm die Aussicht aus diesem Fenster längst verbaut und wird bereits wieder abgerissen, damit man den Niedergang dieser Stadt auch äußerlich merkt. Ich bin sehr erbaut über mein Sagen, das muß ich zugeben. Komisch, ich bin fast immer allein und das gern, ich bewege mich nicht fort, weil ich ja eben so sehr erbaut bin, daß ich mich nicht rühren kann, aber manchmal möchte man, daß jemand mitkommt, und da man sterben muß, ist der einzige Trost, daß alle sterben müssen, das ist auch ein Trost für jene Einsamen wie mich, die andre Menschen normalerweise scheuen, seltsam, beim Sterben will ich ja auch allein sein, aber es tröstet mich dabei, daß alle es tun müssen, und wenn sie es nicht tun wollen, wird es für sie getan, wenn auch nicht immer so vorbildlich wie der Kannibale von Rotenburg das geleistet hat, allerdings: Beim Penis hat er geschummelt, er konnte ihn nicht abbeißen, wie gewünscht, diese Masochisten sind manchmal wirklich autoritär, und das Messerchen war auch zu klein, so hat er ein Schneidbrett und ein größeres Messer nehmen müssen; da lagern, vorm Tor meines Todes, die Preise aus purem Gold, Papier oder Hartgummiweizen, nein, Hartmetall, die ich erhalten habe, da lagern sie, wie mondenbeschienener Schaum auf den Wiesen, aber keiner will diese Wiesen mit mir betreten, und wenn mal einer will, dann lasse ich ihn nicht. Na ja, auf die Berge wollen sie eh nicht mit mir, sie nicht mit mir, ich


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nicht mit ihnen, das wäre uns beiden zu anstrengend. Wo ich doch so aufnahmefreudig wäre wie jeder andre Dichter auch, allerdings mit dem Unterschied, daß ich keine Menschen aufnehme, das liegt daran, daß ich mich nicht mit anderen teilen will, ich will mich nur alleine teilen, obwohl ich kein Einzeller bin, sondern nur eine Art Nonne in meiner Zelle, eine Nomade, nein, eine, wie heißt das? Monade, äh, Made, ich bin ein Parasit in fremdem Schaffen und überall dort, wo ich noch weniger als nichts zu schaffen habe; die zärtliche Beleuchtung dazu könnte ich aus meinem reichhaltigen Fundus, der für drei Leben reichen würde, obwohl ich nicht einmal eines führe, stellen, aber keiner da. Niemand da, bis ich selbst verwesen werde, hallo! Nein, ich hatte recht, keiner da, sehen Sie, deswegen, auch deswegen schaue ich mir so gern diese wunderbare, weise Begräbnisserie SFU an, in der die Zeit vergeht, und man merkt es auch, immer wieder muß ich schauen und versuchen, die feinsten Differenzen zu verstehen, sie läuft ununterbrochen durch mich hindurch, diese Serie, wie der Tod durchs Leben, blind für die Bitten unserer frisch für den Sarg ein letztes Mal geschminkten Lippen (ich jedoch hoffe immer auf einen neuen Tag, für den ich mir schon einen neuen Lippenstift gekauft habe), jeden Tag, wie Wasser, gestern schon wieder sogar zwei Folgen, das muß sie, ich werde in meiner Lage als Flußbett für TV-Serien gar nicht merken, wenn ich mal selber runter muß unter die Erde, am liebsten ohne Sarg, wie Nates Frau, wie hat sie noch schnell geheißen, die, die er vor Brenda geheiratet hat?, Hilfe!, bitte, helfen Sie mir!, ah ja, danke Wiki, Lisa meine ich, Lisa, Liz wollte ohne Sarg,


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an den sie nicht auf Dauer gebunden sein mochte, hinunter, aus biologischen, umweltschonenden Gründen, Nate wollte das dann später ja auch, er wurde in einer Art Reisetasche aus Leinen oder Plastik, eher Leinen, weil es Bio ist und verrottet wie der Mensch, begraben, und mein eigener Tod schließlich wäre auch das schlichte, schlechthin ohne Sarg Gewünschte, das nur mit mir selbst als Sarggebinde Erwünschte, ich sage es in aller Deutlichkeit: Allein mein Fleisch soll dort runter, aber keinesfalls neben Mama und Papa, überall liegen, nur nicht mit denen zusammen!, weil ich soviel Zeit mit denen im Leben verbracht habe und inzwischen eh nicht viel von ihnen übrig ist, das lasse ich Sie hiermit offiziell wissen, das gehe ich jetzt gleich einmal anleiern, muß mich erkundigen, an wen man sich da wendet, damit man keine letzte Hülse bekommt, die von der Erde womöglich ausgeworfen werden könnte, na ja, ich bin manchmal, selten, schon recht rasant, aber ein Geschoß bin ich deswegen noch lange nicht, mir setzt sich keiner auf den Schoß, das mußte ja kommen, dieser blöde Witz, wie das Amen im Gebet, Sie haben schon nicht mehr drauf gewartet, Sie haben ihn aber trotzdem bekommen, den müden Scherz, der noch müder ist als ich selber. Am Ende bin ich trotzdem, egal, wo man beginnt, ich habe keinen Anfang, denn der war schon ein Ende, das Ende ist vielleicht bereits eingetreten, ich hätte es ja gar nicht gemerkt, weil es wie ein Anfang ausgesehen hätte, aber sogar das Eintreten wäre dem Ende schon zuviel Arbeit gewesen. Wohin soll ich mich wenden, wenn Qual und Schmerz mich drücken, wem künd ich mein Entzücken, wenn treulich pocht mein Herz, nun ja, nimmer lang? Dem Salzamt, ich sagte es schon


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öfter, meine Besuche dort haben mich immer recht zufriedengestellt, ich habe dort sogar an Besichtigungen teilnehmen dürfen, in der Saline Hallein, nein, dort war ich auch noch nie. Und was sehe ich? Da stehen auf einmal zwei Männer, nein, nicht im Walde, sondern am Rande des Ortes, ich rieche ihre feuchte, klebrige Schwere, Moment, da steht nur einer, habe ich etwa doppelt gesehen? Es ist schon schwierig genug, in sich hineinzuschauen, um etwas als Dichtung an die Oberfläche zu zerren, kaum, daß es begraben wurde und unter einem Erdschleier zusammengezuckt ist (sehen Sie, wie praktisch es ist, wenn man nicht auch noch einen Sarg aufschrauben muß?), und dann erscheint es gleich paarweise, vielleicht liegts an den Augen, links habe ich noch zusätzlich diesen lästigen schwarzen Wollfaden, den ich nicht und nicht vergessen kann, Kunststück, er erinnert mich ja dauernd!, ein Egoist, wenn es je einen gegeben hat, den Faden also vor meiner Pupille, aber die Männer kann ich sehen, wenn auch links unscharf, rechts muß ausgleichen, rechts, bitte melden!, aber der führt sich wie mindestens zwei auf, dieser Mann dort, neben dem Glascontainer, dieser Zwilling, und er raucht sich in Ruhe eine an, halt, es sind doch zwei, dicht nebeneinander, es sind die letzten Zeugen, welche die letzten Zeugnisse ausstellen, Engel in Amerika?, apokalyptische Reiter, versprengte Reiter, also ein Pferd sehe ich nicht, auch keinen Sprengstoff, und mein Zeugnis ist, äh, mein Zeugen finden Sie hier, im Gegensatz zu meinen Schulzeugnissen, die Sie in einem Karton auf dem Dachboden finden, genau dort, wo ich mich vor Papa versteckt habe, als er ein letztes Mal unser Haus besichtigte, das er sowieso


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nicht wiedererkannte, ja, mein Zeugnis, alles beisammen, da liegen sie beieinander, und ich liege auch da, ich brave ewige Vorzugschülerin, bin leider immer eine solche gewesen, das sage ich hier ohne Scham, denn es ist gewiß das Letzte, mit dem jemand öffentlich prahlen würde, aber dies hier ist schließlich privat!, die Leute jedoch sehen mir meine Ranzigkeit als ehemalige Vorzugschülerin schon von weitem an und verachten mich dafür, das fällt schon kaum noch auf, da sie mich ohnehin für alles andre auch verachten, sogar für das, was sie gar nicht von mir wissen, bitte folgen Sie mir, ich führe Sie jetzt durch mein ganzes reichhaltiges Denkhäuschen mit den hübschen Verzierungen aus Zucker, welches zur Gänze eßbar ist und auf den Hänsel wartet, aber nur eine Gretel zum Fressen kriegt, nur probieren Sie das nie aus, aber nein, sie reden und reden, die Leute, die eine Führung durch mich nicht wünschen, sondern sich lieber alleine umschauen wollen, sie gebärden sich irgendwie und gebären ab und zu, trinken und hören dazu Popmusik jeder Art und Gattung, es interessiert sie nicht, wer ich wirklich bin und was ich tue, da kann man nichts machen, es ist ja auch wirklich uninteressant, und zum Beweis schreibe ich dies hier auf; sie lächeln und reden, die Leute, als wäre ich gar nicht da, und da sie mich nicht beachten, nehme auch ich nichts wahr. Die Geräusche, die ich erzeuge, werden immer lauter, es muß mich doch endlich jemand hören!, wenn schon nicht sehen!, aber es ist, als spräche ich in Watte, nein, diese Lebenszeugnisse werden nicht gut ausfallen, im Gegensatz zu meinen Schulzeugnissen habe ich im Leben total versagt und versage, bloß weil ich es


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kann, hier gleich weiter, und dort, diese Zeugen, das sind immer mehrere Menschen, denn einem allein würde man das nicht glauben, die warten doch nur darauf, Zeugen zu werden, sie reden leise durcheinander, obwohl sie nur zu zweit sind, die Aasbeschauer oder was sie sind, dort, beim Container, sie ziehen an ihren Zigaretten, Lichtpunkte glimmen, nur mir geht kein Licht auf, sie werden Zeugen sein, bloß wissen sie es noch nicht, sie konzentrieren sich aufs Rauchen, was sie nur noch im Freien dürfen. Zwei Totenführer, oder? Zwei Übersetzer, nein, nicht Untersetzer, übersetzen kann man das nicht, und unten brauchen wir nichts, keinen Untersetzer, wir sind noch nicht inkontinent, aber bald, mein Schreiben ist es leider jetzt schon, ich kann das Wasser nicht halten. Ich sehe nur den Fluß noch nicht, den ich doch gewiß bereits erzeugt habe. Die Frau wirft, in schwesterlicher Unzertrennlichkeit mit mir (aber ich habe meinen eigenen Mistkübel, darauf habe ich immer gepocht, und er hat mir hohl geantwortet, zumindest solange er noch leer war), nun ihre Flaschen ein, nach Helligkeit und Dunkelheit geordnet, mir bleibt das Trennen im großen und ganzen erspart, ich kenne nur das Dunkle (Weißglas oder Buntglas, wissen Sie, daß sich meine Welt beinahe darauf reduziert?, viel weiter gehen kann ich nicht, ich komm nur bis vorn zum Glascontainer, das sind ungefähr hundert Meter, von mir aus. Den fürs Papier, genau den, den ich dringend brauchen würde, haben sie mir weggenommen, weil die Autos dort vorn sonst nicht richtig wenden können, wie gut, daß für mich eine Umkehr eh viel zu spät käme, schon weil ich dafür keinen Platz hätte, meine Welt würde platzen! – können Sie sich das überhaupt


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vorstellen, daß man nie zu weit gehen kann, daß man im Grunde, den man aber nicht kennt, nirgendwohin kann?), es wird freundlich gegrüßt, keine Ahnung, wer wen grüßt, eine Spur wird verloren, eine andre aufgenommen, ein Tier heftet sich zitternd und witternd an den Boden, ein Treffpunkt, am Hauptplatz der benachbarten Stadt, in der es ein Einrichtungshaus gibt, nein, nicht das ganz große, das Allergrößte, gleich nach dem Himmel und der Hölle das Größte, was es gibt, zu dem müssen Sie ziemlich weit fahren, egal, wo Sie grade sind, und dieser Treffpunkt wird auf die Minute (die Frau ist immer pünktlich! Auch diese Wohlerzogenheit zählt natürlich nichts, sie zählt nicht für ihre SchülerInnen und nicht für ihre Freundinnen, na ja, für die schon ein wenig, die warten nicht gern) diesmal nicht eingehalten. Es wird ihr von den Freundinnen, den beiden, die sie hat, Nummer eins LehrerIn in der Volksschule, Nummer zwei pensionierte LehrerIn in der Volksschule, immer korrekt!, entgegengegangen, wo bleibt sie nur, unsere liebe, begabte Brigitte?, die es weit gebracht hat, denn geschenkt wurde ihr nichts, eher genommen, da ist sie ja! Sie tut nie laut, sie tut immer leise, nein, sie ist es doch nicht, so leise wäre nicht einmal sie, nach einem kurzen Fußmarsch wird das Einfamilienhaus erreicht, diesmal von außen, denn der Treffpunkt ist bis dato leer geblieben. Es wird also Nachschau gehalten. Die Frau ist nicht da, das spüren wir schon, wenn wir uns dem Haus nähern. Bravo! Solch kurze Sätze gelingen mir ja auch!, hätte ich gar nicht gedacht! Hätte ich mir gar nicht zugetraut, etwas zu sagen! Aber bei den kurzen wiederhole ich mich öfter, die bieten einem nicht so viele Möglichkeiten, die


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langen Sätze kann man beliebig variieren, dafür kann man sich in den langen verirren und tut es auch, man vergißt so leicht den Anfang, aber den Schluß findet man immer, auch wenn er kein Prädikatsschluß ist, denn von dieser einen Möglichkeit des mich Verrennens in Nebensätze und Nebensächlichkeiten mache ich reichlich Gebrauch, damit Ihnen einleuchtet, was ich sage, Sie davon aber so verwirrt sind, daß sie glauben, ich hätte überhaupt was gesagt, was nicht der Fall ist. Und am Ende fehlt dann das Wichtigste. Ich schreibe, aber ich sage nichts, es ist ja niemand da, dem ich etwas zu sagen hätte. Aber das war z. B. doch recht gut gesagt, oder? Es war vorhin realistisch erzählt, wie gewünscht, da bin ich mir ganz sicher, nur habe ich es nicht durchgehalten. So lang haben Sie es von mir verlangt, und auf einmal kann ich es, super!, aber eben nur den einen Satz lang. Wow, wie Brenda öfter zu sagen pflegt, nach meinem Geschmack etwas zu oft! Im Vorzimmer steht noch ihre Tasche, nein, nicht die Brendas, die ist noch im Fernsehn bei SFU beschäftigt, aber erst in der Nacht, wenn ich endlich Zeit für sie habe, derzeit arbeitet sie in einem oder mehreren andren Fernsehgeräten, da bin ich mir sicher, das Gute kommt allerdings immer erst des Nachts, wenn ich, ausgerechnet dann!, schlafe oder fernsehe, ich meine die Tasche Brigittes, die sehe ich in der Nähe, die steht doch in der Küche, oder?, nein, inzwischen steht sie auf dem Bett dort, im Schlafzimmer, und das Bett ist ebenfalls ordentlich zurechtgemacht. Nur der Sack mit den Altglaslasten ist weg. Das Auto, der kleine Japaner, steht auch noch geduldig oder wie auch immer, es nützt ihm ja nichts, nur was uns und unseren Kindern, die


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empfindlicher sind, schadet, nützt dafür ihm: Benzin, super Benzin, selig und voll steht er millimetergenau an seinem Platz. Vom Nußkipferl ein paar Brösel, mehr ist nicht übrig, die Flasche ist geleert, die neue noch nicht geöffnet, die Notentasche nicht ausgeleert, die Geige auf der Bank, die kleine Wohnung aufgeräumt, nur die Küche trägt die wenigen Spuren der Benützung. Im Schlafzimmer die leere Packung einer neuen Strumpfhose, aufgerissen die Verpackung, eine Schranktür offen, zwei Röcke (Schoßen sagt man hier, die aus den Frauen schnittige Wesen machen soll, damit sie, gebannt unter ihren Unterleibern, dennoch herumsausen und Bekanntschaften schließen können, falls nötig, aber unbedingt nötig ist es ja nicht) hingeworfen. Niemand zu Hause. Oder? Oder doch? Die Geistesgegenwart besteht und wird gewahrt, dennoch: Die Frau hat etwas wahrgenommen, das sie aus ihrem Leben in eine andre Dimension katapultiert zu haben scheint, denn sie bleibt plötzlich verschwunden. Plötzlich verschwunden, damit meine ich: Vorhin war sie noch da, jetzt ist sie weg. Sie ist fort, ehrlich, ich sollte meine Sprechweise verbessern, aber das kann ich nicht anders sagen. Wird jemand die Gendarmerie verständigen? Das ist hier so üblich, wenn ein Verdacht besteht oder auch kein Verdacht und jemand trotzdem weg ist. Doch derzeit besteht vieles, sogar die Bauordnung im ländlichen Raum, nur kein Verdacht. Der nicht. Jetzt müßte hier stehen, daß einsame Wälder und Forstwege durchsucht werden, aber nichts, keine Spur von der etwa, nein, ganz sicher und egal, was sie selber sagt: 53-Jährigen, doch ich glaube das nicht, ich meine, ich glaube, sie ist älter, was aber auch noch nicht soo


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alt wäre. Es ist nicht so, daß sechs Stunden später ein Vertreter, der kurz austreten möchte, einen kleinen Feldweg betritt und auf die Leiche der Vermißten trifft, halb nackt, nur mit Unterwäsche und einem hochgeschobenen T-Shirt bekleidet, Rock, Schuhe und Strumpfhose fehlen, Stich- und Würgespuren am Hals sind stattdessen achtlos dagelassen worden, aber gelassen sind sie nicht, die aufgescheuchten Moleküle des Todes toben immer noch im Fleisch herum und lösen es besonders rasch auf, allein dieser Stress, ermordet worden zu sein! Bei Stress tritt die Leichenstarre angeblich früher ein, das Gesicht ist aufgedunsen und blauverfärbt, zahlreiche punktförmige und kleinfleckige Blutungen befinden sich in den Bindehäuten, den Augenlidern, der Gesichtshaut und der Mundschleimhaut, am Hals (diesmal nicht im Nacken) Würgemale: fleckförmige bläuliche Hautverfärbungen und hell- bis dunkelbräunliche Hautvertrocknungen, wo früher vielleicht wenigstens ein wenig Verlockung war (zum Teil halbmondförmige Veränderungen plus Fingernagelspuren, zu Schluckbeschwerden kam es begreiflicherweise nicht mehr. Ich sehe schon: Davon erholt man sich nicht so schnell, bis zum Begräbnis aber ganz gewiß, bis dahin vergeht eine Menge Zeit, wenn der Tod nicht natürlich war, aber natürlich ist es immer der Tod, der einen in solche Situationen bringt, daß andre einen wegschaffen müssen, damit man die Lebenden nicht mit seinem Aussehen beleidigt. Nein, so ist es nicht. So war es nicht. Mit dieser Frau ist etwas anderes passiert. Es könnte so sein, aber so ist es nicht. Eine Tote haben wir zwar da, ich bin Augenzeugin, wenn auch nicht ich mitsamt meinen Augen, von denen das linke schon nicht mehr so


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funktioniert, wie ich es gern hätte, sagen wir mal, mein dichterischer Astralleib war Zeuge, nicht nur die liebe Sonne, ich weiß aber nicht, vor wem meine Augen aussagen könnten, und wenn sie zeugen könnten, das rechte mehr als das linke, würden sie sich gut überlegen, was und wo. Gut, es ist beschlossene Sache, ich zeuge hier und sonst nirgends. Man fragt mich auch nicht. Eine Leichenschau am Fundort wird es nicht geben, denn die Leiche wird schon verschwunden sein, sobald man sie gründlich beschauen möchte. Es wird keine scharfe Gewalt gewesen sein, es wird stumpfe Gewalt gewesen sein. Nein. Auch nicht? Was dann? Hände als Tötungsdeliktwerkzeug? Wie viele haben nur ihre Hände, um zu arbeiten, da sie für andres nicht begabt genug waren, und sie töten dann doch nicht? Hier fehlt jedes andre Werkzeug, welches Handlungsunfähigkeit erzeugen könnte, doch ich bin mit oder ohne Werkzeug zu jeder Handlung vollkommen unfähig. Diese Frau ist aber unweigerlich tot, obwohl sie sich, da bin ich mir ganz sicher, geweigert hat zu sterben. Meine Schuld ist das nicht, es wurde mir so eingegeben, und ich gebe es nur in mein Gerät ein, ich renne dieser Gabe nach, die ich habe oder mir wenigstens einbilde zu haben. Man sieht die Frau hier nicht, ich führe meine weiterführende Sprache hier aus, aber Fotos zeige ich keine, obwohl auch das keine Kunst wäre, heute hat ja schon jeder so ein Fotogerät bei sich, im Telefon, das ist schon längst erfunden, nur der Geruchsbildschirm ist noch nicht erfunden, nicht einmal der ist erfunden worden, dafür aber so vieles andere Schöne. Das hat alles keinen Sinn, den man mit Namen anreden könnte und der dann darauf reagieren würde, man


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riecht nichts, aber die Frau ist trotzdem tot. Ich bin ratlos. Es ist anders, wie es aber auch nicht stimmen muß, nur die Geige muß gestimmt werden, alles was ist, stimmt, weil es ist, nur die Geige stimmt noch nicht, eine Frage des Gehörs, ich jedoch bin eher ein Augen- und Geruchsmensch, und mein Geruchssinn ist noch nicht befriedigt, wird aber überall sonst zur Genüge befriedigt, die Industrie hat unglaubliche Dinge für mein Klo erzeugt, die ich aber allesamt nicht verwende, an meinem Arbeitsplatz benötige ich diesen Sinn, den ich ohnedies nicht finden kann, außer im Regal des Drogenmarktes, also nicht unbedingt. Alles wird zur Unterscheidung von anderem gesagt, sonst müßte man ja gar nichts sagen, doch man spricht ja immer, nur woanders. Jedenfalls nicht in meiner Nähe. Man spricht, doch wer ist es, der redet? Wer hat hier geplaudert? Ist ein Schrei gehört worden, was auch nichts sagen würde, sondern eben schreien? Besteht Verdacht, der geweckt wurde, wehe, wenn mich jemand weckte, aber einen Verdacht, den können Sie immer unbesorgt wecken, ein andrer wird die Arbeit haben, ihn wieder einzuschläfern. Dieser Bankdirektor beispielsweise hat, bereits unter strengem Verdacht der Selbstverschleuderung unter der Hand, noch eine siebenmillionenfache Abfindung kassiert, die Bank fliegt – und eine Heuschrecke fliegt ihr genau entgegen, wenn das keinen Unfall gibt! – gerade fort, ihr geht schon der Hut hoch, weil sie es hier zu nichts gebracht hat und alle jetzt sehen, daß sie kahlgefressen ist, aber wer sich selbst befleckt hat, kassiert dafür doppelt und dreifach, falls möglich, was sein Rückenmark gewiß nicht beschädigen wird. Sowas gelingt natürlich nicht jedem. Die Impotenten


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müssen sich bei einer andren Schlange anstellen, um von der Schlange in die Fersen gebissen zu werden, wenn sie nicht schnell genug vorrücken. Sie sollten das nicht probieren, was auch immer, hab vergessen, was in diesem Fall, Sie können stattdessen die Leiche dann, wie immer, bei mir suchen (beim Menschenfresser in der Tiefkühltruhe), ich melde mich freiwillig, weder Sie noch ich haben je was andres zu tun als zu suchen, meinetwegen einen Sinn darin, eine Lehre daraus, was auch immer, suchen Sie aber bitte auch im Keller, wo einst Kohle war, wo einst das Kind eingesperrt war, dort ist zu suchen nicht mehr nötig, das Kind ist da, aber die Kohle in meinem Keller, die können Sie meinetwegen suchen, Sie werden nichts finden, die Kohle wurde schon vor zwanzig Jahren von einem Herrn, der sich auf unser (eigentlich auf Mamas) Inserat hin gemeldet hatte, abgeholt, in Form eines hübschen Kohlegeschenks. Nur meine gemeine, irre Mama, welche diesen Herrn, dem sie ihre Kohle als Brennstoff anvertraut hatte, einfach vergaß, nachdem er mit der ganzen Kohle abgezischt war, vergessen hat, daß der Mann ihre Kohle ja geschenkt bekommen hatte, hat meinen armen Freund – und wieder einmal mußte ich zum Erbarmen schluchzen, was mir natürlich ebenso wieder nichts genützt hat – verdächtigt, seinerseits die gesamte Kohle gestohlen zu haben, jede Nacht heimlich in unser Haus gekommen zu sein und tonnenweise, säckeweise Kohle weggeschleppt zu haben, denn sicher hatte der nichts Besseres zu tun, er hatte ja überhaupt nichts zu tun, und mit mir sollte er schon gar nichts zu tun haben, das durfte nur Mama tun, mich durfte nur Mama haben und sonst keiner, so, da war die ganze Kohle natürlich


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schon längst weg, der von mir Begnadete, mit Beachtung Beschenkte, hatte sie nicht, bitte, das konnte ich beweisen, der mit mir und fünfhundert Kilo oder was weiß ich wieviel Kohle Beschenkte hatte sie sich ja davor schon längst geholt, bevor es noch ein andrer hätte tun können. Ordentlich laut war es bei uns daheim. Alles führte zu Geschrei, Anklagen und Beschuldigungen. Ach ja, das war schon eine schöne Zeit, schön, schön, schön war die Zeit, und sie hat immer Menschen verdächtigt, die Mama, sie bestohlen zu haben oder gerade im Begriffe zu stehen, ihr etwas zu stehlen, oder vorzuhaben, ihr etwas zu stehlen, ja, auch mich hat sie beschuldigt, nicht einmal vor mir ist sie zurückgeschreckt mit ihren Beschuldigungen, wo ich ihr doch längst selbst gestohlen bleiben konnte und auch gestohlen worden war, sie mir auch, ja, Sie mich auch, wenn wir schon dabei sind, und genau diese Begriffe für Raub und schweren Diebstahl haben ihr nie gefehlt, sonst hat ihr nichts gefehlt, ich meine, sonst war sie gesund, was wollte ich sagen?, keine Ahnung, am Schluß war sie jedenfalls recht krank, krank an ihrem natürlich ebenfalls leibeigenen Geiste, die Mama, alles, was es gab, würde zu ihrer Leibeigenen, so wie auch der Kannibale der Leibeigene seiner Mutter war, Sie sehen, wohin das führt, aber ich führe Sie gern in meinem Haus herum, vielleicht finden Sie sie ja, ich hoffe nicht, Sie könnten höchstens Reste von ihr finde, ich hoffe nicht, ich kann, wie Poe angibt, meinen Stuhl (den Stuhl der Geigenlehrin meine ich, nicht meinen) in einem anhaltenden Triumphgefühl genau auf die Stelle rücken, wo darunter die Leiche des Opfers ruht, des Sohnes- bzw. Tochteropfers. Nein, dort ruht nichts,


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dort klopft etwas gegen den Fußboden, und zwar von unten, gegen den Fußboden, bin das etwa ich?, nein, das kann ich nicht sein, ich bin ja hier und klopfe Steine, äh, Tasten, ich bin nicht unter dem Fußboden, auch nicht unter dem, den das Auto hat, den gut geschützten Unterboden, doch immer knapp daneben, mich zu suchen, das war Ihr Sinn?, das hat keinen Sinn, zumindest hier unten hätte es keinen Sinn, den Beton hätten Sie nicht aufgraben können, dafür hätten Sie einen Preßluftbohrer gebraucht. Und nur um mich zu finden? Zuviel der Ehre! Wir können das alles dort unter der Erde, wo wir Toten ruhn, derzeit noch nicht genau sehen, und ich werde es sowieso nicht beschreiben können, was auch?, es passiert hier ja nichts, das weiß ich inzwischen, und Sie wissen es ebenfalls, länger als ich sogar, also lasse ich es gleich,  überlasse ich es Ihnen, nicht das Schreiben, sondern das, was ich eigentlich hätte schreiben wollen, ich wünschte, ich hätte meinem Thema mehr Beachtung geschenkt, als noch Zeit dafür war, aber mir schenkt ja auch keiner was, diese kleine Novelle hätte ich schreiben sollen, die ich ursprünglich geplant hatte, eh nur eine ganz kleine, das, was passiert ist, hätte ich erzählen sollen, ich kann es nicht, ich kann es nicht beschleunigen, denn das Erzählen besteht im linearen Beschleunigen, mich bringt jedoch keiner in die Gänge, ich muß leider selber gehen (schon greift wieder dieser Poster, der einen fixen Posten in der Elektronik dieser Zeitung hat, und es ist immer derselbe, es ist immer dasselbe, aber in Gestalt eines immer anderen, und er greift entschlossen zu seinen Fingernägeln, setzt sie sich gezielt ein und ätzt, daß ich ja selber sage, daß ich es nicht könne, das Schreiben, bitte, lesen kann


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ich noch, aber schreiben kann ich nicht. Ich sage es ja selber! Möchte wissen, wo, aber recht hat er, aber auch wenn man recht hat, und im Netz hat ja jeder recht; zumindest solange er etwas Schriftliches hinterläßt, muß man das nicht dauernd vor sich hertragen wie ein Tablett mit einem Drink, nein, Drink ist zu hochgestochen, mit einem Getränk, ich habe nicht das Recht, Drink zu sagen, ich gehöre nicht zu denen, die das Kind in einer Bar beim Namen nennen dürfen, obwohl ich schon ein paar Namen kenne, nicht viele, aber ein paar schon, allerdings trau ich mich nicht, sie zu nennen, ein Tablett also mit einem Getränk, keine Ahnung mit welchem, ich kenne nichts und niemanden, ich kenne höchstens die Namen, so kriege ich auch keine Scherereien, ich kenne auch die Getränke nicht, die es überhaupt geben würde, ich bin jemand, der sich bereits ergeben hat, aber nicht dem Leben ergeben, ich bin jemand, der außer sich geraten ist und sich schon lang nicht mehr findet, denn ich bin nur noch ein Geräusch, nur das Echo eines Geräuschs, das von allen Seiten auf mich selber eindringt, ich muß mir vor mir selbst die Ohren zuhalten, und dabei bin ich doch eh so leise, meine Nächte in der Disco waren nicht viele und nicht oft, und sie sind lang vorbei), so, wir machen weiter, obwohl es nicht sehr weit sein wird, denn ich mache auch nicht viel her: Wir sehen also, sicher haben Sie es bereits vergessen, aber keine Sorge, ich erinnere Sie immer wieder daran, ich sage ja faktisch immer wieder dasselbe, Sie sehen hier also, bitte treten Sie vor!, nur diese verschmutzten Fensterscheiben, es kommt ja keiner zum Putzen, hinter denen die vermeintlichen Schatten, die vielleicht lebende


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Menschen sind, was sollten sie sonst sein?, sich dehnen und strecken, als wollten sie endlich aufstehen, und Sie sehen, daß die Zeit sich ganz schön zieht, nein, nicht dahinzieht, sondern dorthin, der Zug der Zeit geht nicht in unsere Richtung, wir sind alte Frauen und werden von nichts mehr verständigt und wenn, dann zu spät. Sie sterben jetzt, Frau J., danke, aber das hätten Sie mir wirklich etwas früher sagen können, dann hätte ich mir eine andre Unterhose angezogen! Man spricht wegwerfend über uns Tote, doch wir gehen nicht, wir müssen schon geworfen werden, das Geräusch des Sprechens wird immer lauter, und zwar das Geräusch derer, die was zu sagen haben, jawohl, und nein: Wir sind damit nicht gemeint, obwohl wir selbst auch schon sprechen können, falls wir Tote in Säuglingsform gewünscht werden, inklusive Stummel- und Stammelsprache, wir haben es in unserer Jugend gelernt, wie man selber spricht und sich damit durchsetzt, und wir haben auch dazugelernt, was andre dazu sagen werden, und das sagen wir dann halt auch noch dazu, doch es ist nicht erwünscht von uns, wir Lächerlichen, Überflüssigen, ist es denn möglich, daß wir unsere Schande nicht hören wollen? Daß alle anderen unsere Schande hören, nur wir nicht? Weil du nicht willst!, sagte Mama, bevor sie mir ins Gesicht schlug, ich wollte danach aber auch nicht mehr und nicht weniger. Dann hilft alles nichts, es muß gedruckt werden. Gedruckt? So wichtig sind Sie auch wieder nicht, daß das gedruckt wird, was Sie sagen! Genau. Besser nicht! Nie wieder! Es wird gedruckt (dies hier höchstens als Privatdruck), aber nur wir spüren den Druck, ja, jetzt spüren wir ihn, wir alten Frauen, die an den Dielen kratzen, daß die Leichen


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herauskommen, die wir bald sein werden und eigentlich jetzt schon sind. Jetzt haben wir es geistig so weit gebracht, auch körperlich, und gerade dann, wenn es am schönsten ist, müssen wir sterben, was eh schon keinen Unterschied mehr macht, nur merken wir dann, daß unsere Seelen nicht kochfest waren und ebenfalls eingegangen sind. Aber nicht einmal als Leichen werden wir ganz wir selber sein, wir werden immer weniger sein, als wir waren, die Fliegen werden ihre Eier in uns hineinlegen, und die Maden werden uns dann auch noch auffressen, die holen sich, was die Erde nicht mehr runterbringt, ein wenig origineller vielleicht?, werden wir dort unten eine seltene Art entdecken, die ausgerechnet uns dann ißt?, nein, wir werden genau wie alle Toten sein. Immer alles genau wie alle, wofür lebt man dann überhaupt? Es ist egal für uns, bis auf weiteres dürfen Sie uns damit aufziehen, daß wir Leichen auf Urlaub sind, aber einen Urlaub können wir uns nicht mehr leisten, und ich trau mich sowieso nicht wegzufahren, ja, ziehen Sie mich ruhig damit auf!, aber Sie haben den falschen Schlüssel eingesteckt, ich werde nicht laufen, nicht einmal, wenn Sie das Loch finden, werde ich laufen, ich werde nicht einmal gehen, wir werden alle nicht laufen, wir werden auch nicht gehen, wir werden ebenfalls tot sein. Ach, jetzt, da wir schon dort sind, bleiben wir auch unten, wir werden uns schon noch dran gewöhnen. Nur die kleine N., mein Idol, durfte wieder rauf, durfte wiederauferstehen, der schwere Stein über ihrem Grab war kurz weggewälzt, und diese Gelegenheit hat sie ergriffen, ich bin vom gestrigen Interview im Fernsehen immer noch ergriffen, ich bin total fertig, ich verehre


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N. so sehr. Und auch an ihr kann ich ablesen, könnte ich etwas andres lesen als Bücher und Zeitungen: Jetzt sind die Seiten der Lebenden und der Toten verwechselt worden, aber nicht von mir, oder doch? Kommen Sie ins Licht oder drehen Sie Ihren Bildschirm vom Licht weg, Sie sehen sonst meine Zeichen nicht, die ich Ihnen schon die ganze Zeit gebe! Ich weiß nicht mehr, ob das, was ich schreibe, von Toten oder Lebendigen stammt, das meiste ist von mir, und ich bin tot, das weiß ich definitiv. Ich kann mich trotzdem nicht mehr richtig orientieren, sondern nur falsch, mein linkes Auge hat sehr nachgelassen, meinen Nachlaß werde ich zu Dämmstoff verarbeiten lassen, und es sagt mir keiner, was ich jetzt noch schreiben soll, es sagt mir keiner was, das geschieht Menschen wie mir, die niemals lebendig gewesen sind, bevor sie starben, recht leicht und recht oft. Es geschieht uns recht. Sowas passiert. Shit happens. Wenn wir nicht Zeitung lesen, wissen wir gar nichts. Wen wir sehen, beneiden wir schon um sein Leben, das doch erst beginnt, besonders N., die mit Verspätung ihr Leben wieder neu beginnen durfte, die Poster und Blocksys geifern und nattern und vipern jetzt auch noch gegen sie, weil sie ja nur das eine Leben haben, aber sie sollten bedenken, was sie darin erleben durften, ohne klug geworden zu sein, während dieses Kind schon klug geboren wurde und immer klüger wurde, weil ihm nicht Hören und Sehen verging, obwohl es nur den ORF zu hören und ein paar Bücher und Zeitungen zu sehen bekam, na und?, ich brauch auch nicht mehr für mein Werk, denn ich kann nicht fortreisen, und mein Werk darf es auch nicht, mein Werk soll nicht mehr bekommen als ich, ich beneide mein Werk, das durchs


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Netz rauscht, aber schon so!, das kommt herum, und ich bleibe daheim, auch ohne Stein. Und wenn wir uns an die Jugend klammern, die wir so beneiden (es muß nicht mal unsere eigene sein, wir können uns eine nehmen, je nach Wunsch, Lust und Laune und Geldbörse für den Fettabsauger und Faltenweglaserer, diesen lebhaften Lauser, der einfach überall zugleich sein kann, nein, immer nur an einem Ort, aber das summiert sich, und was die dafür verlangen, das summiert sich auch, das ist Raub, Mundraub, aber die Falten überm Mund waren wirklich ziemlich ekelhaft, die konnten wir uns einfach nicht mehr anschauen, da konnten wir nicht mehr ruhig zusehen, das kommt vom Rauchen, keine Ahnung, was!, und das ist nur, was man sieht!), wenn wir uns also aus reinem, blankem Neid an einen jungen Körper klammern, ja, von mir aus an diesen, den Körper von N., die die ganze Zeit abseits von uns jung sein mußte, und auch diesen Körper stoßen wir jetzt von uns, der ist uns inzwischen lästig, aber das ist einer, der zufällig gar nicht uns gehört, das haben wir nur geglaubt, doch dies war ein Irrtum, wenn wir uns also an einen jungen Körper klammern, da geht der Postautobus aber ab!, und nur sitzen wir nicht drin, denn wir fahren mit dem eigenen Wagen, den wir uns grade noch leisten können. Ich habe keinen solchen Wagen. Ich wüßte nicht, was ich mit ihm anfangen sollte, und ich kann mir auch mit sonst niemandem etwas anfangen, ich will auch nicht. Sie hegen einen Verdacht, nein, Sie wissen, daß ich tot bin! Ich habe es Ihnen jetzt schließlich oft genug gesagt. Sie wollen, daß ich endlich weg bin? Aber ja doch, bin schon weg, das hat sogar ein Größerer als ich gesagt (also eigentlich


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ist er kleiner, ich bin 1 m 78 cm groß! Und er?, nicht annähernd!), aber er hat das auch noch früher als ich gesagt, und er ist immer noch da. Wie gut, daß es wenigstens einer weiß, daß z. B. Sie es wissen: Ich bin tot. Aber sagen könnten Sie es mir auch, wenn Sie es schon einmal wissen. Sie könnten mir einiges ersparen. Ich muß laufen oder sterben. Na, lieber sterbe ich als zu laufen, das ist auch schlecht für die Gelenke, das Laufen, wenn auch für andres wieder recht gesund. Ich gestehe: Hier, hier liegt eine junge Frau, vergraben neben der Stellfläche fürs Auto, wo die Erde weich und unschlüssig war, wen sie umschließen und was aus ihr werden sollte, nicht leicht, die Erde, aber weich nach dem Regen vorige Woche. Minutenlang schlug das Herz der jungen Frau noch weiter, das war nicht angenehm anzusehn. Es störte aber auch wieder nicht so sehr, daß jemand drauf aufmerksam geworden wäre. Endlich verstummte das Herz, nachdem es genügend Dummheiten und Bitten hervorgesprudelt hatte. Umsonst wird gesucht, die Spiegelung in der Scheibe zeigt uns an, daß gesucht wird. Nein, sie zeigt uns etwas anderes an, denn wir schreiten hiermit in der Zeit nach vorn, nicht der Zeit voran. Die Spiegelung geschah aber viel früher, sie brachte die Frau ja erst auf die Spur des Mädchens, das jetzt tot ist! Die Zeit macht eine vage Gebärde, die wir mißdeuten. Wir verstehen noch immer nicht, und die Zeit weiß es vielleicht selbst nicht, viele Verbrechen werden ja erst lange nach ihrer Zeit richtig gewürdigt: vor oder zurück? Der Zeit ist das gleich, denn für jeden herrscht ja immer die gleiche Zeit, nur die Uhren gehen manchmal anders. So, die Anzeige wird erstattet und wieder rückerstattet. Das Mädchen


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ist tot. Unsere N. lebt, was einen gewissen Ausgleich darstellt, denn wir haben ja nicht mehr damit gerechnet, daß sie lebt. Aber dieses andre Mädchen ist tot. Die Lehrerin legt ihre Geigenhand, nein, die Bogenhand auf seine Brust, ja, da ist kein Klopfen mehr. Da ist seltsamerweise ein Messer. Dieses Messer ist leider kein Zeitmesser, der keinem wehtut, außer uns älteren Frauen. Nimmermehr würde der Blick der Jugend die alternde, aber leider maßlose Frau mit der Wirklichkeit dieses Gesichts und dieses Körpers eines jungen Menschen quälen, nimmermehr der Neid auf die Jugend sie dermaßen sekkieren, die Frau, die ihre Jugend irgendwo verloren hat, wo sie nichts verloren hatte, und sie jetzt keiner andren gönnt. Dabei hatte sie ihre ja schon, und es hatte die andre, ja, die hinter den Scheiben, das muß sie sein!, aber nicht mehr lange!, das war sie!, ihre Jugend als Proviant selber mitgebracht, sie hat sie nicht gestohlen, die junge Frau, welche nicht mehr viel älter werden wird. Das ist für sie nicht vorgesehen, das Später. Der dazu recht gut passende junge Mann wird früher als gedacht in das hübsch bezogene Bett der Lehrerin zurückkehren müssen, aus dem er einer andren wegen kurz zu fliehen versuchte. Da bin ich mir ganz sicher, denn sie vermißt ihren Buben doch jetzt schon so sehr. Und jetzt ist: vorher. Wann ist später, wann ist früher? Ich kenne mich nicht mehr aus, doch es werden Umkehrungen, nein, das geht nicht, Vorkehrungen getroffen werden müssen, die Leiche des Mädchens zu verbergen, damit die Zeit wieder auf ihr ursprüngliches Niveau zurückgestuft werden kann, sonst beherrscht sie uns noch ganz. Vorher der Tod, nachher das Verderben, ich meine das Verbergen. Das Leben ist


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geschwunden, der Tag schwindet ebenfalls dahin, es wird hastig gearbeitet, in aller Stille. Gleich wird der junge Mann nach Hause kommen, dann muß das alles bereits getan und es muß geduscht worden sein. Die Lehrerin muß sich an ihrer Ausbildung versündigen, die auf das Schöne gerichtet war, im alten Sinn, den heute niemand mehr kennt. Zuerst den Leichnam zerstückeln, den Kopf abtrennen (das machen sie immer, das hat Achim, der Kannibale, so gemacht, das macht sogar eine Mutter, die ihre Tochter abschafft und verbrennt, aber deren Kopf hat sie zuvor beiseite geschafft, schaffe schaffe, ricke racke, säge, hege, pflege, pflanze ein! Der Kopf dieser Tochter ist bis heute nicht gefunden worden und wird sicher nie gefunden werden, kein Wunder, daß man so oft hört, man solle nicht den Kopf verlieren und kühles Blut bewahren, bewahren kann man es aber nicht immer, und die Mutter, die an den Rand der Verzweiflung getrieben wurde von einer bösen Hirtin, die am Schluß ihre Gerte an der Mutter Rücken zerbrochen hat, kaputtgehauen an in die Nacht fliehenden Waden, die Mutter dreht sich also ein einziges Mal um und haut zurück, ich empfinde das als ungeheuerlich, kann es aber verstehen, die Mutter ist dafür auch längst verurteilt worden, man köpft nicht das eigene Kind (allerdings köpfe das Kind auch nicht die eigene Mutter, kein Kind soll die eigene Mutter köpfen und den Kopf dann womöglich in eine Auslage stellen, hoppla, das ist ja doch geschehen, das ist schon gemacht worden! Der betroffene Kopf ist aber längst entfernt, Sie können an diesem Wäschegeschäft wieder unbesorgt vorbeispazieren), das geht nicht, man sollte besser den unteren Teil nehmen, der ärgert einen weniger,


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weil er nicht sprechen kann und schneller verwest oder nur die Körpersprache beherrscht, jeder eine andre, die Folge: babylonisches Körpersprachenwirrwarr, man kann sich als Mutter ja nicht um alles kümmern, aber die Zukunft dieses Kindskopfs von einer Tochter, die sah diese verirrgeleitete Mutter negativ, sie hat das Wort Zukunft total mißverstanden, lebenslänglich dafür verurteilt wurde die Mutter, die keine war in unseren Augen, was sie in ihren eigenen Augen war, weiß ich nicht, vielleicht ein Faden Wolle?, in jedem Auge einer, ein dünner schwarzer Faden?, sowieso, es ist immer lebenslänglich, ich als Tochter habe es leider auch gekriegt: lebenslänglich, zum Glück bemaß sich diese Länge nicht nach meinem Leben, sondern nach dem Mamas, das sich wie ein Strudelteig dahinzog, aber so sehr man am Leben auch ziehen mag, es wird deswegen nicht länger, weg ist weg und die ganze Zeit davor, da man noch Chancen hatte, ebenfalls; ich wiederhole: den Kopf abtrennen, am hellichten Tag, gleich kommt er nach Haus, nein, nicht der Kopf, auch nicht der Tag, der geht lieber, sondern der junge Mann von gegenüber, Arme und Beine, nein, nicht seine, müssen zuvor aber auch noch abgetrennt werden, nein, nein, was machen Sie da schon wieder für einen Blödsinn?, nicht seine, ich wiederhole es. Kennen Sie sich aus? Nein? Ich schon, und das ist die Hauptsache. Etwas nimmt das Blut auf, ich sehe aber nicht, was es ist, kenne mich mit Haushaltsgeräten nicht so gut aus, sie zerstören den Rücken, können dafür aber Blut aufnehmen, von dem man aber eh genug hat, ha. Aus. Schluß. Ende. Brigitte K. hat angeblich dem jungen Mann von gegenüber so einen eigenen Wagen versprochen, allerdings einen lang gebrauchten (und er


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braucht ihn wirklich schon sehr lang, schon mit vierzehn hätte er einen gebrauchten gut gebrauchen können), nur etwas Billigeres könnten wir uns grade noch leisten, hoffentlich fährt der auch ordentlich, denn Autos sind manchmal ganz eigen, in der Hand des einen gehen sie, in der des anderen nicht ums Verrecken; der Exmann hält uns kurz, aber sieh an, der hat ja gar keine Leine mehr in der Hand, die hat er längst weggeschmissen oder einfach losgelassen, verloren!, die alten Bande sind ihm durch die Finger geschlüpft, ohne daß er es überhaupt gemerkt hat, aber auch die Frau hat nichts gemerkt, auch uns hält niemand mehr, wer jetzt kein Haus hat, wird einen Bausparvertrag abschließen müssen und einen Kredit aufnehmen, aber besser nicht in Amerika, dort kriegen Sie jetzt so leicht keinen mehr, doch wir werden uns der Bank genauso willig, allerdings nach einer strengeren Prüfung als der dort drüben überm Ozean, komplett ausliefern müssen, sonst hält uns nicht einmal sie, diese Bank, der letzte Halt für die Besessenen, die unbedingt bauen wollen, damit sie etwas besitzen, und fürs Sitzenbleiben ist die Bank schließlich da, sie bleibt auf ihren faulen, fauligen Krediten einfach sitzen, dann sieht man sie nicht, die Bank, man sieht sie erst wieder, wenn sie insolvent ist und vom Staat unter den Achseln gestützt und irgendwie mitgeschleppt werden muß, die arme, von feinen, nur vom Golfspiel etwas abgearbeiteten Händen gemolkene Bank, deren entzündete Augen jetzt in unsere leeren Kassen starren, an irgendjemandem muß sie sich ja schadlos halten können, und das sind immer wir, während drohende Worte wie Kleingeld aus ihrem Mund rollen: Ja, haben Sie denn gar keine Sicherheiten mehr? Nun ja, wir


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haben leider auch keine. Ich glaube, es gibt gar keine Sicherheit mehr, nirgends. Nein, eine Sicherheit haben wir nicht, keine einzige, wir wissen auch noch nicht, was passiert, was passiert ist, wenn wir die Kreditraten nicht mehr zahlen können, weil unser Job verlorenging und wir selbst durch jüngere Kräfte ersetzt wurden, die keine Rücksicht auf uns nehmen werden, sonst wären sie ja kraftlos, bevor sie überhaupt angefangen hätten. Das heißt, wir wissen es sehr wohl, wollen es uns aber nicht eingestehen, dieser Bankdirektor dort will ja auch nicht gestehen, ums Verrecken nicht, um die gesamte Herzoperation nicht, und die Amis haben sowieso über ihre Verhältnisse gelebt, die sie aber leichter knüpfen als unsereins und genauso leicht auch wieder lösen. Sie trennen Menschen von ihren Pensionen, sie treten sie weg, als wären diese Menschen auf einmal wieder jung geworden, doch nicht alle auf einmal!, diese Menschen, nicht die Pensionen, und brauchten gar keine Pension mehr. Und trotzdem braucht sich die Jugend dafür nicht zu schämen, ob in Amerika oder anderswo, keine Ahnung, was es da so gibt, und wofür schämen?, wenn man jung ist, geht einfach alles, fährt alles, wollen wir uns das nicht beim Mann abschauen, zum Beispiel bei diesem, weil er grad da ist? Danke, ich brauche meine Brille nicht, ich sehe ihn auch so. Als ich ihn erschuf, habe ich die Brille noch gebraucht, jetzt steht er von alleine auf, seine Freundin aber nicht mehr. Der macht es richtig, und der auch, wie ich sie beneide!, die jungen Männer, den da, der seine Memoiren schreibt, obwohl er noch gar nicht gelebt hat, und im Schreiben schon redigiert, je nach dem Leben, das er am betreffenden Tag gehabt hat und das ihn


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sehr betroffen gemacht hat, aber der ist doch nicht alt! Wer das sagt?, er das sagt, der weiß gar nicht, was das ist, das Alter, der ist und bleibt jung, ich möchte es machen wie er, und wir, wir müssen jetzt nur noch den Führerschein machen, so jung sind wir ja ebenfalls, es ist nie zu spät, zum Glück, ich spreche nicht vom Jungbleiben nach den Anwendungen in der Jungbrunnen-Therme, die jedem mit Fäkalkeimen und Allgemeinbakterien nützt, der auch nur den feinsten leisesten Schmerz in der Lendenwirbelsäule verspürt, obwohl speziell und individuell in vielen oft ekligen Anwendungen auch auf uns angewandt, ohne Unterschied, den Unterschied macht nur die Krankenkasse, sie zahlt die Anwendungen, ja, auch auf die Unterschicht werden sie manchmal angewandt, damit diese nicht auf die Oberschicht neidisch wird (es sollen ja auch die Toten die Lebenden beneiden und nicht umgekehrt), doch den Wandel zur Jugend können wir unmöglich eingeleitet haben, das waren wir nicht, offensichtlich nicht, nicht unsre Schuld, hier werden 370 verschiedene Anwendungen angeboten, doch in Wahrheit sind es nur vier, die immer unter neuen Namen an unsere schlaffen Körper kommen, und auch all das Autofahren auf vier körpereigenen Rädern und mit wenigen Bewegungen, die aber viel bewegen können, ist nicht ganz einfach, nicht so einfach, wie wir uns das vorstellen, obwohl es im Prinzip jeder kann, der will, und so tun wir es halt, weil auch wir es können und wollen. Alle, außer mir. Ich kann es, tue es aber nicht. Es ist mir alles zu schwer. Wie Sie sehen ist das Schreiben am schwersten, ich komm nicht in die Gänge, und da wollen Sie mir ein ganzes Auto anvertrauen? Wollen Sie ja gar nicht, und dabei


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müßte ich sie nur noch einlegen, die Gänge, einen nach dem anderen, das ist wie mit dem Erzählen, eins nach dem anderen, aber ich kann es trotzdem nicht, ich kann nichts einlegen, keinen Gang, keinen Zahn zulegen, nichts einlegen, nicht einmal diese zwei Kilo Marillen, aber die sind heuer eh alle hin wegen dem Hagel. Diese zwei Kilo werden nicht reichen, keine Ahnung wofür, für nichts. Gut. Muß ich also nichts einlegen, da bin ich wieder mal davongekommen. Aber wie kommt dafür die Frau dazu, diesem jungen Menschen ein richtiges eigenes Auto zu versprechen, ganz für ihn allein, doch eine Freundin sollte darin besser niemals vorhanden sein? Aber einmal muß man die Menschen eben gehen lassen, man muß sie aus der Hand legen, sogar, und gerade dann, wenn wir selbst es sein wollen, die allein ihnen in die Hände gegeben sein sollen, um nie wieder allein sein zu müssen. Das gilt für alle, hören Sie mich an, für alle, nur nicht für Mama und mich, für uns hatte das keine Geltung. Sie kann nichts dafür, daß sie so neidisch auf ein Leben ist, das ihr nicht gehört und nie gehören wird, die Lehrerin. Die Vernunft kann ihr das mit dem Auto nicht eingegeben haben, gebe ich hier ein, womöglich müßte sie ihm ihr eigenes geben, und kauf dir ein Edelweiß, sonst hast du keins. Des Burschen Mutter, die Schalterbeamtin der Raiffeisenbank, die Ethos mit Geschäftssinn zu verbinden wünscht, das aber nicht schafft, der Herr Direktor nennt das seinen christlich-ethischen Hintergrund, den er (als er sich einmal umwandte wie ein Blatt, das von Gottes Atem angetrieben wird) erkannt hat und nun auch von allen anderen verlangt, obwohl er weiß, daß die ihn niemals haben werden, diesen


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Hintergrund, der so hell von Gott erleuchtet ist, daß man den Herrn Direktor nur sieht, weil er einen dunklen Anzug trägt, der Mann kommt bei der Bevölkerung gut an, weil sie ihn trotz seinem Anzug nicht sieht, die Bevölkerung schaut zu tief ins Glas, sie schaut auch in die Zeitungen und Zeitschriften, die der Herr Direktor dirigiert, und dort werden sie den Direktor nicht finden, dort werden sie keinen Direktor finden, weil er in der Kirche ist oder gerade in die Kirche wallfahrtet; der Hintergrund schaut von vorne zu dunkel aus, obwohl er hell und strahlend christlich ist, dieser Hintergrund, welcher daraus besteht, daß im Osten schon wieder zehn Banken gekauft worden sind, die Banken fressen sich tief in den Osten hinein, da können auch Sie sich eine Scheibe abschneiden, was wollte ich sagen? Ich wollte sagen, die größte Sorge der Bank ist es: Wie gehen die Menschen dort im Osten mit ihren Leuten und ihren Kunden um? Nein, das wollte ich nicht sagen, das werde ich nie erfahren, ich wollte sagen: Die Schalterbeamtin also würde es nicht erlauben, daß der Sohn plötzlich ein Auto hätte, von dem sie nicht wüßte, woher es gekommen ist. Soviel Erfahrung mit Geld hat sie von der Bank immerhin mitbekommen. Es ist nicht von selber gekommen, dieses Auto, es ist gefahren gekommen und bringt den Fahrer in permanente Gefahr, zwei Drittel seiner Gewinne in Osteuropa zu machen, entschuldigen Sie, da habe ich jetzt jemand ganz anderen gemeint, von dem nicht die Rede sein soll, vom Herrn Direktor. Ich habe da etwas Unverwechselbares trotzdem verwechselt, sowas gelingt mir immer mühelos. Aber wenn er 18 ist, nein, nicht der Herr Direktor, sondern der Sohn


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seiner kleinsten und geringfügigst beschäftigten Schalterbeamtin, hat sie nichts mehr zu melden, die Mutter, außer auf der Parte (auf der Todesanzeige, damit Sie das auch recht verstehen, liebe Ausländer unter uns, aber Sie müssen trotzdem weg!) das Unumgängliche, wenn der Sohn auf der Heimfahrt den Alleebaum nicht umgangen, sondern nicht umfahren, das heißt umgefahren hat. Doch, denn dann, wenn er in Leoben Montanistik studiert, obwohl der Berg bereits total abgebaut ist und es sich fast nicht mehr auszahlen wird, aber man kann ja nie wissen, es gibt schließlich noch andre Berge, und man kann, bis man sie findet, derweil das Erdöl aus dem Boden fördern, was eine andre Studienrichtung ist, doch irgendwas oder irgendwer muß ja gefördert werden, oh Gott, dann ist er ganz weg, der Sohn!, weggefördert, wegbefördert, und damit er nicht ganz weg ist, müßte sie, die Mutter, ihm das Auto kaufen, damit er wenigstens ab und zu heimkommt zu ihr. Damit er einmal im Monat wenigstens mit der Wäsche nach Hause kommt. Nein, die Leiche, welche denn? Wer spricht hier von einer Leiche? Ich, denn hier können wir über alles reden, das ist ja das Schöne am Schreiben, daß es über alles geht, immer, überall, man kann einfach alles vollschmieren, wo es haftet, wo es die Augen aneinander heftet, mein linkes kann ich Ihnen aber nicht empfehlen, das werde ich wohl behalten müssen, und es geht auch mir über alles, das Schreiben, auch wenn man keine Zielrichtung hat, oder eine Zielrichtung schon, aber nicht weiß, wie man dort hinkommt, nur ungefähr, die ungefähre Richtung weiß ich schon, Papier hab ich auch genügend, brauche es aber gar nicht, also, obwohl ich es nicht kann, das Schreiben (dieser Poster im


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Normal-Standard hat mir das soeben schriftlich gegeben, danke, aber ich habe es ihm zuerst gesagt, ich habe es ihm sogar lange vorher gesagt!), geht mir das Schreiben über alles, was Sie sicher nicht verstehen können, wenn Sie das Resultat betrachten. Na, dann schauen Sie halt nicht hin! Ich muß immer hinschauen, denn ich bin zu faul, etwas dagegen zu unternehmen. Ich habe nichts dagegen. Ich beneide Sie sogar um Ihre Unbekümmertheit, mit der Sie Flugtickets kaufen und damit die Umwelt so schädigen wie sich selbst, denn was Ihr dem Geringsten meiner Brüder angetan habt, zum Beispiel dieser Baumgruppe auf dieser Wiese, die für die Neubausiedlung gefällt werden soll, das habt Ihr mir angetan, und ich will saubere Luft und sauberes Wasser und ein sauberes Essen! Ja, natürlich! Ich will es! Was sollte ich in meinem Alter denn sonst noch wollen? Was Sie wollen, ist mir wurscht, das ist mein Triumph, aber nicht über meinen Neid, ich will dies, ich will das!, es ist ja egal, was ich will, wollen kann ich ja, aber ich kriege nur, was ich bezahlen kann. Ich ahne, daß Sie das auch wollen, aber ich habe es zuerst gewollt! Nur keinen Neid, es ist genug für alle da, ja, das ist auch natürlich. Wir alle folgen jeder Art von Unmut über das, was uns zugemutet wird, aber mir wird viel mehr zugemutet, heute sagt man mir z. B., ich glaube, das hat man mir auch schon öfter gesagt, ich solle nicht über etwas sprechen, wovon ich nichts verstehe. Aber das gilt doch für jeden Menschen, oder, dem das auch immer wieder gesagt wird, gilt das nicht für alle?, also ich wäre dafür. Betretenes Schweigen, weil die Menschen mich wieder einmal mißverstehen und sofort aufs neue, auf ein Neues, zu reden anfangen ohne


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vorher nachzudenken. Ich auch. Da dürfte ich ja überhaupt nicht mehr den Mund aufmachen, wenn ich vorher nachdenken müßte, und den hochfahrenden Computer müßte ich im Hochfahren unterbrechen, denn ich verstehe schließlich von nichts etwas und sollte hier, an dieser Stelle, schließen, ich habe von nichts eine Ahnung, nicht einmal davon, wie man aufhört. Was für ein abenteuerlicher Gedanke, denken zu sollen! Und verstünde ich etwas, könnte ich es nicht weitergeben, das sehen Sie hier ja selbst. Hier sehen Sie es. Ich wanke ohne Sinn von Haus zu Haus, von Haus zu Wohnung und wieder zurück, von Rechner zu Rechner und nie mehr zurück, von Bloggsy zu Blocky und wieder zurück, Zwischenbericht von Gucki und Wiki, und meine Betrachtungsweise ist wild, nicht mild, darauf muß ich bitte bestehen. Was ich schon unter wild verstehe! Ich kann diese Novelle nicht nivellieren, damit irgendwer, jeder, dann über sie drüberfährt, aber dafür endlich was weitergeht. Ich muß meine kleine Novelle ja auch irgendwie schützen, nur wie?, indem ich sie gar nicht erst herauslasse aus dem Stall, den ich noch dazu nie ausmiste. Klar, daß sie da raus will, aber ich lasse sie nicht. Das ist gut und vorausschauend (auch auf die Märkte schaue ich voraus, sehe aber nicht, wie sie sich entwickeln werden und wohin, bitte, kommen Sie ruhig, Sie Markt, den neuen Markt haben wir ja schon umgebracht, aber Sie alter Markt, kommen Sie, hier ist noch Platz, genau hier, wo ich bin, ich bin die unfreie Marktwirtschaft, die ihren letzten Atemzug tut, und mit der freien haben Sie ja auch kein Glück gehabt, das heißt, ich möchte, daß Sie mir sofort sagen, in was ich investieren soll, es sollte was Neues sein, aber nicht


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sowas wie der neue Markt, was soll ich nur machen?, von allein weiß ich es nicht), denn ich habe nichts zu erzählen, auch im Vorausschauen sehe ich nicht, was die ganze Zeit zuvor so alles passiert sein könnte, das ist die traurige Wahrheit. Ich wage nicht, mich umzudrehen, ich würde sonst etwas Unwiederbringliches verlieren, und wer bringt es mir dann wieder, wer bringt mir meinen Partner wieder?, dem ich in die Hölle folgen würde, wenn er sich selbst wenigstens einmal dorthin wagen würde. Wieso, glauben Sie, beneide ich andre um ihr Leben? Weil ich keins habe, das ich streicheln könnte, auch kein Tier mehr, mein Hund ist tot, das ist er ja nicht zum Vergnügen. Besser ich bin still. Ich weiß nichts, ich erlebe nichts, ich kann es nicht sagen, also sollte ich stille stille sein, kein Geräusch gemacht. Ich bin ein Einsiedlerkrebs am A. der Welt, und das bleibe ich auch, tut mir leid für mich. Ich beneide Sie, und das wird nicht das Letzte sein, worum ich Sie beneide! Das Letzte bin nämlich ich. Sorry. Finde nicht einmal den Schalter, um das Licht auszumachen. Ich habe dieses Licht ausmachen wollen, ich wollte mir mit diesem Licht etwas ausmachen, mit dem rechten Auge besser als mit dem linken, welches deutlich verdunkelt ist, wie wärs, wohin gehen wir heute mitsammen?, also diese Augen gehen irgendwie widerwillig zusammen, aber immerhin, sie gehen noch, doch es ging von selber aus, das liebe Licht, von ganz allein, denn jetzt sehe ich überhaupt nichts mehr. Na schön, ich sage Ihnen dann später, was ich noch gern von Ihnen hätte, was ich gerne bekommen würde, es ist alles, worum ich Sie beneide, dabei haben Sie es ja nicht einmal selbst! Das ist allerdings so viel,


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was ich von Ihnen will, nur ein klein bißchen Liebe wäre erst der Anfang, da brauche ich ja einen Lastwagen für den Rest, nein, mit Laster mach ich jetzt keinen Witz mehr, den hab ich schon zu oft gemacht, was aber kein Grund wäre, denn ich mache ohnehin immer dasselbe, so, machen wir es diesmal vielleicht anders: Ich wäre am liebsten Sie, nein, Sie nicht, Sie meine ich, dort im TV, die Sie die richtigen Beine für Ihren schneeweißen (es ist ein weißes Fest! Das Motto ist: Alle in Weiß kommen!) kurzen Mikroben-Rock haben, während ich sie noch suchen muß, die Beine, nein, ich muß eher den Rock suchen, denn die Beine dazu krieg ich nicht, nie, ich habe mich zwar angestellt, aber Beine waren ausgegangen, jedenfalls solche, ja, ich würde sofort mit Ihnen tauschen, da Sie diese Beine, um die ich als Frau Sie beneide, als Mann wäre es mir egal (dem Menschenfresser war es nicht egal, er hat einen nicht zum Verzehr, sondern zum Vorzeigen im Netz bestimmten linken Fuß mit Ketchup und Gewürzen bestrichen und nett mit Tomaten und Petersil und Salatblättern angerichtet. Davor hat er eine Schale heißen Wassers hingestellt, damit es so aussähe, als würde der Fuß dampfen, also bereits zubereitet sein, nachdem man seinen qualmenden Socken entfernt hatte), bereits haben, die Leute plaudern miteinander, Gläser in der Hand, entspannt, so fröhlich, schön ist das, aber ich weiß, sie hegen den Verdacht, daß ich nicht kann, was ich da tue. Aber bin, wo ich sein sollte, im Abseits. Sie wissen es, ich sehe es an ihren Blicken, die ich nicht sehe, ich höre es an ihren Worten, die ich nicht höre, sie wissen, was ich alles nicht weiß. Sie hören, was ich nicht höre, und sehen, was ich nicht sehe, da mir


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Hören und Sehen vergangen sind. Was? Sie machen sich lustig über mein Entsetzen, das eh nur mir selbst gilt? Dabei verdiente ich nur Mitleid, aber nicht einmal das bekomme ich. Das täte ich an Ihrer Stelle nicht, mich über andre lustig machen, denn es ist herzlos. Sie wissen ja gar nicht, was ich mit Entsetzen meine, Sie mit Ihren ungeheuerlichen Gedanken und Plänen, die Sie alle ausführen können, bis die sich einmal losreißen und zu jemand anderem rennen und dort von vorne anfangen, die wollen vielleicht auch einen Neubeginn, Sie reden und trinken und rauchen und furzen beinahe lautlos, um Ihre Liebsten nicht zu erschrecken, und flirten, und Sie wissen! Sie wissen und sagen es auch im TV und im ATV und DVBT, Sie stellen für mich die größte anzunehmende Glätte vor, denn alles, was vorgestellt wird, sieht man auch. Man sieht es, wie dies, wie alles, auf einem Bildschirm. Keine Schatten mehr an der Höhlenwand, wo ich sie noch vor ein paar Jahren deutlich sah, als das linke Auge noch nicht getrübt und gestört war, sondern nur betrübt, wie alles übrige an mir und von mir. Sie machen sich wohl über mich lustig! Also wohl tut das nicht. Wohl tut nur zu ruhen. Ich beneide sogar Menschen, die sich über mich lustig machen, ich scheine mich selbst vor allem deshalb kurzfristig bei mir zu behalten, aber hoffentlich bald loszuwerden, um anderen zur Belustigung zu dienen, das ist ja ein guter Zweck, und irgendwann, da bin ich weg, und dann werden sie mich suchen, allerdings vergeblich, denn ich vergebe nichts und niemandem. Es gibt mich für einen guten Zweck, und zwar den, den Mund zu halten. Ich bin zweckgebunden, aber ich halte mich nicht dran. Ich will soviel, und ich bekomme


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sowenig, meine Schuld, ich gehe ja nicht einmal über die Straße, um ein Stück Butter für mein abendliches Brot zu erhalten, denn die Butter ist ausgegangen, aber ich selbst gehe nie aus, wie oft hab ich diesen blöden Witz schon gemacht? Am Bildschirm ist es aber nicht so schlimm, man kann die Stelle nicht nachschlagen wie in einem Buch, finden Sie nicht? Nein, Sie finden sie nicht. Macht nichts, ich bin unerschöpflich mit meinem Immergleichen, etwas Ungleiches könnte ich gar nicht erkennen, versichere ich meiner ängstlichen Wohnungseinrichtung, die sich jetzt schon selber zuviel wird (obwohl ich auf gepflegte Leere Wert lege), aber trotzdem mehr Kollegen wünscht, diese Einrichtung, in die dauernd was reingesteckt wird, ich meine, in die dauernd Geld gesteckt wird, denn wenn mehr als vier Leute kommen, können sie nirgends mehr sitzen, das ist der Grund, weshalb ich niemanden mehr einlade, sonst käme der gleich zu fünft oder so, weil so eine Einladung ein unerhörtes Ereignis wäre. Das finden Sie nicht komisch? Offenbar nicht. Aber diese Möbel lachen! Ich habe es vorhin deutlich gehört, sie lachen mich aus, sogar die lachen mich aus, vielleicht weil sie so teuer waren. Sie, LeserIn, Sie -innen, Sie reden weiter über Nichtigkeiten, und daneben krepiere ich, stumm, nein, bin schon tot, bin schon weg! Sie plaudern, ich stumme, diese Geige stimmt nicht, sie ist ja auch seit 25 Jahren nicht mehr gestimmt worden und ein wenig gesprungen, der Boden gesprungen (ja, ganz recht, der vom Klavier auch), große Sprünge kann sie aber nicht mehr machen. Ich bin tot und weiß es nicht. Nein. So nicht! So komme ich mir nicht! So deppert bin ich auch wieder nicht. Ich bin tot und weiß es wenigstens. Ich weiß nicht, wo


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ich bin, ich glaube, so tot bin ich nun doch nicht, vielleicht lebendig unter meinem eigenen Fußboden begraben wie jenes Mädel dort, welches sorgfältig, aber nicht sorgfältig genug, vergraben wurde, wenn auch nicht, wie die kleine N., die jahrelang nur eine Matratze, eine Decke und zwei Kübel für die Notdurft, aber gedurft hat sie gar nichts, zu ihrer Verfügung hatte, die Senkgrube kam ja erst viel später dazu, die kam später dran, der Rest von ihr dafür am Ausgang mit 150 kg Beton verstärkt, damit das Verlies mit seinen zwei Schächten, einem Hörrohr und einem Atemrohr, auch anständig gegen ihr Wiederauftauchen gesichert wäre, allerdings eben nicht gegen das Hören und das Atmen, an dem man ja Anteil haben wollte, wenn auch nicht direkt daran teilnehmen, sehen Sie, und sogar dieses Kind ist wieder zurückgekehrt, diese N., wenn auch nicht mehr als Kind, sondern als Erwachsene, die bis dahin, bis sie erwachsen war, nicht kehren, sondern staubsaugen mußte. Tja, Hausarbeit der Frau kann dem Mann auch nicht schaden und der Frau sogar nützen! So konnte N. vor dem Staubsauger und mittels des Staubsaugers und seines lästigen Lärms endlich entfliehen. Viele wollen dem Lärm ihres Staubsaugers am liebsten entfliehen, aber N. konnte mit Hilfe des Saugers fliehen, das ist neu. Man wird es auch finden, das andere Mädchen, das weniger Glück hatte als N., da bin ich mir ganz sicher, woanders wird man es finden, das Kind, jedes ist immer woanders, es gibt schließlich viele, ebenfalls woanders, die meisten von ihnen auch tot, das andere Mädchen meine ich also hier, das fast schon erwachsen ist, fast schon erwachsen dem Leben gestohlen wurde, schon seine ehemaligen Schulkameradinnen werden darauf


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bestehen, daß es wieder aufgefunden wird. Und die Eltern und Verwandten bestehen natürlich auch darauf, zurecht. Bald werden aller Menschen Augen auf die Lehrerin gerichtet sein, um sie zu richten, nicht zu retten, obwohl diese Frau nichts Unrechtes in ihrem Tun, welches ihr letztlich vom Neid, von den disharmonischen schlechten Noten des Neids, diktiert wurde, erkennen kann. Sie hat nur auf Diktat gehandelt, aber wer hat ihr sowas diktiert, so einen Blödsinn? Einer, der viel Haar und eine Sackhose sogar noch im Zusammenbrechen auf sich herumträgt und den Wunsch nach einem feschen Gebrauchtwagen in sich hegt, der in greifbare Nähe gerückt ist. Ich würde auch gern nach Diktat schreiben, das wäre viel einfacher als so, wie ich es derzeit mache, aber mir diktiert ja keiner was, ich muß alles selber erfinden und finde nie etwas, zumindest nie, wenn ich es brauche. Deshalb hat sie das ja gemacht, die Frau, weil sie ein Unrecht gar nicht kennt und daher auch nicht erkennt, wenn es herannaht, die Naht ist teilweise aufgegangen, doch es naht, mit Lichtern wie ein Schnellzug vorne dran, das Unrecht naht, aber es wird ignoriert, obwohl die Scheinwerfer an sind. Sie hat einen Speisewagen, nein, einen Ermessensspielraum, wenigstens den hat die Frau, ich hätte da beinahe etwas verwechselt, wieder einmal, einen Spielraum, einen Geigenspielraum, in dem sie herumspielen darf und warten, bis etwas zu Tage tritt, hoffentlich etwas, das sie gerne sehen möchte. Sie möchte es nicht wiedersehen, die Frau Lehrerin, einmal hat ihr schon gereicht. Sie möchte den Burschen von gegenüber immer wieder wiedersehen, aber nicht das, was sie seinetwegen getan hat. Das möchte sie vergessen. Das hat sie schon


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vergessen. Sie erkennt nicht, daß sie selbst das Unrecht ist. Und was wird aus mir? Ich habe mich hier ixmal hineingedrängt, meine Bezüge haben mit meiner realen Leistung gar nichts mehr zu tun, was mir aber kein Kopfzerbrechen bereitet, denn für das hier beziehe ich gar nichts, und Sie wollen von mir nichts hören und nichts über mich, Sie müssen aber. Nein, Sie müssen nicht. Es gibt nichts Einfacheres, als mich nicht lesen zu müssen. Ich halte Ihnen diese Lehrerin, von der Sie aber auch nichts wissen wollen (eine Tatsache, die nicht an mich anbranden wird, diesmal hab ich vorgesorgt, mir wird niemand mehr etwas vorhalten, nie wieder!), als eine Art Köder vor, nach dem niemand schnappen wird, und ich, keine von 55.000 MitarbeiterInnen, die alle auf eine gewisse Bank gesetzt haben, von denen allerdings nicht einmal 5.000 in Österreich sitzen, und ich bin keine einzige von ihnen, ich bin ja keine Bankangestellte, ich also, ich interessiere Sie nicht, obwohl ich zu einer kleinen, aber erstklassigen Minderheit von überschlagsmäßig nur 500 Personen im Inland gehöre, na, ein paar mehr werdens schon sein, ich glaube, das ist eine Generationenfrage, aber wer fragt schon? Von mir und über mich wollen Sie nichts hören, weil ich einer anderen Generation angehöre, und das von mir Generierte interessiert Sie daher überhaupt nicht mehr. Dafür interessiert sich höchstens noch die Geriatrie. Ich weiß, Sie sind eher an wirtschaftlichen Fragen interessiert, an den Antworten aber noch mehr, obwohl Ihnen eh nichts Erspartes übrigbleibt. Bitte, dann helle ich Ihnen hier die wirtschaftliche Situation ein wenig auf: Es besteht die Gefahr, daß sich der Staat aus seiner Verantwortung


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zurückzieht. Bitte, sie besteht, die Gefahr, für den Staat, aber ich ziehe mich nicht zurück, ha!, ich bin auch noch da, wenn auch nicht als Antwort auf Ihre Frage, die mich zu mehr Ernsthaftigkeit verpflichten würde. Die habe ich natürlich auch im Angebot: Jetzt weiß ich, daß ich selbst dort unten liege, unsichtbar für Ihre Augen, niemand wird mehr Nutzen aus mir ziehen, ich selbst am allerwenigsten. Deswegen sieht mich auch keiner, das ist ein einfacher Vorgang, Sie brauchen sich nicht eigens dafür zu bedanken und schon gar nicht bei mir, mein Rückzug ist kein freiwilliger, er ist von mir selbst erzwungen, aber erzwungen bleibt erzwungen, und ich muß bleiben, wo ich jetzt schon bin. Immerhin, ich bin auch noch da, nicht für immer, nicht für Sie, aber immerhin, auch wenn Sie mich nicht sehen, ein Politiker-Anruf, und schon hat jemand einen Job, so etwas gibt es heute nicht mehr, und so kann ich nicht einmal jemanden anrufen. Ich kann nur unter der Erde liegen und die Lebenden beneiden. Ich würde Ihnen ja gern sagen, wo ich liege, Gruppe, Parzelle, Grabnummer, aber dann kommen Sie vielleicht und graben mich wieder aus. Wenn ich es genau bedenke, wäre das gar nicht so schlecht. Ich wäre gern mal wieder unter Menschen, wenigstens für einen Tag oder so. Berühren würde ich sie nicht, aber anschauen würde ich sie mir schon. Nein, ich sehe aus diesen Postings, daß Sie mich zu allerletzt ausgraben würden. Zuerst würden Sie Ingeborg Bachmann oder was weiß ich wen noch allen ausgraben, und jede, jeder von denen würde ganz alleine zählen, ich zähle auch alleine, aber was?, da ich sowieso schon allein bin. Das ist ja klar und muß nicht eigens erwähnt werden. Ich muß nicht eigens


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erwählt werden. Damit haben Sie auch wieder recht, daß Sie es nicht tun. Es wird lauter und lauter, doch je lauter es wird, desto mehr weiß ich, daß ich tot bin und auch noch auf einer Leiche draufsitze, die ich hier nicht und nicht in diesen Stoff reinkriege, die ich nirgends deponieren kann, und es nimmt sie mir auch keiner ab, dabei ist es viel leichter, etwas in Stoff hineinzukriegen als wieder raus, das Fleckensalz von diesem Doktor wirkt hier nicht, ja, faktisch sitze ich also auf einer Leiche, die ich ins Auge fassen, aber nicht hier hinschreiben kann, denn es ist diesmal nicht meine, auf meinem drehbaren Schreibtischsessel hocke ich, der noch eine Menge andrer Dinge kann, zum Glück nicht lärmen, aber leider nicht gefahrlos kippen, man kann ihn leider nicht nach hinten kippen, man kann ihn überhaupt nicht kippen, weil er so standfest ist auf seinen Rollen, im Gegensatz zu mir, die keine Rolle mehr spielt, und man kann auch den Kopf nicht anlehnen, wenn man möchte, nein, man muß ihn deswegen nicht abschneiden, den Kopf, wie es diese Mutter, die unter ihrer Tochter grenzenlos zu leiden hatte, schlußendlich mit dem der Tochter gemacht hat, aber sich anlehnen zu können wäre schon recht fein. Also muß ich mir so einen Stuhl kaufen, bei dem man sich zur Gänze anlehnen kann, damit ich dort ganz meine Kopflosigkeit ausleben kann, nein, für meine chronische Kopflosigkeit würde ja mein derzeitiger Sessel bereits vollauf genügen, ich schweife schon wieder ab, dauernd mache ich das, aber ich sitze schließlich auf einer Leiche herum, rundherum, das ist nicht schwer, ja, immer noch, die ich loswerden muß (der häufigste Grund abzuschweifen), diesmal jedoch auf meinem lieben Papi (die


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Lehrerin fürs Geigenfach sitzt auf einer andren Leiche, das bleibt ihr unbenommen, aber ich sitze halt auf dieser, jeder sucht sich aus, worauf er sitzt, wie man sich bettet ...), mein Papi hat sich noch nie beschwert, daß ich auf ihm sitze und meinerseits ihn beschwere, das ist gerecht, denn zu seinen Lebzeiten habe ich mich unaufhörlich über ihn beklagt, und keiner hat mir zugehört, aber das ändert gar nichts an meiner Schuld. Zuerst beklagt man sich, dann lädt man Schuld auf sich, und dann beklagt man sich schon wieder. Doch schon damals hat mir nur Mama zugehört, die ich genausowenig leiden konnte, obwohl ich von ihr, wie der Verfasser von seinem Geschriebenen, total abhängig war, was sie ja auch beabsichtigte, da ist es nur gerecht, daß er, Papi, jetzt mich beschwert, was von unten her ganz schön schwierig ist. Aber er schafft das. Und bei wem soll jetzt ich mich beschweren? Ich sitze auf seinem Leichnam, aber das ist noch weniger schlimm als das, was Sie machen, trinken und plaudern und lachen und sitzen an der Copa Golgotha oder an der Summerstage neben dem Donaukanal oder beim Donauinselfest, wo Sie es rinnen und tuschen lassen, bis alles von Ihren Kolibakterien schwarz geworden ist, ja, auch die Sauna, alles schwarz, schwarzbraun wie die Haselnuß, was Sie so von sich geben, wenn der Tag lang ist, und das Gewitter, das kommt, ist auch nicht grade freundlich zu Ihnen und zum Wasser, das es kommen läßt, und Sie lassen sich filmen dabei, wie Sie es krachen lassen, jeden Tag wieder, es ist schließlich nicht jeden Tag Sommer, aber ich bin nicht dabei. Ich bin nie dabei. Ich bin nicht eingeladen, weil ich nie ein Gastgeschenk mitbringe, und brächte ich eins, wäre ich dafür


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gefürchtet. Bin zu geizig, was zu besorgen, marsch!, in einen andren Roman rein, den es aber nicht mehr geben wird. Bin zu neidisch, anderen etwas zu gönnen. Da nehme ich es für mich selber auch nicht. Es lohnt sich für mich nicht, für den Vermieter aber schon, doch das nützt ihm nichts, gelt, lieber Gott, ich habe eine tiefe Abneigung gegen dich und deine Kollegen von den andren Fraktionen und Fakultäten. Das spüren die Vermieter von vorneherein, daß man nicht bereit ist zu bezahlen, bloß weil man auf der Welt ist. Ich bin derzeit tot und brauche daher gar keine Behausung, bitte, im warmen Fernsehgerät ist zwar schön mollig wohnen, und es strahlt sogar Wärme noch ab, aber schöner wohnen kann man im Tod, der ohnehin jedem von uns blüht und billiger ist als selbst Ikea, also gewöhnen wir uns an dieses Einfamilienhaus ohne Familie, nur für uns alleine, Fazit: fade Rede – kurze Besinnung: So, wie es derzeit aussieht, bleibe ich erst mal tot, könnte allerdings wiedererweckt werden (bitte, schreien Sie mich deswegen nicht an!) durch übermenschliche Anstrengung, sagen wir, eines Prinzen, nein, wir sagen es nicht, ein Prinz wird nicht kommen, bei meinem Alter müßte er ein zu jeder Rücksicht bereiter Herrscher sein, der seinen Sohn aber nie an mich vergeuden würde, also bleibe ich tot und vollkommen unbeweglich, denn das ist das Wesen des Todes, der alle umklammert, auch die Verwirrtesten, die ihn gar nicht mehr erkennen können und glauben, da kommt wieder mal der Arzt oder die Schwester und hilft ihnen wenigstens dieses eine Mal und gibt ihnen was zu trinken oder zu essen oder eine liebe Spritze. Aber es hilft einem keiner, außer dieser Mordschwester


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hier, also sympathisch ist die mir nicht, aber wenn sie ihre Pflicht tut, bitte, dann soll sie halt spritzen, was immer sie spritzen will. Jeder Mann tut das ganz selbstverständlich, warum sollte diese Schwester es nicht tun? Aber der Mann weiß immer, was er will und wohin damit. Die Schwester weiß es auch, aber sie kann das gar nicht gewollt haben, was sie getan hat. Können sich und euch und uns nicht helfen. Danke für Ihre Geduld, was, Sie haben gar keine? Ich kanns nicht ändern, ich sollte lieber dies hier ändern, werde es auch hoffentlich irgendwann, aber es ist einfach zu lang, ich bin aber doch froh, daß Sie jetzt weg von meiner Seite sind, auf die Sie vielleicht hoffnungsvoll gingen, aber warum Sie mir vorher noch diese Lanze hineingestochen haben, das weiß Gott allein, dem das auch schon passiert ist, zum Glück als er bereits bewußtlos war oder sogar tot, ich weiß es nicht genau, aber der Beweis ist angeblich, daß mit dem Blut auch Wasser herausgekommen ist, das ist immer noch mehr, als bei mir rauskommt. So wird mir andauernd gesagt. Ein Andenken ans Leben brauche ich nicht unbedingt, wenn auch nicht gerade diesen schmerzhaften Stich da links in meiner Seite 25 oder so, aber eine kleine Anerkennung, etwa so wie dieser kleine Probeschnitt in den Penis Cators, des Fleischgeborenen, des Kannibalenopfers, der schon sehr wehgetan hat, z. B. wäre schon fein, oder? Ich krieg sie nicht, diese Anerkennung, jedenfalls von Ihnen nicht, und von Ihnen dort drüben, an dem smart phone, das Sie sich grade gekauft haben und in dem Sie meine arme kleine Stimme sogar im Verkehrsstau, da Sie nichts mehr hören, noch immer gut lesen können, wenn Sie wollten, von Ihnen kriege ich die


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kleine Anerkennung also auch nicht? Oder doch? Ich kanns nicht ändern. Ich kann nicht ändern, was Sie geändert haben wollen. Die Leiche, welche auch immer, wir wissen es noch nicht, warten Sie gefälligst, bis ich oder eine, die sich besser auskennt als ich, es Ihnen sagen wird, vielleicht gibt es sie nur in unserer Phantasie, die Tote, nein, es ist Tatsache, daß dieser grausame und ungewöhnliche Mord stattgefunden hat, ich weiß, das ist banal, aber er ist halt grausam und ungewöhnlich gewesen, was soll ich denn sonst zu einem Mord sagen, der nicht zu meiner Familie gehört, obwohl sich die Leute dort gegenseitig oft abgetötet haben wie Zigaretten, andere wieder wurden anderswo zu Asche verarbeitet, diese Tote also, die uns doch näher ist, wird auch nicht an die Garagentür des Bürgermeisters gelehnt und so aufgefunden. Moment, ich bin im falschen Text, entschuldigen Sie bitte oder auch nicht, ist mir egal, das ist ja schließlich auch passiert, jetzt habe ich, aus Respekt vor den vielen anderen Toten, meinen Text vergessen, und weil ich meinen toten Vati ja auch nicht mehr auferwecken kann, lasse ich ihn halt liegen, so sehr ich auch brülle und bete, daß Mama Erbarmen zeigen möge, er bleibt liegen, ich bin ja nicht Jesus (auf den würde sie garantiert hören, aber jetzt kann der auch keine Wunder mehr vollbringen), nicht wahr, der das lautlos hingekriegt hat, was auch immer, in deine Hände begebe ich meinen Geist, aber was soll ich machen, wo ich doch keinen Geist habe, aus Respekt also, aber dafür kann ich mir nichts kaufen, dafür habe ich irrtümlich andre, mir vollkommen fremde Tote in diesen Teig hier hineingemischt und den Text danach sofort vergessen, und die


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unschuldigen, bislang untätigen Toten hab ich dabei ganz ordentlich aufgemischt. Die freuen sich aber sicher über die Abwechslung, die allerdings keine ist, fürchte ich. Manche wollen sich vielleicht nicht vermischen, sind keine Gutmenschen, sind Fremdenfeinde, Frauenfeinde, Kinderfeinde, Sockenfeinde (stets unter den Kniestrumpffreunden zu finden oder wenn man die Waschmaschine ausleert), Hundefeinde, Gemüsefeinde, sprechen keine ausländischen Sprachen, wollen unter sich bleiben, sie werden aber nicht gefragt. Letzter Aufruf für die Flexiblen, die am Arbeitsmarkt gebraucht werden, und wenn die verstorben sind, weil man aufgrund ihrer Flexibilität einen Knoten aus ihnen gemacht hat, was sie nicht gut vertragen haben, entscheiden sie sich erst im letzten Moment für ihre Destination, Himmel oder Hölle, dort gibt es noch Restplätze für Zeitarbeit, für Ewigkeitsarbeit, für Zeit-und-Raum-Arbeit, wir alle werden es jedoch noch billiger geben, falls das Atom in der Tschecherei, nein, die ist ja bei uns, ich meine in der Tschechei, endlich aktiv wird. Das wird ein leckeres Vollkornbrot, wenn wir endlich, und zwar mit den bloßen Händen, um keinen Strom an eine Maschine zu verschwenden, gut durchgemischt sind, Tote plus Lebendige in idealem Mischungsverhältnis (dann endlich werden die Lebenden in der Minderheit sein und erfahren, wie sowas ist), voll Schrott, volles Korn, volle Pulle, Mischbrot mit scharfkantigen Getreidetrümmern, wie es leibt und lebt und in den Leibern jeden Darm zerreißt, vor allem an dessen Ende, ja, das Ende ist immer knifflig, man hat den Arsch zu lange eingekniffen, und dabei ist noch nicht berücksichtigt (Rücksicht kennen wir ohnehin nicht), daß viele aus Mangel


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an solchen Ballaststoffen bereits den Tod durch Darmkrebs fanden. Auch ich kann hier das Ende leider nicht berücksichten, weil ich es noch nicht kenne. Die Darmkranken, in denen sich Joghurts rechts drehen und links drehen, Walzer tanzen, von mir aus, können wir getrost jetzt bereits den Toten zurechnen, da sie nicht vorgesorgt haben, sondern sich nur normal gesorgt haben, sie kommen eh bald, die Sorgen, grüß Gott. Was für ein dummer Mörder, so findet sie nun wirklich jeder, diese tote Frau, die vom Bürgermeister dieses Kaffs genagelt wurde, nein, Entschuldigung, die an die Garagentür des Bürgermeisters dieser Kleinstadt genagelt wurde, deren Namen wir verschweigen wollen, sonst fährt noch jeder dorthin, um sich diese Garage einmal anzuschauen (und Sie sollen doch lieber in die Erzstadt fahren, die sogar ich schon fast vergessen habe, und sie ist doch meine Hauptperson!, und den Tourismus ankurbeln! Hauptsache, Sie kommen nicht zu mir, ins schöne Wien, um den Gemeindebau, in dem der 12-Jährige dahingemetzelt und danach auch noch geschnetzelt wurde, zu besichtigen, fahren Sie lieber aufs Land, Sie sehen, das ist gesünder), ich meine angelehnt wurde, nicht angenagelt, das wäre denn doch zu auffällig und von Seiten des Hammers krachmachend gewesen! Das ist wirklich passiert, ich schwöre es. Ich schreibe Ihnen hier die Anschrift auf, keine Ahnung von wem, also meine mit Sicherheit nicht, ja, ich schreibe selbst und weiß normalerweise


 

 

 

 

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