Neid

Privatroman

Fünftes Kapitel, d

 


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Doch auch die Blicke hier in der düsteren Eisenprovinz sind zweitklassig geworden, wie die Qualität des verbliebenen Rest-Erzes, sie müssen sich erst wieder emporarbeiten zu den Bergen, von welchen ihnen aber auch keine Hilfe herkommt, während derweil die beinahe manövrierunfähigen Schwerfahrzeuge an den Kreuzungen immer noch andre Verkehrsteilnehmer unangebracht selbstbewußt bedrohen, als wären diese Riesen mit ihrer Unduldsamkeit gegen andere die einzigen, die hier fahren dürfen. Sie werden bald nichts mehr zu transportieren haben, auch nicht als Kaiser, als Herren der kleinen buckligen Welt. So laufen sie alle ins Leere. Bald wird sie niemand mehr brauchen, und sie werden nichts mehr zu tragen haben. Noch hocken sie aber da, die mißtrauischen, heimverlorenen Blicke, und wollen nicht aufstehen, unsicher in Liebes-, aber auch in Arbeitsangelegenheiten wie ihre Besitzer, wen interessierts, daß man einen neuen Mantel hat? Erfreut, doch das private Budget – inmitten der privatisierten Verstaatlichten ein eindeutiger Blindgänger – ernsthaft befragend: woher nehmen? (natürlich von Kastner & Öhler!, bitte zahlen Sie mir was für diese Nennung!, die Kunst ist jetzt privat, muß auch Kleines annehmen und kann Großes nicht eintreiben), wird er registriert und eingetragen, denn die Leute kennen einen alle nur in dem ewiggleichen alten Daunensackmantel, als gäbe es nur diesen einen, der sich, obwohl er schon so lang hier wohnt, noch immer nicht orientieren kann, schon gar nicht nach der Mode, lang, lang ists her, daß man sich an diesen Mantel fest gebunden hat (na ja, nicht direkt: festgebunden!), und jetzt kann man


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diese Beziehung nicht mehr beenden, aber es hat sich seither ohnehin nichts geändert (die Änderungsschneiderei, die einem Türken gehört, würde auch gern mal zum Zug der Zeit kommen, aber was soll man an einem Daunensack schon groß ändern, damit er dieser Zeit entspricht und in den Zug sodann, an seinen Besitzer geklammert, einsteigen darf?), die Erscheinung des Daunenmantels ist kein Sehnen, er ist das, was alle tragen, er ist die Quintessenz von Kleidung, er ist Demokratie, er ist der Beweis für Demokratie, in der sich, gerade indem sich ab und zu was ändert, nie was ändert. Es hat sich hier aber auch sonst nichts geändert, denn längst abgefahren ist er, der Zug der Zeit, von dem wir vorhin sprachen, seit zu vielen Jahren ist alles gleich geblieben, nur das Erz wurde immer weniger, und dieser Mantel ist einer von den grob wattierten und dann eingekastelten Steppenmänteln (das heißt aber nicht, daß seine Besitzerin immer in Watte gepackt würde, im Gegenteil!), die immer gefaßt bleiben, gefaßt in Nylon, wie ihn alle hier tragen, es ist eine Art Briefumschlagmantel, den sein Inhalt nicht interessiert, er dient nichts anderem, er hat keinen anderen Herrn über sich als den ungefährdeten Transport des Menschen im Winter, so wie die gigantischen Haulis immer nur dem Transport des ermüdeten, endlich endenwollenden Erzes dienen, doch noch hören wir die Eisenhämmer laut dröhnen, überall hört man sie noch lärmen, und die Mäntel sind – daran werden wir hiermit erinnert – schon lang nicht mehr aus Wolle, nicht einmal der vom Pfarrer ist es, das wäre zu teuer, er ist aus Mischgewebe, nein, nicht der Pfarrer, der ist echt und darf sich nicht mit einem andren Menschen mischen


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(etwas, von dem es so wenig gibt wie Pfarrer, ist meistens echt, es lohnt sich nicht, es zu fälschen), na ja, also die Gewebe mischen sich schon recht gern, wenn ein Chemiker sie zwingt, die Menschen auch, sie sind gern ungezwungen. Ich glaube, die Menschen wollen das Echte nicht mehr, denn etwas Teureres können sie sich nicht leisten, sie würden es auch nur am Preisschild erkennen. Diese Blicke springen, von Unsicherheit getragen, geradezu abenteuerlich herum, doch sie finden nichts, auch wenn Arbeitslose auf der Straße einfach nur so dastehen, bis sich andere zu ihnen gesellen, denn nur unter mehreren, unter möglichst vielen Menschen kommt, in Form von Mischgewebe, diesmal mit Alkohol, eine gewisse Heiterkeit auf. Der Blick läßt sie ein, am liebsten ins Wirtshaus, dann wirft er nachlässig, als wäre da gar niemand, den Schlüssel zu ihnen weg. Betrunkene sollen nicht mehr fahren und gehen bitte auch nicht mehr, weil sie es nicht mehr können. Sie sollen es nicht einmal versuchen. Sie sollen lieber bleiben wo sie sind, und so bleiben sie hocken. Die Frau, die wir meinen, aber wer gibt schon was auf unsere Meinung?, schaut mit einem ihrer Blicke in den Spiegel, noch im Stehen am Kipferl mampfend, schnell, schnell, obwohl sie sich vor einer halben Stunde noch so sehr auf den Genuß gefreut hat, und ab und zu einen Schluck Kaffee nippend (das Häferl wird gleich danach heiß und ohne Spüli abgespült und auf das Abtropfkissen gelegt werden), aber sie hat noch einen zweiten Blick, mit dem Zentrum ihrer Augensterne, die seit langem verglüht sind, da man ihnen den elektr. Strom in all seinen lampigen Formen bereits in Bruck entzogen hat, wo der Zug einen ein wenig längeren Aufenthalt hat, gleich


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mitsamt dem ganzen Elektro-Geschäft, das macht aber nichts, der Strom steckt schließlich in jeder Birne, er steckt nicht zwischen zwei Semmelhemisphären, als Leberkäse, denn Käse leuchtet nicht, es sei denn, er wäre von Maden bewohnt, die sich allesamt Taschenlampen gekauft haben. Und es ist ein- und derselbe Blick, mit dem Menschen werfen, wenn sie den Lebenskäse mitten aus der Semmel herausgegessen haben und nur noch die Semmel übrig ist, und diese nicht unversehrt, sondern durchgeschnitten; es ist dieser Blick der Menschen, nur mit einem anderen Teil ihrer Netzhaut, wo er sofort gefangen und schwer geschockt, nicht elektrogeschockt, wird, bis er wieder davonschleicht, gekrümmt wie der dunkle Faden, der mir seit Wochen in die linke Pupille hängt und nicht verschwinden will, ja, der dumme Hund, der Blick, der läßt uns einiges anschauen, aber nie das, was wir sehen wollen (als Deutscher verstehen Sie dieses Wortspiel garantiert nicht, Sie müssen sich halt so lang in den Spiegel schauen und hoffen, sich nicht, wie ich, eine mouche volante eingefangen zu haben), aber er geht doch immer wieder kurz weg, dieser Blick, unser Augenstern, wir haben ihn gern, er kann uns gernhaben, er schweift ab (wir schweifen leider auch dauernd ab, ich bedaure es), der Faden in meinem Auge leider nicht, der folgt mir getreu, der ist aber auch das einzige, was mir folgt, so, der Blick wandert also müßig herum, wenn er mal Pause hat, in einer Pause zwischen den Schlägen des Schicksals wandert er hin und wandert er her, in seinem ureigenen Schicksal aus Arbeitslosigkeit und schlechter Ernährung, das langsam, aber sicher die totale Macht über ihn und seinen Besitzer gewonnen


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hat, dieses ungerechte Schicksal, vertreiben wir es!, nein, das können wir nicht, wir vertreiben derweil die Nazis, und zwar alle, auch Frau H. vertreiben wir aus dem Fernsehn, und zwar mit viel Erfolg. Da nützt kein Wandern, das nimmt man überallhin mit, das ganz besondre Schicksal, das nie so besonders ist. Und der Blick des Verzweifelten führt den totalen Krieg gegen alle anderen Blicke, einen Krieg, den die Mitmenschen nicht gewollt haben, doch nur unter Schlägen lernen sie, und die kriegen sie jetzt auch. Wo war ich gleich?, na, gleich nicht, aber hier, hier doch, wo ich in mein Schreiben auf dem hellen Schirm, wo mich dieser blöde Wollfaden aber schon ganz besonders stört, starre (ich möchte ja nicht, daß Sie sich das ausdrucken, ich möchte, daß es vor Ihren Augen herunterrutscht und verschwindet, immer, so schnell wie Sie wollen, von Neuem abgelöst, wie das Licht, also bitte, nicht zur Untat, ich meine zur Untätigkeit verurteilt, auf Papier verbannen!), der Blick also, von dem war vorhin die Rede. Der forschende, neugierige, auch abschätzige Blick, der aber leider nicht gut schätzen kann, was jemand verdient, der vielleicht unser Lebenspartner werden könnte, der Blick, jeder Blick, jeder hat mehrere davon frei, unser Lieblingshaustier, das nicht viel von uns allen verlangt und uns doch viel zurückgibt, aber nur, was wir gar nicht haben wollten, der heutige Blick also (morgen wird ein andrer kommen) geht immer wieder zu dem halb zerknüllte Foto auf verkrumpeltem Hochglanzpapier zurück (das Mädchen, der junge Mann, von irgendwoher kennt sie die doch, ihren ferneren Schritt hat sie schon einmal gehört, die Frau Geigenprofessorin – Geige als Profession und als


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Berufung, beides! –, sogar ganz in der Nähe hat sie den gesehen, den Knaben, das Mädchen, wo war das noch gleich?, und dieser Riß durch das Foto einer älteren Frau, Sie erinnern sich gewiß nicht mehr, und an eine ältere Frau würden Sie sich ohnedies nicht erinnern, schon des Kontrasts wegen zu all den wunderbaren Frauen, die man sonst im allgemeinen in der Zeitung sieht – nein, dies hier ist keine Zeitung, denn nichts hier ist eine Neuigkeit –, außerhalb des Lokalteils, in dem die Schönen ihren Platz auch mal mit den Opfern teilen müssen, in den übrigen Teilen herrschen die Schönen allein, wo sie auch hingehören, denn nicht überall gehören sie hin, sonst gäbe es überhaupt keine Schönheit mehr, es wären ja alle schön, hier haben wir es mit der Gerichtssaalspalte zu tun, irgendwo müssen diese schlagenden wie geschlagenen Menschen ja auch hin, die grundsätzlich die falschen Verbindungen eingehen, welche sie dann mit oder ohne Waffengewalt verteidigen, sie sind die Mehrheit, die Waffenlosen, die Entwaffneten, und irgendwo müssen doch auch sie ihren Platz finden, auf der Tribüne in Mariazell zum Beispiel, wenn einmal der Papst vorbeikommt, ja, dort gehören sie hin oder vor Gericht oder ins Spitalsbett, ansonsten sind sie heimatlos, keiner Zeile für wert befunden, zum Beispiel jene Dame, die ihre Tochter zerstückelt und verbrannt hat, über die werden noch ganze Bücher geschrieben werden, vielleicht sogar von mir, nein, mir reichts jetzt, es hat gar keinen Sinn, wenn nun auch Sie abwehrend schreien und sich die Hände vor die Augen halten!, genau die können Sie z. B. hier sehen, nein, nicht hier, woanders, aber das ist mir egal, ob Sie sie sehen oder nicht, Sie


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könnten sie überall sehen, wenn Sie nur wollten, sie darf aber nicht fotografiert werden, und wenn, dann wird ihr Gesicht fürsorglich unkenntlich gemacht, wenn sie sich selbst schon nicht kennt, wieso sollen dann andre sie kennen? Und wenn sie noch einmal nicht fotografiert werden durfte, dann bekommt sie einen Balken vors Auge, der meinem Wollfaden ähnelt, die ältliche Kindesmörderin, nur hängt der senkrecht, der Balken im Auge des Nächsten jedoch schwebt waagrecht oder auch nicht, entweder er schwebt oder er ist angeklebt oder sonstwie aufgebracht, ich meine angebracht. Wieso sehe ich sie dann überhaupt, diese Fotos? Weil sie mich interessieren. Das ist Grund genug. Also den Kopf des Mädchens hat die Kindsmörderin versteckt, den hat man immer noch nicht gefunden, und findet man ihn gewiß dereinst, wird er für ein Foto noch tauglich sein? Aber klar doch, jetzt erst recht!), wo waren wir?, ein Blick geht zurück, die ganze Zeit, dabei geht wirklich nur ein außergewöhnlich getreuer Hund immer wieder dorthin zurück, wo er grad noch verdroschen worden ist; so, der Blick wandert also, scheinbar ziellos und ohne es zu wollen, aber doch immerhin gebannt auf das Zeitungsfragment, das die Frau vorhin, geistesabwesend und ohne es richtig bewerten oder ein Angebot für ein Sonderangebot abgeben zu können, aufgehoben und mitgenommen hat, ja, genauso wandert er dahin, der Blick, weit hat er es ja nicht, und auf dem Bild ist nicht mehr viel zu erkennen. Einfach so, sie weiß nicht warum. Warum hat sie den Zeitungsfetzen überhaupt aufgeklaubt? Wer ist diese ältere Frau auf diesem Bildnis, das ehemals ein Glanz war, wenn auch nur auf dem Papier?, ja, auch auf diesem, doch das war einmal,


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durch beide Fotos auf diesem Zeitungsfragment geht hier dieser Riß, als wollte die eine Hälfte sich mit der anderen nicht mehr einlassen, und das Gelesene daneben – ist es überhaupt jemals richtig von jemandem gelesen worden? Oder hat man es nur als Einwickelpapier benutzt? – , das Gelesene also kann nicht seiner Bestimmung zugeführt werden. Diese Frau kenne ich doch! Das Datum oben ist kaum noch zu erkennen, aber wen lernt man denn schon kennen in einer solchen Provinzstadt, die eh seit längerem schon stirbt, elend krepiert, ob nun was passiert oder nicht? Also wenn einmal was passiert, dann würde man das schon noch erleben wollen, und dazu müßte man am Leben sein. Warten wir also noch ein wenig mit dem Sterben! Es ist keine Anstrengung nötig (auch die am Berg wird nicht mehr gebraucht, die Hämmer dröhnen noch, aber ins Leere), denn diese Frau, die man nur verzerrt durch Risse und Kniffe im Papier wahrnehmen kann – doch es gibt keinen Kniff, die Menschen zum Lesen zu zwingen, allerdings schauen immer gern sie Bilder sich an – , zieht die Blicke an mit ihrer Rätselhaftigkeit, ja, ein Stück der Rätselecke ist auch auf der Seite mit drauf, ganz unten ein Sudoku, von dem ich nicht einmal verstehe, was ich damit machen soll (ich habe Angaben noch nie verstanden, auch in der Schule nicht, und Vorgaben hat das Leben mir nie gegeben, außer damals, da ich dieses Stück Stoff gratis dazubekam, dafür hat es mir meine Mutter, keinen Augenblick zu früh, weggenommen und einen zusätzlichen Kissenbezug draus genäht, aus dem Stoff meine ich, den ich erstand, auch Christus ist ja erstanden aus der Marter Banden, etwas, das mir nie gelungen ist. Ich werde doch auf meine alten Tage


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nicht wieder katholisch werden? Viele haben es ausprobiert, christlich wenigstens begraben zu werden, aber ich könnte mich dann ja gleich begraben lassen, wozu noch warten?), dort könnte er es nachlesen und die Leere ausfüllen, unser Leser, falls jemand ernsthafte Absichten mit dieser gewesenen Zeitschrift gehabt haben sollte, doch es ist kein Kästchen ausgefüllt, keine Ziffer eingesetzt, kein Stift, kein Kuli hat das Papier befleckt, nur die Abdrücke des Turnschuhs sind verschwommen und inhaltsleer zu sehen, weil man ja nicht sieht, wer einmal drinnengesteckt ist, nein, das sieht man nie, was in einem Menschen alles drinnensteckt, wozu er fähig ist, und hier hat ohnehin kein Interessierter hingeschaut, da hat irgendwann einmal jemand zugetreten, ohne hereingebeten worden zu sein, aber es war nicht mit Gewalt, es war nicht mit Absicht, es war, wie das meiste, einfach so, es geschah aus Nachlässigkeit, so wie die meisten von uns ja ebenfalls entstanden sind. Die Frau schaut mir doch irgendwie ähnlich, denkt Brigitte K., sie ist, als Gehende, auf eine müßig im Bild hockende Frau, also auf deren Gesicht getreten, auf das zuvor schon ein andrer gestiegen war, was andres kann man damit sowieso nicht mehr machen, und jetzt hat sie auf einmal das Gefühl, als wäre sie es selber, die da fotografiert worden ist. Seltsam. Das kann doch nicht ich sein! Eine Erscheinung? Bitte, Jesus und die hl. Jungfrau sind meiner Mutter durchaus ein paarmal erschienen, „haben Sies gesehen, waren sie dabei?“, sprach Jesus persönlich mit schöner Tenorstimme zu Mama (also das mit der Stimme dichte ich hier dazu, weil Tenöre immer begehrt sind, aber alles andre ist wahr, auch wenn


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Sie sich noch so wundern), ja, genau dies sagte Er nach jedem einzelnen Wunder zu meiner Mutter, die nie einen Herrn über sich duldete, sich dann aber einen erfinden mußte, weil ihr doch irgendwas gefehlt haben muß, Ehrenwort, das hat sie mir geschworen, daß sie Wunder erlebt hat, daß Gott, Maria, Engel und einige Heilige ihr persönlich erschienen sind und zu ihr gesprochen haben, nur darauf kann ich Ihnen mein Ehrenwort geben, denn das Wort meiner Mutter ist mir Ehre genug, ich habe es aber dennoch nicht geglaubt. Doch Irre sind ja bekanntlich hartnäckig und lassen sich einfach nichts sagen. Dieses Foto ist, als ob im Nebenzimmer jemand plötzlich hämmern würde, allerdings im eigenen Haus, wo ja niemand ist außer uns, wo wir aber nicht der Herr sind, es kann also durchaus jemand reingekommen sein. Daneben noch zwei Porträtfotos, aber diese beiden offensichtlich viel jüngeren Gesichter hat die Profilierungssucht dieser Sport-Sohle (ja, Sport ist rücksichtslos und soll es auch sein, wo als im Sport lernt man Rücksichtslosigkeit, gegen sich und gegen andre? Gegen sich im Sportverein. Gegen andere vielleicht, bitte, es ist ja nur ein Vorschlag, beim Bundesheer? Nein. Diese Turnschuhsohle dient mir zu etwas, ich weiß nur noch nicht wozu, sicher meine Vorurteile zu bestätigen, wovon mein gesamtes Schaffen inzwischen gellend Zeugnis ablegt, das ja auch einmal ausgefüllt werden will, das Zeugnis mit meinen hoffentlich guten Noten, aber sie ist auch für vieles andre, das ich noch nicht kenne, ein Sinnbild, nicht für Couragiertheit und Ehrgeiz und Leistungswillen, sondern es zeigt, also das Sinnbild zeigt demnach sinngemäß, daß wir, im Gegenteil, alle verloren sind. Je


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mehr wir strampeln und treten, umso eher gehen wir verloren, weil das Loch, das wir in die Welt treten, immer größer wird, bis unser ganzer Körper irgendwann einmal mühelos hindurchgeht wie ein heißes Messer durch Butter, ein fliehendes Tier, dieses arme, ängstliche Leben, das Leben ein Traum, nein, ein Tier, das verschwindet, auch wenn es nicht in die Läufe einer Waffe blickt und die eigenen Läufe noch fleißig betätigen kann, denn Wegrennen ist immer gut, schnell, schnell!, es geht ja oft auch der Ehrgeiz mit uns durch und bringt uns danach nicht mehr zurück. Ach was, wir sollten gar nicht mehr auftreten, das können andre doch eh viel besser!), was war vorhin, raufschauen, weg da, Fliege!, sofort raus aus meinem Auge, wie oft soll ich dir das noch sagen?, aha, ich seh schon, es hat die Profilierungssucht der Sohle ein Foto voll ins Gesicht getroffen, da ist kaum noch etwas zu erkennen. Mir gehörst du, liebes Gesicht, oder willst du nicht? Erst mal müßte ich sehen, ob diese Frau halbwegs gut ausschaut, dann entscheide ich, ob das Gesicht mir gehört. Wenn sie gut ausschaut, schaut sie mir sicher irgendwie ähnlich, aber nur sehr irgendwie. Ich habe schon den Eindruck, daß du auf seltsame Weise meins bist, du Gesicht du, kann Brigitte nur flüchtig denken, aber nein, das kann nicht sein. Sie ist es nicht. Sie kann es nicht sein, die da fotografiert wurde, sie ist doch nicht öffentlich geworden, niemals, zumindest nicht, soweit sie sich erinnert, bitte, beim Abschlußkonzert mit ihren Schülern ist sie schon öfter für den Lokalteil der Krone und das Bezirksblatt fotografiert worden, beide irgendwie matt, flau, das stimmt, mir wird auch schon ganz anders, mir wird schon glei dumper, wenn


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ich in diese Blätter schau, die leider auch im Winter nicht von uns abfallen, aber die Fotos waren danach nur noch im Gemeindeamt ausgestellt und konnten dort sogar käuflich erworben werden, von Verwandten der Schüler, die in der Nähe wohnen, doch die Weite der Erinnerung, und die ist das wichtigste, das die Frau noch hat, geht immer nur bis Bruck a. d. Mur oder manchmal noch nach Graz, zu diesem oder jenem Konzertabenteuer. Zugegeben, heute fotografiert ein Handy notfalls alles andre auch, im Prinzip alles, was man sehen kann, auch wenn überhaupt nichts andres da ist, das Handy ist und bleibt alles, was unsere wunderbare, soviel rascher als Erz vergehende Schönheit in jedem Augenblick und in Kooperation mit jedem Augenblick festhalten kann (d. h. überhaupt nicht vergehen kann, Schönheit kommt davon, sie kommt aus der Parfümerie, und zwar von dieser neuen Allzeitbereitcreme), aber wie könnte Brigitte da auf diesem alten Foto festgehalten worden sein, na, vielleicht ist es ja gar nicht so alt, mal sehn?! Von wann ist die einstmals gewiß noch mehr glänzende Zeitschriftenseite? Kann man nicht erkennen, ich sagte es schon. Kein Datum auf dem halb aufgeweichten Fetzen. Vielleicht ohnehin nur ein paar Tage? Wer würde heute ein Stück Zeitschrift auf der Straße wegwerfen, das Jahre alt ist? Kann ich mir auch vorstellen, aber das wäre woanders, für den Container gesammelt, dann wäre das Papier mit vielen Geschwistern und andren Verwandten zusammen, um, wie jene, früher oder später entsorgt zu werden. Vielleicht hat es sich losgerissen, weil es noch was erleben wollte? Die meisten von uns werfen alles gleich weg, damit sich nicht zuviel ansammelt, außer denen, die eine Meise


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haben und alles für die Ewigkeit, die sie aber nicht erleben werden, aufheben müssen. So, und jetzt schaut Brigitte gar in den Spiegel und hält sich die Zeitung daneben hin, ohne daß ihr Blick noch richtig angezogen wäre, denn die Schicksalsschlägerei hat des Blickes Kleidung ja doch ein wenig in Unordnung gebracht, sie hat ihren eigenen Anblick im Spiegel nicht ertragen können, die Brigitte, schon wieder zugenommen, aus lauter Trägheit und wegen geheimen, verklemmt klammheimlichen Saufens, wie furchtbar!, vielleicht hilft ja das Bild, das in die Zeitung gekommen ist und einen und sich wichtig macht? In diesem Alter braucht man Training, um seine Form zu behalten, auch wenn man nie eine hatte, und man braucht nur wenig Essen, von allem weniger, mit jedem Tag weniger, da man ja auch viel weniger wert ist, man müßte direkt von einer sportiven Übung zur nächsten rennen, aber man rennt leider gar nicht, zumindest nicht, wenn man Brigitte K. ist, dann hat man Besseres zu tun, man hat mit einem Musikinstrument zu ringen. Doch man sollte, man hätte es in erheblichem Maße nötig. Man sollte sich bewegen, aber nicht im Stehen (Geige). Die Hose spannt nun wirklich, aber schon so!, das Hemd ist bei weitem nicht so angespannt, denn es kennt seinen Inhalt zu gut, was wohl noch alles passieren wird? So, jetzt schaut die Frau also schon wieder zu dem Fenster hinüber, wo sich vorhin erneut diese flüchtige Spiegelung gezeigt hat, doch dort ist noch immer niemand. Im Haus gegenüber ist niemand. Klar, sie hat schon richtig klar gesehen, da geht vielleicht jemand herum, der aber offenbar niemand ist, im Niemandsland der Blicke einer alternden Frau, ihr Antipode, ihr Gegenteil geht


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umher, ein junger Mann, er schreibt etwas auf eine staubige Scheibe, auf die Mattscheibe, die deshalb so staubig ist, weil seine Mutter den ganzen Tag weg ist und nicht zum Putzen kommt, in der Bank, sie arbeitet in der nächsten Kleinstadt in einer Filiale unter dem Giebelkreuz, an das sie bald wieder jemanden schlagen werden, bald ist wieder jemand fällig, diesmal vielleicht zur Abwechslung die Mutter, wenn wieder Leute zur Entlassung anstehen, beim nächsten Mal ist sie dabei, ahnt sie seit längerem schon dunkel, womit sie aber auch kein Lüftchen bewegen wird. Anstehen müßten diese Menschen gar nicht, sie fliegen so und so raus, sie wissen, daß sie überflüssig sind, doch je weniger Menschen, desto weniger Geld haben sie zu deponieren, gebe ich zu bedenken, doch es besteht kein Zweifel, das Giebelkreuz beschützt sie da auch nicht davor, nichts beschützt sie, und auch die letzten Häuselbauer in Amerika werden nicht geschützt, deren Hypotekarkredite sehr faul gewesen sind und nicht gearbeitet haben, sie sind einfach nur faul dagelegen, und doch wurden sie einem faktisch aufgedrängt, obwohl sie nichts geleistet haben (selber haben sie absolut nichts getan), damit man, bevor das alte noch fertig ist, bereits ein größeres Haus mit faktisch und praktisch Nichts erwerben konnte, jawohl, dieses Haus baut sich im Prinzip von allein, aus sich heraus, die haben in Amerika das Perpetuum Mobile in Gestalt von Häusern erfunden, was wollte ich sagen?, ja, wie üblich leider nur einen Gemeinplatz wollte ich mit einer Stecknadel abstecken, die auch gleich wieder rausfliegt, die steckt nur lose drin, ich müßte schon einen Nagel nehmen: Die Letzten also beißen die Hunde, die Letzten beißen immer


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die Hunde, das können Sie in der Zeitung nachlesen, und auch die Raiffeisenbank kauft sich lieber Zeitungen, als sie zu lesen, Zeitungen, Zeitschriften, die ihr dann gehören oder gehören werden, sie gehören alle dem Kreuz, an das sie genagelt werden, fliehende Blätter, in denen tote Menschen etwas Interessantes über sich lesen könnten, das sie gar nicht gewußt haben, verzweifelte Menschen. Tja, unser liebes altbekanntes Giebelkreuz, das scheut sich nicht, es hat vor nichts Angst, das Geld scheut vielmehr uns, wir dafür scheuen ebenfalls vor nichts zurück, und auch nicht davor fürchtet sich die Frau, daß ihr Sohn macht, was er will, kaum daß sie aus dem Haus ist, sie fürchtet sich vielmehr davor, daß vielleicht auch sie aus Altersgründen in Bälde wird machen können, was sie will. Daß es keinen kümmern wird, was sie macht. Und genau das will sie nicht. Das bekümmert sie. Es wäre zu früh. Was soll sie tun? Er ist ohnehin schon fast erwachsen, der Bub, das heißt, er ist faktisch schon weg von ihr. Keiner bleibt hier. Keinem bleibt seine Gestalt, sagt der Spiegel, der immer seinen Senf dazugeben muß, hämisch zu einem Anblick, der ihn völlig kalt läßt, wie jeder andre Anblick auch. Ist das der Sohn der Nachbarin dort hinter der Scheibe? Wir ahnen, daß es jemand andrer ist. Nur nicht so direkt hinglotzen, nein, auch nicht mit dem Operngucker, das sieht der doch! Oder ist jemand andrer dort im Haus? Wer auch immer dort ist, er sieht das Glänzen im Objektiven, ich meine im Okular. Wenn er es überhaupt ist, der Sohn, der da ist, wo sollte er sonst sein, wer sollte es sonst sein? Ja, wer sollte es sonst sein? Er antwortet auf diesen Brief hier, den Brigitte K. ihm nämlich geschrieben hat, wie ich Ihnen


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hier schmucklos verrate, denn erzählen kann ich es nicht, ich finde keinen Übergang, der fürs Erzählen so ungemein wichtig wäre, ich bekannte es schon oft, sogar vor Ihnen, und Sie haben es mir dafür, also nicht grade dafür, auch schon oft gesagt: Ich kann nicht erzählen, ich kann einfach nicht sagen, was passiert, ich kann es nicht so sagen, daß Sie verstehen, daß es hintereinander passiert, ich reite mich beim Aufsteigen auf meine Handlung nur immer tiefer hinein, ich kann nicht, ich kann nicht, ich lebe ja nicht in Hamburg-Eppendorf oder in Berlin-Mitte, wo man wirklich etwas zu erzählen hätte, und ich wohne auch nicht in den brausenden Großstädten Ackerhitze oder Kelle, wo man, um vor dem schädlichen Elektrosmog oder Feldern mit magnetischer Anziehungskraft geerdet zu sein, bis zum Hals mitsamt seinen Kindern in Gummistiefeln steckt, auch weil dort dauernd das Wasser übergeht, aus den Flüssen kommt es, glaub ich, heraus, aber von woanders auch, alles fließt, alles ist im Erzählfluß, wo die Menschen längst gargekocht sind, die Erwachsenen in großen, die Kleinen in kleineren, ordentlich abgedichteten Gummihosen (daher verstehen die Leute dort wahrscheinlich soviel von Dichtung!), die von unten nach oben führen, nicht umgekehrt, das wäre sehr dumm von den Hosen. So, jetzt wissen wirs also, daß wir es nicht können, aber das Warum wissen wir nicht, ich meine natürlich, viele können es, ich kann es nicht, das Erzählen, ich komm nicht in diesen Fluß des Erzählens hinein; der Flüsterasphalt der Großstadt, aber auch jener der Autobahnen, über die ihre BMWs und Audis und Mikrophone und Mikroprozessoren und neue Mikromercedesse jagen, hat uns auch etwas zugeflüstert, was wir hier


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aber nicht auch noch bringen müssen, da es der Motor des neuen Audi eh schon bringt, ja, sogar der Asphalt hat uns was zu sagen, einfach jeder hat uns etwas zu sagen, sogar aus dem Fernseher heraus sprechen die Menschen zu uns (oder haben die Autos selbst es uns zu sagen? Sie würden gern, doch der Asphalt läßt sie neuerdings nicht mehr, dafür springen sie nicht an, rein aus Trotz, die viele Elektronik trotzt also, und wir sind peinlich berührt über unser Unvermögen, denn das bißchen Vermögen, das wir besitzen, haben wir leider auf der Bank deponiert, in der die Zinsen längst ermattet zu Boden gesunken sind und die Hände vor die Augen geschlagen haben, nur damit die Amerikaner sich Häuser kaufen können, die sie sich gar nicht leisten können, äh, alles falsch, was wollte ich sagen, da mein Auto schweigt, ich habe doch gar keins?,  ja natürlich, per Simsen wärs auch gegangen, wozu Papier vergeuden für das, was alle sagen und alle erleben und daher keinen interessiert, bloß: Alle können es sagen, und warum kann gerade ich es nicht?, gerade ich sollte es doch können, man hat mir ja voreilig bestätigt, daß ich es könne, es wird geradezu von mir erwartet, man hat mir Vorschußlorbeeren an den Kopf geworfen, aber sie haben nicht gehalten, was sie versprachen, sie sind mir über die Ohren gerutscht, und ich sehe die Welt jetzt nicht mehr, nein, keiner erwartet mich, ich kann ja nicht einmal die Luft durch Sprechen in eine Art Beschwingung versetzen, in Bewegung, ich bin ein Dreck im Vergleich zu einem, was heißt einem, jedem! Auto, so, jetzt sind wir endlich soweit, jawohl, jetzt hat der Bursch gegenüber den Brief gefunden und liest ihn, das seh ich genau, der künftige Student liest ihn, ich hoffe, er schafft davor die Matura, der


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Brief wurde schließlich auch von jemandem verfaßt und wird in diesem Augenblick gerade von unserer Datei erfaßt, wir haben schon auf ihn gewartet, weil er gestern nicht gekommen ist und vorgestern auch nicht, obwohl es ausgemacht war, daß er kommen wird, ich brauche ihn hier für die Erzählung, die keine ist, ich brauche ihn nicht anderswo, und in dem Brief steht, ja, was steht denn da?, also, ich lese vor: Ich schicke dir Küsse und umschlinge dich mit meinen Beinen. Seltsam, daß diese zurückhaltende Frau hier, ja die, neben der Geige, aber die Geige ist im Kasten, das Foto auch, es wird hier wiedergegeben, auf diesem Fetzen Papier, komisch, daß eine solche Frau, der wir das nie zugetraut hätten, so etwas Dreistes, beinahe schon tierisch Geiles geschrieben haben soll, aber wahrscheinlich haben Sie einen anderen Begriff vom Tierischen als ich. Nein, das kann nicht von ihr sein! Und ist es wahrscheinlich auch nicht. Wieso nicht, Geigespielen ist schwieriger als Schreiben. Ich glaubs nicht. Doch, das glaube ich, beides versucht – kein Vergleich! Geige: schwieriger, sonst wäre z. B. ich ja Geigenvirtuosin geworden! Ich bin den leichteren Weg gegangen. Ich mache das, was jeder kann: schreiben. Außer jenen, die es nicht können. Etwas dermaßen Unerwartetes sollte nicht zu meiner Erzählnis gehören, weil ich es gar nicht schildern kann, in Berlin-Mitte könnte sowas ja auch gar nicht passieren, und wenn doch, könnte man es dort besser sagen, denn dort braust das Leben, während es hier im eigenen Saft schmort und längst ungenießbar ist, und ausgerechnet ich bin die Beilage zum Erzählen anderer, Fremder, man nimmt mich zur Kenntnis, aber man läßt mich gern stehen, weil die


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Leute keine Vitamine zu ihrer Hauptsache dazu wollen. Die unwillkommene Ausgabe der neuesten Telefonrechnung würde ohne Spuren, nein, im Gegenteil, sogar äußerst detailliert verzeichnen, was gesprochen wurde, nur diese Schrift ist nirgendwo verzeichnet, bloß der Ticktack-Tarif und der Ruckzuck-Tarif würden sprechen dürfen und es, genau aufgeschlüsselt und nachträglich, grob angeflegelt, auch noch am Ende der Rechnung niedergeschrieben liefern, einer Rechnung, die nie aufgeht, weil wir unser ganzes Geld schon versprochen haben, aber nicht uns selbst (wodurch auch keine Rechnung je niedriger geworden wäre), daß wir das nie zahlen können und daher selber geliefert sind, ahnen wir, nein, eine Roaming-Gebühr würde uns nicht anfallen, die würde überhaupt nicht anfallen, weil wir uns nicht im Ausland befinden, wir befinden uns in unserem eigenen Netz, denn in einem fremden Netz wäre es nicht anzuraten, zuviel herunterzuladen, da kommt leicht eine Rechnung zusammen, höher als der Wert des Inhalts eines ganzen Haulpaks, das ist ein Download, teurer als der Musiker, welcher diese Musik ins Mikrophon eingespeichelt, reingeschmeichelt oder rausgeschrien und sich bemüht hat, sein Singen schön und super und heiß und genial, wie unser ehemaliger Finanzminister, der schöne K.H.G., zu allem sagt, was ihm über den Weg läuft oder in den Weg gelegt wird, zu gestalten. Die Spurensuche auf der Rechnung gestaltet sich ihrerseits nicht schwierig, der Betrag springt gleich ins Auge, das wir schließen müssen, so hoch ist er, der ursprünglich nur als kleiner Beitrag gedacht war. Diese Rechnung würde genügen, uns entsetzliche Angst einzujagen, wären nicht die Auslandstarife seit neuestem


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endlich und entscheidend verbilligt worden (bis Sie das lesen, wird es schon wieder länger her sein, und Sie werden wieder jede Hemmung verloren haben, jemandem einen Klumpen Sprechen an den Kopf zu werfen, sogar aus weitesten Fernen), seit ich dies schrieb, jawohl, jetzt, heute sogar, vorhin, und so stimmt nicht einmal dies, das heißt, es stimmt schon, aber es ist nicht mehr aktuell, ich könnte gar nichts Aktuelles mitteilen, das wissen Sie ja inzwischen, ich werde ständig von einer Stampede aus Worten überholt, die alle viel besser in Form sind als ich, was keine Kunst ist, naja, für die Schülerin, die im Wert von 15.000 Euro herunterlud, was auch immer, ist das alles heute noch topaktuell, wie dieses Top, das mehr von uns zeigt, als ihm und uns guttut. Morgen wird es aber nicht mehr gelten. Sie stottert immer noch die Raten ab, und die Eltern halten sie derweil von allem wesentlichen fern, das auch noch Geld kosten könnte. Es reicht uns schon. Es wird geändert werden. Nicht das Top, die Höhe der Roaming-Gebühren, wenn man im Ausland ist und ins Inland mit einer langen Aussprache zurückredet und sich dazu noch was runterholt. Es wird uns etwas nachgelassen werden, ausnahmsweise, sogar auf Dauer. Es wird alles verbilligt, was wir kaufen, sprechen oder tun, sogar auf Dauer. Die Frau (leider nicht auf Dauer angelegt!) kann sich, wenn auch widerwillig, da sie sich vor sich selber schämt, erinnern, dies auf einen Zettel geschrieben und sich dabei den Knaben von gegenüber vorgestellt zu haben, der inzwischen ein Mann geworden ist, so lange hat sie mit dem Schreiben gezögert, ein Mann jetzt der Bursch mit seinem bißchen Können, das ihm mühevoll erteilt wurde und das er


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immer wieder vertiefen muß und anschließend in ihr versenken soll wie einen Tauchsieder, bevor er nach Leoben geht und sich in ein Bergwerk versenken läßt (wetten, daß Sie nicht wissen, was das ist?, ein Tauchsieder?), ja, sicher, sie hat ihn sich nur vorgestellt, den Knaben, mit ihrem Willen, es ist nicht in Wirklichkeit geschehen, aber sieht nicht auch der junge Mann auf diesem halb zerknüllten Foto dem Sohn der Nachbarin etwas ähnlich?, irgendwie?, seltsamer Zufall, zwei Ähnlichkeiten an ein- und demselben Ort, mit ein- und derselben Person, Zufall, aber harmlos; die Frau erinnert sich sofort an etwas, das aber nie geschehen ist, oder doch?, wie kann das sein?, wieso so lebendig, diese Erinnerung, wie er da unter ihr liegt, wie es ausgemacht ist, nicht wahr, sie ist merkwürdig, diese Wirklichkeit, die vielleicht gar keine ist? Sie kommt sich selbst zuvor und heißt dann Zukunft, aber die Vergangenheit ist auch nicht schlecht, straffere Oberschenkel, strafferer Bauch, glatteres Antlitz, höhere Leistungsfähigkeit, vielleicht können wir sie wiederholen, die Vergangenheit? Bitte, vielleicht könnte man uns dazu verurteilen, daß wir aus der Vergangenheit keine Lehre ziehen müssen und sie daher ewig wiederholen dürfen, weil wir eben nichts lernen mußten, ewig jung und frisch sein, das würde ich gern jeden Tag aufs neue wiederholen, gern sogar. Ja, bitte! Dürften wir sie noch einmal wenigstens wiedersehen, wenn schon nicht noch einmal erleben, unsere allerwerteste Vergangenheit?, nein, denn das Neue muß schon in Empfang genommen werden, das wartet nicht gern, nur der Postbote wartet bereits, ganz allein, aus Angst vor dem Hunde hat er einen Spray bei sich, aber auch dieser


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im Prinzip harmlose Bote wartet nicht geduldig, mit dem Stift und dem Minicomputer, damit das alles Gegenwart wird (die Post bringt allen was!), das Neue, um dann genauso zu verfallen. Die Bits und Bytes krallen sich noch fest, aber wir, wir müssen jetzt leider gehen. Nach zehn Jahren muß jedes von ihnen gehen, jedes elektronische Teilchen aus der Familie der Leptonen, auch das kleinste, das noch gar nicht gehen kann. Ich bin ganz Auge, um mir das anzuschauen. Das können Sie sich nicht vorstellen, oder, daß man sowas sehen will? Daß eine solche Frau dem Knaben mit einem energischen Griff zur Romantik in die Hose greifen möchte, ein Eingriff, der nicht wehtut, doch die Hose ist in diesem Augenblick, das macht sie absichtlich, dafür wurde sie gewählt, ganz auf Sport und nicht auf die leidige Lust programmiert, beim Sport schließt man nicht die Augen und liegt einfach nur so da, höchstens, wenn man seine Leistung zufriedenstellend erbracht hat und rechtmäßig erschöpft ist, nein, vergessen Sie das!, vergessen Sie alles!, ich sage nichts mehr, er macht mich ganz krank, dieser Wille, etwas zu sagen, was nicht gesagt werden kann, ein Wille, der an die Tradition der Nichtigkeit stößt, an der er sich aufreibt, so, die Jugend ist hiermit entdeckt, obwohl sie sich bereits in größerer Entfernung befindet und sich rasch noch weiter entfernt, gleich verliere ich sie aus den Augen, das Alte muß schließlich in die Verborgenheit der Versorgungseinrichtungen zurück und kann nicht ewig der verschwundenen Jugend nachschauen, von der sich das Alter nichts ausborgen kann, Blödsinn, das ginge ja sowieso nicht, nicht einmal zur Probe, vom Alter gibt es nämlich keine Pause mehr, vor dem Alter gibt es


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noch eine, eine lange, eine Generalpause, da könnte man das Leben noch abpausen, aber man hat keinen Stift dafür, und hat man einen, will man sich an ihm nicht schmutzig machen. Ich habe den Eindruck, diese Frau will noch etwas entdecken, einmal noch und dann vielleicht noch einmal und noch einmal, und einmal geht noch, einfach um jung zu bleiben und später jung geblieben zu sein, ich meine: länger, ach was, sie hat die Klingel zu ihrer eigenen Lebenspause offenbar überhört und jetzt keinen Proviant bei sich, mit dem sie sich stärken könnte, so stärkt sie sich mit etwas anderem, denn sie ist neidisch auf die Jugend andrer, das ist der größte Neid und der sinnloseste, der Neid auf die hilflose Jugend, die sich aber natürlich wehren kann und trotzdem einmal, und zwar bald, ebenfalls unwiederbringlich dahin ist, weil diese Gegenwehr gegen das Alter all ihre Kräfte verschlissen hat, sie vergeht, sie muß vergehen, was man ihr aber vorher nicht gesagt hat, es ist ein Neid, der einem am wenigsten nützt, denn die Zeit vergeht einfach so, jeder Augenblick wie jeder andre auch, als würde die Zeit sich nie verbrauchen, die Jugend aber vergeht endgültig und unwiderruflich, ohne daß jemand sie wirklich verbraucht hätte (aber wo ist sie dann hin?), zumindest kommt es einem nachträglich oft so vor, aber schon einen Nachtrag gibt es nicht, einen Nachschlag zur Jugend gibts natürlich auch nicht, man kann nicht nachträglich etwas hinzufügen, das man nie hatte, ja, liebe Autorin, das betrifft dich ganz besonders, auch deine Jugend ist schon weg, längst hat sie sich auf den Weg gemacht, selbst der Zeitpunkt, da sie ging, ist nicht mehr ermittelbar, all diese Wechsel von Sommer- zur Winterzeit und wieder


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zurück, wer weiß, wo die Jugend jetzt ist, bestimmt schon in Tokio oder Shanghai, so lang ist sie weg, so lang hab ich sie nicht mehr gesehen, die ist schon durch die verschiedensten Zeitzonen gereist, so lang wie die inzwischen weg ist, ja, dort wäre ich selber auch gern, in Tokio, einmal möchte ich das sehen, doch so einfach ist das nicht, etwas zurückzuholen, das bereits gewesen ist, bzw. hinzufahren, wo man noch nie gewesen ist, noch schwieriger aber ist es, etwas zurückzuholen, das nie gewesen ist, das geht nicht, bitte, Tokio ist zwar da, ändert sich auch wahrscheinlich dauernd, aber ich bin nie dort, um es mit anzusehen, und das ist nicht der Jugend einziger Grund, das Vergehen: daß sie vergeht; ich meine der Grund der Jugend ist, daß sie ja schließlich auch irgendwo stehen muß, und sie steht überall und ärgert uns, und sie muß auch für etwas stehen, zum Beispiel den Umweltschutz und den Tierschutz, die oft gemeinsam ausgehen, und trotzdem geht es sich nicht aus, daß sie am Türhüter vorbeikommen, die Schlachttransporte jedoch fahren unablässig vorbei, und auch sonst schaut es finster aus, denn daß sie keine Gedankenwelt hat in ihrem schönen Körper, die Jugend, und kein Köpfchen in ihrem hübschen Kopf hat, nein, das ist nicht wahr, es stimmt nicht, es kann einem die Augen eindrücken, wenn man solche falschen Eindrücke zuläßt und sie auch noch weitergibt, das ist meine Verbitterung, die hier spricht, hier spricht mein Neid, ist aber falsch verbunden, trotzdem: kusch, Verbitterung!, halts Maul, Neid!, schreib lieber!, und zwar sprechen sie auch diesmal aus mir, wie so oft, Verbitterung und Neid, weil vorhin ein andrer als ich gelobt worden ist, das ist so gemein, soeben


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habe ich es bemerkt, da ich dies Blatt aufschlug, das in meinen Händen dann sofort verwelkte, das auch, ja, ja, ich schaffe ja schon das Schweigen an, doch so schnell geht das nicht, und da ist nichts, was mir folgen würde, ich handle aus der größtmöglichen Dürftigkeit einer, die nichts erlebt hat, in sie bin ich verstrickt, in die total veraltete Einrichtung meiner Ausrichtung auf das Immergleiche, nein, meiner Aufmachung wollte ich sagen, die immerhin ab und zu ein wenig variiert, ich habe mehrere Sorten Aufmachungen, niemand macht sich heute so auf wie ich, wenn er, anders als ich, ein Ziel hat, während draußen die Jugend in ihrer prangenden Gedankenlosigkeit vorüberzieht, in alle Richtungen, Jugend, was ist das überhaupt?, nicht einmal das weiß ich, obwohl ich sie, glaub ich zumindest, einmal kennengelernt habe, ja, zumindest einmal, Jugend, die glaubt, in die Tiefe gegangen zu sein und nur einfach in den Pool gesprungen ist, in Herden langer Mittagspausen, die bis in den Nachmittag hineinreichen, immer Musik, immer Musik, immer Musik, überall, das kenn ich, das erinnert mich an was, an etwas, das ich ganz besonders hasse, ich hasse die Musik, die mein Leben schon in dessen Jugend zerstört hat, aber vieles andre hat das auch getan, da war die Musik wahrscheinlich noch das Angenehmste, also bitte, mit irgendjemand werde doch wohl auch ich sprechen dürfen, auch wenn es der Neid ist, der aus mir spricht, aber mit wem soll der dann reden, der hat ja auch nur mich als Partnerin?, er spricht, glaube ich, deswegen, weil man die Jugend eben nicht halten kann und aufhalten schon gar nicht, darin besteht die Verbindlichkeit der Jugend (sonst hat sie keine, sonst hat sie nur


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Verbindlichkeiten bei ihrem Handy-Betreiber, die nie eingelöst werden können), daß sie sich halt gern mit andren jungen Menschen verbindet. Bis sie sich einmal was bricht. Nein, auch die Jugend andrer kann sie nicht halten, diese Hand da fällt, die dort auch, es ist in allen, es ist in Ihrer eigenen Hand, ob Sie länger jung bleiben, als es Ihnen zusteht, nein, stimmt nicht, es liegt in der ruhigen Hand des kosmischen Chirurgen, ich meine eines kosmetischen. Nichts kann man halten. Nichts darf man behalten. Sie hat immer etwas andres vor, diese Jugend, das mit uns nichts mehr, aber schon gar nichts mehr zu tun hat, und es ist immer etwas anderes. Es ist nicht mehr und nicht weniger, es ist nichts. So. Jetzt verstehe auch ich endlich nur noch Bahnhof, ohne an meinem Bestimmungsort angekommen zu sein, und das habe ich schon oft verstanden, Bahnhof, nur bringt mich keiner hin. Einen Schritt weiter könnte ich schon gehen, aber da sind ja die Gleise, wer weiß, was mir dort wieder passieren wird! Zumindest bemüht sich diese Jugend um Unterhaltung, aber die Junggebliebenen werden aus ihr sofort wieder ausgesiebt und ausgeschlossen, allerdings drängen die auch ganz schön, wo ist dieser Türhüter jetzt wieder hin?, jetzt, da wir ihn brauchen würden, und sie sind erfahren darin, diese alten Ziegen und Böcke, die überall reindrängeln, wo sie nichts zu suchen haben (denn sie haben bereits gefunden, allerdings glauben sie, das Falsche gefunden zu haben und noch einmal würfeln zu dürfen und noch einmal und noch einmal), andre zur Seite zu stoßen, die nicht so kaufkräftig sind, auch wenn sie kräftiger sein mögen, ja, wir Alten sind der Jugend immer dicht auf den Fersen,


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sie soll sich bloß nicht einmal umdrehen, dann sind wir mit ihr auf gleicher Augenhöhe und starren sie an. Wir wollen wissen, wo sich der Bauchnabel befindet, damit wir dort einen Nagel einschlagen können, macht sich doch gut, oder?, würde sich doch auch bei uns gut machen, ohne daß wir überhaupt was gutzumachen hätten? Und die Älteren, die glauben, noch immer jung zu sein und es ewig, ewig bleiben wollen, ihrer ist mein Herz, diese armen Blogger, denen gehört mein ganzes Herz, dein ist mein ganzes Herz, ja, dein, aber du willst es nicht!, ihr Älteren, denen mein Herz gehört, die sich aber ganz anders sehen, also als arm schon mal sicher nicht, die Älteren, deren Aussagen wahr sind und gelesen werden, was sollen die jetzt machen, wir brauchen hier dringend eine Aussage, was sollen sie tun?, sie sollen sich verpissen, das paßt immer, ich habe noch nicht darüber nachgedacht, wohin, doch die Übereinstimmung zwischen Erkennen und dessen Gegenstand ist längst nicht mehr herzustellen, ja, auch du, Brutus, ich meine: Bloggi, du Wichtigtuer, du Wichser, keiner von denen willst du sein, nur du, nur du allein willst du sein, doch du kommst aus einer andren Welt, nur weißt du es nicht, obwohl du ja immer alles weißt, und zwar besser! Von mir bekommst du Bewährung, aber grade von mir willst du sie natürlich nicht bekommen, von mir willst du gar nichts bekommen, denn du verachtest mich, die meisten anderen verachten mich aber auch, die nicht du sind, tja, da kann man nichts machen, kriegst du halt keine Bewährung, wenn du vor der Bewährungsprobe des Alterns jeden Tag, den du älter wirst, zurückscheust, von mir aus, ganz wie du willst, alles immer wie du willst, dabei bist du in guter Gesellschaft, in


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Gesellschaft der trägen, in Popkonzerte strömenden Masse, die sich allerdings rasch erhitzen wird, und du wirst nicht schnell genug flüchten können, wenn die Masse ihr Maß zu sprengen beginnt und dich niedertrampelt, zu der du dann auf einmal nicht mehr gehören willst, denn zu viele kennen diese Popgruppe jetzt schon, aber dann wird es zu spät sein, du wirst in dieser ausgezeichnet in Genüssen ertrinkenden Masse selber untergegangen sein und keine Zeit mehr haben, einen bedauernden Blick auf dich zurückzuwerfen. Wenn ich dich richtig einschätze, wirst du aber ohnehin nie zurückschauen, du schätzt mich dafür nicht, du bist dir deines eigentlichen Seins sehr sicher, und davon gehst du aus, da pass ich nicht rein, in dein Sein, denn ich passe in überhaupt kein Sein, nicht einmal in meins, du vergleichst unsere Vorstellungen miteinander, na bitte, das geht doch, aber weiter gehts nicht, irgendwie kann man die Vorstellungen noch vergleichen, aber nicht mehr unsere Welten und nicht mehr das Ding, das Reale, das ist uns beiden durch die Finger gerutscht, geronnen. Siehst du sie denn nicht? Da schlatzt du überall deinen Rotz hin, Blogger, ja, du auch, dich habe ich auch gemeint, und den dort drüben ebenfalls, der vorhin meine Gedankenwelt geschändet hat, das hat ihn zwei Minuten gekostet, in denen wird er nicht gleich gealtert sein, das wird erst nächsten Monat passieren, aber mir willst du das nicht zugestehen, Bloxy!, nur deinen Bubenfreunden willst du es gestatten, nur die und du, ihr dürft euch anderen nähern, persönlich und in schriftlichem Tonfall. Ich bin es ja gewohnt, daß ich draußenbleiben muß, ich bin keine Vegetarierin, ich kenne die Geschäfte des


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Fleisches durchaus. Daher bleibe ich für mich und wohne in mir. Das Wort ist Fleisch geworden, aber es ist nicht gewohnt, unter solchen Leuten wie uns zu wohnen. Gestehe, daß du nicht einmal willst, daß ich überhaupt existiere, Bloxy-Music! Wenn du gestehst, gesteht vielleicht auch die Jugend, daß sie gar nicht existiert, und zwar aus dem einzigen Grund, daß auch du nicht mehr zu ihr gehörst, zu deiner Jugend, die keinen Grund dafür braucht, daß sie jetzt weg ist, obwohl du dich doch so sehr, vorhin noch, an ihr festgekrallt hast, das ist ihr ganz egal, so klein und wüst sie ist, so wenig kannst du sie zu dir herunterzerren. Sie ist weg. Sie ist für immer weg. Nur für dich ist sie natürlich nicht weg, verstehe, für alle andren schon. Du tust mir echt leid, denn die Kluft ist ja da, auch wenn du schon drinnen liegst und es nicht merkst, weil du die Wände dieses Lochs für deinen Fernsehschirm hältst, der sehr groß, allerdings recht flach ist, siehst du denn nicht den Unterschied zwischen diesen Wänden, der Abgrund hat zwei davon, zwei Wände, und die andren zwei sind bereits durch das Nichts ersetzt worden, das einzige, das kein Provisorium ist, sondern real, und welchen Sinn hätte es, zwei Screens aufzustellen, die einander gegenseitig anschauen, es sollen ja jeweils wir hineinschauen, und das geht immer nur auf einen, das Höhlengleichnis erspare ich mir diesmal, obwohl du in dieser Höhle sitzt und nicht weißt, daß du das alles im Fernsehn siehst, während ich es immerhin weiß, ja, ich weiß, du weißt es nicht: Da ist eine Kluft zwischen uns und der Jugend, obwohl du es nicht zugeben magst, du kannst es besser ausdrücken, Bloggy, aber ich bin dir dicht auf den


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Fersen und sage es auch, versuche nur, es zu verhindern!, da ist Erfahrung, die Erfahrung des Entdecktseins, nicht des Entdeckens, die ein Geschenk ist, das eben leider nie die Älteren unter uns bekommen, zu denen auch du gehörst, da kannst du machen, was du willst, die Wände des Grabes geben nicht nach, nur weil du dagegen trittst und eine andre Musikgruppe favorisierst, die erst ganz wenige kennen. Wenn mehr Menschen sie kennen, wirst dafür du sie nicht mehr kennen wollen. Du wirst aber nicht gefragt, obwohl du dauernd antwortest. Halt, da habe ich nicht recht, denn du bist sehr gefragt, soweit ich sehe. Das ist aber nicht weit. Dafür sind die Jungen viel offener, grundsätzlich offener, weil sie sich halt überall zeigen dürfen. Wir sollen verschwinden, sie sollen da sein. Die Jugend geht, wir kommen, aber keiner will uns, wir machen nämlich Ärger, Kosten und Arbeit. 5.000.- dürfen wir aber behalten, schreib dir das auf, denn gemerkt haben wirst du es dir dann nicht mehr, Bloggy, 5.000.- Eigenbehalt, was auch mit uns geschieht, Körperschwäche, Geistesschwäche, Blasenschwäche, allgemeine Schwäche, aber alles andre müssen wir hergeben. Das ist wichtig, das mußt du dir merken! Glaubst du, ich wiederhole das nur zum Spaß? Ich wiederhole mich ständig, diesmal aber nicht zum Spaß! Wir müssen alles hergeben, was wir haben. Wir müssen auch alles geben, was wir können, aber das ist immer weniger, als wir haben, nein, nicht einmal dieser Satz stimmt. Das ist es ja! Nichts stimmt mehr. Und das Alter ist eine gute Vorübung, egal wofür. Als wir einst mit dieser Sorge über den Fluß gingen, sahen wir eisenhaltiges Gestein, das sich nicht formen ließ, und so ließen wir


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es halt liegen. So kam es, daß wir nicht hart genug geworden sind und am Altern so leiden. Das ist kein symbolischer Tausch wie Geld gegen Ware, Jugend gegen Alter, das ist ein realer Tausch, Ware, die einen Wert hat, gegen eine, die keinen mehr hat. Und man kann sich nicht dagegen wehren. Man kann die Unbesorgtheit der Jugend bewundern, man kann sich sogar ihre Kleidung besorgen, man kann sie käuflich erwerben, falls man die Blicke der Verkäuferinnen aushält, aber irgendwann schreitet die Erkenntnis davon und läßt uns allein mit unserem Spiegel, nun, da sind wir schon zwei, eine, die rein- und eine, die rausschaut, denn die Jugend sieht es gar nicht gern, wenn man sich ihr zur Seite stellt, aber nicht mehr zu ihr gehört, und so müssen wir einander eben selbst zur Seite stehen, ich meine gegenüberstehen, ihre unwillkommene Aufgabe ist, ich meine, die Krankheit der Jugend ist es, Lärm zu machen (komisch, das Straßenreinigungsfahrzeug unten hat dieselbe Krankheit, und was steht auf seiner Flanke geschrieben? SILENT steht dort geschrieben) und uns Ältere sonstwie zu ärgern und dafür z. B. mit Luftdruckgewehren beschossen zu werden, die aber eh nicht sehr wehtun, so ist es gut, das kleine Opfer dieser unbegreiflichen Handlung ist gar nicht so schwer verletzt, es muß nur für drei Tage ins Spital, um dort in Ruhe das gefahrlose Verbinden mit anderen, gern auch Bazillen, zu üben. Aber es ist besser, wir merken, daß sie etwas anderes ist, die Jugend, etwas grundsätzlich anderes, vielleicht das Andere schlechthin (kommt drauf an, von welcher Seite, von welchem Ende wir drauf schauen), nur dieser eifrige Blogger (und, weil wir schon dabei sind, der dort drüben auch


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und sein Freund auch, der da durch die Schneidezähne geifert, weil die Zähne des Kameraden allein nicht so gut schneiden könnten, da muß man schon ein wenig mithelfen) merkt es noch nicht und kann es sich daher auch nicht merken, daß er sich in einem anderen Universum befindet, zwischen Verstehen und Auslegung, Erkenntnis und Wiedererkennen (der glaubt, er kennt alles und erkennt alles, sonst würde er nicht so lang schon bloggen, vor einer begeisterten Anhängerschar, bitte, die Anhängerscharen zu Pflügen, ich meine Pflugscharen zu Anhängern macht, wurst), aber der Bloggy kann Tatbestände fixieren, soviel er will, und es kommen ihm viele in den Blick, die Art, wie er es sieht, ist nicht zufällig, und es ist die Art eines Alten, auch wenn er seine Jugend vorgibt, vorschützt, ich schütze ihn nicht mehr, jetzt nicht mehr, er hat seine Jugend einmal zu oft vorgeschützt, und zumindest ich schütze ihn jetzt nicht mehr vor sich selbst, vor nichts, und natürlich schützt mich auch niemand vor ihm. Das brauche ich auch nicht, das muß gar nicht sein, denn er selbst weiß schließlich nicht, wie ungeschützt er selber ist, wenn er das Vorgefallene erzählt und gleichzeitig darüber herfällt und es wieder auffrißt, wie ein Muttertier die Nabelschnur des Jungen, nein, zu zahm, eher wie ein wildes, grausames Tier, mit Geifer vorm Maul, das er aber nicht ist, dieses wilde Tier, als das er sich sieht, die Kraft zum Auslegen reicht nicht, und so hat er den Teppich in der Hand, kann ihn aber nicht auslegen, und wenn da was liegt, eine Teppichlacke voll Kotze, steigen alle drüber, sie besteigen seinen Teppich, bewundern das Muster, die Farben, die Vielfalt, die Einfalt, die Falten, die er, Bloggbumm,


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gerade er, aber noch nicht hat, und dann gehen sie woanders hin, denn es stinkt hier, da hören wir ja noch lieber die Musik, die er uns ansagt, denn das ist immer die angesagteste Musik überhaupt, und hinter ihrem Rücken richtet er dann wieder andre hin, in unaufhörlichem Strom, der Schreiber des Kurzen, das kein Großes ist (er ist schon, ganz gewiß, ein Großer, aber nicht das, was er sagt, das sich nicht zu einem Ganzen zusammensetzen mag, weil es sich mit nichts und niemandem zusammensetzen mag, es mag ja überhaupt nichts und niemanden, sein Sagen), und besser, man geht allem und allen aus dem Weg und geht seinen Weg dann alleine. So, wir nehmen uns jetzt zusammen, und dann nehmen wir uns wieder auseinander, um uns zu setzen bzw. uns mit etwas auseinanderzusetzen. So einfach ist das. So einfach, daß es dieser junggebliebene freie Radikale (Scheiße, M. hat das Wort jetzt auch verwendet, aber ich war damit viel früher dran, mindestens zehn Jahre früher als er! Der ist ja später geboren als ich! Ich habe es, und er hat mich nicht gefragt, ob er es sich ausborgen darf! Na, von mir aus, hier, bitte, darf ich Ihnen was anbieten? ...) auch kann! Und der dort auch. Viele können es, kein Wunder, das Beste ist grade gut genug für sie, und es kommt auch von ihnen. Na schön, treiben auch wir die analytische Frage voran, sie kreischt in den Kniegelenken unter unserer Gerte, rennt ungeschickt davon, will schon wieder zu diesem anderen interessanten Blogger hinüber, den sie soeben neu entdeckt hat, obwohl unser Logos-Blogos dies hier noch gar nicht gelesen und analysiert haben kann, was er aber auch gar nicht vorhat, er, nein, ich meine sie, die analytische Frage, will rüber zu dem Blockywart, mit dem man


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sich dermaßen total identifizieren kann, daß man schon verschwunden ist, bevor die Frage überhaupt aufgetaucht ist, damit er sie stellen kann, damit Blocky sich ihr beim Warten stellen kann, er, der schließlich drüber schreiben soll, denn damit erspart er mindestens 400.000 Menschen, die ebenfalls schreiben könnten und das auch gerne täten, das mühevolle Selberschreiben; sie will einfach auch nur vorkommen, die analytische Frage, mehr will sie gar nicht, kann man es ihr verdenken?, kann man denken? nein, auch durch Zudringlichkeit wird man sich Jugend nicht zurückholen können, ich sagte es schon, und zum fünfzigsten Mal wollen Sie es nicht lesen, und durch Denken am allerwenigsten, durch Denken die Jugend?, nein, eigentlich überhaupt nicht. Das sind Gegensätze, was? Keine Ahnung, was, aber es gibt nur Gegensätze, die ich mir selber erschaffen habe, um hier auf meiner Seite (ich bin die einzige, die dort ist, die auf meiner Seite ist) herumtoben zu können. Doch den beliebten, niemals betrübten Blogger, den gibt es wirklich, allerdings gibt es inzwischen hunderte wie ihn, tausende, es gibt ihn also tausendmal, nur jedesmal ein wenig anders, zumindest denkt er das, wenn er denkt, wenn er denkt, dann immer auch für andere, und es gibt Millionen von ihm, und Milliarden, die nichts von ihm haben, was er gar nicht gerne hört. Ich lege bei alldem auf Verständlichkeit größten Wert, sage jedoch nicht, was und wen ich meine, ha! Und ich fürchte, ich habe einen etwas zu großen Interessentenkreis für die Jugend anzubieten, ich habe den mühsam gesammelt, um mich herum sind ja fast nur alte Leute, aber genau deshalb will sie mich nicht, die kostbare Jugend, sie zieht sich lieber


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hautenge Sachen an, damit sich niemand, zumindest nicht jemand wie ich, zu ihr hineindrängen kann, das ist doch verständlich, oder?, sie kann es sich erlauben, die Jugend, nur mir will sie nichts erlauben, ihre Mütter dürfen Miniröcke und Spaghetti-Tops anziehen, aber ich darf gar nichts, so, und nun ist es Zeit zu schmollen und beleidigt zu sein (es ist schon seit Monaten Zeit! Ich hatte faktisch Monate Zeit, und vielleicht habe ich noch Jahre!!): Ich gliedere meine Verständlichkeit hier in meinem literarischen Werk, das mir das Zugehören zur Welt vorspielt, sich dabei aber keine große Mühe gibt, ich will jedoch unbedingt wirklich, ich als Person will in die Welt hinein, obwohl ich es nicht kann, und wenn, dann wieder mal nur als Allererste, als Klassenerste, die ich einst war und natürlich wieder werden möchte, mit 96 vielleicht, dieses Alter schaffe ich aber nie; Sie können mich sicher verstehen, und ich verstehe, daß Sie das gar nicht wollen, egal, die Wartezimmer der Schönheitschirurgen sind ohnedies, ich meine auch ohne dieses Alter, vollgestopft mit Menschen, die sich selbst nicht mehr kennen wollen, sie können es gar nicht mehr erwarten, sich nicht mehr erkennen zu müssen, und drohen dem Arzt Prügel schon vor der OP an, falls sie nicht total verjüngt wieder aus seiner Messerschmiede herauskommen, ihr Leben steht jetzt auf des Messers Schneide, und total verjüngt und so scharf wie nie soll demnach das Ergebnis werden, denn beim ersten Mal haben sie ihre Jugend nicht richtig ausgekostet, beim zweiten Mal aber, oho!,  ja, da wird alles anders, man wird glücklichen Geliebten gleichen, zumindest hat es auf dem Plan, den wir


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aufgezeichnet haben, so ausgeschaut, genau, dort drüben wird sie verkauft, die Jugend, und der Arzt hat sich mit seinem Messerchen schon ein Schloß am Wörthersee verdient und eine goldene Nase dazu, die natürlich die perfekte Form hat, doch leider nicht die natürliche: Nur an die Leistungsträger, die es sich leisten können, wird die Jugend verkauft, die übrigen müssen sich ihre selber kaufen, oder sie hatten nie eine, oder sie haben eine, verkauft wird sie jetzt aber an Menschen, die es nicht ertragen, gerade diese eine Leistung nicht erbringen zu können: schön zu sein, von selber, von sich aus wieder jung zu werden. Von mir aus können sie es ruhig, vor allem ruhig!, also wenn sie keinen Lärm dabei machen, dürfen sie eh alles, ich habe nichts dagegen. So, und ich gehe jetzt und kaufe sie mir auch, warum denn nicht? Ein Schnitt in die Oberlider ist nicht die Welt, kostet nicht die Welt, bringt mich aber vielleicht wieder ins Spiel hinein, nachdem ich im Spital gewesen sein werde. Nein. Jugend kann man sich nicht kaufen? Was reden Sie da? Doch, man kann, der Arzt verkauft sie Ihnen, gehen Sie ruhig zu ihm und machen Sie dann Ihre Aussagen, Sie werden sehen, diese Aussagen werden auch gleich viel jünger aussehen, fast so jung wie die von dem weltberühmten, na ja, seien wir lieber vorsichtig, sagen wir in den meisten Teilen Deutschlands, das jetzt nicht mehr geteilt ist, berühmten, von mir und meinen läppischen Versuchen, wie er zu sein, vollkommen ungerührten Blogger, den ich meine, ja, den in seinen mittleren Jahren, der aber jeden Mittelweg verabscheut und jeden anderen Weg einschlägt, nur nicht diesen, und der sich dabei ab und zu ruhig auch selbst


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belügt und uns gleich mit. Immerhin, er will niemanden rühren, und an ihn soll auch niemand rühren. Das ist der beste Satz, den ich je geschrieben habe, und dabei ist es gar keiner! Doch. Ein Satz ist das schon, nur leider sagt er nichts. Er sagt mir nichts, deshalb muß er einfach gut sein, Ihnen sagt er aber vielleicht schon etwas. Nicht zu schreiben, keinen einzigen Satz, das wärs! Aber das hätte ich mir früher überlegen müssen, viel früher. Dann könnte mich niemand mehr beleidigen, als hätte ich wirklich gelebt und wäre eine juristische Person, die etwas zu verbieten und sich zu verbitten hätte. Und wie jeder andre meiner Sätze stimmt auch dieser nicht. Er ist kein Satz, und er stimmt nicht. Er sagt sich in einem fort, ich nehme ihn zu mir, obwohl er von mir kommt, kein Ende in Sicht. Er ist zwar in der Welt, aber er ist nicht. Es ist nicht so, wie ich es sage. Bitte merken Sie sich das! Noch eher können Sie dem Universal-Blogger glauben, ich sage noch immer nicht welchem. Ich will keinen speziell verletzen und ein Persönlichkeitsrecht dazu, sonst werde ich verboten, also sage ich ausdrücklich, daß dies nur mein armseliger künstlerischer Ausdruck ist und sonst nichts. Glauben Sie mir oder dem Blogger oder dem anderen, das liegt ganz an Ihnen. Nein, es ist schon besser, Sie glauben ihm! Denn bei dem ist ich jeder, doch jeder ist nur er. Das ist sowieso alles eins. Von mir aus können Sie aber gern dem anderen glauben, der ja auch etwas Ungerechtes sagen möchte. Warum? In seinem Gereihere, das für ihn ein Reden ist, zumindest eine Art Reden, Reden ist ja das mindeste, was man nicht schreiben kann, spricht er sich aus, der Universal-Blogger, das ist nicht zu


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leugnen, und zwar existentiell, daß er sich gegen etwas ausspricht, manchmal allerdings auch für etwas, ich habe den Überblick verloren und will ihn als Person keinesfalls beleidigen. Es spricht doch schließlich jeder Blogger existentiell, als ginge es um etwas, und das tut es auch, es geht um ihn, es geht ihm um sich, und um dieses überaus wertvollen Inhalts willen nimmt er sich selbst auf sich, um sich dann auszuteilen wie der Priester die Kommunion. Er ist ja das Allerheiligste, dieser Blogistiker, er teilt sich aus und behält sich dabei trotzdem, ja, das hat entschieden was Religiöses. Gefällt mir gut. Das ist aber auch eine gewisse Kulturmerkwürdigkeit, denn jeder vernünftige Mensch trachtet ja danach, möglichst schnell von sich wegzukommen und andere zu regieren, warum soviel Zeit mit sich selbst verschwenden, wenn man andre herumscheuchen kann? Und ich (wenn Sie mich fragen) will etwas anderes, ich will, daß kein Blick mehr auf mich fällt, aber um mich geht es hier nicht, meine Persönlichkeit, die keine Rechte hat, schütze ich schon selber, und ich bin ohnedies nicht gefragt, nein, es geht im Gegenteil immer nur um mich, aber da ich nicht beliebt bin, gebe ich vor, es ginge mir um etwas anderes. Der Universal-Blogger nimmt sich doch recht viel von meiner Sympathie weg, finden Sie nicht?, halt, nicht soviel auf einmal, da bleibt ja nichts für andre übrig!, er nimmt mir etwas, das spüre ich doch, das ist eine Organentnahme, ohne daß er ein Empfänger wäre, er hat für meine Organe keinerlei Interesse, und er nimmt keinerlei Notiz von meinem Vorübereilen und dem Vorübereilen meiner mir liebgewordenen Worte, die ich schon so lang kenne, er vergilt meine


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schönen Worte mit haltlosen Anschuldigen gegen mich und gegen alle anderen auch, was mich aber nicht tröstet. Ich glaube, er muß jetzt gleich kotzen, genau wie ich vorhin, jetzt ist es ihm hochgekommen, aber er selbst steht immer noch höher, sehen Sie, er muß, höher und höher klimmend, und jetzt haben Sie das alles, was aus großer Höhe gekommen ist, im Schoß. Er spricht sein Dasein aus, er hat eins (ich habe leider keins, ich bin abgeschlagen wie stinkendes Wasser, ich komme nicht mit, ich sickere bloß hier in den Boden ein, stören Sie mich nicht dabei, mit keinem Satz, der Satz würde Sie ohnedies nirgendwohin bringen), sein Dasein lernt der schreibende Mensch dadurch, sich selbst auszusprechen, äh, sich auszusprechen, er lebt im Lernen, indem er über alles spricht, außer er verletzt eine Persönlichkeit, dann sollte das schon die eigene sein, aber sonst spricht er über alles und darf es auch, über alles, das aber er selbst wird, seine Rede wird er selbst, alles er!, das Wort ist Fleisch geworden, staun, und hat unter uns gewohnt, also unter mir nicht, ganz entschieden würde ich so jemanden unter mir nicht dulden und schon gar nicht in einer sexuell gefärbten Schilderung, und ich könnte mich nie an ihn, den Blockwart, gewöhnen, doch er wird in sich und mit sich selbständig, der Universalversand-Blogger, der ich irgendwie schon auch selber bin, denn jeder kann dies hier lesen, es ist kostenlos, daran kann ich gar nichts ändern, daß man sich einfach an alles gewöhnen kann, er ist ja nicht unter mir, dieser Blogger, und der dort drüben auch nicht, sein Wort ist nicht unter mir, aber unter uns, da findet man es immer (denn er spricht über alles!, auch über das,


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was er gar nicht kennt, darüber sogar besonders gern), er wird zu seiner eigenen Rede, denn nur im Reden ist er ganz er selbst, wer immer er ist, wer immer hier spricht, er sagt uns, was die Welt ist, die Welt ist seine Rede, die sich auch einmal aussprechen will, aber immer nur mit sich selbst, und indem sie so toll in der Welt ist und sich auskennt, sonst würde er seine Welt ja nicht mit uns teilen wollen, will seine Rede jetzt fortfahren, aber sie hat den Prospekt verloren, sie hat jede Aussicht verloren, und er will ja gar nicht, der Blogmalzmann, aber er muß, er muß etwas sagen, das aus seiner Welt kommt, und er muß es so sagen, daß wir glauben, seine Welt wäre die einzige, wir übersehen diese Tatsache großzügig und lesen weiter, denn es tut jeder, besonders aber seiner Seele gut, andere zu verachten (ich übersehe die Tatsache nicht, ich übersehe keine Tatsache, aber mich fragt ja keiner), weil er sich eben auskennt und dieses Wissen mit uns teilt, seinen Körper aber nicht, obwohl der genießbarer wäre als diese dauernde Verachtung. Dankeschön. Das bedeutet uns sehr viel. Immerhin werden wir beachtet. Würde er sich nicht auskennen, der Blogwart, indem er so total in der Welt ist wie wir es gar nicht sein könnten, wäre er schon wieder draußen, ist er schon draußen. Er weiß es nur noch nicht. Indem er alles ausspricht, der Bloggy (danke Hermes Ph., daß ich dir das stehlen durfte, das y, so schön, so nett von dir, lieber Hermes!, im Grunde der beste Buchstabe von allen, weil er überall hineingeht, zumindest bis ans Ende, ach, ich kann es in der Früh gar nicht erwarten aufzustehen, denn als erstes lese ich ihn, leider nicht dich, Hermes, du kommst nur einmal pro Woche dran,


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ihn lese ich, Bloggy, mein Idol, mein heimliches Ideal, was er heute wieder zu Schopy und Nietzschy sagen wird, was wohl?, oooh, wie wunderbar, auch heute blockt er uns von den beiden wieder total ab, weil wir sie nicht verstehen, er blockt sie mit seinem Körper ab, der bockige Blocky, in der dreißigsten Fortsetzung als Blockwart der Gegenwart, immer noch wunderbar und fast wie neu ist sein Gedankengebäude heute wieder, zu dem leider nur er den Schlüssel hat, und er sagt heute (morgen wird er das Gegenteil sagen), daß die beiden, Schopy und Nietzschy, viel zu kompliziert seien, als daß man sie wie einen Diamanten fassen könne und daß sie unaufhörlich trivialisiert werden, nur nicht von ihm, doch jeder wage es fortwährend, sie zu tirilieren, äh, zu trivialisieren, wie gemein!, jeder putze sich an diesen Denkern die Schuhe ab und sei doch gar nicht dazu berechtigt, sie ihnen auch nur zu schnüren. Sie werden irgendein Wissen noch brauchen, lieber Leser, und hier bekommen sie es, nein, nicht hier, bei ihm, gehen Sie weiter, halten Sie mich nicht auf, Sie müssen das Wissen bei ihm kaufen, bei jenem, der da kommen wird, und von dem jetzt schon hier die Rede ist, und auch bei ihm ist immer nur von ihm selbst die Rede, auch wenn er von was andrem redet. So hab ich das ja noch nie gesehen!, jetzt bin ich aber gespannt, wie wunderbar, wie wunderbar er es heute wieder sagen wird, wie nur er es sagen kann, unser Bloggy, ja, der dort, mit dem Augen- und Hirnapparat und dem geräumigen Anhang dazu, der schon fast größer ist als das Hirn selber, erneut gemessen, mitsamt Hirnanhangdrüse gemessen und für zu schwer befunden, er wird uns nun doch gewiß erklären wollen, was sie zu bedeuten haben, die für


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uns viel zu komplizierten Denker, für ihn sind sie grade richtig, sie passen ihm wie angegossen, aber sonst überhaupt keinem, aber er sagt es uns dann leider doch nicht, schon fällt mein Blick erwartungsvoll auf sein Schreiben, jeden Tag aufs neue, denn von mir habe ich ja nichts mehr zu erwarten, von ihm aber hoffentlich alles, doch er tobt nur herum, daß alle zu wissen vorgeben, was diese Denker bedeuten und alle andren auch gleich mit, die Leute können nicht denken und sie können die, welche es können, nicht verstehen, ooch, das ist so schade! Aber ich kann wenigstens ihn ja gut verstehen. Ich weiß es nämlich leider auch nicht, ich weiß so wenig, weniger kann man gar nicht wissen, doch eins weiß ich: Bloggy, und zwar genau dieser eine, einen andren will ich nicht, ich habe viele ausprobiert, dieser ist es, kein Vergleich, nur keinen Neid!, doch er ist ohnedies wie alle, nein, nein!, das ist er nicht, er ist der Inbegriff meines Seins, ihm eifere ich nach, gegen ihn eifere ich auch, ganz wie es gewünscht wird, solange ich noch kann, er ist nicht die Sammelvorstellung eines Allgemeinen, nein, nein, was er aussagt sind eingrenzende Angaben von Merkmalen, wie sich die eine Musik von der andren unterscheidet, oft nur in winzigen Details, die keiner hört, die er aber zu welterschütternden Brüchen macht, zu Felsabstürzen, zu gähnenden Marmeladetiegeln und Gurkengläsern, aber, vielleicht ein Fehler, aber wahrscheinlich nicht, er bezieht den Begreifenden mit ein (mich und alle anderen) in das Begriffene, bis der Begriff, den nur er von den Dingen hat, uns trifft und wir recht derb zu Boden gehen, sodaß wir blaue Flecken und Ergüsse


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kriegen, und er fordert diese Inständigkeit für die Welt, die er empfindet, auch von uns, gerade von uns, na, der hat aber ordentlich was zu fordern!, für uns fordert er irgendwas, die wir das aber nie erfüllen können, doch er kann es natürlich, der Universelle Blocker und der Universelle Leser, die beiden, die habe ich besonders gern, beide gemeinsam, das ist das Beste überhaupt, aber den Blocker habe ich noch lieber, denn er ist warhaftig schöpferisch tätig, wenn er abblockt, er sagt die Wahrheit, jeden Tag, das ist seine Einzigkeit und sein Reichtum, und das muß er jeden Tag am eigenen Leib austragen, was andrerseits auch wieder Arbeit bedeutet für Bloggy, mein Idol, mein Erzengel, mein Alles, mein Liebling unter anderen, und auch noch so hübsch, ja, von dir spreche ich!, da glaubt doch wirklich ein andrer, ich spräche von ihm, dabei meine ich nur den einen, wenn ich den anderen nenne, zur Ablenkung, damit ich kein Persönlichkeitsrecht verletze; man nennt das den Austrag, was du da austrägst, Bloggyloggy, Blogoslogos, wenn auch keine neun Monate lang, sowas würdest du verachten, etwas neun Monate lang auszutragen und eventuell auch noch eine Frau zu sein!, entsetzlich, da hast du recht, aber du trägst es tapfer und gibst es uns, gibst uns, was du hast. Und wenn wir deine Seite aufrufen, das ist dann ein Ruf wie beim Jüngsten Gericht: Einfach alle müssen folgen!, da gibts keine Ausrede mehr, da gibts nur seine Rede, ja, und die dort auch und die dort drüben auch, und das stelle ich mir sehr anstrengend vor, etwas jeden Tag aufs neue auszutragen, während ich nur immer abgetragener und abgetragener werde, mir zumindest so vorkomme, daher tue ich es nicht, ich trage den Austrag nicht


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aus, ich trage mich aus dem Buch des Lebens aus und notiere die Uhrzeit, aber es ist so wunderbar, daß wenigstens er es wagt, daß Bloxy Music das wagt, ich meine, daß er das Sein als Ereignung des Austrags wagt, jawohl, das tut er, genau das, endlich durfte ich es abschreiben, wenn auch nicht von ihm, vortragen und gleichzeitig auftragen, ich habe es nämlich gefunden, es ist gar nicht von mir, Sie hätten mir das ohnehin nicht zugetraut, wie käme ich auf sowas?, und noch einmal sagen geht wirklich nicht (das muß auch nicht sein), indem er alles von den eigenen Lippen lesen, nein, nicht ablesen!, läßt, der Bloggy, irgendeiner, ich sage nicht: meiner, das wäre Hybris, aber er ist halt mein Liebling, ich bewundere ihn, da kann man nichts machen. Ich verehre ihn so, ihn zu begehren würde ich mich nie trauen. Schauen Sie, Leser, eine Seite nach oben, dort fängt er an, und am Ende wird er auch wieder da sein, denn er ist doch Anfang und Ende zugleich, er ist Gott, Blogos ist Logos, Logo ist er nie am Lokus, das war schwach, ich wiederhole: Er ist zumindest mein Gott, doch leider gehört er allen, er wird von allen gehört, ein Gott, obwohl er gewiß grade an den nicht glaubt; indem er uns das lesen läßt, und es gibt uns viel, das zu lesen, ist er längst im Freien draußen, im Wilden, auf der Lichtung, die sich nur ihm gelichtet hat, die Holzfäller waren gestern heimlich da, als er grade mit dem Fahrrad nach Mitte aufgebrochen war, sie kamen extra so spät, um ihn nicht frühzeitig, da er noch schlief, durch Hacken und Sägen zu stören und aufzuwecken mit ihrem Gekreische und Gebrüll, das diesmal nicht von einer tollen Anlage herrührt, denn Menschen, die tolle Anlagen haben, müssen


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schließlich nicht für geringen Lohn Holz fällen gehen, aber ein Aufgeweckter ist er ja längst, der Blocky, bevor er überhaupt noch aufgewacht ist. Ein Spielball seiner Stimmungen ist dieser wunderbare Mann, ja, das ist er auch, keine Ahnung, was er sonst noch alles ist, ich weiß doch so wenig, und so spontan ist er in seinen Entäußerungen, daß er immer schon weg ist, wenn das Geäußerlte zu Boden fällt und ich mit meinem Papierl schon darauf warte; er ist einfach toll, dieser Eine, den ich meine, dieser andere aber auch, überall kriechen sie jetzt aus ihren Löchern und Ritzen, die Bloggmalzmännchen, jeder hat etwas so Interessantes zu berichten, das er selber erlebt hat, sie werden mir doch meinen nicht ersticken!, es blocken ja so viele in ihren Zellen, in ihren Zellenblöcken, und jeder etwas ganz Besonderes, extra für uns Erlebtes, aber dieser Eine, von dem ich viel zu lange sprach, weil ich in Bezug auf ihn jedes Maß längst verloren habe, eben etwas ganz besonders Besonderes, und dieser Andere ist in seiner Art noch viel besonderer, wenn auch besonnener, und der Dritte schreibt da etwas ganz besonders Eigentümliches, das er uns unbedingt mitzuteilen hat, wir können es kaum erwarten, und der Vierte hält es schon gar nicht mehr aus und pißt einen Schwall Worte direkt auf unseren Fußboden, weil er es nicht mehr bis ins Klo geschafft hat, er hatte es ganz besonders eilig, habe ich den Eindruck von diesem und jenem, der es rausläßt, was auch immer. Er könnte es nicht, hätte er nicht soviel in sich, allein das Bier!, also darum beneide ich ihn besonders, denn meine Stimmungen stimmen irgendwie nie und schon gar nicht mit seinen überein, mit denen des einen, des


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anderen oder des ausgeschlossenen dritten, der nicht länger ausgeschlossen bleiben will, und mit keinem von ihnen stimme ich überein, man hat mir die falsche Stimmgabel gegeben, die taugt nur zum Essen, was mich traurig stimmt, ihm aber die Genugtuung einer eigenen, unermeßlichen Stimme verschafft, die ich lesen kann, die ich hören kann, die ich aber auch nicht ermessen kann, was ihm nichts ausmacht, denn von solchen wie mir will er ja gar nicht gelesen werden, der Blocksy, der mir eine ganz eigene Stimmung vorführen wollte, die ihm alles und jedes andre jedoch auch verschaffen könnte, ich würde sie ihm nur verderben, deswegen braucht er mich nicht, ach, ich bin so enttäuscht, aber da steht jetzt sonderbarerweise trotzdem die neueste Stimmung, steht einfach so da, also ich habe sie nicht herangeschafft, aber er hat sie schon gesichtet, so ein Spielball ist alles für ihn, jeden Tag ein andres, neues Standbein dazu, fertig, ab geht die Post und ja, diese Stimmung ist und hat er auch, er hat sich selbst gestimmt und sagt uns jeden Tag seinen strengen Kammerton an, er wird noch den Raum verlieren, soviel Wert legt er auf Töne, auf Musik überhaupt, auf Musik im ganzen und im Detail, wo er sich auskennt, so sehr tobt er herum vor Wut und berechtigtem Zorn, und dann ist er, der Spielball, von seinem eigenen, von Bloggys elegantem, ich meine elegant dahingestellt bleibendem Standbein abgeprallt, denn er hat offenbar doch noch keinen richtigen Stand gefunden, o je, der ist jetzt verschossen, der Ball, so wie die Leser, inklusive meiner Geringfügigkeit, die ich gewiß noch zur Geringfügsamkeit zurechtschnitzen werde können, unrettbar in unseren Bloggy


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verschossen sind und daher nie zu mir hinüberschauen in mein kleines bescheidenes, doch immerhin auch ganz eigenes, eigensinnliches Reich. Aber der nächste Spielball trifft garantiert, obwohl er vielleicht gar nicht auf mich gezielt hat, der Bloggy, der nächste dreckige Batzen Wort, der trifft, mich treffen komischerweise die meisten Worte, ich bin immer so betroffen, weil ich in dieser Hinsicht krank bin, ich beziehe immer alles auf mich, auch das, was gar nicht auf mich abgezielt hat, nur keinen Neid!, ich bin ja gar nicht gemeint, Sie sind doch gemeint, das ist ja meine Krankheit, darin besteht sie, darauf besteht sie, daß ich immer glaube, nur ich sei gemeint. So. Falls Sie also bei all diesen Versuchungen doch lieber bei meinen Versuchen bleiben wollen, haben Sie Pech gehabt (aber Sie können beides und noch viel mehr, Sie finden alles überall, und über alldem finden Sie niemals sich selbst, garantiert nicht, Sie finden dafür immer den Bloggy, jeweils einen anderen, der Sie gern selber wären, das können Sie sich von mir aus gern vorstellen, nur ist er immer besser. Viel besser ist er als Sie, das bildet wieder er sich ein, seien Sie froh, daß Sie in ihm was Besseres gefunden haben als in Ihnen selbst!), haben Sie einen Blödsinn gemacht, denn bei mir finden Sie keine einzige Erkenntnis, die Sie nicht auch haben könnten, allerdings als eine hübschere und bessere, bei mir finden Sie ganz gewiß überhaupt nichts, dafür stehe ich mit meinem Wort ein, das schon selber hier steht, in meinem Vorhaben hier befindet sich meine Stimme, die ich eh schon lange suche, da sie mir irgendwann abhanden kam, jetzt habe ich sie endlich gefunden, und das, was da geschrieben


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steht, das ist wie gesprochen und kann daher sofort wieder geändert oder gleich gelöscht werden, jedes Wort kann selbstverständlich auch kostenlos wieder zurückgenommen werden, dies hier ist die Tauschzentrale, die zentrale Tauschzentrale für Worte, nein, zentral ist sie nicht, sie liegt am äußersten Stadtrand, wenn auch auf einem Berg, der Worte sind genug gewechselt, ich meine getauscht, und auf diese Weise ist jeden Tag heute, da Worte eben völlig austauschbar sind und auch leicht und gern und freudig den Besitzer wechseln, wer reist denn nicht gern? Ich aber, ich bin nichts und niemand, meine Worte sind mehr als ich, und ich habe das Sitzen am Schreibtisch jetzt endgültig satt und möchte fort, dorthin, wo die anderen sind, sie sind in New Yorks Mitte, inmitten der Mitte, dorthin möchte ich auch, zumindest nach Berlin-Mitte, damit ein Wirgefühl entsteht, mit Bloggy, der aber immer nur alleine laufen möchte, dem eigenen Alter davonlaufen, so schaut er denn fleißig umher, wo er eventuell in die Haut eines Jüngeren schlüpfen könnte wie eine Schlupfwespe, findet aber nur die Haut von ergebensten Jüngern, was schon Jesus furchtbar angeödet haben muß, wir beide wollen nicht altern, das haben wir ganz sicher gemeinsam, ja, auch mit Jesus, welcher ebenfalls nicht alt wurde, das ist auch schon alles, was wir gemeinsam haben, aber da hätten wir jung gestorben sein müssen, eben genau wie Jesus, der jetzt schon tot wäre, wäre er wir, äh, bloß: Ich muß, er nicht, aber wir wollen nicht, vielleicht nicht grade deswegen, damit uns das Wort immer so jung trifft, wie wir gestern noch waren, als die Jünger auch noch jünger waren, ungefähr so wie er, der Blocky- Musiker, der immer schon jünger


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war als alle anderen (wäre er noch jünger, würde er, ich sagte es schon zu oft, ich weiß – aber jetzt ist der Zusammenhang ein andrer, es hängt nämlich mit nichts mehr zusammen – , den lieben Blockmalzy gar nicht kennen, da er ihn aber nicht mehr kennt, da er seine eigene Lebenszeit nicht anerkennt, erkennt er auch sich selbst nicht, er hat seine Zeitscheibe verlassen, seine Zeitmortadella, in der er gefangen, ich meine: eingeschlossen war, die Mortadella ist eine Wurst unter Einschluß von irgendwas, kein Käse, dann wäre sie eine Krainer, eine Käsekrainer, vielleicht Speck?, ja, genau!, und dort ist er leider gefangen, will aber raus, immer nur raus, immer nur raus damit, das müssen wiederum wir anerkennen, das ist keine kleine Leistung), und der andre dort drüben auch schon vorher die ganze Zeit nicht gealtert sind, seit langem schon sind die nicht mehr gealtert, ihr Schreiben altert ja auch nicht, wieso ist der nicht gealtert und der dort vorne auch nicht, den hinten sehe ich leider nicht, nie gealtert, ich aber schon? Wieso altert der nicht, aber ich altere schon?, liegt es am Elektron, am wesenlosen Kleinteilchen, das wenigstens nicht dick macht?, und das ist nicht sein einziger Vorteil, warum muß ich ganz alleine altern und auch noch so lang?, na ja, vielleicht dauert es ja doch nicht mehr so lange, und wieso erschließt der und der und der Blogger uns eigentlich dauernd seine Existenz, indem er unsere zuschließt, denn anders kann er es nicht? Kann er das nicht vielleicht doch anders machen, rücksichtsvoller? Geht denn das nicht gleichzeitig, ich meine nebeneinander? Kann er das nicht anders und besser? Ich versuche ja auch schon mit Tonnen von kB und MB, mit so


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belegten Keksen und unbelegten, mit belegten Worten und unbelegten, unbeleckten, Ihnen mein Wesen zu erschließen, doch ich gebe gleich wieder auf. So, schon habe ich aufgegeben. Sie dürfen jetzt wieder atmen! Danke. Das Bild ist im Kasten. Denn neben Bloggy ist kein Platz mehr frei, neben keinem, der sich die Mühe macht, und wenn, dann dürfte ausgerechnet ich mich dort nicht hinsetzen. Ich rücke vorsichtshalber ein Stück beiseite, nein, dort ist auch keiner, ich meine kein Platz.  Ich habe keinen Platz! Ein Heulen von all den Abbloggern, die sich um ihre Plätze drängeln, kommt jetzt über den Himmel, es sind so viele, die heulen und schreien und auf die Kacke hauen, daß es spritzt, nicht sprießt, die Stimmen vereinigen sich, rasen den Weg zwischen den Bäumen hinunter, die man vor lauter Wald nicht sieht, aber den Weg sieht man schon, ich vermeide ausnahmsweise das Wort Lichtung, aber ein Weg ist es zweifellos, und das Geheul rast ihn entlang, um einen freien Raum zu finden, in Was weiß ich wo, New York?, Tokio?, Sao Paulo?, St. Pölten, wo ich dereinst vor dem Untersuchungsrichter stand, nicht einmal die Namen kenne ich, jedenfalls nicht alle, deswegen verwende ich ja immer dieselben, nirgends war ich, nichts hab ich gesehen, nirgends war ich dabei, na, in St. Pölten schon, aber schreiben will ich immer noch, obwohl ich nichts gesehen habe und nicht dabei war, das ist doch ein Witz, aber kein guter, denn ich weiß ja nicht einmal, und schon gar nicht mehrmals, wo man jetzt überhaupt sein müßte und daher sein muß, ich weiß nichts, aber ich heule mit, mein Geheul wird man aber unter dem vielstimmigen Blockergeschrei gar nicht ausnehmen können,


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obwohl ich ausnehmend gut schreien kann, was man mir aber nicht glauben will, das Schreien schon, aber nicht, daß ich sah, daß es gut war und weiter schrie und schrieb. Schreien und Sagen, das ist einfach sagenhaft, durch nichts zu übertreffen, das Schreien, das in den unteren Luftregionen, wo heftig mit dem Gerät gespielt wird, welches uns in gute Stimmung versetzen soll oder uns zumindest sagen, was überhaupt stimmt, ein Schreien, das abkühlt und zu Eis wird, wenn es tiefere Regionen erreicht hat, ja, viele der Bloggys sind ziemlich tief in ihren leicht verderblichen Aussagen, das muß ich sagen, in ihrem erstarrten Schreien, das uns vom Bildschirm her anstarrt, ohne uns etwas zu geben, nein, es gibt uns sehr viel, ich bin nur neidisch und will nicht zugeben, daß es auch mir etwas gibt, ich wüßte ja sonst überhaupt nichts, gäbe es all diese Bloxys nicht, aber es ist doch gut, daß es erstarrt ist, das Schreien, dann kann man es nicht so leicht wegwischen, man müßte es erst mal auftauen wie ein Tiefkühlhendl, das Schreien, das schriftliche Schreien, das Schreien der Schrift aus tiefster Kehle, te Deum clamavi, nein, es genügt schon, wenn sie einander anschreien, die Bloxer, Leute, die schwierige Wege gewohnt sind und so gern andren in die Fresse hauen, aber lieber einfache gehen, das Elektron ist allerdings den schwereren Weg gegangen, das muß die ganze Arbeit machen, ein Vogelschwarm aus Elektronen, die auf ihren Sprisseln hüpfen und schreien, weil jedes zuerst drankommen möchte, auf kleinstem Raum, ein Tornado aus Kanari-Gezwitscher, der sich dem Leser dann wieder zu einem großen hellen Schirm öffnet, das Schreien, das Schreien, das Schreien, es hat


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den Vorteil, daß sich die Bloggeristen, der eine, der andre aber auch, gegen uns verhärtet haben, weil sie uns doch nie von nahem genießen können, wir sie aber schon, das Geschrei sieht seinen Empfänger nicht, dabei hat es doch wenigstens den Absender deutlich angegeben, deutlicher ginge es gar nicht, so, das Geschrei ist jetzt abgeschickt, abgesandt, es sieht aber den Sender nicht, ach nein, Sender ist ja das Geschrei, es sieht den Empfänger nicht, doch ein Vorteil dabei ist, daß sich der Empfänger nicht verhärtet hat gegen die Sorgen, Urteile und Flüche des Senders Bloxy, den Sender hat er sich nämlich unter die Haut implantieren lassen, damit ihm sein Schreien keiner wegnehmen kann, er hat es sich von mir und anderen Leidenden transplantieren lassen, denn ursprünglich war es ja mein Schreien, das bei ihm zu einem Befehlen geworden ist, irgendwas muß bei der Transplantation des Senders schiefgegangen sein, und auch in dieser schönen hochglänzenden Zeitschrift, die glatt ist wie eine Glatze, die ungeduldig auf ihre Locken wartet und während des Wartens uns, uns alle, ihrerseits zu locken versucht, kann man es nachlesen, doppelt hält besser, Schreien und Papier, die schreien gern gemeinsam, aber wählt man Papier, muß man gar nicht den Schirm aufspannen, es regnet eh nicht, es regnet, wenn überhaupt, nur Geschrei, Geschrei, Geschrei, das aber nicht Fleisch geworden ist, das uns nicht gewohnt ist, wir wohnen lieber bei ihm, nein, doch nicht, wir können das Schreien sofort holen, wenn wir den Stecker reinstecken und das hochfahrende Gerät einschalten, so, das mach ich jetzt gleich, ich möchte ja auch mitschreien, ich möchte mit Bloggy eins sein, aber er lebt davon, daß ich


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eine andre bin als er, da ist er aber froh!, er will nicht mit mir eins sein und verschmelzen schon gar nicht, na schön, dann geh ich halt allein, dann schrei ich halt allein, da kann man nichts machen, aber jetzt hab ich ebenfalls den Empfänger vergessen, o je, genau wie Bloxy, nur macht es ihm nichts aus, denn er würde sowieso schreien, ob er jetzt angesteckt ist und an sich selbst verbrennt oder nicht, mir macht es aber sehr viel aus, daß mein Heulen seinen Adressaten nicht findet und daher der Adressat den Absender immer noch sucht, die Rakete schlägt ein, aber ihr Heulen  hört man erst danach, so ist das, ich schmuggle mich also in dieses Geheul ein, ich mache Bloxy ja seinen Platz gar nicht streitig, ich will nur, wenn schon nicht mit ihm mitgehen, so doch in seinem Chor wenigstens mitheulen dürfen, doch das ist mir aus Altersgründen leider versagt, meine Stimme ist brüchig, nichts, was ich sage, stimmt, das wurde mir schon oft versichert, doch Sie können mein eigentliches Wesen nicht wahrnehmen, weil ich es Ihnen nicht zeigen darf, es wurde mir verboten, der Deckel meines Musterkoffers wurde mir zudem auf die Finger gehauen, wahr ist vielmehr und viel mehr: Bloggy persönlich, in welcher Person auch immer, hat es mir verboten, er hat mir viel mehr verboten, eigentlich alles, er kann mir mein Sprechen zwar nicht verbieten, aber er kann sagen, daß er es nicht will, daß er es nicht wünscht, und daß er mir sein eigenes stattdessen einpflanzen würde, wäre es nicht zu teuer dafür (aber seins soll es natürlich bleiben, und soll es ewig, ewig bleiben!), wie das Bäumchen beim Richtfest, aber wieso werde ich jetzt gerichtet, von so vielen gerichtet, von keinem gerettet, ich will doch auch nur


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was sagen, jedoch wäre es unglaubwürdig von mir vorzugeben, ich wüßte nicht, daß ich nichts zu sagen habe, Bloggy aber sehr viel, er braucht meinen Platz dafür auch noch, das wäre aber gar nicht nötig, weil der Platz so groß ist und das Elektron so klein, da gehen alle rein, nur nicht drängeln, es geht jedes Geheul auch noch rein, ich muß von meinem Bildschirm die Lautstärkekraft jetzt etwas wegdrehen, mich auch abwenden, weil mich die Elektronen vorhin ziemlich bös getroffen haben, das Geheul dringt in mich ein, und plötzlich merke ich, ich bin es ja selber, die da heult, plärrt, greint, sich beklagt, sich beschwert, rein aus Neid, o je, jetzt hab ich die ganze Zeit den armen Bloxy beschuldigt, daß er die ganzen Elektronenkräfte für sich verbraucht hat und für mich nichts übriggeblieben ist, und nun merke ich zu meinem eigenen Entsetzen, daß ich selbst es bin, die da dieses Geheul absondert, nachdem ich längst eingeschlagen bin und mir dabei sehr wehgetan habe, das ist ja ekelhaft, widerlich, kann ich denn meinen Neid auf die andren, die auch etwas sagen wollen, nicht zähmen, nein, den Neid schon, das Elektron aber nicht, jetzt ist es raus, jetzt ist es schon rausgegangen, ich aber blieb zurück, ich blieb in einem abgeschirmten Raum alleine zurück, mein Gerät haben sie mir einfach weggenommen, mein Sprechen, mein Heulen, mein Plärren, unglaublich, daß ich nicht wußte, was ich sagen soll, aber dauernd was sage, indem ich schreie. Man sagt mir schon: bitte nicht so laut, die Nachbarn wollen schlafen, aber das ist gar nicht wahr, sie wollen ihr elektronisches Spiel spielen, eine Art Flipper, glaub ich, der klingt, als würde man mit der Axt auf einen groben Klotz hauen,


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und dann ertönt eine kleine elektronische Melodei, die ursprünglich von Mozart war, aber inzwischen nicht einmal mehr von ihm selbst erkannt werden würde. Ich soll leise sein? Seien Sie doch selber leise! Ich wollte eigentlich etwas erzählen, glaube ich mich dunkel zu erinnern, aber ich erinnere mich stattdessen nur ans Dunkle, nur ans Dunkle in mir, über das ich mich schon wieder beklagen will, ist das nicht furchtbar, kann mich noch gar nicht beruhigen, daß das Geheul von mir kommt, nachdem ich im Nichts eingeschlagen habe, na ja, ich bin schließlich keine Rakete, nicht einmal ein gemütlicher Marschflugkörper, na, sagen wir mal und seien wir ehrlich: Auch von mir kommt das Geheul, aber auch von Bloxy, ich bestehe darauf, wir heulen zwar nicht nebeneinander, weil er das nicht will, aber doch gemeinsam, mal sehen, welchen Gebrauch wir von unseren Kräften noch machen können, wenn wir uns zusammentun, aber das will er ja nicht, der Einzige, er will, daß ich neben ihm und wegen ihm schreie, aber nichts schreie, was mir zu Hilfe kommen und damit von Nutzen sein könnte. Er will es nicht. Ich will es. Er will es nicht. Niemand will es. Sie alle wollen es nicht. Sie haben sich gegen mich zusammengerottet und wollen mich Trottel nicht, obwohl ich doch in meinem eigenen Trott gehen würde, ließen sie mich nur machen. Ich kann also nicht tun, was ich vorgehabt habe? Auch gut. Ich kann mein Vorhaben nicht durchführen und habe daher jetzt überhaupt kein Vorhaben mehr vor, jedenfalls nicht vor mir, mein Geheul erstirbt, wenn auch zögernd, aber es stirbt, weil man einfach allen ein Elektron gönnt, mir aber nicht, mir aber zumindest nicht als Erster, nie bin ich die Erste, die was sagen


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darf, immer schon haben andere es vor mir gesagt, und Bloggy (Bloggy ist er allein, er ist ganz er, weil er alle ist, die alle gerne wie er wären!) will es sowieso immer als einziger und als erster gesagt haben, was ihm auch gern gewährt wird, so soll es sein, Amen, denn immer ist einer vor mir dran, der andere führen möchte und sich hineindrängt und mich nicht neben sich dulden mag. Ich kann mein Dasein nicht schön herausarbeiten, da ich ja ständig und verzweifelt damit beschäftigt bin, mich selbst aus meinem Dasein herauszuarbeiten und mich dann unter andere Menschen zu begeben, die vielleicht auch ganz nett sind. So. Meine Augenlider lachen sich kaputt, und die sind schon kaputt und kopfhängerisch genug, sie werden jedoch bald zerschnitten werden und in der Mitte wieder neu zusammengesetzt. Ich persönlich bin sogar neidisch auf sie, obwohl sie mir gehören, damit meine ich jetzt die Jugend, falls Sie mich persönlich fragen, was Sie ja nie tun, Sie müssen daher das nehmen, was ich Ihnen hier vorsetze, ja, ich bin neidisch und schlage sinnlos in der Luft herum, weil ich eben überhaupt nicht mehr jung bin. Aber durch willkürliches Hindreschen auf die Luft werde ich meine Jugend nicht zurückbekommen. Bloxy kann das, ich nicht. Ich beneide die Jugend, auf die alle Blicke fallen, ein Wunder, daß sie darunter nicht zusammenbricht. Universal-Bloggy ist selbstverständlich ewig jung, der bricht uns nicht zusammen, ums Verrecken nicht. Ich bin es nie gewesen, jung meine ich, und breche dafür jetzt dauernd zusammen. Die Frau, die nicht ich ist, sonst könnte ich mich ja unmöglich dermaßen von ihr distanzieren, insofern ähnle ich einem


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weiblichen Biker- oder Surferwitz, habe ich doch jahrzehntelang vorgegeben, auf der guten Seite der Frauen zu sein, dabei hasse ich auch die, ich hasse sie alle, in Six Feet Under, im folgenden SFU, der Serie, hasse ich ganz besonders die Frauen,  außer Claire, bitte, Claire nicht, Claire auch manchmal, doch nicht für lange, aber sonst absolut alle, doch auch Claire ist immer auf der Schwelle, von mir gehaßt zu werden, und immer wirft sie sich im letzten Moment ins Rettende zurück, das inzwischen ein wenig gewachsen ist, jedes Mal ein Stück, sie wirft sich aus der Gefahr, von mir gehaßt zu werden, wie alle anderen Menschen, die dieser Gefahr ebenfalls nicht entkommen sind, weil ich sie nicht kenne, die Frau also, die ich hier erschaffen habe, entkommt mir nicht, auch sie kenne ich nicht, dafür kenne ich alle Tricks, sie kennt keine, diese Frau, die nicht ich ist und die ich zu beschreiben versuche, was mir so schlecht gelingt, weil sie natürlich in der Hauptsache, im Hauptberuf ich ist und ich daher keinen Abstand zu ihr habe, so gern ich eine andre wäre, da kann ich machen, was ich will, denn mich möchte ich zu allerletzt betrachten, kann es aber auch gar nicht, weil ich, glaube ich, in irgendeiner Form oder in mindestens zwei Formen schizoidal bin, lädiert, na ja, deppert halt, weil ich in Bezug auf andere Menschen ungefähr wie eine lose Sandale bin, aus der ich immer wieder rausschlüpfe, eine halbe Schizo bin oder gleich zwei in einer, und ich weiß nicht, wohin ich schauen soll, auf die eine oder auf die andre. Seien Sie doch froh, Sie dürfen mir zwar nicht in die Nähe kommen, aber dafür bekommen Sie zwei Stück E. J. für eine,


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und dabei wollen Sie nicht einmal eine, nein, keine der beiden gefällt Ihnen wirklich, na, mir auch nicht, das kommt ja noch dazu, daß ich aus meiner Haut nicht herauskann. Diese Frau, die ich ist, also nicht ist, weil sie eine andre leider nicht sein kann, verbirgt ihre eigenen Gedanken vor sich selbst. Das ist ein törichtes Unterfangen,  man kann ja der Sonne auch nicht verbieten, hinter den Wolken ein Blitzlicht abzuschießen, dann und wann. Wenn ich blinde Wanderin einmal ein Korn finde, dann höre ich überlaut meine Tritte, aber nie andere, ich höre sie gern, ich spüre sie nicht gern, ich möchte nicht wissen, wer ich bin, und so übertöne ich mich. Wo beginnt ein Satz? Am Anfang. Also nochmal: Die Frau, die nicht ich ist, obwohl sie doch ich sein muß, warum?, weil ich es so will!, verbirgt jeden Gedanken vor sich selbst, besser gesagt, nein, nicht besser, anders: hinter sich. Sie stellt sich schützend vor ihre Sätze, die aber gar nicht ihre sind, weil sie sie nämlich geklaut hat. Sie will nicht wissen, was sie da alles zusammengeschrieben hat, es hat die Sätze ja schon ein anderer vor ihr geschrieben, aber sie verlangt es auch von keinem andren, das ist die einzige Konzession, die sie gemacht hat, und die ist sie eingegangen, ich meine diese Konzession ist sie von Anfang an eingegangen, bis sie erloschen war. Auch die Antwort, die allein der Wind ist, den sie macht, weiß sie nicht, die Antwort, die sie im Geldbörsel trägt, mit der Schere aus einer Art Abschiedsbrief herausgeschnitten, denn auch das kann nicht von einem heutigen jungen Mann geschrieben worden sein. Die Heutigen schreiben anders oder gar nicht, die Heurigen können eh alle nicht


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schreiben, die werden gleich in die Pfanne gehaut, mit etwas Petersil, aber die Heutigen können es und tun es, sie schreiben vielleicht noch wie Bloggy, nur nicht so gut, oder sie stürzen sich, SOS!, SMS!, vom  Gesimse, weil sie länger nicht durchhalten können, ich kenne persönlich einen Arzt, genau den, der den anderen Postern immer wieder empfohlen wird, gehen Sie zum Arzt!, Sie sollten zum Arzt gehen!, haben Sie heute Ihre Medikamente nicht genommen, Sie Idiot?, ja, manchmal werden auch Medikamente empfohlen oder an deren Einnahme zumindest erinnert, oder es wird an ein Fahrrad erinnert, das angeblich in China umgefallen sein soll. Das könnte ich auch dem jungen Mann empfehlen, ich würde ihm, im Gegenteil, empfehlen, nicht umzufallen, bei seiner Meinung zu bleiben, ihm, der folgendes schrieb, und nicht in sein Telefon hinein: Wenn du hier bist, bin ich kaum schlauer als eine Nacktschnecke. Als SMS hätte das zuviel Arbeit gemacht, vor allem das Wort Nacktschnecke hätte vielleicht Probleme bereitet. So endet ein Exkurs, der, wie üblich, länger war als das ganze Elend, das ich von mir behaupten könnte, wenn ich wollte, hier spricht ein Mensch, hier steht ein Mensch, nein, stehen tut er nicht, der Gymnasiast, der sich zwei Tage lang nicht blicken ließ und keinen Grund dafür anzugeben hat, den er aber trotzdem angibt, womit er Mißtrauen und Eifersucht erweckt, aber ein Grund mußte her, sonst würde er seinen Anspruch auf einen PKW verlieren, dessen Erwerb eh schon gründlich wackelt, weil er eine Verabredung nicht einhält, nein, nicht der PKW, der junge Mann, und mehrere Verabredungen wären ohnehin zuviel für ihn, er könnte sie sich nicht alle merken. Der Bursch (nicht das Auto!) ist sicher, nein, unbedingt, beim


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Basketballtraining in der Mehrzweckhalle, von der er nur diesen einen Zweck braucht, nein, er ist da, er muß da sein, woher käme sonst die Spiegelung im fremden Augen-Glas? Es kann nicht sein, daß er so zu ihr spricht, daß er ihr diese Weise vorsingt, denn er ist heute gar nicht gekommen, er ist ja überhaupt nicht da, keine Ahnung, wo der sich herumtreibt. Ist er das dort drüben, oder ist das jemand andrer? Er hat nur geschrieben, ich kann ihn verstehen, ich tu ja im Prinzip auch nichts anderes, sage es aber genausowenig, weil mir für mein Schreiben, das sich eine Gegenleistung von Ihnen erhoffen könnte, stattdessen so oft wehgetan worden ist, daß ich jetzt gar nichts mehr kann, nicht sitzen, nicht stehen, nicht liegen, und das ist allein Ihre Schuld. Der Frau ist auch wehgetan worden, und das wollte ich eigentlich sagen, das ist das Eigentliche, was ich sagen wollte, aber da ich alles sagen kann, schmiege ich mich am liebsten an mich und schließe meine Augen vor allem und jedem, da muß ich keinen andren sehen. Die Frau leidet so, jeden Tag an was andrem. Das ist entsetzlich. Ich kann es nicht aushalten, wenn Menschen einander oder dem eigenen Körper, in dem Krankheit wohnt, wehtun. Und wenn sie Tieren wehtun, halte ich es noch weniger aus. Er ist nicht gekommen, der Bub. Ich kann leider auch nicht kommen. Er ist auf dem Foto, dafür hat er heute Zeit, dafür hat jeder immer Zeit, auf dem Foto zu sein, aber er selbst ist nicht gekommen. Blödsinn! Brigitte K. hat diesen jungen Mann schon so oft mit den Augen verzehrt, durch die notorische Vorhangritze hindurch, mit dem Operngucker, daß von dem Buben (der Dieb der Cellini-Saliera war einst der schönste Bub im


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ganzen Krapfenwaldbad, sagen ein paar Frauen anerkennend noch heute und bekommen glänzende Augen, weil sie sich so gut daran erinnern können, besser als an sich selbst, der hat in den Damen einen tiefen Eindruck hinterlassen, aber den meine ich gar nicht, ich war noch nie im Krapfenwaldbad, ich meine einen ganz anderen, der heute noch jung ist, wir sehen, es kommt immer auf die Zeit an, der ihre Kunst gebührt, meine Kunst aber nicht, die würde ich niemandem wünschen) gar nichts mehr übrig sein kann, der wahrscheinlich Körbe in der Turnhalle wirft, bevor sie das Gymnasium hier auch noch zusperren (nicht genügend Schüler mehr). Sie wird ihm schon nichts abschauen, wie man hier sagt. Sie wird ihn schon nicht mit den Augen verschlingen. Das Haus gegenüber ist tagsüber, auch nachmittags, dreimal die Woche auch nachmittags, denn da ist er schließlich bei ihr, der Frau, die sich ihm so gern aufschließt, das Haus, in dem er wohnt, ist dann leer, oder doch nicht? Es muß leer sein, denn der junge Mann müßte eigentlich bereits in ihrem Schlafzimmer aufhältig sein, so ist es für heute fix ausgemacht. Die sind doch alle weg, oder? Tagsüber ist dort niemand. Niemand zu Hause vis-à-vis. Wer ist denn schon bei sich, wenn er zu Hause ist, sagt E., besser, man geht rechtzeitig fort, denn das Fortgehen ist alles. Auf dem Land sind das Fortgehen und das Fortfahren das wichtigste. Warum ist man dann überhaupt da? Der da, der da auf dem Foto kann er nicht sein, der junge Mann, wo ist die Lupe? In unserem Alter braucht man die schon manchmal, weil nicht einmal die Brille mehr ausreicht, und fremde Hände werfen einen aus dem Schlaf, in den man dann nicht mehr hineinkommt, weil man im Spital ist, wo


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man dann schon um fünf Uhr früh aufgeweckt wird. Ist dieser achtzehnjährige Sohn, der Maturant, vielleicht einer der letzten Maturanten hier, etwa krank, hat er die Gripen, also bitte!, ich meine die Grippe erwischt oder sie ihn? Wurde er mit Gewalt abgefangen? Die Eurofighter sind ja noch nicht da. Doch, jetzt schon, hier, im zweiten Durchgang sind sie bereits angekommen, in einer anderen Zeit, nur mit dem zweiten gabs leider Probleme, er hat sich verzögert, seine Ankunft hat sich verzögert, nur Jesus kommt jedes Jahr pünktlich, aber der ist auch, außer mir, aber ich komme immer zu früh, der einzige Pünktliche, dafür ist er allerdings kein Mensch oder nur teilweise. So, in der Zwischenzeit ist ja doch noch einer gekommen, heute kommt schon der dritte, fehlen noch drei, glaube ich, nein, sie fehlen nicht, doch die meisten können gar nicht fliegen, aber ich habe die Übersicht verloren, von oben aus einem der Fighter hätte ich sie, diese Übersicht. Das führt zu nichts. Es ist ein erhebendes Gefühl, sie zu sehen, auch wenn sie grade landen und dabei irrsinnig Krach machen, wie üblich, wie immer. Also, wo ist er, der Gymnasiast, denn in ihrem Schlafzimmer ist er nicht, dort hat die Frau Lehrerin doch zu allererst nachgeschaut, um ihm eine ihrer Lektionen zu erteilen, damit sie endlich wieder das Leben bejahen kann, diese Verzweifelte, die einen Knaben in ihre Gewalt gebracht hat, welcher seinerseits gewaltige PS-Zahlen in seine Gewalt bringen möchte, dort in ihrem Schlafzimmer würde sie ihn erwarten, dreimal die Woche, die Frau Lehrerin, so ist es ausgemacht, um des kostbaren behaglichen Autos willen, und wenn sie ihn schon dreimal pünktlich erwartet, sollte er sich


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wenigstens einmal die Woche an die vereinbarte Zeit halten. Jeder muß sich irgendwann einmal an etwas festhalten können. Man kennt seine Mutter, die Nachbarin von gegenüber, nur vom Grüßen, sie fährt immer schon sehr früh mit ihrem Auto weg, in die Bank in der anderen Bezirksstadt, aus der man dann später das Geld für ihren Sohn keinesfalls abholen darf, oder nur in bar, da müssen wir nachher in die Erste gehen und eine Überweisung tätigen, die sowas von fünf Euro kostet, wo die Mutter des Knaben jedoch nicht arbeitet, und die ist wieder ein andres Kapitel, das ich nicht auch noch schreiben werde, ein Trauerspiel das mit der BAWAG, die kommt jeden Tag beinahe nicht mehr zurück, die BAWAG ist ja wieder groß da, aber ich meine jetzt die Mutter, die sich täglich zweimal, ja, täglich zweimal einnehmen!, dem vampirhaften Blutrausch der ländlichen Bundesstraßen anvertrauen muß, man rast, jeder etwa zur gleichen Zeit, wie ein Hase im Zickzack davon, damit man den besoffenen Männern, die etwas später dran sein werden und daher immer noch schneller und noch schneller rasen müssen, um nach dem Puff zum Abendessen noch zurechtzukommen (bis sie sich einmal selbst überholen werden, was Opfer fordern und auch bekommen wird), die angasen werden müssen, damit sie nicht vor einem andren Puff stehenbleiben, oder in einer andren Frau steckenbleiben, auf daß man diesen Fahrern, die sich auf den Straßen nicht zurechtfinden, obwohl sie sie seit ihrer Geburt kennen, jedoch im Suff die Orientierung verloren haben werden, zuvorkommt und nicht von ihnen auf der Straße getötet wird, sondern erst drinnen im Haus, mit bloßen Händen, ja, gern auch mit Messer oder Jagdgewehr, falls vorhanden, bereits im Haus, sicher


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angekommen, aber unsicher für andere, wohin sich die Herren der Schöpfung manchmal verirren, aber nicht so oft wie gewünscht, das Auto lassen sie draußen, dort, im Haus, ist es weniger peinlich, wenn man mit pisseverfärbten Jeans (und womöglich als Frau! Igitt!) aufgefunden wird, auch auf einem Foto, auf diesem beispielsweise, auf dem das Opfer aber eben schon wieder eine Frau ist. Ich will es so. Ein Wunder ist geschehen, und es ist so geschehen, wie ich es sogar gesehen habe (meine Mutter hat das geschworen, und sie hat beschrieben, wie der Engel oben auf dem Schrank, dem sogenannten Chemisettekasten, den man so getauft hatte, weil er kleiner war als seine Brüder, wie der Engel, der ihr erschienen war, ausgesehen hat, in allen Einzelheiten, ein Kind hatte er ihr nicht prophezeit, wahrscheinlich, weil sie schon eins hatte), ich weiß aber nicht, welches Wunder das sein soll. Immer wieder, immer wieder! Hätte sie gewußt, daß sie so fotografiert werden wird, hätte sie vor dem Wegfahren noch Lulu gemacht, diese vollmundige, nein, vollschlanke Frau, denn der nasse Fleck auf der von den Schenkeln ausgeformten engen Hose ist ja nicht zu übersehen, die Granate von der eigens für sie gebastelten Sprengfalle hat diese Frau, nicht jene, nein, diese meine ich jetzt, ich sollte in meinem Alter nicht so herumhüpfen, das halten meine Knie- und Hüftgelenke doch nicht mehr aus, ich meine eine Sekretärin, keine rasante Düse, eher eine stille, fleißige Bürste, eine selbstreinigende Geherin, welche die ausgezogene, ich meine die abgezogene Granate noch im Tod in der Hand hat, nein, hat sie nicht, ihr gesamtes Erbe soll dem Mörder gehören, wie sie zuvor schriftlich


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unter seiner Anleitung (da er noch kein Mörder war, das wäre damals auch sinnlos gewesen, weil zu früh) festgelegt hat, bevor sie hier und heute selber wie gebundenes Festgeld liegen muß, das im Liegen noch ein bißchen was einbringt, was er jetzt alles kriegt, der Mörder, den sie nicht als solchen erkannt hat, sonst hätte sie ihm doch nie erlaubt, sie zu ermorden, doch jetzt ist er zum Glück schon aufgeflogen, kaum daß er sich gemütlich hingesetzt hat, aufgeflogen, wie sie, aufgeflogen wie ein Vogerl, allerdings zu spät (für sie war das Pech, muß ich zugeben, ich wollte, es wäre anders abgelaufen, zumindest in eine andre Richtung), aber nicht gestorben, sterben sollte ja sie, die vorzeitig verblichene Erblasserin, und es ist noch peinlicher, nichts könnte peinlicher sein, in diesem Zustand, mit einem nassen Fleck auf der Jeans, fotografiert zu werden und die Fotos, die man aber eh nicht sehen will, nicht mehr zugeschickt zu bekommen, wie diese arme Sekretärin, die Tote, die von ihrem Chef, der sie beerben wollte, mithilfe einer irgendwie mit der Hand manipulierten, scharf gemachten Handgranate in die Luft gesprengt worden ist, nein, der Chef, der das alles immer noch leugnet, obwohl er seine Nächte längst im Gefängnis einatmet, wo er hofft, nur ein Gastspiel zu geben. Wenn sie mich in diesem Augenblick fragen: Der war doch schon damals nicht mehr scharf auf sie, seine willfährige Hilfskraft, die alles nach seinem Willen tat, außer fahren, nein, die war total auf ihn abgefahren!, der war scharf auf scharfe Handgranaten. Außerdem hatte er es nur noch auf ihr Geld und ihr schönes Einfamilienhaus (was die Leute nur alle mit Einfamilienhäusern haben! Ich


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wünschte, ich hätte nichts mit einem Einfamilienhaus zu schaffen, aber da ist immer was zu schaffen, wenn man ein Häuschen hat, doch es ist alles, was ich habe, nein, nicht alles, aber beinahe alles) abgesehen, das sie ihm vererben wollte oder sollte, egal, was von beidem, auf jeden Fall alles, denn sonst hatte sie nichts (vielleicht mit Ausnahme eines Kindes und eines Lebensgefährten für sie allein, die aber beide nicht zählen, denn wo die Liebe hinfällt, dort wächst kein Gras mehr, dafür wächst aber ein Haus mit Stil aus dem Boden, und es ist nicht das Haus des Seins, denn die Menschen werden ihr Sein dann längst in das Haus hineingeworfen und damit einen Dauerbrandofen ein wenig gefüttert haben). Weil Sie mich nicht fragen: ein ländliches, eigentlich eher vorstädtisches Schicksal, ein Vorort-Schicksal, das unseren, Ihren, nicht meinen, einsamen Bloggy, der gewiß auch mal Pommes ißt, nur merkt man es an seinem schöpferischen Atem nicht (sie waren ohne Zwiebel), niemals interessieren könnte, ihn interessiert mehr die Popmusik, jeder hat ein eigenes Schicksal, doch Bloggy interessiert nur seins, mich interessiert meins nicht, da unterscheiden wir uns deutlich, seien Sie froh, daß Sie Ihr eigenes Bett haben und ihren eigenen verlorenen Posten, bitte, er ist zwar verloren, aber immerhin ist es einer, auf dem Sie ausharren dürfen, im Nichts, in einem als unrentabel aufgelassenen Wartesaal, in einer verödeten Siedlung am Rand der Stadt, wo in der Pizzeria, die längst geschlossen ist, die Pizza mit Namen „Paula“ noch immer in Schilling angeschrieben ist, auf einer uralten, vergilbten Speisekarte, und im Lokal liegt neben der Theke eine Klomuschel als


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einziges Inventar auf dem braunen Fliesenboden, denn auf dem Land und, um diesen Begriff etwas zu erweitern, in den ländlichen wie den städtischen Vororten muß man immer sehr weit fahren, um überhaupt irgendwohin zu kommen, wo es interessant ist und noch geöffnet hat bzw. hätte, wenn es nicht grade geschlossen wäre, aber es gibt keinen Ort, um darauf zu warten, und Bloggys verlorener Posten ist immer noch interessanter als der, den Sie haben, allerdings nicht mehr lang; Sie fahren und fahren, und am Ende lauert nur die Großraumdisco, in der vieles läuft, Sie aber nicht laufen, und mit Ihnen läuft nichts, ohne Sie aber auch nichts (das denken Sie!), deswegen müssen Sie unbedingt dabeisein, stehen können Sie zwar nicht mehr, und man muß auch viel zahlen, um einen eigenen Körper wenigstens für sich selbst zur Benutzung zu erhalten, um einen fremden kann man sich da nur begrenzt kümmern, ich sage Ihnen, wo diese Grenze liegt, diese dünne rote Grenzlinie beweist einem plötzlich, mitten in der Nacht, daß der eigene Körper doch letztlich auch immer ein Fremder ist und bleibt. Ein Getümmel von Menschen ist Ihnen nicht fremd, doch Ihr eigener Leib wird Ihnen immer fremder, wenn Sie ihn an eine andere Person austeilen, fragen Sie Gott, er wird es Ihnen gern bestätigen. Sie finden ja nicht einmal mehr in Ihren eigenen Mund hinein mit dieser Tablette, welche Ihre Ausdauer verlängern und Ihr Standvermögen (Stehvermögen? Stehendes Vermögen?) verbessern soll, stattdessen fallen Sie um – die Fassung der Menschen ist nun mal begrenzt, was sie aber nicht einsehen, weil sie sich dauernd in einen anderen hineinschrauben wollen. Es geht immer nur so und soviel Vergnügen oder


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Schmerz in sie hinein. Bis sie einmal fassungslos in den Spiegel schauen und sich darin erkennen, aber dann wird es zu spät sein, weil sie davor nicht an sich gearbeitet haben. Hauptsache, es geht überhaupt, daß man ein Auto hat, ein bisserl was geht immer, denn die Busse z. B. gehen am Land nie, ich sagte nicht, daß sie nie an Land gehen, bitte, sie fahren, sogar zweimal pro Tag, doch nie, wenn man es braucht, sie fahren also, doch sie gehen nie, wenn und wann man sie braucht. Das können Sie an dieser Tafel ablesen oder im Internet. Nein, gehen können sie nicht, die Busse, ich sagte es schon mehrmals, bitte glauben Sie mir diesmal endlich, denn in der Unendlichkeit werden Sie keine Öffis mehr brauchen, und wenn Sie mir diese schlichte Tatsache, die ein Volksschulkind verstehen würde, nicht glauben, dann schauen Sie halt auf das Taferl mit dem Fahrplan am Bahnhof von sagen wir Mürzzuschlag!, dich mein stilles Tal grüß ich tausendmal, aber du bist eher eng als still, von Berghängen eingeschlossen. Wir machen es uns in unserer Begierde recht bequem, doch die Zeit des Wartens auf den Bus ist verlorene Zeit, da schauen wir doch lieber gleich DVDs mit nackten Körpern, als uns selber mühevoll auszuziehen, mühevoll deshalb, weil wir die Koordinaten unserer Kleidungsstücke nicht mehr finden. Das stimmt auch nicht. Hier stimmt nichts oder nur wenig. Es stimmt hier hinten und vorne nicht. Was ich schreibe, das stimmt, aber es stimmt leider nicht mit dem überein, was Sie schreiben würden. Ich habe allerdings nichts davon eigenhändig überprüft, außer das mit dem Fahrplan, und das ist schon eine Weile her, weil ich ja, Eile mit Weile, mein Haus kaum noch verlasse, um nicht von anderen taxiert zu werden, da


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fahre ich lieber Taxi, bitte um Entschuldigung, das war echt zu tief, sogar für meine Verhältnisse kaum zu unterbieten, aber es stimmt, Gott sei Dank, nur was? Was stimmt? Da stimmt was nicht. Wenigstens diese Geige stimmt, wenn man auf ihr Töne greift, nur ist sie grundsätzlich falsch gestimmt, manche Leute hören halt die Quinten nicht richtig, die Ärmsten, das Sehen ist ihnen auch schon längst vergangen, und jetzt warten sie, daß ihnen auch das Hören noch vergeht, aber da können sie lange warten, denn das Hören hat sich längst davongeschlichen, weil es was andres hören wollte, von dem es inzwischen halb taub ist, das hat es nun davon, nein, das Stimmen ist nicht so einfach, wie es sich anhört, das kann ich Ihnen flüstern, es stimmt alles nicht, es stimmt einfach nie. Es dauert Jahre, bis man eine Quint richtig rein hören kann. Man muß jahrelang in sie reinhören, bis man sie erkennt und anerkennt. Stimmt die Quint nicht, stimmt alles, was danach kommt, ebenfalls nicht. Ähnlich bei mir, die Grundstimmung ist zu tief, und es stimmt nichts mehr. Ich habe keine Kraft mehr zum Erzählen, das ist eine betrübliche Tatsache, Sie sehen es ja selbst, Sie müssen selber lesen, es hat keinen Sinn, wenn ich Ihnen vorher sage, was hier drinsteht, Sie wissen es ja schon, es ist immer dasselbe, es passieren genau null Dinge, daher ist dies hier für Sie vollkommen gratis, denn Geld kann ich für sowas natürlich keins nehmen. Vollkommenheit können Sie dabei nicht erwarten. Da bin ich aber erleichtert! Sie erwarten sie nicht, und Sie kriegen sie nicht. Nur die Jugend hat noch die Kraft in sich, das nachzumachen, was sie zuvor in zahllosen Filmen gesehen und in zahllosen Acts gehört hat, sie macht


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auch nach, was sie gehört hat, sie gründet ihre eigene Band, denn es stimmt, es ist unbestreibar, daß auch diese Gruppe mit ihrer Musik total recht hat und diese andre nicht. Ich habe keine Kraft mehr, daher verschenke ich, vielleicht aus Liebesbedürfnis?, nein daraus wahrscheinlich nicht, dies, mein Werk. Bloggy hat das alles jetzt gehört und sagt uns sofort, bevor er es vergißt, daß man seine Blockiertheit sogar in einer Zeitschrift kaufen kann, ich habe das aber nicht überprüft, weil ich diese Zeitschrift nicht gelesen habe, die Zeitschrift gibt es gratis zu seiner Meinung dazu? Nein, die Meinung gibt es gratis zu der Zeitschrift, es ist umgekehrt. Stimmt das auch wirklich? Keine Ahnung, deswegen schreibe ich es ja hier hin und bestätige Ihnen mit meiner Unterschrift, daß ich von nichts eine Ahnung habe. Sag ich doch die ganze Zeit. Neue Stellungen und die Übergänge dazu machen Spaß, wenn man sie sich vorher genau angesehen und angehört hat. Dann kann man sie dieser Zeitschrift, welche eigens nachgefragt hat, auch schildern, aber die Zeitschrift ist in diesem Laden nicht vorrätig, das heißt aber nicht, daß es sie nicht gibt, ja, auch die Band, in der Sie spielen wollen, ist ein unerfüllbarer Wunschtraum, denn dort kommen Sie nicht hinein. Hier ist das Griffbrett, dort drüben sind die Finger, so, und die müssen wir jetzt nur noch irgendwie zusammenbringen, und das können Sie nicht. Die eine Hand sollte wissen, was die andre tut, ich begreife aber nicht, aus welchem Grund, jeder andre würde das begreifen und einen schönen Akkord greifen, wenn er nur wüßte, wo er die Finger hinlegen soll, auf welche Wunde, an welchen Puls. Aber die Mutter des Burschen von vis-à-vis kriegt keine neue


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Stellung mehr, wenn sie ihre alte verliert, Verzeihung, das fällt mir jetzt einfach so ein, und ich schreibe es hin, bevor ich es vergesse. Ich hätte es aber auch mühelos von weiter oben abschreiben können, war aber zu faul, die Stelle zu suchen. Ich hätte raufgehen und dann mit der praktischen Findefunktion wieder runtergehen können, aber ich bleibe lieber auf meiner Ebene: zu vermieten, zu verkaufen, wir danken für Ihr Vertrauen, an jeder zweiten Auslagenscheibe der Geschäfte rund um den Hauptplatz kleben solche Zettel, einige schon vergilbt wie die Speisekarte in dem leeren Lokal, alles leer, alles leer, die Leere ist meine Ebene, nur in der Menschenleere fühle ich mich wohl. Aber das ist zuviel Platz, den ich für mich alleine beanspruche, nein, nicht beanspruche, doch er ist halt da, der Platz, und so nehme ich ihn mir, denn mein ganzes Herz hängt an diesem menschenleeren Platz, dabei hat mein Rückbau schon vor Monaten, vielleicht Jahren, begonnen. Als erstes Gebäude wurde die alte Hauptschule abgerissen, und bitte, schon sitze ich drinnen! Auch in der Europa-Siedlung wurde bereits ein ganzer Block geschleift. Wie ist es für die Menschen, daß ganze Teile, nein, nur Teile allein, ihrer Stadt verschwinden? Also der Hauptschulabriß hat durchaus Symbolcharakter, er hat Dynamik, mittels Dynamits, das ihm eine ganz andre Richtung gibt: hinauf, raus aus der Erde, schade, hier bin ich in die Schule gegangen, sagt einer, der andre findet, daß das seine schlimmsten Jahre waren, als er in diese Schule ging, die jetzt in die Luft geflogen ist. Aber das Gymnasium steht noch (aber wahrscheinlich nicht mehr lange) und ist der Zukunft zugewandt, die Stadt dem Niedergang, denn nur wenige Menschen können emotional


 

 

 

 

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