Die Instrumente stimmen

(zu Martin Walsers Friedenspreis-Rede)

Nein, Gewissensmangel dürfen wir an Martin Walser nicht rügen, da hat er ganz Recht. Es ist auch mir unerträglich, daß die deutsche Geschichte - "so schlimm sie zuletzt verlief" - in einem Katastrophenprodukt enden sollte, und prompt hat sie ja auch ihr happy end gefunden, die deutsche Geschichte, ganz wie gewünscht. Leider wird den Deutschen aber immer noch ihre Schande vorgehalten, auch ich bedaure das. Hier sehe ich bereits Heere von Menschen vorbeiziehen, die Schande vorhalten, andren und sich selbst. In der flauschig weichen Verkleidung von sogenannten Gutmenschen ziehen sie hin, diese Herden, ihre Mundwinkel sind wie nach unten genäht, damit man sie gleich erkennt (was nicht nötig wäre, denn sie bilden eine riesige Mehrheit) und weil sie, abgenutzt vom ewigen unerbittlichen Erinnerungsdienst für uns alle, nicht mehr von selber dort halten wollen, die Mundwinkel. So ziehen diese Gutmenschen durch die Zentren der wunderbaren deutschen Städte, deren Architektur so schandbar vernichtet worden ist, was aber natürlich nichts mit Schande zu tun hat. Worauf sind sie aus, diese Menschen? Sie wollen mit gigantischen betonierten Mahnmälern diese Stadtzentren noch weiter ver-schandeln. So wird Schande über Schande gehäuft, während aus den Kirchen Instrumententöne erschallen, und was sagen diese Schalmeien? Sie sagen seit fast zweitausend Jahren, daß hier der Kreuzestod ihres Gottes instrumentalisiert wird, damit die Leute zu Instrumenten dieses und keines andren Gottes werden. Es herrscht bereits ein entsetzlicher Lärm, während der Dichter noch allerorten die Schande instrumentalisiert sieht zu "gegenwärtigen Zwecken", hoffentlich nicht zu zukünftigen! So stößt jeder in sein Horn, der Rest stößt sich auch die Hörner irgendwie ab, oft bis ins Alter hinein, mal dieses, mal jenes behauptend, alle paar Jahre was andres. Daß er das fleißig getan hat, wird Martin Walser gewiß nicht daran hindern, den Kopf rechtzeitig wegzudrehen, wenn er sich etwas Entsetzliches anschauen soll, und das ungefähr zwanzigmal im zwanzigsten Jahrhundert, wie er sagt. So redet der berühmte Schriftsteller in seiner Rede was alle reden und was man: Gerede nennt.

 

(Der Aufsatz erschien im November 1998 in DIE GEMEINDE, Wien)



Die Instrumente stimmen © 1998 Elfriede Jelinek

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