Zum Mülheimer Theaterpreis
Ich möchte mich sehr herzlich für diesen Preis bedanken. Ich hoffe nicht, daß er nur eine Art Ehren-Oscar sein soll, weil ich halt schon so lang in Mülheim dabei bin und jetzt eben einmal „dran" war. Weil es sonst langsam peinlich würde. Aber wenn es so wäre, könnte ich auch nichts machen. Ich will auch nicht, sozusagen als Älteste im Feld, um in der Sportsprache zu bleiben, in einer Art Seniorenklasse spielen. Das würde ja vielleicht bedeuten, daß meine Kolleginnen und Kollegen in der Juniorenklasse sind und erst noch irgendwohin aufsteigen müßten. Aber nein, sie sind die sogenannten Aktiven. So nennt man das. Ich will mit ihnen aber diesen Preis teilen, weil ich gegen aktive Teilnahme an Kunstbewerben bin. So. Ich habe den Preis offensichtlich bekommen, weil ich das Fortleben der Vergangenheit in die Gegenwart hinein beschrieben habe. Weil ich sozusagen die Welt von hinten anschaue, was man Weltanschauung nennt. Indem ich meinen kleinen Grund, meinen Claim, in der Vergangenheit abstecke und in der Gegenwart dann dieses Grund- Stückchen an die Theater verkaufen will; es ist meins, obwohl es die Vergangenheit, die nicht sterben kann und auch nicht sterben will, wer will das schon, obwohl es also die Vergangenheit in der Gegenwart ist, die ich hier einem Publikum, das sich ganz ordentliche Grundstückspreise für unzureichende Gründe leisten kann, verkaufen will. Sie sollen für etwas zahlen, das ich ihnen als lebendig vorstelle, obwohl es eigentlich tot ist. Betrug. Aber eigentlich ist es doch eher ein Rachedrama, das ich da geschrieben habe, und Rachedramen haben derzeit Konjunktur, siehe Martin Walser und sein Haß gegen seinen Kritiker, von dem er sich nicht so geliebt fühlt wie es ihm eigentlich zustünde. Dieser eine Kritiker sagt, es gebe bessere Autoren als den Racheschriftsteller. Ja darf der das sagen? Da haben die Juden die Deutschen geliebt wie kein andres Volk, das war doch das Volk, zu dem sie so gern gehören wollten, und dann das. Es war grauenhaft, was dann war. Es gibt kein Danach. Oder doch. Danach rächt sich ein Deutscher dafür, daß er als einziger von einem einzigen Juden nicht geliebt worden ist. Er allein ist von der Liebe ausgenommen. Was für eine Kränkung für soviel Liebe! Na, mein Rachedrama hat jedenfalls keine Liebe, es ist keine Liebe in mir zu meiner Heldin, die eine Mittäterin war und dafür vom ganzen österreichischen Volk geliebt wurde, ihr Leben lang. Das ist doch schon viel, oder? Das ist doch schon was! Welche Grund-Bestandteile muß man besitzen, um geliebt zu werden? Eine Herkunft, einen Charakter, eine innere Beziehung zu einem nationalen, einem internationalen Ideal? Warum werde z.B. ich nicht für das, was ich schreibe, geliebt, und warum will ich mich an einer rächen, die immer geliebt wurde, egal, was sie gemacht hat? Als ob das nicht schon Grund genug wäre, sich zu rächen: bitte, warum interessiert es niemand, was sie gemacht hat, indem es alle unaufhörlich zu interessieren hat, was wiederum alle naturgemäß nicht so gerne hören. Sie sagen, es werde über sie von irgendeiner Obrigkeit verhängt, daß sie sich dauernd dafür interessieren und sich erinnern müssen. Warum gerate ich immer mit solchen, meinen Figuren zusammen, obwohl die doch gar nichts mit mir zu tun haben wollen? Und wieso läuft es ins Leere, wenn ich mich einmal an allen dafür räche, nicht geliebt zu werden, während andre ins Volle greifen, indem sie sich beschweren, von auch nur einem Einzigen nicht geliebt zu werden? Fragen über Fragen. Können hier keinesfalls beantwortet werden. Wollen sie auch gar nicht und schon gar nicht von mir. Werden dafür manchmal sogar von einem ganzen Staat beantwortet, indem seine Vertreter auf Erden zu uns sprechen, auch in ihrem Verhalten, das plötzlich kein Verhalten mehr ist. Sie können es nicht mehr verhalten, ihr heiliges Wasser, sie müssen ihren Begriff von der Welt sozusagen verschärfen, zuspitzen und herauslassen. Sie müssen direkt drauf zugehen, die Mutigen, die nach der Vergangenheit schielen, aber damit zügig vorankommen wollen, auch wenn sie keine Preise dabei gewinnen. Dafür gibt's jede Menge Blumentöpfe zu ihren Feiern gegen diese schreckliche Vergangenheit. Ab heute wird sie totgefeiert. Ich schaue auch zurück, aber ich komme dabei nicht vorwärts. Aber immerhin habe ich jetzt einen Preis bekommen. Der vorankommt, ist wach. Der tot ist, der schläft in seiner eigenen Welt, in die auch ich nicht hineinschauen kann. Aber ich versuche dafür, die Toten ein wenig herausschauen zu lassen. Sie wiegen nicht schwerer als ein Papiertaschentuch, das einem ein Stück aus der Tasche heraushängt. So leicht zu beschreiben, denn Vergleiche gibt es nicht. Niemand kann überprüfen, ob es stimmt, was ich sage. Keiner hat die Toten unter der Erde je gesehen. Falls sie überhaupt dort sind. Dann können sie durch die Finger schauen. Wir schauen aber auch brav auf sie. Daß sie nicht verkommen. Zum Beispiel wurde in der Festsitzung des österreichischen Parlaments anläßlich des Tags der Befreiung von der Nazidiktatur oder wie sie es nennen, vor versammeltem Parlament aus den Schriften des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss vorgelesen. Dazu Musik und Politikerreden, es muß ja eine nette Garnierung auf dem Teller liegen, damit sich unser Gericht besser davon abhebt. Keine einzige Opferstimme, die sich schrill und klagend und ungerecht beschuldigend davon hätte abheben und endlich wegfliegen können. Nirgends. Faschismuskeulen, elegant von routinierten Händen geschleudert. Runter kommen sie immer. Nachher vielleicht eine gute Schweinsstelze. Zum Glück ist jetzt nicht Vergangenheit. Die Opfer reden ohnedies andauernd, und wenn sie es einmal nicht tun, wird von den übrigen verlangt, daß sie sofort an ihre Stelle treten, um für sie zu sprechen. Warum nicht gleich selber Opfer werden? So schwer kann das doch nicht sein. Wir lieben unsre Opfer ja so, und wenn sie einmal von uns nicht geliebt werden wollen, werden sie in unsrer Umarmung erdrückt, das geht in einem Aufwaschen, wie man hier sagt, und sauber ist es nachher auf jeden Fall. Es ist für uns unzumutbar, daß diese blöden Opfer nicht von uns geliebt werden wollen. Uns reicht es langsam. Bitte, ich persönlich hab sie schon lang gesucht, meine Opferstimme. Wieso zieht sie sich vor mir zurück? Ich hätte sie mir so gern genommen und dann angemessen, ich meine angemaßt. Ich bin ja schon ganz heiser vom Schreien, eine neue Opferstimme hätte ich gut gebrauchen können, aber ich hab diesmal zumindest keine gefunden. Ich hätte auch deshalb gern eine gefunden, damit ich zu einer Auffassung kommen kann, denn einer solchen Handhabe scheint es zu bedürfen, um überhaupt etwas sagen zu dürfen. Keine Opferstimme also. Nirgends. Da ist nichts gewesen. Das ist vielleicht auch eine Möglichkeit, die Welt anzuschauen und eine Weltanschauung zu gewinnen, wie ich schon gesagt habe: eine Festsitzung abhalten, dann sitzt man besonders gut, wenn es festlich ist. Und nachher gibt's ein Büffet. Keine Aufregung. Ich will ja nichts, bekomme aber Preise. Ich lasse doch nur meinen armen toten Papa gegen all die andren Festredner antreten, den Wanderer, der immer nur fortgeht, aber wer ist das schon, das ist eine schwache Stimme, die sich dauernd in irgendwelche blöde Kalauer verirrt, damit sie auch einmal, ab und zu wenigstens, an andrer Stelle, das Pathos des Opfers riskieren, sich aus den geistlosen Witzen, die ich mit der Sprache zu machen pflege, erheben und irgendwen anklagen kann, der gar nicht mehr lebt und daher auch keine eigenen Erinnerungen ans Geschehene mehr haben kann, und wenn doch, dann hat er sie natürlich ins Grab mitgenommen, die Erinnerungen. Jedem das Seine, was man hat, das hat man. Daß ein Toter überhaupt sprechen darf, bedeutet vielleicht ein schreckliches Transzendieren ins Nichts des Sprechens, das selber nichtig ist, des Sprechens von einem, der überlebt hat, aber nur gerade so eben. Knapp. Es ist sich grad noch ausgegangen. Die Kunst geht sich irgendwie nie aus. Die Einfälle gehen einem schneller aus, aber es geht die Rechnung nicht auf. Der eine verdient ein Vermögen mit seiner Rache, die andre kriegt einen schönen Preis dafür, daß ihre Rache ins Leere läuft und sich dort auch noch verirrt. Selbst wenn man wüßte, wo in der Leere sie sich aufhält, könnte man sie nicht finden. Denn sie hat sich dort, wo ohnedies nichts ist, auch noch verirrt. Das soll einem einer einmal nachmachen.
Videobeitrag zur Abschlußveranstaltung am 30.6.2002 in Mülheim
(aus dem Bühnenbild von Anna Viebrock zu "MACHT NICHTS")
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